Spruch:
Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen. Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien zu Handen ihrer Vertreter binnen 14 Tagen die mit EUR 1.873,55 (hierin enthalten EUR 312,25 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Text
Begründung
Der am 22. 2. 1980 geborene Kläger erlitt am 18. 6. 2000 bei einem vom alkoholisierten Erstbeklagten verschuldeten Verkehrsunfall als Mitfahrer (am Rücksitz) im vom Zweitbeklagten gehaltenen und bei der drittbeklagten haftpflichtversicherten PKW schwerste und irreversible Verletzungen. Die beklagten Parteien haben dem Kläger (rechtskräftig) zur ungeteilten Hand zu 75 % für dessen Unfallschäden einzustehen. Im Revisionsverfahren ist nur mehr die Höhe des Schmerzengeldes (Zuspruch des Berufungsgerichtes global EUR 180.000,-- anstatt wie begehrt EUR 218.018,50, gekürzt um den unstrittigen Mitverschuldensanteil des Verletzten von einem Viertel) sowie der Verunstaltungsentschädigung (Zuspruch des Berufungsgerichtes global EUR 30.000,-- statt wie begehrt EUR 36.336,41, gekürzt wiederum um denselben Viertelanteil) strittig.
Im Einzelnen erlitt der Kläger (zusammengefasst) ein schweres Schädelhirntrauma mit Blutung in die Hirnkammern und zahlreichen basalen Scheerblutungen sowie Verletzung des Kleinhirns. Trotz mehrfacher Operationen verblieb ein schweres organisches Psychosyndrom, das im Verein mit den neurologischen Auffälligkeiten (Kleinhirnstörung) in der klinischen Symptomatik nahezu einem sog apallischem Syndrom (Wachkoma) gleichkommt, weiters eine Lähmung aller Extremitäten mit spastischer linksbetonter Muskeltonuserhöhung und daraus resultierender Unfähigkeit, diese zu bewegen mit damit verbundener Rollstuhlpflichtigkeit. Dem Kläger sind keine sprachlichen Äußerungen möglich (nur fallweise unwillkürliche unverständliche Lautäußerungen), eine Kontaktaufnahme ist nicht möglich, ebenso nicht zielgerichtete Bewegungen bzw eine aktive Kraftleitung. Er sieht meist starr vor sich hin, kann offensichtlich die Vorgänge um sich herum nicht einordnen und verstehen und ist auch verbal nicht erreichbar. Seine Auffassung ist aufgehoben; eine verwertbare Konzentrations- und Aufmerksamkeitsleistung kann nicht erbracht werden. Er ist gefühlsmäßig nicht erreichbar. Es besteht eine hochgradige eingeengte affektive Schwingungsbreite. Das Wesentliche kann vom Kläger nicht mehr erkannt werden, seine Kritik- und Einsichtsfähigkeit sind aufgehoben. Durch die Kontrakturstellungen kann es auch in weiterer Folge trotz intensiver physiotherapeutischer Maßnahmen zu einer Zunahme der Schmerzen sowohl von Seiten der Muskulatur als auch der fehlgestellten Gelenke kommen; diese werden, weil Schmerzen Primitivreize sind, sicherlich wahrgenommen und trotz therapeutischer Maßnahmen auch zunehmen. Auf Grund der Schwere des Unfalles, der notwendigen Operationen, der eingetretenen Komplikationen, der Notwendigkeit der intensiv-therapeutischen Maßnahmen, der lang andauernden Beatmung und künstlichen Ernährung sowie der nachfolgenden Neurorehabilitation und der noch zu erwartenden Schmerzen liegen beim Kläger an rein körperlichen unfallkausalen Schmerzen 30 Tage starke, 90 Tage mittelstarke und 430 Tage leichte Schmerzen vor.
Auf Grund der Schwere der Verletzung, des Umstandes, dass der Kläger in seiner Lebensqualität praktisch auf Null abgesunken ist, der Lähmungserscheinungen an sämtlichen Extremitäten, der Unfähigkeit mit seiner Umwelt zu kommunizieren und wesentliche Eindrücke aus der Umwelt aufzunehmen, liegt eine über das normale Maß hinausgehende psychische Alteration vor. Beim Kläger kann man nicht zu 100 % davon ausgehen, dass er nichts wahrnimmt; allfällige Wahrnehmungen wären aber auf einem sehr niedrigem Niveau festzusetzen.
Beim Kläger bestehen mehrfache Narben im Kopf-, Hals- und Abdomenbereich sowie ein Knochendefekt im Bereich der Schädelkalotte. Er wird zeitlebens behindert bleiben und nicht in der Lage sein, sein Leben in irgend einer Art zu genießen.
Beide Vorinstanzen erachteten ein (ungekürztes) Schmerzengeld von EUR 180.000,-- für angemessen, das Erstgericht überdies eine Verunstaltungsentschädigung in Höhe von EUR 21.000,--, welche das Berufungsgericht auf EUR 30.000,-- anhob.
Das Berufungsgericht hat die ordentliche Revision für zulässig erklärt, weil es eine erhebliche Rechtsfrage sei, ob es mit der Zuerkennung einer Verunstaltungsentschädigung in (ungekürzter) Höhe von EUR 30.000,-- seinen Ermessensrahmen überschritten habe. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung im Sinne der von ihr begehrten und bereits wiedergegebenen Summenbeträge anzuheben. Hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt. Die beklagten Parteien haben eine Revisionsbeantwortung erstattet, in welcher primär die Zurückweisung des gegnerischen Rechtsmittels mangels Vorliegens einer im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage, in eventu, dem Rechtsmittel des Gegners keine Folge zu geben, beantragt wird.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof ist gemäß § 508a Abs 1 ZPO an den Ausspruch des Berufungsgerichtes über die Zulassung der ordentlichen Revision nicht gebunden. Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, dass die Höhe des angemessenen Schmerzengeldes (und gleichermaßen der Verunstaltungsentschädigung) als Frage des Einzelfalles in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zu begründen vermag. Lediglich im Falle einer eklatanten Fehlbemessung, die völlig aus dem Rahmen der ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung fällt, wäre zur Vermeidung einer gravierenden Ungleichbehandlung durch die Rechtsprechung und damit letztlich aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit eine Revision dennoch ausnahmsweise zulässig (RIS-Justiz RS0042887; Kodek in Rechberger, ZPO2 Rz 3 zu § 502; ausführlich Danzl in Danzl/Gutiérrez-Lobos/Müller, Schmerzengeld8 226 f mwN). Davon kann weder hinsichtlich des Schmerzengeldes noch der Verunstaltungsentschädigung eine Rede sein. Die Entscheidung des Berufungsgerichtes ist vielmehr dem konkret zur Beurteilung anstehenden Verletzungsbild adäquat ausgewogen und auch im Lichte der bestehenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes gemäß § 502 Abs 1 ZPO nicht korrekturbedürftig.
Die Rechtsprechung zu den bisherigen Schmerzengeldhöchstbeträgen ab EUR 200.000,--, was auch der Kläger anstrebt, lassen sich wie folgt kurz zusammenfassen (Näheres hiezu siehe Danzl, CD-ROM Schmerzengeld-Entscheidungen, Ausgabe Update 1/2006, sowie Kolmasch, Aktuelle Schmerzengeldbeträge für schwere Verletzungen, Zak 2006, 87):
Zu 2 Ob 237/01v (SZ 2002/50 = ZVR 2002/66 [Danzl] = VersE 1908) wurde einem bei einem Geisterfahrerunfall schuldlos schwerstverletzten 21-jährigen Mann (neben Schädelhirntrauma des Grades II und zahlreichen Knochenbrüchen samt schweren inneren Verletzungen hohe Querschnittssympotmatik mit Lähmung des Rumpfes und aller vier Extremitäten, weiters Augenmuskellähmung und Lähmung des Atemnervs mit der Notwendigkeit, bis an sein Lebensende - Lebenserwartung 10 bis 14 Jahre - künstlich beatmet zu werden, verbunden auch mit daraus resultierender ständiger bewusst erlebter Todesangst, wobei der Mann seither rund um die Uhr ständiger Pflege bedarf), ein Schmerzengeld von EUR 218.018,50 (S 3 Mio) zuerkannt. In zwei weiteren Fällen hat der Oberste Gerichtshof außerordentliche Revisionen im Zusammenhang mit Schmerzengeldzusprüchen von jeweils EUR 200.000,-- (gemäß § 510 Abs 3 Satz 2 ZPO ohne Begründung) zurückgewiesen, und zwar zunächst zu 2 Ob 173/04m (Zuspruch dieses Betrages durch das Oberlandesgerichtes Innsbruck zu 1 R 66/04x an eine 22-jährige Frau mit schwerem Schädelhirntrauma samt Gehirnquetschungsblutungen und teilweiser Entfernung der Schädeldecke, mehrfachen Knochenbrüchen, Arm- und Stuhlinkontinenz, vollständigem Gebrauchsverlust der rechten oberen und unteren Extremität sowie einem hochgradigen organischen Psychosyndrom mit geistigem Rückfall auf den Zustand eines vier- bis fünfjährigen Kindes, 100 %iger Arbeitsunfähigkeit und Angewiesenheit auf Fremdhilfe bei fast allen täglichen Verrichtungen); weiters zu 2 Ob 257/04i (Zuspruch ebenfalls EUR 200.000,-- durch das Oberlandesgericht Linz zu 11 R 13/04t bei einem 32-jährigen Mann mit apallischem Syndrom samt hochgradiger spastischer linksbetonter Tetraspastik sowie Stuhl- und Harninkontinenz nach schwerem geschlossenen Schädelhirntrauma, Wirbelkörperbrüchen, Hüft- und Armbrüchen, Mittelgesichtsfrakturen und Lungenkontusionen ohne Schmerzempfinden und ohne Besserungsaussicht). Das Oberlandesgericht Innsbruck hat zu 4 R 110/05s einem jungen Mann mit schwerem Schädelhirntrauma und Schädelbasisfraktur samt (zunächst) Ausprägung eines apallischem Syndroms mit allmählichem Übergang in ein höchstgradig posttraumatisches Psychosyndrom mit hochgradiger Tetraparese (hochgradiges spastische Mukeltonauserhöhung an den Extremitäten mit partiellen Kontrakturen), Möglichkeit der Kontaktaufnahme nur unter Verwendung eines Ja-Nein-Codes ohne Aussicht auf Besserung und vollständiger Pflegeabhängigkeit ein Schmerzengeld von EUR 210.000,-- zugesprochen; in der diese Unfallssache betreffenden Entscheidung des erkennenden Senates 2 Ob 176/05d war das Schmerzengeld nicht mehr Gegenstand der Anfechtung. Der vom Kläger angestrebte Vergleich insbesondere mit der Entscheidung 2 Ob 237/01v (SZ 2002/50) muss daran scheitern, dass sich der Kläger dort - anders als sein in etwa gleichaltriges Pendant im hier zu beurteilenden Fall - seiner Situation „völlig bewusst" und zufolge der ständigen Abhängigkeit von einer Beatmungsmaschine auch permanenter Todesangst ausgesetzt ist, während der Kläger hier seine Situation - wenn überhaupt - nur auf einem „sehr niedrigem Niveau" wahrzunehmen in der Lage ist. Dieser gravierende Unterschied im Sachverhaltsbild (iVm zahlreichen Knochenbrüchen, die beim Kläger hier ebenfalls nicht vorlagen) lässt die vom Berufungsgericht vorgenommene Schmerzengeldbemessung keineswegs unvertretbar erscheinen. Der Zuspruch des Berufungsgerichtes ist vielmehr der Entscheidung 2 Ob 145/02s, ZVR 2002/95, vergleichbar, worin der erkennende Senat bei einem zum Unfallszeitpunkt 17-jährigen Burschen mit Schädelhirntrauma samt apallischem Sydrom, diversen Knochenbrüchen, Harn- und Stuhlinkontinenz sowie 100 % Invalidität (Rollstuhlpatient) bereits ein Gesamtschmerzengeld von EUR 180.000,-- für angemessen erachtet hatte.
Auch die Höhe der Verunstaltungsentschädigung - bei welcher die Diskrepanz zwischen Zuspruchs- und begehrtem Betrag noch geringer ist - wurde vom Gericht zweiter Instanz (das hiezu auch eine Reihe von Belegstellen mit ähnlichen Verletzungsbildern zitiert hat) ohne gravierende (krasse) Fehlbeurteilung gelöst.
Die Revision ist daher zurückzuweisen.
Die beklagten Parteien haben auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen und daher Anspruch auf Ersatz der Kosten ihrer Revisionsbeantwortung (§§ 41, 50 ZPO). Der Einheitssatz war hiebei auf 50 % zu reduzieren (§ 23 Abs 3 RATG). Abs 9 leg cit bezieht sich nicht auf das Revisionsverfahren (7 Ob 70/02y, 9 ObA 241/00g).
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