Spruch:
Die als „(neuerliche) Revision“ und „(zweite neuerliche) Revision“ bezeichneten Schriftsätze der beklagten Partei vom 2. 7. 1984 und 2. 8. 1984 sowie die als „zweite Revisionsbeantwortung“ und „dritte Revisionsbeantwortung“ bezeichneten Schriftsätze der Klägerin vom 22. 8. 1984 und 27. 9. 1984 werden zurückgewiesen.
2. zu Recht erkannt:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagten Parteien haben der Klägerin zur ungeteilten Hand die mit 10.837,37 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 985,22 S USt) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin wurde am 24. 5. 1980 als Insassin eines vom Erstbeklagten gelenkten und bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW schwer verletzt. Mit der vorliegenden Klage begehrte sie ua eine Verunstaltungsentschädigung von 100.000 S sowie den Zuspruch eines Schmerzengeldes in der Höhe von 800.000 S. Wegen einer von den beklagten Parteien sodann geleisteten Teilzahlung von 200.000 S schränkte sie dieses Begehren in der Folge auf 600.000 S ein.
Die beklagten Parteien bestritten den Anspruch auf Verunstaltungsentschädigung sowie die Angemessenheit des geforderten Schmerzengeldes und beantragten diesbezügliche Klagsabweisung.
Das Erstgericht hielt die vorgenannten Klagsansprüche für gerechtfertigt und sprach der Klägerin den Betrag von 700.000 S zu.
In ihrer Berufung bekämpften die beklagten Parteien den Zuspruch eines über (rechnungsmäßig) 460.000 S hinausgehenden Schmerzengeldes sowie einer über 40.000 S hinausgehenden Verunstaltungsentschädigung.
Das Berufungsgericht billigte die erstgerichtliche Schmerzengeldbemessung, hielt jedoch die Rechtssache hinsichtlich des in der Berufung bekämpften Zuspruchs von 60.000 S an Verunstaltungsentschädigung noch nicht für spruchreif. Mit Teilurteil vom 10. 4. 1984 sprach es aus, dass das erstgerichtliche Urteil „im Zuspruch eines Betrags von 600.000 S sA (Schmerzengeld) bestätigt“ wird. Hinsichtlich des erstgerichtlichen Zuspruchs „eines weiteren Betrags von 100.000 S sA (§ 1326 ABGB)“ hob es das erstgerichtliche Urteil auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Mit seinem Beschluss vom 24. 5. 1984 berichtigte es den Spruch des Teilurteils dahin, dass das angefochtene Urteil, welches im Zuspruch eines Teilbetrags von 300.000 S sA als unbekämpft unberührt bleibt, im Zuspruch eines weiteren Betrags von 300.000 S als Teilurteil bestätigt wird. Mit seinem weiteren Berichtigungsbeschluss vom 8. 6. 1984 nahm es sodann im Sinne der stets gleichlautenden Urteilsbegründung eine Klarstellung dahin vor, dass das angefochtene Urteil, das „im Zuspruch eines Teilbetrags von 260.000 S sA (Schmerzengeld) bzw 40.000 S sA (§ 1326 ABGB), insgesamt somit 300.000 S sA als unbekämpft unberührt bleibt, im Zuspruch eines weiteren Betrags von 340.000 S (insgesamt 600.000 S sA Schmerzengeld) als Teilurteil bestätigt, im Übrigen, somit hinsichtlich des Zuspruchs eines weiteren Betrags von 60.000 S sA (§ 1326 ABGB) aufgehoben“ wird.
Gegen das berufungsgerichtliche Urteil in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 24. 5. 1984 erhoben die beklagten Parteien am 5. 6. 1984 eine auf § 503 Abs 1 Z 4 ZPO gestützte Revision mit der Anfechtungserklärung, dass „der Zuspruch eines (weiteren) Schmerzengeldbetrags von 300.000 S bekämpft“ werde und dem Antrag, dass „das Klagebegehren auf Zahlung von weiteren 300.000 S abgewiesen“ werde. Hiezu führten sie aus, die Revisionswerber „stünden auf dem Standpunkt, dass lediglich ein Schmerzengeld in der Höhe von 500.000 S“ und nicht, wie von den Unterinstanzen zugesprochen, 800.000 S angemessen sei. Am 2. 7. 1984 brachten die beklagten Parteien gegen das berufungsgerichtliche Urteil in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 8. 6. 1984 (ON 74 = endgültige Fassung) einen weiteren als „neuerliche Revision“ bezeichneten Schriftsatz ein, erklärten hierin, dass das Urteil insoweit angefochten werde, „als ein weiterer Schmerzengeldbetrag von 340.000 S zuerkannt wurde“, stellten sich auf den Standpunkt, dass lediglich ein Gesamtschmerzengeld von 460.000 S gerechtfertigt sei und beantragten, dass „das Klagebegehren auf Zahlung von weiteren 340.000 S abgewiesen“ werde. Schließlich langte beim Erstgericht am 2. 8. 1984 ein weiterer als „(zweite neuerliche) Revision“ bezeichneter Schriftsatz ein, der sich wiederum gegen das berufungsgerichtliche Urteil in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 8. 6. 1984 (= ON 74) wendete.
Die Klägerin erstattete zu allen „Revisionen“ der beklagten Parteien Revisionsbeantwortungen mit dem jeweiligen Antrage, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.
Nach ständiger Rechtsprechung kann eine Partei in dem Fall, als durch eine Berichtigung eines Urteils für sie eine zweifelhafte Lage herbeigeführt wird, ihr bereits gegen das unberichtigte Urteil erhobenes Rechtsmittel durch einen weiteren Schriftsatz ergänzen; beide Schriftsätze sind dann als eine Einheit aufzufassen (SZ 37/146, SZ 54/103; 6 Ob 590/82 ua).
Vorliegendenfalls richtete sich die Revision der beklagten Parteien gegen das berufungsgerichtliche Urteil in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 24. 5. 1984. Die auch in dieser Fassung mit 800.000 S erfolgte und von der Revision ausdrücklich hinsichtlich eines Betrags von 300.000 S bekämpfte Schmerzengeldbemessung wurde durch den folgenden Berichtigungsbeschluss des Berufungsgerichts vom 8. 6. 1984 nicht geändert, sondern hiemit lediglich eine Unterteilung des teilweise in Rechtskraft erwachsenen und teilweise bestätigten erstgerichtlichen Zuspruchs vorgenommen. Durch diesen Berichtigungsbeschluss vom 8. 6. 1984 entstand für die beklagten Parteien somit aber keinesfalls eine zweifelhafte Lage über den Urteilsinhalt. Der Gesamtzuspruch an Schmerzengeld lautete weiterhin auf 800.000 S und eben diesen hatte sie in ihrer Revision ohnehin bekämpft. Demnach bestand für sie aber kein gerechtfertigter Anlass, die Revision wegen dieses Berichtigungsbeschlusses zu ergänzen.
Die weiteren, als „Revisionen“ bezeichneten Schriftsätze der beklagten Parteien und ebenso die weiteren „Revisionsbeantwortungen“ der Klägerin waren daher als unzulässig zurückzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der beklagten Parteien ist nicht gerechtfertigt.
Nach den unbekämpft gebliebenen erstinstanzlichen Feststellungen erlitt die Klägerin beim Unfall ein schweres Schädelhirntrauma mit Blutungen unter die harten Hirnhäute und erheblicher Hirndrucksteigerung. Dadurch kam es zu einer Schädigung beider Sehnerven, der Nerven für die Geschmacks- und Geruchsempfindung sowie zu einer Halbseitenlähmung links. Als Folge der Gesamtschädigung weiters zu einem Psychosyndrom mit Aggressivität und vegetativen emotionellen Erregungszuständen. Die Klägerin befand sich rund zwei Monate in stationärer Behandlung. Als Dauerfolge bestehen die Beeinträchtigung der Sehleistung im Sinne einer praktischen Erblindung, der Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns sowie eine latente Schwäche des linken Beins mit Unsicherheit und herabgesetzter Muskelkraft. Hieraus resultiert eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 % auf Lebensdauer. Insgesamt hatte die Klägerin 10 Tage qualvolle, 30 Tage starke, 90 Tage mittelstarke und 200 Tage leichte Schmerzen zu ertragen.
In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, die aus den Unfallsverletzungen hervorgegangenen Schmerzen und die seelischen Leiden, welche mit dem Bewusstsein des dauernden Verlusts dreier wesentlicher Wahrnehmungssinne für die nunmehr 20jährige Klägerin verbunden seien, erscheine das gemäß § 1325 ABGB begehrte Schmerzengeld von 800.000 S gerechtfertigt.
Das Berufungsgericht billigte die erstgerichtliche Schmerzengeldbemessung.
In ihrer Revision erklären die beklagten Parteien, wie bereits ausgeführt, sie stünden entgegen der Ansicht der Unterinstanzen auf dem Standpunkt, dass vorliegendenfalls ein Schmerzengeld von 500.000 S hinreichend sei. Höhere Beträge würden von der Rechtsprechung nur Querschnittgelähmten zuerkannt, bei welchen es zu weitestgehenden Einschränkungen der „vitalen Funktionen des Lebens“ gekommen sei. Hier habe die Klägerin durch den Unfall zwar wesentliche Schädigungen ihrer Gesundheit hinnehmen müssen, jedoch wesentliche Funktionen des Lebens, insbesondere die Möglichkeit eines funktionierenden Geschlechtslebens, behalten. Auch sei sie in der Lage, selbsttätig (gehend) Ortsveränderungen vorzunehmen, was einem Querschnittgelähmten nicht möglich sei.
Der Rechtsansicht der Revisionswerber kann nicht gefolgt werden.
Die Klägerin hat durch den Unfall den Geruchs-, den Geschmacks- und insbesondere auch den Sehsinn verloren, denn sie ist praktisch blind. Nach dem Inhalt des augenärztlichen Sachverständigengutachtens (AS 169 f) besteht bei ihr ein fortgeschrittener Sehnervenschwund mit konzentrischer Gesichtsfeldeinengung unter Herabsetzung der Sehleistung auf eine bloße Lichtempfindung auf fünf Meter Entfernung. Eine Besserung ist nicht möglich. Damit ist die zum Unfallszeitpunkt 17 Jahre alte Klägerin für ihr gesamtes weiteres Leben darauf beschränkt, die äußere Welt nur noch zu hören und zu tasten, von der Teilhabe an den Werten insbesondere der sichtbaren Welt ist sie für immer ausgeschlossen. Solcherart bleiben ihr aber gerade die für den Menschen heute in der Regel im Vordergrund stehenden Lebensfreuden - freie Bewegung in Spiel, Tanz und Sport, Reisen, Lesen, Fernsehen, Ess- und Trinkgenuss usw versagt und auch der volle Zugang bei allen zwischenmenschlichen Beziehungen ist ihr nicht möglich. Das aus diesem schon in jugendlichem Alter eingetretenen Entzug wesentlichster Daseinsfreuden folgende seelische Leid stellt ein Ungemach von außerordentlicher Schwere dar. Hinzu kommt, dass die Klägerin aufgrund der gesamten körperlichen Beeinträchtigungen seit dem Unfall zu 100 % erwerbsunfähig ist und auch unter dem Bewusstsein dieses Zustands zeitlebens zu leiden haben wird.
Entgegen der Ansicht der Revisionswerber lässt der von ihnen angestellte - in jedem Fall subjektiv bleibende - Vergleich mit dem Los eines Querschnittgelähmten einen Erblindeten grundsätzlich auch nicht begünstigt erscheinen, da diesem ebenso, wenngleich in anderen Bereichen, die Führung eines normalen Lebens versagt ist und er letztlich in der Existenzerhaltung ebenfalls von der Hilfe Dritter abhängig erscheint. Selbst Ortsveränderungen kann ein Blinder außerhalb seines gewohnten Bereichs nur begrenzt oder jedenfalls nicht stets ohne Hilfe vornehmen. Die unterinstanzliche Schmerzengeldbemessung mit (rechnungsmäßig) 800.000 S entspricht somit nicht nur den Umständen dieses tragischen Einzelfalls, sondern ist auch im Gesamtrahmen, innerhalb dessen der Oberste Gerichtshof in der letzten Zeit die - nur zu einem mittelbaren Vergleich des erlittenen Ungemachs geeigneten, ein unmittelbarer Vergleichsfall fehlt - Schmerzengeldzusprüche vornahm, zutreffend eingeordnet. Davon, dass der Verlust des Sehvermögens und des Geruchs- sowie auch des Geschmackssinns und damit verbunden eines Großteils der Daseinsinhalte und körperlichen und geistigen Entfaltungsmöglichkeiten eines erst 17jährigen Menschen im Sinne des Revisionsantrags lediglich mit 500.000 S abzugelten sei, kann keinesfalls die Rede sein.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
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