OGH 6Ob249/16k

OGH6Ob249/16k30.1.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C***** L*****, vertreten durch Gheneff‑Rami‑Sommer Rechtsanwälte OG in Wien gegen die beklagte Partei H***** S*****, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung nach § 1330 ABGB (Streitwert 34.000 Euro), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 2. November 2016, GZ 13 R 176/16x‑27, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0060OB00249.16K.0130.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1. Nach ständiger Rechtsprechung genügt zur Erfüllung des Tatbestands des „Verbreitens“ einer Tatsachenbehauptung im Sinne des § 1330 Abs 2 ABGB bereits die Mitteilung an eine Person (RIS‑Justiz RS0032421). Diese Judikatur wird auch auf – hier gegenständliche – Ehrenbeleidigungen nach § 1330 Abs 1 ABGB angewendet. Auch Ehrenbeleidigung nach § 1330 Abs 1 ABGB setzt die Verbreitung der Äußerung, also die Mitteilung an zumindest eine vom Täter und Verletzten verschiedene Person, voraus (RIS‑Justiz RS0102047). Es kommt nicht darauf an, ob andere Personen die Äußerung auch vernommen haben; es reicht ihre Wahrnehmbarkeit aus (RIS‑Justiz RS0102047 [T3]).

1.2. In der Entscheidung 6 Ob 37/95 hat der Oberste Gerichtshof zu dieser Frage mit eingehender Begründung Stellung genommen und dargelegt, dass eine Ehrenbeleidigung nur vorliegen kann, wenn überhaupt die Gefahr besteht, dass der Beleidigte anschließend in seinem Ansehen beeinträchtigt sein könnte, was bei einer Ehrenbeleidigung „unter vier Augen“ grundsätzlich nicht denkbar ist (vgl auch RIS‑Justiz RS0102047).

1.3. Von diesen Grundsätzen sind die Vorinstanzen im vorliegenden Fall nicht abgewichen. Der Beklagte vertritt die Auffassung, die Lebensgefährtin des Klägers, also des im Schreiben Beleidigten, sei nicht als „Dritte“ im Sinne der dargestellten Judikatur anzusehen. Dem ist entgegenzuhalten, dass Äußerungen im Familienkreis tatsächlich in der Regel nicht als „öffentlich“ anzusehen sind (RIS‑Justiz RS0107767). Der Schutz des Familienlebens (Art 8 Abs 1 MRK) rechtfertigt unbeschwerte (vertrauliche) Äußerungen innerhalb der Familie auch dann, wenn kein berechtigtes Interesse im Sinne des § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB vorliegt (RIS‑Justiz RS0102048). In diesem Sinne fällt etwa die abfällige Äußerung über einen Dritten durch einen Beleidiger in seinem eigenen Familienkreis nicht unter den Tatbestand des § 111 StGB ( Bertl/Schwaighofer/Venier , Österreichisches Strafrecht BT 1 13 § 111 StGB Rz 12). Bei derartigen vertraulichen Äußerungen im Familienkreis gegenüber den eigenen nächsten Angehörigen muss regelmäßig nicht erwartet werden, dass diese tatsächlich auf diese Weise in die Umwelt gelangen, wodurch das Ansehen des Beleidigten anschließend beeinträchtigt werden könnte (6 Ob 37/95).

1.4. Im vorliegenden Fall ist demgegenüber die Äußerung des Beklagten nicht seinem eigenen Familienkreis, sondern der Lebensgefährtin des Beleidigten zur Kenntnis gelangt. Dies reicht aber für eine üble Nachrede aus ( Bertl/Schwaighofer/Venier aaO § 111 StGB Rz 13). Die für Äußerungen im Familienkreis des Beleidigers entwickelten Grundsätze lassen sich nicht auf Äußerungen gegenüber dem Familienkreis des Beleidigten übertragen (vgl auch Leukauf/Steininger , StGB³ § 111 Rz 19).

1.5. Zutreffend haben die Vorinstanzen die Lebensgefährtin des Klägers daher als „Dritte“ angesehen, sodass die für eine Beleidigung nach § 1330 Abs 1 ABGB geforderte Mindestpublizität erfüllt ist. Weil es nicht darauf ankommt, ob die Mitteilung einem Dritten tatsächlich zur Kenntnis gelangt ist, sondern bereits die Kenntnisnahmemöglichkeit ausreicht (RIS‑Justiz RS0102047 [T3]; 6 Ob 37/95), ist auch nicht entscheidend, wie genau der Brief schließlich zur Lebensgefährtin des Klägers gelangt ist, weil bereits durch das Einwerfen des Briefs in den Postkasten der (ursprünglich intendierten) Empfängerin Dr. M***** die Wahrnehmbarkeit des Schreibens für Dritte (nämlich zumindest Dr. M*****) erreicht war.

2.1. Auch der Rechtfertigungsgrund des § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB liegt nicht vor. Dieser Rechtfertigungsgrund wird auch auf bloße Ehrenbeleidigungen nach § 1330 Abs 1 ABGB angewendet (RIS‑Justiz RS0102047 [T7]; 6 Ob 165/01k). Einen Rechtfertigungsgrund hat der Mitteilende zu beweisen (RIS‑Justiz RS0117060).

2.2. Bei der Beurteilung des vertraulichen Charakters einer Mitteilung kommt es auf die erkennbare Absicht des Mitteilenden an (RIS‑Justiz RS0031972). Entscheidend ist, ob der Mitteilende mit der vertraulichen Behandlung durch den Mitteilungsempfänger rechnen durfte (RIS‑Justiz RS0032413 [T2]). Der Begriff „nicht öffentlich“ in § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB entspricht dem der „vertraulichen Mitteilung“ nach § 7 Abs 2 UWG ( Kissich in Kletečka/Schauer ABGB‑ON 1.03 § 1330 Rz 48; vgl auch RIS‑Justiz RS0112016 [T1]). Eine vertrauliche Mitteilung im Sinne des § 7 Abs 2 UWG liegt nur dann vor, wenn sie sich an einen ganz bestimmten Personenkreis richtet, die vertrauliche Behandlung entweder ausdrücklich zur Pflicht gemacht wurde, sich aus den Umständen eindeutig ergibt oder nach den Regeln des Verkehrs besteht (RIS‑Justiz RS0112016; RS0079767). Grundsätzlich wird eine Tatsachenmitteilung jedoch bereits dann öffentlich verbreitet, wenn sie nur einer einzigen Person zugeht, aber keine Gewähr dafür besteht, dass der Empfänger die Mitteilung vertraulich behandeln werde (RIS‑Justiz RS0032413).

2.3. In diesem Sinne wurde in der Entscheidung 6 Ob 2235/96m der Vermerk „vertraulich“ auf einer Mitteilung als nicht ausreichend angesehen, weil mangels weiterer Umstände nicht davon ausgegangen werden konnte, dass der Empfänger dem auch entsprechen werde. „Nicht öffentlich“ im Sinne des § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB sind vor allem Eingaben an Behörden oder zuständige Stellen, die einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen (vgl Kissich aaO § 1330 Rz 49 mwN).

2.4. Das neben der Vertraulichkeit der Mitteilung weiters erforderliche „berechtigte Interesse“ an der Mitteilung ist gegeben, wenn die Mitteilung für die persönlichen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Beziehungen und Verhältnisse von Bedeutung ist oder ein öffentliches Interesse vorliegt (RIS‑Justiz RS0031992, RS0031988). Zu dieser Frage enthält die Revision keine näheren Ausführungen.

2.5. Ob ein berechtigtes Interesse des Mitteilenden oder des Erklärungsempfängers vorliegt, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0117060 [T1]). Ein berechtigtes Interesse wird etwa bei Anzeigen an Behörden angenommen, damit diese bedenkliche Sachverhalte überprüfen können (RIS‑Justiz RS0031927; vgl auch Reischauer in Rummel , ABGB³ § 1330 Rz 25). Ein berechtigtes Interesse daran, von dritter Seite über irgendwelche Fehltritte seiner Angehörigen unterrichtet zu werden, ist nicht anzuerkennen (4 Ob 98/92). Ein schutzwürdiges Interesse der vorgesehenen Mitteilungsempfängerin daran, über angebliche Fehltritte ihrer Nachbarin oder des Klägers informiert zu werden, besteht nicht. Damit kommt es aber auf die Vertraulichkeit der Mitteilung nicht an, weil die Voraussetzungen des § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB jedenfalls nicht erfüllt sind.

3. Zusammenfassend bringt die Revision daher keine Rechtsfragen der von § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität zur Darstellung, sodass diese spruchgemäß zurückzuweisen war.

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