AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:W215.2204938.1.00
Spruch:
W215 2204938-1/16EIM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. STARK über die Beschwerde von XXXX , Staatsangehörigkeit Republik Armenien, gegen die Spruchpunkte II., IV. und V. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.07.2018, Zahl 1073500909-150671226, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, § 52 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG), in der Fassung BGBl. I Nr. 110/2019, als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl Nr. 1/1930 (B-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. abgeschlossenes Asylverfahren der Tochter der Beschwerdeführerin:
Die volljährige Tochter der Beschwerdeführerin, Frau XXXX , reiste bereits im Jahr XXXX illegal in das Bundesgebiet, stellte aber erst am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX , wegen der unglaubwürdigen Behauptungen der Tochter in Spruchpunkt I. gemäß § 3 AsylG abgewiesen und ihr der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt wurde. In Spruchpunkt II. wurde der Tochter der Beschwerdeführerin der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG nicht gewährt und diese in Spruchpunkt III. gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Armenien ausgewiesen. Das Bundesasylamt ging davon aus, dass die Tochter der Beschwerdeführerin ihre angeblichen Fluchtgründe erfunden hat.
Nach einer gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobenen Beschwerde wurde diese mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX , Zahl XXXX , gemäß §§ 3 und 8 Abs. 1 Z 1 AsylG -wegen der nicht glaubhaften Behauptungen der Tochter der Beschwerdeführerin - als unbegründet abgewiesen und gemäß § 75 Abs. 20 AsylG das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Eine Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.
2. erstinstanzliches Verfahren:
Nachdem der Antrag auf internationalen Schutz der Tochter der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX , Zahl XXXX , gemäß § 3 und § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG - wegen der unglaubwürdigen Behauptungen der Tochter – als unbegründet abgewiesen worden war, reiste die Beschwerdeführerin problemlos legal mit ihren armenischen Reisepass am XXXX von XXXX zu ihren Eltern in die Russische Föderation, von dort weiter zu ihrem Bruder in die Ukraine und später zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt illegal nach Österreich, wo sie am 14.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Begründend führt die Beschwerdeführerin in der Erstbefragung am 16.06.2015 zusammengefasst aus, seit dem Jahr 1990 eheliche körperliche Misshandlungen ihres alkoholkranken und drogensüchtigen Ehegatten, dem Vater ihrer Tochter, erlitten zu haben, von dessen Gläubigern wegen der Suche nach ihm sexuell belästigt aber nicht vergewaltigt worden zu sein und wegen der medizinischen Versorgung in Österreich aus der Republik Armenien nach Österreich geflohen zu sein; hier habe die Beschwerdeführerin keine Angehörigen.
In der niederschriftlichen Befragung am 25.05.2018 gab die Beschwerdeführerin an, dass ihre Tochter die am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, tatsächlich bereits ab dem Jahr XXXX illegal in Österreich gelebt habe. Die Beschwerdeführerin hatte nie Probleme mit Behörden oder Gerichten der Republik Armenien. Wegen der hier kostenlosen medizinischen Behandlung sei für sie nur Österreich oder Deutschland als Reiseziel in Frage gekommen. Nach ihrem Fluchtgrund gefragt, gab die Beschwerdeführerin kurz zusammengefasst an, dass sie viele Jahre lang ein unglückliche Ehe mit ihrem gewalttägigen Ehegatten, dem Vater ihrer Tochter, geführt habe und am XXXX von drei unbekannten Männern, weil sie ihren Ehegatten gesucht hätten, mit einem Messer bedroht worden sei.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.07.2018, Zahl 1073500909-150671226, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 14.06.2015 in Spruchpunkt I. bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG und in Spruchpunkt II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien abgewiesen. In Spruchpunkt III. wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. In Spruchpunkt IV. wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde in Spruchpunkt V. gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass Abschiebungen der Beschwerdeführerin nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig ist und in Spruchpunkt VI. ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt. Begründend wurde ausgeführt, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin zu ihren angeblichen Fluchtgründe, wonach sie wegen jahrzehntelanger Misshandlungen durch ihren Ehegatten und aufgrund der Bedrohungen von dessen Gläubigern ausgereist sei, frei erfunden ist.
Mit Verfahrensanordnung vom 30.07.2018 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.
3. Beschwerdeverfahren:
Nur gegen die Spruchpunkte II., IV. und V. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.07.2018, Zahl 1073500909-150671226, zugestellt am 08.08.2018, erhob der Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin fristgerecht am 29.08.2018 die gegenständliche Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften. Es wurde beantragt den Sachverhalt in mündlicher Verhandlung zu ergänzen sowie den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass der Beschwerdeführerin der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werde und in den Punkten II., IV. und V. ersatzlos aufzuheben, jedenfalls die Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung nach Armenien entfallen zu lassen. Es wird zusammengefasst ausgeführt, dass ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren gegeben sei, da die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr in eine die Existenz bedrohende Notlage iSe real risk gedrängt wäre, da die Beweiswürdigung der Behörde, wieder beim Gatten zu leben und für den Lebensunterhalt der Beschwerdeführerin zu sorgen nicht nachvollziehbar und gänzlich verfehlt sei, da die Beschwerdeführerin seit vielen Jahren massive Probleme mit dessen Alkohol- und Drogenproblemen habe, er die Beschwerdeführerin bedrohte und misshandelte. Auch greife dieser Bescheid in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein, da die Beschwerdeführerin derzeit einen Deutschkurs B1 besuche wobei die Prüfung am XXXX anberaumt sei, auch sei ihre volljährige Tochter im Bundesgebiet rechtmäßig aufhältig, verheiratet und Mutter zweier Kinder. Die Beschwerdeführerin habe eine intensive Beziehung mit der Tochter, den Kindern und dem Schwiegersohn.
Die Beschwerdevorlage vom 30.08.2018 langte am 04.09.2018 im Bundesverwaltungsgericht ein und wurde einer Gerichtsabteilung zugewiesen.
Am 01.02.2021 wurde das Beschwerdeverfahren der nunmehr zur Entscheidung berufenen Gerichtsabteilung zur Erledigung zugewiesen.
Nach einem schriftlichen Parteiengehör des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.08.2021 langte am 19.08.2021 ein vorbereitender Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 18.08.2021 samt Unterlagen hinsichtlich ihrer Integrationsbemühungen im Bundesverwaltungsgericht ein, insbesondere wurden folgende Angaben getätigt: die Beschwerdeführerin gehe keiner Erwerbstätigkeit nach, sie habe keinen Beruf gelernt, die Beschwerdeführerin sei immer nur Hausfrau gewesen, sie verfüge über ein A2 Zertifikat und die Beschwerdeführerin sei bestrebt die B1 Prüfung abzulegen. Sie „arbeite“ fallweise bei Bekannten in Reinigungs- oder Kinderbetreuungsarbeiten und der Pflege von alten Menschen – dies jedoch „gratis“. Die Beschwerdeführerin wolle eine Ausbildung zur Pflegerin machen. Sie kümmere sich um ihre Tochter, den Schwiegersohn und drei Enkel (Anmerkung: alle Staatsangehörige der Republik Armenien), sehe diese täglich und würde von diesen auch besucht. Eine Schwester des Schwiegersohns sei österreichische Staatsbürgerin. Beigelegt wurden diverse Unterlagen, darunter die Kopie einer undatierten ÖSD Zertifikatskarte A2, die Kopien von Geburtsurkunden der Enkel, der Heiratsurkunde der armenischen Tochter mit deren armenischen Ehegatten, Schreiben der Beschwerdeführerin vom 17.08.2021 bezüglich ihrer Integrationsbemühungen, ein „Sozialbericht“ der Unterkunft vom 17.08.2021, Schreiben vom 17.08.2021 über ehrenamtliche Leistung der Beschwerdeführerin für eine Firma namens „ XXXX als Reinigungskraft sowie Kinderbetreuung, samt Hinweis über ein in Zukunft mögliches monatliches Einkommen von 1.500 Euro, eine Unterstützungserklärung vom 17.08.2021 (allerdings ausgestellt auf den Namen an XXXX ?!), ein Schreiben der Tochter vom 17.08.2021 wonach die Beschwerdeführerin sie bei Kinderbetreuung unterstütze während der Schwiegersohn in dessen XXXX tätig sei, ein undatiertes Unterstützungsschreiben von XXXX wonach die Beschwerdeführerin für die bettlägerige Mutter von XXXX gekocht, eingekauft und sich um Ordnung im Haushalt gekümmert hat, ein Unterstützungsschreiben von XXXX vom 18.08.2021 hinsichtlich einer kurzfristigen Hilfe der Beschwerdeführerin im Haushalt zudem habe XXXX eine Knöchelverletzung der Beschwerdeführerin ärztlich betreut, eine „Bestätigung“ des Kindergarten XXXX vom 23.06.2019 über eine nicht genannte „ehrenamtliche Tätigkeit“ der Beschwerdeführerin; Meldung aus dem Informationssystem Austria des Bundesministeriums für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort vom 18.08.2020 über die Anmeldung eines freien Handelsgewerbes des Schwiegersohns und diverse Kopien von österreichischen Identitätsdokumenten unterschiedlichster Personen.
Für den 27.06.2022 wurde zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Verhandlung im Bundesverwaltungsgericht anberaumt. Es erschien die Beschwerdeführerin in Begleitung ihres Rechtsanwalts. Das ordnungsgemäß geladene Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hatte sich bereits vorab mit Schreiben vom 19.05.2022 entschuldigt. In der Verhandlung wurden die Quellen der zur Entscheidungsfindung herangezogenen Länderinformationen dargetan. Die Parteien verzichteten auf Einsichtnahme und Ausfolgung. Das Bundesverwaltungsgericht räumte den Verfahrensparteien vor Schluss der Verhandlung eine Frist von vier Wochen zur Abgabe von Stellungnahmen ein. Im Zuge der Verhandlung wurden mehrere Unterlagen vorgelegt:
- Kursbesuchsbestätigung vom XXXX eines B1 Deutschkurses im Zeitraum vom XXXX
- Ausweiskopie der Tochter, Daueraufenthalt EU, XXXX
- Bescheinigung des XXXX über einen Erste Hilfe Grundkurs im Zeitraum vom XXXX
- Unterstützungsschreiben vom 22.05.2022 von XXXX über das Kennenlernen im Herbst 2021 XXXX
- Unterstützungsschreiben vom 18.06.2022 von XXXX bezüglich „regelmäßigen zwischenmenschlichen und interkulturellen Austausch“
- Bestätigung des Unterkunftgebers für Asylwerber für die Beschwerdeführerin vom 21.06.2022: „Sie nimmt die Anfragen der Bewohner:innen auf und leitet diese an das Beratungsteam, bzw. die Hausleitung weiter
Am 20.07.2022 langte eine Stellungnahme der Beschwerdeführerin im Bundesverwaltungsgericht ein. Darin gibt die Beschwerdeführerin an, sie sei in Kenntnis gewesen, „dass meine Tochter in Österreich aufhältig ist“ und nicht wie von ihr in der Beschwerdeverhandlung am 27.06.2022 angegeben, „dass sich meine Tochter in Europa und nicht in Österreich aufhält“. Zudem wurden vorgelegt:
- ein Schriftstück der armenischen Botschaft in Österreich welchem zu entnehmen ist, dass die Beschwerdeführerin am XXXX einen armenischen Reisepass beantragt hat
- eine undatierte Anmeldebestätigung für B1.1 Deutschkurs vom XXXX
Laut Auszug aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister vom 09.09.2022, XXXX , verfügt die Tochter der Beschwerdeführerin (siehe weiter oben 1. rechtskräftig abgeschlossenes Asylverfahren der Tochter der Beschwerdeführerin) seit XXXX über einen Aufenthaltstitel nach dem NAG: XXXX .
Am 14.09.2022 langte eine Stellungnahme der Beschwerdeführerin im Bundesverwaltungsgericht ein, samt Kopie von zwei Seiten eines für die Beschwerdeführerin am XXXX von den armenischen Behörden ausgestellten Reisepasses, XXXX .
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:
1. Feststellungen:
a) Zu den persönlichen Verhältnissen der Beschwerdeführerin:
Die Identität der Beschwerdeführerin kann (noch) nicht festgestellt werden. Sie ist Staatsangehörige der Republik Armenien, stammt aus XXXX Die Muttersprache der Beschwerdeführerin ist Armenisch, sie gehört der Volksgruppe der Armenier an und ist christlichen Glaubens.
Nur die volljährige Tochter und drei Enkel, alle Staatsangehörige der Republik Armenien, leben derzeit in Österreich, der Ehegatte der Tochter bzw. Vater der Enkel, zu dem die Beschwerdeführerin eine intensive Beziehung hat, lebt in der Republik Armenien.
b) Zum bisherigen Verfahrensverlauf:
Nachdem die volljährige Tochter der Beschwerdeführerin bereits im Jahr XXXX unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet gereist war, lebte sie hier illegal und stellte erst am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz, der zuletzt mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX gemäß § 3 und § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG - wegen der nicht glaubhaften Behauptungen der Tochter der Beschwerdeführerin - als unbegründet abgewiesen wurde. Danach reiste die Beschwerdeführerin problemlos legal mit ihrem armenischen Reisepass am XXXX aus der Republik Armenien aus, zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt illegal nach Österreich ein und stellte am 14.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.07.2018, Zahl 1073500909-150671226, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 14.06.2015 in Spruchpunkt I. bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG und in Spruchpunkt II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien abgewiesen. In Spruchpunkt III. wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. In Spruchpunkt IV. wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde in Spruchpunkt V. gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass Abschiebungen der Beschwerdeführerin nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig ist und in Spruchpunkt VI. ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt. Begründend wurde ausgeführt, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin zu ihren angeblichen Fluchtgründe, wonach sie wegen jahrzehntelanger Misshandlungen durch ihren Ehegatten und aufgrund der Bedrohungen von unbekannten Gläubigern des Ehegatten ausgereist sei frei, erfunden ist.
Es wurde ausdrücklich nur gegen die Spruchpunkte II., IV. und V. des am 08.08.2018 zugestellten Bescheides fristgerecht am 29.08.2018 die gegenständliche Beschwerde erhoben.
Für 27.06.2022 wurde eine öffentliche mündliche Verhandlung im Bundesverwaltungsgericht anberaumt.
c) Zur möglichen Rückkehr der Beschwerdeführerin in ihren Herkunftsstaat:
Die Beschwerdeführerin ist Staatsgehörige der Republik Armenien, hatte nie Probleme mit armenischen Behörden oder Gerichten und reiste problemlos legal, mit ihrem armenischen Reisepass aus der Republik Armenien aus. Die Beschwerdeführerin ließ sich am XXXX von den armenischen Behörden einen neuen Reisepass ausstellen.
Die Beschwerdeführerin hat nie behauptete wegen der allgemeinen Sicherheitslage ausgereist zu sein und diese ist - mit Ausnahme der Grenzgebiete zu Aserbaidschan XXXX –gut.
Die Beschwerdeführerin hat im erstinstanzlichen Verfahren angegeben wegen der für sie kostenlosen medizinischen Versorgung nach Österreich gereist zu sein, in der Beschwerdeverhandlung jedoch, dass sie gesund ist. Die medizinische Grundversorgung ist in der Republik Armenien flächendeckend gewährleistet. Das Gesundheitssystem besteht aus einer staatlich garantierten und kostenlosen Absicherung sowie einer individuellen und freiwilligen Krankenversicherung. Jeder Mensch in der Republik Armenien hat Anspruch auf medizinische Hilfe und Dienstleistungen unabhängig von Nationalität, Herkunft, Geschlecht, Sprache, Religion, Alter, politischen und sonstigen Überzeugungen, sozialer Herkunft, Eigentum oder sonstigem Status. Die primäre medizinische Versorgung wird in der Regel entweder durch regionale Polikliniken oder ländliche Behandlungszentren erbracht. Die sekundäre medizinische Versorgung wird von 37 regionalen Krankenhäusern und einigen der größeren Polikliniken mit speziellen ambulanten Diensten übernommen, während die tertiäre medizinische Versorgung größtenteils den staatlichen Krankenhäusern und einzelnen Spezialeinrichtungen in Jerewan vorbehalten ist. Die primäre medizinische Versorgung ist grundsätzlich kostenfrei; siehe dazu 1. Feststellungen e zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin, medizinische Versorgung.
Die XXXX Beschwerdeführerin ist persönlich unglaubwürdig. Sie konnte auch in den Jahren nach dem Tod ihres Ehegatten, dem Vater ihrer Tochter, problemlos ihren Lebensunterhalt bis zur Reise nach Österreich bestreiten. Die Beschwerdeführerin ist uneingeschränkt arbeitsfähig- und willig, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass sie in der Republik Armenien ihren Lebensunterhalt Kraft eigener Arbeit – so auch in den von ihr in Österreich angestrebten Tätigkeiten als Helferin von Alten, Kranken und Kindern oder als Reinigungskraft - bestreiten und damit ihre Existenzgrundlagen sichern kann. Zudem hat die Beschwerdeführerin in der Republik Armenien Anspruch auf Sozialbeihilfen; siehe dazu 1. Feststellungen e zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin, Grundversorgung und Wirtschaft; Sozialbeihilfen.
d) Zum Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin in Österreich:
Die Beschwerdeführerin hält sich seit ihrer illegalen Einreise durchgehend im Bundesgebiet auf.
Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin derzeit einen Deutschkurs besucht. Sie hat am XXXX bestanden, einen Deutschkurs B1 von XXXX besucht, reichte nach der Beschwerdeverhandlung am 20.07.2022 die Kopie einer undatierte Anmeldebestätigung für B1.1 Deutschkurs vom XXXX nach und sprach in der Beschwerdeverhandlung nur mangelhaft Deutsch.
Die Beschwerdeführerin hat abgesehen von ihrer Tochter und deren Kindern keine Verwandten im Bundesgebiet. Sie ist von niemandem in Österreich abhängig. Ihr Ehegatte ist bereits mehrere Jahre vor ihrer Reise nach Österreich verstorben. Der Schwiegersohn, zu dem die Beschwerdeführerin eine intensive Beziehung hat, lebt wieder in der Republik Armenien.
Die Beschwerdeführerin ist in Österreich bei keinem Verein und keiner Organisation tätig, kümmerte sich aber ohne finanzielle Gegenleistung zeitweise um Kinder, Alte, Kranke oder putzt. Sie geht seit ihrer Asylantragstellung am 14.06.2015 bis dato keiner bezahlten Erwerbstätigkeit nach, ist in Österreich nicht selbsterhaltungsfähig und lebt von der österreichischen Grundversorgung.
e) Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin:
Politische Lage
Die Bevölkerung der Republik Armenien wird im Jahr 2022 auf über drei Millionen Einwohner geschätzt (CIA Factbook letzte Aktualisierung am 15.11.2022, abgefragt am 30.11.2022).
Die armenische Verfassung sieht eine parlamentarische Republik mit einer Einkammer-Legislative, der Nationalversammlung (Parlament), vor. Der vom Parlament gewählte Premierminister steht an der Spitze der Regierung; der ebenfalls vom Parlament gewählte Präsident hat weitgehend eine zeremonielle Funktion (USDOS 12.04.2022).
Die Nationalversammlung besteht aus mindestens 101 Mitgliedern, die für eine Amtszeit von fünf Jahren nach einem neu eingeführten Verhältniswahlsystem mit geschlossenen Listen gewählt werden, wodurch das frühere zweistufige Verhältniswahlsystem vereinfacht wird. Bis zu vier zusätzliche Sitze sind für Vertreter ethnischer Minderheiten reserviert, und es können weitere Sitze hinzugefügt werden, um sicherzustellen, dass die Oppositionsparteien mindestens 30 Prozent der Sitze halten (FH 28.02.2022).
Die internationalen Beobachter der OSZE haben die vorgezogene Parlamentswahl in Armenien am 20.06.2021 als demokratisch, fair und frei eingestuft. Den Wählern seien eine breite Palette von Möglichkeiten geboten, die freiheitlichen Grundrechte respektiert worden und die Kandidaten konnten einen freien Wahlkampf führen. Die Partei des bisherigen Ministerpräsidenten Nikol Paschinjan hatte die Parlamentswahl mit rund 54 % der Stimmen gewonnen (BAMF 28.06.2021, EurasiaNet 21.06.2021, USDOS 12.04.2022). Nach dem vorläufigen Wahlergebnis könnten daneben nur die Parteienbündnisse von Ex-Präsident Robert Kotscharjan mit rund 21 % und des früheren Präsidenten Sersch Sargsjan und des ehemaligen Geheimdienstchefs Artur Wanezjan mit 5,2 % der Stimmen in das Parlament einziehen (BAMF 28.06.2021).
Sechs Wochen nach der Parlamentswahl in Armenien ist Nikol Paschinjan am 02.08.2021 für eine neue Amtszeit zum Ministerpräsidenten der Südkaukasus-Republik ernannt worden. Paschinjans Partei Bürgervertrag war bei der vorgezogenen Parlamentswahl am 20.06.21 auf knapp 54 % der Stimmen gekommen (BAMF 16.08.2021). Die neue Regierung hat sich verpflichtet, seit langem bestehende Probleme wie systemische Korruption, undurchsichtige Politikgestaltung, ein fehlerhaftes Wahlsystem und schwache Rechtsstaatlichkeit anzugehen. Das Land ist nach wie vor stark vom Konflikt mit Aserbaidschan im Jahr 2020 betroffen, in dem mehrere Monate lang um die Kontrolle des Gebiets von Berg-Karabach gekämpft wurde (FH 28.02.2022). Die politische Krise nach der Niederlage der armenischen Streitkräfte wurde durch die vorgezogenen Neuwahlen im Juni weitgehend entschärft, die zu einem entscheidenden Sieg der Regierungspartei und zur Bestätigung von Nikol Pashinyan als Premierminister führten. Internationale Beobachter befanden, dass die Wahlen wirklich wettbewerbsfähig waren und internationalen Standards entsprachen (HRW 13.01.2022, USDOS 12.04.2022).
Im April 2021 änderte das Parlament die bestehenden Wahlgesetze, um den Empfehlungen der Venedig-Kommission und des Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR) der OSZE Rechnung zu tragen. Die vorgezogenen Wahlen im Juni 2021 wurden erfolgreich nach dem reformierten System durchgeführt, bei dem die territorialen Listen abgeschafft und das bestehende Wahlsystem vereinfacht wurde. Die Änderungen fanden breite Unterstützung bei den politischen Kräften und der Zivilgesellschaft; weitere Reformen wurden im Mai 2021 verabschiedet und sollen 2022 in Kraft treten (FH 28.02.2022).
Im April 2021 nahm das Parlament Änderungen an die härtere Strafen für Stimmenkauf, Gewalt im Zusammenhang mit Wahlen und die Störung des Wahlprozesses vorsehen und die Behinderung von Wahlkampfaktivitäten unter Strafe stellen. Obwohl bei den Wahlen 2021 ein Rückgang solcher Praktiken zu verzeichnen war, berichteten internationale Beobachter über angebliche Wahlstörungen, darunter vereinzelte Vorfälle von Stimmenkauf und Missbrauch von Verwaltungsmitteln (FH 28.02.2022, USDOS 12.04.2022).
Völlig neue Rahmenbedingungen haben sich zunächst durch die friedlich verlaufende sog. „Samtene Revolution“ im April/Mai 2018 ergeben, die von einer autokratischen Regierung unter dem ehemaligen Staatspräsidenten Serzh Sargsyan zu einer demokratisch legitimierten Regierung unter Premierminister Nikol Pashinyan führte. Die Niederlage im Berg-Karabach-Krieg (27. September – 9. November 2020) und eine für Armenien schmerzhafte Waffenstillstandsvereinbarung werden in weiten Teilen der armenischen Bevölkerung Pashinyan angelastet. Obwohl seine Popularität stark abgenommen hat, hat Paschinjan mit seiner Partei „Civil Contract“ die vorgezogenen Neuwahlen am 20. Juni 2021 mit absoluter Mehrheit (ca. 54 % der Stimmen) gewonnen. Er führt eine Ein-Parteien-Regierung (AA 25.07.2022).
Während der seit Mitte April 2022 anhaltenden Protesten gegen Ministerpräsident Nikol Paschinjan sind in der Nacht zum 04.06.22 zahlreiche Menschen verletzt und einige Demonstrierende vorübergehend festgenommen worden. Die Proteste richten sich gegen Paschinjans Politik in Bezug auf die zwischen Armenien und Aserbaidschan umstrittene Region Berg-Karabach. Armenien strebt nun unter internationaler Vermittlung, u.a. von Russland, ein Friedensabkommen mit dem Nachbarland Aserbaidschan an. Bisher wird ein Waffenstillstand zwischen beiden Staaten von russischen Soldaten überwacht. Die Opposition befürchtet, dass Paschinjan die Region Berg -Karabach komplett an Aserbaidschan abtreten will (BAMF 13.06.2022).
Die Minsk-Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, in der die Vereinigten Staaten, Frankreich und Russland gemeinsam den Vorsitz führen, nahm die Verhandlungen über Berg-Karabach wieder auf. Im Laufe des Jahres 2021 gaben die Ko-Vorsitzenden mehrere Erklärungen zu den Folgen des Krieges ab, in denen sie ihre Bereitschaft bekräftigten, die Region zu besuchen, und die Parteien aufforderten, alle Kriegsgefangenen und andere Gefangene zurückzugeben, "alle Daten auszutauschen, die für eine wirksame Minenräumung in den Konfliktregionen erforderlich sind", die "Zugangsbeschränkungen zu Berg-Karabach, auch für Vertreter internationaler humanitärer Organisationen" aufzuheben, das religiöse und kulturelle Erbe zu bewahren und zu schützen und "direkte Kontakte und die Zusammenarbeit zwischen den vom Konflikt betroffenen Gemeinschaften" zu fördern (HRW 13.01.2022)
Ein zweites Treffen der Sondergesandten von Armenien und der Türkei zur Normalisierung der schwer belasteten Beziehungen zwischen den beiden Staaten fand im Februar in Wien statt. Erst im Jänner nahmen die beiden Staaten unter Vermittlung Russlands einen Dialog mit einem Treffen der beiden Sondergesandten in Moskau auf. Er soll nach dem Willen Jerewans zu normalen diplomatischen Beziehungen führen. Die Türkei und Armenien streiten vor allem über die Geschichte: Wie die meisten internationalen Experten stuft Armenien die Massaker im Osmanischen Reich an bis zu 1,5 Millionen Armeniern 1915 als Völkermord ein. Die Türkei lehnt das vehement ab. Die Grenzen zwischen Armenien und der Türkei sind seit Jahrzehnten geschlossen. Die Türkei hatte zudem im jüngsten Krieg um die Region Berg-Karabach im Herbst 2020 den Gegner Armeniens, Aserbaidschan, militärisch unterstützt (derStandard 03.02.2022, euronews 12.03.2022).
(CIA, The World Factbook, Armenien, letzte Aktualisierung am 15.11.2022 abgefragt am 30.11.2022, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/armenia/
FH, Freedom House Freedom in the World 2022, Armenien, 28.02.2022, https://freedomhouse.org/country/armenia/freedom-world/2022
BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 16.08.2021, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw33-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4
BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (13.6.2022): Briefing Notes, Armenien, Zugriff des BFA am 04.8.2022
AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, Stand Mai 2022, 25.07.2022, https://www.ecoi.net
BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 28.06.2021, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw26-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=2
derStandard (03.02.2022): Nächste Verhandlungsrunde Armenien-Türkei am 24. Februar in Wien, https://www.derstandard.de/story/2000133095421/naechste-verhandlungsrunde-armenien-tuerkei-am-24-februar-in-wien , Zugriff des BFA am 01.03.2022
EurasiaNet (21.06.2021): Armenia's Pashinyan wins reelection in landslide, https://www.ecoi.net/de/dokument/2054242.html , Zugriff des BFA am 02.07.2021
euronews (12.03.2022): Annäherung in Antalya: Armenien und Türkei wollen Normalisierungsphase fortsetzen, https://de.euronews.com/2022/03/12/annaherung-in-antalya-armenien-und-turkei-wollen-normalisierungsphase-fortsetzen , Zugriff des BFA am 30.3.2022
HRW, Human Rights Watch, World Report 2022, Armenien, 13.01.2022, https://www.hrw.org/world-report/2022/country-chapters/armenia
USDOS, US Department of State, Armenien, Menschenrechtslage Jahresbericht 2021, 12.04.2022, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports-on-human-rights-practices/armenia/ )
Sicherheitslage
Hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 03) in den Grenzgebieten zu Aserbaidschan, aber guter Sicherheitsstandard (Sicherheitsstufe 01) im Rest des Landes (BMEIA Stand 30.11.2022).
Am 13.09.2022 gab es aserbaidschanischen Artilleriebeschuss auf die Orte Goris, Sotk und Dschermuk bzw. Umgebung sowie in den Provinzen Gegharkunik, Vayots Dzor und Syunik. Eine Ausweitung der Kämpfe ist nicht ausgeschlossen (AA Reise- und Sicherheitshinweise Stand 30.11.2022).
Aufgrund von Spannungen wird bis auf weiteres von Reisen in die Grenzgebiete zu Aserbaidschan abgeraten. Ab 13.09.2022 kam es im Bereich der Städte Jermuk, Sotk und Goris (Provinzen Gegharkunik, Vayots Dzor, Syunik) zu schweren Gefechten zwischen armenischen und aserbaidschanischen Truppen. Ein Wiederaufflammen oder eine Ausweitung der Kämpfe ist möglich. Bitte begeben Sie sich an einen sicheren Ort und halten Sie sich an die Anweisungen der armen. Behörden. Überdies werden in Jerewan immer wieder Demonstrationen abgehalten. Bleiben Sie diesen möglichst fern und halten Sie sich an die Anweisungen der armen. Behörden (BMEIA Stand 30.11.2022).
Vor Reisen in das gesamte Grenzgebiet zu Aserbaidschan, das umfasst konkret die Provinzen Gegharkunik (östlich der Autobahn M10), Vayots Dzor (östlich der A10 und nördlich der Straße H51), Tavush und Syunik, sowie in die Region Berg-Karabach wird derzeit gewarnt. Im Nordosten Armeniens verläuft die Nationalstraße M16 (über Noyemberyan in Richtung des armenisch-georgischen Grenzübergangs Bagratashen/Sadakhlo) in der Nähe der Landesgrenze Armeniens zu Aserbaidschan. Im Südosten des Landes verläuft die Nationalstrasse M2 von Goris über Shurnukh nach Kapan teilweise über aserbaidschanisches Gebiet bzw. über Gebiete mit noch nicht geklärtem Grenzverlauf. Auf beiden Straßen kommt es immer wieder zu Schusswechseln. Seit 01.12.2020 wurde mit der Rückgabe der besetzten Gebiete an Aserbaidschan die gesamte Ostgrenze Armeniens Grenzgebiet zu Aserbaidschan.
Vor Reisen in das gesamte Grenzgebiet zu Aserbaidschan, das umfasst konkret die Provinzen Gegharkunik (östlich der Autobahn M10), Vayots Dzor (östlich der A10 und nördlich der Straße H51), Tavush und Syunik, sowie in die Region Berg-Karabach wird derzeit gewarnt (AA Reise- und Sicherheitshinweise Stand 30.11.2022).
In Armenien kann es landesweit, insbesondere in Jerewan, zu Demonstrationen kommen (AA Reise- und Sicherheitshinweise Stand 30.11.2022).
Im Ende September 2020 aufgeflammten Konflikt um die von Armenien kontrollierte Region Bergkarabach gelang es, unter Vermittlung Russlands, einen Waffenstillstand zu erreichen. Armenien, das als Schutzmacht für Bergkarabach agiert, stimmte unter massivem Druck der Neun-Punkte-Erklärung zu. In der Erklärung verpflichteten sich die Parteien zu einem vollständigen Einstellen aller Kampfhandlungen auf den zuletzt gehaltenen Positionen. Darüber hinaus werden die von Armenien im ersten Karabach-Krieg Anfang der 1990er Jahre eroberten sieben aserbaidschanische Bezirke rund um Bergkarabach schrittweise an Baku zurückgegeben. Vier davon gingen bereits im Zuge der Kampfhandlungen seit September weitgehend an Aserbaidschan verloren. Mit der Erklärung wurde ebenso eine russische Friedensmission etabliert, die den Waffenstillstand entlang der Kontaktlinie auf Seiten Bergkarabachs sichern soll. Neben den Peacekeepern soll auch ein außerhalb Karabachs befindliches Zentrum zur Überwachung der Waffenruhe entstehen. Ebenso vereinbart wurde ein Austausch der Kriegsgefangenen und gefallenen Soldaten. Der letzte Punkt der Vereinbarung weist auf die Öffnung aller Wirtschafts- und Transportwege in der Region hin. Demzufolge muss Armenien Verkehrsverbindungen zwischen den westlichen Regionen der Republik Aserbaidschan und der südwestlich von Armenien gelegenen und an die Türkei grenzenden aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan sicherstellen. Der Status von Bergkarabach wurde in der Erklärung offen gelassen (IFK 11.2020).
In einer gemeinsamen Erklärung haben sich Russlands Präsident Wladimir Putin, sein aserbaidschanischer Amtskollege Ilham Alijew und der armenische Regierungschef Nikol Paschinian auf eine neue Grenzziehung und die Stationierung eines russischen Militärkontingents zur Sicherung des neuen Status quo im Konflikt um Berg-Karabach geeinigt. Aserbaidschan übernimmt rund die Hälfte des abtrünnigen Gebiets, darunter die zweitgrößte Stadt Schuscha, die strategisch von immenser Bedeutung ist (DerStandard 10.11.2020).
Unter Vermittlung von Russlands Präsident Wladimir Putin haben die verfeindeten Nachbarn Aserbaidschan und Armenien bei einem ersten gemeinsamen Treffen in Moskau am 11.01.21 neue Schritte für einen Wiederaufbau der umkämpften Südkaukasusregion Berg-Karabach vereinbart. Es seien aber noch nicht alle Punkte umgesetzt, so Paschinian. Zugleich betonte er, dass der Konflikt um Berg-Karabach nicht endgültig beigelegt sei. Insbesondere sei der politische Status ungeklärt. Die nun getroffenen Vereinbarungen für eine Entwicklung der Wirtschaft und Infrastruktur Berg-Karabachs sollen zu noch verlässlicheren Sicherheitsgarantien für beide Seiten führen (BAMF 18.01.2021).
Die Lage in den an Aserbaidschan und Berg-Karabach angrenzenden Gebieten, einem mehrheitlich armenischen Gebiet, das 1994 de facto die Unabhängigkeit von Aserbaidschan erlangte, hat sich nach dem militärischen Konflikt in der Region 2020 verschlechtert. Die Zivilbevölkerung in der Region ist nach wie vor dem Risiko ausgesetzt, Opfer physischer Gewalt zu werden. Aserbaidschanische Streitkräfte halten seit Ende 2020 weiterhin Gebiete entlang der Grenze besetzt; im Mai 2021 behauptete Paschinjan, dass aserbaidschanische Truppen in armenisches Gebiet eingedrungen seien, um weitere militärische Auseinandersetzungen zu provozieren. Berichten zufolge befanden sich 2021 noch Dutzende armenische Kriegsgefangene in aserbaidschanischem Gewahrsam. Einige wurden Berichten zufolge in der Haft gefoltert (FH 28.02.2022).
Aserbaidschanische Streitkräfte haben auch im Jahr 2021 armenisches Territorium besetzt und häufig versucht, die Bewegungsfreiheit der armenischen Einwohner einzuschränken, indem sie mit Gewalt gegen Zivilisten drohten, um die Kontrolle auszuüben. Im August errichteten aserbaidschanische Soldaten Straßensperren entlang einer Fernstraße und blockierten mehrere armenische Dörfer für mehrere Tage. Es wurden mehrere weitere Fälle gemeldet, in denen Straßensperren und militärische Kontrollpunkte eingesetzt wurden, um die Bewegungsfreiheit armenischer Einwohner einzuschränken; nach Angaben des Büros des armenischen Menschenrechtsverteidigers (Ombudsmann) gibt es für die Einwohner keine praktikablen Alternativrouten, um solche Eingriffe zu vermeiden. Der Ombudsmann berichtete, dass die aserbaidschanische Militärbesatzung weiterhin die Rückkehr von rechtmäßigen Bewohnern in ihre Häuser in armenischen Grenzgemeinden verhindert und deren Eigentumsrechte verletzt (FH 28.02.2022).
Die Sicherheitslage entlang der armenisch-aserbaidschanischen Grenze blieb aufgrund der Ungewissheit über die Demarkationslinien fragil (AI 29.03.2022). Die Gefechte flammten Anfang August [2022] wieder auf. Aserbaidschan und Armenien werfen sich gegenseitig den Bruch des Waffenstillstands vor. Bei den Zusammenstößen wurden mehrere Soldaten getötet (TAZ 04.08.2022, Zeit online 03.08.2022, DW 03.08.2022).
Armenien zeichnet sich als ein Land mit gering ausgeprägter Gewaltkriminalität aus. Kleinkriminalität wie Taschendiebstahl oder Einbrüche kommen vor (AA Reise- und Sicherheitshinweise Stand 30.11.2022).
Kleinkriminalität, wie etwa Taschendiebstahl, kommt vor. Nach Einbruch der Dunkelheit sollten abgeschiedene Plätze nicht aufgesucht werden. Es wird empfohlen, Demonstrationen und Menschenansammlungen zu meiden (BMEIA Stand 30.11.2022).
(BMEIA, Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten, Reiseinformation Armenien, unverändert gültig seit 14.11.2022, Stand 30.11.2022, https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/armenien/
AA, Auswärtiges Amt, Armenien, Reise- und Sicherheitshinweise, unverändert gültig seit 19.09.2022, Stand 30.11.2022, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/armenien-node/armeniensicherheit/201872
AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; The State of the World's Human Rights; Armenia 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070288.html , Zugriff des BFA am 04.04.2022
BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (18.01.2021): Briefing Notes, Armenien, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw03-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4 , Zugriff des BFA am 22.01.2021
DerStandard (10.11.2020): Umstrittener Waffenstillstand in Bergkarabach, https://www.derstandard.at/story/2000121604696/umstrittener-waffenstillstand-in-bergkarabach , Zugriff des BFA am 12.11.2020
DW - Deutsche Welle (3.8.2022): Kämpfe in Berg-Karabach flammen wieder auf, https://www.dw.com/de/k%C3%A4mpfe-in-berg-karabach-flammen-wieder-auf/a-62700701 , Zugriff des BFA am 23.08.2022
IFK – Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement [Österreich] (11.2020): Bergkarabach: Neuordnung der regionalen Machtverhältnisse, https://www.bundesheer.at/php_docs/download_file.php?adresse=/pdf_pool/publikationen/ifk_monitor_65_lampalzer_bergkarabach_nov_20_web.pdf , Zugriff des BFA am 27.11.2020
TAZ - die Tageszeitung (04.08.2022): Konflikt um Bergkarabach, Gefechte flammen wieder auf, https://taz.de/Konflikt-um-Bergkarabach/ !5868274/, Zugriff des BFA am 23.08.2022
Zeit online (03.08.2022): Kämpfe zwischen Armenien und Aserbaidschan flammen wieder auf, https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-08/bergkarabach-armenien-aserbaidschan-kaempfe?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F , Zugriff des BFA am 23.08.2022)
Berg-Karabach
Von Ende September bis Anfang November 2020 ist es zu Kampfhandlungen in der Region Bergkarabach gekommen, die zahlreiche Opfer gefordert und auch außerhalb dieser Gebiete Schäden verursacht haben. Seit 9. November 2020 sind die Kampfhandlungen eingestellt. Deutschland erkennt die sogenannte „Republik Bergkarabach“ völkerrechtlich nicht an. In Bergkarabach kann weder durch die Botschaft Jerewan noch durch die Botschaft Baku konsularische Hilfe oder Beistand gewährt werden. An der Waffenstillstandslinie kann es immer wieder zu Schusswechseln kommen, außerdem besteht Minengefahr. Die Einreise nach Bergkarabach ohne eine entsprechende aserbaidschanische Erlaubnis stellt nach aserbaidschanischem Recht einen Straftatbestand dar. Reisenden, deren Pässe Visa und/oder Einreisestempel der sogenannten „Republik Bergkarabach“ enthalten, wird kein Visum für die Einreise nach Aserbaidschan erteilt. Diese Regelung wird grundsätzlich auch angewandt, wenn aserbaidschanische Behörden auf anderen Wegen Kenntnis von Reisen nach Bergkarabach erhalten. Bei Zuwiderhandlungen gegen das Verbot der Einreise nach Bergkarabach drohen außerdem Geld- und Haftstrafen, die unter Umständen von den aserbaidschanischen Sicherheitsbehörden auch im Wege von an dritte Staaten gerichteten Auslieferungsersuchen durchgesetzt werden können (AA Reise- und Sicherheitshinweise Stand 30.11.2022).
Aufgrund der wegen des Berg-Karabach-Konflikts angespannten Lage zwischen Armenien und Aserbaidschan wird von Reisen an die Grenze zu Aserbaidschan abgeraten. Entlang der Waffenstillstandslinie und der aserbaidschanischen Grenze kann es vereinzelt zu Auseinandersetzungen und Schusswechseln kommen. Der Besuch der grenznahen Regionen (militärische Sperrgebiete) ist genehmigungspflichtig. In Teilen der Grenzregion besteht Minengefahr. Vor Auto- oder Busreisen wird empfohlen, sich über die Sicherheitslage und die Situation bei bestimmten Straßenverbindungen in der Grenzregion zu informieren, wie z.B. im Bereich der Landstraße M16 (im Bezirk Tawusch, über Noyemberyan in Richtung des armenisch-georgischen Grenzübergangs Bagratashen/ Sadakhlo). Es wird geraten, Ausweichrouten zu benützen (BMEIA Stand 30.11.2022).
Der Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien um das ehemalige Autonome Gebiet Bergkarabach (russ.: Nagorno-Karabakh oder auch Nagorny-Karabakh; in Armenien nach Umbenennung 2018 überwiegend „Artsakh“ genannt) ist noch nicht gelöst. Allerdings wurden von beiden Regierungen - auch unter Vermittlung der EU - im Frühjahr 2022 Sonderbeauftragte in Baku und Eriwan für den Friedensprozess ernannt. Im Mai 2022 wurde eine bilaterale Grenzkommission eingesetzt sowie die Außenminister mit der Erarbeitung von Elementen eines Friedensvertrags beauftragt. Die sogenannte „Republik Bergkarabach“ („RBK“, im Jahr 1991 ausgerufen) wird von keinem Staat völkerrechtlich anerkannt. Die sogenannte „OSZE-Minsk-Gruppe“ hat weiterhin das Mandat für Friedensverhandlungen; seit dem russischen Überfall auf die Ukraine sind die Ko-Vorsitzenden jedoch nicht mehr gemeinsam aktiv geworden. Der zwischen Armenien, der sog. „RBK“ und Aserbaidschan geschlossene Waffenstillstand von 1994 ist immer wieder – mit unterschiedlicher Intensität – gebrochen worden. Bis zum Tag des Ausbruchs des Zweiten Berg-Karabach-Kriegs am 27. September 2020 hatte die „RBK“ das in Aserbaidschan früher als Autonome Region Bergkarabach verwaltete Gebiet sowie weitere sieben Provinzen Aserbaidschans in den Grenzgebieten zu Armenien und Iran und in der Region um Agdam kontrolliert. Mit Ende des Krieges (9. November 2020) hatte Armenien alle bis 1994 von Aserbaidschan eroberten Gebiete sowie ca. 40 % der „RBK“ an Aserbaidschan verloren. Gemäß einem zwischen Russland, Aserbaidschan und Armenien am 9. November 2020 geschlossenen Waffenstillstand hat Russland entlang der Frontlinie in der „RBK“ mit mittelschweren Waffen ausgerüstete Friedenstruppen stationiert. Des Weiteren sind russische Friedenstruppen zu dessen Sicherung im Latschin-Korridor stationiert, der die Republik Armenien mit der „RBK“ verbindet (AA 25.07.2022).
Es gab glaubwürdige Berichte, dass ethnische armenische und aserbaidschanische Streitkräfte während und in einigen Fällen nach den Kämpfen im November 2020 rechtswidrige Tötungen, Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen vornahmen (USDOS 12.04.2022). In einem Bericht der unabhängigen Gruppe International Partnership for Human Rights über Verletzungen des humanitären Völkerrechts während des Berg-Karabach-Krieges wurden "Anscheinsbeweise für zwei außergerichtliche Hinrichtungen von verwundeten aserbaidschanischen Kämpfern durch armenische/nagorno-karabachische Soldaten" gefunden. Human Rights Watch sind keine Untersuchungen der armenischen Behörden über angebliche Kriegsverbrechen bekannt, die von armenischen Streitkräften während des Krieges begangen wurden (HRW 13.01.2022).
Auch Armenien erkennt die „Republik Bergkarabach“ offiziell nicht an, praktisch sind beide aber wirtschaftlich und rechtlich stark verflochten. Die Bewohner von Bergkarabach erhalten - neben ihrem „RBK“-Pass - armenische Pässe. Die meisten Gesetzesinitiativen im Rahmen der Anpassung an EU-Recht werden auch von der „RBK“ übernommen. In Eriwan gibt es eine bergkarabachische Vertretung, und auf armenischen Landkarten erscheint die „RBK“ - einschließlich der besetzten Gebiete - als unabhängiger Staat. Die „Republik Bergkarabach“ hat einen eigenen Verteidigungsminister und eine Armee, die aber sicherheits-politisch eng mit den armenischen Streitkräften zusammenarbeitet. Sie verfügt über eigene quasi-staatliche Strukturen. Zum Teil gelten eigene Gesetze, zum Teil werden die armenischen Gesetze angewendet. Die eigenständigen Verwaltungsstrukturen sind eng an die Armeniens gebunden. Von der „RBK“ ausgestellte Pässe sind äußerlich nur anhand der dreistelligen Kennziffer des Ausstellungsortes von armenischen Pässen zu unterscheiden. „Amtssprache“ ist armenisch; die „Währung“ ist der armenische Dram (AA 25.07.2022).
Politische Lage in Berg-Karabach
Der Präsident wird direkt für eine Amtszeit von bis zu zwei Jahren gewählt und ist sowohl Staatsoberhaupt als auch Regierungschef und kann Kabinettsmitglieder ernennen und entlassen. Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden im März und April 2020 statt, mehrere Monate bevor die aserbaidschanischen Streitkräfte einen Angriff auf das Gebiet starteten. Die Wahlbeteiligung lag im ersten Wahlgang bei 72 % und im zweiten Wahlgang bei 45 %. Arayik Harutyunyan, ein ehemaliger Premierminister und lokaler Geschäftsmann, erhielt im zweiten Wahlgang die Mehrheit der Stimmen. Sein Hauptkonkurrent, der amtierende Außenminister Masis Mayilyan, war einer von nur zwei Kandidaten, die sich weigerten, an den im Fernsehen übertragenen Debatten teilzunehmen. Mayilyan erhielt in der zweiten Runde 12 % der Stimmen, obwohl er seine Anhänger dazu aufgerufen hatte, nicht zur Wahl zu gehen, um eine weitere Ausbreitung der COVID-19 in der Region zu verhindern (FH 28.02.2022).
Von den 33 Mitgliedern der Einkammer-Nationalversammlung werden alle über Parteilisten gewählt. Die Wahlen fanden 2020 parallel zu den Präsidentschaftswahlen statt. Zehn politische Parteien - fast doppelt so viele wie bei den Wahlen 2015 - nahmen daran teil und organisierten sich in zwei Blöcken. Die Parteien führten ungehindert Wahlkampf in Städten und Dörfern und nahmen an Fernsehauftritten und Debatten teil. Die von Harutyunyan gegründete Partei Freies Vaterland (Azat Hayrenik) behielt ihre dominierende Stellung in der Legislative und gewann 16 Sitze. Die neu gegründete Partei Miasnakan Hayrenik (Vereinigtes Vaterland), die von dem Oppositionspolitiker Samvel Babayan angeführt wird, erhielt neun Sitze. Die übrigen Sitze gingen an drei andere Parteien - die Armenische Revolutionäre Föderation-Daschnaktsutyun (drei Sitze), die Ardarutyun (Gerechtigkeit) (ebenfalls drei Sitze) und die Artsakhi Zhoghovrdarakan Kusaktsutyun (Demokratische Partei von Artsakh) (zwei Sitze) -, die im Allgemeinen mit Politikern früherer Regierungskoalitionen verbunden sind (FH 28.02.2022).
Die von Harutyunyan gegründete Partei Freies Vaterland (Azat Hayrenik) behielt ihre dominierende Stellung in der Legislative und gewann 16 Sitze. Die neu gegründete Partei Miasnakan Hayrenik (Vereinigtes Vaterland), die von dem Oppositionspolitiker Samvel Babayan angeführt wird, erhielt neun Sitze. Die übrigen Sitze gingen an drei andere Parteien - die Armenische Revolutionäre Föderation-Daschnaktsutyun (drei Sitze), die Ardarutyun (Gerechtigkeit) (ebenfalls drei Sitze) und die Artsakhi Zhoghovrdarakan Kusaktsutyun (Demokratische Partei von Artsakh) (zwei Sitze) -, die im Allgemeinen mit Politikern früherer Regierungskoalitionen verbunden sind (FH 28.02.2022).
Die im Jahr 2014 verabschiedeten Änderungen führten zu einigen Verbesserungen des Wahlgesetzes. Unter anderem wurde die Zahl der Parlamentssitze im Rahmen des Verhältniswahlsystems erhöht, und die Schwelle für die Wahlbeteiligung wurde auf 5 % für politische Parteien und 7 % für Wahlbündnisse gesenkt, was eine breitere politische Beteiligung ermöglicht. Mit den im Juli 2019 für die Wahlen im Jahr 2020 beschlossenen Änderungen des Wahlgesetzes wurde das Parlament auf ein vollständiges Verhältniswahlsystem umgestellt und die einzelnen Wahlkreise abgeschafft. Seit dem Waffenstillstand von 2020 und der Verlagerung der territorialen Kontrolle wurden keine Änderungen am Wahlgesetz vorgenommen (FH 28.02.2022).
Viele ausländische Beobachter konnten aufgrund der COVID-19-bedingten Schließung der internationalen Grenzen nicht teilnehmen. Lokale Beobachter, darunter auch solche, die von den führenden armenischen Nichtregierungsorganisationen (NRO) geschult und unterstützt wurden, bezeichneten die Wahl als frei und fair, obwohl es in einigen Wahllokalen zu administrativen Unregelmäßigkeiten und verbalen Auseinandersetzungen gekommen sein soll. Frühere Wahlen waren durch Probleme wie das Fehlen eines echten Wettbewerbs und angeblichen Missbrauch von Verwaltungsressourcen beeinträchtigt (FH 28.02.2022).
Die Fähigkeit der lokal gewählten Beamten, die Regierungspolitik festzulegen und umzusetzen, wird in der Praxis durch Sicherheitsbedrohungen entlang der Kontaktlinie zwischen Berg-Karabach und den aserbaidschanischen Streitkräften, durch Warnungen aus Baku und durch die dominante Rolle der armenischen Regierung eingeschränkt. Die Verfassung sieht eine enge Zusammenarbeit mit Armenien in der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Politik vor (FH 28.02.2022).
Es gibt nur wenige formale Beschränkungen für die Gründung von und den Beitritt zu politischen Parteien, aber die politische Landschaft war in den vergangenen Jahren in der Praxis eingeschränkt. Angesichts des umstrittenen Status des Gebiets wurden offener Dissens und lebhafter Wettbewerb als Zeichen der Illoyalität oder sogar als Sicherheitsrisiko angesehen (FH 28.02.2022).
Menschenrechte in Berg-Karabach
Die Judikative ist in der Praxis nicht unabhängig. Die Gerichte werden sowohl von der Exekutive als auch von mächtigen politischen, wirtschaftlichen und kriminellen Gruppen beeinflusst. Die Verfassung garantiert grundlegende Rechte auf ein ordnungsgemäßes Verfahren, aber Polizei und Gerichte halten sie in der Praxis nicht immer ein. Offen politische Dissidenten wurden von den Behörden schikaniert (FH 28.02.2022).
Berg-Karabach leidet nach wie vor unter erheblicher Korruption, insbesondere im Bauwesen und bei der Entwicklung der Infrastruktur. Bei der Besetzung von Stellen im öffentlichen Dienst praktizieren Beamte Günstlingswirtschaft (FH 28.02.2022).
Die Verfassung verbietet Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Religion und anderen Kategorien. Frauen sind jedoch im öffentlichen und privaten Sektor unterrepräsentiert und werden in der Praxis weiterhin diskriminiert. Um den armenischen Charakter des Gebiets zu bewahren, förderte die staatliche Politik vor dem Konflikt von 2020 die armenische Sprache und Kultur und ermutigte ethnische Armenier, nach Berg-Karabach zu migrieren (FH 28.02.2022). Formal sind Frauen politisch gleichberechtigt, aber soziale Zwänge und ein vorherrschendes Gefühl der Militarisierung des lokalen Lebens schränken ihre Beteiligung in der Praxis ein, und sie sind in Führungspositionen kaum vertreten. Obwohl das Wahlgesetz von 2014 den Parteien vorschreibt, dass jeder fünfte Platz auf ihrer Parlamentsliste von einer Frau besetzt sein muss, errangen 2015 nur fünf Frauen einen Parlamentssitz. Vor den Wahlen 2020 wurde die Geschlechterquote auf einen von vier Kandidaten auf den Parteilisten erhöht, so dass sieben Frauen in der neuen Nationalversammlung vertreten sind. Bei den Präsidentschaftswahlen 2020 traten zum ersten Mal zwei Frauen an (FH 28.02.2022).
Die Verfassung garantiert die Religionsfreiheit, lässt aber Einschränkungen im Namen der Sicherheit, der öffentlichen Ordnung und anderer staatlicher Interessen zu. Die Charta erkennt auch die Armenische Apostolische Kirche als "Nationalkirche" des armenischen Volkes an. Die Religionsfreiheit anderer Gruppen ist in der Praxis eingeschränkt. Ein Gesetz aus dem Jahr 2009 verbietet die religiöse Betätigung nicht registrierter Gruppen und den Proselytismus von Minderheitsreligionen und erschwert die Registrierung von Minderheitengruppen (FH 28.02.2022).
Der beliebteste lokale Fernsehsender ist das staatlich geführte Artsakh TV. Die redaktionelle Politik des Senders hat sich seit der politischen Öffnung in Armenien im Jahr 2018 erheblich verändert, und in den letzten Jahren hat er eine größere Meinungsvielfalt gezeigt, insbesondere während der intensiven Wahlkampfzeit vor den Wahlen 2020. Kritiker der Führung des Landes, die früher nicht einmal kurz auftreten durften, wurden zu regelmäßigen Gästen in Sendungen zu aktuellen Themen. Darüber hinaus wurden regelmäßig Debatten zu wichtigen Themen des öffentlichen Lebens in der Region organisiert. Soziale Medienplattformen werden von der Öffentlichkeit und von Regierungsvertretern zunehmend für die Verbreitung und Diskussion von Nachrichten genutzt. Junge Oppositionsführer sind gut mit unabhängigen Medien in Armenien vernetzt. Dennoch üben viele einheimische Journalisten weiterhin Selbstzensur, vor allem bei Themen im Zusammenhang mit der Sicherheit und dem Friedensprozess. Die Internetverbreitung ist gering und nimmt nur langsam zu. Mobile Internetdienste sind für die meisten Einwohner weiterhin unerschwinglich (FH 28.02.2022).
Schulen und Universitäten unterliegen dem politischen Einfluss und dem Druck, abweichende Meinungen zu sensiblen Themen zu vermeiden, insbesondere zu Themen, die den Status und die Sicherheit des Landes betreffen. Pädagogen üben bei solchen Themen eine gewisse Selbstzensur aus. Private Diskussionen sind in der Regel offen und frei, auch wenn die vorherrschende nationalistische Stimmung in Politik und Gesellschaft die Äußerung abweichender Meinungen etwas hemmen kann (FH 28.02.2022).
Mehr als 250 NRO sind in Berg-Karabach registriert, doch die meisten sind inaktiv. Viele Gruppen haben Schwierigkeiten, eine dauerhafte Finanzierung zu sichern zum Teil, weil Partnerschaften mit ausländischen oder internationalen NROs durch den umstrittenen Status von Berg-Karabach erschwert werden. Zivilgesellschaftliche Gruppen stehen auch im Wettbewerb mit staatlich organisierten Einrichtungen (FH 28.02.2022).
In der „RBK“ gelten den armenischen Regelungen vergleichbare Vorschriften zur kostenlosenmedizinischen Behandlung. Im Sozialwesen gibt es „behördliche“ Unterstützung, u. a. für verwitwete oder ledige Rentner ohne Familie, Waisen und alleinerziehende Mütter. Die wirtschaftliche Situation in der Region ist nach allgemeiner Einschätzung besser als in Armenien (AA 25.07.2022).
Die Bewegungsfreiheit in Berg-Karabach wird durch den unklaren rechtlichen und diplomatischen Status des Landes, die Instabilität des Waffenstillstands und das Vorhandensein von Landminen behindert (FH 28.02.2022).
Die meisten wichtigen wirtschaftlichen Aktivitäten werden von der Regierung oder einer kleinen Gruppe mächtiger Eliten mit politischen Verbindungen streng kontrolliert. Männer und Frauen sind in Bezug auf Heirat und Scheidung rechtlich gleichgestellt, obwohl die Verfassung die Ehe als Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau definiert, was gleichgeschlechtliche Ehen ausschließt. Die Regierung bietet materielle Anreize, um Paare zu ermutigen, Kinder zu bekommen. Häusliche Gewalt ist weit verbreitet und wird nicht wirksam geahndet. Beschäftigungsmöglichkeiten sind nach wie vor rar und beschränken sich meist auf den staatlichen Sektor oder staatlich subventionierte Unternehmen (FH 28.02.2022).
(AA, Auswärtiges Amt, Armenien, Reise- und Sicherheitshinweise, unverändert gültig seit 19.09.2022, Stand 30.11.2022, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/armenien-node/armeniensicherheit/201872
BMEIA, Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten, Reiseinformation Armenien, unverändert gültig seit 14.11.2022, Stand 30.11.2022, https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/armenien/
USDOS, US Department of State, Armenien, Menschenrechtslage Jahresbericht 2021, 12.04.2022, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports-on-human-rights-practices/armenia/
AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, Stand Mai 2022, 25.07.2022, https://www.ecoi.net
HRW, Human Rights Watch, World Report 2022, Armenien, 13.01.2022, https://www.hrw.org/world-report/2022/country-chapters/armenia )
Justizwesen/Rechtsschutz
Obwohl das Gesetz eine unabhängige Justiz vorsieht, ließ die Justiz im Allgemeinen keine Unabhängigkeit und Unparteilichkeit erkennen. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Unparteilichkeit der Richter war nach wie vor gering, und Organisationen der Zivilgesellschaft wiesen darauf hin, dass viele Beamte, die der früheren Regierung gedient hatten, weiterhin im Justizwesen tätig waren und durchweg für sie günstige Urteile fällten. Die Korruption von Richtern gab weiterhin Anlass zur Sorge (USDOS 12.04.2022). Richter fühlen sich Berichten zufolge unter Druck gesetzt, mit Staatsanwälten zusammenzuarbeiten, um Angeklagte zu verurteilen. Der Anteil an Freisprüchen ist extrem niedrig. Die Behörden wenden das Recht selektiv an, und ein ordnungsgemäßes Verfahren ist weder in Zivil- noch in Strafsachen gewährleistet (FH 28.02.2022, USDOS 12.04.2022).
Das zivil- und strafrechtliche Gerichtssystem besteht aus drei Instanzen; daneben existieren eine Verwaltungsgerichtsbarkeit und das Verfassungsgericht. Die Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis hat sich seit Mitte 2018 verbessert. Die Regierung treibt eine Justizreform mit dem Ziel größerer Effizienz der Justiz voran, die allerdings seit 2020 ins Stocken geraten ist. Kollektivhaft (z. B. innerhalb der Familie) gibt es in Armenien nicht (AA 25.07.2022). Im Jahr 2019 verabschiedete die Regierung die Strategie für die Justiz- und Rechtsreform 2019-2023 und einen Aktionsplan zu deren Umsetzung, der die Einrichtung einer Untersuchungskommission zur Prüfung von Menschenrechtsproblemen vorsieht. Obwohl ein Gesetzentwurf zur Einrichtung der Kommission ausgearbeitet wurde, hat das Parlament ihn noch nicht angenommen (USDOS 12.04.2022, FH 28.02.2022).
Die Bürger hatten auch die Möglichkeit, die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und Rechtsakten, die ihre Grundrechte und -freiheiten verletzten, vor dem Verfassungsgericht anzufechten. Bürger, die den innerstaatlichen Rechtsweg ausgeschöpft haben, können bei angeblichen Verstößen der Regierung gegen die Europäische Menschenrechtskonvention den EGMR anrufen. Die Regierung hielt sich im Allgemeinen an die vom EGMR ausgesprochenen Entschädigungszahlungen (USDOS 12.04.2022).
Das Gesetz ermöglicht es Verdächtigen, die Rechtmäßigkeit von Festnahmen vor Gericht anzufechten. Einigen Menschenrechtsanwälten zufolge gaben die Gerichte jedoch selbst dann, wenn sie feststellten, dass die Festnahmen gegen das Gesetz verstießen, häufig den Anträgen der Ermittlungsbehörden auf Untersuchungshaft statt (USDOS 12.04.2022).
Langwierige Untersuchungshaft blieb ein Problem (USDOS 12.04.2022, FH 28.02.2022). Einige Beobachter sahen in der exzessiven Untersuchungshaft ein Mittel der Ermittler, um Angeklagte zu Geständnissen oder zur Offenlegung von selbstbelastenden Beweisen zu bewegen. Obwohl das Gesetz von den Staatsanwälten verlangt, alle zwei Monate eine gut fundierte Begründung für die Verlängerung der Untersuchungshaft vorzulegen, verlängerten Richter routinemäßig die Haft aus unklaren Gründen. Die Behörden hielten sich in der Regel an die Sechs-Monats-Grenze in gewöhnlichen Fällen und eine 12-Monats-Grenze für schwere Verbrechen als Gesamtdauer der Untersuchungshaft. Sobald die Staatsanwälte ihre Fälle zur Verhandlung an das Gericht weiterleiten, sieht das Gesetz keine zeitlichen Beschränkungen für die weitere Inhaftierung vor, sondern weist nur darauf hin, dass die Verhandlung eine "angemessene Dauer" haben muss. Es gab keine Mechanismen, um sicherzustellen, dass die Verfahren innerhalb einer angemessenen Frist abgeschlossen wurden (USDOS 12.04.2022).
Die Behörden setzten Gerichtsbeschlüsse im Allgemeinen durch (USDOS 12.04.2022). Der Partnerschaftsrat der EU bekräftigte das gemeinsame Bekenntnis der EU und Armeniens zu den Menschenrechten, den Grundfreiheiten, der Rechtsstaatlichkeit und den demokratischen Grundsätzen. Der Partnerschaftsrat begrüßte die bisherigen Erfolge bei der Umsetzung der nationalen Strategie Armeniens für Justiz- und Rechtsreformen, räumte jedoch ein, dass nach wie Herausforderungen bestehen (EU - Rat der EU 18.05.2022).
(USDOS, US Department of State, Armenien, Menschenrechtslage Jahresbericht 2021, 12.04.2022, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports-on-human-rights-practices/armenia/
AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, Stand Mai 2022, 25.07.2022, https://www.ecoi.net
EU - Rat der Europäischen Union (18.05.2022): Partnerschaftsrat EU-Armenien, 18. Mai 2022, https://www.consilium.europa.eu/de/meetings/international-ministerial-meetings/2022/05/18/ , Zugriff des BFA am 23.8.2022
FH, Freedom House Freedom in the World 2022, Armenien, 28.02.2022, https://freedomhouse.org/country/armenia/freedom-world/2022 )
Sicherheitsbehörden
Die nationale Polizei ist für die innere Sicherheit zuständig, während der Nationale Sicherheitsdienst für die nationale Sicherheit, nachrichtendienstliche Tätigkeiten und die Grenzkontrolle verantwortlich ist. Der am 23. Oktober eingerichtete Antikorruptionsausschuss hat den Sonderermittlungsdienst als unabhängige Behörde abgelöst, die sich auf die Voruntersuchung von Fällen mutmaßlicher Korruption durch Beamte spezialisiert hat. Der Ermittlungsausschuss ist für die Durchführung von Voruntersuchungen in allgemeinen zivilen und militärischen Strafsachen zuständig und umfasst auch Ermittlungsdienste. Die Chefs des Nationalen Sicherheitsdienstes und der Polizei sind direkt dem Premierminister unterstellt und werden vom Präsidenten auf Vorschlag des Premierministers ernannt. Das Kabinett ernennt den Leiter des Untersuchungsausschusses auf Vorschlag des Premierministers. Die Regierung ernennt den Leiter des Antikorruptionsausschusses auf der Grundlage einer Liste, die von einer speziellen Kommission erstellt wird, die mit der Durchführung eines Auswahlverfahrens beauftragt ist. Die zivilen Behörden behielten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte (USDOS 12.04.2022).
Polizei und Nationaler Sicherheitsdienst (NSD) sind direkt der Regierung unterstellt. Ein Innenministerium gibt es nicht. Die Aufgaben beider Organe sind voneinander abgegrenzt: So ist für die Wahrung der nationalen Sicherheit sowie für den Nachrichtendienst und Grenzschutz der Nationale Sicherheitsdienst zuständig, dessen Beamte auch Verhaftungen durchführen dürfen. Hin und wieder treten aber Kompetenzstreitigkeiten auf, z. B. wenn ein vom NSD verhafteter Verdächtiger ebenfalls von der Polizei gesucht wird (AA 25.07.2022).
Im April verabschiedete die Regierung eine Strategie und einen Aktionsplan zur Polizeireform für 2020-2022. Der Plan beinhaltet die Wiedereinführung eines Innenministeriums und die Stärkung der parlamentarischen Kontrolle über die Polizei. Die Reformen sehen auch die Schaffung einer neuen Patrouillenpolizei und die Gewährung von Ermittlungsbefugnissen für die Polizei vor (HRW 13.01.2021).
Es gab Berichte über Misshandlungen in Polizeistationen, die im Gegensatz zu Gefängnissen und polizeilichen Gewahrsamseinrichtungen keiner öffentlichen Überwachung unterlagen. Die Organe der Strafjustiz verließen sich weiterhin auf Geständnisse und Informationen, die bei Vernehmungen erlangt wurden, um Verurteilungen zu erreichen. Nach Angaben von Menschenrechtsanwälten waren die verfahrensrechtlichen Schutzmaßnahmen gegen Misshandlungen bei polizeilichen Vernehmungen, wie die Unzulässigkeit von durch Gewalt oder Verfahrensverstöße erlangten Beweisen, unzureichend. Laut Menschenrechtsanwälten war die Videoaufzeichnung in den Polizeistationen kein wirksamer Schutz gegen Missbrauch, da dieselben Polizeistationen die Kontrolle über die Server hatten, auf denen die Aufnahmen gespeichert waren, und diese manipulieren konnten. Die Polizei vermeidet es oft, betroffene Personen über ihre Rechte aufzuklären. Statt Personen formell zu verhaften, werden diese vorgeladen und unter dem Vorwand festgehalten, eher wichtige Zeugen denn Verdächtige zu sein. Hierdurch ist die Polizei in der Lage, Personen zu befragen ohne, dass das Recht auf einen Anwalt eingeräumt wird (USDOS 11.03.2020).
(HRW, Human Rights Watch, World Report 2022, Armenien, 13.01.2022, https://www.hrw.org/world-report/2022/country-chapters/armenia
USDOS, US Department of State, Armenien, Menschenrechtslage Jahresbericht 2021, 12.04.2022, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports-on-human-rights-practices/armenia/
AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, Stand Mai 2022, 25.07.2022, https://www.ecoi.net
USDOS, US Department of State, Armenien, Menschenrechtslage Jahresbericht 2019, 11.03.2020, https://www.state.gov/reports/2019-country-reports-on-human-rights-practices/armenia/ )
Folter und unmenschliche Behandlung
Die Anwendung von Folter ist nach Art. 26 der Verfassung verboten. Das armenische Strafgesetzbuch enthält in Übereinstimmung mit der VN-Konvention gegen Folter eine Definition und die Kriminalisierung von Folter. Allerdings fehlen bisher weitere Ergänzungen des Strafgesetzbuches, um Folter vorzubeugen und Straflosigkeit zu verhindern (AA 25.07.2022, USDOS 12.04.2022).
Es gibt keine systematischen Folterungen. Gleichwohl ist bekannt, dass festgenommene Personen in Polizeistationen mitunter geschlagen wurden (AA 25.07.2022). Folteropfer können den Rechtsweg nutzen, einschließlich der Möglichkeit, sich an den Verfassungsgerichtshof bzw. den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu wenden (AA 25.07.2022). Menschenrechtsaktivisten behaupteten, dass die fehlende Rechenschaftspflicht für alte und neue Fälle von Missbrauch durch die Strafverfolgungsbehörden weiterhin zum Fortbestehen des Problems beiträgt (USDOS 12.04.2022, AA 20.06.2021).
Mit der Auflösung des Special Investigative Service (SIS) wurde die Untersuchung von Folterfällen neu verteilt. Nach Angaben von Anwälten, die mit solchen Fällen befasst waren, werden die Fälle vom Nationalen Sicherheitsdienst (NSS), dem Ermittlungsausschuss und dem neu geschaffenen Antikorruptionsausschuss untersucht (USDOS 12.04.2022).
Es gab immer wieder Berichte über Misshandlungen auf Polizeistationen, die im Gegensatz zu Gefängnissen und polizeilichen Gewahrsamseinrichtungen keiner öffentlichen Kontrolle unterliegen. Die Strafverfolgungsbehörden verließen sich weiterhin auf Geständnisse und Informationen, die sie bei Verhören erhalten hatten, um Verurteilungen zu erreichen. Nach Ansicht von Menschenrechtsanwälten waren die verfahrensrechtlichen Schutzmaßnahmen gegen Misshandlungen bei polizeilichen Vernehmungen, wie die Unzulässigkeit von durch Gewalt oder Verfahrensverstöße erlangten Beweisen, unzureichend (USDOS 12.04.2022).
Folter und Misshandlung im Gewahrsam sind nach wie vor ein Problem und werden häufig ungestraft verübt. Selbst wenn strafrechtliche Ermittlungen als Reaktion auf Foltervorwürfe eingeleitet werden, sind sie nur selten wirksam. Nach Angaben der Helsinki Citizen's Assembly Vanadzor (HCAV), einer lokalen Nichtregierungsorganisation, werden strafrechtliche Ermittlungen meist mit der Begründung eingestellt, dass keine Straftat begangen wurde oder dass es keinen Verdächtigen gibt. Die Gruppe berichtete, dass seit 2015, als Folter zu einem spezifischen Straftatbestand wurde, niemand wegen Folter verurteilt wurde. In allen Fällen, in denen Beamte für körperliche Misshandlungen zur Rechenschaft gezogen wurden, wurden sie wegen allgemeiner "Amtsmissbrauchs"-Vergehen verurteilt (HRW 20.01.2022).
Zur Bekämpfung der Folter veranstaltete die Regierung im Laufe des Jahres gezielte Schulungen für Richter, Staatsanwälte, Ermittler, militärisches Führungspersonal, Militärpolizei, Polizei und Gefängnispersonal (USDOS 12.04.2022).
Am 25. Mai [2021] veröffentlichte das Komitee des Europarats zur Verhütung von Folter (CPT) einen Bericht über seinen letzten regelmäßigen Besuch im Land im Dezember 2019. Das CPT stellte fest, dass die große Mehrheit der von seiner Delegation befragten Personen, die sich in Polizeigewahrsam befanden oder kürzlich befunden hatten angaben, dass sie angemessen behandelt worden waren (USDOS 12.04.2022).
(USDOS, US Department of State, Armenien, Menschenrechtslage Jahresbericht 2021, 12.04.2022, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports-on-human-rights-practices/armenia/
AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, Stand Mai 2022, 25.07.2022, https://www.ecoi.net
AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, Stand April 2021, 20.06.2021, https://www.ecoi.net
HRW, Human Rights Watch, World Report 2022, Armenien, 13.01.2022, https://www.hrw.org/world-report/2022/country-chapters/armenia )
Korruption
Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen bei behördlicher Korruption vor. Das Land hat ein Erbe von systemischer Korruption in vielen Bereichen (USDOS 12.04.2022). Die Behörden ergriffen Maßnahmen zur Stärkung des institutionellen Rahmens für die Korruptionsbekämpfung (USDOS 12.04.2022).
Im April 2020 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das die Möglichkeiten der Staatsanwälte erweitert, korrupte Handlungen ehemaliger Beamter zu untersuchen. Nach dem neuen Gesetz können Staatsanwälte leichter die Beschlagnahme unrechtmäßig erworbener Vermögenswerte beantragen, wenn deren Status vor Gericht bewiesen wird, und sie dürfen Taten untersuchen, die zehn Jahre zurückliegen (FH 03.03.2021). Im April 2021 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das die Einrichtung eines Anti-Korruptionsgerichts vorsieht. Die Regierung richtete auch eine neue Behörde zur Untersuchung von Korruptionsfällen ein; der Antikorruptionsausschuss (ACC) nahm im Oktober seine Arbeit auf (FH 28.02.2022, USDOS 12.04.2022).
Die Korruption ist nach den politischen Ereignissen im Jahr 2018 deutlich zurückgegangen. Die Regierung unternimmt Schritte zur Beseitigung von oligarchischen Strukturen und Hindernissen. Im November 2019 wurde vom Parlament eine neue Kommission zur Vorbeugung von Korruption gewählt. Die Regierung hat im Jahr 2021 eine Sonderermittlungsbehörde für Korruptionsbekämpfung eingerichtet (AA 25.7.2022).
Das Gesetz verlangt von hochrangigen Beamten und ihren Familien, jährliche Vermögenserklärungen abzugeben, die teilweise im Internet öffentlich zugänglich waren. Die Kommission zur Verhinderung von Korruption (CPC), die im November 2019 die Ethikkommission für hochrangige Beamte ersetzt hat, führt die Analyse der Vermögenserklärung durch (USDOS 30.3.2021).
Trotz dieser Entwicklungen haben internationale Gremien, darunter der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen (OHCHR) und die Gruppe der Staaten gegen Korruption (GRECO) des Europarats, festgestellt, dass die Antikorruptionsstrategien der Regierung nach wie vor schwerwiegende Mängel aufweisen; 2021 stufte die GRECO die Einhaltung der weltweiten Standards zur Korruptionsbekämpfung durch die armenische Regierung als nicht zufriedenstellend ein (FH 28.2.2022).
Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex 2021 von Transparency International belegte Armenien Rang 58 von 180 untersuchten Ländern (TI 1.2022).
(TI, Transparency International, Corruption Perceptions Index 2021, Armenien, https://www.transparency.org/en/countries/armenia
USDOS, US Department of State, Armenien, Menschenrechtslage Jahresbericht 2021, 12.04.2022, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports-on-human-rights-practices/armenia/
FH, Freedom House Freedom in the World 2022, Armenien, 28.02.2022, https://freedomhouse.org/country/armenia/freedom-world/2022
FH - Freedom House (03.03.2021): Freedom in the World 2021 – Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048576.html
USDOS, US Department of State, Armenien, Menschenrechtslage Jahresbericht 2020, 30.03.2021, https://www.state.gov/reports/2020-country-reports-on-human-rights-practices/armenia/
AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, Stand Mai 2022, 25.07.2022, https://www.ecoi.net )
NGOs und Menschrechtsaktivisten
Die meisten inländischen und internationalen Menschenrechtsgruppen arbeiteten im Allgemeinen ohne staatliche Einschränkungen und konnten ihre Erkenntnisse über Menschenrechtsfälle frei untersuchen und veröffentlichen. Während einige Regierungsbeamte mit ihnen kooperierten und auf ihre Ansichten eingingen, berichteten zivilgesellschaftliche Organisationen, dass es nur wenige Treffen mit Regierungsbeamten (sowohl online als auch persönlich) gab und dass die Regierung die Ansichten von NRO-Sachverständigen in mehreren wichtigen Bereichen, wie etwa der Rede- und Pressefreiheit, ignorierte oder nicht einholte. In anderen Bereichen, wie z.B. bei den Reformen zur Förderung einer unparteiischen, unabhängigen Justiz, sammelte die Regierung Berichte und Empfehlungen der Zivilgesellschaft, aber es war unklar, inwieweit die Empfehlungen berücksichtigt wurden. Die Regierung unternahm nichts, um zivilgesellschaftliche Organisationen vor Desinformation oder Drohungen zu schützen, einschließlich Drohungen, einzelnen Aktivisten zu schaden (USDOS 12.04.2022). Die Regierung hat die 2020 verabschiedeten Rechtsvorschriften, die öffentliche Aufrufe zur Gewalt unter Strafe stellen, nicht zur Verfolgung von Aufrufen zur Schädigung zivilgesellschaftlicher Akteure genutzt (USDOS 12.04.2022).
In Armenien sind zahlreiche NRO tätig, die meisten von ihnen haben ihren Sitz in Eriwan. Diese NGOs verfügen nicht über nennenswerte lokale Finanzmittel und sind häufig auf ausländische Geber angewiesen (FH 28.02.2022).
Die Tätigkeit von Menschenrechtsorganisationen ist nach der „Samtenen Revolution“ 2018 wirksamer geworden. Die Regierung Pashinyan bezieht die NROs in die Entscheidungsprozesse mit ein, auch wenn sich einige NROs, z. B. im Umweltbereich, eine noch stärkere Wahrnehmung wünschen. Angehörige von NROs werden seit den Wahlen im Dezember 2018 in größerer Zahl zu Abgeordneten gewählt (AA 25.07.2022).
USDOS, US Department of State, Armenien, Menschenrechtslage Jahresbericht 2021, 12.04.2022, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports-on-human-rights-practices/armenia/
AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, Stand Mai 2022, 25.07.2022, https://www.ecoi.net
FH, Freedom House Freedom in the World 2022, Armenien, 28.02.2022, https://freedomhouse.org/country/armenia/freedom-world/2022 )
Ombudsperson
Das Amt des Menschenrechtsverteidigers (die Ombudsperson) hat den Auftrag, die Menschenrechte und Grundfreiheiten auf allen Ebenen der Regierung vor Missbrauch zu schützen. Das Büro arbeitete unabhängig und fungierte als wirksamer Anwalt in Einzelfällen. Das Büro lehnte es jedoch ab, einige Fälle im Zusammenhang mit LGBTQI+ Personen zu übernehmen (USDOS 12.04.2022).
Die Ombudsperson kann Empfehlungen aussprechen, hat aber nicht die Befugnis, diese durchzusetzen (USDOS 02.06.2022).
Das Büro verbesserte seine Reichweite in den Regionen und die Zusammenarbeit mit regionalen Menschenrechtsschutzorganisationen. Das Büro meldete weiterhin einen deutlichen Anstieg der Anzahl von Bürgerbeschwerden und Besuchen, was es auf die gestiegenen Erwartungen der Öffentlichkeit und das Vertrauen in die Institution zurückführte. Im Dezember 2019 verabschiedete die Regierung die Nationale Strategie für den Menschenrechtsschutz 2020-22 und den dazugehörigen Aktionsplan und startete das Portal e-rights.am als öffentliches Kontrollinstrument (USDOS 30.03.2021). Die vom Parlament gewählte und als unabhängige Institution in der Verfassung verankerte „Ombudsperson für Menschenrechte“ muss dabei einen schwierigen Spagat zwischen Exekutive und den Rechtsschutz suchenden Bürgern vollziehen. Die Kompetenzen der Ombudsperson wurden im Jahr 2016 durch ein eigenes Gesetz erweitert (AA 25.07.2022).
Der jüngste Krieg und die politischen Krisen lösten hitzige öffentliche Debatten aus, in deren Verlauf es häufig zu hetzerischen Äußerungen von Parlamentsmitgliedern und anderen Amtsträgern kam, die sich zuweilen gegen Menschenrechtsverteidiger und -aktivisten richteten. Die Regierung unternahm mehrere Versuche, unter anderem durch die Einführung von Gesetzesänderungen, gegen die Verbreitung von hasserfüllten und entwürdigenden Äußerungen vorzugehen (HRW 13.01.2022).
(HRW, Human Rights Watch, World Report 2022, Armenien, 13.01.2022, https://www.hrw.org/world-report/2022/country-chapters/armenia
AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, Stand Mai 2022, 25.07.2022, https://www.ecoi.net
USDOS, US Department of State, Armenien, Menschenrechtslage Jahresbericht 2020, 30.03.2021, https://www.state.gov/reports/2020-country-reports-on-human-rights-practices/armenia/
USDOS, US Department of State, Armenien, Menschenrechtslage Jahresbericht 2021, 12.04.2022, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports-on-human-rights-practices/armenia/
USDOS, US Department of State, Armenien, Religionsfreiheit, Jahresbericht 2021, 02.06.2022, https://www.state.gov/reports/2021-report-on-international-religious-freedom/armenia/ )
Allgemeine Menschenrechtslage
Die Verfassung enthält einen ausführlichen Grundrechtsteil modernen Zuschnitts, der auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte mit einschließt. Durch Verfassungsänderungen im Jahr 2015 wurde der Grundrechtekatalog noch einmal erheblich ausgebaut. Ein Teil der Grundrechte können im Ausnahmezustand oder im Kriegsrecht zeitweise ausgesetzt oder mit Restriktionen belegt werden. Gemäß Artikel 80 der Verfassung ist der Kern der Bestimmungen über Grundrechte und –freiheiten unantastbar. Extralegale Tötungen, Fälle von Verschwindenlassen, unmenschliche, erniedrigende oder extrem unverhältnismäßige Strafen, übermäßig lang andauernde Haft ohne Anklage oder Urteil bzw. Verurteilungen wegen konstruierter oder vorgeschobener Straftaten sind nicht bekannt (AA 25.07.2022).
Die Verfassung und die Gesetze geben den Bürgern die Möglichkeit, ihre Regierung in freien und fairen, regelmäßig stattfindenden, geheimen Wahlen auf der Grundlage des allgemeinen und gleichen Wahlrechts zu wählen (USDOS 12.04.2022).
Die Regierung Pashinyan geht bestehende Menschenrechtsdefizite weitaus engagierter als die Vorgängerregierungen an. Die Menschenrechtslage hat sich insgesamt verbessert. Mängel bestehen jedoch nach wie vor bei der konsequenten Umsetzung der Gesetze. Vor allem im Kampf gegen Korruption und Wirtschaftskriminalität und beim Aufbrechen der alten verkrusteten Strukturen hat Premierminister Pashinyan sichtbare Erfolge erzielt (AA 25.07.2022).
Die Regierung unternahm nur begrenzte Schritte zur Untersuchung und Bestrafung mutmaßlicher Übergriffe durch ehemalige und derzeitige Regierungsbeamte und Strafverfolgungsbehörden. Die Behörden haben im Laufe des Jahres keine Schritte unternommen, um eine Untersuchungskommission einzurichten, die neben anderen Menschenrechtsverletzungen auch Todesfälle außerhalb von Kampfhandlungen untersuchen soll; die Einrichtung der Kommission war für 2020 geplant (USDOS 12.04.2022).
Die Verfassung verbietet Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion, der politischen Meinung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögensstatus, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder anderer persönlicher oder sozialer Umstände. Das Strafgesetzbuch verbietet die ungleiche Behandlung von Personen aus den oben genannten Gründen, einschließlich der ethnischen Herkunft, wenn eine solche Behandlung die Menschenrechte und die rechtmäßigen Interessen einer Person verletzt, und betrachtet die gleiche Handlung, die von Beamten begangen wird, als einen erschwerenden Umstand. Die Regierung setzte das Gesetz uneinheitlich durch (USDOS 12.04.2022).
Die Regierung Armeniens erfüllt die Mindeststandards für die Beseitigung des Menschenhandels nicht vollständig, unternimmt aber erhebliche Anstrengungen, um dies zu erreichen (USDOS 01.07.2021).
USDOS, US Department of State, Armenien, Menschenrechtslage Jahresbericht 2021, 12.04.2022, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports-on-human-rights-practices/armenia/
AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, Stand Mai 2022, 25.07.2022, https://www.ecoi.net
USDOS, US Department of State, Armenien, April 2020 bis März 2021 Menschenhandel, Armenien, 01.07.2021, https://www.state.gov/reports/2021-trafficking-in-persons-report/armenia/ )
Meinungs- und Pressefreiheit
Die Verfassung und das Gesetz sehen das Recht auf freie Meinungsäußerung vor, auch für Mitglieder der Presse und anderer Medien (USDOS 12.04.2022, AI 07.04.2021). Einzelpersonen durften die Regierung kritisieren, ohne Repressalien befürchten zu müssen (USDOS 12.04.2022). Während die Regierung dieses Recht im Allgemeinen respektierte, erließ das Parlament im Laufe des Jahres mehrere Einschränkungen. So wurde im März das Gesetz geändert, um die zivilrechtlichen Höchststrafen für Beleidigung und Verleumdung drastisch zu erhöhen, im Juli schwere Beleidigungen und obszöne oder unflätige Sprache unter Strafe zu stellen und im August die Berichterstattung akkreditierter Journalisten über das Parlament erheblich einzuschränken (USDOS 12.04.2022, AI 29.03.2022, FH 28.02.2022).
Unabhängige und investigative Medien arbeiten in Armenien relativ frei und veröffentlichen in der Regel online. Kleine unabhängige Medien bieten oft eine solide Berichterstattung, die die Darstellungen der staatlichen Rundfunkanstalten und anderer etablierter Medien infrage stellt. Im Vergleich dazu sind die meisten Printmedien und Rundfunkanstalten mit politischen oder größeren kommerziellen Interessen verbunden (FH 28.02.2022).
Die Medien waren politisch polarisiert. Die meisten Rundfunk- und Fernsehsender und Zeitungen befanden sich im Besitz von Privatpersonen oder Gruppen, von denen die meisten, Berichten zufolge, mit früheren Behörden oder parlamentarischen Oppositionsparteien verbunden waren. Die Zahl der regierungsnahen Medien nahm im Laufe des Jahres zu, da Regierungsbeamte oder ihnen nahestehende Personen Berichten zufolge neue Medienunternehmen erwarben (USDOS 12.04.2022).
Die Rundfunkmedien, insbesondere das öffentliche Fernsehen, blieben für die Mehrheit der Bevölkerung eine der wichtigsten Nachrichten- und Informationsquellen. Einigen Medienbeobachtern zufolge präsentierte das öffentlich-rechtliche Fernsehen weiterhin Nachrichten und politische Debatten von einem regierungsfreundlichen Standpunkt aus, obwohl es auch weiterhin für oppositionelle Stimmen zugänglich war. Fälle von Voreingenommenheit im öffentlichen Fernsehen waren vor allem in der Zeit vor den Wahlen zu beobachten. Die wenigen unabhängigen Medien des Landes, zumeist Online-Medien, konnten sich nicht selbst tragen und überlebten nur durch internationale Spenden und Unterstützung, mit begrenzten Einnahmen aus Werbung und Abonnementsgebühren (USDOS 12.04.2022).
Journalisten sind, außer in Fällen schwerer Straftaten, nicht verpflichtet, vertrauliche Quellen offen zu legen. Das Fernsehen ist nach wie vor das am weitesten verbreitete Informationsmedium. Zahlreiche TV-Medien werden von alten Einflussgruppen kontrolliert und versuchen gezielt, die öffentliche Meinung zu manipulieren bzw. Stimmung gegen die Regierung zu machen. Die Vergabe der (befristeten) Sendelizenzen ist weiterhin problematisch. Die Printmedien genießen große Unabhängigkeit, haben jedoch – insbesondere außerhalb der Hauptstadt – ein wesentlich kleineres Publikum als die elektronischen Medien. Internetseiten sind frei zugänglich (AA 25.07.2022).
In den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 dokumentierte das Komitee zum Schutz der Meinungsfreiheit, eine lokale Interessenvertretung der Medien, 15 Fälle mit 17 Opfern körperlicher Gewalt gegen Journalisten, die sowohl von Amtsträgern als auch von Privatpersonen ausgeübt wurde (HRW 13.01.2022, FH 28.02.2022, USDOS 12.04.2022). In der zweiten Jahreshälfte häuften sich die Fälle, in denen Beamte Gewalt gegen Journalisten anwendeten oder dies versuchten. In den meisten Fällen leiteten die Strafverfolgungsbehörden keine Strafverfahren ein, da sie sich auf fehlende rechtliche Grundlagen beriefen (USDOS 12.04.2022).
Auf der Rangliste der Pressefreiheit 2021 befindet sich Armenien auf Platz 63 von 180 gelisteten Ländern (RSF 2022).
Die Behörden dürfen keine Telefone abhören, keine Korrespondenz abfangen und keine Durchsuchungen durchführen, ohne die Erlaubnis eines Richters einzuholen, der zwingende Beweise für kriminelle Aktivitäten vorlegt. Die Verfassung sieht jedoch Ausnahmen vor (USDOS 12.04.2022).
Die Regierung hat den Zugang zum Internet nicht eingeschränkt oder unterbrochen oder Online-Inhalte zensiert, und es gab keine glaubwürdigen Berichte darüber, dass die Regierung private Online-Kommunikation ohne entsprechende rechtliche Befugnisse überwacht hat (USDOS 12.04.2022).
Es gab keine staatlichen Einschränkungen der akademischen Freiheit oder kultureller Veranstaltungen, und die Regierung unterstützte die akademische Freiheit ausdrücklich (USDOS 12.04.2022).
(USDOS, US Department of State, Armenien, Menschenrechtslage Jahresbericht 2021, 12.04.2022, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports-on-human-rights-practices/armenia/
FH, Freedom House Freedom in the World 2022, Armenien, 28.02.2022, https://freedomhouse.org/country/armenia/freedom-world/2022
AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, Stand Mai 2022, 25.07.2022, https://www.ecoi.net
AI, Amnesty International, Bericht zur Menschenrechtslage, Armenien, Berichtzeitraum 2021, 29.03.2022, https://www.amnesty.org/en/location/europe-and-central-asia/armenia/report-armenia/
RSF - Reporter ohne Grenzen (2022): Rangliste der Pressefreiheit 2021,https://www.rog.at/wp-content/uploads/2021/04/Index_2021.pdf , Zugriff des BFA am 29.03.2022
HRW, Human Rights Watch, World Report 2022, Armenien, 13.01.2022, https://www.hrw.org/world-report/2022/country-chapters/armenia
AI, Amnesty International, Bericht zur Menschenrechtslage, Armenien, Berichtzeitraum 2020, 07.04.2021, https://www.amnesty.org/en/location/europe-and-central-asia/armenia/report-armenia/
FH, Freedom House Freedom in the World 2021, Armenien, 03.03.2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048576.html )
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Die Verfassung (Art. 44) garantiert das Recht auf Organisation von und Teilnahme an „friedlichen und nicht bewaffneten“ Versammlungen. Das Versammlungsgesetz entspricht EU-und anderen internationalen Standards. Die Versammlungsfreiheit wird durch die Polizei respektiert (AA 25.07.2022, FH 28.02.2022, USDOS 12.04.2022).
Die Versammlungsfreiheit wurde während des Ausnahmezustands, der im März 2020 zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie verhängt wurde, eingeschränkt. Die Beschränkungen blieben bis August 2020 in Kraft, als die Regierung die meisten Versammlungsbeschränkungen aufhob und Demonstrationen, Märsche und Kundgebungen erlaubte, solange die Teilnehmer Masken trugen und die Anforderungen an die soziale Distanzierung einhielten. Die Versammlungsfreiheit wurde auch durch das Kriegsrecht eingeschränkt, das im September 2020 nach dem Ausbruch der Kämpfe im Berg-Karabach-Konflikt verhängt wurde. Zu den Einschränkungen des Kriegsrechts gehörte auch ein Verbot von Kundgebungen. Die Einschränkungen wurden im Dezember 2020 offiziell aufgehoben, und das Kriegsrecht endete am 24. März (USDOS 12.04.2022, AI 29.03.2022).
Während die Regierung die Versammlungsfreiheit während des Wahlkampfs im Allgemeinen respektierte, berichteten lokale Beobachter über das ganze Jahr hinweg über Unstimmigkeiten im Vorgehen der Behörden gegenüber friedlichen Versammlungen. Während die Regierung die Versammlungsfreiheit während des Wahlkampfs im Allgemeinen respektierte, berichteten lokale Beobachter über das ganze Jahr hinweg über Unstimmigkeiten im Vorgehen der Behörden gegenüber friedlichen Versammlungen (USDOS 12.04.2022).
Das Gesetz schützt das Recht der Beschäftigten, unabhängige Gewerkschaften zu gründen und ihnen beizutreten, zu streiken und Tarifverhandlungen zu führen. Dieser Schutz wird jedoch nur unzureichend durchgesetzt, und die Arbeitgeber sind im Allgemeinen in der Lage, Gewerkschaftsaktivitäten in der Praxis zu verhindern (FH 28.02.2022, USDOS 12.04.2022).
Sowohl die Oppositionsparteien als auch die außerparlamentarische Opposition können sich frei äußern (AA 25.07.2022, FH 28.02.2022). Behinderungen und Ungleichbehandlungen der Oppositionsparteien durch die Behörden, z. B. bei Demonstrationen oder Wahlen, kommen nicht mehr vor (AA 25.07.2022). Im Januar 2021 traten Änderungen des Parteiengesetzes in Kraft, mit denen die öffentliche Finanzierung politischer Parteien an die Vertretung von Frauen und des ganzen Landes gebunden und individuelle Spenden begrenzt wurden. An den vorgezogenen Parlamentswahlen im Juni 2021 nahm eine noch nie da gewesene Anzahl politischer Einheiten (22 politische Parteien und 4 Bündnisse) teil (FH 28.02.2022).
Das Gesetz schränkt weder die Registrierung noch die Tätigkeit von politischen Parteien ein (USDOS 12.04.2022).
Es gibt keine Berichte darüber, dass Personen, die im Ausland politisch aktiv waren, nach ihrer Rückkehr nach Armenien Repressionen erfahren hätten (AA 25.07.2022).
(USDOS, US Department of State, Armenien, Menschenrechtslage Jahresbericht 2021, 12.04.2022, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports-on-human-rights-practices/armenia/
AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, Stand Mai 2022, 25.07.2022, https://www.ecoi.net
AI, Amnesty International, Bericht zur Menschenrechtslage, Armenien, Berichtzeitraum 2021, 29.03.2022, https://www.amnesty.org/en/location/europe-and-central-asia/armenia/report-armenia/
FH, Freedom House Freedom in the World 2022, Armenien, 28.02.2022, https://freedomhouse.org/country/armenia/freedom-world/2022 )
Haftbedingungen
Laut der Prison Monitoring Group (PMG), einem Zusammenschluss lokaler NRO, haben die seit 2019 laufenden Renovierungsarbeiten in den Gefängnissen nicht zu wesentlichen Verbesserungen für die Insassen geführt. Die Gefängnisbeobachter stuften die Haftbedingungen jedoch nicht mehr als lebensbedrohlich ein und stellten fest, dass aufgrund des drastischen Rückgangs der Häftlingszahlen die schlimmsten Zellen nicht mehr in Betrieb waren (USDOS 12.04.2022).
In Armenien gibt es 10 Haftanstalten. Die hygienischen und räumlichen Verhältnisse sind zufriedenstellend. Angebote für Freizeitaktivitäten gibt es kaum. Häftlinge dürfen Besuch empfangen und mit Telefonkarten telefonieren. Bewegungseinschränkende Maßnahmen wie z.B. Handschellen gibt es nicht. Der vorigen Überbelegung der Gefängnisse wurde durch Aussetzung von Haftstrafen zur Bewährung, Verkürzung von Haftstrafen und Freilassung auf Kaution entgegengewirkt, sodass zum 01.01.2022 zwei Gefängnisse geschlossen werden konnten (AA 25.07.2022). Im Unterschied davon berichtet die NRO Freedom House (FH), dass Berichte über schlechte Bedingungen in Gefängnissen anhalten (FH 28.02.2022).
Nach Angaben der Ombudsperson und der PMG sind die Straflosigkeit im Zusammenhang mit dem Tod von Insassen und das Fehlen eines systematischen Ansatzes zu deren Prävention weiterhin ein Problem. Beobachter wiesen weiterhin auf die Notwendigkeit einer besseren psychologischen Betreuung in den Gefängnissen hin. Laut der PMG gab es einen Mangel an Psychologen und Hunderte von Insassen, die eine Betreuung benötigten. Die Regierung führte Programme zur Verbesserung des psychologischen Dienstes und zur Aufstockung des Personals durch, was zusammen mit verbesserten physischen Bedingungen und einer Verringerung der Zahl der Insassen zu einem Rückgang der Fälle von Selbstverstümmelung im Laufe des Jahres beitrug (USDOS 12.04.2022).
In seinem Bericht nahm das CPT [Committee for the Prevention of Torture] die laufende Reform des Gesundheitsdienstes in den Gefängnissen und die Einrichtung eines Strafvollzugsmedizinischen Zentrums, einer öffentlichen, nicht kommerziellen Organisation für die Gesundheitsversorgung in den Gefängnissen, zur Kenntnis, äußerte jedoch seine Besorgnis darüber, dass sich die Insassen nach wie vor über mangelnden Zugang zu spezialisierter Versorgung beklagten. In den meisten Gefängnissen fehlte es an Unterbringungsmöglichkeiten für Insassen mit Behinderungen (USDOS 12.04.2022).
Die Regierung bekräftigte ihre Null-Toleranz-Politik gegenüber der Korruption in den Gefängnissen und brachte ihre Entschlossenheit zum Ausdruck, die organisierte hierarchische kriminelle Struktur, die das Gefängnisleben beherrschte, auszurotten, in der ausgewählte Insassen (so genannte "Wächter") an der Spitze der informellen Gefängnishierarchie die Insassenpopulation und das Gefängnisleben kontrollierten. Beobachter stellten einige Fortschritte bei der Bekämpfung der systemischen Korruption fest. Experten waren der Ansicht, dass die Korruption wahrscheinlich so lange fortbestehen wird, wie die kriminelle Subkultur weiter existiert (USDOS 12.04.2022).
Beobachter berichteten von deutlichen Verbesserungen bei der vorzeitigen Entlassung und der Entlassung von Häftlingen auf Bewährung im Laufe des Jahres. Nach Angaben des Justizministeriums wirkte sich ein verbessertes Verpflegungsprogramm positiv auf die allgemeine Aufrechterhaltung der Ordnung in den Gefängnissen sowie auf die Familien der Gefangenen aus, die nicht mehr für die Verpflegung sorgen mussten (USDOS 12.04.2022).
Die Behörden führten keine zeitnahen Untersuchungen zu glaubwürdigen Misshandlungsvorwürfen durch (USDOS 12.04.2022).
Die Regierung gestattete in der Regel inländischen und internationalen Menschenrechtsgruppen, einschließlich des CPT, die Bedingungen in Gefängnissen und Haftanstalten zu überwachen, und sie taten dies regelmäßig. Die Behörden gestatteten den Beobachtern, privat mit Gefangenen zu sprechen, und erlaubten dem IKRK, Gefängnisse und Untersuchungshaftanstalten zu besuchen. Die Behörden schränkten jedoch die unabhängige Überwachung durch einheimische Gruppen ein (USDOS 12.04.2022).
(USDOS, US Department of State, Armenien, Menschenrechtslage Jahresbericht 2021, 12.04.2022, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports-on-human-rights-practices/armenia/
AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, Stand Mai 2022, 25.07.2022, https://www.ecoi.net
FH, Freedom House Freedom in the World 2022, Armenien, 28.02.2022, https://freedomhouse.org/country/armenia/freedom-world/2022 )
Todesstrafe
Armenien hat im September 2003 die Todesstrafe abgeschafft; dies ist in Artikel 24 der Verfassung verankert (AI 24.05.2022, AA 25.07.2022, Standard 19.04.2003).
(AI, Amnesty International, Death Sentences and Executions 2021, 24.05.2022, https://www.amnesty.org/en/documents/act50/5418/2022/en/
AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, Stand Mai 2022, 25.07.2022, https://www.ecoi.net
Standard, der (19.4.2003): Armenien schafft Todesstrafe ab, https://derstandard.at/1276261/Armenien-schafft-Todesstrafe-ab , Zugriff des BFA am 07.04.2021)
Religionsfreiheit
Die Religionsfreiheit ist verfassungsrechtlich garantiert und darf nur durch Gesetze und nur soweit eingeschränkt werden, wie dies für den Schutz der staatlichen und öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral notwendig ist. Gemäß Artikel 17 der Verfassung wird zudem die Freiheit der Tätigkeit von religiösen Organisationen garantiert. Es gibt keine verlässlichen Angaben zum Anteil religiöser Minderheiten an der Gesamtbevölkerung; Schätzungen zufolge machen sie weniger als 5 % aus. Auch in den 2015 beschlossenen Verfassungsänderungen genießt die Armenisch-Apostolische Kirche (AAK) nach wie vor Privilegien, die anderen Religionsgemeinschaften nicht zuerkannt werden (Zulässigkeit der Eröffnung von Schulen, Herausgabe kirchengeschichtlicher Lehrbücher, Steuervorteile u. a. bei Importen, Wehrdienstbefreiung von Geistlichen, Kirchenbau). Bei der Diskussion über ein überfälliges und erst Ende 2017 verabschiedetes Gesetz gegen häusliche Gewalt spielte die Kirche eine konstruktive Rolle. Zunehmend nimmt die Kirche ihre soziale Verantwortung wahr (etwa durch Aufbau von Jugendzentren). Religionsgemeinschaften sind nicht verpflichtet, sich registrieren zu lassen. Religiöse Organisationen mit mindestens 200 Anhängern können sich jedoch amtlich registrieren lassen und dürfen dann Zeitungen und Zeitschriften mit einer Auflage von mehr als 1.000 Exemplaren veröffentlichen, regierungseigene Gelände nutzen, Fernseh- oder Radioprogramme senden und als Organisation Besucher aus dem Ausland einladen. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Religionsgemeinschaften die Registrierung verweigert wurde bzw. wird. Bekehrungen durch religiöse Minderheiten sind zwar gesetzlich verboten; missionarisch aktive Glaubensgemeinschaften wie die Zeugen Jehovas oder die Mormonen sind jedoch tätig und werden staatlich nicht behindert. Dies wird von offiziellen Vertretern der Zeugen Jehovas bestätigt (AA 25.07.2022, USDOS 02.06.2022).
Laut der Volkszählung von 2011 bekennen sich etwa 92 % der Bevölkerung zum armenisch-apostolischen Glauben. Andere religiöse Gruppen umfassen römische Katholiken, armenische unierte (mekhitaristische) Katholiken, orthodoxe Christen und evangelikale Christen, einschließlich Anhänger der Armenischen Evangelischen Kirche, Angehörige der Pfingstkirche, Siebenten-Tags-Adventisten, Baptisten, charismatische Christen und Zeugen Jehovas. Es gibt auch Anhänger der Kirche Jesu Christi und der Heiligen Apostolischen Katholischen Assyrischen Kirche des Ostens, Molokan-Christen, Yeziden, Juden, Baha'is, schiitische Muslime, sunnitische Muslime und Heiden, die Anhänger eines vorchristlichen Glaubens sind. Nach Angaben von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde gibt es etwa 800 bis 1.000 Juden im Land (USDOS 02.06.2022, CIA letzte Aktualisierung am 15.11.2022, abgefragt am 30.11.2022).
Vertreter einiger religiöser Minderheiten wie der Siebenten-Tags-Adventisten und mehrerer evangelikaler Gruppen sowie der Zeugen Jehovas berichteten, dass sich die Einstellung der Öffentlichkeit ihnen gegenüber im Vergleich zum Vorjahr allgemein verbessert habe, und berichteten, dass im Laufe des Jahres nur wenige oder keine negativen Inhalte in den Medien erschienen seien. Die evangelikale Kirche "Wort des Lebens", die von Mitgliedern der früheren Regierung beschuldigt wurde, eine Rolle bei der Organisation der Revolution von 2018 zu spielen, war jedoch nach Angaben von Kirchenvertretern Gegenstand ständiger Hassreden und Verunglimpfungen durch anonyme Social-Media-Konten, die speziell für sie eingerichtet wurden. Die Hassreden - einschließlich der Anschuldigung von Verbindungen zu Aserbaidschan und der Verunglimpfung wegen der Unterstützung von Anti-Covid-19-Impfmaßnahmen - wurden auf verschiedenen Plattformen gepostet (USDOS 02.06.2022).
Gesellschaftlicher und familiärer Druck war weiterhin eine große Abschreckung für ethnische Armenier, eine andere Religion als den armenisch-apostolischen Glauben zu praktizieren (USDOS 02.06.2022).
(CIA, The World Factbook, Armenien, letzte Aktualisierung am 15.11.2022 abgefragt am 28.11.2022, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/armenia/
AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, Stand Mai 2022, 25.07.2022, https://www.ecoi.net
USDOS, US Department of State, Armenien, Religionsfreiheit, Jahresbericht 2021, 02.06.2022, https://www.state.gov/reports/2021-report-on-international-religious-freedom/armenia/
USDOS, US Department of State, Armenien, Menschenrechtslage Jahresbericht 2021, 12.04.2022, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports-on-human-rights-practices/armenia/ )
Ethnische Minderheiten
Die Bevölkerung setzt sich aus ca. 96 % armenischen Volkszugehörigen und ca. 4 % Angehörigen anderer Ethnien (vor allem Jesiden, Russen, Kurden und Assyrer, denen nach der Verfassung bzw. dem Wahlgesetz als den vier größten Minderheitengruppen jeweils ein Parlamentssitz zusteht) zusammen. Die Volkszugehörigkeit wird in armenischen Reisepässen nur eingetragen, wenn der Passinhaber dies beantragt. Die Verfassung garantiert nationalen Minderheiten das Recht, ihre kulturellen Traditionen und ihre Sprache zu bewahren, in der sie u.a. studieren und veröffentlichen dürfen. Zugleich verpflichtet ein Gesetz alle Kinder zu einer Schulausbildung in armenischer Sprache. Dennoch wird an einigen armenischen Schulen in Gegenden mit jesidischer Bevölkerung (derzeit in 23 Dörfern) auch Unterricht in Jesidisch erteilt. Angehörige der jesidischen Minderheit berichten zwar immer wieder über Diskriminierungen, aber weder Jesiden noch andere Minderheiten sind Ziel systematischer und zielgerichteter staatlicher Repressionen (AA 25.07.2022).
Die größte Herausforderung für Minderheiten in Armenien ist ihre schiere Unsichtbarkeit in der Gesellschaft. Alle Minderheitengruppen zusammen machen weniger als 2 % der armenischen Bevölkerung aus. Hinzu kommt, dass keine Minderheit in irgendeinem Teil des Landes die Mehrheit ausmacht und stattdessen in ganz Armenien verstreut lebt. Während die jüngsten Verfassungsänderungen dazu geführt haben, dass 2017 vier Minderheitenvertreter in das Parlament gewählt wurden, werden alle Regierungsgeschäfte weiterhin auf Armenisch geführt. Infolgedessen stehen Minderheiten nach wie vor Schwierigkeiten gegenüber, an Entscheidungen teilzunehmen, die ihr tägliches Leben betreffen, zumindest auf nationaler Ebene. Sie sind weiterhin größtenteils nur auf lokaler Regierungsebene vertreten (MRGI 2019).
Es gibt keine Gesetze, die die Beteiligung von Angehörigen von Minderheitengruppen am politischen Prozess einschränken, und sie haben sich auch beteiligt (USDOS 12.04.2022). Für die vier größten ethnischen Minderheiten des Landes sieht das Gesetz einen zusätzlichen Sitz in der Nationalversammlung vor: Jesiden, Kurden, die assyrische und die russische Gemeinschaft (USDOS 12.04.2022). Bis zu vier zusätzliche Sitze sind für Vertreter ethnischer Minderheiten reserviert, und weitere Sitze können hinzugefügt werden, um sicherzustellen, dass die Oppositionsparteien mindestens 30 Prozent der Sitze halten. Alle vier müssen über eine Parteiliste gewählt werden. Im Jahr 2021 gewann Civil Contract drei Minderheitensitze, die ethnische Russen, Jesiden und Kurden vertraten, während die Armenia Alliance einen Sitz als Vertreter der ethnischen Assyrer gewann (FH 28.02.2022).
(FH, Freedom House Freedom in the World 2022, Armenien, 28.02.2022, https://freedomhouse.org/country/armenia/freedom-world/2022
MRGI - Minority Rights Group International (2019): Armenia, https://minorityrights.org/country/armenia/ , Zugriff des BFA am 24.06.2020
AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, Stand Mai 2022, 25.07.2022, https://www.ecoi.net )
Frauen
Männer und Frauen sind in allen Bereichen rechtlich gleichgestellt, aber Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor ein Problem (USDOS 12.04.2022). Sozioökonomische Faktoren, die Verantwortung von Frauen im Haushalt sowie fehlende Möglichkeiten für Frauen, Führungsqualitäten zu erwerben, spielten eine Rolle bei der Begrenzung der politischen Beteiligung von Frauen, ebenso wie ihr fehlender Zugang zu den informellen, von Männern dominierten Kommunikationsnetzwerken, die die Grundlage der Politik des Landes bilden. Auch fehlten den Frauen die notwendigen Förderungen und Mittel, um eine politische Karriere aufzubauen (USDOS 30.03.2021). Es gibt keine Gesetze, die die Beteiligung von Frauen am politischen Prozess einschränken, aber der patriarchalische Charakter der Gesellschaft verhinderte eine umfassende Beteiligung von Frauen am politischen und wirtschaftlichen Leben und an Entscheidungspositionen im öffentlichen Sektor. Parlamentarierinnen und andere weibliche Amtsträger waren häufig geschlechtsbezogenen Beleidigungen ausgesetzt. Frauen besetzten einen von 15 Kabinettsposten (USDOS 12.04.2022, FH 28.2.2022).
Frauen hatten in der Regel nicht die gleichen beruflichen Möglichkeiten oder Löhne wie Männer, und die Arbeitgeber wiesen ihnen oft niedere oder schlechter bezahlte Tätigkeiten zu. Das Arbeitsgesetzbuch sieht zwar die "rechtliche Gleichstellung" aller Parteien in einem Arbeitsverhältnis vor, schreibt aber nicht ausdrücklich gleichen Lohn für gleiche Arbeit vor. Einem Bericht der Asiatischen Entwicklungsbank aus dem Jahr 2019 zufolge war die Erwerbsquote von Frauen niedriger als die von Männern, und Frauen arbeiteten häufiger in Teilzeitstellen. In dem Bericht heißt es auch, dass berufliche Stereotypen die Wahlmöglichkeiten von Frauen einschränkten und mehr als 60 % der Frauen in nur drei Sektoren arbeiteten: Landwirtschaft, Bildung und Gesundheit. Frauen waren in Führungspositionen unterrepräsentiert, und nur eines von fünf kleinen oder mittleren Unternehmen hatte eine Eigentümerin (USDOS 12.04.2022).
Glaubhafte Berichte über Zwangsheiraten liegen nicht vor (AA 25.07.2022). Vergewaltigung ist eine Straftat. Die Höchststrafe beträgt 15 Jahre. Allgemeine gesetzliche Bestimmungen zur Vergewaltigung gelten für die Verfolgung von Vergewaltigungen in der Ehe (USDOS 12.04.2022).
Die armenische Gesetzgebung schützt die Opfer häuslicher Gewalt nicht effektiv (HRW 13.01.2021, USDOS 12.04.2022, FH 28.02.2022). Es gibt Berichte, dass die Polizei, insbesondere außerhalb von Jerewan, in Fällen häuslicher Gewalt nur ungern tätig wird und Frauen davon abhält, Anzeige zu erstatten. Die meisten Fälle häuslicher Gewalt werden per Gesetz als Vergehen von geringer oder mittlerer Schwere betrachtet und die Regierung stellt nicht genügend weibliche Polizeibeamte und Ermittlerinnen für die Arbeit vor Ort ein, um diese Straftaten angemessen zu untersuchen (USDOS 12.04.2022). Dennoch wird häusliche Gewalt nach den allgemeinen Gesetzen, die sich mit Gewalt befassen, strafrechtlich verfolgt, und führte je nach Anklage zu unterschiedlichen Strafen (Mord, Körperverletzung, leichte Körperverletzung, Vergewaltigung usw.). Einigen Beamten zufolge behinderte das Fehlen einer Definition von häuslicher Gewalt im Strafgesetzbuch ihre Fähigkeit, häusliche Gewalt zu bekämpfen (USDOS 12.04.2022).
Das Gesetz gegen häusliche Gewalt wurde Ende 2017 vom Parlament verabschiedet. Das Gesetz über Gewalt in der Familie aus dem Jahr 2017 verpflichtet die Polizei zum sofortigen Eingreifen, "wenn die begründete Annahme besteht, dass eine unmittelbare Gefahr einer Wiederholung oder Fortsetzung der Gewalt" in der Familie besteht. In der Praxis sind die Strafverfolgungsbehörden jedoch nicht für die im Gesetz vorgesehenen Schutzmechanismen, wie etwa Schutzanordnungen, sensibilisiert und geschult und wenden diese nicht angemessen an oder setzen sie durch (HRW 13.01.2022). Enge Definitionen im Gesetz gegen Gewalt in der Familie verhinderten, dass Missbrauchsüberlebende, die nicht verheiratet waren oder in einer Lebensgemeinschaft mit ihrem Partner lebten, Schutz und Unterstützung durch das Gesetz erhielten. Im Laufe des Jahres unterstützte die Regierung weiterhin zwei Zentren zur Unterstützung von Überlebenden häuslicher Gewalt, denen Frauen aus dem ganzen Land zur Verfügung stehen (USDOS 12.04.2022).
Nach Angaben der Coalition to Stop Violence against Women (Koalition zur Beendigung der Gewalt gegen Frauen) erschwerten Lücken in der Gesetzgebung und eine unsachgemäße Durchsetzung des Gesetzes den Zugang von Opfern häuslicher Gewalt zu Dienstleistungen. Die Polizei verwarnte die Täter weiterhin, ohne Maßnahmen zum Schutz der Überlebenden zu ergreifen. Die Polizei kann in Notfällen Schutzanordnungen für bis zu 20 Tage erteilen, wenn ein Familienmitglied Gewalt gegen ein anderes ausgeübt hat und die begründete Annahme besteht, dass eine unmittelbare Gefahr wiederholter Gewalt besteht; für längerfristige Schutzanordnungen müssen die Betroffenen einen Antrag bei einem Gericht stellen (USDOS 12.04.2022).
In Armenien gibt es nur ein (AA 25.07.2022) bzw. zwei Frauenhäuser für Opfer häuslicher Gewalt, die von NROs betrieben werden und insgesamt Platz für fünf Frauen und ihren Kindern bieten (HRW 13.01.2022). Armenien verfügt auch nicht über einen allgemeinen Hotlinedienst für Opfer häuslicher Gewalt (HRW 13.01.2022).
Armenien hat 2018 das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) unterzeichnet, aber der Ratifizierungsprozess ist ins Stocken geraten (HRW 13.01.2022).
(FH, Freedom House Freedom in the World 2022, Armenien, 28.02.2022, https://freedomhouse.org/country/armenia/freedom-world/2022
USDOS, US Department of State, Armenien, Menschenrechtslage Jahresbericht 2021, 12.04.2022, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports-on-human-rights-practices/armenia/
HRW, Human Rights Watch, 13.01.2021, World Report 2021, Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043515.html
AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, Stand Mai 2022, 25.07.2022, https://www.ecoi.net
USDOS, US Department of State, Armenien, Menschenrechtslage Jahresbericht 2020, 30.03.2021, https://www.state.gov/reports/2020-country-reports-on-human-rights-practices/armenia/
HRW, Human Rights Watch, World Report 2022, Armenien, 13.01.2022, https://www.hrw.org/world-report/2022/country-chapters/armenia )
Bewegungsfreiheit
Das Gesetz sieht garantierte Bewegungsfreiheit im Inland, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung vor. Die Regierung respektierte diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 12.04.2022).
Die Auswirkungen des Konflikts um Berg-Karabach aus dem Jahr 2020 hielten auch im Jahr 2021 an und schränkten die Bewegungsfreiheit in einigen Grenzgebieten weiter ein. Nach dem Waffenstillstand im November 2020 übernahmen aserbaidschanische Streitkräfte die Kontrolle über einen 21 Kilometer langen Abschnitt der Goris-Kapan-Autobahn, der einzigen Hauptverbindungsstraße zwischen der Region Syunik und dem Rest Armeniens, teilten Dörfer ab und schränkten die Bewegungsfreiheit der Bewohner ein. Im November 2021 errichteten die aserbaidschanischen Streitkräfte neue Kontrollpunkte entlang der Straße, wodurch die Bewegungsfreiheit der armenischen Einwohner in der Region weiter eingeschränkt wurde (FH 28.02.2022).
Aufgrund des zentralistischen Staatsaufbaus und der geringen territorialen Ausdehnung gibt es kaum Ausweichmöglichkeiten gegenüber zentralen Behörden. Bei Problemen mit lokalen Behörden oder mit Dritten kann jedoch ein Umzug Abhilfe schaffen (AA 25.07.2022).
(FH, Freedom House Freedom in the World 2022, Armenien, 28.02.2022, https://freedomhouse.org/country/armenia/freedom-world/2022
AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, Stand Mai 2022, 25.07.2022, https://www.ecoi.net
USDOS, US Department of State, Armenien, Menschenrechtslage Jahresbericht 2021, 12.04.2022, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports-on-human-rights-practices/armenia/ )
IDPs und Flüchtlinge
Seit Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien kamen über 20.000 Flüchtlinge nach Armenien (99 % armenisch-stämmige Christen), davon wurde ein Großteil aufgrund des gegenüber Immigranten armenischer Abstammung liberalen armenischen Staatsangehörigkeitsrechts mittlerweile eingebürgert. In kleinerem Maße treffen noch immer Flüchtlinge aus Syrien in Armenien ein. Die Integration ist aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage schwierig, auch wenn gerade die Flüchtlinge aus Syrien gut ausgebildet sind und oft unternehmerische Erfahrung sowie ein gutes Integrationspotential haben (AA 25.07.2022).
Der Krieg um Berg-Karabach führte nach armenischen Angaben zu ca. 90.000 Zufluchtsuchenden aus Berg-Karabach nach Armenien. Dabei handelt es sich überwiegend um Frauen und Kinder sowie Ältere. Etwas mehr als die Hälfte davon soll nach russischen Angaben – humanitäre Angelegenheiten in Berg-Karabach werden von einem russischen Büro in Berg-Karabach kontrolliert – inzwischen wieder in ihre Heimat, insbesondere nach Stepanakert, zurückgekehrt sein. Das Gros der Flüchtlinge sind bei Bekannten und Verwandten v. a. im Großraum Eriwan untergekommen. Die Existenz von „Flüchtlingscamps“ ist nicht bekannt. Die Versorgung der Flüchtlinge durch die Regierung ist unzureichend, die Flüchtlinge sind insoweit auf die Unterstützung durch ihre Netzwerke angewiesen (AA 25.07.2022).
Die Behörden boten ethnischen Armeniern aus Syrien, die im Land geblieben waren, weiterhin eine Reihe von Schutzoptionen an, darunter die beschleunigte Einbürgerung, eine Aufenthaltsgenehmigung oder den Flüchtlingsstatus. Die schnelle Einbürgerung gab den aus Syrien vertriebenen Personen den gleichen Rechtsanspruch auf Gesundheitsversorgung und die meisten anderen sozialen Dienste wie anderen Bürgern. Viele der landesweiten Reformen wie die Bereitstellung von mehr Sozialleistungen, höheren Renten und einer besser zugänglichen Gesundheitsversorgung kamen auch den Flüchtlingen zugute, die eingebürgert wurden (USDOS 12.04.2022).
Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) leistet humanitäre Hilfe in Form von Bargeld und anderer Unterstützung für einige der am stärksten gefährdeten Personen. Die Unterstützung umfasst Berufsausbildung, Mikrokredite, Instrumente zur Einkommenserzielung, Ausbildung im lokalen Marketing sowie Beratung und Coaching. Während der COVID-19-Pandemie wird auch psychosoziale Unterstützung und Beratung angeboten. Darüber hinaus setzt sich das UNHCR auch für die sozialen und wirtschaftlichen Rechte von Syrern und anderen Vertriebenen ein und fördert ihre gleichberechtigte Einbeziehung in staatliche Programme und Entwicklungsprogramme mit Einheimischen (UNHCR 03.06.2020).
Die Behörden arbeiteten mit dem Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Binnenvertriebenen, Flüchtlingen, zurückkehrenden Flüchtlingen, Asylbewerbern, Staatenlosen oder anderen betroffenen Personen Schutz und Hilfe zu bieten. Es gab Berichte über nicht systembedingte Diskriminierung bei der Annahme von Anträgen und bei der Inhaftierung von Asylbewerbern aufgrund des Herkunftslandes, der Rasse oder der Religion des Asylbewerbers sowie über Schwierigkeiten bei der Integration. Kontaktpersonen aus der Zivilgesellschaft berichteten von diskriminierenden Haltungen und Misstrauen gegenüber ausländischen Migranten, die Arbeit suchen (USDOS 12.04.2022).
Das Gesetz sieht die Gewährung des Asyl- oder Flüchtlingsstatus vor, und die Regierung hat ein System zur Gewährung von Schutz für Flüchtlinge eingerichtet. Während des Ausnahmezustands von COVID-19 wurde ein elektronisches Asylsystem eingeführt. Das Gesetz berücksichtigt die besonderen Bedürfnisse von Kindern, Menschen mit geistigen Behinderungen und Traumaüberlebenden und erlaubt Haftanstalten, Asylanträge entgegenzunehmen. Das Gesetz wurde im Allgemeinen in dem Maße durchgesetzt, wie es die Ressourcen zuließen. Flüchtlinge, die nicht der armenischen Volksgruppe angehörten, konnten eine erleichterte Einbürgerung beantragen (USDOS 12.04.2022).
Die Regierung nahm Flüchtlinge zur Neuansiedlung auf und bot den in ihrem Hoheitsgebiet lebenden Flüchtlingen die Einbürgerung an. Im Mai nahm die Regierung den konzeptionellen Rahmen für die staatliche Steuerung der Migration an, der die Entwicklung der Integrationsstrategie 2021-31 und des Aktionsplans für 2021-26 vorsah. Der Rahmen bot auch Integrationsprogramme für Rückkehrer aus westeuropäischen Ländern an, die entweder freiwillig zurückkehrten oder vom Aufnahmeland abgeschoben wurden (USDOS 12.04.2022).
Das Gesetz sieht die Verleihung der Staatsbürgerschaft an staatenlose Kinder vor, die auf dem Territorium des Landes geboren wurden (USDOS 12.04.2022).
(USDOS, US Department of State, Armenien, Menschenrechtslage Jahresbericht 2021, 12.04.2022, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports-on-human-rights-practices/armenia/
UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (03.06.2020): UNHCR helps displaced Syrian-Armenians facing hardship amid pandemic, https://www.unhcr.org/ph/19353-unhcr-helps-displaced-syrian-armenians-facing-hardship-amid-pandemic.html , Zugriff des BFA am 25.06.2020
AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, Stand Mai 2022, 25.07.2022, https://www.ecoi.net
USDOS, US Department of State, Armenien, Menschenrechtslage Jahresbericht 2020, 30.03.2021, https://www.state.gov/reports/2020-country-reports-on-human-rights-practices/armenia/ )
Grundversorgung und Wirtschaft
Der Arbeitsmarkt hat sich als widerstandsfähiger erwiesen als erwartet und es wird weiterhin mit einer positiven Entwicklung gerechnet, was zu einer Steigerung des privaten Konsums führen wird. Zusätzlich konnte die Regierung die COVID-19 bedingten Restriktionen auf die Wirtschaft schon 2021 eingrenzen, was sich positiv auf den Arbeitsmarkt und die gesamtwirtschaftliche Situation auswirkte (WKO Wirtschaftsbericht September 2022, abgefragt am 30.11.2022).
In Armenien ist ein breites Warenangebot in- und ausländischer Herkunft vorhanden. Auch umfangreiche ausländische Hilfsprogramme tragen zur Verbesserung der Lebenssituation von benachteiligten Gruppen bei. Ein beachtlicher Teil der Bevölkerung ist nach wie vor finanziell nicht in der Lage, seine Versorgung mit den zum Leben notwendigen Gütern ohne Unterstützung durch humanitäre Organisationen sicherzustellen. Nach Schätzungen der Weltbank für 2020 leben 27 % der Armenier unterhalb der Armutsgrenze. Ein Großteil der Bevölkerung wird finanziell und durch Warensendungen von Verwandten im Ausland unterstützt. Das die Armutsgrenze bestimmende Existenzminimum beträgt in Armenien ca. AMD 60.000 [ca. EUR 146] im Monat, der offizielle Mindestlohn AMD 55.000. Das durchschnittliche Familieneinkommen ist mangels zuverlässiger Daten schwer einzuschätzen. Der Großteil der Armenier geht mehreren Erwerbstätigkeiten und darüber hinaus privaten Geschäften und Gelegenheitstätigkeiten nach (AA 25.07.2022).
Die Regierung hat im Rahmen von COVID-19 verschiedene finanzielle Hilfspakete für sozial gefährdete Haushalte und Privatpersonen und wirtschaftlich betroffene KMUs, Freizeit- und Tourismusunternehmen, landwirtschaftliche Betriebe, etc. bereitgestellt. Dazu zählen zinsfreie Kredite und staatliche Garantien, Stundungen für Kreditrückzahlungen, Subventionen für Gas- und Stromkosten (WKO Coronavirus, 26.05.2022).
Das Durchschnittseinkommen beträgt AMD 192.450 [ca. EUR 468] pro Monat (IOM 2020). Trotz relativ günstiger Wachstumsraten ist es nicht gelungen, den Lebensstandard für breite Bevölkerungsteile spürbar zu erhöhen (SWP 05.2020).
Im Jahr 2021 lag die Arbeitslosenquote Armeniens bei geschätzt rund 18,5 %. Für das Jahr 2022 wird die Arbeitslosenquote in Armenien auf rund 19,5 % prognostiziert (statista 05.05.2022). Nach dem 2019 reformierten Erfassungssystem der Steuereinnahmen zeigte die armenische staatliche Einkommensstatistik (armstat.am) für 2021ein durchschnittliches Monatseinkommen pro Kopf von AMD 204.000, was zum damaligen Kurs EUR 342 entsprach. Vom Jänner bis Juli 2022 wurde eine Steigerung des durchschnittlichen Monatsgehalts um +8 % auf AMD 220.000 verzeichnet, was aufgrund der starken Aufwertung des Armenischen Drams - beeinflusst von der Aufwertung des russischen Rubels - nunmehr EUR 528 ergibt. Reale Preissteigerungen übersteigen allerdings die Einkommensanstiege, die Abhängigkeit vom EUR Wechselkurs ist hier wenig relevant. Die offizielle Arbeitslosigkeitsrate sank im Jahr 2021 leicht auf 16 %. Im Jahr 2022 wird ein weiterer Rückgang der Arbeitslosigkeit auf 15,5 % erwartet. Man geht jedoch von einer verdeckten Arbeitslosigkeit von bis zu 40 % aus (WKO Wirtschaftsbericht September 2022, abgefragt am 30.11.2022).
Im Jahr 2021 belief sich die durchschnittliche Inflationsrate auf rund 7,2 % gegenüber dem Vorjahr. Für das Jahr 2022 wird die Inflationsrate Armeniens auf rund 7,6 % gegenüber dem Vorjahr prognostiziert (statista 04.05.2022)
Im Jahr 2021 verzeichnete die Industrieproduktion ein kräftiges Wachstum von +3,8 %. Für 2022 wird mit einem Wachstum der Industrie von +1,2% und für 2023 von +3,4 % gerechnet. Die Rohstoffgewinnung und deren Verarbeitung dominieren die Industrie. Armenien hat über 480 bekannte Vorkommen mineralischer Rohstoffe. Es gibt bedeutende Reserven von Metallen wie Kupfer, Blei, Zink sowie Molybdän-, Gold- und Silbervorkommen. Aufgrund der begrenzten Verarbeitungskapazität werden viele Bergbauprodukte als Rohstoffe exportiert (WKO Wirtschaftsbericht September 2022, abgefragt am 30.11.2022).
Die Landwirtschaft gehört zu den wichtigsten Wirtschaftssektoren und verzeichnete 2019 erstmals seit dem Jahr 2015 einen Anstieg von + 3 %. 2021 war die Landwirtschaft mit -1,4 % rückläufig, auch 2022 und 2023 bleibt dieser Sektor mit ca. +1,0 % schwach. Hauptanbauprodukte sind Gemüse, Obst, darunter auch Granatäpfel - ein Symbol Armeniens, Getreide, Öle, Tabak und Wein. Ein Großteil der landwirtschaftlichen Fläche wird als Weideland verwendet (WKO Wirtschaftsbericht September 2022, abgefragt am 30.11.2022).
Das Wirtschaftswachstum konzentrierte sich bislang primär auf die Hauptstadt Jerewan. Das Entwicklungsgefälle zwischen der Hauptstadt und den übrigen Regionen des Landes bleibt groß. Die ländlichen Regionen haben eine hohe Unterbeschäftigung und niedriges Einkommen. Um die regionale Entwicklung weiter anzukurbeln verfolgt die armenische Regierung eine aktive Regionalpolitik (WKO Wirtschaftsbericht September 2022, abgefragt am 30.11.2022).
Das Gesetz verbietet und kriminalisiert alle Formen von Zwangs- und Pflichtarbeit, obwohl es keine Definition von Zwangsarbeit enthält. Die Regierung hat das Gesetz nicht wirksam durchgesetzt. Die Strafverfolgung war nicht proaktiv und verließ sich weitgehend auf die Selbstauskunft der Opfer (USDOS 12.04.2022).
(WKO, Wirtschaftskammer Österreich, Armenien, Wirtschaftsbericht, September 2022, abgefragt am 30.11.2022, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/armenien-wirtschaftsbericht.pdf
IOM – Internationale Organisation für Migration (2020): Länderinformationsblatt Armenien 2020, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2020_Armenia_DE.pdf , Zugriff des BFA am 16.02.2021
WKO, Wirtschaftskammer Österreich, Coronavirus: Situation in Armenien, 26.05.2022, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-armenien.html
statista (05.05.2022): Armenien, Arbeitslosenquote in Armenien bis 2027, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/409122/umfrage/arbeitslosenquote-in-armenien/ , Zugriff des BFA am 18.8.2022
statista (04.05.2022): Armenien, Inflationsrate in Armenien bis 2027, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/409153/umfrage/inflationsrate-in-armenien/ , Zugriff des BFA am 18.8.2022
SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (05.2020): Korruption und Korruptionsbekämpfung im Südkaukasus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2020S08_suedkaukasus.pdf , Zugriff des BFA am 18.08.2022
USDOS, US Department of State, Armenien, Menschenrechtslage Jahresbericht 2021, 12.04.2022, https://www.state.gov/reports/2021-country-reports-on-human-rights-practices/armenia/ )
Sozialbeihilfen
Das Ministerium für Arbeit und soziale Angelegenheiten verwaltet das Sozialschutzsystem in Armenien. Zu den wichtigsten Arten staatlicher Sozialleistungen in Armenien gehören: Familienbeihilfe, Sozialleistungen, dringende Unterstützungen, pauschales Kindergeld, Kinderbetreuungsgeld bis zum Alter von zwei Jahren, Leistungen bei vorübergehender Arbeitsunfähigkeit, Mutterschaftsgeld, Altersbeihilfe, Invaliditätsleistungen, Leistungen bei Verlust der geldverdienenden Person, Bestattungsgeld (IOM 2020).
Personen, die das 63. Lebensjahr vollendet und mindestens 10 Jahre Berufserfahrung haben, haben Anspruch auf eine arbeitsbedingte Rente. Personen, die keinen Anspruch auf eine arbeitsbedingte Rente haben, haben mit 65 Jahren Anspruch auf eine altersbedingte Rente. In Armenien gibt es zwei Kategorien von Renten: Arbeitsrenten umfassen Altersrenten, privilegierte Renten, Renten für langjährige Betriebszugehörigkeit, Invalidenrenten und Hinterbliebenenrenten. Militärrenten umfassen Renten für Langzeitdienstleistern, Invaliditätsrenten und Hinterbliebenenrenten (IOM 2020).
Der Pensionsanspruch gilt grundsätzlich ab einem Alter von 63 mit mindestens 25 Jahren abgeschlossener Beschäftigung; eine verringerte Pension steht nach mindestens zehnjähriger Anstellung, jedoch erst ab 65 zu. Bei Invalidität im Rahmen der Sozialversicherung sind zwischen zwei und zehn Jahre Anstellung Grundvoraussetzung, abhängig vom Alter des Versicherten beim Auftreten der Invalidität. Die Invaliditätspension hängt vom Grade der Invalidität ab. Unterhalb der erforderlichen Zeiten für eine Invaliditätspension besteht die Möglichkeit einer Sozialrente für Invalide in Form einer Sozialhilfe. Zur Pensionsberechnung werden die Studienjahre, die Wehrdienstzeit, die Zeit der Kinderbetreuung und die Arbeitslosenzeiten herangezogen. Die Alterspension im Rahmen der Sozialversicherung beträgt 100 % der Basispension von AMD 16.000 monatlich zuzüglich eines variablen Bonus. Die Bonuspension macht AMD 500 monatlich für jedes Kalenderjahr ab dem elften Beschäftigungsjahr multipliziert mit einem personenspezifischen Koeffizienten, basierend auf der Länge der Dienstzeit (USSSA 03.2019).
Das Ministerium für Arbeit und Soziales (MLSA) implementiert Programme zur Unterstützung von schutzbedürftigen Personen: Behinderte, ältere Personen, RentnerInnen, Waisen, Opfer von Menschenhandel, Frauen und Kinder. Der Zugang zu diesen Leistungen erfolgt über die 51 Büros des staatlichen Sozialversicherungsservice (IOM 2020).
Die staatliche Arbeitsagentur bietet im Rahmen der Arbeitslosenunterstützung folgende Dienstleistungen an: Beratung und Information über die von der Agentur angebotenen Dienstleistungen, Beratung zur beruflichen Orientierung, Antrag auf freie Mitarbeit, Teilnahme an staatlichen Beschäftigungsprogrammen und -veranstaltungen, Berufsausbildung und Umschulung (IOM 2020).
Arbeitslosenunterstützung
2015 wurde die Arbeitslosenunterstützung zugunsten einer Einstellungsförderung eingestellt. Zu dieser Förderung gehört auch die monetäre Unterstützung für Personen die am regulären Arbeitsmarkt nicht wettbewerbsfähig sind. Das Arbeitsgesetz von 2004 sieht ein Abfertigungssystem seitens der Arbeitgeber vor. Bei Betriebsauflösung oder Stellenabbau beträgt die Abfertigung ein durchschnittliches Monatssalär, bei anderen Gründen hängt die Entschädigung von der Dienstzeit ab, jedoch maximal 44 Tage im Falle von 15 Anstellungsjahren (USSSA 03.2019).
(IOM – Internationale Organisation für Migration (2020): Länderinformationsblatt Armenien 2020, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2020_Armenia_DE.pdf , Zugriff des BFA am 08.08.2022
USSSA – U.S. Social Security Administration [USA] (03.2019): Social Security Programs Throughout the World: Asia and the Pacific, 2018 – Armenia, https://www.ssa.gov/policy/docs/progdesc/ssptw/2018-2019/asia/armenia.pdf , Zugriff des BFA am 08.08.2022)
Medizinische Versorgung
In Armenien wurden fast alle COVID bezogenen Beschränkungen aufgehoben. Die COVID-19 Quarantänevorschriften für Personen, die während ihres Aufenthalts in Armenien positiv getestet werden, bleiben bis zum 20.06.2022 in Kraft. Bei COVID-19 Symptomen müssen sich alle Personen testen lassen. Die Kosten für PCR-Tests für bestimmte Bevölkerungsgruppen (medizinisches Personal, Schwangere Frauen, neugeborene Kinder, Patienten in Kliniken usw.) werden vom Staat übernommen. Ein PCR-Test bei privaten Labors kostet AMD 9.000 – 15.000 (= ca. EUR 20 – 30). Geimpfte Personen, die positiv auf COVID-19 getestet werden, müssen sich sieben Tage lang selbst isolieren, ungeimpfte Personen müssen sich 10 Tage lang nach einem positiven PCR-Testergebnis selbst isolieren. Diese Frist kann auf sieben Tage verkürzt werden, wenn ein neuer PCR-Test ein negatives Ergebnis liefert. Während des Überwachungs- oder Quarantänezeitraums können die Gesundheitsbehörden den Gesundheitszustand der Personen überprüfen. Personen mit schweren Symptomen können zur weiteren Behandlung ins Krankenhaus eingewiesen werden (WKO Coronavirus, 26.05.2022).
Im Zeitraum von 03.01.2020 bis zum 30.11.2022 gab es in der Republik Armenien 445.737 bestätigte Fälle von COVID-19 Infektionen und 8.710 Todesfälle; es wurden bis 22.05.2022 2.150.112 Einheiten Schutzimpfungen verabreicht (WHO Situation in Armenien, abgefragt am 30.11.2022). Im selben Zeitraum gab es in der Republik Österreich 5.554.975 bestätigte Fälle von COVID-19 Infektionen und 21.202 Todesfälle; es wurden bis 13.11.2022 19.950.484 Einheiten Schutzimpfungen verabreicht (WHO Situation in Österreich, abgefragt am 30.11.2022).
Krankenhäuser – insbesondere außerhalb der großen Städte – entsprechen nicht dem europäischen Standard (BMEIA Stand 30.11.2022).
Die medizinische Grundversorgung ist flächendeckend gewährleistet. Das Gesundheitssystem besteht aus einer staatlich garantierten und kostenlosen Absicherung sowie einer individuellen und freiwilligen Krankenversicherung. Jeder Mensch in der Republik Armenien hat Anspruch auf medizinische Hilfe und Dienstleistungen unabhängig von Nationalität, Herkunft, Geschlecht, Sprache, Religion, Alter, politischen und sonstigen Überzeugungen, sozialer Herkunft, Eigentum oder sonstigem Status (IOM 2020). Die primäre medizinische Versorgung wird in der Regel entweder durch regionale Polikliniken oder ländliche Behandlungszentren erbracht. Die sekundäre medizinische Versorgung wird von 37 regionalen Krankenhäusern und einigen der größeren Polikliniken mit speziellen ambulanten Diensten übernommen, während die tertiäre medizinische Versorgung größtenteils den staatlichen Krankenhäusern und einzelnen Spezialeinrichtungen in Jerewan vorbehalten ist (AA 25.07.2022).
Durch sexuelle Kontakte, bei Drogengebrauch (unsaubere Spritzen oder Kanülen) und Bluttransfusionen besteht grundsätzlich ein hohes HIV-Übertragungsrisiko. Durch eine entsprechende Lebensmittel- und Trinkwasserhygiene lassen sich die meisten Durchfallerkrankungen jedoch vermeiden. Zum Schutz Ihrer Gesundheit beachten Sie daher folgende grundlegende Hinweise: Trinken Sie ausschließlich Wasser sicheren Ursprungs, nie Leitungswasser. Durch Kauf von Flaschenwasser mit Kohlensäure kann eine bereits zuvor geöffnete Flasche leichter identifiziert werden. Benutzen Sie unterwegs auch zum Geschirrspülen und Zähneputzen möglichst Trinkwasser. Falls kein Flaschenwasser zur Verfügung steht, verwenden Sie gefiltertes, desinfiziertes oder abgekochtes Wasser. Kochen oder schälen Sie Nahrungsmitteln selbst. Halten Sie unbedingt Fliegen von Ihrer Verpflegung fern. Waschen Sie sich so oft wie möglich mit Seife die Hände, stets jedoch vor der Essenszubereitung und vor dem Essen. Wenn möglich, desinfizieren Sie Ihre Hände mit Flüssigdesinfektionsmittel (AA Reise- und Sicherheitshinweise Stand 30.11.2022).
Die primäre medizinische Versorgung ist grundsätzlich kostenfrei. Kostenlose medizinische Versorgung gilt nur noch eingeschränkt für die sekundäre und die tertiäre Ebene. Das Fehlen einer staatlichen Krankenversicherung erschwert den Zugang zur medizinischen Versorgung insoweit, als für einen großen Teil der Bevölkerung die Finanzierung der kostenpflichtigen ärztlichen Behandlung extrem schwierig geworden ist. Viele Menschen sind nicht in der Lage, die Gesundheitsdienste aus eigener Tasche zu bezahlen. Der Abschluss einer privaten Krankenversicherung übersteigt die finanziellen Möglichkeiten der meisten Familien bei weitem (AA 25.07.2022).
Die medizinische Versorgung ist grundsätzlich gewährleistet, entspricht jedoch insbesondere außerhalb der großen Städte nicht immer europäischem Standard. Die Notfallversorgung ist in der Regel gegeben. Bei Behandlungen wird meist Barzahlung verlangt. In entlegenen Gebieten des Landes kann bei Krankheit oder Unfall nicht mit einer raschen und effizienten medizinischen Betreuung gerechnet werden (AA Reise- und Sicherheitshinweise Stand 30.11.2022).
Armeniens Gesundheitssystem ist durch den Staat stark unterfinanziert; weniger als 1,6 % des BIP werden für Gesundheitsausgaben aufgewendet (einer der niedrigsten Werte weltweit) und mehr als 50 % aller Gesundheitsausgaben entfallen auf Direktzahlungen von Patienten (einer der höchsten Werte weltweit). Dies führt zu erheblichen Problemen beim Zugang, der Steuerung und der Qualität der Versorgung (EVN 22.03.2020). Die COVID-19-Pandemie im ersten Halbjahr 2020 hat das Gesundheitssystem noch weiter unter Druck gesetzt (ChH 04.06.2020) Das Gesundheitssystem leidet nicht unter einem Ärztemangel. Es besteht jedoch ein ernstes Missverhältnis zwischen ländlichen Gebieten und der Hauptstadt: Eriwan weist im Vergleich zum Rest des Landes eine übermäßige Konzentration von Ärzten auf. Im internationalen Vergleich gibt es in Armenien eine große Zahl von Fachärzten im Vergleich zu Allgemeinmedizinern (EVN 22.03.2020).
Informationen über soziale Bevölkerungsgruppen, die berechtigt sind, kostenlose Medikamente durch lokale Polikliniken zu erhalten, sind verfügbar unter: www.moh.am (IOM 2020).
Die Einfuhr von Medikamenten zum persönlichen Gebrauch ist auf 10 Arzneimittel, je 3 Packungen, beschränkt (IOM 2020).
Ein Grundproblem der staatlichen medizinischen Fürsorge ist die schlechte Bezahlung des medizinischen Personals (für einen allgemein praktizierenden Arzt ca. 250/Monat EUR). Hochqualifizierte und motivierte Mediziner wandern in den privatärztlichen Bereich ab, wo Arbeitsbedingungen und Gehälter deutlich besser sind. Der Ausbildungsstand des medizinischen Personals ist zufriedenstellend. Die Ausstattung der staatlichen medizinischen Einrichtungen mit technischem Gerät ist dagegen teilweise mangelhaft. In einzelnen klinischen Einrichtungen – meist Privatkliniken – stehen hingegen moderne Untersuchungsmethoden wie Ultraschall, Mammographie sowie Computer- und Kernspintomographie zur Verfügung (AA 25.07.2022).
Die größeren Krankenhäuser in Eriwan sowie einige Krankenhäuser in den Regionen verfügen über psychiatrische Abteilungen und Fachpersonal. Die technischen Untersuchungsmöglichkeiten haben sich durch neue Geräte verbessert. Die Behandlung von posttraumatischem Belastungssyndrom (PTBS) und Depressionen ist auf gutem Standard gewährleistet und erfolgt kostenlos. Die Anzahl der kostenlosen Behandlungsplätze für Dialyse ist begrenzt, aber gegen Bezahlung von ca. USD 100 jederzeit möglich. Selbst Inhaber kostenloser Behandlungsplätze müssen aber noch in geringem Umfang zuzahlen. Derzeit ist die Dialysebehandlung in fünf Krankenhäusern in Eriwan möglich, auch in den Städten Armavir, Gjumri, Kapan, Noyemberyan und Vanadsor sind die Krankenhäuser entsprechend ausgestattet (AA 25.07.2022).
Problematisch ist die Verfügbarkeit von Medikamenten, da nicht immer alle Präparate vorhanden sind. Nach dem Regierungsbeschluss vom 23.11.2006 ist die Ausgabe von Medikamenten in Polikliniken kostenlos bei bestimmten Krankheiten und für Menschen, die in die Kategorie 1 besonders schutzbedürftiger Personen fallen. Hierzu gehören insbesondere Kinder und Menschen mit mittlerer bis schwerer Behinderung. Patienten der Kategorie 2 müssen 50 %, Patienten der Kategorie 3 müssen 70 % ihrer Medikamentenkosten selbst tragen (AA 25.07.2022).
Tuberkulose ist eine bakterielle Infektionskrankheit, die am häufigsten die Lunge befällt. Die Übertragung erfolgt in der Regel von Mensch zu Mensch über Tröpfcheninfektion oder enge Kontakte. Tuberkuloseerkrankungen sind in Armenien deutlich mehr verbreitet als in Mitteleuropa; meiden Sie Kontakt zu an Tuberkulose Erkrankten oder Menschen mit starkem Husten unklarer Ursache. Bei der Tollwut handelt es sich um eine tödlich verlaufende Viruserkrankung, die über den Speichel infizierter Tiere oder Menschen übertragen wird. In Armenien treten gelegentlich Fälle von Tollwut auf; vermeiden Sie den Kontakt mit Tieren (AA Reise- und Sicherheitshinweise Stand 30.11.2022).
(BMEIA, Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten, Reiseinformation Armenien, unverändert gültig seit 14.11.2022, Stand 30.11.2022, https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/armenien/
WKO, Wirtschaftskammer Österreich, Coronavirus: Situation in Armenien, 26.05.2022, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-armenien.html
ChH, Chatham House (04.06.2020): South Caucasus States Set to Diverge Further due to COVID-19, https://www.chathamhouse.org/expert/comment/south-caucasus-states-set-diverge-further-due-covid-19 , Zugriff des BFA am 05.06.2020
AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, Stand Mai 2022, 25.07.2022, https://www.ecoi.net
EVN Report/Shant Shekherdimian, Nerses Kopalyan (22.03.2020): Armenia Combats the Coronavirus: State Capacity and the Diaspora, https://www.evnreport.com/readers-forum/armenia-combats-the-coronavirus-state-capacity-and-the-diaspora , Zugriff des BFA am 24.04.2020
IOM – International Organization for Migration (2020): Länderinformationsblatt Armenien 2020, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2020_Armenia_DE.pdf , Zugriff des BFA am 08.08.2022
AA, Auswärtiges Amt, Armenien, Reise- und Sicherheitshinweise, unverändert gültig seit 19.09.2022, Stand 30.11.2022, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/armenien-node/armeniensicherheit/201872
WHO, World Health Organization, COVID-19 Fälle, Republik Armenien, abgefragt am 30.11.2022, https://covid19.who.int/region/euro/country/am
WHO, World Health Organization, COVID-19 Fälle, Republik Österreich, abgefragt am 30.11.2022, https://covid19.who.int/region/euro/country/at )
Rückkehr
Zur Einreise nach Armenien wird wegen COVID-19 kein Impfnachweis oder PCR-Test mehr benötigt. Die Landgrenze zwischen Armenien und Georgien ist geöffnet. Die Landgrenze in den Iran ist nur unter strengen Gesundheitsauflagen passierbar. Derzeit bestehen keine Reisebeschränkungen innerhalb der Republik Armenien; es gibt Zug- und Busverbindungen, bei denen es jedoch häufig zu Verspätungen kommt (AA Reise- und Sicherheitshinweise Stand 30.11.2022).
Seit Anfang März 2022 ist die Maskenpflicht bis auf Weiteres in allen Innenbereichen (mit Ausnahme von medizinischem Personal in Krankenhäusern sowie in allen öffentlichen Verkehrsmitteln und in Taxis) aufgehoben. Seit 1.Mai 2022 besteht keine 3-G-Nachweispflicht mehr. Die nationale Quarantäne wurde bis 20.06.2022 verlängert. Für die Einreise nach Armenien besteht seit 01.05.2022 ebenfalls keinerlei 3-G-Nachweispflicht. Die internationalen regulären Flugverbindungen nach/von Jerewan sind wieder möglich (WKO Coronavirus, 26.05.2022).
Rückkehrende werden grundsätzlich nach Ankunft in die Gesellschaft integriert. Sie haben Zugang zu allen Berufsgruppen, auch im Staatsdienst, und überdurchschnittlich gute Chancen, Arbeit zu finden. Für rückkehrende Migranten wurde ein Beratungszentrum geschaffen; es handelt sich um ein Projekt der französischen Büros für Einwanderung und Migration (OFFI). Rückkehrer können sich auch an den armenischen Migrationsdienst wenden, der ihnen mit vorübergehender Unterkunft und Beratung zur Seite steht. Fälle, in denen Rückkehrer festgenommen oder misshandelt wurden, sind nicht bekannt (AA 25.07.2022).
Seit 2019 führt der Migrationsdienst der Republik Armenien das „Staatliche Programm zur primären Unterstützung der Wiedereingliederung von zurückgekehrten (einschließlich unfreiwillig zurückgekehrten) Staatsbürger in die Republik Armenien" durch. Das Programm bietet armenischen Staatsbürger, die nach Armenien zurückkehren primäre Unterstützung, um ihre vollständige und nachhaltige Wiedereingliederung zu gewährleisten (IOM 2020).
Frontex hat zum 01.04.2022 sein JRS-Programm (Joint Reintegration Services) gestartet. Dieses bietet individuelle Reintegrationshilfen für Rückkehrende in ihre Herkunftsländer und übernimmt damit Teile des bisherigen ERRIN-Projekts, welches bis zum 30.06.2022 parallel weiterlief. Reintegrationspartner und JRS-Hilfen stehen auch für Armenien zur Verfügung (JRS-Programm, ohne Datum).
(AA, Auswärtiges Amt, Armenien, Reise- und Sicherheitshinweise, unverändert gültig seit 19.09.2022, Stand 30.11.2022, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/armenien-node/armeniensicherheit/201872
WKO, Wirtschaftskammer Österreich, Coronavirus: Situation in Armenien, 26.05.2022, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-armenien.html
IOM – International Organization for Migration (2020): Länderinformationsblatt Armenien 2020,https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2020_Armenia_DE.pdf , Zugriff des BFA am 08.08.2022
JRS-Programm (ohne Datum): Reintegrationspartner, https://www.returningfromgermany.de/de/programmes/jrs/ , Zugriff 08.08.2022
AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, Stand Mai 2022, 25.07.2022, https://www.ecoi.net )
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Akt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, insbesondere die Erstbefragung, die niederschriftliche Befragung im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, den erstinstanzlichen Bescheid, die Beschwerde, sämtliche im Bundesverwaltungsgericht eingelangte Schreiben, Urkundenvorlagen und Stellungnahmen, den persönlichen Eindruck in der öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und Länderberichte zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin.
a) Zu den persönlichen Verhältnissen der Beschwerdeführerin:
Die Identität der Beschwerdeführerin kann (noch) nicht festgestellt werden, da sie zwar am 14.09.2022 die Kopie von zwei Seiten ihres von den armenischen Behörden neu ausgestellten Auslandsreispasses in Vorlage brachte, zwei Seiten im Kopie jedoch die Vorlage eines Identitätsdokuments im Original nicht ersetzen können. Die Feststellungen zu Staatsangehörigkeit, Herkunftsort, Volksgruppe und Glauben beruhen auf den diesbezüglich gleichbleibenden Angaben der Beschwerdeführerin im Lauf des Verfahrens; ihre Sprachkenntnisse zeigten sich in der Beschwerdeverhandlung.
Dass nur die volljährige Tochter und drei Enkel, alle Staatsangehörige der Republik Armenien, derzeit in Österreich leben, der Ehegatte der Tochter bzw. Vater der Enkel derzeit wieder in der Republik Armenien, ergibt sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung (Verhandlungsschrift Seite 15). Dass die Beschwerdeführerin zu diesem in der Republik Armenien liebenden Schwiegersohn eine intensive Beziehung hat, steht in ihrer Beschwerde.
b) Zum bisherigen Verfahrensverlauf:
Die Feststellungen zum bisherigen Verfahrensverlauf ergeben sich aus dem Akt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und dem Beschwerdeakt des Bundesverwaltungsgerichts; für eine ausführliche Darstellung siehe I. Verfahrensgang.
c) Zur möglichen Rückkehr der Beschwerdeführerin in ihren Herkunftsstaat:
Die Beschwerdeführerin hat angegeben nie Probleme mit den Behörden der Republik Armenien gehabt zu haben und konnte problemlos legal mit ihrem armenischen Reisepass aus ihrem Herkunftsstaat ausreisen. Die Beschwerdeführerin ließ sich am XXXX von den armenischen Behörden einen neuen Reisepass ausstellen, mit dem sie jederzeit in ihren Herkunftsstaat zurückkehren kann. Aus 1. Feststellungen e zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin, Rückkehr geht zusammengefasst hervor, dass zur Einreise in die Republik Armenien wegen COVID-19 kein Impfnachweis oder PCR-Test mehr benötigt wird. Einreisen nach Armenien sind über die internationalen regulären Flugverbindungen nach Jerewan möglich. Rückkehrende werden grundsätzlich nach Ankunft in die Gesellschaft integriert. Sie haben Zugang zu allen Berufsgruppen, auch im Staatsdienst, und überdurchschnittlich gute Chancen, Arbeit zu finden. Für rückkehrende Migranten wurde ein Beratungszentrum geschaffen; es handelt sich um ein Projekt der französischen Büros für Einwanderung und Migration (OFFI). Rückkehrer können sich auch an den armenischen Migrationsdienst wenden, der ihnen mit vorübergehender Unterkunft und Beratung zur Seite steht. Fälle, in denen Rückkehrer festgenommen oder misshandelt wurden, sind nicht bekannt. Seit 2019 führt der Migrationsdienst der Republik Armenien das „Staatliche Programm zur primären Unterstützung der Wiedereingliederung von zurückgekehrten (einschließlich unfreiwillig zurückgekehrten) Staatsbürger in die Republik Armenien" durch. Das Programm bietet armenischen Staatsbürger, die nach Armenien zurückkehren primäre Unterstützung, um ihre vollständige und nachhaltige Wiedereingliederung zu gewährleisten. Frontex hat zum 01.04.2022 sein JRS-Programm (Joint Reintegration Services) gestartet. Dieses bietet individuelle Reintegrationshilfen für Rückkehrende in ihre Herkunftsländer und übernimmt damit Teile des bisherigen ERRIN-Projekts, welches bis zum 30.06.2022 parallel weiterlief. Reintegrationspartner und JRS-Hilfen stehen auch für Armenien zur Verfügung.
Die Beschwerdeführerin hat nie behauptete wegen der allgemeinen Sicherheitslage nicht in die Republik Armenien zurückkehren zu können und aus 1. Feststellungen e zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin, Sicherheitslage geht zusammengefasst hervor, dass die Sicherheitslage im gesamten Land, mit Ausnahme der Grenzregion zur Republik Aserbaidschan, mit Sicherheitsstufe 01 bewertet wird (Anmerkung: laut Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten gibt es sechs Sicherheitsstufen von 01=gut bis 06=Reisewarnung). Nur in den Grenzgebieten zu Aserbaidschan besteht ein Hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 03). Die Beschwerdeführerin hat jedoch nicht angeben von dort zu stammen, weshalb sie auch nicht vom zuletzt am 13.09.2022 erfolgten XXXX aserbaidschanischen Artilleriebeschuss auf die Orte Goris, Sotk und Dschermuk bzw. Umgebung sowie in den Provinzen Gegharkunik, Vayots Dzor und Syunik betroffen gewesen wäre.
Die Beschwerdeführerin hat in der Beschwerdeverhandlung wiederholt angegeben gesund (Verhandlungsschrift Seiten 07 und 08) und bereits gegen COVID-19 geimpft worden zu sein (Verhandlungsschrift Seite 03). Dass die Beschwerdeführerin aktuell an einer COVID-19 Infektion leiden würde, wurde nicht vorgebracht. Wie aus 1. Feststellungen e zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin, medizinische Versorgung hervorgeht, hat es laut WHO mit Stand 30.11.2022 im Zeitraum von 03.01.2020 bis zum 30.11.2022 in der Republik Armenien 445.737 bestätigte Fälle von COVID-19 Infektionen und 8.710 Todesfälle gegeben. Im selben Zeitraum gab es in der Republik Österreich 5.554.975 bestätigte Fälle von COVID-19 Infektionen und 21.202 Todesfälle. Es kann insgesamt zwar nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Beschwerdeführerin mit COVID-19 in der Republik Armenien infizieren könnte, was aber jedenfalls auch für ihren Verbleib in Österreich gilt. Nach der derzeitigen Faktenlage ist eine Ansteckung der Beschwerdeführerin in der Republik Österreich zumindest genauso wahrscheinlich wie im Herkunftsstaat, jedoch wäre ein diesbezüglich außergewöhnlicher Krankheitsverlauf bei der gesunden und auch nicht alten Beschwerdeführerin allenfalls spekulativ.
Dass die Beschwerdeführerin persönlich unglaubwürdig ist, ergibt sich bereits aus der Beweiswürdigung zum rechtskräftigen Spruchpunkt I. im Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl. Zudem behauptete die Beschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung sich keinen neuen armenischen Reisepass ausstellen lassen zu können: „P: Ich durfte nicht. Ich hatte kein Recht...“ (Verhandlungsschrift Seite 11).
Weiters widerspricht ihre Behauptung, dass sie angeblich vor ihrem Ehegatten, dem Vater ihrer Tochter, nach Österreich fliehen musste, den Angaben ihre Tochter in deren Asylverfahren:
„…R: Was befürchten Sie im Fall einer Rückkehr, wenn Sie jetzt zurückkehren, was befürchten Sie?
P: Ich befürchte die Rache meines Mannes, dass er Rache nehmen wird.
[…]
R: Es ist nicht zu übersehen, dass Sie die Tatsache, dass Ihre Tochter damals bereits in Österreich lebte und sogar ein in zweiter Instanz weder Asyl noch subsidiären Schutz erhalten hat, bei der Erstbefragung nicht angegeben haben:
„…6. Angaben über Familienangehörige in Österreich oder einem EU-Staat:
Keine...“ (Anmerkung: Erstbefragung am 16.06.2015 Seite 03 bzw. Akt BFA Seite 07)
P: Als ich hierhergekommen bin, ging es mir sehr schlecht. Ich war in sehr schlechter Verfassung. Ich wusste nicht, dass sie in Österreich lebt.
R: Das ist ein Riesenzufall. Die Tochter lebt in Österreich, ist hier verheiratet und zufälligerweise kommen Sie in dasselbe Land, ohne zu wissen, dass Ihre Tochter hier lebt?
P: Ich wusste, dass sie in Europa ist. Ich wusste nicht, dass sie genau in Österreich ist, ich wurde hierhergebracht und wusste nicht, dass sie hier lebt.
[…]
R: Das Bundesverwaltungsgericht ging im rechtskräftigen Erkenntnis im Verfahren Ihrer Tochter davon aus, dass diese deren illegalen Aufenthalt durch Ihre Eheschließung am XXXX legalisieren wollte; zumal Ihre Tochter, erst nach deren Eheschließung in Österreich, am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Das Asylverfahren Ihrer Tochter wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts rechtskräftig abgeschlossen, damals lebten Sie noch in der Republik Armenien. Ihre Tochter hat in deren Asylverfahren XXXX angegeben, dass deren Vater, Herr […] bereits verstorben ist. Wie kommt es, dass Sie behaupten, dass Sie im Jahr 2015 vor diesem Mann nach Österreich fliehen mussten?
P: Pause?
R: Ihre Tochter ist heute zur Verhandlung erschienen. Bitte beantworten Sie diese und die nächste Frage. Dann machen wir eine kurze Pause.
R wiederholt die Frage nach dem angeblich verstorbenen Vater.
P: Ich weiß nicht, wieso meine Tochter so geantwortet hat. Mein Mann war 1 Jahr lang im Gefängnis. Wir dachten, dass es ihn nicht mehr gibt. Er war drogenabhängig. Er war einmal da und einmal nicht. Wir wussten nicht, wo er ist.
R: Ihre Tochter hat in deren Asylverfahren behauptet, dass Sie, nachdem Ihr Ehegatte und Vater Ihrer Tochter verstorben war, mit einem anderen Mann zusammengelebt hätten und Ihre Tochter hat diesen Mann als ihren Stiefvater bezeichnet. Wollen Sie dazu etwas angeben?
P: Ich kann dazu nichts sagen.
R unterbricht um 09:23 Uhr die Verhandlung. Die Tochter, die als Zuhörerin im Saal ist, hat bereits kurz davor den Saal verlassen…“ (Verhandlungsschrift Seiten 08, 09 und 11f)
Dass nach dieser Beschwerdeverhandlung in einer schriftlichen Stellungnahme am 20.07.2022 angegeben wurde, die Beschwerdeführerin sei in Kenntnis gewesen, „dass meine Tochter in Österreich aufhältig ist“ und nicht wie von ihr in der Beschwerdeverhandlung am 27.06.2022 angegeben, „dass sich meine Tochter in Europa und nicht in Österreich aufhält“, ist auf Grund der Tatsache, dass der Beschwerdeführerin sämtliche Angaben in der Beschwerdeverhandlung Satz für Satz rückübersetzt wurden, nicht geeignet die persönliche Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin zu unterstützen:
„…R: Während PV die Verhandlungsschrift zur Durchsicht vorgelegt wird, wird die Dolmetscherin Ihnen die Verhandlungsniederschrift Satz für Satz rückübersetzen. Bitte passen Sie gut auf, ob alle Ihre Angaben korrekt protokolliert wurden.
Anmerkung: PV wird die Verhandlungsschrift zur Durchsicht vorgelegt. D übersetzt P die Verhandlungsschrift Satz für Satz.
R: Haben Sie das Gefühl, dass heute alle Ihre Angaben aufgenommen und übersetzt wurden?
P: Ja.
R: Wurden alle Ihre Angaben korrekt protokolliert, oder wollen Sie etwas ändern?
P: Ich möchte nichts ändern…“ (Verhandlungsschrift Seite 27)
Die Beschwerdeführerin hat nie behauptet, wegen schlechter wirtschaftlicher Verhältnisse aus der Republik Armenien ausgereist zu sein, oder dort an Hunger gelitten zu haben, oder dass sie dort jemals obdachlos gewesen wäre. Aus den aktuellen Länderberichten geht nicht hervor, dass sich die wirtschaftliche Lage in der Republik Armenien seit der Ausreise der Beschwerdeführerin verschlechtert hätte. Selbst wenn die wirtschaftliche Lage in der Republik Armenien schlechter ist als jene in Österreich, ist es der Beschwerdeführerin zumutbar, durch eine notfalls auch weniger attraktive Arbeit den unbedingt notwendigen Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Beschwerdeführerin hat im Herkunftsstaat Schulbildung und hat laut eigenen Angaben (auch nach dem Tod ihres Ehegatten) nie arbeite müssen, konnte in Österreich erstmals unentgeltliche Erfahrungen als Helferin für Alte, Kranke und Kinder sammeln und wird diese hier gewonnenen Kenntnisse in Armenien anwenden können. Auch möchte die Beschwerdeführerin in Zukunft als Pflegerin oder Reinigungskraft arbeiten, was sie auch in der Republik Armenien machen kann. Zudem lässt sich der in Österreich besuchte Deutschkurs am armenischen Arbeitsmarkt positiv verwerten. Der körperlich und geistig gesunden, arbeitsfähigen Beschwerdeführerin ist es jedenfalls zumutbar in Zukunft selbständig und eigenverantwortlich ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Dazu kommt, dass die Beschwerdeführerin auf die Unterstützung ihres in der Republik Armenien lebenden Schwiegersohns, zu dem sie laut Beschwerde eine intensive Beziehung hat, sowie die finanzielle Unterstützung ihrer in der Russischen Föderation lebenden Eltern, des in der Ukraine lebenden Bruders und der in Österreich lebenden Tochter zählen kann. Zudem geht aus den Länderfeststellungen hervor, dass die Beschwerdeführerin in der Republik Armenien Anspruch auf Sozialbeihilfen hat.
d) Zum Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin in Österreich:
Die Feststellungen zum Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin in Österreich beruhen auf dem Vorbringen der Beschwerdeführerin im Lauf des Asylverfahrens, Abfragen in den entsprechenden amtlichen österreichischen Registern (Zentrales Melderegister, Zentrales Fremdenregister, Grundversorgungs-Informationssystem, Strafregister), schriftlichen Stellungnahmen und vorgelegten Unterlagen.
Dass sich die Beschwerdeführerin seit ihrer Asylantragstellung am XXXX durchgehend im Bundesgebiet aufhält hat sie in der Beschwerdeverhandlung angegeben.
Die Feststellungen zur Deutschprüfung im Jahr XXXX , den danach besuchten Deutschkursen und Deutschkenntnissen ergeben sich aus den vorgelegten Bestätigungen und ihren Angaben in der Beschwerdeverhandlung:
„…R: Ich möchte mich jetzt mit Ihnen in Deutsch unterhalten. Es ist eine bewusste Mischung von leichten und schweren Fragen, damit ich ein Gefühl dafür bekomme, ob und wie gut Sie Deutsch sprechen. Ich spreche besonders langsam und deutlich, Sie dürfen mit „Händen und Füßen“ reden und stellen sich einfach vor, heute wäre keine Dolmetscherin im Saal. Wenn Sie einzelne Fragen nicht verstehen, macht das nichts, denn später werden alle Fragen noch einmal mit der Dolmetscherin gestellt, sodass keine Inhalte verloren gehen und Sie ausführlich antworten können. Haben Sie das verstanden?
P: Ja.
R an D: Ab sofort bitte nicht übersetzen.
R: Mit wem leben Sie derzeit im gemeinsamen Haushalt?
P: Meinen Sie in XXXX ?
R: Nein. In Österreich. Mit wem leben Sie in Österreich im gemeinsamen Haushalt?
P: Ich wohne in XXXX und ich bin armenische Frau.
R: Warum leben Sie nicht mit Ihrer Tochter und Ihren Enkelkindern im gemeinsamen Haushalt?
P: Ich gerne. Aber ich darf. Ich muss wohnen in XXXX . Meine Tochter hat 3 Zimmer. Es ist klein. Ich habe sehr Respekt zu meine Schwiegersohn. Aber ich kann nicht mit ihm wohnen. Ich schäme immer, aber ich immer gehen, jede Tag. Ich gehe.
R: Wie weit leben Sie von Ihrer Tochter entfernt?
P: Entschuldigung. Noch einmal bitte.
R wiederholt die Frage.
P: Verstehe nicht.
R: Wo hält sich Ihr Schwiegersohn derzeit auf?
P: Wo arbeiten, oder?
R: Gehört die Firma, in der Ihr Schwiegersohn arbeitet, Ihrer Tochter, oder Ihrem Schwiegersohn?
P: Sie haben habe XXXX . Sie haben XXXX
R: Sind Sie seit Ihrer Asylantragstellung im Juni 2015 durchgehend in Österreich, oder sind seither ausgereist?
P: Nicht hören.
R wiederholt die Frage.
P: Entschuldigung.
R: Sind Sie von irgendjemandem in Österreich abhängig und falls ja, warum?
Anmerkung: P versteht die Frage nicht.
R: Welche Deutschkurse oder Fortbildungsveranstaltungen besuchen Sie derzeit?
P: Ich gegangen, ich gemacht A1. A2 und B1 auch versucht.
PV: Das haben wir heute vorgelegt. Das ist im Konvolut drinnen.
R: Sie haben am XXXX die Prüfung ÖSD Zertifikat A2 bestanden. Haben Sie danach weiter Prüfungen bestanden?
P: Nein. B1 ich gemacht, aber nicht bestanden.
Anmerkung: Heute wurde die Kursbesuchsbestätigung Deutsch B1 vom XXXX vorgelegt.
R: Beziehen Sie Leistungen aus der Grundversorgung?
P versteht die Frage nicht.
R: Arbeiten Sie?
P: Ja. Ich arbeite und Haushalte helfe immer.
R: Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft vor?
Anmerkung: P versteht die Frage nicht.
R: Sind Sie in Österreich integriert und falls ja, warum?
P: Ich arbeite mit Leute. Ich verstehe. Jetzt ich ein bisschen nervös. Ich nicht weiß, was jetzt mit mir.
R an D: Bitte ab sofort wieder übersetzen.
Anmerkung: P spricht etwas Deutsch, versteht aber vieles nicht...“ (Verhandlungsschrift Seite 13ff)
Wenn in der Beschwerde vom 29.08.2018 von einem Eingriff in das Privat- und Familienleben in Bezug auf die beabsichtigte B1 Deutschprüfung der Beschwerdeführerin geschrieben wird, wird offensichtlich übersehen, dass die Beschwerdeführerin diese Prüfung bis dato immer noch nicht bestanden hat.
Dass nur die Tochter und deren Kinder in Österreich leben, der Schwiegersohn jedoch wieder in der Republik Armenien ergibt sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung. In der Beschwerde wird angegeben, dass die Beschwerdeführerin zu diesem Schwiegersohn eine intensive Beziehung hat.
Die Beschwerdeführerin ist bereits im Jahr 2015 eingereist, hat in den Jahren danach aber nicht mit ihrer Tochter und den Enkeln im gemeinen Haushalt gelebt. Sie hat in der Beschwerdeverhandlung zudem angegeben von niemandem in Österreich abhängig zu sein, keinem Verein anzugehören und in Österreich noch nie einer bezahlten Erwerbstätigkeit nachgegangen zu sein.
Daran kann auch das Schreiben vom 17.08.2021 über ehrenamtliche Leistung der Beschwerdeführerin für die Firma XXXX als Reinigungskraft sowie Kinderbetreuung, samt Hinweis über ein in Zukunft mögliches monatliches Einkommen von 1.500 Euro nichts ändern. Nicht nur, dass e sich um das einzige derartige Schreiben während des siebenjährigen Aufenthalts in Österreich handelt, wurde es zudem von der Schwester des Schwiegersohns der Beschwerdeführerin verfasst, weshalb das Bundesverwaltungsgericht in Verbindung mit den geringen Deutschkenntnissen der Beschwerdeführerin realistischer weise davon ausgehen muss, dass es sich nur um ein bloßes „Gefälligkeitsschreiben“ handelt; das Gleiche gilt sinngemäß für die die Unterstützungserklärungen ihrer Tochter.
Die Beschwerdeführerin hat behauptet in Zukunft eine Ausbildung zur Pflegerin machen zu wollen bzw. einen Kurs als Heimhilfe-Mitarbeiterin, hat jedoch nach wie vor keine ausreichenden Deutschkenntnisse. Da sich die Beschwerdeführerin nach siebenjährigem Aufenthalt im deutschsprachigen Raum immer noch keine ausreichenden Deutschkenntnisse angeeignet hat, wird sie diesen Wunsch in Österreich nicht realisieren können. Auf Grund der mangelnden Deutschkenntnisse ist es nicht wahrscheinlich, dass sich die Beschwerdeführerin in naher Zukunft auf dem österreichischen Arbeitsmarkt integrieren kann. Eine positive Zukunftsprognose ist mangels zielstrebiger Verfolgung (A2 Deutschprüfung XXXX , zwei B1 Deutschkurse seit XXXX ohne bestandene Prüfung) nicht erkennbar.
Insgesamt ist somit nicht davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin ihren mehr als siebenjährigen Aufenthalt in Österreich zur umfassenden Integration genützt hat; für eine ausführliche Interessenabwägung zwischen den privaten und den öffentlichen Interessen am Verbleib in Österreich wird auf 3. Rechtliche Beurteilung zu Spruchpunkt IV. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl verwiesen.
e) Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin:
Die Feststellungen zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin beruhen auf den in der Beschwerdeverhandlung dargetanen Informationsquellen und etwas aktuelleren Berichten derselben Quellen. Die Parteien des Beschwerdeverfahrens haben keinen begründeten Einwand gegen die Heranziehung dieser Informationsquellen erhoben. Die herangezogenen Berichte und Informationsquellen stammen hauptsächlich von staatlichen Institutionen oder diesen nahestehenden Einrichtungen und es gibt keine Anhaltspunkte dafür, Zweifel an deren Objektivität und Unparteilichkeit aufkommen zu lassen. Die inhaltlich übereinstimmenden Länderberichte befassen sich mit der aktuellen Lage in der Republik Armenien.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde
Der Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin erhob nur gegen die Spruchpunkte II., IV. und V. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl die gegenständliche Beschwerde, weshalb die Spruchpunkt I. und III. und VI. in Rechtskraft erwuchsen und damit nicht Gegenstand dieses Verfahrens sind.
Zu Spruchpunkt II. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl:
In Spruchpunkt II. des Bescheides wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen.
Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist der Status des subsidiär Schutzberechtigen einem Fremden zuzuerkennen,
1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder
2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,
wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden (§ 8 Abs. 2 AsylG).
Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.
Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können (VwGH 31.10.2019, Ra 2019/20/0309).
Es obliegt grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Es reicht für den Asylwerber nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage zu berufen (VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016; 25.04.2017, Ra 2016/01/0307; 23.02.2016, Ra 2015/01/0134).
Der Verwaltungsgerichtshof hat überdies in seinem Erkenntnis vom 21.05.2019, 2019/19/0006-3, unter Bezugnahme auf das Erkenntnis vom 06.11.2018, 2018/01/0106, zusammengefasst klargestellt, dass § 8 Abs. 1 AsylG, auch wenn er nicht der Statusrichtlinie entspricht, nach wie vor anzuwenden ist.
Die Beschwerdeführerin ist persönlich unglaubwürdig, hat sämtliche Ausreisegründe frei erfunden (siehe 2. Beweiswürdigung c zur möglichen Rückkehr der Beschwerdeführerin in ihren Herkunftsstaat), ist problemlos legal mit einem armenischen Reisepass ausgereist und kann mit ihrem neuen am XXXX von den armenischen Behörden ausgestellten Reisepass jederzeit in ihren Herkunftsstaat zurückkehren.
Die Beschwerdeführerin hat nie behauptet wegen der Sicherheitslage ausgereist zu sein und eine Prüfung der aktuellen Sicherheitslage hat ergeben, dass diese stabil ist; siehe dazu weiter oben 1. Feststellungen e zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin, Sicherheitslage sowie 2. Beweiswürdigung c zur möglichen Rückkehr der Beschwerdeführerin in ihren Herkunftsstaat.
Wie ebenfalls bereits weiter oben 2. Beweiswürdigung c zur möglichen Rückkehr der Beschwerdeführerin in ihren Herkunftsstaat ausgeführt, ist die Beschwerdeführerin gesund und es gab im Zeitraum von 03.01.2020 bis zum 30.11.2022 in der Republik Armenien 445.737 bestätigte Fälle von COVID-19 Infektionen, in der in der Republik Österreich hingegen 5.554.975 bzw. in der Republik Armenien 8.710 Todesfälle und in der Republik Österreich 21.202. Die Beschwerdeführerin wurde bereits gegen COVID-19 geimpft und nach der derzeitigen Faktenlage ist eine Ansteckung der Beschwerdeführerin in der Republik Österreich mit COVID-19 zumindest genauso wahrscheinlich, wie im Herkunftsstaat; jedoch wäre ein diesbezüglich außergewöhnlicher Krankheitsverlauf bei der gesunden und nicht alten Beschwerdeführerin allenfalls nur spekulativ. Eine Epidemie im Herkunftsstaat eines Fremden ist zwar grundsätzlich unter dem Aspekt des Art. 3 EMRK zu prüfen, da es sich aber nicht um eine Epidemie der Republik Armenien, sondern um eine weltweite Pandemie handelt, ist das allgemeine Lebensrisiko am Erreger COVID-19 zu erkranken, sowohl in der Republik Armenien als auch in der Republik Österreich, ebenso wie in jedem anderen Land der Welt, gegeben.
Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um eine mittlerweile XXXX Frau die es sich leisten konnte in der Republik Armenien nie einer Arbeit nachzugehen und die mit mehr als XXXX jedenfalls den bei weitem überwiegenden Teil ihres Lebens in der Republik Armenien verbracht hat. Die Beschwerdeführerin hat nicht behauptet aus wirtschaftlichen Gründen ausgereist zu sein oder an Hunger oder unter Armut gelitten zu haben. Aus den aktuellen Länderberichten geht nicht hervor, dass sich die wirtschaftliche Lage in der Republik Armenien seit der Ausreise der Beschwerdeführerin verschlechtert hätte. Selbst wenn die wirtschaftliche Lage in der Republik Armenien schlechter ist als jene in Österreich, ist es der gesunden, arbeitsfähigen und -willigen Beschwerdeführerin zumutbar, durch eine notfalls auch weniger attraktive Arbeit den unbedingt notwendigen Lebensunterhalt zu bestreiten. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine oder wenig Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen etwa, weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, ausgeübt werden können. Die Beschwerdeführerin wird aufgrund der in Österreich angeeigneten und erlernten Tätigkeiten und Fähigkeiten nach ihrer Heimkehr in der Lage sein, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, zumal sie auch in Österreich bereit wäre als ungelernte Hilfsarbeiterin Reinigungstätigkeiten zu verrichten. Insgesamt ist davon auszugehen ist, dass sie auch nach ihrer Rückkehr ebenso wie vor der Ausreise wieder für ihren Unterhalt – falls nötig Kraft eigener Arbeit - sorgen können wird.
Die Beschwerdeführerin ist persönlich unglaubwürdig und hat sämtliche Ausreisegründe frei erfunden, weshalb sie auch nicht glaubhaft machen kann, nach ihrer Rückkehr nicht länger auf die Hilfe von Verwandten und Freunden zählen zu können. Drohende Obdachlosigkeit ist schon aufgrund des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin in ihre frühere Unterkunft in XXXX (Anmerkung: ihr Ehegatte ist bereits Jahre vor ihrer Ausreise verstorben) zurückkehre kann, nicht zu befürchten. Zudem kann die Beschwerdeführerin für die erste Zeit, nach mehr als XXXX Aufenthalt, auf die Unterstützung zahlreicher Freunde zählen. Sie verfügt nach jahrzehntelangem Aufenthalt in der Republik Armenien nach wie vor soziale Beziehungen und beherrscht die Landessprache. Weiters kann sich die Beschwerdeführerin für die erste Zeit auch noch von ihrem dort lebenden Schwiegersohn, zu dem sie laut Beschwerde eine intensive Beziehung hat, unterstützen lassen. Wie aus 1. Feststellungen e zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin hervorgeht, sind die Chancen auf dem armenischen Arbeitsmarkt gut und es gibt auch in der Republik Armenien Sozialleistungen, mögen diese auch nicht mit den österreichischen im Leistungsumfang vergleichbar sein. Die Tochter kann die Beschwerdeführerin auch von Österreich aus finanziell unterstützen.
In jedem Fall setzt eine durch die Lebensumstände im Zielstaat bedingte Verletzung des Art. 3 EMRK eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr voraus. Die bloße Möglichkeit eines dem Art. 3 EMRK widersprechenden Nachteils reicht hingegen nicht aus, um Abschiebungsschutz zu rechtfertigen (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174).
Es ist insgesamt nicht davon auszugehen, dass der gesunden, arbeitsfähigen Beschwerdeführerin in der Republik Armenien eine extrem schlechte wirtschaftliche Lage und „außergewöhnliche Umstände“ wie etwa Hungertod, unzureichende medizinische Versorgung, eine massive Beeinträchtigung der Gesundheit oder gar der Verlust des Lebens droht.
Für die Republik Armenien kann auch unter Berücksichtigung der Länderfeststellungen nicht festgestellt werden, dass in diesem Staat eine dermaßen schlechte wirtschaftliche Lage bzw. eine allgemeine politische Situation herrschen würde, die für sich genommen bereits die Zulässigkeit der Rückbringung in den Herkunftsstaat als unrechtmäßig erscheinen ließe.
Irgendein besonderes „real risk“, dass es durch die Rückführung der Beschwerdeführerin in ihren Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen würde, kann nicht erkannt werden; außergewöhnliche Umstände im Sinne der Judikatur des EGMR, die gegen eine Abschiebung in die Republik Armenien sprechen würden, sind nicht erkennbar, weshalb die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des Bescheides abzuweisen ist.
Zu Spruchpunkt IV. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl:
In Spruchpunkt IV. wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen.
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG, in der Fassung BGBl. Nr. 145/2017, ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 des § 10 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird.
Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (§ 9 Abs. 1 BFA-VG).
Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ist der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen: 1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,4. der Grad der Integration,5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 verfügen, unzulässig wäre. (§ 9 Abs. 3 BFA-VG, in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015).
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist.
Betreffend Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin ist Folgendes zu erwägen:
Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Das Familienleben umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundene Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt (EGMR 27.10.1994, Kroon u.a. gg. die Niederlande, ÖJZ 1995, 296; siehe auch VfGH 28.06.2003, G 78/00).
Die XXXX Tochter der XXXX Beschwerdeführerin reiste bereits Jahre vor der Beschwerdeführerin nach Österreich um ihre eigenen Familie zu gründen. Die Tochter lebt zwar mit ihren Kindern in Österreich, die Beschwerdeführerin lebte jedoch auch sieben Jahre nach ihrer Einreise mit ihnen nicht im gemeinsamen Haushalt, weshalb im Fall ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat kein gravierender Eingriff in ein Familienleben erkannt werden kann.
Geht man im vorliegenden Fall von einem bestehenden Privatleben der Beschwerdeführerin in Österreich aus, fällt die gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes zu Lasten der Beschwerdeführerin aus und die Ausweisung stellt keinen unzulässigen Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK dar.
Das Recht auf Achtung des Privatlebens sichert dem Einzelnen zudem einen Bereich, innerhalb dessen er seine Persönlichkeit frei entfalten und erfüllen kann. Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen eines Menschen zu verstehen (EGMR 15.01.2007, Sisojeva u.a. gegen Lettland, Appl. 60654/00). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.
Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst der verstrichene Zeitraum im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007, 852ff). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, als – abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/01/0479, davon aus, dass „der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte“. Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055).
Zur Gewichtung der öffentlichen Interessen ist insbesondere das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 17.03.2005, G 78/04, zu erwähnen. Demnach ist das Gewicht der öffentlichen Interessen im Verhältnis zu den privaten Interessen bei der Ausweisung von Fremden, die sich etwa jahrelang legal in Österreich aufgehalten haben und Asylwerbern, die an sich über keinen Aufenthaltstitel verfügen und denen bloß während des Verfahrens Abschiebeschutz zukommt, unterschiedlich zu beurteilen. Es ist auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216).
Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, sind Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0041 mit Hinweis auf E 30.08.2011, 2008/21/0605; E 14.04.2016, Ra 2016/21/0029 bis 0032; E 30.06.2016, Ra 2016/21/0165; VwGH 04.08.2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253-12).
Vorauszuschicken ist, dass bereits weiter oben 3. Rechtliche Beurteilung zu Spruchpunkt II. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ausgeführt wurde, dass die Beschwerdeführerin mehr als XXXX und damit den bei weitem überwiegenden Teil ihres Lebens in der Republik Armenien verbracht hat und nur die letzten sieben Jahre in Österreich, weshalb sie immer noch über sehr starke Bindungen zum Herkunftsstaat verfügt. Die Beschwerdeführerin war in Österreich nie erwerbstätig, lebt durchgehend von Leistungen der Grundversorgung und ist hier – im Gegensatz zum Herkunftsstaat – immer noch nicht selbsterhaltungsfähig. Auf Grund ihrer mangelnden Deutschkenntnisse ist eine wirtschaftliche Integration im Bundesgebiet nicht gegeben und mangels positiver Zukunftsprognose in absehbarer Zeit nicht zu erwarten.
Es liegen keine besonderen Abhängigkeitsverhältnisse zu Personen in Österreich vor und allfällige freundschaftliche Beziehungen sind zu einem Zeitpunkt entstanden, in dem sich die Beschwerdeführerin ihrer unsicheren aufenthaltsrechtlichen Stellung – nicht zuletzt auf Grund ihrer bewusst unwahren Angaben im Asylverfahren - bewusst sein musste. Insgesamt kann keine Integrationsverfestigung in Österreich glaubhaft gemacht werden und aus dem Privatleben sind keine objektiven Gründe ersichtlich, die einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würden.
Der Beschwerdeführerin ist es nicht verwehrt, bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen des FPG bzw. NAG in Zukunft legal in das Bundesgebiet einzureisen. Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung - die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht und die mit Einbringung von Asylanträgen verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen dürfen -, wiegen im Fall der Beschwerdeführerin jedenfalls schwerer als ihr Interesse am Verbleib in Österreich.
Nach Maßgabe der Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG, in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, überwiegt nach wie vor das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthaltes der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet ihre persönlichen Interessen am Verbleib und es liegt durch die angeordnete Rückkehrentscheidung keine Verletzung des Art. 8 EMRK vor, weshalb die Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des Bescheides abzuweisen ist.
Zu Spruchpunkt V. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl:
In Spruchpunkt V. wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig ist.
Gemäß § 52 Abs. 9 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, ist mit der Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
Gemäß § 50 Abs. 1 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre. Das entspricht dem Tatbestand des § 8 Abs. 1 AsylG. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wurde bereits verneint (siehe 3. Rechtliche Beurteilung zu Spruchpunkt II. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl).
Gemäß § 50 Abs. 2 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG). Das Vorbringen der Beschwerdeführerin zu den angeblichen Gründen, die zur Flucht aus der Republik Armenien geführt haben sollen, wurde bereits im rechtskräftigen Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheide als unglaubwürdig gewertet und die Beschwerdeführerin konnte auch nicht glaubhaft machen, dass sie in Zukunft asylrelevante Probleme bekommen wird (zur persönlichen Unglaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin siehe zudem auch noch 2. Beweiswürdigung c zur möglichen Rückkehr der Beschwerdeführerin in ihren Herkunftsstaat).
Die Abschiebung ist schließlich gemäß § 50 Abs. 3 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009, unzulässig, solange dieser die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht für Republik Armenien nicht.
Insgesamt ist daher auch die Beschwerde gegen Spruchpunkt V. des Bescheides abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985 (VwGG), in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Im konkreten Fall ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG, in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. In der Beweiswürdigung wird ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin persönlich unglaubwürdig, sie sich am XXXX von den Behörden ihres Herkunftsstaates einen Reisepass ausstellen ließ, weder eine Gefährdung im Fall ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat vorliegt, noch eine ausreichende Integration in Österreich. Dieses Erkenntnis beschäftigt sich vor allem mit der Erforschung und Feststellung von Tatsachen und es ergaben sich im Lauf des Verfahrens keine Hinweise auf das Vorliegen von ungeklärten Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung.
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