OGH 5Ob179/19p

OGH5Ob179/19p18.12.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*****, vertreten durch Dr. Klaus Plätzer, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Dr. B*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Lang, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 7.520 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 24. Juli 2019, GZ 2 R 107/19x‑31, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 30. April 2019, GZ 14 Cg 22/18z‑27, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0050OB00179.19P.1218.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 833,88 EUR (darin enthalten 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Klägerin ließ am 18. Mai 2017 von der beklagten Fachärztin eine Kryolipolysebehandlung „Coolsculpting“ an beiden Oberschenkelinnenseiten vornehmen. Dabei handelt es sich um eine kosmetische, nicht invasive Kälteanwendung mit einem Gerät eines US‑amerikanischen Herstellers, die Fettgewebe vermindern soll. Nach der Behandlung verblieben Konturdefekte („Dellen“) in den behandelten Bereichen, für deren Korrektur die Klägerin bislang 2.500 EUR aufwendete.

Sie begehrte diesen Betrag, Schmerzengeld und Unkosten sowie die Rückerstattung des von ihr gezahlten Honorars aus dem Titel des Schadenersatzes, weil – soweit im Revisionsverfahren noch relevant – sie nicht über die mit der Behandlung verbundenen Risken aufgeklärt worden sei. Bei entsprechender Aufklärung hätte sie die Behandlung nicht vornehmen lassen.

Das Berufungsgericht bestätigte das der Klage stattgebende Urteil des Erstgerichts, wobei es wie dieses von einer Aufklärungspflichtverletzung der Beklagten ausging. Die Revision erklärte es (zusammengefasst) zur Frage für zulässig, ob die Verletzung der Aufklärungspflicht den Behandlungsvertrag aufgrund der fehlerhaften Einwilligung eines Patienten hinfällig mache oder die Rückforderung des ganzen oder anteiligen ärztlichen Honorars die Anfechtung des Vertrags wegen Irrtums erfordere.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig. Das ist kurz zu begründen (§ 510 Abs 3 ZPO):

1.1 Mit der vom Berufungsgericht in der Begründung seines Zulässigkeitsausspruchs angesprochenen Fragestellung hat sich der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung zu 1 Ob 219/12f auseinandergesetzt und sich dabei auch auf die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung 6 Ob 558/91 bezogen. Zusammengefasst kam der erste Senat in dieser Entscheidung zum Ergebnis, dass auf schadenersatzrechtlichem Weg jener Zustand herzustellen sei, der ohne das schädigende Ereignis (hier: unzureichende Aufklärung und daraus resultierender Vertragsabschluss) vorliege, was durch Rückstellung des erhaltenen Honorars – allenfalls gegen Ausgleich eines beim Geschädigten verbliebenen Vorteils – zu erfolgen habe; unerheblich für die schadenersatzrechtliche Naturalrestitution sei hingegen die Frage, ob es zu einer nachträglichen Vertragsaufhebung komme (1 Ob 219/12f RdM 2013/147 [Leischner - Lenzhofer, Rechtsprechungsübersicht]).

1.2 Eine Entscheidung, die zwar bisher die einzige ist, zu der gegenteilige Entscheidungen aber nicht vorliegen und die auch im Schrifttum nicht auf Kritik stieß, reicht für das Vorliegen einer gesicherten Rechtsprechung aus (RIS‑Justiz RS0103384). Von den Grundsätzen der Entscheidung 1 Ob 219/12f abzugehen, bieten auch die Argumente in der Revision der Beklagten keinen Anlass. Dass diese Frage in den von ihr zitierten Entscheidungen (10 Ob 209/02m; 1 Ob 218/09d) ausdrücklich offengelassen worden ist, führt sie selbst ins Treffen. Inwieweit aus der Behandlung ein Vorteil bei der Klägerin verblieben sein soll, macht die insoweit behauptungs- und beweisbelastete Beklagte (RS0036710) nicht geltend.

2. Auch sonst spricht die Beklagte keine Rechtsfragen von der Bedeutung gemäß § 502 Abs 1 ZPO an:

2.1 Nach ständiger Rechtsprechung umfasst die Verpflichtung des Arztes aus dem Behandlungsvertrag auch die Pflicht, den Patienten über die Art und Schwere sowie die möglichen Gefahren und die schädlichen Folgen einer Behandlung zu unterrichten (RS0038176). Für die nachteiligen Folgen einer ohne ausreichende Aufklärung vorgenommenen Behandlung des Patienten haftet der Arzt selbst dann, wenn ihm bei der Behandlung – wie im vorliegenden Fall der Beklagten – kein Kunstfehler unterlaufen ist (RS0026783), es sei denn, er beweist, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte (RS0038485). Eine Einwilligung kann vom Patienten nur dann wirksam abgegeben werden, wenn er über die Bedeutung des vorgesehenen ärztlichen Eingriffs und seine möglichen Folgen hinreichend aufgeklärt wurde (RS0026499).

2.2 Grundsätzlich zutreffend macht die Beklagte geltend, dass der Arzt nicht auf alle nur denkbaren Folgen der Behandlung hinweisen muss. Eine Aufklärung über mögliche schädliche Folgen einer Behandlung ist etwa dann nicht erforderlich, wenn die Schäden nur in äußerst seltenen Fällen auftreten und anzunehmen ist, dass sie bei einem verständigen Patienten für seinen Entschluss, in die Behandlung einzuwilligen, nicht ernsthaft ins Gewicht fallen (RS0026529 [T14; T16]). In welchem Umfang ausgehend von diesen Grundsätzen aufgeklärt werden muss, kann nur anhand der zu den konkreten Umständen des Einzelfalls getroffenen Feststellungen beurteilt werden (RS0026763 [T2; T5]; RS0026529 [T18; T20; T21]).

2.3 Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass Hyperresponding, das ist die überdurchschnittliche Reaktion des Gewebes auf eine Kältebehandlung, zwar eine bekannte Komplikation bei Kryolipolysebehandlungen ist, jedoch bei dem von der Beklagten eingesetzten Coolsculpting aufgrund bestimmter Vorrichtungen des Geräts extrem selten vorkommt (unter 1 %). Daraus leitet die Revisionswerberin ab, dass ihr eine Aufklärungspflichtverletzung schon deshalb nicht angelastet werden könne, weil sie nur eine kosmetische Behandlung vorgenommen habe und in einem solchen Fall die Aufklärungspflichten eines Arztes „selbstverständlich nicht genau soweit“ gingen, wie bei einer „echten Operation“. Damit verkehrt sie die in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsätze geradezu ins Gegenteil und vermag damit auch nicht schlüssig darzulegen, warum es für das Vorliegen einer wirksamen Einwilligung der Klägerin zu dieser Behandlung keiner Aufklärung über das der Beklagten grundsätzlich bekannte Risiko bedurfte.

2.4 Nach gefestigter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs reicht die ärztliche Aufklärungspflicht nämlich umso weiter, je weniger der Eingriff aus der Sicht eines vernünftigen Patienten vordringlich oder gar geboten ist (RS0026313). Ist der Eingriff zwar medizinisch empfohlen, aber nicht eilig, so ist grundsätzlich eine umfassende Aufklärung notwendig (RS0026375 [T2]). Gerade bei nicht dringlichen Behandlungen, wie einem kosmetischen Eingriff ohne medizinische Indikation, zu dem keine unmittelbare Notwendigkeit zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit besteht und dessen Ziel allein die optische Verbesserung des Aussehens ist, gelten besonders strenge Anforderungen (vgl 1 Ob 218/09d mwN). Der Patient soll selbst die Abwägung vornehmen können, ob er trotz eines statistisch unwahrscheinlichen Risikos nachteiliger Folgen den Eingriff vornehmen lassen will oder nicht (RS0026313 [T10]). Dass das Risiko, das sich bei der Klägerin verwirklichte, grundsätzlich geeignet ist, die Entscheidung für eine solche Behandlung zu beeinflussen, stellt die Beklagte nicht in Frage.

2.5 Soweit sich die Beklagte gegen die Feststellungen zum Inhalt des von ihr mit der Klägerin geführten Aufklärungsgesprächs wendet und dazu auf von ihr angefertigte Patientenvermerke verweist, genügt es darauf hinzuweisen, dass der Oberste Gerichtshof ausschließlich als Rechtsinstanz zur Überprüfung von Rechtsfragen tätig wird und die Tatsachenfeststellungen nicht überprüfen kann (vgl RS0042179; RS0108449). Ihre Ansicht, die Beweislastumkehr sei eine Beweiserleichterung zugunsten von Patienten, die diesen nur dann gebühre, wenn der Arzt seinen Dokumentationspflichten nicht entsprochen habe, ist schon deshalb unzutreffend, weil schriftlichen Aufzeichnungen eines Arztes kein anderer Beweiswert zukommt als einer Privaturkunde: die materielle (innere) Beweiskraft unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung (vgl RS0040444; RS0040346).

2.6 Ein Feststellungsinteresse wäre lediglich zu verneinen, wenn zukünftig eintretende Schäden aus einem bestimmten Schadensereignis schlechthin und absolut auszuschließen sind (RS0038920 [T1]; RS0038971 [T5]; vgl auch RS0039018). Soweit die Beklagte ein Feststellungsinteresse der Klägerin in Abrede stellt, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt, weil danach der Erfolg des Korrektureingriffs an der Klägerin noch nicht endgültig beurteilt werden kann.

2.7 Nur eine schuldhafte Verletzung der Schadensminderungspflicht führt zur Kürzung der Ansprüche des Geschädigten (RS0027062). Die Beklagte empfahl der Klägerin, zur Linderung der Beschwerden als Folgen des Eingriffs eine lokale Kyrotherapie durchzuführen. Damit kann sie ihr aber keinesfalls anlasten, dass diese zur örtlichen Behandlung Coolbags verwendete. Welche Folgen daraus abzuleiten sind, dass die Klägerin ein anderes schmerzlinderndes Medikament zu sich nahm, als es ihrer Empfehlung entsprach, legt die Beklagte nicht näher dar.

3. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1 iVm 50 Abs 1 ZPO. Die Klägerin hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen (vgl RS0035979).

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