European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00066.19K.0424.000
Spruch:
Das Verfahren 7 Ob 66/19k wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018 des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien (GZ 13 C 738/17z‑12 [13 C 8/18y, 13 C 21/18k und 13 C 2/18s]), Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua, unterbrochen.
Nach Ergehen dieser Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.
Begründung:
Der Kläger unterfertigte am 10. Dezember 2002 bei der Beklagten einen Antrag auf Abschluss einer fondsgebundenen Lebensversicherung auf 35 Jahre ab 1. Februar 2003. Bei Antragstellung wurde der Kläger wie folgt über sein Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG belehrt:
„ 15. Rücktrittsrecht laut Konsumentenschutzgesetz bzw. Versicherungsvertragsgesetz
Wenn der Antrag durch unsere Anbahnung zustande kam bzw die Versicherungsbedingungen bei Antragstellung nicht ausgehändigt oder die Prämienhöhe im Antrag nicht angegeben wurde, kann der Versicherungsnehmer binnen zwei Wochen ab Zustellung der Polizze durch schriftliche Erklärung an den Versicherer vom Vertrag zurücktreten. Für die Haftung aus dem Sofortschutz ist eine anteilige Prämie zu entrichten. “
Der Kläger bezahlte insgesamt 9.520 EUR an Prämien. Mit Schreiben vom 21. Dezember 2009 kündigte er den Versicherungsvertrag und erhielt von der beklagten Partei einen Rückkaufswert von 5.000,33 EUR ausbezahlt. Im Rahmen des Versicherungsvertrags sind Risikokosten von 63,39 EUR angefallen. Die Beklagte hat im Namen des Klägers während der Vertragslaufzeit Versicherungssteuer von 366,16 EUR abgeführt.
Mit Schreiben vom 27. Dezember 2017 erklärte der Kläger den Rücktritt vom Vertrag.
Der Kläger begehrt die von ihm gezahlten Prämien abzüglich Risikokosten (Entgelt für den Risikoschutz) und Auszahlungsbetrag, zuzüglich (als Nebenforderung und hilfsweise auf Schadenersatz gestützt) kapitalisierte Zinsen. Ihm stehe zu, zeitlich unbefristet zurückzutreten, weil er nicht korrekt über das Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG belehrt worden sei.
Die Beklagte wandte ein, die Rücktrittsfrist des § 165a VersVG sei abgelaufen, das Rücktrittsrecht sei verjährt und werde rechtsmissbräuchlich geltend gemacht. Im Falle des Rücktritts stünde nur der Rückkaufswert nach § 176 VersVG zu. Das Klagebegehren sei unschlüssig. Keinesfalls stünden dem Kläger die Rückzahlung der Versicherungssteuer oder eine 4%ige Verzinsung der Prämie zu; mehr als drei Jahre rückwirkend wären Bereicherungszinsen zudem verjährt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von 4.090,12 EUR statt und bestätigte die Klagsabweisung von 1.915,68 EUR. Dem berechtigt zurückgetretenen Kläger stünden die Prämien abzüglich Versicherungssteuer, Risikokosten und erhaltener Auszahlung zu. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu den Fragen zu, ob von einem bereits beendeten Vertrag nach § 165a VersVG der Rücktritt erklärt werden könne, welche (bereicherungsrechtlichen) Rechtsfolgen ein solcher Rücktritt habe, und ob der Versicherer bei einer allfälligen bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung auch die Versicherungssteuer rückerstatten müsse.
Nur gegen den klagstattgebenden Teil dieses Urteils richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen.
Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Das Revisionsverfahren ist zu unterbrechen:
In seinem Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018, GZ 13 C 738/17z‑12, legte das Bezirksgericht für Handelssachen Wien zu mehreren zum Teil vergleichbaren Sachverhalten dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor (Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua):
„ 1. Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 185 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen einer fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss – die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts nicht zu laufen beginnt, wenn das Versicherungsunternehmen in der Belehrung angibt, dass die Ausübung des Rücktritts in schriftlicher Form zu erfolgen hat, obwohl der Rücktritt nach nationalem Recht formfrei möglich ist?
2. (für den Fall der Bejahung der ersten Frage):
Ist Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96/EWG dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach im Falle einer unterlassenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts zu jenem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem der Versicherungsnehmer – auf welchem Weg auch immer – von seinem Rücktrittsrecht Kenntnis erlangt hat?
3. Ist Art. 35 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen einer unterlassenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss – das Recht des Versicherungsnehmers auf Rücktritt vom Vertrag spätestens erlischt, nachdem ihm auf Grund seiner Kündigung des Vertrages der Rückkaufswert ausbezahlt wurde und damit die Vertragspartner die sich aus dem Vertrag ergebenden Pflichten vollständig erfüllt haben?
4. (für den Fall der Bejahung der ersten und/oder der Verneinung der dritten Frage):
Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach dem Versicherungsnehmer im Falle der Ausübung seines Rücktrittsrechts der Rückkaufswert (der nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik berechnete Zeitwert der Versicherung) zu erstatten ist?
5. (für den Fall, dass die vierte Frage zu behandeln war und bejaht wurde):
Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach im Falle der Ausübung des Rücktrittsrechts der Anspruch auf eine pauschale Verzinsung der rückerstatteten Prämien wegen Verjährung auf jenen Anteil beschränkt werden kann, der den Zeitraum der letzten drei Jahre vor Klagserhebung umfasst? “
Die Beantwortung dieser Fragen ist auch für das vorliegende Verfahren maßgeblich. Da der Oberste Gerichtshof auch in Rechtssachen, in denen er nicht unmittelbar Anlassfallgericht ist, von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszugehen und diese auch für andere als die unmittelbaren Anlassfälle anzuwenden hat, ist das vorliegende Verfahren aus prozessökonomischen Gründen zu unterbrechen (RIS‑Justiz RS0110583 mwN).
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