OGH 7Ob37/17t

OGH7Ob37/17t21.9.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** P*****, vertreten durch die Mag. Friedrich Kühleitner Mag. Franz Lochbichler Rechtsanwälte-Strafverteidiger OG in Schwarzach im Pongau, gegen die beklagte Partei W*****-Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Mag. Alexandra Knapp, Rechtsanwältin in Salzburg, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 11. Jänner 2017, GZ 2 R 196/16f‑22, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0070OB00037.17T.0921.000

 

Spruch:

Die Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1. Keine Mangelhaftigkeit des Berufungs‑ verfahrens im Sinne des § 503 Z 2 ZPO bei der Entscheidung von Beweiswürdigungsfragen liegt vor, wenn in der Begründung der Entscheidung ein Umstand nicht erwähnt wurde, der hätte erwähnt werden können oder eine Erwägung nicht angestellt wurde, die hätte angestellt werden können (RIS-Justiz RS0040165; vgl RS0043162). Eine bloß mangelhafte und unzureichende Beweiswürdigung kann im Revisionsverfahren nicht angefochten werden (RIS-Justiz RS0043371). Die Entscheidung des Berufungsgerichts über eine Beweisrüge ist mängelfrei, wenn es sich mit dieser überhaupt befasst, die Beweiswürdigung des Erstgerichts überprüft und nachvollziehbare Überlegungen über die Beweiswürdigung anstellt und in seinem Urteil festhält (RIS‑Justiz RS0043150).

Dies ist hier der Fall. Mit Überlegungen zu Rechtsfolgen im Fall, dass die begehrte Ersatzfeststellung getroffen worden wäre, bot das Berufungsgericht nur eine nicht tragende Hilfsbegründung an; eine solche kann nicht zum Gegenstand eines außerordentlichen Rechtsmittels gemacht werden, weil sie für den Streitausgang nicht erheblich ist (RIS-Justiz RS0042736; vgl RS0118709 [T2]).

1.2. Das Klagebegehren ist so zu verstehen, wie es im Zusammenhalt mit der Klagserzählung vom Kläger gemeint ist. Das Gericht hat ein nur versehentlich unrichtig formuliertes Klagebegehren richtig zu fassen. Eine in diesem Rahmen geänderte Formulierung ist keine Überschreitung des Begehrens im Sinne des § 405 ZPO (RIS-Justiz RS0037440).

Eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung der Vorinstanzen durch die zeitliche Umschreibung des Versicherungsfalls „in der Nacht vom 11. auf den 12. Mai“ – gegenüber dem Klagebegehren („Schadensfall vom 11. Mai“) – wird nicht nachvollziehbar dargelegt, zumal auch die Revisionswerberin selbst in erster Instanz keine Zweifel an der Identität und konkreten Zuordnung des Schadensfalls äußerte.

2. Der versicherungsrechtliche Begriff der „Gefahr des täglichen Lebens“ ist nach ständiger Rechtsprechung so auszulegen, dass davon jene Gefahren, mit denen üblicherweise im Privatleben eines Menschen gerechnet werden muss, umfasst sind (RIS-Justiz RS0081099). Die Gefahr, haftpflichtig zu werden, stellt im Leben eines Durchschnittsmenschen nach wie vor eine Ausnahme dar. Deshalb will die Privathaftpflichtversicherung prinzipiell Deckung auch für außergewöhnliche Situationen schaffen, in die auch ein Durchschnittsmensch hineingeraten kann. Damit sind aber nicht alle ungewöhnlichen und gefährlichen Tätigkeiten abgedeckt (RIS-Justiz RS0081276). Für das Vorliegen einer Gefahr des täglichen Lebens ist nicht erforderlich, dass sie geradezu täglich auftritt. Vielmehr genügt es, wenn die Gefahr erfahrungsgemäß im normalen Lebensverlauf immer wieder, sei es auch seltener, eintritt. Es darf sich nur nicht um eine ungewöhnliche Gefahr handeln, wobei Rechtswidrigkeit oder Sorglosigkeit eines Vorhabens den daraus entspringenden Gefahren noch nicht die Qualifikation als solche des täglichen Lebens nehmen. Voraussetzung für einen aus der Gefahr des täglichen Lebens verursachten Schadenfall ist nämlich eine Fehlleistung oder eine schuldhafte Unterlassung des Versicherungsnehmers; für die von der Haftpflichtversicherung erfassten Risiken ist es geradezu typisch, dass ihnen eine leichte oder sogar grobe Fahrlässigkeit zugrundeliegt (RIS-Justiz RS0081070 [insb T2]). Das bewusste Schaffen einer Situation, die eine Brandgefahr oder Explosionsgefahr mit sich bringt, aus bloßem Mutwillen gehört bei Erwachsenen jedoch nicht zur Gefahr des täglichen Lebens (RIS-Justiz RS0081317).

Die Entscheidungen der Vorinstanzen halten sich im Rahmen der dargelegten Judikatur und sind im Einzelfall nicht zu beanstanden, wenn sie die Rechtsansicht vertreten, dass sich eine Gefahr des täglichen Lebens verwirklichte, als der Kläger im Rahmen des Brauchtums beim Brautsingen einen Böller in zu geringem Abstand von den anderen Gästen zündete, weil er ihn von einem Teilnehmer erhielt und fahrlässig nicht erkannte, dass es sich um einen solchen der Klasse F3 oder F4, und nicht – wie von ihm angenommen – um einen handelsüblichen (der Klasse F2) handelte.

Von der Revisionswerberin in diesem Zusammenhang geltend gemachten sekundären Feststellungsmängeln stehen konträre Feststellungen der Tatsacheninstanzen entgegen, womit die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt wird (vgl RIS-Justiz RS0043480 [insb T2, T11, T15, T19, T21]). Dies gilt auch insofern, als in der Revision ein anderer Sachverhalt als festgestellt (bewusstes oder gewolltes Hinwegsetzen über eine erkannte Verbotsregelung) zugrunde gelegt wird (vgl RIS-Justiz RS0043312,

RS0043603).

3.1. Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall dienen dem Zweck, den Versicherer vor vermeidbaren Belastungen und ungerechtfertigten Ansprüchen zu schützen. Die Drohung mit Anspruchsverlust soll den Versicherungsnehmer motivieren, die Verhaltensregeln ordnungsgemäß zu erfüllen; ihr kommt eine generalpräventive Funktion zu (RIS-Justiz RS0116978). Der Versicherer braucht nur den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung nachzuweisen, während es Sache des Versicherungsnehmers ist, zu behaupten und zu beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen habe (RIS-Justiz RS0081313).

Dass – bei grob fahrlässiger Begehung einer Obliegenheitsverletzung – die Verletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung und den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung einen Einfluss gehabt hat, ist vom Versicherungsnehmer im Verfahren erster Instanz zu behaupten und zu beweisen (RIS‑Justiz RS0081313). Dem Versicherungsnehmer steht also der Kausalitätsgegenbeweis offen (RIS-Justiz RS0116979).

3.2. Die Vorinstanzen sind davon ausgegangen, dass der Kläger in erster Instanz erkennbar zum Kausalitätsgegenbeweis vorgebracht hat. Ob im Hinblick auf den Inhalt der Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, ist eine Frage des Einzelfalls, der – abgesehen von (hier nicht vorliegenden) Verstößen gegen Denkgesetze oder Unvereinbarkeit mit dem Wortlaut – zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung keine erhebliche Bedeutung zukommt (RIS-Justiz RS0042828).

3.3. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass dem Kläger der strikt zu führende (RIS-Justiz RS0079993) Kausalitätsgegenbeweis gelungen ist, weil trotz Verletzung der Pflicht zur unverzüglichen Anzeige des Versicherungsfalls (Schadensmeldung) und des Unterlassens der Sicherung der Böllerreste dennoch objektiv bewiesen werden konnte, dass der Kläger mit einem Feuerwerkskörper der Klasse F3 oder F4 hantierte, worauf sich die Beklagte stützt, ist im Einzelfall noch vertretbar.

3.4. Eine Obliegenheitsverletzung konkret dahin, dass der Kläger seine Schadenmeldung inhaltlich unrichtig erstattet hätte, wurde in erster Instanz nicht substanziiert behauptet.

4. Insgesamt zeigt die Revision keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung des vorliegenden Einzelfalls durch die Vorinstanzen auf.

5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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