European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0060OB00028.17M.1025.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 917,02 EUR (davon 152,84 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Begründung der Zurückweisung der ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
Die 2008 geschlossene Ehe der aus Mexiko stammenden Beklagten mit dem Sohn der Kläger wurde mit dem seit 15. 11. 2013 rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichts Baden aus dem Verschulden beider Ehegatten geschieden. Der Ehe entstammen zwei Kinder.
Sowohl im Scheidungs- als auch im Pflegschaftsverfahren der gemeinsamen Kinder warf die Beklagte dem Sohn der Kläger vor, sie psychisch und physisch misshandelt zu haben. Sie legte im Pflegschaftsverfahren und im Gewaltschutzverfahren, in dem mit einstweiliger Verfügung vom 12. 4. 2013 dem Sohn der Kläger aufgetragen worden war, Zusammentreffen und Kontaktaufnahme mit der Beklagten und den gemeinsamen Kindern zu vermeiden, die Eingabe vom 30. 4. 2013 vor. Über Aufforderung übermittelte sie den Schriftsatz an den im Pflegschaftsverfahren vom Gericht bestellten Sachverständigen und zwei Betreuungseinrichtungen, über die Besuchskontakte mit den Kindern stattfinden sollten. In der Eingabe heißt es:
1. „... haben die vGE, vor allem [Klägerin], einerseits durch Unterlassung und andererseits sogar Beteiligung an den Nötigungen des Kindesvaters an mir Anteil. Die vGE haben Ihren Sohn, den KV, selbst bei körperlichen Übergriffen gegen mich nicht behelligt, sie haben nicht die Behörden informiert, sie haben Ihn durch Zureden und ihr Verhalten in seinem psychisch und physisch gewaltigen Verhalten unterstützt ...“
2. „... haben die vGE, vor allem [Klägerin], durch Unterlassung an den Nötigungen und Gewalttaten seitens des KV an den Kindern [...] Anteil. Die vGE haben ihren Sohn, den KV, selbst bei körperlichen Übergriffen gegen die Kinder und bei Gewaltexzessen gegen sich selbst (Selbstverstümmelung des KV) nicht behelligt. ...“
3. „Die vGE praktizierten körperliche Züchtigung in ihrem Umgang mit Minderjährigen, auch bei den Kindern [...]. Obwohl dieses Verhalten von mir unterbunden wurde, besteht die Vermutung, dass die vGE unbeaufsichtigt körperlich gewalttätig in gewissen Maßen gegenüber den Kindern werden könnten.“
4. „... [Kläger] hat wiederholt bei mehreren Bekannten angerufen, verleumdende Aussagen über mich getätigt und versucht, mögliche oder vermutete Zeugen von mir in den Scheidungs-, Straf- und Pflegschaftsverfahren einzuschüchtern.“
Diese Eingabe hatten zwei Betreuerinnen des Frauenhauses, in das die Beklagte im Dezember 2012 gezogen war, nach den Angaben der Beklagten formuliert. Die Beklagte war der Meinung, dass die Stellungnahme ihren Angaben und der Wahrheit entsprach. In der Folge ließ sie den Schriftsatz noch von einem Freund und einer Mitarbeiterin des Frauenhauses Korrektur lesen. Diese Mitarbeiterin teilt ihren Klientinnen im Frauenhaus mit, dass sie Gesprächsinhalte vertraulich behandelt. Die Beklagte glaubte ihr.
Das Erstgericht gab dem Begehren auf Unterlassung und Widerruf der Äußerungen 1., 2. und 4. der Eingabe statt und wies das Klagebegehren hinsichtlich der Äußerung 3. der Eingabe ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger nicht, hingegen jener der Beklagten im klagsabweisenden Sinn Folge. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteigt und die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob die Beiziehung eines Freundes zur Unterstützung bei der Verfassung von Schriftsätzen einen Rechtfertigungsgrund für die ihm dabei zwangsläufig zur Kenntnis gelangenden herabsetzenden Tatsachenbehauptungen darstellt.
Rechtliche Beurteilung
Weder die vom Berufungsgericht bezeichnete Rechtsfrage noch die in der Revision ausgeführten Rechtsfragen sind Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO.
1. Die wiederholte Behauptung, die Beklagte habe die Kläger nur denunzieren und gerade eine öffentliche Verbreitung der Vorwürfe erreichen wollen, geht nicht vom festgestellten Sachverhalt aus.
Unzutreffend ist die Meinung der Kläger, die inkriminierten Äußerungen hätten weder mit dem Pflegschafts- noch mit dem Gewaltschutzverfahren zu tun, geht es doch in dem einen Verfahren um das Wohl der Kinder und im anderen um den Schutz der Beklagten vor Gewalt.
Entgegen den Ausführungen der Revision hat die Beklagte etwa im Schriftsatz ON 46 (AS 160) geltend gemacht, dass die Äußerungen sowohl gegenüber den Mitarbeitern des Frauenhauses als auch gegenüber dem Freund vertraulich waren und ein Vertrauensverhältnis bestand.
Unbegründet ist die Behauptung der Revision, das Berufungsgericht habe ohne Beweiswiederholung Feststellungen getroffen oder sich vom festgestellten Sachverhalt entfernt. Das Korrekturlesen eines Textes steht nicht zwingend damit im Zusammenhang, dass derjenige, der um das Korrekturlesen bittet, der Sprache, in der der Text verfasst ist, nicht oder nur unzureichend mächtig ist.
2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Beklagten komme der Rechtfertigungsgrund des § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB und die Privilegierung von Prozessbehauptungen im Zusammenhang mit Ansprüchen nach § 1330 ABGB zugute, bedarf keiner Korrektur.
2.1. Nach § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB besteht keine Haftung für eine nichtöffentlich vorgebrachte Mitteilung, deren Unwahrheit der Mitteilende nicht kennt, wenn er oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hatte.
Festzuhalten ist zunächst, dass die Beklagte nach den Feststellungen des Erstgerichts die inkriminierten Äußerungen nicht wissentlich falsch getätigt hat.
2.2.1. Bei der Beurteilung des vertraulichen Charakters einer Mitteilung (also ihrer Nichtöffentlichkeit) kommt es auf die erkennbare Absicht des Mitteilenden an (RIS‑Justiz RS0031972). Ferner entscheidend ist, ob der Mitteilende mit der vertraulichen Behandlung durch den Mitteilungsempfänger rechnen durfte (RIS‑Justiz RS0032413 [T2]; RS0031906). „Nichtöffentlich“ sind vor allem Eingaben an Behörden oder an Angehörige von Berufsgruppen, die einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen (6 Ob 24/17y; Kissich in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.03 § 1330 Rz 49 mwN).
2.2.2. Vertraulichkeit liegt dann vor, wenn mit einer Weiterverbreitung nicht zu rechnen ist (RIS‑Justiz RS0032421 [T3]), zB weil eine gesetzliche oder vertragliche Verschwiegenheitspflicht besteht (RIS‑Justiz RS0032421 [T3]; Reischauer in Rummel, ABGB³ § 1330 Rz 26). Die Mitteilung ist dann nichtöffentlich, wenn sie nach den Umständen des Falls als vertraulich anzusehen ist. Dem steht nicht entgegen, dass sie mehreren Personen zugänglich wird (zB der Sekretärin des Adressaten); die Vertraulichkeit ist aber nicht mehr gegeben, wenn mit einer Weitergabe an außenstehende Personen gerechnet werden muss (RIS‑Justiz RS0031906). Die bloß abstrakte Gefahr der Weitergabe reicht aber nicht aus, um den Rechtfertigungsgrund zu verneinen (6 Ob 184/04h). Jüngst wurde von der Rechtsprechung der Rechtfertigungsgrund des § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB bei Mitteilungen eines Kinderschutzzentrums an den Kinder- und Jugendhilfeträger und an die Familiengerichtshilfe bejaht (6 Ob 24/17y).
2.2.3. Zusammengefasst ist nach der Rechtsprechung von vertraulichen Mitteilungen auszugehen, wenn ihre vertrauliche Behandlung ausdrücklich zur Pflicht gemacht wurde oder wenn sich aus der Sachlage ergibt, dass ihre Weiterverbreitung nicht gewünscht ist, oder wenn eine Schweigepflicht nach den Regeln des Verkehrs anzunehmen ist (RIS‑Justiz RS0079767) und mit einer Weitergabe nicht gerechnet werden muss.
2.3. Das neben der Vertraulichkeit der Mitteilung erforderliche „berechtigte Interesse“ des Empfängers an der Mitteilung ist gegeben, wenn die Mitteilung für die persönlichen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Beziehungen und Verhältnisse von Bedeutung ist oder ein öffentliches Interesse vorliegt (RIS‑Justiz RS0031992; RS0031988). Ob dies der Fall ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0117060 [T1]).
3.1. Nach ständiger Rechtsprechung werden in die Ehre oder den wirtschaftlichen Ruf des Prozessgegners eingreifende Parteibehauptungen im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege unabhängig von der Öffentlichkeit oder Nichtöffentlichkeit des Verfahrens als gerechtfertigt angesehen, sofern sie nicht vorsätzlich wider besseres Wissen erhoben werden. Dahinter steht der Gedanke, dass das Recht, bei Meinungsverschiedenheiten die Hilfe der Gerichte in Anspruch zu nehmen, nicht mit einer Verantwortlichkeit nach § 1330 ABGB für die Rechtsverfolgung bzw ‑verteidigung belastet werden dürfe, sofern kein Rechtsmissbrauch in Form einer wissentlichen Behauptung falscher Tatsachen vorliegt (RIS‑Justiz RS0022784, RS0105665, RS0114015; 6 Ob 40/09i; 4 Ob 46/09g uva).
3.2. Der Rechtfertigungsgrund erfordert zudem, dass dieses Vorbringen nicht nur zeitlich aus Anlass bzw im Rahmen eines Verfahrens erstattet wird, sondern auch einen– wenn auch großzügig zu beurteilenden – inhaltlichen Zusammenhang mit dem Verfahrensgegenstand aufweist. Vorbringen, das rechtlich unerheblich ist und auch nicht zur Illustration, Ausfüllung oder Untermauerung des rechtlich relevanten Tatsachenvortrags erstattet wird, sondern lediglich dazu diente, den Verfahrensgegner anzuschwärzen bzw herabzusetzen, wäre im Sinne der dargestellten Rechtsprechung nicht privilegiert (6 Ob 196/12k; RIS-Justiz RS0022784 [T13]). Von letzterem kann nach den Feststellungen nicht ausgegangen werden.
4.1. Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die inkriminierten Äußerungen in der Eingabe vom 30. 4. 2013 nicht rechtswidrig sind, ist durch die dargestellte Rechtsprechung zur Privilegierung von Prozessvorbringen gedeckt.
4.2. Das Berufungsgericht ist auch nach den Umständen des Falls vertretbar von einer Vertraulichkeit der Mitteilungen an die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses ausgegangen. Frauenhäuser sollen Frauen einen sicheren Zufluchtsort und ein geschütztes Umfeld bieten. Wenngleich keine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht der Mitarbeiterinnen eines Frauenhauses besteht, darf eine schutzsuchende Frau im Hinblick auf den Zweck eines Frauenhauses mit der Verschwiegenheit der Mitarbeiterinnen rechnen. Hinzu kommt, dass eine der Mitarbeiterinnen, der die Mitteilungen gemacht wurden, ihren Klientinnen Vertraulichkeit zusichert.
4.3. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 7 Ob 57/64 (ÖBl 1964, 123) ausgesprochen, dass es keine öffentliche Verbreitung bedeute, wenn jemand seiner Sekretärin einen Brief diktiere, denn insbesondere bei einer „verschwiegenen Angestellten“ könne nicht angenommen werden, dass sie den Inhalt des Schreibens weitergeben werde. Der Auffassung des Berufungsgerichts, dass dem nach den Umständen des Falls das Korrekturlesenlassen durch einen Freund vergleichbar ist, ist nicht entgegenzutreten. Zudem lässt sich das Korrekturlesen des zur Eingabe bei Gericht bestimmten Schriftsatzes dem Prozessvorbringen zuordnen, dessen Erstattung – wie ausgeführt – privilegiert ist. Das Interesse an einer funktionierenden Rechtspflege gebietet es, Parteien eines Gerichtsverfahrens nicht mit einer abschreckenden Verantwortlichkeit nach § 1330 ABGB zu belasten (vgl RIS‑Justiz RS0022781, RS0022784).
4.4. Die Beurteilung des Berufungsgerichts zum Korrekturlesen durch einen Freund steht nicht im Widerspruch zu den Entscheidungen, wonach ein bloßes Freundschaftsverhältnis zwischen Mitteilendem und Empfänger für die Vertraulichkeit nicht ausreicht (6 Ob 2235/96m; 6 Ob 165/01k), ist doch der vorliegende Sachverhalt anders gelagert, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte.
4.5. Was die Übermittlung der Eingabe an die Kinderbetreuungseinrichtungen, über die die Besuchskontakte hinsichtlich der Kinder abgewickelt werden sollten, betrifft, so kann nach den Feststellungen des Erstgerichts davon ausgegangen werden, dass die Übermittlung in Entsprechung einer Aufforderung des Pflegschaftsgerichts erging.
5. Das Berufungsgericht hat einzelfallbezogen auch ein berechtigtes Interesse der Mitarbeiterinnen des Frauenhauses vertretbar bejaht, zumal die Unterstützung von schutzsuchenden Frauen die Kernaufgabe der Frauenhäuser ist.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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