OGH 2Ob218/17y

OGH2Ob218/17y22.3.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Hon.‑Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende, die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solè sowie den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I***** Z*****, vertreten durch Mag. Stephan Zinterhof, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. W***** AG *****, und 2. S***** Z*****, beide vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen 161.130,33 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 7.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. September 2017, GZ 14 R 72/17m‑33, womit infolge der Berufungen sämtlicher Parteien das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 22. März 2017, GZ 6 Cg 13/16s‑26, teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0020OB00218.17Y.0322.000

 

Spruch:

 

Der außerordentlichen Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Teilurteil über das Leistungsbegehren wird dahin abgeändert, dass es unter Einschluss aller bisher in Rechtskraft erwachsenen Teile insgesamt zu lauten hat:

„Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei 46.130,33 EUR samt 4 % Zinsen seit 3. 12. 2015 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Das Mehrbegehren, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei weitere 115.000 EUR samt 4 % Zinsen aus 161.130,33 EUR vom 5. 2. 2013 bis 2. 12. 2015 und aus 115.000 EUR seit 3. 12. 2015 zu bezahlen, wird abgewiesen.“

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem Erstgericht vorbehalten.

 

Entscheidungsgründe:

Der damals 23-jährige Kläger wurde am 4. 2. 2013 als Fußgänger bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt. Das Alleinverschulden trifft den Lenker eines von der Zweitbeklagten gehaltenen und bei der erstbeklagten Partei haftpflichtversicherten Pkws.

Gegenstand des Rechtsstreits sind die Ansprüche des Klägers auf Schmerzengeld und Verunstaltungsentschädigung.

Der Kläger erlitt bei dem Unfall ein schweres Schädelhirntrauma; Abriss-Trümmerbrüche im Bereich der linken Gesichtshälfte mit der Zerstörung des linken Augapfels, dem Verlust des Geruchssinns und einer Beeinträchtigung des Geschmackssinns; Serienrippenbrüche beidseits; einen gedeckten Milzriss und einen Kreuzbandriss im linken Kniegelenk.

Als Folgen der schweren Gesichtsverletzungen verblieben ein geringgradiges organisches Psychosyndrom, der Verlust räumlichen Sehens, eine Sattelnase sowie viele kosmetisch störende Narben im Gesicht und am Hals.

Nach der Erstversorgung samt Implantation einer Hirndrucksonde und Durchführung eines Luftröhrenschnitts wurden die vielfachen Gesichtsschädelfrakturen kieferchirurgisch verplattet und der geplatzte Augapfel wurde entfernt. Nach Rekonstruktion der Augenhöhle wurde zunächst eine Augenprothese eingesetzt, die aber aufgrund einer Infektion wieder entfernt werden musste. Seit April 2015 trägt der Kläger ein Glasauge. Die Nasenmuschel wurde verkleinert. Eine Rekonstruktion der Nasenscheidewand und des Nasenrückens war wegen der großen Knochendefekte nicht möglich.

Beim Kläger besteht eine Erinnerungslücke von mehreren Wochen. Die Reaktionsgeschwindigkeit ist aufgrund einer depressiven Reaktion verlangsamt, die sensomotorische Umstellbarkeit ist mäßiggradig gestört. Die Konzentrationsleistung ist geringgradig reduziert, es besteht eine vorzeitig erhöhte cerebrale Ermüdbarkeit und eine erhöhte Reizbarkeit. Zudem besteht eine reaktive Depression mit deutlichen Schwierigkeiten in der Verarbeitung der veränderten Lebenssituation. Der Kläger ertrug es in der ersten Zeit nach dem Unfall nicht, ohne Begleitung auf die Straße zu gehen, „aus Angst vor Demütigung aufgrund seines Äußeren“. Aufgrund dieser (neurologisch psychiatrischen) Unfallfolgen verließ ihn seine Lebensgefährtin.

Der Kläger hatte als Folge des Unfalls insgesamt 29 Tage starke, 62 Tage mittelstarke und 180 Tage leichte Schmerzen zu erdulden.

Für Außenstehende erkennbar sind die deutlich sichtbaren Narben im gesamten Stirn- und Mittelgesichtsbereich, die Asymmetrie des Gesichtsschädels, die Eindrückung der Augenhöhle und das Tragen eines Glasauges.

Der Kläger hat seine Ersatzansprüche mit Schreiben vom 2. 12. 2015 erstmals geltend gemacht.

Der Kläger begehrte zuletzt Zahlung von 161.130,33 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien – jene der erstbeklagten Partei beschränkt mit der Höhe der Haftpflichtversicherungssumme – für alle künftigen Schäden aus dem Unfall vom 4. 2. 2013. Er bezifferte das Schmerzengeld mit 200.000 EUR, das er in zwei Teilbeträge aufschlüsselte: 60.000 EUR „aufgrund der Dauer und Intensität der Schmerzen“ sowie 140.000 EUR „für alle körperlichen Nachteile“. Nach Abzug zweier Teilzahlungen in Höhe von insgesamt 81.240 EUR hafte noch ein Schmerzengeld von 118.760 EUR unberichtigt aus. Dazu komme eine Verunstaltungsentschädigung von 40.000 EUR sowie der Anspruch auf Ersatz diverser Heilungskosten in Höhe von 2.370,33 EUR.

Die beklagten Parteien bestritten die restlichen Ansprüche als überhöht bzw (hinsichtlich der Heilungskosten) als nicht nachvollziehbar. Aus den vorprozessualen Gutachten diverser medizinischer Sachverständiger errechne sich ein Schmerzengeld von 31.240 EUR, welches die erstbeklagte Partei bezahlt habe. Zur Abgeltung der Dauerfolgen und der psychischen Alterationen hätten die beklagten Parteien „ausdrücklich“ einen Gesamtbetrag von 50.000 EUR anerkannt, von dem sie vor Einbringung der Klage 13.760 EUR und danach 36.240 EUR geleistet hätten. Ihre Haftung sei im Übrigen auf die Haftungshöchstbeträge nach § 15 EKHG beschränkt, weil ein Fall der „ermöglichten Schwarzfahrt“ iSd § 6 EKHG vorliege.

Das Erstgericht gab dem Leistungsbegehren mit 14.370,33 EUR sA und dem Feststellungsbegehren zur Gänze statt. Das auf 146.760 EUR sA lautende Leistungsmehrbegehren wies es ab.

Es traf über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus noch Feststellungen zum erlernten Beruf des Klägers (Kellner und Koch) und dessen Absicht, diesen in Österreich auch auszuüben, nicht aber zum Einwand der „Schwarzfahrt“.

Rechtlich vertrat es die Ansicht, die physischen und psychischen Unfallfolgen rechtfertigten ein global zu bemessendes Schmerzengeld von 56.000 EUR. Die beklagten Parteien hätten aber ohnehin bereits auf Schmerzengeld gewidmete Teilzahlungen von insgesamt 81.240 EUR geleistet, sodass ein weiterer Zuspruch aus diesem Titel nicht erfolgen könne. Hingegen gebühre dem Kläger eine Verunstaltungsentschädigung von 12.000 EUR sowie der Ersatz der geltend gemachten Heilungskosten von 2.370,33 EUR.

Gegen dieses Urteil, soweit damit ein Teilbegehren von 119.770 EUR abgewiesen wurde – die Abweisung weiterer 26.990 EUR erwuchs in Rechtskraft –, erhob der Kläger Berufung. Sein Berufungsinteresse schlüsselte er dahin auf, dass die Gutachten zur „Schmerzperiodik“ einen Betrag von 43.010 EUR ergeben hätten, sodass aufgrund des Anerkenntnisses eines Betrags von 50.000 EUR für die Dauerfolgen und psychischen Alterationen bereits 93.010 EUR zustünden. Da die erstbeklagte Partei bisher nur 81.240 EUR gezahlt habe, schulde sie allein deshalb noch ein Schmerzengeld von 11.770 EUR. Wegen der schwerwiegenden Dauerfolgen stehe dem Kläger allerdings noch ein weiterer Betrag von 80.000 EUR zu. Dazu kämen weitere 28.000 EUR an Verunstaltungsentschädigung.

Die beklagten Parteien bekämpften mit ihrer Berufung den stattgebenden Teil des erstinstanzlichen Urteils.

Das Berufungsgericht bestätigte mit Teilurteil die erstinstanzlichen Aussprüche über das Leistungsbegehren, hob jedoch die Entscheidung über das Feststellungsbegehren – wegen fehlenden Feststellungen zur „Schwarzfahrt“ – zur Verfahrensergänzung auf. Zum Teilurteil sprach es aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Das Berufungsgericht führte zur – in dritter Instanz allein noch relevanten – Berufung des Klägers aus, das Schmerzengeld sei global zu bemessen und nicht in getrennte Einzelaspekte für „physische/psychische Schmerzen“ und für „Dauerfolgen“ aufspaltbar. Dies vernachlässige der Kläger, sofern er über 56.000 EUR hinausgehend zusätzlich 11.770 EUR begehre. Soweit er weiteres Schmerzengeld von 80.000 EUR geltend mache, sei die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt. Die Berufung lege nicht dar, „warum sich, von den getroffenen Feststellungen ausgehend, die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts nicht innerhalb der existierenden Rechtsprechung zur Bemessung des Schmerzengelds in vergleichbaren Fällen bewegen sollte.“ Die aufzählend angeführten Aspekte der Unfallfolgen habe das Erstgericht ohnedies berücksichtigt.

Die Bemessung der Verunstaltungsentschädigung mit 12.000 EUR halte sich im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung zu vergleichbaren Fällen (dazu zitierte das Berufungsgericht einige bei Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek, ABGB4 VI § 1326 Rz 27 angeführte Entscheidungen).

Gegen das Teilurteil des Berufungsgerichts, soweit es die Abweisung von 119.770 EUR sA bestätigte, richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Teilurteil im Sinne der Stattgebung auch dieses Teilbegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Eine Revisionsbeantwortung, die der Oberste Gerichtshof den beklagten Parteien freigestellt hat, wurde nicht eingebracht.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Verunstaltungsentschädigung mit einer unvertretbaren Begründung deutlich zu gering bemessen hat und das ebenfalls zu gering bemessene Schmerzengeld zu Unrecht unüberprüft ließ. Das Rechtsmittel ist auch teilweise berechtigt.

Der Kläger macht geltend, die vom Berufungsgericht angeführten Entscheidungen zur Verunstaltungsentschädigung seien rund 30 Jahre alt, sodass die dort genannten Beträge im Hinblick auf die Geldentwertung in etwa zu verdoppeln wären. Auch das Schmerzengeld sei zu gering bemessen. Der Grundsatz der Globalbemessung des Schmerzengeldes hindere nicht ein Vorbringen des Geschädigten zur konkreten Höhe der in der Globalbemessung zusammenzufassenden Teilbeträge. Es treffe auch nicht zu, dass die Rechtsrüge zur Höhe des Begehrens nicht gesetzmäßig ausgeführt worden sei. Zwar sei eine Reihe von Entscheidungen mit vergleichbaren Schmerzengeldbeträgen veröffentlicht, diesen lägen jedoch gänzlich andere Verletzungen und Verletzungsfolgen zugrunde.

Hiezu wurde erwogen:

I. Zum Schmerzengeld:

1. Beim Schmerzengeld handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung um eine Globalentschädigung. Bei der Ausmessung kann das Begehren nicht in einzelne, bestimmten Verletzungen bzw Folgeerscheinungen zuzuordnende Teilbeträge zerlegt werden (RIS‑Justiz RS0031191). Eine ziffernmäßig getrennte Bemessung kommt auch bei seelischen und körperlichen Schmerzen nicht in Betracht (2 Ob 186/03x). Auch die (für sich genommen nicht krankheitswertigen) Sorgen des Verletzten um spätere Komplikationen, das Bewusstsein eines Dauerschadens und die damit verbundene seelische Belastung, mögliche Beziehungsprobleme sowie entgangene und künftig entgehende Lebensfreude sind im Rahmen der Globalbemessung des Schmerzengeldes zu berücksichtigen (vgl 2 Ob 261/04b; 2 Ob 101/05z; 2 Ob 166/07m; ausführlich Danzl in Danzl/Gutiérrez Lobos/Müller, Schmerzengeld10 154 ff).

2. Andererseits können die Parteien einvernehmlich, etwa durch Vergleich, auch nur über einen Teil des Schmerzengeldes disponieren. Entscheidend für den Gegenstand der Streitbereinigung ist dabei der übereinstimmend erklärte Parteiwille (RIS‑Justiz RS0017954). Es kommt darauf an, was von der Bereinigungswirkung des Vergleichs erfasst sein soll. Soll mit einer Teilabfindung etwa nur ein bestimmter Zeitraum abgedeckt werden, so steht dem Geschädigten bei später auftretenden Schmerzen eine Nachforderung zu (vgl 2 Ob 70/11z ZVR 2013/9 [Huber]; RIS‑Justiz RS0031035; Danzl, Schmerzengeld10 161).

In dem zu 2 Ob 150/06g ZVR 2007/238 (Huber) entschiedenen Fall hatten die Vergleichsparteien beim Vergleichsabschluss auf ein bestimmtes Sachverständigengutachten abgestellt, das sich – bei dem im Untersuchungszeitpunkt erst zwei Jahre alten Geschädigten – in seinen Aussagen auf die bereits erlittenen „rein körperlichen Schmerzen und Unlustgefühle“ beschränkt hatte. Daraus folgerte der Senat, dass der Vergleich einer Nachforderung nicht entgegensteht, wenn diese von der Bereinigungswirkung des Vergleichs ausgenommene unfallbedingte (physische und/oder psychische) Schmerzen bzw (auch ohne Berufung auf ergänzende Schmerzperioden) das Gesamtbild der Verletzungsfolgen nach deren Art und Schwere prägende Beeinträchtigungen betrifft.

3. Demnach wäre es aber auch zulässig und mit dem Grundsatz der Globalentschädigung vereinbar, dass die Parteien zunächst nur einen Teilaspekt des grundsätzlich globalen Schmerzengeldes einer Streitbereinigung unterziehen. Liegen etwa die Gutachten eines Neurologen und eines Unfallchirurgen vor, so haben die Parteien die Möglichkeit, nur eines der Gutachten für eine einvernehmliche Teilabfindung heranzuziehen, wenn sie sich über die (nur) daraus ableitbare Teilentschädigung einig sind und diese der Streitbereinigung durch Abschluss eines Vergleichs unterwerfen wollen.

Nichts anderes kann dann gelten, wenn der Schädiger nur einen Teilaspekt des Schmerzengeldes, wie er hier durch die Aufgliederung des Klägers vorgegeben wurde, mit einem bestimmten Betrag abgelten will und der Geschädigte dies akzeptiert. Dabei ist nicht entscheidend, ob man die „ausdrückliche“ Anerkennung, wie sie hier die beklagten Parteien in ihrer Klagebeantwortung hinsichtlich eines Betrags von 50.000 EUR zur Abgeltung der Dauerfolgen und der psychischen Alterationen äußerten, als konstitutives Anerkenntnis wertet (auf ein solches hat sich der Kläger nicht berufen) oder als deklaratives Anerkenntnis samt entsprechend gewidmeter teilweiser Zahlung auf die Schuldpost „Schmerzengeld“ (§ 1415 ABGB), die der Kläger als solche auch angenommen hat.

4. Auf die in der Revision zumindest inhaltlich aufgeworfene Frage, ob sich nach einem derartigen Anerkenntnis samt angenommener Teilzahlung bei der abschließenden (gerichtlichen) Globalbemessung ein höheres Schmerzengeld für den Geschädigten ergeben könnte, als dies ohne ein solches Anerkenntnis der Fall wäre, kommt es allerdings hier nicht entscheidend an. Denn dem Kläger gebührt, wie noch zu zeigen ist, aufgrund der Schwere seiner Verletzungen im Sinne eines Gesamtbildes der körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen ein global bemessenes Schmerzengeld, das die von ihm errechnete Summe aus „Schmerzperiodik“ und anerkanntem Teilbegehren für „Dauerfolgen und psychische Alterationen“ (93.010 EUR) ohnedies übersteigt.

5. Nicht zuzustimmen ist in diesem Zusammenhang der Beurteilung des Berufungsgerichts, die Rechtsrüge des Klägers sei nicht gesetzmäßig ausgeführt. Denn der Kläger brachte in seiner Berufung hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass das Erstgericht die Schwere seiner Verletzungen bei der Bemessung des Schmerzengeldes nicht ausreichend berücksichtigt hat. Zwar hat sich der Oberste Gerichtshof gelegentlich dahin geäußert, dass der einen höheren oder geringeren Zuspruch fordernde Revisionswerber „keine einzige Vergleichsentscheidung“ zu nennen vermochte (vgl 2 Ob 94/09a; 2 Ob 63/11w; 2 Ob 113/11y), womit aber bloß die Richtigkeit oder Vertretbarkeit des Zuspruchs der Vorinstanzen unterstrichen werden sollte. Dass deshalb die Rechtsrüge als nicht gesetzmäßig beanstandet wurde, lässt sich diesen Entscheidungen nicht entnehmen.

6. Ausgehend von seiner unrichtigen Auslegung des Rechtsmittelvorbringens des Klägers ließ das Berufungsgericht die Höhe des Schmerzengeldes ungeprüft. Entscheidungen mit ähnlichen Verletzungsbildern gibt es durchaus, wenngleich sie hauptsächlich von zweitinstanzlichen Gerichten stammen. Die Durchsicht der bei Danzl (Schmerzengeld-Entscheidungen [CD‑ROM Ausgabe 1/2017]) veröffentlichten Judikate ergibt naturgemäß ein breites Bild.

Hervorzuheben sind folgende Entscheidungen, wobei die jeweiligen Zusprüche bereits in Euro umgerechnet und auf Jänner 2017 (Schluss der Verhandlung) aufgewertet angegeben sind (Nummerierung laut CD-Rom):

6.1 In 2 Ob 59/84 wurden einer Siebzehnjährigen, die ein schweres Schädelhirntrauma erlitten hatte, fast vollständig erblindete und den Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns hinnehmen musste, bei höheren Schmerzperioden (10/30/90/200) ein Schmerzengeld von ca 114.000 EUR zuerkannt.

6.2 Das Oberlandesgericht Linz sprach im Juli 1998 einer Pensionistin, die eine ausgedehnte Trümmerfraktur des Gesichtsschädels, eine Gehirnquetschung sowie ein hochgradiges posttraumatisches hirnorganisches Psychosyndrom erlitten hatte, rechts weitgehend erblindete und zu einem Pflegefall wurde, ca 102.000 EUR zu (Nr 332).

6.3 Das Oberlandesgericht Wien hielt in einer Entscheidung vom Dezember 2011 einen Betrag von ca 92.000 EUR für einen Arbeiter für angemessen, der einen ausgedehnten Berstungsbruch des Gehirnschädels inkl des Augenhöhlenbodens und des Oberkiefers rechts, eine spastische Halbseitenlähmung mit zentraler Gesichtslähmung links, eine Einschränkung des Geruchs- und Geschmackssinns sowie ein schweres organisches Psychosyndrom erlitten hatte und bei dem sich ausgedehnte und zT entstellende Narben am Kopf, im Gesicht und am Hals sowie eine Veränderung der Physiognomie ergeben hatten (Schmerzperioden 49/41/280; Nr 802).

6.4 Einen Betrag von ca 82.800 EUR sprach das Oberlandesgericht Wien im Februar 2001 einem verletzten 23-jährigen Kraftfahrer zu, der ein schweres Schädelhirntrauma mit zentrolateraler Mittelgesichtsfraktur, Schädigung des Geruchssinns und einer Verlagerung des Augapfels nach rückwärts erlitten hatte (Schmerzperioden: 15/35/113/301; Nr 769).

6.5 Das Oberlandesgericht Graz erachtete mit einer Entscheidung vom August 2008 im Fall eines 44‑jährigen Verletzten, der ein Schädelhirntrauma, zahlreiche Gesichtsschädelbrüche, einen Schädelbasisbruch und weitere Frakturen samt Gesichtsfeldausfall des rechten Auges und den Verlust des Geruchs- und Geschmacksempfindens erlitten hatte (Schmerzperioden: 2/22/30/245), einen Zuspruch von ca 66.500 EUR für angemessen (Nr 513).

6.6 Das Oberlandesgericht Linz erkannte im Februar 2002 einer 25‑jährigen Verletzten, die einen Bruch beider Stirnwände, der Stirnhöhlen, der Siebbeinzellen, einen Trümmerbruch des Nasenbeins und der Nasenscheidewand mit verbliebener Sattel- und Schiefnase samt geringer Veränderung der Gesichtsform, verbunden mit schweren psychischen Belastungen und Störungen des Geruchssinns erlitten hatte (Schmerzperioden: 28/84/225), einen Betrag von ca 71.000 EUR zu (Nr 306).

7. Im Lichte dieser Rechtsprechung hält der Senat im Hinblick auf die Schwere der Verletzungen, das noch geringe Alter des Klägers, den Verlust eines Auges und des Geruchssinns, die Beeinträchtigung des Geschmackssinns, das Bewusstsein um die für jedermann sichtbare Verunstaltung seines Gesichts und den damit verbundenen Entzug wesentlicher Daseinsfreuden sowie die Tendenz, den Schmerzengeldanspruch bei gravierenden Dauerfolgen deutlich höher festzusetzen als in früheren Jahren (so bereits 2 Ob 105/09v ZVR 2011/67 [Kathrein]), ein ungekürztes Schmerzengeld von 100.000 EUR für angemessen, um all die Schmerzen und das schwere seelische Leid, das der Kläger zu erdulden hatte und in Hinkunft voraussichtlich noch zu erdulden haben wird, abzugelten. Unter Berücksichtigung der bereits geleisteten Teilzahlungen gebührt dem Kläger daher ein weiteres Schmerzengeld von 18.760 EUR.

II. Zur Verunstaltungsentschädigung:

1. Entscheidend für den Zuspruch einer Verunstaltungsentschädigung ist, dass das durch die Verunstaltung hervorgerufene äußere Erscheinungsbild das bessere Fortkommen beeinträchtigen kann (2 Ob 290/05v ZVR 2007/148 [Huber]; 2 Ob 105/09v ZVR 2011/67 [Kathrein]; RIS‑Justiz RS0031344 [T7]). Erfasst davon sind Aufstiegsmöglichkeiten im Erwerbsleben und verminderte Heiratsaussichten sowie ganz allgemein, „dass eine sonst mögliche Verbesserung der Lebenslage infolge der nachteiligen Veränderung der äußeren Erscheinung entfallen könnte“ (1 Ob 161/00h mwN; RIS‑Justiz RS0031203, RS0031223; dazu Huber in ZVR 2007, 263 f). Von alledem ist hier auszugehen. Dem Grunde nach ist dieser Anspruch ohnedies nicht strittig (AS 25).

2. Als maßgebend für die Höhe des Anspruchs nach § 1326 ABGB wird in der Rechtsprechung das Ausmaß der Entstellung, also der Grad der Verunstaltung und die Wahrscheinlichkeit der Verhinderung des besseren Fortkommens angesehen (7 Ob 29/05y; RIS‑Justiz RS0031311). Wie das Schmerzengeld soll auch die Verunstaltungsentschädigung tendenziell nicht zu knapp bemessen werden (2 Ob 105/09v; für „schrittweise“ Fortentwicklung Kathrein in ZVR 2011, 136).

3. Der höchste Zuspruch an Verunstaltungsentschädigung durch den Obersten Gerichtshof lag – ohne Berücksichtigung der seither eingetretenen Geldwertverdünnung – bisher bei 30.000 EUR:

3.1 In der Entscheidung 7 Ob 36/03z wurde dieser Betrag einem bei einem Unfall im Oktober 1998 verletzten achtjährigen Mädchen zugesprochen, das die traumatische Amputation beider Arme erlitt. Aufgewertet nach dem VPI 2000 auf Jänner 2017 (Schluss der Verhandlung) entspricht dies allerdings einem Betrag von 39.510 EUR(zur Berechnung vgl 3 Ob 128/11m ZVR 2012/129 [Huber]).

3.2 In 2 Ob 104/06t wurde ein Zuspruch in Höhe von 30.000 EUR bei einem Schwerstbehinderten im Rahmen eines Zurückweisungsbeschlusses gebilligt.

3.3 In der Entscheidung 2 Ob 57/91, wurden einem zum Zeitpunkt des Unfalls im Juli 1982 neunzehnjährigen Mädchen 350.000 ATS (umgerechnet rund 25.400 EUR) zugesprochen, was aufgewertet nach dem VPI 1986 einem Betrag von rund 44.700 EUR entspricht. Die Geschädigte erfuhr durch den Unfall eine Persönlichkeitsänderung und war in ihrem äußeren Erscheinungsbild durch eine leichte rechtsseitige Facialisschwäche, eine Schwäche im Bereich der oberen und unteren Extremitäten und insbesondere durch ataktische Bewegungsstörungen erheblich beeinträchtigt. Sie konnte ihre Bewegungen nicht kontrollieren und Gegenstände nicht exakt angreifen, eine Kontaktaufnahme mit ihr wurde durch eine dysarthritische Sprachstörung erschwert (vgl auch RIS‑Justiz RS0031154).

4. Aus der jüngeren Vergangenheit verdient vor allem die bereits erwähnte Entscheidung 2 Ob 105/09v Beachtung, in welcher der Oberste Gerichtshof einem beim Unfall im September 2004 vierzehnjährigen Buben, dem ein Bein amputiert werden musste, eine Entschädigung von 20.000 EUR zuerkannte. Aufgewertet nach dem VPI 2005 entspricht dies einem Betrag von rund 23.000 EUR.

5. Zu Fällen schwerster Gesichtsverletzungen besteht keine aktuelle veröffentlichte Judikatur des Obersten Gerichtshofs. In 8 Ob 75/80 ZVR 1981/40 wurden dem im Unfallszeitpunkt 19‑jährigen Kläger, bei dem nach schweren Gesichtsverletzungen eine Veränderung des Gesichtsausdrucks und der Gesichtssymmetrie infolge einer Verformung der Nase und dem Ausladen der rechten Wange bis zum Kieferast verblieben war, die geforderte Entschädigung von 30.000 ATS (umgerechnet 2.180 EUR) zuerkannt (in 8 Ob 15/78 ZVR 1978/291 ebenso viel wegen der verbleibenden Schielstellung eines Auges).

Weitere Zusprüche im Bereich zwischen 10.000 EUR und 15.000 EUR erfolgten bei verbliebenen schweren Sehbehinderungen bis hin zur Erblindung (vgl 3 Ob 128/11m ZVR 2012/129 [Huber]: 15.000 EUR; 2 Ob 55/12w: 10.000 EUR [in dritter Instanz nicht mehr strittig]).

6. Die vom Berufungsgericht herangezogenen Vergleichsentscheidungen betrafen keine Verunstaltungen im Gesicht, sondern durchwegs (Querschnitt- und Halbseiten-)Lähmungen mit diversen Begleitschäden. Vor allem aber stammen sie aus den frühen 1980er Jahren (1 Ob 607/82; 2 Ob 23/84; 8 Ob 35/84 ZVR 1986/77). Diesen Umstand ließ das Berufungsgericht unberücksichtigt, indem es die bei Harrer/Wagner umgerechnet wiedergegebenen Zusprüche (11.628 EUR bzw 14.535 EUR) ohne Aufwertung übernahm. Die Vergleichsentscheidungen erweisen sich daher für die Rechtfertigung des erstinstanzlichen Zuspruchs von 12.000 EUR allesamt als ungeeignet, was der Kläger in der Revision zutreffend rügt.

7. Das äußere Erscheinungsbild des Klägers ist durch die Asymmetrie seines Gesichts, das Glasauge und die Sattelnase sowie die verbliebenen Narben deutlich und – wie auch die aktenkundigen Lichtbilder belegen – für jedermann sichtbar beeinträchtigt. Unter weiterer Berücksichtigung des Unfalldatums, des Alters des Klägers und der Tendenz, „schrittweise“ höhere Entschädigungsbeträge zuzusprechen, hält der Senat eine Entschädigung von 25.000 EUR für angemessen. Die Höhe dieses Zuspruchs ist auch von der Wertung getragen, dass bei lebensnaher Betrachtung ein junges Unfallopfer, dessen Gesicht für sein restliches Leben deutlich verunstaltet ist, in seinem Fortkommen kaum weniger benachteiligt sein wird als ein Unfallopfer, das in jugendlichen Jahren zwar ein Bein verliert (2 Ob 105/09v [Zuspruch aufgewertet 23.000 EUR]), dessen Mobilität aber, wenn auch eingeschränkt, doch im Wesentlichen erhalten bleibt. Dem Kläger sind daher weitere 13.000 EUR an Verunstaltungsentschädigung zuzusprechen.

III. Ergebnis:

Aus den vorstehenden Gründen ist das angefochtene Teilurteil in teilweiser Stattgebung der Revision wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern. Der stattgebende Teil umfasst neben dem bereits rechtskräftigen Zuspruch von 14.370,33 EUR zusätzliche 31.760 EUR sA an Schmerzengeld und Verunstaltungsentschädigung.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 3 ZPO. Das Erstgericht hat die Kostenentscheidung bis zur rechtskräftigen Erledigung der Streitsache vorbehalten.

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