OGH 7Ob19/22b

OGH7Ob19/22b28.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Hofrätin Dr. E. Solé als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H* S*, vertreten durch Jeannee Rechtsanwalt GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei S* GmbH, *, vertreten durch Singer & Kessler Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Aufhebung eines Vertrags (Streitwert: 541.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. November 2021, GZ 14 R 106/21t‑85, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00019.22B.0428.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO abgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger erteilte am 27. 9. 2018 – notariell beglaubigt – Z* J* (in Hinkunft: Vertreter) eine Generalvollmacht und eine Spezialvollmacht zum Verkauf der gegenständlichen Liegenschaften und Liegenschaftsanteile. Am 3. 10. 2018 schloss der Vertreter unter Verwendung der Vollmachten namens des Klägers mit der Beklagten über die Liegenschaften und Liegenschaftsanteile einen Kaufvertrag um den Kaufpreis von 550.000 EUR.

Rechtliche Beurteilung

[2] 1.1 Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hat, wer einen Vertrag wegen Geschäftsunfähigkeit eines der Vertragspartner anficht, dies zu beweisen (vgl RS0014620, RS0014645, 2 Ob 189/19m mwN).

[3] 1.2 Geschäftsunfähigkeit ist nicht nur bei völliger Unfähigkeit zur Willensbildung gegeben, es reicht vielmehr aus, wenn eine durch Geisteskrankheit oder Geistesschwäche behinderte Person zur Willensbildung unfähig ist oder die Tragweite des konkreten Geschäfts nicht richtig abschätzen kann (RS0014623 [T4]).

[4] 1.3 Die tatsächlichen Umstände und persönlichen Eigenschaften im Zeitpunkt der Abgabe einer Willenserklärung sind tatsächlicher Natur und irrevisibel. Die Schlussfolgerung, ob auf Grund dieser Umstände die Erklärungen des Revisionswerbers im vollen Gebrauch der Vernunft (§ 865 ABGB) abgegeben wurden, ist hingegen Rechtsfrage (RS0014641).

[5] 1.4 Im vorliegenden Fall konnte nicht festgestellt werden, ob dem Kläger bereits bei der Unterfertigung der Vollmachten die Fähigkeit fehlte, deren Tragweite zu erkennen und danach zu handeln.

[6] 1.5 Ausgehend von dieser den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellung konnte der Kläger keine Umstände beweisen, aus denen rechtlich seine Geschäftsunfähigkeit zum Zeitpunkt der Unterfertigung der Vollmachten abgeleitet werden könnte. Seine Argumente in der Revision zielen im Wesentlichen unzulässig beweiswürdigend darauf ab, doch noch solche Umstände darzulegen (vgl RS0043371).

[7] 2.1 Vom Grundsatz, wonach aus Gründen des Verkehrsschutzes die Gültigkeit des vom Vertreter mit einem Dritten abgeschlossenen Geschäfts grundsätzlich nicht berührt wird, wird dann eine Ausnahme gemacht, wenn der Dritte nicht schutzwürdig ist (RS0019576). Dies wird dann angenommen, wenn der Vertreter und der Dritte kollusiv, also absichtlich zusammengewirkt haben, um den Vertretenen zu schädigen; dem ist gleichzuhalten, dass der Vertreter mit Wissen des Dritten bewusst zum Nachteil des Vertretenen handelte oder sich der Missbrauch dem Dritten geradezu aufdrängen musste (RS0061587 [insb T1, T4]; 9 ObA 61/16k). Nur bei besonderen Umständen, die den Verdacht eines Missbrauchs der Vertretungsmacht nahelegen, besteht eine Erkundungspflicht des Dritten. Für die Unwirksamkeit des Geschäfts mit dem Dritten genügt demnach dessen grob fahrlässige Unkenntnis des Missbrauchs der Vertretungsmacht (RS0019576 [T9]). Derjenige, der sich im Prozess auf die Unwirksamkeit eines Geschäfts wegen kollusiven Verhaltens stützt, trägt diesbezüglich die Beweislast (RS0061579 [T5]).

[8] 2.2 Die Vorinstanzen verneinten im hier vorliegenden Fall die grob fahrlässige Unkenntnis eines allfälligen Vertretungsmissbrauchs der Beklagten. Im relevanten Zeitpunkt der Unterzeichnung des Kaufvertrags durch ihren Geschäftsführer am 8. 10. 2018 hätten keine besonderen Umstände vorgelegen, die einen konkreten Verdacht eines Vollmachtsmissbrauchs begründet hätten: Der Geschäftsführer sei mit dem Kläger oder dessen Vertreter nicht zusammen getroffen. Dem Rechtsvertreter der Beklagten, der ebenfalls keinen Kontaktzum Kläger gehabt habe, seien die General‑ und die Spezialvollmacht – mit im Rechtsverkehr bei Liegenschaftstransaktionen nicht unüblichen Inhalt – vorgelegen. Aufgrund der notariellen Beglaubigungen, insbesondere auch der den Verkauf der gegenständlichen Liegenschaften und Liegenschaftsanteile betreffenden Spezialvollmacht, habe der Rechtsvertreter, selbst vor dem Hintergrund des behauptetermaßen niedrigen Kaufpreises, nicht am entsprechenden Verkaufswillen des Klägers zweifeln und weitere Erkundigungen einholen müssen. Daran ändere sich durch die vom Kläger behaupteten zeitlich dem Vertragsabschluss nachfolgenden Ereignisse, aus denen sich der Wille der Beklagten am Festhalten des von ihr als wirksam beurteilten Kaufvertrags manifestiere, nichts.

[9] 2.3 Hier liegt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung vor.

[10] 3.1 Wucher iSd § 879 Abs 2 Z 4 ABGB ist gegeben, wenn 1. ein auffallendes Missverhältnis zwischen dem Wert der Leistung und der Gegenleistung besteht, 2. der durch das Geschäft Begünstigte dieses Missverhältnis kennt, und 3. bei dem durch das Geschäft Benachteiligten gewisse Verhältnisse und Eigenschaften vorhanden sind, die ihn hindern, sein Interesse gehörig zu wahren; fehlt nur eine dieser Voraussetzungen, unterliegt ein Geschäft nicht der Beurteilung als eines wucherischen (RS0016864). Die Rechtsfolgen der Unwirksamkeit eines Vertrags wegen Wuchers setzt daher neben dem auffallenden Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung die mangelnde Wahrungsmöglichkeit der Äquivalenz durch den Bewucherten wegen Leichtsinns, Zwangslage, Verstandesschwäche, Unerfahrenheit oder Gemütsaufregung sowie die Ausnützung der Lage des Bewucherten durch den Wucherer voraus (RS0016861). Wucher erfordert als objektives Merkmal eine grobe, leicht erkennbare Äquivalenzstörung, wobei die gesamten beiderseitigen Leistungen in ein Verhältnis zu setzen sind (RS0016947).

[11] 3.2 Die Beurteilung der Vorinstanzen, aus den, wenn auch weitreichenden, aber notariell beglaubigten Vollmachten, habe die Beklagte nicht auf eine beim Kläger bestehende Geistesschwäche schließen müssen, sodass das Tatbestandsmerkmal, die Lage des Klägers fahrlässig ausgenutzt zu haben, nicht gegeben sei, ist nicht zu beanstanden.

[12] 4.1 Soweit der Kläger argumentiert, die Vertragsbestimmung, in der auf den Einwand der laesio enormis verzichtet werde, sei gröblich benachteiligend nach § 879 Abs 3 ABGB und daher unwirksam, übergeht er, dass er noch nicht einmal behauptet, dass diese Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder einem Vertragsformblatt enthalten gewesen seien.

[13] 4.2.1 Zu Lasten eines Unternehmers kann die Anwendung des § 934 ABGB gemäß § 351 UGB vertraglich ausgeschlossen werden.

[14] 4.2.2 Als ein Unternehmer im Sinn des KSchG wird der Vermieter anzusehen sein, wenn die Beschäftigung von dritten Personen (zum Beispiel Hausbesorger), das Vorliegen einer Mehrzahl dauernder Vertragspartner (Mehrzahl von Mietverträgen, die eine nach kaufmännischen Grundsätzen geführte Buchhaltung erfordert) bestehen und sohin die Einschaltung von anderen Unternehmen oder Erfüllungsgehilfen erforderlich ist und auch längerfristige Vertragsbindungen bestehen (RS0065317). Als annähernde Richtzahl für die Mehrzahl von Vertragspartnern wurde angenommen, dass der private Hauseigentümer (noch) als Verbraucher anzusehen sei, wenn in seinem Haus nicht mehr als fünf Mietgegenstände in Bestand gegeben werden (RS0065317 [T1]). Allein deshalb, weil sich jemand keiner Hilfspersonen bzw Erfüllungsgehilfen bedient, ist er aber nicht zwingend als Verbraucher anzusehen (RS0065317 [T2]). Für den Unternehmerbegriff des KSchG ist auch kein bestimmtes Mindestmaß an geschäftlicher Tätigkeit erforderlich, sondern nur die Regelmäßigkeit und Methodik der ausgeübten Tätigkeit maßgeblich (RS0065380 [T12]). Es sind jeweils die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (RS0065317 [T3]).

[15] 4.2.3 Derjenige, der die Eigenschaft als Konsument für sich in Anspruch nehmen will, muss behaupten und nachweisen, dass die Voraussetzungen für diesen Schutz gegeben sind (vgl RS0065264). Die Beweislast dafür, dass die Bewirtschaftung einer Liegenschaft oder von Bestandobjekten keine dauernde Organisation erforderlich macht und sohin ein Privatgeschäft vorliegt, trifft den selbstverwaltenden Eigentümer bzw Verfügungsberechtigten (RS0065394).

[16] 4.2.4 Geschäfte die ein Unternehmer abschließt, gelten im Zweifel als zum Betrieb seines Unternehmens gehörig (RS0065326; § 344 UBG). Auch Abwicklungsgeschäfte – selbst die Veräußerung des ganzen Unternehmens – gehören grundsätzlich zum Betrieb des Unternehmens (vgl RS0065304, 4 Ob 78/10i; 6 Ob 126/18z je mwN).

[17] 4.2.5 Der Kläger hatte zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses insgesamt elf Bestandverträge abgeschlossen, davon betrafen acht (sieben Mietverträge über Wohnobjekte und ein Pachtvertrag) die verkauften Liegenschaften. Darüber hinaus bestanden ein Mietvertrag über ein Wohnobjekt in Ungarn und zwei Mietverträge über Wohnungen in Wien. Er verwaltete und betreute seine Mietobjekte und Verträge zwar großteils selbst, bediente sich aber etwa zur Betreuung eines der Häuser auch gelegentlich eines seiner Mieter.

[18] 4.3 Das Berufungsgericht vertrat, dass grundsätzlich davon auszugehen sei, dass die Verwaltung und Vermietung einer solchen Vielzahl von Liegenschaften eine dauernde Organisation, Regelmäßigkeit und Methodik erfordere. Aus einer Gesamtbetrachtung der hier vorliegenden Umstände folge jedenfalls eine auf Dauer angelegte Organisation selbständiger wirtschaftlicher Tätigkeit zur Vermietung und Verpachtung bestehender Mietobjekte, dies selbst vor dem Hintergrund der hier gegebenen überwiegenden Selbstverwaltung durch den Kläger. Diesem sei es daher nicht gelungen, seine Verbrauchereigenschaft darzutun. Diese Beurteilung hält sich im Rahmen der zitierten oberstgerichtlichen Rechtsprechung. Die darauf beruhende weitere Schlussfolgerung der Wirksamkeit des Verzichts auf die Einrede der laesio enormis erweist sich damit als nicht korrekturbedürftig.

[19] 4.4 Die Frage der Mangelhaftigkeit des Verfahrens wegen Unterbleibens der Einholung eines Sachverständigengutachtens zum behaupteten Missverhältnis zwischen Wert und Gegenleistung stellt sich nicht.

[20] 5. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

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