OGH 2Ob221/02t

OGH2Ob221/02t13.3.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Taariq Sebastian K*****, vertreten durch die Mutter Sandra K*****, ebendort, diese vertreten durch Dr. Julius Brändle, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen die beklagte Partei Josef Antonio B*****, vertreten durch Mag. German Bertsch, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen EUR 151.450,18 sA infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 20. Juni 2002, GZ 4 R 99/02v-29, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 1. Februar 2002, GZ 5 Cg 208/00v-21t, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wieder hergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 5.230,76 (darin enthalten EUR 694,96 USt und EUR 1.061 Barauslagen) bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte sollte am Nachmittag des 27. 5. 2000 auf den am 4. 7. 1999 geborenen Kläger aufpassen, als sich dessen Mutter kurz zum Einkaufen begab. Als der Kläger in Abwesenheit seiner Mutter laut zu schreien begann, hob ihn der Beklagte hoch und schüttelte ihn solange, bis der Kläger bewusstlos in seinen Armen zusammensank. Der Beklagte lief mit dem Kläger in das Krankenhaus Dornbirn, wo dieser reanimiert wurde. Es verbleibt eine erhebliche Schädigung des Gehirns.

Der Beklagte wurde mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 27. 9. 2000 rechtskräftig wegen des Verbrechens des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 und 3 erster Fall StGB zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt, weil er dem Kläger am 27. 5. 2000 gegen 14 Uhr in Dornbirn körperliche Qualen zugefügt hat, indem er ihn unter den Achseln ergriff, hochhob und ca 10 bis 20 Sekunden lang sehr kräftig schüttelte, worauf der Kläger bewusstlos, atem- und kreislaufinsuffizient wurde, wobei die Tat eine Körperverletzung, nämlich Verlust des Sehvermögens und des Gehörs sowie Berufsunfähigkeit und ein schweres Leiden in Form einer völligen Bewegungsunfähigkeit für immer zur Folge hatte.

Bei der Einlieferung des Klägers in das Krankenhaus Dornbirn wurde ein Affektkrampf mit Atemstillstand diagnostiziert, der Kreislauf war zentralisiert, die Extremitäten kalt, die peripheren Pulse nicht mehr tastbar, der Blutdruck inizial nicht mehr messbar und es bestand eine Tachykardie. Nach der Reanimierung wurde der Kläger sofort in das Landeskrankenhaus Feldkirch transferiert, wo er auf der Intensivstation weiterbehandelt wurde. Dort wurde im EEG ein subklinischer Status epilepticus mit bifrontalen links betonten Herden festgestellt und eine Therapie mit Phenobarbital eingeleitet. Im kranialen CTT konnte eine massive hypoxische Enzephalopathie mit einem Hirnödem links mehr als rechts nachgewiesen werden. Der Hirndruck war durch Verabreichung osmotisch wirksamer Substanzen großteils parallel zum mittleren arteriellen Blutdruck. Nach Extubierung am 9. 6. 2000 wurde der Kläger für weitere etwa fünf Wochen stationär im Krankenhaus Feldkirch behandelt und danach in das Behandlungszentrum in Vogterreuth/BRD verlegt, wo er sich vom 18. 7. 2000 bis zum 31. 5. 2001 durchgehend aufhielt. Seit 1. 6. 2001 lebt der Kläger wieder bei seiner Mutter in Dornbirn. Es liegen folgende Diagnosen vor:

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht gab die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes wieder, wonach bei der Bemessung von Schmerzengeld zur Vermeidung einer völligen Ungleichmäßigkeit immer ein objektiver Maßstab anzulegen sei und der von der Judikatur ganz allgemein gezogene Rahmen im Einzelfall nicht gesprengt werden dürfe (RIS-Justiz RS0031075) und bezog sich auf die Entscheidungen ZVR 1997/96, in der einem infolge Sauerstoffmangels beim Geburtsvorgang irreparabel gehirngeschädigten Buben mit spastischer Tetraplegie aller vier Extremitäten samt nahezu vollständiger Bewegungslosigkeit und abnormer Liegehaltung, stark eingeschränkter Lebenserwartung sowie einem Zustand, der für einen Gesunden schon rein physisch mit nahezu unerträglichen Schmerzen verbunden wäre, ein Schmerzengeld von

S 1,750.000 bei einem Begehren von S 2,000.000 zugesprochen wurde. Einem ebenfalls geburtsgeschädigten Buben mit bleibender schwerer Gehirnschädigung samt praktischer Bewegungsunfähigkeit und der Motorik eines drei Monate alten Säuglings sei zu 2 R 1/01m, 13/01a des Oberlandesgerichtes Graz ein begehrtes Schmerzengeld von S 1,8 Mio zugesprochen worden, die dagegen erhobene außerordentliche Revision der beklagten Partei sei zurückgewiesen worden. Schließlich sei zu 2 R 56/012d vom Oberlandesgericht Innsbruck einem nach Verkehrsunfall der Mutter durch notfallsmäßigen Kaiserschnitt in der

29. Schwangerschaftswoche geborenen Mädchen mit schwersten irreparablen Dauerschäden, unter anderem Wasserkopf, ungenügender Entwicklung der Lungen, hochgradiger (bis an Taubheit grenzender) Schwerhörigkeit beidseits, fehlender Lautsprachenentwicklung, erheblichem Entwicklungsrückstand mit 100 %iger Invalidität und lebenslanger Pflegebedürftigkeit ein Schmerzengeld in der begehrten Höhe von S 2,085.778 zugesprochen worden, wobei die dagegen von der beklagten Partei erhobene außerordentliche Revision ebenfalls mangels Überschreiten des Ermessensspielraumes zurückgewiesen worden sei.

Letztlich wurde die Entscheidung 2 Ob 237/01v (= ZVR 2002/66 S 268

[Danzl] = ecolex 2002,585 [Helmich]) erwähnt, in welcher es zum Zuspruch von Schmerzengeld in der Höhe von S 3 Mio gekommen sei. Der in der letzten Entscheidung zu beurteilende Sachverhalt lässt sich mit dem vorliegenden nicht vergleichen, weil dort zu berücksichtigen war, dass der Verletzte an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden musste und ständiger Todesgefahr ausgesetzt war. Bei den hier vorliegenden schwersten Verletzungen des Klägers unter Berücksichtigung seiner Hör- und Sehstörungen sowie der durch das Schütteltrauma ausgelösten Epilepsie, sowie der Vernichtung seiner ganzen Lebensperspektive erscheint das vom Kläger begehrte und auch vom Erstgericht ausgemessene Schmerzengeld von S 2,5 Millionen (= EUR 181.682,08) nicht überhöht.

In Stattgebung der Revision war daher das Ersturteil wieder herzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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