European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00042.22W.1201.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Die Klägerin und der Beklagte sind iranische Staatsangehörige. Sie wuchsen im Iran auf und führten dort vor über zehn Jahren rund einen Monat lang eine Beziehung. Im Jahr 2012 flüchtete der Beklagte nach Österreich. Noch vor seiner Flucht erteilte er seiner im Iran lebenden Mutter eine Generalvollmacht, damit diese in seinem Namen im Iran sämtliche Angelegenheiten durchführen kann.
[2] Nach seiner Flucht nach Österreich hatten die Parteien nur mehr sporadisch Kontakt über das Internet. Rund sechs Monate vor der späteren Eheschließung am 7. 9. 2018 hatten sie wieder mehr Kontakt. Die Klägerin teilte dem Beklagten mit, dass sie auch gerne nach Österreich kommen würde. Weil die Ausreise einer Frau im Iran nur dann zulässig ist, wenn ihr Vater oder Ehemann dem zustimmt, und der Vater der Klägerin von ihr verlangte, dass sie vorab den Beklagten ehelicht, teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass sie ihn heiraten müsse, damit sie zu ihm nach Österreich könne. Der Beklagte selbst wollte, dass die Klägerin zunächst für einige Zeit in Österreich bei ihm lebt und sie sodann in Österreich heiraten. Er erklärte aber auch, dass es ihm egal sei, wie die Klägerin ihre Ausreise organisiere. Daraufhin besprachen sich die Familie der Klägerin und die Eltern des Beklagten im Iran und beschlossen die Ehe der Parteien.
[3] Am 7. 9. 2018 begaben sich die Klägerin, deren Eltern und die Eltern des Beklagten zum Eheschließungsnotariat Nr 226 in Teheran. Die Mutter des Beklagten legte dem Notar die Geburtsurkunde und einen Lichtbildausweis des Beklagten vor, der damit die Identität des Beklagten prüfte. Zu diesem Zeitpunkt kontaktierte die Mutter des Beklagten diesen per Telefonanruf via WhatsApp. Sie teilte ihm mit, dass sie nunmehr in seinem Namen die Ehe mit der Klägerin abschließen werde. Der Beklagte befand sich gerade bei der Arbeit, sprach sich nicht gegen dieses Vorgehen aus und beendete nach wenigen Sekunden das Gespräch. Konkret wies der Beklagte – gefragt, ob er sicher sei, die Klägerin heiraten zu wollen – seine Mutter an, „zu machen, was sie möchte“. Die Mutter des Beklagten unterzeichnete sämtliche Heiratsdokumente in Vertretung für den Beklagten.
[4] Drei bis vier Monate nach dieser Eheschließung erhielt die Klägerin ein Visum und reiste zum Beklagten nach Österreich.
[5] Mit Klage vom 1. 3. 2021 begehrte die Klägerin, die von ihr und dem Beklagten geschlossene Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten gemäß § 49 EheG zu scheiden.
[6] Der Beklagte beantragte die Klageabweisung, in eventu den Ausspruch, dass die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden der Klägerin geschieden werde. Den Antrag auf Abweisung der Klage stützte er im laufenden Verfahren (wohl eventualiter) darauf, dass die Ehe nichtig sei.
[7] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
[8] Die Scheidung der Ehe setze den Bestand und die Anerkennung der Ehe voraus. Diese präjudizielle Frage nach dem Bestehen der Ehe sei zufolge der Ausnahme des Art 1 Abs 2 Rom III‑VO nach österreichischem Kollisionsrecht zu beurteilen. In welcher Form eine Ehe geschlossen werden müsse, um für den österreichischen Rechtsbereich Wirksamkeit zu entfalten, regle § 16 IPRG. Für eine Auslandstrauung sei die Form nach dem Personalstatut jedes der Verlobten zu beurteilen. Da beide Parteien iranische Staatsangehörige seien, sei die Gültigkeit der Eheschließung nach iranischem Recht zu beurteilen.
[9] Nach § 1062 des iranischen Zivilgesetzbuches (ZGB) komme der Eheschließungsvertrag als Folge eines Angebots und einer Annahme in Form von ausgesprochenen Erklärungen zustande, die eindeutig den Willen, eine Ehe einzugehen, erkennen ließen. Das damit normierte Schriftlichkeitsverbot bei der Eheschließung stehe der Möglichkeit, durch gewillkürte Stellvertretung eine Ehe einzugehen, zwar nicht entgegen. Der Beklagte habe seiner Mutter aber bereits mehr als zehn Jahre vor der Eheschließung eine Generalvollmacht erteilt. Zum Zeitpunkt dieser Vollmachtserteilung habe er von einer möglichen Eheschließung mit der Klägerin nichts gewusst. Es sei deshalb fraglich, ob eine Stellvertretung der Mutter des Beklagten zum Zeitpunkt der Eheschließung wirksam gewesen sei. Ein wenige Sekunden dauerndes Telefongespräch unmittelbar vor Abschluss der Ehe, sei nicht ausreichend, um eine gültige Bevollmächtigung der Mutter für die konkrete Eheschließung zu bewirken. Folglich sei die Eheschließung auch nach iranischem Recht nicht gültig.
[10] Sollte die Bevollmächtigung der Mutter des Beklagten nach iranischem Recht für die Eheschließung ausreichend gewesen sein, stelle sich die Frage nach der Anerkennung dieser Eheschließung in Österreich. Ausländische Entscheidungen bedürften einer Anerkennung, um auch auf dem Gebiet eines anderen Staates Rechtswirkung zu erlangen. Die Anerkennung ausländischer Entscheidungen über den Bestand einer Ehe (einschließlich positiver wie negativer Feststellungsentscheidungen) richte sich nach §§ 97 bis 99 AußStrG.
[11] Gemäß § 97 Abs 2 Z 1 AußStrG sei die Anerkennung zu versagen, wenn die Entscheidung den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung (ordre public) offensichtlich widerspreche. Ein solcher Verstoß liege vor, wenn durch das konkrete Ergebnis das inländische Rechtsempfinden in unerträglichem Ausmaß verletzt werde. Die unstrittig in Abwesenheit des Beklagten registrierte Eheschließung widerspreche als „Stellvertreterehe“ den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung. Zur Gewährleistung der gebotenen Eheschließungsfreiheit und der freien Zustimmung zur Eingehung einer Ehe sei die gleichzeitige Anwesenheit beider Parteien unabdingbar. Es liege daher auch ein Verweigerungsgrund nach § 97 AußStrG vor.
[12] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge.
[13] Die Eheschließung gehöre zu den höchstpersönlichen Rechten und sei daher einer Stellvertretung nicht zugänglich. Eine – gesetzliche oder gewillkürte – Stellvertretung sei bei derartigen Akten, die von der höchstpersönlichen Entscheidung der Parteien abhingen, dass es dem Gesetz unerträglich erschienen sei, einem fremden Willen verpflichtende Kraft zu verleihen, ausgeschlossen.
[14] Nach den Feststellungen habe die Mutter den Beklagten nicht nur bei Erklärung seines Ehewillens, sondern auch bei der Fassung des Ehewillens vertreten. Dies verstoße gegen den Grundwert der österreichischen Rechtsordnung, dass das Recht auf Eheschließung höchstpersönlich und damit vertretungsfeindlich sei. Damit sei keine Ehe zwischen den Streitteilen zustande gekommen, weil es an der notwendigen Willensübereinstimmung des Beklagten mit der Klägerin gefehlt habe.
[15] Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob die gewillkürte Stellvertretung bei der Eheschließung die Fassung des Ehewillens jedenfalls nicht umfassen dürfe.
[16] Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Klägerin. Sie macht unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt, das Urteil abzuändern und der Klage stattzugeben. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
[17] Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise dieser nicht Folge zu geben.
[18] Die Revision ist zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[19] 1. Die aufgrund des Auslandsbezugs – von Amts wegen (RIS‑Justiz RS0040189; RS0009230; RS0040031) – zu prüfende Frage des anzuwendenden Rechts haben die Vorinstanzen richtig gelöst.
[20] Nach Art 1 Abs 2 Rom III‑VO ist die Frage des Bestehens, der Gültigkeit oder der Anerkennung einer Ehe, auch dann von der Verordnung ausgenommen, wenn sie sich nur als Vorfrage der Scheidung stellt. Die Vorfrage nach dem Bestehen einer Ehe ist daher grundsätzlich nach österreichischem Kollisionsrecht, konkret nach den §§ 16, 17 IPRG zu bestimmen (7 Ob 92/13z).
[21] § 16 IPRG regelt, in welcher Form eine Ehe geschlossen werden muss, um für den österreichischen Rechtsbereich Wirksamkeit zu entfalten (Formstatut). Unter „Form“ ist die Art und Weise zu verstehen, in der der Ehekonsens zu erklären ist, also der äußere Ablauf des Eheschließungsakts. Dazu zählt insbesondere die Möglichkeit einer Ferntrauung. Die Form einer Eheschließung im Ausland ist nach dem Personalstatut jedes der Verlobten zu beurteilen; es genügt jedoch die Einhaltung der Formvorschrift des Ortes der Eheschließung (§ 16 Abs 2 IPRG; RS0127050).
[22] § 17 IPRG regelt die sachlichen Ehevoraussetzungen und die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser sachlichen Ehevoraussetzungen, und zwar alle Rechtsfolgen des maßgeblichen Rechts, die an die Missachtung sachlicher Voraussetzungen geknüpft sind (RS0077152). Diese sind für jeden der Verlobten nach seinem Personalstatut zu beurteilen (§ 17 IPRG). Zu diesen sachlichen Voraussetzungen zählen auch Konsenserfordernisse (RS0077152 [T2]).
[23] Beide Parteien sind iranische Staatsangehörige, die Eheschließung fand im Iran statt. Die Gültigkeit der Eheschließung ist daher nach iranischem Recht zu beurteilen. Die staatsvertragliche Kollisionsnorm des Art 10 Abs 3 und 4 Freundschafts- und Niederlassungsvertrag zwischen der Republik Österreich und dem Kaiserreich Iran, BGBl 1966/45 („Freundschafts- und Niederlassungsvertrag“) regelt nicht den Fall der Eheschließung der Angehörigen eines Staats in eben diesem Staat (vgl 6 Ob 69/11g).
[24] 2. Für den Bereich des Familienrechts bietet das iranische Recht kein einheitliches Rechtssystem an, sondern es verweist interpersonal auf begrenzt geltende Teilrechtsordnungen weiter (6 Ob 69/11g). Die Gültigkeit der Eheschließung zwischen den Streitteilen ist – im Verfahren unstrittig – nach den einschlägigen Bestimmungen des iranischen Zivilgesetzbuches (ZGB) zu beurteilen.
[25] Nach § 1062 iran ZGB kommt die Ehe als Folge eines Angebots und einer Annahme in Form von ausgesprochenen Erklärungen zustande, die den Willen, eine Ehe einzugehen, eindeutig erkennen lassen (Gesetzestext abgedruckt in Bergmann/Ferid/Heinrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderteil Iran, 122). Abgesehen von dem somit normierten Schriftlichkeitsverbot unterliegen die erforderlichen Erklärungen keinen besonderen Formerfordernissen (vgl Enayat in Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderteil Iran, 37).
[26] Nach § 1071 iran ZGB können sowohl der Mann als auch die Frau einem anderen Vertretungsmacht einräumen (Gesetzestext abgedruckt in Bergmann/Ferid/Heinrich aaO 123). Die Ehewilligen müssen ihre Willenserklärung also nicht unbedingt höchstpersönlich abgeben. Der Stellvertreter kann dabei aber auch die Braut oder den Bräutigam auswählen. Die Stellvertretung ist mangels spezieller Regelungen nach allgemeinem Stellvertretungsrecht formlos möglich (Rieck/Lettmaier, AuslFamR Iran Rn 6; vgl auch Enayat in Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderteil Iran, 37).
[27] Nach den Feststellungen des Erstgerichts hat der Beklagte seiner Mutter nicht nur eine Generalvollmacht erteilt, sondern diese unmittelbar vor der Eheschließung mündlich für die Abgabe der konkreten Ehekonsenserklärung bekräftigt. Die vom Berufungsgericht hervorgehobene Anweisung an seine Mutter, „zu machen, was sie möchte“, kann im Gesamtzusammenhang nur so verstanden werden, dass der Beklagte die Mutter zur Abgabe der Ehewillenserklärung im Außenverhältnis bevollmächtigte und im Innenverhältnis ermächtigte.
[28] Nach § 1073 iran ZGB hängt die Gültigkeit der Eheschließung (nur) dann von der Bestätigung des Vertretenen ab, wenn der Vertreter, von dem was der Vertretene (ua) hinsichtlich der Person bestimmt hat, abweicht. Hier hat aber die Ermächtigung der Mutter die Eheschließung mit der Klägerin umfasst. Mit der von ihr als seiner Stellvertreterin unstrittig auch mündlich ausgesprochenen Ehewillenserklärung iSd § 1062 iran ZGB kam damit der Eheschließungsvertrag zustande.
[29] Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass die im Iran durch Ferntrauung geschlossene Ehe der Streitteile nach dem anwendbaren iranischen Recht grundsätzlich wirksam ist.
[30] 3. Das nach dem Kollisionsrecht berufene fremde Recht wäre nicht anzuwenden, wenn die Anwendung zu einem Ergebnis führte, das mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist (§ 6 IPRG; „negativer ordre public“).
[31] Diese Prüfung der Vereinbarkeit mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung ist auch im Verfahren zur Anerkennung ausländischer Entscheidungen über den Bestand einer Ehe nach den §§ 97 bis 99 AußStrG geboten. Die auch ohne ein besonderes Verfahren als Vorfrage selbstständig zu beurteilende Anerkennung einer ausländischen Entscheidung (§ 97 Abs 1 letzter Satz AußStrG) ist zu verweigern, wenn sie den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung (ordre public) offensichtlich widerspricht (§ 97 Abs 2 Z 1 AußStrG). Daher wäre der ordre public auch dann, wenn die Beurkundung der Ehe der Streitteile im Eheschließungsnotariat in Teheran angesichts der weiten Auslegung des Begriffs der „Entscheidung“ als ausländische Feststellungsentscheidung über den Bestand einer Ehe iSd §§ 97 bis 99 AußStrG zu qualifizieren wäre, zu prüfen.
[32] Die Vorbehaltsklausel der Ordre-public-Widrigkeit ist als eine systemwidrige Ausnahme nur dann anzuwenden, wenn das inländische Rechtsempfinden in unerträglichem Maß verletzt wird, also Grundwertungen des österreichischen Rechts beeinträchtigt werden (RS0110743; RS0058323; RS0016665 [T5]). Der Inhalt der geschützten Grundwertungen des österreichischen Rechts lässt sich zwar im Einzelnen nicht definieren und ist auch zeitlichen Veränderungen unterworfen. Verfassungsgrundsätze spielen jedenfalls eine tragende Rolle: persönliche Freiheit, Gleichberechtigung, Verbot abstammungsmäßiger, rassischer und konfessioneller Diskriminierung gehören zum Schutzbereich des ordre public. Außerhalb der verfassungsrechtlich geschützten Grundwertungen zählen etwa die Einehe, das Verbot der Kinderehe und des Ehezwanges, der Schutz des Kindeswohls im Kindschaftsrecht oder das Verbot der Ausbeutung der wirtschaftlichen und sozial schwächeren Partei und Gleichbehandlung der Geschlechter dazu (RS0076998).
[33] Zweite wesentliche Voraussetzung für das Eingreifen der Vorbehaltsklausel des § 6 IPRG ist, dass das Ergebnis der Anwendung fremden Sachrechts (und nicht bloß dieses selbst) anstößig ist und überdies eine ausreichende Inlandsbeziehung besteht (RS0110743 [T3]).
[34] Zu prüfen ist daher einerseits das Verhältnis der (fiktiven) Anwendung des kollisionsrechtlich berufenen Rechts im konkreten Fall zu Grundwertungen des österreichischen Rechts, andererseits das Ausmaß der Inlandsbeziehung. Die beiden Elemente bilden ein bewegliches System: Je stärker der Inlandsbezug, umso geringere Abweichungen vom österreichischen Recht können einen Ordre-public-Verstoß begründen, und umgekehrt („Relativität des ordre public“; 2 Ob 170/18s mwN).
[35] Ein Ordre‑public‑Verstoß kann immer nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden (RS0054080 [T9]). Das gilt auch für die Beurteilung, ob eine durch einen Stellvertreter abgeschlossene Ehe dem ordre public widerspricht.
[36] Nach österreichischem Recht ist eine Stellvertretung bei der Abgabe der Konsenserklärung ausgeschlossen. Gemäß § 17 Abs 1 EheG müssen die Verlobten bei der Eheschließung gleichzeitig anwesend sein und ihren Ehewillen persönlich erklären. Ein Verstoß gegen den ordre public liegt aber nur bei einer Verletzung grundlegender Wertungen des österreichischen Rechts vor. Der bloße Widerspruch zu zwingenden österreichischen Vorschriften genügt nicht (8 Ob 7/22w mwN; RS0110743 [T3, T9]). Eine Eheschließung durch bevollmächtigte Vertreter ist auch im Bereich der Europäischen Union nicht generell unzulässig. Bis zum Jahre 1983 hat die Möglichkeit einer Ferntrauung noch dem österreichischen Rechtsbestand angehört. Sie wurde erst mit dem Personenstandsgesetz 1983 (BGBl 1983/60) beseitigt. Eine Ferntrauung, bei der die Mittelsperson den Ehewillen des Verlobten lediglich als Erklärungsbote überbringt, begegnet insofern keinen Bedenken. Allein darin liegt daher kein Verstoß gegen den materiellen ordre public (8 Ob 7/22w mwN; Nademleinsky, Glosse zu 8 Ob 7/22w, EF‑Z 2022/106).
[37] Auch das Berufungsgericht begründete seine Rechtsansicht, die hier zu beurteilende Eheschließung verletze Grundwerte der österreichischen Rechtsordnung, nicht (allein) damit, dass der Beklagte die Ehekonsenserklärung nicht persönlich und vor Ort abgab. Nicht hinzunehmen sei vielmehr, dass er sich auch „bei der Fassung des Ehewillens“ von seiner Mutter vertreten habe lassen. Dies verstoße gegen die Grundwertung des österreichischen Rechts, dass das Recht auf Eheschließung höchstpersönlich und insofern vertretungsfeindlich sei.
[38] Dem Berufungsgericht ist zunächst insoweit zuzustimmen, dass das festgestellte Fehlen eines Ehewillens oder auch nur die Beeinträchtigung der Eheschließungsfreiheit Bedenken gegen die Vereinbarkeit mit den österreichischen Grundwertungen rechtfertigen (vgl RS0114101).
[39] So lehrt etwa Verschraegen (in Rummel ABGB3 § 16 IPRG Rz 4), dass die Stellvertretung im Willen (mit Partnerauswahlbefugnis oder Entschließungsermessen des Vertreters) der Ordre-public-Prüfung nicht standhält. Nach Nademleinsky/Neumayr (Internationales Familienrecht³ 2.16) greift bei Regelungen, die eine echte Stellvertretung im Willen vorsehen, sodass der Vertreter die Auswahl des künftigen Ehepartners aus eigenem Ermessen treffen kann (echte „Handschuhehe“ bzw Zwangsehe), nicht erst der ordre public, sondern verhindert angesichts des Verstoßes gegen die Menschenwürde sowie die Grundrechte auf Eheschließungsfreiheit und auf persönliche Freiheit § 44 ABGB als positive Eingriffsnorm das wirksame Zustandekommen der Ehe.
[40] Auch nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ist bei der einzelfallbezogenen Beurteilung, ob eine „Stellvertreterehe“ gegen den ordre public“ verstößt, dem Umstand, ob bei einer Stellvertreterehe auch eine (oder keine) Vertretung im Willen vorlag, Bedeutung zuzumessen. Die Eheschließungsfreiheit bzw die freie Willensentscheidung zum Eingehen einer Ehe zähle zu den Grundwertungen des österreichischen Rechts und diesem Ziel werde innerstaatlich durch die Formvorschrift des § 17 EheG (persönliche und gleichzeitige Anwesenheit) Rechnung getragen. Liege eine Stellvertretung im Willen nach der ausgestellten Vollmacht nicht vor, sei es maßgeblich, ob Anhaltspunkte bestehen, die das Vorliegen einer freien Willensentscheidung in Zweifel ziehen (VwGH Ra 2019/22/0226 mwN).
[41] Eine Vertretung im Willen mit Partnerauswahlbefugnis oder Entschließungsermessen, sodass sie einer Zwangsehe nahe kommt, war im hier zu beurteilenden Fall nicht gegeben. Dem Beklagten wurde weder die Klägerin als Ehepartnerin noch die Eheschließung aufgezwungen.Der Beklagte kannte seine zukünftige Ehepartnerin und hat sie sich auch „ausgesucht“. Der Beklagte besprach mit der Klägerin ihre Ausreise nach Österreich und die Eheschließung. Er erklärte dabei zwar, erst in Österreich heiraten zu wollen. In Kenntnis dessen, dass die Klägerin die Eheschließung für die Ausreise benötigte, überließ er es letztlich aber ihr, diese Ausreise zu bewerkstelligen. Auch im Telefongespräch mit der Mutter kurz vor der Eheschließung sprach er sich nicht gegen die Eheschließung schon zu diesem Zeitpunkt aus, vielmehr ermächtigte er sie dazu. Auch wenn der Beklagte seiner Mutter dabei ausdrücklich einen Handlungsspielraum ließ, war die Ehewillenserklärung durch seine Stellvertreterin und die Eheschließung schon zu diesem Zeitpunkt (als eine der seiner Mutter freigestellten Handlungsalternativen) von seinem Willen getragen. Das zeigt im Übrigen ja auch das aktenkundige Verhalten nach der Eheschließung.
[42] Eine Ferntrauung, bei der – wie hier – aufgrund der konkreten Umstände das Vorliegen einer freien Willensentscheidung nicht in Zweifel zu ziehen ist, verstößt nicht gegen Grundwertungen des österreichischen Rechts. Mit seiner gegenteiligen Auffassung hat das Berufungsgericht den im Einzelfall einzuräumenden Beurteilungsspielraum überschritten. Das berufene fremde Recht ist anzuwenden und das Bestehen der Ehe zu bejahen.
[43] 4. Das Erstgericht hat – ausgehend von seiner vom erkennenden Senat nicht geteilten Rechtsansicht – das Beweisverfahren auf die Frage des Bestands der Ehe beschränkt und zu den für das Scheidungsbegehren und die Verschuldensteilung wesentlichen Fragen keine Feststellungen getroffen. Die Urteile der Vorinstanzen waren daher aufzuheben und die Rechtssache war zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
[44] Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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