Spruch:
Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wieder hergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 5.230,76 (darin enthalten EUR 694,96 USt und EUR 1.061 Barauslagen) bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte sollte am Nachmittag des 27. 5. 2000 auf den am 4. 7. 1999 geborenen Kläger aufpassen, als sich dessen Mutter kurz zum Einkaufen begab. Als der Kläger in Abwesenheit seiner Mutter laut zu schreien begann, hob ihn der Beklagte hoch und schüttelte ihn solange, bis der Kläger bewusstlos in seinen Armen zusammensank. Der Beklagte lief mit dem Kläger in das Krankenhaus Dornbirn, wo dieser reanimiert wurde. Es verbleibt eine erhebliche Schädigung des Gehirns.
Der Beklagte wurde mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 27. 9. 2000 rechtskräftig wegen des Verbrechens des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 und 3 erster Fall StGB zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt, weil er dem Kläger am 27. 5. 2000 gegen 14 Uhr in Dornbirn körperliche Qualen zugefügt hat, indem er ihn unter den Achseln ergriff, hochhob und ca 10 bis 20 Sekunden lang sehr kräftig schüttelte, worauf der Kläger bewusstlos, atem- und kreislaufinsuffizient wurde, wobei die Tat eine Körperverletzung, nämlich Verlust des Sehvermögens und des Gehörs sowie Berufsunfähigkeit und ein schweres Leiden in Form einer völligen Bewegungsunfähigkeit für immer zur Folge hatte.
Bei der Einlieferung des Klägers in das Krankenhaus Dornbirn wurde ein Affektkrampf mit Atemstillstand diagnostiziert, der Kreislauf war zentralisiert, die Extremitäten kalt, die peripheren Pulse nicht mehr tastbar, der Blutdruck inizial nicht mehr messbar und es bestand eine Tachykardie. Nach der Reanimierung wurde der Kläger sofort in das Landeskrankenhaus Feldkirch transferiert, wo er auf der Intensivstation weiterbehandelt wurde. Dort wurde im EEG ein subklinischer Status epilepticus mit bifrontalen links betonten Herden festgestellt und eine Therapie mit Phenobarbital eingeleitet. Im kranialen CTT konnte eine massive hypoxische Enzephalopathie mit einem Hirnödem links mehr als rechts nachgewiesen werden. Der Hirndruck war durch Verabreichung osmotisch wirksamer Substanzen großteils parallel zum mittleren arteriellen Blutdruck. Nach Extubierung am 9. 6. 2000 wurde der Kläger für weitere etwa fünf Wochen stationär im Krankenhaus Feldkirch behandelt und danach in das Behandlungszentrum in Vogterreuth/BRD verlegt, wo er sich vom 18. 7. 2000 bis zum 31. 5. 2001 durchgehend aufhielt. Seit 1. 6. 2001 lebt der Kläger wieder bei seiner Mutter in Dornbirn. Es liegen folgende Diagnosen vor:
- hypoxisch-ischämische Enzephalopathie nach Schütteltrauma,
- Zustand nach Reanimation bei Atemstillstand und Kreislaufinsuffizienz,
- Zustand nach traumatischem Hirnödem mit schwer beherrschbarer Hirndruckerhöhung,
- Zustand nach Bohrlochtrepanation bei chronisch subduralem Hämatom beidseits,
- Zustand nach PEG Anlage bei Ernährungsstörung mit rezidivierendem Erbrechen.
- linksbetonte Tetraspastik mit dystoner Bewegungsstörung,
- schwerste psychomotorische Entwicklungsretardierung,
- zentrale Sehstörung und zentral gestörte Hörempfindung,
- symptomatische Epilepsie
- Ein- und Durchschlafstörung
Der Kläger war bis zu dem am 27. 5. 2000 erlittenen Schütteltrauma normal entwickelt und gesund. Infolge einer nicht beherrschbaren schweren Hirndrucksteigerung infolge des sich entwickelnden Hirnödems war am 13. 9. 2000 eine neurochirurgische Intervention mit Bohrlochtrepanation zur Entlastung des chronisch subduralen Hämatoms beidseits erforderlich.
Das Schütteltrauma verursachte subdurale grobflächige subretinale Blutungen beidseits, welche links ausgeprägter waren und führte zu einer Nekrose des Kortex in den dorsalen, temporalen und parieokzipitalen Abschnitte, vor allem links hemisphäriel. Als Zeichen einer hypoxischen Schädigung der Marklage finden sich erweiterte Ventrikel, auch sind die Stammganglien hypoxisch verändert. Residual finden sich eine links betonte schwerste spastische Tetraparese mit dystonem Bewegungsmuster sowie eine schwerste psychomentalmotorische Entwicklungsstörung neben einer hochgradigen zentralen Sehstörung, die kein konstantes Fixieren und Nachschauen erlaubt. Darüber hinaus leidet der Kläger konsekutiv an einer symptomatischen Epilepsie, die eine antikonvulsive Dauertherapie mit Dekapine-Tropfen (dreimal täglich 18 Tropfen) sowie Lamietal morgens und abends (20 mg Tabletten) erfordert. Weiters besteht eine Ernährungsstörung mit hochgradig erschwerten Fütterbedingungen. Die Nahrung kann ausschließlich über eine PEG Sonde zugeführt werden und sollte hochkalorisch sein. Wegen der Ein-Durchschlafstörung erhält der Kläger das Schlafhormon Melatonin abends (2 Kapseln entsprechend 6 mg). Während des 10 ½ Monate dauernden Aufenthaltes im Behandlungszentrum Vogterreuth wurde der Kläger intensiv rehabilitiert, so wurde viermal pro Woche Physiotherapie und begleitend zweimal pro Woche Logopädie und Ergotherapie sowie zuletzt auch Musiktherapie durchgeführt. Im Alter von 23 Monaten sind beim Kläger noch immer keine Lokomotion und keine Anzeichen zur Vertikalisierung vorhanden. Die symptomatische Epilepsie erfordert eine antikonvulsive Dauermedikation. Als Verhaltensauffälligkeiten sind neben den Ein- und Durchschlafstörungen auch das rezidivierende Aufschreien des Klägers zu werten. Seine schwerste Mehrfachbehinderung erfordert eine ständige Beaufsichtigung durch eine Person - nunmehr seine Mutter -, die für ihn auch die Fütterung über die Nahrungssonde bewerkstelligt. Auf natürlichem Weg kann er fast keine Nahrung zu sich nehmen, ohne dass es zu einem sofortigen Erbrechen kommt. Er muss über längere Zeiträume hinweg mit kleineren und kleinsten Dosen gefüttert werden. Weitere Rehabilitationsmaßnahmen im Sinne von Logopädie, Physiotherapie und Sehfrühförderung sind notwendig. Die Hilfsmittel (Autositz, Rehabuggy, Sitzschale) wurden bereits im Behandlungszentrum Vogterreuth verordnet und angepasst. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird der Kläger infolge des schweren Gehirntraumas nie das freie Gehen erlangen und zur Fortbewegung auf einen Rollstuhl angewiesen sein. Er wird auch bleibend eine Störung der Feinmotorik und Koordination aufweisen, allenfalls werden die oberen Extremitäten eine Teilfunktion ermöglichen. Die gestörte Sprachentwicklung und die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bleibende gestörte mentale Entwicklung werden keine normale Beschulung erlauben. Er wird dauernd berufsunfähig bleiben und niemals irgend einen Beruf ausüben könne. Er ist auch auf Dauer pflegebedürftig.
Der Kläger hatte während der Zeit der Intensivbehandlung in der Abteilung für Pädiatrie des Landeskrankenhauses Feldkirch vom 27. 5. bis 9. 6. 2000 starke Schmerzen zu erdulden. Ebenso musste er auch für den Zeitraum von sechs Wochen während des Aufenthaltes im Behandlungszentrum in Vogterreuth starke Schmerzen erdulden, weil sich damals raumfordernde chronische subdurale Hämatome entwickelten, die Anfang September 2000 eine Bohrlochtrepanation mit Einlage subduraler Drainagen erforderlich machten, die am 21. 9. 2000 wieder entfernt werden konnte. Von mittelstarken Schmerzen ist während mehrerer Tage des stationären Behandlungszeitraums auszugehen, weil Blutabnahmen und teils schmerzhafte Pflegebehandlungen notwendig waren. Unter Berücksichtigung der Pflegetage des stationären Aufenthaltes ergibt sich eine Periode von vier Wochen mittelstarken Schmerzen. Leichte Schmerzen verursachen besonders die ambulant und zu Hause durchgeführte Physiotherapie, die sowohl durch den Physikotherapeuten durchgeführte als auch die durch die Mutter nach Anweisungen des Physikotherapeuten durchgeführte Therapie umfasst. Diese leichten Schmerzen sind für die Zeit vom 28. 11. 2000 bis auf Weiteres anzunehmen.
Der Kläger begehrt vom Beklagten für die ihm zugefügten Misshandlungen Schadenersatz, wobei Pflegekosten und Verunstaltungsentschädigung nicht mehr streitverfangen sind. Strittig ist lediglich das vom Kläger begehrte Schmerzengeld von insgesamt S 2,5 Millionen (= 181.682,08 EUR). Von diesem Betrag wurden dem Kläger im Strafverfahren bereits S 500.000 als Privatbeteiligtenzuspruch zuerkannt; einen weiteren Betrag von S 900.000 hat der Beklagte in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 30. 10. 2000 anerkannt, worüber einer Teilanerkenntnisurteil gefällt wurde. Das Erstgericht gab dem auf Zahlung eines weiteren Schmerzengeldes von S 1,100.000 (= EUR 79.940,12) Klagebegehren zur Gänze statt; unter Berücksichtigung der vom Kläger bis zu seinem Lebensende zu erduldenden Schmerzen sei insgesamt an Schmerzengeld ein Betrag von EUR 181.682,08 (S 2,5 Mio) angemessen.
Das vom Beklagten angerufene Berufungsgericht gab dessen Berufung teilweise Folge und erachtete für die vom Kläger erlittenen Verletzungen ein Schmerzengeld von insgesamt EUR 150.000 (= S 2,064.045) für angemessen. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
Das Berufungsgericht gab die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes wieder, wonach bei der Bemessung von Schmerzengeld zur Vermeidung einer völligen Ungleichmäßigkeit immer ein objektiver Maßstab anzulegen sei und der von der Judikatur ganz allgemein gezogene Rahmen im Einzelfall nicht gesprengt werden dürfe (RIS-Justiz RS0031075) und bezog sich auf die Entscheidungen ZVR 1997/96, in der einem infolge Sauerstoffmangels beim Geburtsvorgang irreparabel gehirngeschädigten Buben mit spastischer Tetraplegie aller vier Extremitäten samt nahezu vollständiger Bewegungslosigkeit und abnormer Liegehaltung, stark eingeschränkter Lebenserwartung sowie einem Zustand, der für einen Gesunden schon rein physisch mit nahezu unerträglichen Schmerzen verbunden wäre, ein Schmerzengeld von
S 1,750.000 bei einem Begehren von S 2,000.000 zugesprochen wurde. Einem ebenfalls geburtsgeschädigten Buben mit bleibender schwerer Gehirnschädigung samt praktischer Bewegungsunfähigkeit und der Motorik eines drei Monate alten Säuglings sei zu 2 R 1/01m, 13/01a des Oberlandesgerichtes Graz ein begehrtes Schmerzengeld von S 1,8 Mio zugesprochen worden, die dagegen erhobene außerordentliche Revision der beklagten Partei sei zurückgewiesen worden. Schließlich sei zu 2 R 56/012d vom Oberlandesgericht Innsbruck einem nach Verkehrsunfall der Mutter durch notfallsmäßigen Kaiserschnitt in der
29. Schwangerschaftswoche geborenen Mädchen mit schwersten irreparablen Dauerschäden, unter anderem Wasserkopf, ungenügender Entwicklung der Lungen, hochgradiger (bis an Taubheit grenzender) Schwerhörigkeit beidseits, fehlender Lautsprachenentwicklung, erheblichem Entwicklungsrückstand mit 100 %iger Invalidität und lebenslanger Pflegebedürftigkeit ein Schmerzengeld in der begehrten Höhe von S 2,085.778 zugesprochen worden, wobei die dagegen von der beklagten Partei erhobene außerordentliche Revision ebenfalls mangels Überschreiten des Ermessensspielraumes zurückgewiesen worden sei.
Letztlich wurde die Entscheidung 2 Ob 237/01v (= ZVR 2002/66 S 268
[Danzl] = ecolex 2002,585 [Helmich]) erwähnt, in welcher es zum Zuspruch von Schmerzengeld in der Höhe von S 3 Mio gekommen sei. Der in der letzten Entscheidung zu beurteilende Sachverhalt lässt sich mit dem vorliegenden nicht vergleichen, weil dort zu berücksichtigen war, dass der Verletzte an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden musste und ständiger Todesgefahr ausgesetzt war. Bei den hier vorliegenden schwersten Verletzungen des Klägers unter Berücksichtigung seiner Hör- und Sehstörungen sowie der durch das Schütteltrauma ausgelösten Epilepsie, sowie der Vernichtung seiner ganzen Lebensperspektive erscheint das vom Kläger begehrte und auch vom Erstgericht ausgemessene Schmerzengeld von S 2,5 Millionen (= EUR 181.682,08) nicht überhöht.
In Stattgebung der Revision war daher das Ersturteil wieder herzustellen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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