OGH 10ObS118/14x

OGH10ObS118/14x30.9.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Ing. Thomas Bauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Dr. Sebastian Mairhofer und Mag. Martha Gradl, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau, 1060 Wien, Linke Wienzeile 48‑52, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 24. Juli 2014, GZ 11 Rs 62/14p‑16, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:010OBS00118.14X.0930.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Die Frage, ob eine Verweisungstätigkeit eine „zumutbare Änderung“ der im Sinne des Tätigkeitsschutzes nach § 255 Abs 4 ASVG maßgebenden „einen“ Tätigkeit darstellt, kann nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden und bildet als Frage des Einzelfalls regelmäßig keine iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage (RIS‑Justiz RS0100022 [T25, T34, T37]).

2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, eine Tätigkeit des Klägers als Schulbusfahrer stelle eine zumutbare Verweisungstätigkeit der vom Kläger bisher ausgeübten Tätigkeit als Straßenbahnfahrer dar, liegt im Rahmen der vom Berufungsgericht zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in vergleichbaren Fällen.

3. Nach der ständigen Rechtsprechung ist unter dem Begriff der „einen“ Tätigkeit nicht nur eine einzige (einheitliche) Tätigkeit zu verstehen, sondern es können auch bei mehreren ausgeübten Tätigkeiten ‑ unter Bedachtnahme auf die wesentlichen Tätigkeitselemente (den Kernbereich) ‑ sehr ähnliche Tätigkeiten zu einer Tätigkeit zusammengefasst werden (RIS‑Justiz RS0117063 [T2]). Eine Tätigkeit, die einerseits als „eine“ Tätigkeit zu qualifizieren ist, stellt andererseits jedenfalls auch eine zumutbare Verweisungstätigkeit dar (RIS‑Justiz RS0117063 [T3]).

3.1 Nach ständiger Rechtsprechung muss im Rahmen des § 255 Abs 4 ASVG eine Verweisung bzw Änderung der bisherigen Tätigkeit jedenfalls dann als zumutbar angesehen werden, wenn die Verweisungstätigkeit bereits bisher als eine wesentliche Teiltätigkeit ausgeübt wurde und das Arbeitsumfeld dem bisherigen ähnlich ist. Kriterien sind dabei neben dem technischen Umfeld unter anderem auch die Kontakte mit Mitarbeitern und Kunden sowie die räumliche Situation, etwa ob die Arbeiten im Freien oder am Fließband auszuüben sind. Dabei kann der Branche keine allein ausschlaggebende Bedeutung zukommen; sie kann aber bei der Konkretisierung des Umfelds eine Rolle spielen (RIS‑Justiz RS0100022). Ein anderer Tätigkeitsbereich als bisher ist jedenfalls unzumutbar, wenn er eine wesentliche Änderung des beruflichen Umfelds des Versicherten bedeuten würde wie zB das Erlernen gänzlich neuer Tätigkeiten oder den Verweis auf eine Tätigkeit, die in einem anderen arbeitskulturellen Umfeld erbracht werden muss. Dabei wird auch von Bedeutung sein, welchen Zeitraum eine für die Ausübung eines Verweisungsberufs notwendige Anlernung voraussichtlich in Anspruch nehmen wird (RIS‑Justiz RS0100022 [T9]).

3.2 Im Bereich des Güter‑ und Personentransports hat der Oberste Gerichtshof in der einen Lieferwagenfahrer, dem kein Berufsschutz zukam, betreffenden Entscheidung 10 ObS 21/04t (SSV‑NF 18/21) ausgesprochen, dass Tätigkeiten im Personentransport (Direktionschauffeur oder Lenker im Behindertenfahrtendienst) eine zumutbare Änderung iSd § 255 Abs 4 ASVG seiner bisherigen Tätigkeit im Gütertransport darstellen. In gleicher Weise gelangte der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 113/08b (SSV‑NF 23/3) zu dem Ergebnis, dass die Tätigkeit eines Apothekenzustellers im innerstädtischen Bereich eine „zumutbare Änderung“ der Tätigkeit des (damaligen) Klägers als Buschauffeur sei. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass als arbeitskulturelles Umfeld der weite Bereich von Verkehr und Transport auf öffentlichen Straßen in Betracht komme, der keine wesentliche Änderung erfahre. Der Erwerb neuer Kenntnisse sei nicht erforderlich. Der Kernbereich der Tätigkeit (Lenken von Kraftfahrzeugen) erfahre keine Änderung. Kontakte mit Kunden seien ‑ wenn auch in unterschiedlicher Form ‑ bei beiden Tätigkeiten gegeben. In der Entscheidung 10 ObS 72/12d (SSV‑NF 26/43) bejahte der Oberste Gerichtshof ebenfalls die Verweisbarkeit eines bisher überwiegend als LKW‑Fahrer im Gütertransport tätig gewesenen Versicherten, dem kein Berufschutz zukam, im Rahmen des § 255 Abs 4 ASVG auf die Tätigkeit eines Überstellers von Neuwagen und eines Lenkers von PKW im Personentransport (Transport von Schülern, Kindern und behinderten Personen). Hingegen wurde in der Entscheidung 10 ObS 12/04v (SSV‑NF 18/19) ausgesprochen, dass ein Versicherter, der als Muldenkippenfahrer in einem Steinbruch tätig war, nicht auf die Tätigkeit als Zusteller auf öffentlichen Straßen mit leichten Zustellfahrzeugen verwiesen werden dürfe, weil es sich bei diesen beiden Tätigkeiten um bereits in ihrem Kernbereich unterschiedliche Tätigkeiten handle.

4. Die Vorinstanzen sind in vertretbarer Rechtsansicht davon ausgegangen, dass der Kernbereich der Tätigkeiten eines Straßenbahnfahrers und eines Schulbusfahrers, nämlich die Personenbeförderung im öffentlichen Verkehr, im Wesentlichen gleich ist, auch wenn der Tätigkeitsinhalt eines Schulbusfahrers das Lenken von Kraftfahrzeugen und jener eines Straßenbahnfahrers das Lenken von Schienenfahrzeugen ist. Auch das Aufsuchen von Haltestellen und eine erhöhte Konzentration beim Anhalten in der Haltestelle und beim Einsteigen der Fahrgäste ist beiden Berufen gemein. Sowohl dem Straßenbahnfahrer als auch dem Schulbusfahrer wird eine erhöhte Aufmerksamkeit im Hinblick auf andere (ungeschützte) Verkehrsteilnehmer abverlangt, in beiden Tätigkeitsfeldern ist eine besonders vorausschauende Fahrweise erforderlich. Beide Tätigkeiten stellen daher im Wesentlichen ähnliche physische und psychische Anforderungen an Intelligenz, Umsicht, Verantwortungsbewusstsein und Konzentrationsfähigkeit des Lenkers. Beide Berufsgruppen haben die Personenbeförderung im öffentlichen Verkehr zum Inhalt, weshalb sich der vorliegende Sachverhalt von dem der Entscheidung 10 ObS 12/04v (SSV‑NF 18/19) zugrundeliegenden Sachverhalt unterscheidet, weil der damalige Kläger als Muldenkippenfahrer eine Tätigkeit ausschließlich in einem Betriebsgelände ausgeführt hat und daher nicht in den öffentlichen Verkehr eingebunden war. Das Erstgericht hat mit Recht auch darauf hingewiesen, dass eine Straßenbahn ebenso wie ein Schulbus in den öffentlichen Verkehr eingebunden ist und dem Kläger daher durch seine jahrelange Tätigkeit als Straßenbahnfahrer die Anforderungen, Gegebenheiten und Gefahren des öffentlichen Verkehrs bekannt sind.

4.1 Auch hinsichtlich des arbeitskulturellen Umfelds tritt somit keine wesentliche Änderung ein, weil auch durch die in Betracht kommende Verweisungstätigkeit eines Schulbusfahrers der weite Bereich von Verkehr und Transport auf öffentlichen Straßen nicht verlassen wird. Dies trifft im Wesentlichen auch auf die räumliche Situation zu, da der Kläger als Schulbusfahrer weiterhin wie gewohnt seine Tätigkeit in einem Fahrzeug ausübt. Dem Argument des Klägers, es liege eine Änderung des technischen Umfelds aufgrund der unterschiedlichen Antriebsart vor, hat bereits das Berufungsgericht unwiderlegt entgegengehalten, dass die Behebung von technischen Defekten eines Schienenfahrzeugs nicht in das Aufgabengebiet des jeweiligen Straßenbahnfahrers fällt, sondern dafür entsprechende Fachkräfte herangezogen werden.

4.2 Das Berufungsgericht hat weiters näher dargelegt, dass der Kläger, dem unbestritten kein Berufsschutz zukommt, über die für den Erwerb eines Schülertransportausweises notwendigen Voraussetzungen, insbesondere über eine Lenkerberechtigung für die Klasse B verfügt, er seit vielen Jahren und nach wie vor mit dem PKW privat unterwegs ist und die notwendige Einschulung zum Schulbusfahrer innerhalb eines verhältnismäßig kurzen Zeitraums bewerkstelligt werden kann. Soweit der Kläger dem entgegenhält, er habe die Kenntnisse und Fähigkeiten eines Kraftfahrers in seinem Berufsleben nie anzuwenden und zu nutzen gehabt, weshalb eine Verweisung auf die Tätigkeit eines Schulbusfahrers nach § 255 Abs 4 ASVG nicht in Betracht komme, ist ihm entgegenzuhalten, dass nach der Rechtsprechung die Notwendigkeit des „Erlernens gänzlich neuer Tätigkeiten“ ein Verweisungshindernis darstellt, dieses Kriterium jedoch in erster Linie auf Kenntnisse und Fähigkeiten abstellt, die der Versicherte im Rahmen seiner Berufsausbildung zwar erworben, in seinem bisherigen Berufsleben aber nicht anwenden und nicht nutzen musste und sich daher erst wieder aneignen müsste, um sie praktisch anwenden zu können (vgl 10 ObS 56/03p, SSV‑NF 17/56). Dies trifft beim Kläger hinsichtlich der für das Lenken eines Schulbusses erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten unbestritten nicht zu.

Da die Entscheidung des Berufungsgerichts somit im Einklang mit der zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs steht und der Kläger keine für die Entscheidung des Verfahrens relevante Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen vermag, ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

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