OGH 7Ob10/20a

OGH7Ob10/20a24.4.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* W*, vertreten durch Dr. Norbert Nowak, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei G* AG, *, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 6.005,80 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 5. Dezember 2018, GZ 50 R 124/18v‑12, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 11. Juni 2018, GZ 12 C 55/18b‑8, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E127891

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

I. Das Revisionsverfahren wird fortgesetzt.

II. Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die in Ansehung der Abweisung eines Klagebegehens von 1.915,68 EUR sA als unangefochten unberührt bleiben, werden in Ansehung eines Begehrens von 4.090,12 EUR samt 435,23 EUR an kapitalisierten Zinsen und 4 % Zinsen aus 4.525,35 EUR seit 31. 5. 2018 aufgehoben; die Rechtssache wird in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Der klagende Verbraucher unterfertigte am 10. Dezember 2002 bei der Beklagten einen Antrag auf Abschluss einer fondsgebundenen Lebensversicherung auf 35 Jahre ab 1. Februar 2003. Bei Antragstellung belehrte die Beklagte den Kläger wie folgt über sein Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG:

„15. Rücktrittsrecht laut Konsumentenschutzgesetz bzw Versicherungsvertragsgesetz

Wenn der Antrag durch unsere Anbahnung zustande kam bzw die Versicherungsbedingungen bei Antragstellung nicht ausgehändigt oder die Prämienhöhe im Antrag nicht angegeben wurde, kann der Versicherungsnehmer binnen zwei Wochen ab Zustellung der Polizze durch schriftliche Erklärung an den Versicherer vom Vertrag zurücktreten. Für die Haftung aus dem Sofortschutz ist eine anteilige Prämie zu entrichten.“

Mit Schreiben vom 21. Dezember 2009 kündigte der Kläger den Versicherungsvertrag und erhielt den Rückkaufswert ausbezahlt.

Mit Schreiben vom 27. Dezember 2017 erklärte der Kläger den Rücktritt vom Vertrag.

Der Kläger begehrte die von ihm gezahlten Prämien (einschließlich Versicherungssteuer) abzüglich der Risikokosten (Entgelt für den Risikoschutz) und des Auszahlungsbetrags, zuzüglich (teils kapitalisierter) Zinsen sowie Zinseszinsen. Ihm stehe zu, zeitlich unbefristet zurückzutreten, weil er nicht korrekt über das Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG belehrt worden sei.

Die Beklagte wandte ein, das Rücktrittsrecht stehe nicht zu, sei verjährt und werde rechtsmissbräuchlich geltend gemacht; die Rücktrittsfrist des § 165a VersVG sei abgelaufen.

Das Erstgericht wies das gesamte Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von 4.090,12 EUR samt 435,23 EUR an kapitalisierten Zinsen und 4 % Zinsen aus 4.525,35 EUR seit 31. Mai 2018 statt und bestätigte die Klagsabweisung von 1.915,68 EUR sA. Dem berechtigt zurückgetretenen Kläger stünden die Prämien abzüglich Versicherungssteuer, Risikokosten und erhaltener Auszahlung zu.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu den Fragen zu, ob von einem bereits beendeten Vertrag nach § 165a VersVG der Rücktritt erklärt werden könne, welche Rechtsfolgen ein solcher Rücktritt habe, und ob der Versicherer bei einer allfälligen bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung auch die Versicherungssteuer rückerstatten müsse.

Gegen den klagsstattgebenden Teil dieses Urteils richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Zu I.:

1. Der Senat hat aus Anlass der Revision mit Beschluss vom 24. April 2019, AZ 7 Ob 66/19k, das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über das Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018 des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien (GZ 13 C 738/17z‑12 [13 C 8/18y, 13 C 21/18k und 13 C 2/18s]), Rechtssache C‑479/18 , UNIQA Österreich Versicherungen ua, unterbrochen.

2. Der EuGH hat mit Urteil vom 19. Dezember 2019 in den verbundenen Rechtssachen C‑355/18 bis C‑357/18 und C‑479/18 , Rust‑Hackner, (ua) über dieses Vorabentscheidungsersuchen entschieden.

3. Das Revisionsverfahren ist daher fortzusetzen.

Zu II.:

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig; sie ist im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

A. Vorlagefragen und Beantwortungen:

1. Die vorlegenden Gerichte haben dem EuGH (ua) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.1. Vorlagefrage 1: Sind „Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619 in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96 , Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83 in Verbindung mit deren Art. 36 Abs. 1 und Art. 185 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138 in Verbindung mit deren Art. 186 Abs. 1 dahin auszulegen (...), dass die Rücktrittsfrist bei einem Lebensversicherungsvertrag auch dann ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem der Versicherungsnehmer davon in Kenntnis gesetzt wird, dass der Vertrag geschlossen ist, wenn in den Informationen, die dem Versicherungsnehmer vom Versicherer mitgeteilt werden, entweder nicht angegeben ist, dass die Erklärung des Rücktritts nach dem auf den Vertrag anwendbaren nationalen Recht keiner besonderen Form bedarf, oder eine Form verlangt wird, die das auf den Vertrag anwendbare nationale Recht nicht vorschreibt“? (EuGH C‑355/18 bis C‑357/18 und C‑479/18 , Rust‑Hackner, Rn 60).

1.2. Diese Vorlagefrage 1 hat der EuGH wie folgt beantwortet:

„1. Art. 15 Abs. 1 der Zweiten Richtlinie 90/619/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/EWG in der durch die Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom 10. November 1992 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom 10. November 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG (Dritte Richtlinie Lebensversicherung), Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002 über Lebensversicherungen in Verbindung mit deren Art. 36 Abs. 1 und Art. 185 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) in Verbindung mit deren Art. 186 Abs. 1 sind dahin auszulegen, dass die Rücktrittsfrist bei einem Lebensversicherungsvertrag auch dann ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem der Versicherungsnehmer davon in Kenntnis gesetzt wird, dass der Vertrag geschlossen ist, wenn in den Informationen, die der Versicherer dem Versicherungsnehmer mitteilt,

– nicht angegeben ist, dass die Erklärung des Rücktritts nach dem auf den Vertrag anwendbaren nationalen Recht keiner besonderen Form bedarf, oder

– eine Form verlangt wird, die nach dem auf den Vertrag anwendbaren nationalen Recht oder den Bestimmungen des Vertrags nicht vorgeschrieben ist, solange dem Versicherungsnehmer durch die Informationen nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben. Die vorlegenden Gerichte werden im Wege einer Gesamtwürdigung, bei der insbesondere dem nationalen Rechtsrahmen und den Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen sein wird, zu prüfen haben, ob den Versicherungsnehmern diese Möglichkeit durch den in den ihnen mitgeteilten Informationen enthaltenen Fehler genommen wurde.“

2.1. Vorlagefrage 3: Sind „Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619 in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96 und Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83 in Verbindung mit deren Art. 36 Abs. 1 dahin auszulegen (...), dass der Versicherungsnehmer sein Rücktrittsrecht auch noch nach Kündigung und Erfüllung aller Verpflichtungen aus dem Vertrag, u. a. der Zahlung des Rückkaufswerts durch den Versicherer, ausüben kann, weil in dem auf den Vertrag anwendbaren Recht nicht geregelt ist, welche rechtlichen Wirkungen es hat, wenn überhaupt keine Informationen über das Rücktrittsrecht mitgeteilt wurden oder die darüber mitgeteilten Informationen fehlerhaft waren.“? (EuGH C‑355/18 bis C‑357/18 und C‑479/18 , Rust‑Hackner, Rn 91).

2.2. Diese Vorlagefrage 3 hat der EuGH wie folgt beantwortet:

„3. Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619 in der durch die Richtlinie 92/96 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96 und Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83 in Verbindung mit deren Art. 36 Abs. 1 sind dahin auszulegen, dass der Versicherungsnehmer sein Rücktrittsrecht auch noch nach Kündigung und Erfüllung aller Verpflichtungen aus dem Vertrag, u. a. der Zahlung des Rückkaufswerts durch den Versicherer, ausüben kann, sofern in dem auf den Vertrag anwendbaren Recht nicht geregelt ist, welche rechtlichen Wirkungen es hat, wenn überhaupt keine Informationen über das Rücktrittsrecht mitgeteilt wurden oder die darüber mitgeteilten Informationen fehlerhaft waren.“

3.1. Vorlagefrage 4: Sind „Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619 , Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83 und Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138 dahin auszulegen (...), dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der der Versicherer einem Versicherungsnehmer, der von seinem Vertrag zurückgetreten ist, lediglich den Rückkaufswert zu erstatten hat.“? (EuGH C‑355/18 bis C‑357/18 und C‑479/18 , Rust‑Hackner, Rn 99).

3.2. Diese Vorlagefrage 4 hat der EuGH wie folgt beantwortet:

„4. Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619 in der durch die Richtlinie 92/96 geänderten Fassung, Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83 und Art. 185 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138 sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der der Versicherer einem Versicherungsnehmer, der von seinem Vertrag zurückgetreten ist, lediglich den Rückkaufswert zu erstatten hat.“

4.1. Vorlagefrage 5: Sind „Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619 , Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83 und Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138 dahin auszulegen (...), dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der Vergütungszinsen auf Beträge, die der Versicherungsnehmer nach seinem Rücktritt vom Vertrag wegen ungerechtfertigter Bereicherung zurückverlangt, in drei Jahren verjähren.“? (EuGH C‑355/18 bis C‑357/18 und C‑479/18 ,Rust‑Hackner, Rn 112).

4.2. Diese Vorlagefrage 5 hat der EuGH wie folgt beantwortet:

„Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619 in der durch die Richtlinie 92/96 geänderten Fassung, Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83 und Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138 sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung, nach der Vergütungszinsen auf Beträge, die der Versicherungsnehmer nach seinem Rücktritt vom Vertrag wegen ungerechtfertigter Bereicherung zurückverlangt, in drei Jahren verjähren, nicht entgegenstehen, sofern dadurch die Wirksamkeit des Rücktrittsrechts des Versicherungsnehmers nicht beeinträchtigt wird, was das vorlegende Gericht (...) zu prüfen haben wird.“

B. Auszahlung des Rückkaufwerts

1.1. Die Beklagte hat dem Kläger nach Vertragskündigung den Rückkaufswert ausbezahlt.

1.2. Aus der Beantwortung der Vorlagefrage 3 folgt, dass der Versicherungsnehmer sein Rücktrittsrecht auch noch nach der Zahlung des Rückkaufswerts durch den Versicherer ausüben kann, sofern in dem auf den Vertrag anwendbaren Recht nicht geregelt ist, welche rechtlichen Wirkungen es hat, wenn überhaupt keine Informationen über das Rücktrittsrecht mitgeteilt wurden oder die darüber mitgeteilten Informationen fehlerhaft waren.

1.3. Im österreichischen Recht (VersVG) waren bis zum Zeitpunkt des Vertragsrücktritts die Rechtswirkungen für den Fall, dass dem Versicherungsnehmer keine oder fehlerhafte Informationen über das Rücktrittsrecht mitgeteilt wurden, nicht geregelt. Einem dem Kläger infolge fehlerhafter Informationen gegebenenfalls noch zustehenden Rücktrittsrecht steht daher der Umstand, dass der Versicherungsvertrag längst gekündigt und die Beklagte dem Kläger auch schon den Rückkaufwert ausbezahlt hat, grundsätzlich nicht entgegen (7 Ob 19/20z; 7 Ob 4/20v = RS0132998).

C. Belehrung über das Rücktrittsrecht:

1. Zum nationalen (österreichischen) Recht bei Abschluss des Versicherungsvertrags:

1.1. Der bei Vertragsabschluss geltende § 165a VersVG (idF BGBl I 1997/6) lautete soweit hier relevant:

„(1) Der Versicherungsnehmer ist berechtigt, binnen zweier Wochen nach dem Zustandekommen des Vertrags von diesem zurückzutreten. …“

1.2. Der bei Vertragsabschluss geltende § 178 VersVG (idF BGBl 1994/509) lautete:

„(1) Auf eine Vereinbarung, die von den Vorschriften der §§ 162 bis 164, der §§ 165, 165a und 169 oder des § 171 Abs. 1 Satz 2 zum Nachteil des Versicherungsnehmers abweicht, kann sich der Versicherer nicht berufen. Jedoch kann für die Kündigung, zu der nach § 165 der Versicherungsnehmer berechtigt ist, die Schriftform ausbedungen werden.“

1.3. Der bei Vertragsabschluss geltende § 9a Abs 1 VAG (idF BGBl 1996/447) lautete soweit hier relevant:

„(1) Der Versicherungsnehmer ist bei Abschluß eines Versicherungsvertrages über ein im Inland belegenes Risiko vor Abgabe seiner Vertragserklärung schriftlich zu informieren über

6. die Umstände, unter denen der Versicherungsnehmer den Abschluß des Versicherungsvertrages widerrufen oder von diesem zurücktreten kann.

...“

2. Zur Rechtsbelehrung der Beklagten:

2.1. Das Antragsformular der Beklagte enthielt in der Rechtsbelehrung über das „Rücktrittsrecht laut Konsumentenschutzgesetz bzw Versicherungsvertragsgesetz“ den Hinweis, wonach der Versicherungsnehmer, „wenn der Antrag durch unsere Anbahnung zustande kam bzw die Versicherungsbedingungen bei Antragstellung nicht ausgehändigt oder die Prämienhöhe im Antrag nicht angegeben wurde, (...) binnen zwei Wochen ab Zustellung der Polizze durch schriftliche Erklärung an den Versicherer vom Vertrag zurücktreten“ kann.

2.2. Dieser Hinweis entsprach insofern nicht den Anforderungen des Art 15 Abs 1 der Zweiten Richtlinie Lebensversicherung 90/619 und dem § 165a VersVG (idF BGBl I 1997/6), als die Ausübung des Rücktrittsrechts an Bedingungen geknüpft wird, die weder dem seinerzeit geltenden Unionsrecht noch dem österreichischen Gesetz entsprachen. Die Belehrung war daher inhaltlich fehlerhaft.

3. Zu den Rechtsfolgen der fehlerhaften Belehrung:

3.1. Der Senat hat bereits ausgesprochen, dass– von den Entscheidungen des EuGH 19. 12. 2013, C‑209/12 , Endress, und 10. 4. 2008, C‑412/06 , Hamilton, ausgehend – aufgrund einer fehlerhaften Belehrung über die Dauer der Rücktrittsfrist bei richtlinienkonformer Auslegung des § 165a Abs 2 VersVG dem Versicherungsnehmer ein unbefristetes Rücktrittsrecht zusteht (7 Ob 107/15h = RS0130376).

3.2. Sowohl aus der Struktur als auch aus dem Wortlaut der einschlägigen unionsrechtlichen Bestimmungen folgt, dass damit sichergestellt werden soll, dass der Versicherungsnehmer insbesondere über sein Rücktrittsrecht genau belehrt wird (C‑209/12 , Endress,Rn 25). Wenn ein Versicherungsnehmer daher nicht oder zumindest nicht ausreichend belehrt worden ist, steht dies dem Beginn des Fristenlaufs entgegen und führt damit zu einem unbefristeten Rücktrittsrecht (7 Ob 107/15h Pkt 2.3.1 mwN).

3.3. Dasselbe gilt in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Belehrung insofern fehlerhaft war, als die Ausübung des Rücktrittsrechts nach § 165a VersVG (idF BGBl I 1997/6) an gesetzlich nicht vorgesehene Bedingungen geknüpft wurde. Auch durch diesen Umstand wurde dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit genommen, sein Rücktrittsrecht unter denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben.

Die Rücktrittsfrist nach § 165a Abs 1 VersVG (idF BGBl I 1997/6) hat im vorliegenden Fall daher mangels korrekter Belehrung nicht mit dem Zeitpunkt zu laufen begonnen, zu dem der Kläger davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass der Vertrag geschlossen wurde. Die hier vorliegende Falschbelehrung steht dem Beginn des Fristenlaufs entgegen und führt zu einem unbefristeten Rücktrittsrecht des Klägers.

3.4. Auf den Umstand, dass der bei Vertragsabschluss geltende § 165a Abs 1 VersVG (idF BGBl I 1997/6) für die Erklärung des dem Versicherungsnehmer eingeräumten Rücktritts anders als die Belehrung durch die Beklagte keine Schriftform verlangte (Vorlagefrage 1; vgl 7 Ob 3/20x, 7 Ob 4/20x, 7 Ob 16/20h), kommt es daher hier nicht mehr an.

D. Zu den Rechtsfolgen des Rücktritts:

1.1. Der EuGH C‑355/18 bis C‑357/18 und C‑479/18 , Rust‑Hackner, hat in Beantwortung der Vorlagefrage 4 zu § 176 VersVG ausgeführt, dass damit der Fall, dass der Versicherungsnehmer zu dem Schluss gelangt, dass der Vertrag seinen Bedürfnissen entspricht, und sich deshalb dafür entscheidet, nicht von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch zu machen, den Vertrag dann aber aus anderen Gründen kündigt, und der Fall, dass der Versicherungsnehmer zu dem Schluss gelangt, dass der Vertrag nicht seinen Bedürfnissen entspricht, und deshalb von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch macht, gleichbehandelt werden. Soweit § 176 VersVG für den Rücktritt und die Kündigung des Vertrags dieselben rechtlichen Wirkungen vorsieht, nimmt er dem unionsrechtlich vorgesehenen Rücktrittsrecht somit jegliche praktische Wirksamkeit (Rn 106 f). Wird der Rücktritt nicht fristgerecht unmittelbar nach Zustandekommen des Vertrags erklärt, weil überhaupt keine Informationen mitgeteilt werden oder die mitgeteilten Informationen derart fehlerhaft sind, dass dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit genommen wird, sein Rücktrittsrecht unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben, ist es Sache des Versicherers, einer Situation abzuhelfen, die er dadurch selbst herbeigeführt hat, dass er seiner unionsrechtlichen Obliegenheit zur Mitteilung bestimmter Informationen, zu denen insbesondere die Informationen über das Recht des Versicherungsnehmers, vom Vertrag zurückzutreten, gehören, nicht nachgekommen ist (Rn 109).

1.2. Aus der Beantwortung der Vorlagefrage 4 folgt, dass bei richtlinienkonformer Auslegung des nationalen österreichischen Rechts ein Rücktritt des Versicherungsnehmers auch in einem solchen Fall – wie hier – nicht die Rechtsfolgen nach § 176 VersVG auslöst, sondern zur bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung des Vertrags zu führen hat (7 Ob 19/20z; vgl 7 Ob 107/15h; Perner/Spitzer, Rücktritt von der Lebensversicherung. Eine Standortbestimmung [2020] 36 ff).

Die Frage einer Beschränkung der Rückzahlung der Versicherungsprämien beim Spätrücktritt auf die letzten drei Jahre (vgl Heinisch, Bereicherungsansprüche aus Versicherungsprämien, Was gilt: kurze oder lange Verjährungsfrist? VbR 2019/106, 175 [zu 7 Ob 137/18z – unten Pkt E.1.2.]) stellt sich daher nicht.

E. Zur Verzinsung zurückzuzahlender Prämien:

1. Zur Verjährung von Zinsen aus bereicherungsrechtlichen Rückforderungsansprüchen nach österreichischem Recht:

1.1. Kondiktionsansprüche, die aus der (Teil‑)Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts oder einer Vertragsbestimmung resultieren (zur analogen Anwendung von § 877 ABGB auf diese Ansprüche Rummel in Rummel/Lukas, ABGB4 § 877 Rz 2 mwN) verjähren in 30 Jahren beginnend vom Tag der Zahlung (Krejci in Rummel/Lukas, ABGB4 § 879 Rz 533 mwN; RS0127654).

1.2. Zinsen aus einer ohne Rechtsgrund geleisteten und daher zurückzuerstattenden Geldsumme sind sogenannte Vergütungszinsen, für die § 1333 ABGB anzuwenden ist (RS0032078). Nach ständiger Rechtsprechung hat auch der redliche Bereicherungsschuldner – außer bei Vorliegen einer Gegenleistung – die mit dem gesetzlichen Zinssatz pauschalierten Nutzungen eines vom ihm zu erstattenden Geldbetrags unabhängig vom Eintritt des Verzugs herauszugeben („Vergütungszinsen“). Auch bei Redlichkeit des Bereicherten ist nämlich die Nutzungsmöglichkeit des Kapitals inter partes dem Bereicherungsgläubiger zugeordnet. Es wäre daher nicht zu rechtfertigen, wenn der Schuldner den Nutzungsvorteil bis zum Einlangen eines Rückzahlungsbegehrens behalten könnte; § 1000 ABGB ist in diesem Zusammenhang ganz generell als Pauschalierung des gewöhnlichen Nutzungsentgelts für Geld („Zinsen“) zu verstehen (4 Ob 46/13p [4.2.] mwN; krit hierzu jüngst Perner/Spitzer, Rücktritt von der Lebensversicherung. Eine Standortbestimmung [2020] 63 ff).

1.3. Nach § 1480 ABGB verjähren Forderungen von rückständigen jährlichen Leistungen, insbesondere von Zinsen, Renten, Unterhaltsbeiträgen, Ausgedingsleistungen sowie zur Kapitalstilgung vereinbarten Annuitäten in drei Jahren. Unter „rückständigen jährlichen Leistungen“ sind periodisch, das heißt jährlich oder in kürzeren Zeiträumen, wiederkehrende Leistungen zu verstehen (RS0034320).

Alle Arten von Zinsen aus einer fälligen, zu erstattenden Geldsumme ohne Rücksicht auf den Rechtsgrund der Zahlungspflicht, darunter auch Zinsen aus einer ohne Rechtsgrund geleisteten und daher zurückzuerstattenden Geldsumme („Vergütungszinsen“; oben Pkt 1.2.), verjähren nach ständiger Rechtsprechung demnach gemäß § 1480 ABGB (RS0031939; RS0033829; RS0032078; RS0038587).

So übertrug die Rechtsprechung die dreijährige Verjährungsfrist auf Bereicherungsansprüche auf Rückforderung zu Unrecht eingehobener periodisch wiederkehrender Zahlungen, und wendet seit der Entscheidung 4 Ob 73/03v für die Rückforderung rechtsgrundlos gezahlter Kreditzinsen eine dreijährige Verjährungsfrist an (RS0117773). Diese Judikatur ist ungeachtet teilweiser Kritik in der Literatur nunmehr als gefestigt anzusehen (3 Ob 47/16g mwN). Die dreijährige Verjährungsfrist wurde auch etwa bejaht, für die von einem Netzbetreiber zu Unrecht eingehobenen Gebrauchsabgaben (7 Ob 269/08x), für die „gesetzlichen Zinsen‟, deren Rückzahlung § 27 Abs 3 MRG anordnet (wobei der Zinsenanspruch mit der jeweiligen Zahlung zu laufen beginnt, RS0122424), für Mietzinsüberzahlungen (5 Ob 25/15k) und für periodisch zu Unrecht geleistete Leasingentgelte (3 Ob 47/16g; vgl auch 10 Ob 62/16i mwN).

Der Fachsenat gelangte unlängst zum Ergebnis, dass Bereicherungsansprüche wegen der Leistung von Versicherungsprämien ohne vertragliche Grundlage zwar nicht § 12 Abs 1 VersVG, aber der analogen Anwendung des § 1480 ABGB und damit der dreijährigen Verjährungsfrist unterliegen (7 Ob 137/18z mwN = ZVers 2019, 263 [zust Madl], unter ausdrücklicher Aufgabe der in 7 Ob 191/03v vertretenen Position).

1.4. Unkenntnis des Anspruchs hindert den Beginn der Verjährung im Allgemeinen nicht. Wer etwa einen wegen Irrtums (auch eines Rechtsirrtums) ohne Rechtsgrund geleisteten Geldbetrag zurückfordert, ist zwar bis zur Aufdeckung dieses Willensmangels gar nicht in der Lage, Zinsen von dem rechtsgrundlos gegebenen Kapital zu fordern; das hindert aber nicht den Lauf der dreijährigen Verjährungsfrist nach § 1480 ABGB, ist doch der Beginn der Verjährungsfrist grundsätzlich – von Ausnahmebestimmungen wie etwa § 1489 ABGB abgesehen – an die objektive Möglichkeit der Rechtsausübung geknüpft. Die Möglichkeit zu klagen ist im objektiven Sinn zu verstehen; subjektive, in der Person des Berechtigten liegende Hindernisse, wie ein Irrtum des Berechtigten oder überhaupt Unkenntnis des Anspruches, haben in der Regel auf den Beginn der Verjährungsfrist keinen Einfluss (RS0034337; RS0034445 [T1]; RS0034248). Mehr als drei Jahre vor dem Tag der Klagseinbringung rückständige Vergütungszinsen sind daher verjährt (4 Ob 584/87).

1.5. Zur Frage, was für den vorliegenden Fall der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung nach (Spät‑)Rücktritt des Versicherungsnehmers gilt, werden folgende Positionen vertreten:

1.5.1. In ihren Schlussanträgen vom 11. 7. 2019 in der Rechtssache C‑355/18 bis C‑357/18 und C‑479/18 , Rust‑Hackner, vertrat die Generalanwältin Kokott die Auffassung, dass Ansprüche nicht verjähren könnten, bevor sie entstanden seien oder bevor der Berechtigte von ihnen Kenntnis erlangt habe. Die Verjährung könne erst ab Ausübung des Rücktrittsrechts zu laufen beginnen. Insbesondere könne das unionsrechtlich garantierte Rücktrittsrecht nicht effektiv ausgeübt werden, wenn die daraus resultierenden Ansprüche bereits schwänden, bevor der Versicherungsnehmer überhaupt über sein Recht belehrt worden sei (Rn 94 f).

1.5.2.  Armbrüster (Rückabwicklung von Lebensversicherungen in Deutschland und Österreich, in Leupold [Hrsg], Forum Verbraucherrecht 2017, 1 [13 f]) will eine – seines Erachtens dreißig Jahre dauernde – Verjährungsfrist für bereicherungsrechtliche Rückzahlungsansprüche ab dem Zeitpunkt beginnen lassen, zu dem das Recht zum ersten Mal hätte ausgeübt werden können; dies sei der Zeitpunkt, zu dem der Versicherungsnehmer den Rücktritt erkläre.

Graf (Rücktritt vom Versicherungsvertrag à la Endress – Wann verjähren die Bereicherungszinsen? VbR 2018/71, 132 [135 f]) meint, die vorliegende (Spät‑)Rücktrittskonstellation sei mit Fällen, in denen das Rücktrittsrecht und die Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs rein der Willkür des Erklärenden anheimgestellt seien, nicht zu vergleichen. Hier jedoch sei es dem Unionsgesetzgeber ein Anliegen, dass der Versicherungsnehmer korrekt über das Rücktrittsrecht informiert werde. Diesem sei die freie Entcheidung darüber erst bei Vorliegen der korrekten Belehrung über Existenz und Gebrauch des Rücktrittsrechts möglich. Daher könne die dreijährige Verjährungsfrist von Vergütungszinsen nicht vor dem Zeitpunkt zu laufen beginnen, zu dem der Versicherungsnehmer korrekt über sein Rücktrittsrecht aufgeklärt worden sei (ähnlich schon Graf, Zinsen, Bereicherung und Verjährung, JBl 1990, 350 [359 ff, 365]; vgl dagegen 5 Ob 160/07a [Grafs Kritik sei „überholt‟]).

Zu EuGHC‑355/18 bis C‑357/18 und C‑479/18 , Rust‑Hackner, vertritt Graf (Rust‑Hackner und die Verjährung der Vergütungszinsen, VbR 2020/33, 52) jüngst die Ansicht, nunmehr sei die Anwendung der dreißigjährigen Verjährungsfrist geboten, weil nur diese dem Effektivitätsgebot Rechnung trage, eine Verkürzung der Verjährungsfrist für Vergütungszinsen hingegen die Effektivität des Rücktrittsrecht beeinträchtige und zu einer „markanten Schlechterstellung‟ jener Versicherungsnehmer führe, die später zurückträten.

Maderbacher („Neues“ zum Spätrücktritt von Lebensversicherungsverträgen, VbR 2020/4, 10 [13]) sieht es als nach EuGH C‑355/18 bis C‑357/18 und C‑479/18 , Rust‑Hackner, offen an, wie die nationalen Gerichte im Einzelnen zu prüfen hätten, ob eine Verjährung von Vergütungszinsen die praktische Wirksamkeit des Richtlinienrechts beeinträchtige. Jüngst argumentiert Maderbacher (EuGH: Verjährung von Vergütungszinsen vs Effektivität, ecolex 2020, 347) mit der französischen Sprachfassung von Rn 120 des genannten EuGH‑Urteils, erkennt aber selbst (FN 7), dass (nur) die deutsche Urteilsfassung verbindlich ist. Er meint weiters, zu einem Rücktritt, der nicht auf die Wahlfreiheit des Versicherungsnehmers abziele und daher eine dreijährige Verjährungsfrist von Vergütungszinsen zulasse, sei ein zusätzliches subjektives Element erforderlich, das darin liege, dass der Versicherungsnehmer bereits bei Vertragsabschluss gewusst haben müsse, dass die Belehrung fehlerhaft sei (ecolex 2020, 349).

1.5.3.  Schauer (Von Endress zu Rust-Hackner et alii: die Schlussanträge der Generalanwältin, ÖJZ 2019/121, 993 [998; unter Hinweis auf Schauer, Spätrücktritt in der Lebensversicherung, VR 2017 H 1‑2, 33 {53 ff} und Rebhahn, Der prolongierte Rücktritt in der Lebensversicherung {2017} 57 ff]) meint, dem Effektivitätsgebot könne entgegen den geschilderten Schlussanträgen der Generalanwältin (oben Pkt 1.4.2.) – als Maßnahme im Rahmen des nationalen regulatorischen Umfelds – mit § 176 VersVG Rechnung getragen werden (ebenso Schauer, Die Entscheidung des EuGH „Endress/Allianz“ und ihre Folgen für das österreichische Recht, in FS Schnyder [2018] 893 [899 ff]); die Rückstellung der gesamten geleisteten Prämien – allenfalls samt Zinsen – würde zu Lasten des Deckungsstocks gehen und somit den vertragstreuen Versicherungsnehmern Nachteile zufügen (krit dazu Berger/Maderbacher, Zum Rücktritt von Lebensversicherungsverträgen, Anmerkungen aus unionsrechtlicher Sicht, ÖJZ 2018/51, 391 [398]).

1.5.4.  Leupold (§ 176 VersVG: [K]ein Nullsummenspiel, Lebensversicherung: Rechtsfolgen des Rücktritts nach Endress/Allianz, VbR 2016/135, 195)vertritt die Auffassung, geschuldet seien „Zinsen“ als Nutzungsersatz für das Kapital vom Tag der Zahlung an; „Zinseszinsen“ seien verschuldensunabhängig in Form von 4 % Verzugszinsen berechnet von Prämien und Nutzungen ab Fälligkeit des Bereicherungsanspruchs (regelmäßig ab Zugang der Rücktrittserklärung) zu zahlen.

Leupold/Gelbmann (Lebensversicherung: Spät-rücktritt und Rückabwicklung, VbR 2018/65, 121) folgen 7 Ob 191/03v, dass der Bereicherungsanspruch hinsichtlich der Prämienzahlungen in 30 Jahren ab Entstehen des Anspruchs (dem Rücktritt) verjähre. Bereicherungsrechtliche Vergütungszinsen für die Kapitalnutzung seien allgemeinen Grundsätzen zufolge vom Tag der Zahlung an geschuldet; zusätzlich gebührten (verschuldensunabhängig) 4 % Verzugszinsen (§§ 1000, 1333 Abs 1 ABGB) als pauschalierter Schadenersatz berechnet von Prämien und Vergütungszinsen ab Fälligkeit (= ex nunc ab Zugang der Rücktrittserklärung; subsidiär ab Mahnung). Strittig sei, ob die Vergütungszinsen in 30 oder in drei Jahren (§ 1480 ABGB) ab Fälligkeit verjährten.

1.5.5.  Perner/Spitzer (Rücktritt von der Lebensversicherung [2020]) lehnen – von rein bereicherungsrechtlichen Rückabwicklungsüberlegungen ausgehend (35 ff) – die Anwendung der gesetzlichen 4 % als Untergrenze für Vergütungszinsen ab und befürworten, dass der redliche Bereicherungsschuldner nur seine tatsächliche Bereicherung (nur hinsichtlich der Sparprämien ohne Versicherungssteuer, und nur dann, wenn keine Veranlagungsverluste vorliegen), nicht aber als Mindestpauschale die gesetzlichen Zinsen herauszugeben habe (55 ff). Wenn nicht nur der tatsächliche Nutzen herauszugeben, sondern Vergütungszinsen von 4 % zu zahlen sein, könnte dies zu einer Anwendung des § 1480 ABGB und damit zu einer dreijährigen Verjährung führen, wobei die Frist erst ab objektiver Möglichkeit zur Geltendmachung (also ab Rücktritt) zu laufen beginne (68).

1.6. Als Zwischenergebnis ist zunächst festzuhalten, dass im jüngeren Schrifttum Kritik an der oben in Pkt 1.3. und 1.4. dargelegten Rechtsprechung zur Verjährung nach § 1480 ABGB von Vergütungszinsen auch für den hier vorliegenden Fall der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung nach (Spät‑)Rücktritt des Versicherungsnehmers insofern geübt wird, als der effet utile unionsrechtlicher Vorgaben einer solchen Verjährung jedenfalls entgegenstehe. Dieser Argumentation ist in ihrer Allgemeinheit durch die jüngste Entscheidung des EuGH C‑355/18 bis C‑357/18 und C‑479/18 , Rust‑Hackner, der Boden entzogen.

2. Zu den unionsrechtlichen Grenzen der Verjährung nach § 1480 ABGB:

2.1. Der EuGH C‑355/18 bis C‑357/18 und C‑479/18 , Rust‑Hackner, hat zunächst den Zweck des Rücktrittsrechts nach den Richtlinien betont, wonach dem Verbraucher im Rahmen eines einheitlichen Versicherungsmarkts eine größere und weiter gefächerte Auswahl von Verträgen zur Verfügung steht und dieser, um diese Vielfalt und den verstärkten Wettbewerb voll zu nutzen, im Besitz der notwendigen Informationen sein muss, um den seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechenden Vertrag auszuwählen. Im Hinblick auf diesen Informationszweck sind dem Versicherungsnehmer vor Abschluss des Vertrags mindestens die Modalitäten der Ausübung des Widerrufs und Rücktrittsrechts mitzuteilen (Rn 63 f). Weiters stellte der EuGH klar, dass diese Verjährung des Anspruchs auf die Vergütungszinsen binnen drei Jahren keinem grundsätzlichen Einwand begegnet, weil sie nicht unmittelbar das Rücktrittsrecht des Versicherungsnehmers berührt (Rn 115 f). Allerdings wird in der Beantwortung der Vorlagefrage 5 zur Verjährungsfrist nach § 1480 ABGB auch darauf hingewiesen, dass es im Einzelfall zu prüfen ist, ob eine solche Verjährung des Anspruchs auf Vergütungszinsen geeignet ist, die Wirksamkeit des dem Versicherungsnehmer unionsrechtlich zuerkannten Rücktrittsrechts selbst zu beeinträchtigen (Rn 117), zumal Versicherungsverträge rechtlich komplexe Finanzprodukte sind, die je nach anbietendem Versicherer große Unterschiede aufweisen und über einen potenziell sehr langen Zeitraum erhebliche finanzielle Verpflichtungen mit sich bringen können (Rn 118). Wenn unter diesen Umständen die Tatsache, dass die für mehr als drei Jahre fälligen Zinsen verjährt sind, dazu führen sollte, dass der Versicherungsnehmer sein Rücktrittsrecht nicht ausübt, obwohl der Vertrag seinen Bedürfnissen nicht entspricht, wäre eine solche Verjährung geeignet, das Rücktrittsrecht zu beeinträchtigen, insbesondere wenn der Versicherungsnehmer nicht richtig über die Bedingungen für die Ausübung dieses Rechts informiert wurde (Rn 119). Bei der Beurteilung der Bedürfnisse des Versicherungsnehmers ist jedoch auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen. Vorteile, die der Versicherungsnehmer aus einem verspäteten Rücktritt ziehen könnte, bleiben außer Betracht. Ein solcher Rücktritt würde nämlich nicht dazu dienen, die Wahlfreiheit des Versicherungsnehmers zu schützen, sondern dazu, ihm eine höhere Rendite zu ermöglichen oder gar auf die Differenz zwischen der effektiven Rendite des Vertrags und dem Satz der Vergütungszinsen zu spekulieren (Rn 120).

2.2. Aus der Beantwortung der Vorlagefrage 5 ergibt sich somit, dass im Grundsatz das Unionsrecht einer Verjährung des Anspruchs auf die Vergütungszinsen binnen drei Jahren nicht entgegensteht, wenn dies die Wirksamkeit des dem Versicherungsnehmer unionsrechtlich zuerkannten Rücktrittsrechts selbst nicht beeinträchtigt. Der EuGH hob deutlich hervor, dass das Rücktrittsrecht nicht dazu dient, dass der Versicherungsnehmer eine höhere Rendite erhalten oder gar auf die Differenz zwischen der effektiven Rendite des Vertrags und dem Satz der Vergütungszinsen spekulieren kann.

Diese sich aus der Entscheidung ergebenden unionsrechtlichen Aspekte waren bislang nicht Gegenstand des Verfahrens und wurden nicht mit den Parteien erörtert. Entgegen der Ansicht von Graf, VbR 2020/33, 52 (54 f) sind diese Fragen auch nicht allgemein-abstrakt, sondern nach dem ausdrücklichen Auftrag des EuGHC‑355/18 bis C‑357/18 und C‑479/18 , Rust‑Hackner, Rn 121, aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls zu prüfen und zu beantworten.

Es ist daher den Parteien Gelegenheit zu geben, Vorbringen zu erstatten und im Weiteren zu klären und festzustellen, ob der Vertrag im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses den Bedürfnissen des Versicherungsnehmers entsprach, und ob und inwiefern er durch die Verjährung binnen drei Jahren daran gehindert worden ist, sein Rücktrittsrecht geltend zu machen. Nur wenn der Vertrag im konkreten Einzelfall nicht den Bedürfnissen des Klägers entsprach und er durch die Verjährung am Rücktritt gehindert wurde, wird die dreijährige Verjährungsfrist nicht anzuwenden sein.

Die grundsätzlich anzuwendende dreijährige Verjährungsfrist von Vergütungszinsen beginnt im Zeitpunkt der objektiven Möglichkeit der Rechtsausübung, dh mit der Zahlung der Prämie. Mehr als drei Jahre rückständige Vergütungszinsen berechnet von dem Tag der Klagseinbringung sind daher verjährt. Die von der Lehre (vgl Pkt E.1.5.) vorgebrachten Argumente gegen die ständige Judikatur zu den Fragen der (pauschalierten) Vergütungszinsen und deren dreijähriger Verjährungsfrist enthalten keine neuen Aspekte, die den Obersten Gerichtshof veranlassen könnten, seine Rechtsprechung zu überdenken, sodass es bei den dargestellten Grundsätzen zu bleiben hat.

Werden fällige Zinsen eingeklagt, können mangels gesonderter Vereinbarung Zinseszinsen nicht vor dem Tage der Klagsbehändigung gefordert werden (§ 1000 Abs 2 ABGB; RS0083307).

Der Kläger wird sein Klagebegehren in diesem Sinne aufzuschlüsseln und klarzustellen haben, welche Beträge aus welchen Prämien(‑anteilen), welche aus Zinsen und aus welchen (nicht verjährten) Zinsen welche Zinseszinsen begehrt werden.

F. Zur Versicherungssteuer:

1. Das Berufungsgericht vertrat die Auffassung, dass mangels Leistungsbeziehung zwischen den Parteien die Versicherungssteuer nicht zurückzuerstatten ist, und wies das Klagebegehren insofern ab.

2. Da diese Abweisung durch den Kläger unangefochten blieb und somit nicht mehr Gegenstand des Verfahrens ist, muss auf das vom Senat zu 7 Ob 211/18g gestellte und noch nicht beantwortete Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH (C‑803/19 , WWK; vgl dazu Perner/Spitzer, Rücktritt von der Lebensversicherung [2020] 68 ff) nicht Bedacht genommen werden.

G. Ergebnis:

1. Ausgehend von der Beantwortung der Vorlagefrage 3 durch den EuGH C‑355/18 bis C‑357/18 und C‑479/18 , Rust‑Hackner, steht einem dem Kläger infolge fehlerhafter Informationen des Versicherers gegebenenfalls zustehenden unbefristeten Rücktrittsrecht der Umstand nicht entgegen, dass der Versicherungsvertrag Jahre zuvor gekündigt worden war und die Beklagte dem Kläger auch schon den Rückkaufswert ausbezahlt hatte.

2. Die dem Kläger von der Beklagten erteilte Belehrung über sein Rücktrittsrecht nach § 165a Abs 1 VersVG (idF BGBl I 1997/6) war inhaltlich unrichtig.

3. Daraus folgt, dass die Frist zur Ausübung des Rücktrittsrechts nicht zu laufen begonnen hat und der vom Kläger erklärte Rücktritt rechtzeitig war.

4. Da der Kläger rechtzeitig zurückgetreten ist, ist der Versicherungsvertrag ausgehend von der Beantwortung der Vorlagefrage 4 durch den EuGH C‑355/18 bis C‑357/18 und C‑479/18 , Rust‑Hackner, nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen rückabzuwickeln.

5. Zinsen für die zurückzuzahlenden Prämien verjähren nach innerstaatlichem Recht grundsätzlich nach drei Jahren ab dem Zeitpunkt der objektiven Möglichkeit der Rechtsausübung; mehr als drei Jahre vor der Klagseinbringung rückständige Vergütungszinsen sind verjährt.

6. Als Ausnahme ist zu prüfen, ob eine solche Verjährung mehr als drei Jahre fälliger Zinsen den Versicherungsnehmer daran hinderte, von einem Vertrag zurückzutreten, der im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht seinen Bedürfnissen entsprach.

7. Zinseszinsen in Höhe von 4 % gebühren mangels gesonderter Vereinbarung ab Klagsbehändigung.

8. Die Abweisung des Begehrens auf Rückzahlung der Versicherungssteuer ist nicht mehr Gegenstand des Verfahrens.

9. Insgesamt ist daher der Revision Folge zu geben und es sind die Entscheidungen der Vorinstanzen im noch nicht rechtskräftig erledigten Teil aufzuheben.

10. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

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