OGH 7Ob178/11v

OGH7Ob178/11v18.2.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und durch die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** H*****, vertreten durch Ankershofen-Goess-Hinteregger Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. S***** KG (nunmehr: „S***** KG“), *****, 2. Ing. H***** T*****, beide vertreten durch Dr. Thomas Lederer, Rechtsanwalt in Wien, und 3. C***** GmbH (nunmehr: „K***** GmbH“), *****, vertreten durch Scheerbaum Seebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 64.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Juni 2011, GZ 4 R 32/11x‑21, womit das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 22. November 2010, GZ 24 Cg 105/10x‑15, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das klagsstattgebende Ersturteil einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 8.575,17 EUR (darin enthalten 932,19 EUR USt und 2.982 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Die Drittbeklagte ist eine „Wertpapierfirma“, die es unabhängigen Finanzberatern ohne Konzession nach dem WAG ermöglicht, Wertpapiergeschäfte zu vermitteln. Sie war ursprünglich unter dem Firmenwortlaut „A***** GmbH“ registriert. Von 26. 2. 2008 bis 23. 7. 2009 firmierte sie unter „A***** GmbH“, danach unter „C***** GmbH“. Seit 31. 5. 2011 lautet die Firma „K***** GmbH“ (FN *****).

Die erstbeklagte Kommanditgesellschaft (FN *****) berät auf Rechnung und im Auftrag der Drittbeklagten Konsumenten im Zusammenhang mit Finanzprodukten.

Der Zweitbeklagte ist unbeschränkt haftender Gesellschafter der Erstbeklagten.

Die Klägerin erwarb am 28. 7. 2008 640 Anteile an der Unternehmensanleihe „G*****“ der G***** AG um 64.000 EUR. Die Vermittlung erfolgte durch den Zweitbeklagten (Ing. T*****), einen langjährigen Bekannten des (nunmehrigen) Ehegatten der Klägerin. Ing. T***** trat dabei als Komplementär der (bei der Beratung von Konsumenten) für die Drittbeklagte tätigen Erstbeklagten auf.

Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 6. März 2009 wurde zu 4 S 37/09s über das Vermögen der Emittentin, der G***** AG, der Konkurs eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt war die Laufzeit der von der Klägerin erworbenen Anleihe noch nicht beendet.

Das von der Klägerin erworbene Finanzprodukt ist eine Unternehmensanleihe (Inhaberschuldverschreibung), in der sich die Emittentin am Ende der Laufzeit (nach „ca 360 Tagen“) zur Rückzahlung eines Geldbetrags verpflichtet. Es handelt sich um ein Garantie-Zertifikat, bei dem dem Anleger zumindest die Rückzahlung des eingesetzten Kapitals zugesagt wird („Ablaufleistung: 100 % Kapitaltilgung“). Weiters wird bei Ablauf eine mindestens 3,5%ige Verzinsung garantiert und abhängig von der Performance des Unternehmens eine maximal 12%ige Verzinsung in Aussicht gestellt (Blg ./2.1; 10 Ob 30/11a, 4 Ob 70/11i und 10 Ob 7/12w).

Die Klägerin hatte damals aus dem Verkauf einer Eigentumswohnung 64.000 EUR zur Verfügung und wollte diesen Betrag bis zum Kauf oder zur Errichtung eines Hauses in etwa einem Jahr „zwischenparken“. Der Zweitbeklagte untersuchte auf Grund dieser Informationen verschiedene Anlagemöglichkeiten wie Sparbücher und unter anderem auch die hier zu beurteilende Anleihe. Er hielt mit dem damaligen Geschäftsführer der Drittbeklagten und dem Vorstandsvorsitzenden der G***** AG Rücksprache und nahm auch Einsicht in Bilanzen. Ihm war das Emittentenrisiko zwar bewusst, er setzte jedoch Vertrauen in die G***** AG und teilte dies der Klägerin auch mit.

Die Veranlagung in Unternehmensanleihen eines einzelnen Unternehmens ohne weitere Streuung ist eine spekulative Veranlagung mit Totalverlustrisiko (in der Form, wie es sich hier durch den Konkurs des Emittenten auch verwirklicht hat). Die Klägerin war mit einer spekulativen Veranlagung mit Totalverlustrisiko nicht einverstanden und an einer solchen Veranlagung nicht interessiert. Dennoch unterschrieb sie (zuletzt) ‑ ohne dass dies mit ihr erörtert worden wäre ‑ ein Anlegerprofil, in dem zur Risikobereitschaft und zu den Produktrisken der Veranlagung als „Definition der Risikoklassen (Pflichtfeld)“ die RK 4: „Spekulative Veranlagung mit hohen Kursschwankungen und event. Totalverlust-Risiko (zB Hedgefonds, Immobilienaktien, Aktienfonds der Schwellenländer etc.)“ angekreuzt war (Punkt 5 in Blg ./1.1).

Dass es trotzdem zur Angabe dieser Risikoklasse kam, lag daran, dass der Zweitbeklagte selbst der G***** AG vertraute und die Klägerin wiederum aufgrund der Bekanntschaft ihres Gatten mit dem Zweitbeklagten in diesen besonderes Vertrauen setze. Der Berater hatte zur Frage des Emittentenrisikos (lediglich) darauf hingewiesen, dass „auch bei der BAWAG niemand geglaubt habe, dass die Bank je in Schwierigkeiten kommen könnte“.

Nähere Erläuterungen und Besprechungen zur Anlageform selbst und zu den finanziellen Verhältnissen der Klägerin gab es nicht. Auch über die Folgen von dazu (ohnehin nicht) verweigerten Angaben wurde nicht gesprochen. Da die vom Zweitbeklagten zunächst nicht ausgefüllte, dann nachträglich mit Risikoklasse 3 angekreuzte Einstufung nach den internen Vorgaben der Drittbeklagten nicht zum angebotenen Produkt passte, wurde ihm der Antrag vorerst rückübermittelt. Bei einem weiteren Gespräch mit der Klägerin wurde daher ein weiteres Gesprächsprotokoll und Anlegerprofil ausgefüllt, in dem schließlich die Risikoklasse 4 angekreuzt war, „ohne dass dies mit der Klägerin erörtert worden wäre“.

Die Gesprächsprotokolle trugen den damaligen Firmenwortlaut und die Firmenbuchnummer sowie weitere Daten der Drittbeklagten, über die das Geschäft nach Angaben des Zweitbeklagten „abgewickelt“ wurde. Gefertigt wurden die Anträge vom Zweitbeklagten unter Verwendung des Firmenwortlauts der Erstbeklagten. Sein eigener Name in Blockbuchstaben findet sich im Feld „Name des Vermittlers in Blockschrift“.

Die Klägerin begehrt, die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Rückzahlung des Kaufpreises von 64.000 EUR sA Zug um Zug gegen Rückgabe ihrer Anteile zu verpflichten; hilfsweise festzustellen, dass die Beklagten der Klägerin für jeglichen Schaden, der ihr aus dem Erwerb der näher bezeichneten Anteile entstanden sei oder noch entstehen werde, haften. Sie brachte im Wesentlichen ‑ soweit noch von Bedeutung ‑ vor, vom Zweitbeklagten, dessen Verhalten den anderen beiden Beklagten zuzurechnen sei, falsch beraten worden zu sein. Da sie ihm mitgeteilt habe, dass sie (weil das Geld für einen Hauskauf benötigt werde) keinerlei Risiko hinsichtlich der Veranlagung eingehen wolle und auch keine besonderen Anforderungen an die Verzinsung des Kapitals stelle, hätte er ihr vom Erwerb des Finanzprodukts, das ihrem Risikoprofil nicht entsprochen habe, abraten müssen. Tatsächlich habe er sie jedoch über die Risken der Veranlagung nicht aufgeklärt und es auch unterlassen eine den Regeln der Kunst entsprechende Risikostreuung vorzunehmen. Die Klägerin habe ihn aufgrund eines beinahe freundschaftlichen Verhältnisses als Berater herangezogen. Er habe im besonderen Maß persönliches Vertrauen in Anspruch genommen, aber auch ‑ wie die Erstbeklagte ‑ ein ausgeprägtes eigenwirtschaftliches Interesse am Vertragsabschluss gehabt, weil sich beide eine Provision erhofft hätten.

Die Erst- und der Zweitbeklagte bestritten ihre Passivlegitimation und wendeten ‑ wie die Drittbeklagte ‑ im Wesentlichen (soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung) ein, der Zweitbeklagte habe die Klägerin ordnungsgemäß beraten. Sie habe ihre Risikobereitschaft mit ihrer Unterschrift bekundet und sei auf die möglichen Risken, insbesondere das Bonitäts- und Emittentenrisiko, hingewiesen worden. Liquiditätsprobleme der G***** AG und deren Insolvenz seien zum Zeitpunkt der Anlageentscheidung nicht erkennbar gewesen. Hinsichtlich dieser Insolvenz seien auch strafrechtliche Ermittlungen im Gange. Über ein abstraktes, im Beratungszeitpunkt nicht indiziertes Veruntreuungsrisiko müsse ein Anlageberater nicht aufklären. Selbst bei Falschberatung hafte er nicht für Umstände, die mit dem ursprünglichen Beratungsfehler nicht in Zusammenhang stünden. Die Haftung wegen leichter Fahrlässigkeit sei ausgeschlossen worden. Die Klägerin treffe das alleinige oder überwiegende Mitverschulden. Der Zweitbeklagte habe auf Grund einer Reklamation der Drittbeklagten gewusst, dass er die Risikobereitschaft zu gering angenommen habe. Sollte er eine ordnungsgemäße Nachberatung unterlassen haben, müsse sich die Drittbeklagte dies nicht zurechnen lassen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Drittbeklagte als Wertpapierdienstleistungsunternehmen hafte gemäß § 1313a ABGB für das Verhalten jener Personen, deren sie sich bei der Erbringung der Wertpapierdienstleistungen bedient habe. Der Zweitbeklagte sei ihr als Erfüllungsgehilfe zuzurechnen. Auf Grund des zur Klägerin bestehenden Vertrauensverhältnisses hafteten auch er und die Erstbeklagte. Er habe die Klägerin zwar über die mit der Veranlagung verbundenen Risken aufgeklärt, zugleich aber seine Einschätzung mitgeteilt, dass er die Investition in die Anleihen der G***** AG als sicher ansehe. Die Klägerin sei nicht bereit gewesen, das Risiko eines Totalausfalls einzugehen. Der Zweitbeklagte hätte ihr daher vom Ankauf der Unternehmensanleihen abraten müssen. In seiner Fehlinterpretation und Fehlausführung liege nicht bloß leichte Fahrlässigkeit, weshalb auf den von den Beklagten eingewendeten Haftungsausschluss nicht weiter einzugehen sei. Hätte er die tatsächliche Risikobereitschaft der Klägerin berücksichtigt, hätte sie die Anleihen nicht gekauft und das Insolvenzrisiko der G***** AG nicht zu tragen gehabt. Sie sei daher so zu stellen, als hätte sie das Geschäft nicht geschlossen.

Das Berufungsgericht gab den dagegen erhobenen Berufungen der Beklagten Folge und wies sowohl das Haupt‑ als auch das Eventualbegehren ab. In rechtlicher Hinsicht führte es zur Berufung der Erst‑ und des Zweitbeklagten aus, es sei nicht mehr strittig, dass die Drittbeklagte als Anlagevermittlerin und ‑beraterin fungiert und sich dazu gegenüber der Klägerin des Zweitbeklagten bedient habe. Dieser habe die Anträge zwar unter Verwendung des Firmenwortlauts der Erstbeklagten gefertigt, der Klägerin gegenüber jedoch erwähnt, dass er das Geschäft über die Drittbeklagte abwickle und für jene tätig werde, wobei die Beteiligten davon ausgegangen seien, dass die Drittbeklagte die Provision „unter Zwischenschaltung der Erstbeklagten“ mit dem Zweitbeklagten abrechnen werde. Damit habe der Zweitbeklagte gegenüber der Klägerin ausreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er nicht im eigenen Namen auftreten und handeln wolle, sondern in jenem der Drittbeklagten. Schon das Erstgericht habe ihn damit richtig als deren Erfüllungsgehilfen gemäß § 1313a ABGB bei der Erbringung der Wertpapierdienstleistungen der Anlageberatung und ‑vermittlung eingestuft. Sein Verhalten sei daher der Drittbeklagten als Geschäftsherrin zuzurechnen, weshalb für eine persönliche Haftung der Erst‑ und des Zweitbeklagten aus einem unmittelbaren Schuldverhältnis mit der Klägerin kein Raum bleibe. Nach ständiger Rechtsprechung könne es zu einer eigenen Haftung des Erfüllungsgehilfen nur dann kommen, wenn sein Verhalten keinem Geschäftsherrn zugerechnet werden könne, wenn er ein ausgeprägtes eigenwirtschaftliches Interesse am Zustandekommen des Vertrags gehabt oder wenn er bei den Vertragsverhandlungen im besonderen Maße persönliches Vertrauen in Anspruch genommen habe (RIS‑Justiz RS0019726). Der bloße Entgeltanspruch im Innenverhältnis zum Geschäftsherrn genüge nicht, um ein ausgeprägtes wirtschaftliches Eigeninteresse zu begründen. Das besondere Vertrauensverhältnis müsse über jenes hinausgehen, das jedermann seinem Vertrags‑ oder Verhandlungspartner entgegenbringe. Ein aus der mehrjährigen Bekanntschaft des Zweitbeklagten mit dem im Zeitpunkt der Beratung noch zukünftigen Ehemann der Klägerin reiche für die Begründung des besonderen Vertrauenstatbestands, der die seltene Ausnahme bilden müsse, nicht aus. Für eine unmittelbare Haftung der Erst‑ und des Zweitbeklagten fehle es an einem der angeführten Ausnahmefälle, weshalb ihre Berufung schon auf Grund des Einwands der mangelnden Passivlegitimation berechtigt sei.

Zur Rechtsrüge der Drittbeklagten führte das Berufungsgericht aus, diese rüge das Fehlen von Feststellungen darüber, dass im Zeitpunkt der Zeichnung der Anleihen (Juli 2008) noch nichts auf die sich ca ein Jahr später abzeichnende massive Verschlechterung der finanziellen Lage der G***** AG hingewiesen habe und es keine Anzeichen dafür gegeben habe, dass über die Emittentin im März 2009 das Konkursverfahren eröffnet werden würde. Die Drittbeklagte unterliege als Wertpapierfirma im Sinn des § 3 WAG 2007 und damit als Rechtsträgerin im Sinn des § 15 Abs 1 WAG 2007 den Wohlverhaltensregeln des § 38 WAG 2007. Sie sei daher verpflichtet, bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen ehrlich, redlich und professionell im bestmöglichen Interesse ihrer Kunden zu handeln. Da diese Verpflichtung bereits nach bisheriger Rechtslage bestanden habe, sei davon auszugehen, dass die bisher von der Rechtsprechung bejahten zivilrechtlichen Aufklärungs‑ und Beratungspflichten des Wertpapierdienstleisters auch im Anwendungsbereich des WAG 2007 weiter Bestand hätten. Die produktspezifischen Risken der Unternehmensanleihe „G*****“ seien den von der Beklagten vorgelegten, in ihrer Echtheit und Richtigkeit nicht substantiiert bestrittenen Urkunden (Beilagen ./1.2 [Emissionsbedingungen] und ./2.2 [Anlegerprospekt]) zu entnehmen. Aus der vertraglichen Ausgestaltung der Anleihe ergebe sich demnach kein spekulativer Charakter der Veranlagung. Sie habe im Hinblick auf die Sicherstellung des produktspezifischen Risikos durch die garantierte Rückzahlung des gesamten eingesetzten Kapitals samt einer Mindestverzinsung am Ende der unterjährigen Laufzeit dem Wunsch der Klägerin nach Kapitalerhalt entsprochen. Ein allfälliger spekulativer Charakter der gezeichneten Anleihe habe sich nur aus einer schlechten Bonität, insbesondere einer sich abzeichnenden Insolvenz der Emittentin ergeben können, die das Risiko des Totalverlusts bereits zum Zeitpunkt der Zeichnung der Unternehmensanleihe wahrscheinlich gemacht hätte.

Der Zweitbeklagte habe die Klägerin über das jedem Wertpapier anhaftende allgemeine Emittenten‑ oder Bonitätsrisiko „grundsätzlich“ aufgeklärt, es ihr gegenüber jedoch als vernachlässigbar gering eingeschätzt. Zu prüfen sei daher, ob er der Klägerin das Bonitätsrisiko des vermittelten Wertpapiers zutreffend dargestellt habe. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sei es für das Bestehen einer Aufklärungspflicht im Einzelfall entscheidend, ob ein Schutzbedürfnis des Vertragspartners vorliege. Die Beurteilung einer Anleihe gegenüber einem Kunden als risikoarm verstoße beispielsweise dann gegen die Pflicht, das Bonitätsrisiko der konkreten Anlage zutreffend darzustellen, wenn sie von einer führenden Ratingagentur als spekulativer Titel bewertet worden sei (10 Ob 11/07a). Dass dies der Fall gewesen wäre, habe die Klägerin aber gar nicht behauptet.

In Konsequenz der Entscheidung 4 Ob 20/11m sei nach Ansicht des Berufungsgerichts eine Beratung darüber, dass ein ohnehin zu vernachlässigendes Insolvenzrisiko des Emittenten durch die Streuung des zu veranlagenden Kapitals auf Papiere unterschiedlicher Emittenten noch weiter zu mindern sei, nicht zu verlangen. Da die Rechtsprechung vom Anlageberater eine Aufklärung über ein im Zeitpunkt der Beratung durch nichts indiziertes Veruntreuungsrisiko nicht verlange, sei es den Beklagten nicht vorzuwerfen, dass sie die Klägerin nicht explizit darüber aufklärten, dass die Emittentin durch strafbares Verhalten ihrer Organe insolvent werden und in diesem Fall das eingesetzte Kapital nicht zurückzahlen könnte. Ausgehend von der als zugestanden anzusehenden Tatsache, dass im Zeitpunkt der Beratung im Juli 2008 noch kein Hinweis auf eine drohende Insolvenz durch strafbares oder zumindest grob fahrlässiges Fehlverhalten der Organe der Emittentin vorgelegen sei, sei auch die vom Zweitbeklagten vorgenommene Beurteilung des Bonitätsrisikos als „vernachlässigbar gering“ vertretbar. Selbst wenn man aber davon ausginge, dass sich mit der Insolvenz der Emittentin ein nicht bloß vernachlässigbares, sondern ein dem Fachmann bei Berücksichtigung der ihm über die Person der Emittentin zur Verfügung stehenden Informationen im Beratungszeitpunkt als beachtlich erkennbares Risiko eines Totalverlusts verwirklicht habe, scheitere der von der Klägerin geltend gemachte Schadenersatzanspruch an dem zwischen den Parteien vereinbarten Haftungsausschluss für leichte Fahrlässigkeit. Der für eine Inanspruchnahme der Beklagten erforderliche schwere Sorgfaltsverstoß sei diesen nicht vorzuwerfen. Grobe Fahrlässigkeit wäre auch im Anwendungsbereich des § 1298 ABGB grundsätzlich vom Geschädigten zu behaupten und zu beweisen gewesen. Die Klägerin habe jedoch nicht dargelegt, dass und aus welchen Gründen die vom Zweitbeklagten angestellten Nachforschungen zur wirtschaftlichen Lage der Emittentin ungenügend gewesen seien, und dass er jene Bonitätsrisken, die sich später tatsächlich verwirklicht und zur Insolvenz der Emittentin geführt hätten, bei fachmännischer Vorgangsweise einfach hätte erkennen können. Der vorgebrachte und festgestellte Sachverhalt biete keine Anhaltspunkte, die eine Beurteilung der Anlageberatung durch die Beklagte als grob fahrlässig rechtfertigten, weshalb das angefochtene Urteil im klagsabweisenden Sinn abzuändern sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil es in Übereinstimmung mit der zitierten Rechtsprechung entschieden habe, wobei sich das Bestehen und der Umfang von Beratungs- und Aufklärungspflichten aus den Umständen des Einzelfalls ergebe.

Gegen die Berufungsentscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin, die der Ansicht des Berufungsgerichts, die Revision sei mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig, widerspricht und beantragt, die angefochtene Entscheidung wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung dahin abzuändern, dass das Ersturteil wiederhergestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten haben die ihnen freigestellten Revisionsbeantwortungen erstattet. Sie beantragen, die Revision entweder als unzulässig zurückzuweisen oder ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig und auch berechtigt.

Vorweg ist auf die Passivlegitimation der Erst- und des Zweitbeklagten einzugehen:

Das Erstgericht hat die Sachlegitimation der Erst- und des Zweitbeklagten im Hinblick auf die „firmenmäßige Zeichnung“ zutreffend bejaht, weil der Zweitbeklagte gegenüber der Klägerin als Komplementär der Erstbeklagten auftrat, die im Auftrag und auf Rechnung der Drittbeklagten Konsumenten berät (so auch: 10 Ob 7/12w). Die weiteren Feststellungen zum „besonderen“ Vertrauensverhältnis des Zweitbeklagten zur Klägerin, das aus dessen längerer Bekanntschaft mit dem späteren Ehemann der Klägerin resultierte, rechtfertigen die Beurteilung, dass die Haftungsvoraussetzungen auch bei diesen beiden Beklagten erfüllt sind:

Nach ständiger Rechtsprechung kann es zu einer eigenen Haftung des Erfüllungsgehilfen kommen, wenn sein Verhalten keinem Geschäftsherrn zugerechnet werden kann, wenn er ein ausgeprägtes eigenwirtschaftliches Interesse am Zustandekommen des Vertrags hatte oder wenn er bei den Vertragsverhandlungen im besonderen Maße persönliches Vertrauen in Anspruch nahm (1 Ob 182/97i mwN; RIS-Justiz RS0019726). Eine weitere Ausnahme von der abschließenden Regelung des § 1313a ABGB wird auch dann angenommen, wenn der Anlageinteressent klar macht, er wolle - bezogen auf eine bestimmte Anlageentscheidung ‑ die einschlägigen Kenntnisse und Verbindungen des Vermittlers in Anspruch nehmen, und soweit dieser die Tätigkeit auch entfaltet hat (8 Ob 60/11y mwN; 9 Ob 5/10s); ein Anlageberater oder -vermittler haftet nämlich für die Verletzung ihn treffender Auskunftspflichten, wenn vom schlüssigen Zustandekommen eines Auskunftsvertrags im Sinn des § 1300 ABGB ausgegangen werden kann. Regelmäßig wird der stillschweigende Abschluss eines Auskunftsvertrags angenommen, wenn die Umstände des Falls bei Bedachtnahme auf die Verkehrsauffassung und die Bedürfnisse des Rechtsverkehrs den Schluss rechtfertigen, dass beide Teile die Auskunft zum Gegenstand vertraglicher Rechte und Pflichten machen, etwa wenn klar zu erkennen ist, dass der Auskunftswerber eine Vermögensdisposition treffen und der Berater durch die Auskunft das Zustandekommen des geplanten Geschäfts fördern will (2 Ob 66/11m; 9 Ob 5/10s; 8 Ob 60/11y mwN; RIS-Justiz RS0014562).

Da diese Voraussetzungen hier erfüllt sind, ist auch daraus, dass die Eigenhaftung des Vertreters im Allgemeinen die Ausnahme bleiben muss, wobei der „bloße Entgeltanspruch“ im Innenverhältnis für die Bejahung eines haftungsbegründenden Eigeninteresses nicht ausreicht (2 Ob 66/11m mwN), für den Standpunkt der Beklagten nichts zu gewinnen; gesteht doch der Zweitbeklagte selbst ausdrücklich zu, dass zwischen ihm und der Klägerin „ein starkes Vertrauensverhältnis […] bestand und sie sich daher richtigerweise nicht alles durchgelesen hat“ (AS 77). Es haftete also auch die durch den Zweitbeklagten handelnde Erstbeklagte (10 Ob 7/12w).

Der Oberste Gerichtshof hat sich in ganz ähnlich gelagerten Fällen (10 Ob 30/11a, 4 Ob 70/11i, 4 Ob 140/12k und [jüngst] 10 Ob 7/12w) mit der hier zu beurteilenden Unternehmensanleihe bereits befasst und das Bestehen einer Aufklärungspflicht über das Bonitätsrisiko durchwegs bejaht (vgl auch RIS-Justiz RS0108073 [T19]; RS0119752 [T15]; RS0124492 [T4]). Dabei wurden die Anlageberater (auf Grund der [unzutreffenden] Darstellung, dass kein [relevantes] Emittentenrisiko bestehe) jeweils ‑ abgesehen von einer zu 10 Ob 30/11a ausgesprochenen Aufhebung (dazu krit Graf, Wie das WAG 2007 die Anlegeberaterhaftung verschärft, ecolex 2011, 1093 ff [1095 f]) ‑ zum Ersatz des Schadens (Rückzahlung der Kapitalanlage) verpflichtet.

Der jüngsten Entscheidung 10 Ob 7/12w vom 29. 1. 2013 lag unter anderem ‑ wie hier ‑ eine Zeichnung im Juli 2008 zugrunde, welche die dortige Klägerin deshalb vornahm, weil ihr der selbe Berater (Ing. T*****, der hier Zweitbeklagte) die Anleihe „weiterhin als sicher darstellte“. Dazu hat der Oberste Gerichtshof Folgendes festgehalten:

„4. Auch was die am 21. 7. 2008 vorgenommene Folgezeichnung der gegenständlichen Unternehmensanleihe betrifft, steht fest, dass sie von der Klägerin vorgenommen wurde, weil Ing. T***** ihr diese Anleihe 'weiterhin als sicher darstellte'. Auf Anlageberaterfälle, die sich nach dem 1. 11. 2007, im zeitlichen Anwendungsbereich des WAG 2007 realisiert haben, ist aber bereits die neue, klar strukturierte Pflichtenlage nach § 44 WAG 2007 anzuwenden. Demnach bestehen die höchsten Anforderungen bei der Anlageberatung und der Portfolioverwaltung, wo das Gesetz einen sogenannten Geeignetheitstest vorschreibt. Der Anlageberater darf dem Kunden nur ein solches Wertpapier empfehlen, das für den Kunden geeignet ist; während hinsichtlich sonstiger Wertpapierdienstleistungen nur eine Angemessenheitsprüfung vorgesehen ist, der Rechtsträger also überprüfen muss, ob der Kunde in der Lage ist, die Risiken im Zusammenhang mit dem angebotenen Produkt zu verstehen (Graf, Wie das WAG 2007 die Anlegeberaterhaftung verschärft, ecolex 2011, 1093 [1094 f] mit Hinweis auf Graf in Gruber/Raschauer, WAG‑Kommentar § 44 Rz 31 ff und Brandl/Klausberger in Brandl/Saria, WAG-Kommentar² § 44 Rz 1 ff).

4.1. Geeignet ist ein Wertpapier nach § 44 Abs 2 WAG 2007 dann, wenn es drei Voraussetzungen erfüllt. Es muss den Anlagezielen des Kunden entsprechen, die mit dem Geschäft verbundenen Risiken müssen für den Kunden seinen Anlagezielen entsprechend finanziell tragbar sein und der Kunde muss in der Lage sein, die mit dem Geschäft einhergehenden Risiken aufgrund seiner Erfahrungen und Kenntnisse zu verstehen. Um die Geeignetheit des empfohlenen Papiers beurteilen zu können, muss der Rechtsträger sich daher umfassende Informationen über den Kunden (Graf in Gruber/Raschauer, WAG-Kommentar § 44 Rz 22 ff) verschaffen. Er muss seine Anlageziele, die finanziellen Verhältnisse und die bisherigen Erfahrungen und Kenntnisse des Kunden erheben. Zu den Informationen über die Anlageziele gehören auch die Präferenzen hinsichtlich des einzugehenden Risikos. Auf der Basis dieser Informationen muss der Rechtsträger dann eine eigenverantwortliche Beurteilung hinsichtlich der Geeignetheit des Wertpapiers vornehmen. Nur dann, wenn das ins Auge gefasste Wertpapier den drei Geeignetheitskriterien entspricht, darf er es empfehlen (Graf, Wie das WAG 2007 die Anlegeberaterhaftung verschärft, ecolex 2011, 1093 [1094]).

5. Die Klägerin wollte, wie dem Komplementär der Erstbeklagten bekannt war, eine sichere Veranlagung. Das vorliegende Investment der Risikoklasse 4 (spekulativ mit Totalverlustrisiko) hat dem nicht entsprochen, weil es keine sichere Anlageform darstellte. Ing. T***** hat der Klägerin das Investment dennoch empfohlen und ihr ‑ völlig unzutreffend ‑ mitgeteilt, dass es 'so sicher wie ein Sparbuch' sei. Die Empfehlung des offenkundig ungeeigneten Papiers stellt eine schuldhaft rechtswidrige Handlung des Anlageberaters dar (Graf, aaO, ecolex 2011, 1095). Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass hier grobe Fahrlässigkeit vorliege (am Maßstab des § 1299 ABGB gemessen), ist nicht zu beanstanden. Mit dem Haftungsausschluss für leichte Fahrlässigkeit musste sich das Berufungsgericht daher nicht weiter auseinandersetzen.

6. Zum Rechtswidrigkeitszusammenhang ist nach dem WAG 2007 von folgenden Grundsätzen auszugehen:

6.1. Empfiehlt ‑ wie hier ‑ der Vermögensberater im Rahmen der „Prolongierung“ ein ungeeignetes Papier und verliert der Kunde mit diesem Investment Geld, sind nur solche Schäden ersatzfähig, die vom Schutzzweck des Verbots der Empfehlung ungeeigneter Finanzinstrumente erfasst sind: Es müssen sich jene Umstände verwirklichen und zum Wertverlust des Papiers führen, derentwegen das Papier ungeeignet ist. Empfiehlt der Berater daher ein Papier der Risikoklasse 4, obwohl der Anleger nur Papiere der Risikoklasse 1 möchte, und verwirklicht sich dann dieses erhöhte Bonitätsrisiko, liegt der Schaden zweifellos innerhalb des Schutzzwecks der übertretenen Norm. (Nur) soweit die Existenz eines allgemeinen Veruntreuungsrisikos nicht dazu führt, dass das Papier aufgrund seiner Ungeeignetheit nicht empfohlen werden dürfte, würde der Eintritt solcher Veruntreuungshandlungen keine Schadenersatzansprüche begründen. Mit anderen Worten: Nur solche Umstände, welche die Ungeeignetheit des Papiers begründen, können zu einer Schadenersatzhaftung des Anlageberaters führen (Graf, aaO, ecolex 2011, 1096).

7. Im vorliegenden Fall steht fest, dass sich gerade das ‑ vom Rechtswidrigkeitszusammenhang eindeutig umfasste ‑ Insolvenzrisiko durch den Konkurs des Emittenten verwirklicht hat. Schadenskausale Veruntreuungshandlungen von Organen der Emittentin haben die Beklagten nicht konkretisiert, sondern die Beklagten haben nur (ganz allgemein) darauf hingewiesen, dass über ein Veruntreuungsrisiko nicht aufgeklärt werden müsse und auch „strafrechtliche Ermittlungen“ im Zusammenhang mit der Insolvenz im Gange seien. Aus diesen Gründen kommt es auf die Ursachen für das Scheitern der Emittentin nicht an, sondern es bleibt bei der Annahme des schon genannten Insolvenzrisikos.

8. Auch mit der (wegen des noch anhängigen Insolvenzverfahrens) im Fall dieser Unternehmensanleihe für die Anleger angeblich noch nicht feststehenden Schadenshöhe hat sich der Oberste Gerichtshof bereits beschäftigt. Darauf gehen die Ausführungen zu 4 Ob 140/12k ein:

8.1. Allgemein gilt, dass der Geschädigte bei pflichtwidriger Anlageberatung verlangen kann, so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn der Anlageberater pflichtgemäß gehandelt hätte. Er kann den Vertrauensschaden verlangen (8 Ob 123/05d mwN; RIS‑Justiz RS0125829).

8.2. Beim Vermögensschaden unterscheidet man einerseits den realen Schaden, der in der tatsächlichen negativen Veränderung der Vermögensgüter des Geschädigten liegt und auf dessen Ausgleich die Naturalherstellung (§ 1323 ABGB) ausgerichtet ist. Für diese ist eine in Geld messbare Vermögenseinbuße nicht entscheidend.

8.3. Unter rechnerischem Schaden hingegen versteht man die in Geld messbare Verminderung des Vermögens oder eines Vermögensgutes des Geschädigten (Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht I³ Rz 217; 218). Der rechnerische Schaden wird stets durch eine Differenzberechnung ermittelt. Nach der Differenzmethode besteht das zu leistende Interesse (der rechnerische Schaden) in der Differenz zwischen der Vermögenslage des Geschädigten, wie sie sich im Beurteilungszeitpunkt ohne schädigendes Ereignis darstellen würde, und dem nach dem schädigenden Ereignis nun tatsächlich vorhandenen Vermögensstand (4 Ob 140/12k mit Hinweis auf RIS‑Justiz RS0030153).

8.4. Die Klägerin begehrt Geldersatz, also den rechnerischen Schaden. Dieses Begehren setzt zwar im Allgemeinen voraus, dass die Klägerin das aufgrund der mangelhaften Beratung erworbene Anlageprodukt verkauft hat und dann den Differenzschaden geltend macht (4 Ob 67/12z; RIS‑Justiz RS0120784), im konkreten Fall ist zwischen den Parteien aber nicht strittig, dass die Forderung der Klägerin wegen Vermögenslosigkeit der Emittentin, über die ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, uneinbringlich ist. Die Uneinbringlichkeit der Forderung gegen die Emittentin ist der Wertlosigkeit gleichzuhalten. Ein Zuwarten bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens ist den Klägern unabhängig von einer allenfalls zu erwartenden Quote nicht zumutbar. In einem solchen Fall ist davon auszugehen, dass die Anlage (endgültig) wertlos und ein Verkauf weder möglich noch erforderlich ist (4 Ob 67/12z mwN); der Subtrahend der Differenzrechnung ist vielmehr mit Null anzusetzen (4 Ob 140/12k).

8.5. Im Anlassfall ist die Höhe des rechnerischen Schadens, den die Klägerin infolge der mangelhaften Beratung durch die Beklagten erlitten hat, somit gar nicht strittig. Darauf, ob eine Verringerung der Schadenshöhe durch Zahlung einer Konkursquote zu erwarten ist, kommt es daher nicht weiter an, weil der der Klägerin aus ihrer mangelhaften Beratung bereits entstandene rechnerische Schaden nicht in Frage steht (4 Ob 140/12k).“

Zur Frage des Mitverschuldens wurde weiters ausgeführt:

„9.1. Nach der Ansicht von Graf (aaO, ecolex 2011, 1096 mwN zu FN 12) könnte im vorliegenden Fall ein Mitverschulden der Klägerin nicht mit dem Argument bejaht werden, sie habe die in den Unterlagen enthaltenen Warnhinweise ungelesen unterschrieben. Die Anlageberatung nach dem WAG 2007 sei nämlich so konzipiert, dass sich der Kunde die Warnhinweise nicht durchlesen müsse. Die Beurteilung, ob die Risiken seinen Präferenzen entsprechen oder nicht, müsse der Anlageberater vornehmen. Wenn der Anlageberater dem Kunden mitteile, ein bestimmtes Papier entspreche seinen Präferenzen, müsse der Kunde nicht davon ausgehen, im Kleingedruckten die gegenteilige Information vorzufinden. Hier greife ein Vertrauensschutz, der es ausschließe, dies dem Kunden als Mitverschulden anzurechnen. Dies könne auch auf den in § 864a ABGB zum Ausdruck kommenden Gedanken gestützt werden (vgl auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach der Anleger sich regelmäßig auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der ihm erteilten Aufklärung und Beratung verlassen könne: BGHZ 100, 117125 NJW 1982, 1095; NJW 2004, 1868; nach III ZR 249/09 bestehe keine Obliegenheit des Anlegers, den ihm überreichten Emissionsprospekt durchzulesen und auf diese Weise die Richtigkeit der Ratschläge des Anlageberaters zu kontrollieren).“

Nichts anderes kann für den vorliegenden, durch die eingangs wiedergegeben ‑ unstrittigen ‑ Feststellungen gekennzeichneten Fall gelten:

Entgegen dem Standpunkt der Erst- und des Zweitbeklagten, die in ihrer Revisionsbeantwortung (dem Berufungsgericht folgend) meinen, aus der vertraglichen Ausgestaltung ergebe sich „kein spekulativer Charakter der Veranlagung“, ist ein solcher nach den Grundsätzen der zitierten Rechtsprechung jedenfalls zu bejahen (10 Ob 30/11a, 4 Ob 70/11i, 4 Ob 140/12k und 10 Ob 7/12w). Die Klägerin stellte von vornherein klar, dass sie das aus dem Verkauf einer Eigentumswohnung zur Verfügung stehende Kapital (64.000 EUR) nur bis zum Kauf oder zur Errichtung eines Hauses in etwa einem Jahr „zwischenparken“ wollte und mit einer spekulativen Veranlagung mit Totalverlustrisiko weder einverstanden noch an einer solchen interessiert war.

Demgemäß stellt die Empfehlung des für diesen Zweck offenbar völlig ungeeigneten (§ 44 Abs 2 WAG 2007) Wertpapiers der Risikoklasse 4 ‑ wie bereits das Erstgericht zutreffend erkannte ‑ nicht bloß leichte Fahrlässigkeit dar: Nach den klaren Vorgaben (Anlagezielen) der Klägerin hätte ihr der Zweitbeklagte (Ing. T*****) nämlich jedenfalls, also auch dann vom Kauf der Anleihe abraten müssen, wenn ihm das Emittentenrisiko (wie vom Erstgericht [bekämpft] festgestellt wurde) nur „vernachlässigbar gering“ erschien, weil diese Unternehmensanleihe ‑ (auch) im Fall der Klägerin ‑ keines der drei Geeignetheitskriterien nach der zitierten Bestimmung erfüllte (vgl 10 Ob 7/12w).

Daher ist auch aus den von der Drittbeklagten weiterhin begehrten Feststellungen (dazu, dass im Zeitpunkt der Zeichnung der Anleihen [Juli 2008] noch nichts auf die sich circa ein Jahr später abzeichnende massive Verschlechterung der finanziellen Lage der G***** AG hingewiesen habe und dass es keine Anzeichen dafür gegeben habe, dass über die Emittentin im März 2009 das Konkursverfahren eröffnet werden würde) für den Standpunkt der Beklagten nichts zu gewinnen.

Gleiches gilt für die vermissten Feststellungen zur Kenntnis der Klägerin über die Folgen einer Insolvenz der G***** AG, weil sich daraus ‑ entgegen der Ansicht der Beklagten ‑ keineswegs ergeben hätte, die Klägerin habe gewusst, dass sie „grundsätzlich einen Totalausfall erleiden konnte“; ist doch in diesem Zusammenhang folgender (unstrittiger) Sachverhalt maßgebend:

Der Klägerin wurde das „Emittentenrisiko“ vom Zweitbeklagten mit dem Hinweis darauf erläutert, dass „auch bei der BAWAG niemand geglaubt habe, dass die Bank je in Schwierigkeiten kommen könnte“. Nach seinen eigenen Angaben hat der Zweitbeklagte (Ing. T*****) nur mit diesem „Beispiel“ auf ein [theoretisches] Insolvenzrisiko der G***** AG hingewiesen. Er hat das empfohlene Anlageprodukt im Ergebnis also auch hier als sicher wie ein Sparbuch dargestellt (so ausdrücklich im Fall 10 Ob 7/12w). Der Umstand, dass diese Darstellung mit der erforderlichen Risikoklasse 4 in krassem Widerspruch stand, fiel der Klägerin jedoch nicht auf, weil die zuletzt vorgenommene diesbezügliche Änderung im Anlegerprofil (Blg ./1.1 und ./3.1) gar nicht mit ihr erörtert wurde.

Die Empfehlung des offenkundig ungeeigneten Papiers stellte eine schuldhaft rechtswidrige Handlung des Anlageberaters dar (10 Ob 7/12w mit Hinweis auf Graf, Wie das WAG 2007 die Anlegeberaterhaftung verschärft, ecolex 2011, 1093 ff [1095]). Auch die Beurteilung, es liege (am Maßstab des § 1299 ABGB gemessen) grobe Fahrlässigkeit vor, ist ‑ wie bereits dargelegt wurde ‑ nicht zu beanstanden, sodass dem Haftungsausschluss für leichte Fahrlässigkeit die Relevanz fehlt (10 Ob 7/12w). Ein Mitverschulden der Klägerin kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil sie ‑ anders als im Verfahren 10 Ob 7/12w [wo der dortigen Klägerin das ungelesene Unterfertigen teilweise unrichtig ausgefüllter Anträge und Protokolle als Mitverschuldensanteil von 1/4 angelastet wurde, dort von der Klägerin unbekämpft blieb] ‑ nicht sorglos in eigenen Angelegenheiten gehandelt hat.

Da sich auch alle weiteren Einwendungen der Beklagten aus den bereits zu 10 Ob 7/12w dargelegten, eben wiedergegebenen Erwägungen als unbegründet erweisen, ist in Stattgebung der Revision gegen das Berufungsurteil das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

Zu der am 23. 10. 2012 im ERV eingebrachten Bekanntgabe der Vollmachtsauflösung durch den Vertreter der Drittbeklagten ist abschließend klarzustellen:

Die durch Widerruf oder Kündigung herbeigeführte Aufhebung der Prozessvollmacht wird Gericht und Gegner gegenüber im Anwaltsprozess erst wirksam, wenn die Partei die Bestellung eines anderen Rechtsanwalts anzeigt (§ 36 Abs 1 ZPO). In einem Verfahren mit absoluter Anwaltspflicht bedarf die durch Widerruf oder Kündigung herbeigeführte Aufhebung der Vollmacht zu ihrer Wirksamkeit gegenüber dem Gericht und dem Prozessgegner der Anzeige, dass ein anderer Rechtsanwalt zur Vertretung bestellt wurde. Mangels derartiger Anzeige ist die bloße Mitteilung über die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses im Außenverhältnis wirkungslos (RIS-Justiz RS0035736 [T5] = RS0109541 [T4]; RS0035744).

Die Entscheidung über die Prozesskosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41 Abs 1 und 50 Abs 1 ZPO. Der auf die Berufungsbeantwortung entfallende, mit 200 % verzeichnete Einheitssatz war jedoch gemäß § 23 Abs 8 RATG (mangels Verrichtung einer Berufungsverhandlung nach § 23 Abs 5 RATG) nur mit 150 % zuzusprechen.

Im Hinblick auf die Wiederherstellung des Ersturteils in der Hauptsache ist vom Revisionsgericht über den Kostenrekurs der Klägerin zu entscheiden (RIS-Justiz RS0036069 [T1]; 7 Ob 111/12t). Dieser ist nicht berechtigt:

Die Beklagten erhoben begründete Einwendungen gemäß § 54 Abs 1a ZPO gegen die Verzeichnung der TP 2 für die nur nach der TP 1 zu honorierende Urkundenvorlage vom 4. 8. 2010. Die Klägerin gestand im Kostenrekurs selbst zu, dass die TP 1 einfache Urkundenvorlagen ohne Vorbingen oder „mit nur sehr wenig Vorbingen“ umfasse. Demgemäß ist die von der Klägerin begehrte höhere Entlohnung schon deshalb nicht zuzuerkennen, weil in dieser Urkundenvorlage tatsächlich nur ganz kurze Ausführungen „insbesondere zur Darlegung, Erläuterung und Präzisierung des jeweiligen Beweisthemas“ (S 2 des Rekurses) erstattet wurden.

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