OGH 4Ob140/12k

OGH4Ob140/12k18.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. S***** E*****, 2. R***** E*****, beide vertreten durch Mag. Stefan Weiskopf und Dr. Rainer Kappacher, Rechtsanwälte in Landeck, wider die beklagten Parteien 1. f***** GmbH, 2. H***** F*****, beide vertreten durch Dr. Thomas Lederer, Rechtsanwalt in Wien, und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Parteien K***** GmbH, *****, vertreten durch Scherbaum Seebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 10.635,55 EUR sA, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 23. Mai 2012, GZ 4 R 64/12m-17, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 3. Jänner 2012, GZ 12 Cg 77/11w-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, den klagenden Parteien die mit 642,70 EUR (darin 107,12 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Erstbeklagte übt das Gewerbe der Vermögensberatung gemäß § 94 Z 75 GewO aus; dazu zählt die Beratung bei Aufbau und Erhalt von Vermögen und Finanzierung unter Einschluss insbesondere der Vermittlung von Veranlagungen, Investitionen, Personalkrediten, Hypothekarkrediten und Finanzierungen. Der Zweitbeklagte ist diplomierter Finanzdienstleister und Geschäftsführer der Erstbeklagten. Er war als vertraglich gebundener Vermittler für die Rechtsvorgängerin der Nebenintervenientin im Sinne des § 28 WAG 2007 tätig. Rechtsvorgängerinnen der Nebenintervenientin waren die C***** GmbH, die A***** GmbH und die A***** GmbH, *****.

Der Zweitbeklagte betreut die Erstklägerin, eine Büroangestellte, die er seit vielen Jahren als Versicherungsbetreuer ihrer Familie kennt, etwa seit 2000 in Versicherungsangelegenheiten. Der Zweitkläger ist Architekt. Beide Kläger sind äußerst konservative Anleger, die ihr Geld bisher auf Sparbüchern und in Bausparverträgen angelegt hatten, eine Lebensversicherung besaßen und auch weiter sicher veranlagen wollten; eine riskante Anlageform kam für sie von vornherein nicht in Frage.

Im Oktober 2005 führte die Erstklägerin ein Gespräch mit dem Zweitbeklagten über Versicherungsangelegenheiten der Kläger im Büro des Zweitbeklagten und sah dort Prospekte über die nunmehr streitgegenständliche Veranlagung. Über Nachfrage teilte ihr der Zweitbeklagte mit, dass er auch Veranlagungen vermittle. Die Kläger erkundigten sich nach den verfahrensgegenständlichen Veranlagungen und informierten den Zweitbeklagten darüber, dass sie keinerlei Risiko und nur kurzfristige Bindungen eingehen wollten.

Der Zweitbeklagte hatte alle Informationen über die nachgefragte Veranlagung über die Homepage der Nebenintervenientin erhalten und gab diese so an die Kläger weiter. Er stellte ihnen die G***** Anleihen der G***** AG (in der Folge: Emittentin) als Produkt für Privatanleger mit Kapitalgarantie und mit einer Mindestverzinsung von 3 % und als absolut sichere Veranlagung vor, bei der man nichts verlieren könne. Über allfällige Risiken klärte er nicht auf. Dabei vertraute er auf die Angaben der Nebenintervenientin und war auch selbst der Überzeugung, dass dies ein sicheres Produkt sei und keine Risiken bestehen würden. Die Kläger vertrauten auf diese Informationen und entschlossen sich, diese Anleihen zu zeichnen. Es war ihnen nicht bewusst, dass es sich um eine Unternehmensanleihe handelt.

Im Rahmen eines Beratungsgesprächs am 14. 10. 2005 erstellte der Zweitbeklagte mit den Klägern ein persönliches Anlageprofil mittels eines vorgedruckten Formulars. In diesem Vordruck wurde als Anlageziel eine kurzfristige Veranlagung bis fünf Jahre bei einer durchschnittlichen Renditeerwartung von 3 % bis 6 % festgehalten. Bei Punkt 2. („Erfahrungen mit folgenden Anlageprodukten“) kreuzte der Zweitbeklagte Sparbuch, Kapitalversicherungen, Bausparverträge und Anleihen (Fonds) an, Letzteres weil er wusste, dass der Zweitkläger über eine Lebensversicherung verfügte, die nach Ansicht des Zweitbeklagten zu 85 % in Anleihen veranlagt war. Bei Punkt 3. („Finanzprofil“) machten die Kläger keine Angaben. Unter Punkt 4. („Risikobereitschaft“) wurde die niedrigste Stufe „moderate Ertragschancen bei verhältnismäßig geringen Kursschwankungen (z.B. inländische Anleihenfonds, etc.)“ angekreuzt. Der Punkt 6. („Risikohinweis/Bestätigung des Kunden“) enthält in 18 klein gedruckten Zeilen allgemeine Risikohinweise bezüglich Wertpapierveranlagungen, unter anderem wird auch darauf hingewiesen, dass bei Hedgefonds und gemischten Fonds mit Hedgefonds-Komponenten ein Totalverlust des jeweils eingesetzten Kapitals möglich ist und bei Beteiligungen (zB Kommanditbeteiligungen) Bonitätsrisiken bestehen. Der Zweitbeklagte warnte die Kläger im Rahmen des Beratungsgesprächs nicht vor dem möglichen Emittentenrisiko und der Möglichkeit eines damit verbundenen Totalverlusts.

Im Zuge des Gesprächs wurde ein Zeichnungsformular ausgefüllt, mit dem die Kläger 30.000 EUR in G***** Anleihen der Emittentin veranlagten. Der letzte Absatz dieses Formulars enthält in Kleindruck folgenden Text:

„Die Haftung der [Emittentin] [...], deren Organe, Berater, Vermittler und Depotbanken sowie sonstigen zurechenbaren Dritten für leicht fahrlässig zugefügte Schäden wird einvernehmlich ausgeschlossen. Jegliche Haftung ist mit dem eingesetzten Betrag begrenzt. Der/die Käufer bestätigen (…) die Risikohinweise erhalten und gelesen zu haben, sowie die mit dieser Vermögenseinlage verbundenen Risiken zu kennen. Unternehmensanleihen schließen immer auch das Risiko des Emittenten ein. (…).“

Die Kläger haben die Risikohinweise nicht genau gelesen, sondern haben sich aufgrund des bestehenden Vertrauensverhältnisses auf die Informationen des Zweitbeklagten, der diese Veranlagung als sicher angepriesen hat, verlassen. Sie wurden vom Zweitbeklagten auf das Emittentenrisiko und die Möglichkeit eines Totalverlusts nicht hingewiesen, über die im Formular enthaltene Haftungsbeschränkung wurde nicht gesprochen.

Kläger und Zweitbeklagter unterfertigten das persönliche Anlageprofil und das Zeichnungsformular, das an die Nebenintervenientin weitergeleitet wurde. Nach Ablauf dieser Veranlagung wurde im Rahmen einer Folgezeichnung am 19. 10. 2006 nach Teilauszahlung ein verbleibender Betrag in Höhe von 15.000 EUR wiederveranlagt; auch diesmal haben die Kläger ein vorgedrucktes Folgezeichnungsformular unterfertigt, ohne dass über Risiken in diesem Zusammenhang gesprochen worden wäre. Nach Ablauf dieser Veranlagung ließen sich die Kläger einen Teil auszahlen und veranlagten mit Folgezeichnung vom 22. 10. 2007 für ein Jahr 10.000 EUR in C***** Grund und I***** Anleihen der Emittentin, auch diesmal unter Verwendung eines von den Klägern unterfertigten, vorgedruckten Folge-zeichnungsformulars und ohne Gespräch über Risiken. Mit Zuteilungsbestätigung der Emittentin vom 31. 10. 2007 wurde den Klägern bestätigt, dass ihr Antrag auf Zeichnung bei einer Laufzeit von einem Jahr angenommen wurde. Mit Schreiben vom 7. 10. 2008 wurden die Kläger von der Emittentin darüber informiert, dass ihre Veranlagung am 30. 10. 2008 auslaufe, es werde eine Folgezeichnung empfohlen. Laut Kontoauszug vom 30. 10. 2008 betrug der Wert dieser Veranlagung abzüglich KESt an diesem Tag 10.635,55 EUR. Es erfolgte allerdings keine Auszahlung an die Kläger. Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 6. 3. 2009 wurde über das Vermögen der Emittentin das Insolvenzverfahren eröffnet, das nach wie vor anhängig ist. Die Kläger haben ihre Forderung von 10.635,55 EUR im Insolvenzverfahren angemeldet, sie wurde nicht bestritten. Hätten die Kläger gewusst bzw wären sie darüber aufgeklärt worden, dass die Möglichkeit des Verlusts des eingesetzten Kapitals besteht, so hätten sie weder die ursprünglichen Anleihen gezeichnet, noch die Folgezeichnungen vorgenommen. Beide Kläger waren der Überzeugung, dass die Veranlagung gleich sicher wie ein Sparbuch ist, mit einer Kapitalgarantie und einer Mindestverzinsung von 3 %.

Die Kläger begehrten 10.635,55 EUR sA (Kaufpreis 10.000 EUR plus 635,55 EUR an am Markt erwirtschaftbaren Zinsen). Sie seien unerfahrene Anleger und hätten dem Zweitbeklagten aufgrund des bestehenden Bekanntheits- und Vertrauensverhältnisses blind vertraut. Sie hätten nur eine geringe Risikobereitschaft angegeben. Der Zweitbeklagte habe bei der Erstberatung von einer Kapitalgarantie und mindestens 3 % Fixzinsen gesprochen und eine sichere Anlage versprochen. Er habe zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen, dass in der übergebenen Broschüre ein Risikohinweis enthalten sei und dass überhaupt mit der gegenständlichen Anlage ein Risiko verbunden sei. Die Auszahlung der letzten Folgezeichnung sei am 31. 10. 2008 fällig gewesen. Die Kläger hätten aber in der Folge keine Leistung erhalten, weil das Insolvenzverfahren über die Emittentin eröffnet worden sei. Die angemeldete Forderung der Kläger von 10.635,55 EUR sei anerkannt worden. Die angemeldeten Forderungen überschritten 30 Mio EUR, es sei lediglich mit einer Quote im unteren einstelligen Bereich zu rechnen.

Die Beklagten und die auf Seiten der Beklagten beigetretene Nebenintervenientin beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Die Beratung der Kläger sei fehlerfrei erfolgt, sie seien insbesondere darüber aufgeklärt worden, dass Wertpapiere wie Unternehmensanleihen immer auch das Emittentenrisiko mitumfassten. Zum Zeitpunkt der Anlageentscheidung der Kläger seien allfällige Liquiditätsprobleme der Emittentin nicht absehbar gewesen. Zwischen einem Beratungsfehler und einem eingetretenen Schaden müsse ein Rechtswidrigkeitszusammenhang bestehen; die Unterlassung des Hinweises auf ein bestimmtes Risiko, das sich in der Folge nicht verwirklicht habe, begründe keine Haftung wegen des Eintritts anderer Risiken. Durch Unterfertigung der Zeichnungsformulare für die vermittelten Produkte sei ein Haftungsausschluss hinsichtlich leichter Fahrlässigkeit vereinbart worden. Die Kläger hätten dem Zweitbeklagten blind vertraut, weshalb sie das Allein- bzw das überwiegende Mitverschulden von mindestens 99 % treffe. Aufgrund des offenen Insolvenzverfahrens stehe der behauptete Vermögensnachteil der Kläger bisher noch nicht fest und sei nicht bezifferbar; das Leistungsbegehren der Kläger sei deshalb verfehlt. Die Kläger müssten sich eine sich aus dem Insolvenzverfahren allenfalls ergebende Quote als schadensmindernd anrechnen lassen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit 7.090,36 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren von 3.545,18 EUR sA ab. Zwischen den Streitteilen sei ein konkludenter Auskunfts- bzw Beratungsvertrag zustande gekommen, aus dem der Berater hafte, wenn er Auskünfte erteile, die Grundlage wesentlicher Entschlüsse oder Maßnahmen seien. Der Zweitbeklagte habe mitgeteilt, dass es sich um eine risikolose und absolut sichere Veranlagung handle, bei der man nichts verlieren könne. Dies sei für die in Fragen der Finanzanlage unerfahrenen Kläger eine wesentliche Entscheidungsgrundlage gewesen. Der Zweitbeklagte hätte daher auf die Möglichkeit des Totalverlustes des eingesetzten Kapitals im Falle des Konkurses der Emittentin hinweisen müssen. Die in den Zeichnungsformularen enthaltene Haftungsfreizeichnung sei nicht individuell ausgehandelt worden und nichtig. Bei Berechnung des Geldersatzes im Rahmen der Naturalrestitution sei auf den hypothetischen Verlauf Bedacht zu nehmen. Eine Quote aus dem noch anhängigen Insolvenzverfahren der Emittentin könne zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung nicht festgestellt und daher auch nicht angerechnet werden. Da sich die Kläger zur Gänze auf die Auskünfte des Zweitbeklagten verlassen, die Risikohinweise nicht genau gelesen und nicht hinterfragt hätten, treffe sie ein Mitverschulden im Ausmaß von einem Drittel.

Der klageabweisende Teil dieses Urteils erwuchs in Rechtskraft.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten gegen den stattgebenden Teil des Urteils nicht Folge; es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob ein geschädigter Anleger im Fall der Insolvenz eines Emittenten vom grundsätzlich schadenersatzpflichtigen Finanzberater Geldersatz in Form des Differenzschadens ohne Berücksichtigung der noch nicht bezifferbaren Quote im Insolvenzverfahren erlangen könne. Die Passivlegitimation der Beklagten und die rechnerische Höhe des geltend gemachten Schadens seien nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens.

Die Kläger hätten in eine Unternehmensanleihe mit einer einjährigen Laufzeit und einer zugesicherten Verzinsung von 3,5 % investiert, deren Risiko ausschließlich in der Bonität der Emittentin bestanden habe. Die Zusicherung des Zweitbeklagten, es handle sich um eine absolut sichere Veranlagung, habe für die Kläger die Gefahr erhöht, eine Anlage zu wählen, die nicht ihren Risikovorstellungen entspreche. Zu diesem Risikobündel gehöre einerseits die Insolvenz der Emittentin, andererseits auch die hier (angeblich) verwirklichte Gefahr eines strafbaren oder grob fahrlässigen Verhaltens der Organe der Emittentin. Auf die Gründe für das Scheitern der Emittentin komme es daher nicht an. Die Beklagten hätten daher grundsätzlich für eine unrichtige - nämlich risikoerhöhende - Beratung gegenüber den Klägern zu haften. Da die im Zeichnungsformular enthaltene Haftungsfreizeichnung bei flüchtigem Überlesen keineswegs hervorsteche und nicht im Einzelnen ausgehandelt worden sei, sei sie nicht wirksam. Dass die Kläger „blind“ auf die Angaben des Zweitbeklagten vertrauten, sei eine nicht unerhebliche Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten, die aber gegenüber dem Fehlverhalten des Zweitbeklagten, den aufgrund seiner Fachkenntnisse der erhöhte Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB treffe, weniger schwer wiege; die Verschuldensteilung des Erstgerichts sei daher zu billigen. Mit der Konkurseröffnung über die Emittentin hätten die Kläger bereits einen „Primärschaden“ erlitten, da an die Stelle des werthaltigen Wertpapiers eine Konkursforderung getreten sei. Es stelle sich jedoch die Frage, ob und wie die ziffernmäßig unbestimmte, jedoch noch zu erwartende Konkursquote zu berücksichtigen sei.

Zwar machten die Kläger Geldersatz in Höhe des Erfüllungsinteresses geltend, für das ein Anlageberater grundsätzlich nicht einzustehen habe. Das Erstgericht sei jedoch richtig davon ausgegangen, dass entgangene Anlagezinsen nur zugesprochen werden könnten, wenn diese aufgrund der jeweiligen Marktverhältnisse zu erwirtschaften gewesen wären, welche Voraussetzung hier vorläge, es habe daher im Ergebnis nicht das Erfüllungsinteresse, sondern den Differenzschaden zugesprochen (Kaufpreis 10.000 EUR plus 635,55 EUR an am Markt erwirtschaftbaren Zinsen). Von dieser der Höhe nach unbekämpft gebliebenen Berechnung des Differenzschadens sei somit grundsätzlich auszugehen. Geldersatz in Form des Differenzschadens könne geltend gemacht werden, wenn die unerwünschten Papiere verkauft worden seien. Hier hätten die Kläger die Papiere behalten und ihre Forderung im Konkurs der Emittentin angemeldet; eine Konkursquote stehe noch nicht fest. Behielten Investoren die unerwünschte Anlage, seien sie mangels bezifferbaren Schadens zunächst auf eine Feststellungsklage verwiesen, doch käme ein Feststellungsbegehren wegen der Subsidiarität der Feststellungsklage dann nicht mehr in Betracht, wenn bereits ein Begehren auf Geldersatz oder Naturalrestitution möglich sei. Habe der Kläger aufgrund einer Fehlberatung ein Finanzprodukt mit nicht gewünschten Eigenschaften erworben, sei der Schaden bereits durch dessen Erwerb eingetreten. Hätte der Anleger bei richtiger Beratung die Anleihe nicht gekauft, habe er im Rahmen der Naturalrestitution Zug um Zug gegen Übertragung der Anleihen Anspruch auf Rückzahlung der zum Erwerb der Anleihen gezahlten Kaufpreise abzüglich der erhaltenen Zinszahlungen. Damit werde die Möglichkeit des Anlegers, auf dem Rücken der beklagten Partei zu spekulieren, verhindert. Ein Anspruch auf Naturalrestitution bestehe auch gegenüber dem Finanzberater, der die Finanzprodukte nur vermittelt habe. Hier hätten die Kläger eine Leistung Zug um Zug gegen Herausgabe der Wertpapiere (und gegen Abtretung der Konkursforderung) an die Beklagten nie angestrebt, sondern schlicht Geldersatz geltend gemacht. Sie wären daher bei Anwendung der Rechtsprechung zu Anlegerschäden in Ermangelung der genauen Bezifferbarkeit ihres Schadens auf ein Feststellungsbegehren zu verweisen; bei konsequenter Beibehaltung des Gedankens des Vorrangs der Naturalrestitution (auch im Falle der Insolvenz) müsse ein diesbezügliches Feststellungsbegehren wegen Subsidiarität abgewiesen werden. Weder der Verweis auf ein Feststellungsbegehren noch die strikte Beibehaltung des Vorrangs der Naturalrestitution seien im Anlassfall jedoch sachgerecht. Gegen ein Feststellungsbegehren spreche, dass sich das Insolvenzverfahren über einen längeren Zeitraum hinziehen könne (Ermittlungen der Staatsanwaltschaft; Konkursforderungen in Höhe von rund 30 Mio EUR), womit die Kläger dem Bonitätsrisiko der Beklagten ausgesetzt würden. Darüber hinaus gebe die jüngere Rechtsprechung der Naturalrestitution den Vorrang. Diese Rechtsprechungslinie habe jedoch jene Fälle vor Augen, bei denen die Wertpapiere noch handelbar gewesen und nicht prognostizierbaren Kursschwankungen unterlegen seien. Solches sei hier nicht mehr zu befürchten, weil die Laufzeit der Wertpapiere bereits abgelaufen und über die Emittentin das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei. Die von den Klägern erworbene Teilschuldverschreibung erliege offensichtlich im Konkursakt, sodass die Kläger das Wertpapier gar nicht mehr in Händen hielten. In diesem Fall sei daher auf die Rechtsprechung zurückzugreifen, wonach ein Kläger, der seinen Rechtsanwalt wegen Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht auf Schadenersatz klage, nicht so lange mit der (Leistungs-)Klage zuwarten müsse, bis feststehe, in welcher Höhe der Kläger aus der Konkursmasse seines ursprünglichen Schuldners Deckung finde, sondern ohne Rücksicht auf eine allfällige Quote im Insolvenzverfahren sofort Schadenersatz in voller Höhe geltend machen könne. Dem Beklagten stehe es dann nämlich frei, nach Zahlung des Klagebetrags die gemäß § 1358 ABGB bzw § 1422 ABGB auf ihn übergegangene Forderung im Konkurs geltend zu machen oder im Falle der Teilbefriedigung des Klägers aus der Konkursmasse diesen Betrag vom Kläger aus dem Titel Bereicherung zurückzufordern. Nach diesen Grundsätzen stehe den Klägern daher bereits jetzt Geldersatz in der von ihnen geltend gemachten Höhe zu; die derzeit noch nicht bezifferbare Konkursquote habe außer Betracht zu bleiben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig; das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.

Die Beklagten haben schon in der Berufung die Schadenshöhe einschließlich Zinsenbegehren nicht mehr in Frage gestellt. Sie machen in dritter Instanz allein geltend, dass mangels Bezifferbarkeit des den Klägern endgültig entstandenen Schadens vor Abschluss des Insolvenzverfahrens über die Emittentin eine auf Geldleistung gerichtete Schadenersatzklage nicht möglich sei, sondern die Kläger auf einen Feststellungsanspruch zu verweisen seien; im Insolvenzverfahren sei nämlich mit einer zumindest teilweisen Befriedigung der Kläger zu rechnen.

1. Allgemein gilt, dass der Geschädigte bei pflichtwidriger Anlageberatung verlangen kann, so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn der Anlageberater pflichtgemäß gehandelt, ihn also richtig und vollständig beraten hätte. Er kann den Vertrauensschaden verlangen (8 Ob 123/05d mwN; RIS-Justiz RS0125829).

2. Beim Vermögensschaden unterscheidet man einerseits den realen Schaden, der in der tatsächlichen negativen Veränderung der Vermögensgüter des Geschädigten liegt und auf dessen Ausgleich die Naturalherstellung (§ 1323 ABGB) ausgerichtet ist. Für diese ist eine in Geld messbare Vermögenseinbuße nicht entscheidend.

3. Unter rechnerischem Schaden hingegen versteht man die in Geld messbare Verminderung des Vermögens oder eines Vermögensgutes des Geschädigten (Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht I³ Rz 217; 218). Der rechnerische Schaden wird stets durch eine Differenzberechnung ermittelt. Nach der Differenzmethode besteht das zu leistende Interesse (der rechnerische Schaden) in der Differenz zwischen der Vermögenslage des Geschädigten, wie sie sich im Beurteilungszeitpunkt ohne schädigendes Ereignis darstellen würde, und dem nach dem schädigenden Ereignis nun tatsächlich vorhandenen Vermögensstand (vgl RIS-Justiz RS0030153).

4. Die Kläger begehren Geldersatz, also den rechnerischen Schaden. Dieses Begehren setzt zwar im Allgemeinen voraus, dass die Kläger das aufgrund der mangelhaften Beratung erworbene Anlageprodukt verkauft haben und dann den Differenzschaden geltend machen (4 Ob 67/12z; RIS-Justiz RS0120784). Im konkreten Fall ist zwischen den Parteien aber nicht strittig, dass die Forderung der Kläger wegen Vermögenslosigkeit der Emittentin, über die ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, uneinbringlich ist. Die Uneinbringlichkeit der Forderung gegen die Emittentin ist der Wertlosigkeit gleichzuhalten. Ein Zuwarten bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens ist den Klägern - unabhängig von einer allenfalls zu erwartenden Quote - nicht zumutbar. In einem solchen Fall ist davon auszugehen, dass die Anlage (endgültig) wertlos und ein Verkauf - wie der Senat erst jüngst ausgesprochen hat - weder möglich noch erforderlich ist (4 Ob 67/12z mwN); der Subtrahend der Differenzrechnung ist vielmehr mit Null anzusetzen.

5. Im Anlassfall ist nicht die Höhe des rechnerischen Schadens, den die Kläger infolge der mangelhaften Beratung durch die Beklagten erlitten haben, sondern allein jener möglicherweise in Zukunft eintretende Vorteil strittig, den die Kläger allenfalls dadurch erzielen werden, dass ihnen im Insolvenzverfahren über die Emittentin ein Teil ihrer dort angemeldeten Forderung als Konkursquote ausgezahlt werden wird. Die Beklagten haben allerdings das Vorbringen der Kläger, die im Insolvenzverfahren angemeldeten Forderungen überschritten 30 Mio EUR, es sei lediglich mit einer Quote im unteren einstelligen Bereich zu rechnen, nicht substantiiert bestritten. Darauf, ob eine Verringerung der Schadenshöhe durch Zahlung einer Konkursquote zu erwarten ist, kommt es aber hier nicht weiter an, weil der den Klägern aus ihrer mangelhaften Beratung bereits entstandene rechnerische Schaden nicht in Frage steht.

6.1. Der Befürchtung der Beklagten, die Kläger könnten sich - gewährte man ihnen bereits jetzt einen ungekürzten Zahlungsanspruch - auf ihre Kosten bereichern, sofern das Insolvenzverfahren zu einer Ausschüttung an die Gläubiger führt, hat das Berufungsgericht zutreffend die Rechtsprechung entgegengehalten, wonach ein Kläger, der seinen Rechtsanwalt wegen Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht auf Schadenersatz klagt, nicht solange mit der Klage gegen diesen zuwarten muss, bis feststeht, in welcher Höhe der Kläger aus der Konkursmasse seines ursprünglichen Schuldners Deckung erhalten werde (RIS-Justiz RS0022486).

Die Beklagten treten ja dann, wenn sie - auch im Wege des Schadenersatzes - eine fremde Schuld zahlen, nach der Legalzessionsnorm des § 1358 ABGB in die Rechte des Gläubigers ein (vgl 8 Ob 32/02t = RIS-Justiz RS0114995 [T1] = RS0112742 [T3] zum Regress des Vertragserrichters gegen den Verkäufer einer Liegenschaft nach Zahlung von Schadenersatz an den Käufer wegen unterlassener Sicherung vor Auszahlung des Kaufpreises; vgl auch RS0112743 [T1]), die hier im Teilnahmeanspruch im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Emittentin samt Anspruch auf Auszahlung einer allfälligen Quote bestehen. Der Revision kann daher kein Erfolg beschieden sein.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

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