OGH 2Ob70/11z

OGH2Ob70/11z16.9.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch den Hofrat Dr. Veith, die Hofrätin Dr. E. Solé und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Martin N*****, vertreten durch Dr. Alexander Neurauter, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei W***** Versicherungs AG, *****, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen 6.800 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 23. Dezember 2010, GZ 36 R 166/10v-16, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 26. April 2010, GZ 55 C 672/09w-11, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben; dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger wurde bei einem Verkehrsunfall am 20. 11. 2000 verletzt. Er erlitt ua eine schwere Gehirnerschütterung sowie einen Bruch der Kniescheibe. Ausgehend von einem Alleinverschulden des Unfallgegners begehrte er mit einer im Jänner 2001 eingebrachten Klage ua 150.000 ATS Schmerzengeld, wobei er die Ausdehnung dieses Betrags vorbehielt und vorbrachte, es liege ein Dauerschaden vor bzw könnten unfallsbedingte Wiedererkrankungen nicht ausgeschlossen werden, weshalb zur Absicherung des Klägers für die Zukunft auch ein Feststellungsbegehren gestellt werde.

Die nunmehr wie damals beklagte Partei anerkannte die Haftung dem Grunde nach, stellte das Schmerzengeld in der begehrten Höhe außer Streit und überwies diesen Betrag an den Kläger. Auch schlossen die Parteien über die klagsverfangenen Ansprüche einen Vergleich, aufgrund dessen letztlich in der Streitverhandlung vom 30. 3. 2001 Ruhen des Verfahrens eintrat und das Klagebegehren auch hinsichtlich des Feststellungsbegehrens zumindest gerichtlich nicht weiter verfolgt wurde.

Was die Knieverletzung betrifft, war der Kläger nach entsprechender Therapie und Bewegungsübungen jahrelang schmerzfrei. Danach traten aber wieder Schmerzen auf, die nach einem unfallchirurgischen Sachverständigengutachten aus 2009 unfallkausal auf die zunehmende Knorpelabnützung an der Kniescheibenrückseite sowie auf eine posttraumatische Arthrose, die eine typisch zu erwartende Spätfolge der Unfallverletzung des Klägers ist, zurückzuführen sind. Der Kläger wird auch in Zukunft an stärkeren Beschwerden leiden. Auch in einem Gutachten aus dem Jahr 2001 wurde bereits ausgeführt, dass bei der vom Kläger erlittenen Knieverletzung Dauerfolgen in Form von Knorpelschäden bzw ein Kniescheibenabbruch zu erwarten bzw möglich seien.

Mit der nunmehr vorliegenden Klage begehrt der Kläger aufgrund der wiedereinsetzenden Kniebeschwerden ein weiteres Schmerzengeld in Höhe des Klagsbetrags und verweist darauf, dass in der ursprünglichen Klage Schmerzengeld vorbehaltlich der Ausdehnung und nicht pauschal begehrt worden sei, weil der Heilungsverlauf zum Zeitpunkt der Klagseinbringung nicht abschätzbar gewesen sei. Dies gelte auch für den Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses. Im Übrigen könne auch bei einer Globalbemessung des Schmerzengeldes bei einer Verschlechterung des Gesundheitszustands weiteres Schmerzengeld geltend gemacht werden.

Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren dem Grunde nach und berief sich auf den erwähnten außergerichtlichen Vergleich. Das Schmerzengeld sei im Rahmen einer Globalbemessung als einmalige Gesamtentschädigung zu bestimmen. Dies gelte auch für einen außergerichtlichen Vergleich. Von der Schmerzengeldbemessung könnten nur künftige Beschwerden ausgenommen werden, die bei Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz und demgemäß auch bei Vergleichsabschluss noch nicht beurteilt werden konnten. Die vorliegenden Schmerzen seien eine typische Unfallsfolge und daher keineswegs unvorhersehbar gewesen. Sie seien daher bereits in der ursprünglichen Globalbemessung enthalten. Aufgrund des Gutachtens aus dem Jahre 2001 hätte sich lediglich ein gerechtfertigter Schmerzengeldbetrag für bereits erlittene Schmerzen von rund 116.000 ATS errechnet, woraus folge, dass beim tatsächlich bezahlten Schmerzengeldbetrag von 150.000 ATS Dauerfolgen inkludiert gewesen seien.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es folgte der Rechtsansicht der beklagten Partei, dass die Regeln der Globalbemessung des Schmerzengeldes „wohl auch“ für einen außergerichtlichen Vergleich Gültigkeit hätten. Bei den nunmehrigen Beschwerden und Schmerzen des Klägers handle es sich um typische Spätfolgen, die in der Globalbemessung bereits berücksichtigt seien. Keineswegs sei es zu einer unerwarteten Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers gekommen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der an den Kläger ausbezahlte Schmerzengeldbetrag sei durchaus als Vergleichsbetrag anzusehen. Bedenke man, dass das in der Klage erhobene Feststellungsbegehren nicht weiter verfolgt, sondern nach vergleichsweiser Bereinigung dauernd ruhend gestellt worden sei, folge daraus, dass der außergerichtliche Vergleich über sämtliche Ansprüche des Klägers inklusive seines Feststellungsbegehrens abgeschlossen worden sei. Es sei daher von einer umfassenden Bereinigungswirkung auszugehen und seien daher auch Spätfolgen, wie die nunmehr geltend gemachten, umfasst.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nachträglich zu. Die Frage, ob ein Generalvergleich mit entsprechender Bereinigungswirkung abgeschlossen worden sei, stelle eine Rechtsfrage von über den Anlassfall hinausgehender Bedeutung dar.

In der gegen diese Entscheidung erhobenen Revision beantragt der Kläger die Abänderung im Sinne einer Klagsstattgebung. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten beantragen die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinne des eventualiter gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Die Bereinigungswirkung eines Vergleichs umfasst nach der Judikatur alle zweifelhaften Ansprüche, selbst dann, wenn keine Generalklausel aufgenommen wurde; die Beweislast trifft denjenigen, der sich auf das Nichteintreten der Bereinigungswirkung beruft (9 ObA 138/02p; vgl RIS-Justiz RS0032589; RS0032429). Sie umfasst nur die den Parteien im Zeitpunkt des Vergleichs bekannten oder die für sie erkennbaren Folgen, nicht aber damals nicht vorhersehbare weitere Beeinträchtigungen (RIS-Justiz RS0032429 [T2]). Der Vergleich erstreckt sich auch auf Fälle, an die die Parteien nicht gedacht haben, nicht aber auf solche, an die sie nicht denken konnten. Grundsätzlich bilden nur die Verhältnisse zur Zeit des Vergleichsabschlusses den Gegenstand des Vergleichs und damit auch seiner Bereinigungswirkungen (RIS-Justiz RS0032453). Auch ein Abfindungsvergleich über Schmerzengeld erstreckt sich im Zweifel nur auf schon bekannte oder doch vorhersehbare Unfallfolgen (RIS-Justiz RS0031031). Unter Umständen kann er sittenwidrig sein (RIS-Justiz RS0108259).

2. Was allerdings Gegenstand des Vergleichs und damit der Streitbereinigung wird, bestimmt sich nach dem übereinstimmenden Parteiwillen; es kann auch eine Teilabfindung von Schmerzengeldansprüchen vereinbart werden (2 Ob 150/06g mwN). Es gelten die Grundsätze der Vertrauenstheorie, sodass Vergleiche nach den allgemeinen Regeln auszulegen sind. Entscheidend für das Verständnis der wechselseitigen Erklärungen ist deren objektiver Erklärungswert (2 Ob 150/06g mwN; RIS-Justiz RS0017954; RIS-Justiz RS0014696). Die Bindungswirkung tritt daher nur für die vom Vergleich umfassten Punkte ein. Welche zwischen den Parteien strittigen Punkte von der Bereinigungswirkung des Vergleichs umfasst werden sollen, ist keine Frage einer bloß allgemeinen Umschreibung behaupteter Ansprüche, sondern einer individuellen Abgrenzung des Umfangs der Vergleichswirkungen und damit auch einer individuellen Umschreibung der durch die Leistung des Vertragspartners abgegoltenen Ansprüche (8 Ob 84/87 = ZVR 1989/15).

3. Im vorliegenden Fall fehlen ausreichende Feststellungen, um die Bereinigungswirkung des Vergleichs in Bezug auf das Schmerzengeld beurteilen zu können. Die klagende Partei hatte den Schmerzengeldbetrag „vorbehaltlich einer Ausdehnung“ und daher nicht als Pauschalabgeltung geltend gemacht. Ob im nachfolgenden Vergleich der Schmerzengeldbetrag vereinbart wurde, ist unklar, obwohl insbesondere die im Akt erliegenden Urkunde (s Beil ./B-G), deren Inhalt nicht festgestellt wurde, Anhaltspunkte liefern könnten. Im Übrigen ist die Beil ./F offenbar unvollständig.

4. Nach der Judikatur soll Schmerzengeld grundsätzlich durch eine einmalige Abfindung für Ungemach zuerkannt werden, dass der Verletzte voraussichtlich zu erdulden hat. Es soll der gesamte Komplex der Schmerzempfindungen, auch soweit es für die Zukunft beurteilbar ist, erfasst werden (RIS-Justiz RS0031307; RS0031191). Keine Globalbemessung erfolgt dagegen, wenn die Folgen der Körperschädigung noch nicht voraussehbar sind, wenn also die Auswirkung der Verletzungen nicht oder nicht annähernd in vollem Umfang erfasst werden können (RIS-Justiz RS0031082; RS0115721). Auch künftig zu erwartende Schmerzen können bei der Bemessung des Schmerzengeldes berücksichtigt werden, wenn sie vorhersehbar sind und ihr Ausmaß so weit abgeschätzt werden kann, dass eine Globalbemessung möglich ist (RIS-Justiz RS0031300).

Wird bei einem Vergleichsabschluss nach seiner Entstehungsgeschichte und seinem Wortlaut die Geltendmachung weiterer Schmerzengeldansprüche vorbehalten, besteht allerdings die Möglichkeit neue Ansprüche zu stellen. Ein Vergleich steht einer Nachforderung des Klägers nicht entgegen, wenn von seiner Bereinigungswirkung ausgenommene unfallbedingte Schmerzen begehrt werden (RIS-Justiz RS0031035).

Insoweit kann entgegen der Ansicht der Vorinstanzen nicht davon ausgegangen werden, dass ein außergerichtlicher Vergleich über Schmerzengeldansprüche grundsätzlich eine Globalbemessung dieser Ansprüche beinhaltet. Vielmehr kommt es auf die Auslegung des Vergleichs nach der Vertrauenstheorie und nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen an, wozu - wie erwähnt - ausreichende Feststellungen fehlen.

Es war daher der Revision Folge zu geben und die Sache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

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