Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben. Die angefochtenen Entscheidungen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben wie folgt:
"Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei EUR 8.198,15 samt 4 % Zinsen seit 11. 9. 2001 zu bezahlen und die mit EUR 1.360,22 anteilig bestimmten Barauslagen zu ersetzen.
Das Mehrbegehren, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, weitere EUR 42.672,83 samt 4 % Zinsen aus EUR 8.198,15 vom 1. 7. 1999 bis 10. 9. 2001 und 4 % Zinsen aus EUR 42.672,83 seit 1. 7. 1999 zu bezahlen, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit EUR 1.192,69 (darin enthalten EUR 198,77 an USt) anteilig bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen."
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit EUR 1.864,69 (darin enthalten EUR 310,78 an USt) anteilig bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin EUR 112,-- an anteilig bestimmter, von ihr zu tragender (EUR 700,- -), Pauschalgebühr des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen. Es besteht Kostenersatzpflicht der beklagten Parteien für 16 % jenes Teiles der Pauschalgebühr, von deren Entrichtung die klagende Partei gemäß § 64 Abs 1 Z 1 ZPO einstweilen befreit war (§ 70 ZPO).
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die anteilig mit EUR 1.341,95 (darin enthalten EUR 223,65) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist die Enkelin des Erstbeklagten, der für die Lesearbeiten am 10. 10. 1998, bei denen die Klägerin verletzt wurde, verantwortlich gewesen ist. Während des Betriebes einer Traubenrebelmaschine ist die 8-jährige Klägerin in die rotierende Gelenkswelle zwischen Traktor und Lesemaschine geraten und erlitt die traumatische Amputation beider Arme. Noch am Unfalltag erfolgte die Amputation des rechten Armes im Schultergelenk, die Replantation des linken Armes auf Oberarmhöhe unter Verwendung von Teilen des Amputats vom rechten Arm und die Defektdeckung mit Spalthaut, entnommen vom linken Oberschenkel. Es bestehen chirurgische Dauerfolgen im Hinblick auf die Amputation des rechten Armes sowie die Gelenksversteifung des anderen Armes bzw dessen zu erwartende Funktionsuntüchtigkeit. Der amputierte rechte Arm ist durch eine Armprothese ersetzt, welche einfache Greif- und Haltefunktionen ermöglicht. Der replantierte linke Arm zeigt blande Narbenverhältnisse. Die Schulterbeweglichkeit ist weitgehend erhalten. Die Streckfähigkeit des Ellenbogengelenks ist um ca 10 Grad eingeschränkt. Streckung und Beugung des Handgelenkes sind in beiden Ebenen endlagig eingeschränkt. Beim Faustschluss bleibt der linke Zeigefinger zurück, die übrigen Finger erreichen normal die Handfläche. Die Beweglichkeit des linken Daumens ist, insbesondere was die Beugefähigkeit im Grundgelenk und die Bewegung quer über die Handflächen zum Kleinfinger hin anbelangt, deutlich eingeschränkt. Es ist von einer dauernd verminderten Belastbarkeit bezüglich Heben und Tragen auszugehen. Inwieweit der Arm nach der Transplantation bis zur Adoleszenz ein normales Wachstum zeigen wird, bleibt abzuwarten. Das berufliche Fortkommen der Klägerin hängt davon ab, inwiefern es gelingt, eine entsprechende Ausbildung zu erwerben und im Berufsleben die Nutzung der intellektuellen Fähigkeiten zu forcieren. Auf Grund der Verletzungen sind Arbeiten auszuschließen, die mit Heben und Tragen von Lasten verbunden sind, die beidhändig durchzuführen sind, die links besondere Fingerfertigkeit bzw auch Dauerbelastbarkeit der Finger erfordert bzw rechts über die manipulativen Möglichkeiten einer Armprothese hinausgehen, sowie das Besteigen von Leitern erfordern bzw an sturzgefährdeten Stellen auszuführen sind.
Die Beklagten anerkannten - soweit dies noch für das Revisionsverfahren von Bedeutung ist - ihre Haftung dem Grunde nach und überdies einen Betrag von S 300.000 für Verunstaltung und vermindertes Fortkommen.
Die Klägerin begehrt - soweit dies noch für das Revisionsverfahren von Bedeutung ist - darüber hinaus weitere S 700.000 als Entschädigung für die erlittene Verunstaltung und für vermindertes Fortkommen. Ein Vorbringen zum Beginn des Zinsenlaufes wurde nicht erstattet.
Die Beklagten beantragen Klagsabweisung, da der Klägerin aus diesem Titel nicht mehr als die bereits anerkannten S 300.000 zustünden. Weiters sei das Begehren erst mit Anspruchsschreiben vom 10. 9. 2001 fällig geworden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren vollinhaltlich ab. Trotz der von der Klägerin erlittenen Verletzungen stehe der Klägerin im Vergleich zu ähnlichen Fällen kein höherer Betrag als S 300.000 aus dem Titel des § 1326 ABGB zu. Es sei der von der Judikatur entwickelte Bemessungsrahmen zu berücksichtigen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es vertrat unter Darlegung oberstgerichtlicher Judikatur die Rechtsansicht, dass eine Verunstaltungsentschädigung von mehr als S 300.000 nicht gerechtfertigt sei.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision an den Obersten Gerichtshof nicht zulässig sei, da es sich hier um eine Entscheidung im Einzelfall handle.
Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagten beantragen, nachdem ihnen der Oberste Gerichtshof die Beantwortung der Revision freigestellt hatte (§ 508a Abs 2 ZPO), die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, sie ist auch teilweise berechtigt.
Soweit die Klägerin das Vorliegen von Verfahrensmängeln rügt, ist sie darauf zu verweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung von der zweiten Instanz verneinte Verfahrensmängel nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens sein können (RIS-Justiz RS0041588, RS0042963).
Nach ständiger Rechtsprechung richtet sich die Ausmessung der Verunstaltungsentschädigung nach § 1326 ABGB nach den Umständen des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0031344). Maßgebend für die Höhe der Entschädigung ist insbesondere das Ausmaß der Entstellung, die hieraus allenfalls ableitbaren Schlüsse auf die Art der Verletzung, insbesondere auf einen Organverlust, sowie die Größe der Wahrscheinlichkeit der Behinderung des besseren Fortkommens und die Minderung der Heiratschance (RIS-Justiz RS0031311, RS0031203). So wurden etwa Verunstaltungsentschädigungen von S 350.000 bei allerschwersten Dauerschäden zugesprochen (vgl die Entscheidungsübersicht samt detaillierten Verletzungsbildern in Danzl, EKHG7, § 13, E. 272, Harrer in Schwimann, ABGB2, § 1326 ABGB, Rz 27; auch RIS-Justiz RS0031154).
Wenngleich auch bei der Bemessung der Verunstaltungsentschädigung nach § 1326 ABGB auf die Umstände des Einzelfalls Bedacht zu nehmen ist, so ist doch zur Vermeidung von Ungleichheiten auch ein objektiver Maßstab anzulegen. Es ist auch zu berücksichtigen, dass in der jüngeren Rechtsprechung zum Schmerzengeld die Ansicht vertreten wird, dieses tendenziell nicht zu knapp zu bemessen (vgl 2 Ob 237/01v, 2 Ob 145/02s, 2 Ob 221/02t). Im Lichte der oben dargelegten jüngsten Judikatur zum Schmerzengeld erscheint es im Hinblick auf die lebensprägenden Auswirkungen der Entstellungen und Behinderungen geboten, diese Tendenz auch für den Bereich der Verunstaltungsentschädigung nach § 1326 ABGB zu übernehmen. Gerade die Verletzungen der im Unfallszeitpunkt erst 8-jährigen Klägerin, die in ihrer privaten und beruflichen Weiterentwicklung durch die Verletzungen an beiden Armen schwerst beeinträchtigt ist, rechtfertigt eine Entschädigung nach § 1326 ABGB in der Höhe von EUR 30.000. Berücksichtigt man die bereits geleisteten S 300.000 = EUR 21.801,85, so waren der Klägerin noch EUR 8.198,15 zuzusprechen.
Da die Klägerin zum Beginn des Zinsenlaufes trotz Bestreitung der Beklagten in der Klagebeantwortung kein Vorbringen erstattete, konnten Zinsen erst ab dem von den Beklagten zugestandenen Anspruchsschreiben zugesprochen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich im erstinstanzlichen Verfahren auf §§ 43 Abs 1, 46 ZPO. Die Anwendung des § 43 Abs 2 ZPO konnte im Hinblick darauf, dass die Klägerin offenbar überklagt hat, nicht zur Anwendung kommen (vgl Fucik in Rechberger 2 § 43 ZPO, Rz 10). Bis zur Einschränkung obsiegte die Klägerin mit rund der Hälfte ihres Anspruchs, sodass in diesem Verfahrensabschnitt die Kosten gegenseitig aufzuheben waren. Es stand ihr nur die Hälfte der Pauschalgebühr nach § 43 Abs 1 ZPO zu. Ab der Einschränkung obsiegte die Klägerin in diesem Verfahrensabschnitt mit nur 16 % ihres Anspruches, sodass sie 68 % der Kosten der Beklagten zu ersetzen hat.
Die Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren basiert unter Hinweis auf die obige Begründung auf §§ 50, 43 Abs 1, 46 ZPO. Sie hat Anspruch auf Ersatz von 16 % der Barauslagen. Im Berufungsverfahren verzeichnete die Klägerin keine Pauschalgebühr, da sie einen in der Folge abgewiesenen Verfahrenshilfeantrag stellte. Mittlerweile wurde den Beklagten die Pauschalgebühr vorgeschrieben. Sie stellten mit dem Vorbringen, die Gebühr bezahlt zu haben, den Kostenbestimmungsantrag ON 14, über den vom Erstgericht noch nicht entschieden wurde. Bei der Kostenentscheidung wird zu berücksichtigen sein, dass die Klägerin mit rund 16 % ihres Anspruchs obsiegte.
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