OGH 10ObS34/17y

OGH10ObS34/17y21.3.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Schramm und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Herbert Bauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei O*****, vertreten durch Mag. Christoph Arnold, Mag. Fiona Arnold, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 26. Jänner 2017, GZ 25 Rs 118/16p‑32, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00034.17Y.0321.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1 Der Kläger war im Rahmen seines letzten Angestelltendienstverhältnisses zunächst vom 1. 5. 2001 bis Mai 2012 als Abteilungsleiter, danach von Juni 2012 bis zum Ende des Dienstverhältnisses am 31. 1. 2015 als „Prozessmanager“ tätig.

1.2 Als Abteilungsleiter war der Kläger in die Verwendungsgruppe M 3 des Rahmenkollektivvertrags für Angestellte der Industrie eingeordnet und Vorgesetzter von 150 bis 180 Mitarbeitern. Obwohl die Tätigkeit als „Prozessmanager“ inhaltlich der niedrigeren Verwendungsgruppe M 2 des Kollektivvertrags entspricht, wurde der Kläger weiterhin nach der Verwendungsgruppe M 3 entlohnt. Sowohl bei der Tätigkeit als Abteilungsleiter als auch bei der Tätigkeit als „Prozessmanager“ handelt es sich um administrative Bürotätigkeiten in der Produktion. Auch als „Prozessmanager“ hatte der Kläger nach wie vor das Management der Arbeitsabläufe zu erledigen, dies jedoch im geringeren Umfang und in verschiedenen Bereichen. Als „Prozessmanager“ führte der Kläger ähnliche Aufgaben aus, die er bereits als Abteilungsleiter zu verantworten hatte, als „Prozessmanager“ allerdings in geringerem Umfang und mit geringerer Verantwortung im Vergleich zur Position des Abteilungsleiters. Auch als „Prozessmanager“ war der Kläger noch Vorgesetzter von 20 bis 24 Mitarbeitern, für deren Mitarbeiterführung und Personalentwicklung er zuständig war. Als „Prozessmanager“ war der Kläger zwar in einer anderen Abteilung, aber immer noch im Produktionsprozess mit jenen administrativen Aufgaben betraut, die er zuvor im größeren Umfang und mit höherer Verantwortung als Abteilungsleiter verrichtet hatte. Österreichweit existieren in verschiedenen Branchen insgesamt mehr als 100 Arbeitsplätze als „Prozessmanager“, in der Branche, in der der Kläger konkret tätig war, sind es weniger als 100 Arbeitsplätze.

1.3 Der Kläger ist zwar aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr in der Lage, eine Tätigkeit als Abteilungsleiter auszuüben. Er ist jedoch trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen weiterhin in der Lage, die von ihm zuletzt über mehr als zwei Jahre ausgeübte Tätigkeit eines „Prozessmanagers“ auszuüben.

2. Es entspricht der von den Vorinstanzen ohnedies beachteten ständigen Rechtsprechung, dass die Frage der Verweisung auf andere Tätigkeiten grundsätzlich dann nicht zu prüfen ist, wenn ein Versicherter die zuletzt ausgeübte Angestelltentätigkeit weiterhin ausüben kann. Ist er – wie hier – dazu imstande, ohne dass damit eine ins Gewicht fallende Gefahr der Beeinträchtigung seines Gesundheitszustands verbunden ist, ist er nicht berufsunfähig im Sinne des § 273 ASVG. Nur dann, wenn feststeht, dass der Versicherte die zuletzt ausgeübte Berufstätigkeit nicht mehr in der angeführten Weise ausüben kann, muss geprüft werden, ob für ihn eine andere Berufstätigkeit in Betracht kommt (RIS‑Justiz RS0110071 [T6]; zuletzt 10 ObS 125/12y, SSV‑NF 26/67).

3. Der Revisionswerber führt lediglich aus, dass die vom Berufungsgericht zitierte Rechtsprechung sich auf den Berufsschutz beziehe, bei ihm aber Tätigkeitsschutz vorliege. Es sei daher nicht auf seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als „Prozessmanager“, sondern auf die von ihm über mehr als 120 Kalendermonate in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem (für den Tätigkeitsschutz maßgeblichen) Stichtag 1. 7. 2016 ausgeübte Tätigkeit als Abteilungsleiter abzustellen, sodass Berufsunfähigkeit vorliege. Damit zeigt der Revisionswerber keine Korrekturbedürftigkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichts auf.

4.1 Beim Tätigkeitsschutz der §§ 273 Abs 3, 255 Abs 4 ASVG handelt es sich nicht um einen Arbeitsplatzschutz, sondern um eine – besondere – Form des Berufsschutzes (10 ObS 367/02x, SSV‑NF 16/140; 10 ObS 56/03p, SSV‑NF 17/56; RIS‑Justiz RS0087658 [T3, T4]). Der Tätigkeitsschutz des § 273 Abs 3 ASVG iVm § 255 Abs 4 ASVG eröffnet zwar ein engeres Verweisungsfeld als der Berufsschutz nach § 273 Abs 1 ASVG ( Födermayr in SV‑Komm [140. Lfg] § 273 ASVG Rz 32). Diese Bestimmung stellt jedoch nicht auf die Anforderungen an einen bestimmten Arbeitsplatz ab, sondern auf die „Tätigkeit“ mit dem am allgemeinen Arbeitsmarkt typischerweise gefragten Inhalt (RIS‑Justiz RS0087658 [T5]). Es kommt schon daher nicht auf die konkrete Arbeit des Klägers als Abteilungsleiter, sondern auf die von ihm in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag 1. 7. 2016 mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübte „abstrakte Tätigkeit“ mit dem am allgemeinen Arbeitsmarkt typischerweise gefragten Inhalt an (10 ObS 102/08k, SSV‑NF 22/56 mwH).

4.2 Dabei ist nach der ständigen Rechtsprechung zu den §§ 255 Abs 4, 273 Abs 3 ASVG unter dem Begriff der „einen“ Tätigkeit nicht nur eine einzige (einheitliche) Tätigkeit zu verstehen, sondern es können auch bei mehreren ausgeübten Tätigkeiten – unter Bedachtnahme auf die wesentlichen Tätigkeitselemente (den Kernbereich) – sehr ähnliche Tätigkeiten zu einer Tätigkeit zusammengefasst werden (RIS‑Justiz RS0117063 [T2], zuletzt 10 ObS 118/14x). Der Kernbereich einer Tätigkeit ergibt sich aus den Umständen, die ihr Wesen ausmachen und diese von anderen Tätigkeiten unterscheiden (10 ObS 148/01i, RIS‑Justiz RS0087659 [T5]). Bei der Beurteilung der Verweisbarkeit ist bei qualifizierten Angestelltentätigkeiten überdies maßgeblich, ob in der bisher ausgeübten „einen“ Tätigkeit einerseits und in der möglichen Verweisungstätigkeit andererseits die anzuwendenden Berufskenntnisse, das Maß an Verantwortung, Kontakte mit anderen Personen (Mitarbeiter, Kunden) und Führungsaufgaben sowie die Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit in der Arbeitsverrichtung ähnlich sind (10 ObS 134/04k; 10 ObS 181/03w, SSV‑NF 19/39). Gewisse Einbußen an sozialem Prestige und – allenfalls auch bedingt durch eine um eine Stufe niedrigeren kollektivvertraglichen Einstufung – an Entlohnung muss der Versicherte im Rahmen der Verweisung nach §§ 273 Abs 3, 255 Abs 4 ASVG jedoch hinnehmen (10 ObS 105/06y, SSV‑NF 20/51 mwH; RIS‑Justiz RS0100022 [T22]).

4.3 Die Frage, ob eine solche Übereinstimmung ähnlicher Tätigkeiten vorliegt, kann ebenso wie die Frage, ob eine „zumutbare Änderung“ im Sinn des § 255 Abs 4 Satz 2 ASVG vorliegt, nur an Hand der konkreten Umstände des Einzelfalls geprüft werden und ist daher grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (10 ObS 155/07b mwH; RIS‑Justiz RS0117063 [T7]; RS0100022 [T34]). In diesem Sinn wurde etwa die Verweisbarkeit eines Leiters der Buchhaltung und des Rechnungswesens auf die Tätigkeit eines Gruppenleiters im Bereich der Buchhaltung bejaht (10 ObS 52/05b), ebenso die Verweisbarkeit eines Filialleiters einer Landwirtegenossenschaft mit sechs Mitarbeitern mit dem Aufgabenbereich Personalverwaltung, Ein‑ und Verkauf sowie Kundenbetreuung auf die Tätigkeiten eines Sachbearbeiters im Ein‑ und Verkauf sowie eines Einkäufers (10 ObS 181/03w, SSV‑NF 19/39), die Verweisbarkeit eines Expedit‑, Lagerhallen‑ und Fuhrparkleiters in der Nahrungs‑ und Genussmittelindustrie auf die Tätigkeit als Sachbearbeiter in der Lagerverwaltung (10 ObS 128/06f, SSV‑NF 20/59), oder die Verweisbarkeit eines Controllers und Kostenrechners auf Bürotätigkeiten in der Fakturierung, die eigenständig ausgeübt werden (10 ObS 39/11z, SSV‑NF 25/45).

5. Der Kläger führte daher auch als Prozessmanager ähnliche Aufgaben aus, wie er sie als Abteilungsleiter zu verantworten hatte. Seine Tätigkeit entsprach zwar einer um eine Stufe niedrigeren Verwendungsgruppe des anzuwendenden Kollektivvertrags, wurde aber unverändert wie die Tätigkeit als Abteilungsleiter entlohnt und vom Kläger ebenfalls mit einem vergleichbaren Maß an Eigenverantwortung ausgeübt. Nach den oben auszugsweise wiedergegebenen, den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen ist daher vom Vorliegen „einer“ Tätigkeit des Klägers im Beobachtungszeitraum auszugehen, von der er eine wesentliche, im Kernbereich ähnliche Teiltätigkeit als „Prozessmanager“, bei der auch das Arbeitsumfeld dem bisherigen ähnlich ist (10 ObS 181/03w, SSV‑NF 19/39 mwH), trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen noch ausüben kann.

6. Ausgehend davon ist das Berufungsgericht in vertretbarer Weise im konkreten Fall zur Beurteilung gelangt, dass beim Kläger keine Berufsunfähigkeit vorliege. Im Ergebnis ist es dabei ohnedies vom Vorliegen „einer“ Tätigkeit im dargestellten Sinn ausgegangen. Der Revisionswerber behauptet weder, dass es sich bei der Tätigkeit als „Prozessmanager“ und jener eines Abteilungsleiters nicht um „eine“ Tätigkeit im Sinn des § 255 Abs 4 handeln würde, noch, dass es sich bei der Tätigkeit des „Prozessmanagers“ lediglich um eine deutlich untergeordnete Teiltätigkeit im Sinn dieser Bestimmung handeln würde. Er führt vielmehr zusammengefasst lediglich aus, es sei auf seine Tätigkeit als Abteilungsleiter abzustellen, weil Tätigkeitsschutz vorliege und ein „unzulässiges Gleichsetzen“ von Berufs‑ und Tätigkeitsschutz dem „Grundsatz sozialer Rechtsanwendung“ widerspreche. Damit unterlässt es der Revisionswerber aber darzulegen, aus welchen Gründen die rechtliche Beurteilung der Sache im konkreten Einzelfall unrichtig erscheint (RIS‑Justiz RS0043605).

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