AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:L507.2247641.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Libanon, vertreten durch die BBU, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Für die am XXXX in Österreich geborene minderjährige Beschwerdeführerin wurde von deren Eltern ( XXXX ) am 16.06.2021 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 26.07.2021 brachten die Eltern der Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, dass die Beschwerdeführerin Staatsangehörige des Libanon, Angehörige der Volksgruppe der Araber und moslemisch sunnitischer Religion sei. Die Beschwerdeführerin habe keine eigenen Fluchtgründe. Die Fluchtgründe der Eltern würden auch für die Beschwerdeführerin gelten. Eine Rückkehr in den Libanon sei nicht gewollt, weil sich die Situation dort verschlechtert habe. Es gebe dort keine Nahrungsmittel und keine Medikamente.
2. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom XXXX , Zl. XXXX , wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Libanon abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in den Libanon gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen festgesetzt.
Festgestellt wurde vom BFA, dass für die Beschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht worden seien. Die Beschwerdeführerin sei im Libanon keiner Bedrohung bzw. Verfolgung ausgesetzt. Im Fall einer Rückkehr in den Libanon wäre die Beschwerdeführerin keiner persönlichen Verfolgung bzw. Bedrohung ausgesetzt. Sie könne gemeinsam mit ihren Eltern und ihren Geschwistern in den Libanon zurückkehren. Eine Rückkehr in den Libanon sei der Beschwerdeführer im gesamten Familienverband zumutbar und auch möglich. Die Beschwerdeführerin sei in Österreich geboren. Ihre Eltern und ihre beiden Geschwister würden sich gemeinsam mit der Beschwerdeführerin im österreichischen Bundesgebiet aufhalten. Die Beschwerdeführerin verfüge über keine weiteren schützenswerten Anbindungen im Bundesgebiet.
Beweiswürdigend wurde vom BFA ausgeführt, dass für die Beschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht worden seien. Für die belangte Behörde stehe fest, dass die Beschwerdeführerin keiner persönlichen Bedrohung bzw. Verfolgung im Libanon ausgesetzt sein würde. Im Hinblick auf das Vorbringen betreffend die sich im Libanon verschlechterte Lage bzw. dass keine Medikamente im Libanon verfügbar seien, werde auf das Länderinformationsblatt zur Lage im Libanon „Medizinische Lage“ verwiesen. Zudem sei vorgebracht worden, dass die Beschwerdeführerin weder krank sei noch Medikamente zu sich nehmen müsse.
Die Anträge auf internationalen Schutz der Eltern und der beiden Minderjährigen Geschwister der Beschwerdeführerin seien rechtskräftig vom Bundesverwaltungsgericht abgewiesen worden. Die Behandlung einer Beschwerde sei vom VfGH abgelehnt und die außerordentliche Revision an den VwGH sei von diesem zurückgewiesen worden.
Eine Rückkehr der Beschwerdeführerin in den Libanon sei im gesamten Familienverband zumutbar und möglich.
In der rechtlichen Beurteilung wurde ausgeführt, dass für die Beschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht worden seien. Da auch keinem anderen Familienmitglied der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden sei, komme auch für die Beschwerdeführerin die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten im Rahmen eines Familienverfahrens nicht in Betracht.
Für die Beschwerdeführerin seien auch keine Gründe betreffend die Zuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten vorgebracht worden. Da auch den Eltern und den Geschwistern der minderjährigen Beschwerdeführerin der Status von subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt worden sei, komme auch die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten an die Beschwerdeführerin im Rahmen des Familienverfahrens nicht in Betracht.
Die in § 57 AsylG aufgezählten Gründe würden auf die Beschwerdeführerin nicht zutreffen, weshalb ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht zu erteilen gewesen sei.
Die Beschwerdeführerin sei in Österreich geboren worden. Ihr Privat- und Familienleben in Österreich sei beschränkt. Gegenüber ihrer gesamten Familie sei bereits eine Rückkehrentscheidung erlassen worden. Eine Rückkehr im gesamten Familienverband sei der Beschwerdeführerin möglich und zumutbar. Vor diesem Hintergrund sei die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG zulässig, und da der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht zu erteilen war, werde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 AsylG und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen.
Besondere Umstände, die die Beschwerdeführerin bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, und die die Gründe, die zu Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt hätten, überwiegen würden, seien im Verfahren nicht hervorgekommen, weshalb die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festgesetzt worden sei.
3. Gegen diesen der gesetzlichen Vertretung der minderjährigen Beschwerdeführerin am 24.09.2021 zugestellten Bescheid wurde mit Schreiben der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU), der nunmehrigen Vertretung der Beschwerdeführerin, vom 19.10.2021 Beschwerde erhoben.
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die in Österreich geborene Beschwerdeführerin noch nie im Libanon gewesen sei. Ihre Eltern hätten den Libanon aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung durch Private und mangels Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit ihres Heimatstaates sowie mangels innerstaatlicher Fluchtalternative verlassen. Darüber hinaus sei die Situation für Kinder und Minderjährige im Libanon katastrophal. Kinder seien im Libanon Opfer von Kinderarbeit und kriegerischen Auseinandersetzungen und in überproportionaler Weise von der schwierigen humanitären Lage betroffen. Die Sicherheitslage sowie die enormen strukturellen und qualitativen Probleme im staatlichen Bildungssystem würden mancherorts den Schulbesuch bzw. eine qualitative Bildung verhindern.
Die belangte Behörde habe es unterlassen, die Mutter der Beschwerdeführerin konkret zur aktuellen Situation im Libanon und zur Lage von Kinder näher zu befragen.
Zudem verfüge die Beschwerdeführerin über eine österreichische Geburtsurkunde, wobei dies die Aufmerksamkeit von Milizen und der Regierung besonders auf sie lenken würde, was die belangte Behörde ebenfalls nicht berücksichtigt habe.
Ebenso sei der Grundsatz des Kindeswohls nicht berücksichtigt worden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:
Die Beschwerdeführerin wurde am 03.06.2021 in Österreich geboren. Sie ist Staatsangehörige des Libanon und die minderjährige Tochter des XXXX , sowie die Schwester der XXXX , und des XXXX .
Die Anträge auf internationalen Schutz der Eltern und der Geschwister der Beschwerdeführerin wurden mit Bescheiden des BFA vom 08.03.2017 bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Libanon abgewiesen. Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurden nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die Eltern und Geschwister der Beschwerdeführerin Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass deren Abschiebung in den Libanon gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen festgesetzt.
Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wurden mit hg. Erkenntnis vom 19.11.2020, XXXX , gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3 und 57 AsylG iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.
Mit Entscheidung des VfGH vom 18.01.2021, XXXX , wurde die Behandlung der gegen das hg. Erkenntnis vom 19.11.2020 erhobenen Beschwerde abgelehnt.
Die gegen das hg. Erkenntnis vom 19.11.2020 erhobene Revision wurde mit Erkenntnis des VwGH vom 05.05.2021, XXXX , zurückgewiesen.
Die Eltern und die Geschwister der minderjährigen Beschwerdeführerin verfügen über keine Aufenthaltstitel für Österreich.
Die Beschwerdeführerin gehört der arabischen Volksgruppe sowie der moslemisch sunnitischen Glaubensgemeinschaft an.
Die die Eltern der Beschwerdeführerin stammen aus dem Dorf XXXX in der Nähe von XXXX , wo sie aufgewachsen sind und bis zur Ausreise gewohnt haben.
Der Vater der Beschwerdeführerin besuchte im Libanon sieben Jahre lang die Grundschule, absolvierte anschließend keine Ausbildung und verrichtete diverse Hilfstätigkeiten (zB Fleischhauer, Verkäufer, Sanitärinstallationen). Von 2003 bis 2004 war er beim Militär und von 2004 bis 2010 als Sicherheitskraft bei der Firma XXXX tätig. Von 01.04.2010 bis 09.10.2015 war er Wachmann bei der XXXX und in dieser Zeit beim nationalen Fonds für soziale Sicherheit versichert.
Die Mutter der Beschwerdeführerin hat im Libanon neun Jahre lang die Grundschule besucht und hat anschließend in einer Bäckerei als Verkäuferin gearbeitet. Nach der Eheschließung mit dem Vater der Beschwerdeführerin war sie Hausfrau.
Im Libanon sind nach wie vor die Eltern und eine Schwester des Vaters der Beschwerdeführerin sowie die Mutter, vier Schwestern und ein Bruder der Mutter der Beschwerdeführerin aufhältig.
1.2. Zur Lage im Libanon wird – wie bereits vom BFA im angefochtenen Bescheid – festgestellt:
Politische Lage
Libanon ist eine parlamentarische Demokratie nach konfessionellem Proporzsystem. Das politische System basiert auf der Verfassung von 1926, dem ungeschriebenen Nationalpakt von 1943 und dem im Gefolge der Taif-Verhandlungen am 30. September 1989 verabschiedeten „Dokument der Nationalen Versöhnung“ (AA 24.1.2020).
In diesem sogenannten Taif-Abkommen wurde festgelegt, dass die drei wichtigsten Ämter im Land auf die drei größten Konfessionen verteilt werden:
• Das Staatsoberhaupt muss maronitischer Christ sein
• Der Parlamentspräsident muss schiitischer Muslim sein
• Der Regierungschef muss sunnitischer Muslim sein (GIZ 3.2020)
Dieser Proporz bestimmt die gesamte Verwaltung und macht auch vor der Legislative nicht halt. Das Parlament mit seinen 128 Mitgliedern setzt sich nach dem Grundsatz der konfessionellen Parität wie folgt zusammen: 34 Maroniten, 27 Schiiten, 27 Sunniten, 14 griechisch-orthodoxe Christen, 8 Drusen, 8 melikitische/griechisch-katholische Christen, 5 orthodoxe Armenier, 2 Alewiten, 1 armenischer Katholik, 1 Protestant und 1 Vertreter einer Minderheit (GIZ 3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Die konfessionelle Fragmentierung des Landes bewirkt eine äußere Abhängigkeit von den jeweiligen Schutzmächten der konfessionellen Gruppen. Dies reduziert die Souveränität des Staates (GIZ 3.2020). Bei der im Abkommen von Taif vorgesehenen allmählichen Entkonfessionalisierung des politischen Systems gibt es bisher allerdings keine Fortschritte (AA 24.1.2020).
Die Hizbollah, die „Partei Gottes“, ist - wie auch jetzt – seit Jahrzehnten immer wieder Teil der libanesischen Regierung. Sie tritt dabei jedoch nicht nur als politische Partei, sondern häufig auch als soziale Organisation auf, die mit ihrem Angebot an sozialen und medizinischen Hilfsleistungen ärmeren Menschen in Not hilft. Der bewaffnete Arm der Hizbollah kämpft in Syrien an der Seite der Truppen des Regimes von Präsident Baschar al-Assad. Gleichzeitig stellt die Organisation das Existenzrecht Israels offen in Frage. Immer wieder kommt es zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen der Hizbollah und Israel (DF 30.4.2020). Die Hisbollah macht gleichzeitig Geschäfte gegen und mit dem Gesetz, schmuggelt Drogen und kontrolliert die Zollstationen am Hafen von Beirut. Dabei hilft ihr ein weltweites Netzwerk von Unterstützern in der Diaspora (Zeit 6.5.2020).
Die Hizbollah wird von den Vereinigten Staaten als terroristische Gruppe eingestuft. In der EU stand bislang nur der militärische Arm der Hizbollah auf der Terrorliste, bis Deutschland den Kurs nun verschärft und auch den politischen Arm der Hizbollah als terroristische Vereinigung bewertet und ein Betätigungsverbot der Organisation in Deutschland verfügt hat (Spiegel 30.4.2020; vgl. Spiegel 5.5.2020; DailyStar 6.11.2019).
Das Parlament des Libanon ist konfessionsübergreifend in zwei politische Blöcke gespalten, die einander unversöhnlich gegenüberstehen:
• die von der schiitisch geprägten und vom Iran beeinflussten Hizbollah angeführte 8. März-Koalition und
• die eher westlich orientierte, sunnitisch geprägte und von Saad Hariri (Future Movement; arab.: (al-)Mustaqbal) angeführte 14. März-Bewegung (GIZ 3.2020).
Die traditionelle Feindschaft zwischen diesen beiden Blöcken wurde durch den Konflikt im benachbarten Syrien zusätzlich vertieft. Die Polarisierung zwischen den beiden Lagern lähmt das Land politisch und ökonomisch, verstärkt konfessionelle Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten (GIZ 3.2020). Aufgrund schwer erzielbarer Mehrheiten war es auch jahrelang nicht möglich, ein Wahlgesetz zu verabschieden. Dies führte dazu, dass die Parlamentswahl 2013 ausgesetzt und das Mandat der Abgeordneten mehrfach verlängert wurde (GIZ 3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).
Am 31. Oktober 2016 wurde schließlich nach zweieinhalb Jahren und 45 gescheiterten Versuchen ein neuer Präsident gewählt. Mit der Wahl des maronitischen Christen Michel Aoun kam Bewegung in die libanesische Politik. Da Aoun als Kandidat der schiitischen Hizbollah für das Amt des Präsidenten galt, wurde er zunächst von Premierminister Saad Hariri abgelehnt. Dessen Zustimmung erfolgte erst, als Aoun Hariri im Gegenzug beauftragte, eine neue Regierung der nationalen Einheit zu bilden. Diese wurde schließlich am 19. Dezember 2016 vereidigt (GIZ 3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).
Im Juni 2017 konnte man sich schließlich auf ein neues Wahlrecht einigen. Dieses sieht unter anderem eine Ablöse des Mehrheitswahlrechts durch das Verhältniswahlrecht vor. Hierdurch sollten kleinere Parteien und Wählergruppen gestärkt werden. Das Wahlgesetz enthält jedoch zahlreiche Einschränkungen der Verhältniswahl wie beispielsweise eine sehr hohe Einzugshürde bei zehn Prozent. Positiv ist jedoch, dass die Parteien nun faktisch gezwungen werden, konfessionsübergreifende Listen zu bilden (GIZ 3.2020).
Am 6. Mai 2018 fanden nach jahrelanger Pattstellung erstmals seit 2009 erneut Parlamentswahlen statt. 77 Listen mit insgesamt 597 Kandidaten waren für die Wahl um 128 Parlamentssitze in 26 Distrikten registriert. Die Anzahl der weiblichen Kandidaten nahm gegenüber der letzten Wahl auf 86 zu und betrug somit nun 14,4 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag insgesamt bei 49,2 Prozent. Die offiziellen Ergebnisse weisen die Sitze wie folgt zu: Future Movement [Anm.: arab. - (al-)Mustaqbal] 21; Free Patriotic Movement 20; Amal 17; Lebanese Forces 15; Hizbollah 12; Progressive Socialist Party 8; die "Determination (Azem)" Bewegung des ehemaligen Premierministers Mikati 4; Marada, die Syrian Social Nationalist Party, Kataeb und Tashnaq jeweils 3 Sitze. Zum ersten Mal gewann ein Kandidat der Zivilgesellschaft einen Sitz durch die Wahlliste "Koulouna Watani" in Beirut. Die Zahl der gewählten Frauen im Parlament stieg von vier auf sechs (UNSC 13.7.2018).
Die Hizbollah und ihre politischen Verbündeten - darunter auch das „Free Patriotic Movement“ (FPM), eine christliche Partei unter der Führung von Präsident Michel Aoun, die knapp zwanzig Sitze erringen konnte (AA 24.1.2020), besetzen nach dieser Wahl knapp die Hälfte der 128 Sitze im Parlament, während der vom Westen unterstützte sunnitische Saad al-Hariri (Premierminister bis Ende 2019, Anm.) mit 21 Parlamentsmitgliedern immer noch Führer des größten politischen Blocks ist (RFE 7.5.2018; vgl. ICG 9.6.2018). Der bisherige Premier Hariri wurde trotz Wahlverlusten neuerlich damit beauftragt, eine Regierung zu bilden (GIZ 3.2020).
Aufgrund der zunehmend prekären wirtschaftlichen Situation kam es schon Mitte Oktober 2019 zu massiven Protesten gegen Korruption und Misswirtschaft (Standard 12.2.2020; vgl. FAZ 24.1.2020). Ende Oktober gab Regierungschef Saad Hariri schließlich angesichts der Massenproteste auf und trat zurück (FAZ 24.1.2020).
Ende Januar 2020 wurde schließlich eine neue Regierung gebildet. Der neue Premierminister Hassan Diab wollte sich mit seiner technokratischen Regierung für umfassende Wirtschaftsreformen einsetzen. Diab selbst kam dank der Unterstützung der Hizbollah, der Amal-Bewegung und der Freien Patriotischen Bewegung von Präsident Michel Aoun an die Macht, die nun mit einigen kleineren Parteien gemeinsam über eine parlamentarische Mehrheit verfügten. Pro-westliche politische Rivalen wie etwa Hariris Future Movement, die größte sunnitische Partei des Landes, unterstützten die Regierung nicht (ECFR 4.2.2020).
Am 4. August 2020 ereignete sich im Hafen von Beirut eine verheerende Explosion mit mindestens 180 Toten und rund 6.000 Verletzten. 300.000 Menschen wurden obdachlos und große Teile der Stadt wurden stark beschädigt. Tausende zogen in der Folge zu Protesten auf die Straßen und forderten eine umfassendere Aufklärung der Hintergründe der Explosion. Die Regierung von Ministerpräsident Hassan Diab trat zurück (Standard 17.8.2020), nachdem dieser die endemische Korruption für die verheerende Explosion verantwortlich gemacht hatte (AJ 10.8.2020). Am 31. August 2020 wurde Mustapha Adib, bislang libanesischer Botschafter in Deutschland, von Staatspräsident Michel Aoun mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt (Spiegel 31.8.2020; vgl. Standard 31.8.2020).
Adib ist Sunnit, das ist gemäß Verfassung des Landes die Bedingung für den Premierposten. Sowohl die sunnitische Zukunftspartei von Ex-Premier Saad Hariri als auch die schiitische Hisbollah mit ihren Verbündeten sowie die maronitische Patriotenbewegung von Präsident Michel Aoun haben sich bereits öffentlich hinter Adib gestellt (Standard 31.8.2020, vgl. CNN 31.8.2020), was die Protestbewegung prompt als Fortsetzung des gescheiterten Proporzsystems ablehnte (Zeit 31.8.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (24.1.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: November 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025311/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_November_2019%29%2C_24.01.2020.pdf , Zugriff 23.6.2020
- AJ - Al Jazeera (10.8.2020): Lebanon president accepts gov't resignation after Beirut blast, https://www.aljazeera.com/news/2020/08/lebanon-pm-hassan-diab-resigns-anger-beirut-blast-200810135202076.html , Zugriff 24.8.2020
- CNN (31.8.2020): Lebanese diplomat Mustapha Adib named Prime Minister-designate ahead of Macron visit, https://edition.cnn.com/2020/08/31/middleeast/lebanon-new-prime-minister-intl/index.html , Zugriff 31.8.2020
- DailyStar (6.11.2019): Why is Lebanon in an economic and political mess?, https://www.dailystar.com.lb/News/Lebanon-News/2019/Nov-06/495099-explainer-why-is-lebanon-in-an-economic-and-political-mess.ashx , Zugriff 12.5.2020
- DF – Deutschlandfunk (30.4.2020): Andere Länder der EU werden dieser Linie folgen, https://www.deutschlandfunk.de/hisbollah-verbot-in-deutschland-andere-laender-der-eu.694.de.html?dram:article_id=475794 , Zugriff 30.6.2020
- ECFR – European Council on Foreign Relations (4.2.2020): Counterfeit change. Lebanon‘s new government, https://www.ecfr.eu/article/commentary_counterfeit_change_lebanons_new_government , Zugriff 15.5.2020
- FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (24.1.2020): Ein Land vor dem Kollaps, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/proteste-in-libanon-ein-land-vor-dem-kollaps-16595022.html , Zugriff 15.5.2020
- GIZ– Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020): Libanon – Geschichte und Staat: https://www.liportal.de/libanon/geschichte-staat/ , Zugriff 16.6.2020
- ICG – International Crisis Group (9.6.2018): In Lebanon’s Elections, More of the Same is Mostly Good News,
https://www.ecoi.net/de/dokument/1432128.html , Zugriff 30.6.2020
- RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (7.5.2018): Iran-Backed Hizballah And Allies Make Big Gains In Lebanese Election, https://www.ecoi.net/de/dokument/1431871.html , Zugriff 30.6.2020
- Spiegel (30.4.2020): Seehofer geht gegen Hisbollah vor, https://www.spiegel.de/politik/ausland/bundesinnenminister-horst-seehofer-csu-geht-mit-betaetigungsverbot-gegen-die-hisbollah-vor-a-9a2e5cb7-03af-4bc6-87f0-e363b938364f , Zugriff 15.5.2020
- Spiegel (5.5.2020): Libanon bestellt deutschen Botschafter ein, https://www.spiegel.de/politik/ausland/hisbollah-verbot-libanon-bestellt-deutschen-botschafter-ein-a-67bed83b-6c6d-41b5-9d9c-cf079d1f2cf4 , Zugriff 15.5.2020
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- Standard (12.2.2020): Unmut nach erfolgreichem Vertrauensvotum für neue libanesische Regierung, https://www.derstandard.at/story/2000114474346/neue-libanesische-regierung-gewann-vertrauensabstimmung-im-parlament , Zugriff 15.5.2020
- Standard (17.8.2020): Nach der Explosion in Beirut: Haftbefehl gegen Zollchef des Hafens, https://www.derstandard.at/story/2000119415098/nach-der-explosion-in-beirut-haftbefehl-gegen-zollchef-des-hafens , Zugriff 24.8.2020
- Standard (31.8.2020): Berlin-Botschafter Adib soll als neuer Premier den Libanon aus der Krise führen, https://www.derstandard.at/story/2000119691285/berlin-botschafter-adib-soll-als-neuer-premier-den-libanon-aus , Zugriff 1.9.2020
- UNSC - United Nations Security Council (13.7.2018): Implementation of Security Council resolution 1701 (2006); Report of the Secretary-General; Reporting period from 1 March 2018 to 20 June 2018 [S/2018/703], https://www.ecoi.net/en/file/local/1439147/1226_1532506886_n1822402.pdf Zugriff 20.6.2020
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Sicherheitslage
Anm.: Der besseren Übersichtlichkeit wegen wird die Situation in den palästinensischen Flüchtlingslagern im Abschnitt über palästinensische Flüchtlinge dargestellt.
Die libanesische Regierung hat weder die vollständige Kontrolle über alle Regionen des Landes noch über die Grenzen zu Syrien und Israel. Nach wie vor kontrolliert die Hizbollah den Zugang zu bestimmten Gebieten und hat überdies Einfluss auf einige Elemente innerhalb der libanesischen Sicherheitsdienste. Die Al-Nusrah-Front, der sogenannte Islamische Staat (IS) und andere sunnitische Terrorgruppen operierten auch 2019 weiterhin in unkontrollierten Gebieten entlang der unmarkierten libanesisch-syrischen Grenze. Andere terroristische Gruppen wie die Hamas, die Volksfront für die Befreiung Palästinas, das Generalkommando der Volksfront für die Befreiung Palästinas, Asbat al-Ansar, Fatah al-Islam, Fatah al-Intifada, Jund al-Sham, der Palästinensische Islamische Dschihad und die Abdullah-Azzam-Brigaden operierten weiterhin in Gebieten mit begrenzter Regierungskontrolle, vor allem in den 12 palästinensischen Flüchtlingslagern. Diese Lager werden als sichere Zufluchtsorte genutzt und sie dienen als Waffenverstecke (USDOS 24.6.2020a). Der staatlichen Kontrolle weitgehend entzogen, wird deren Sicherheit teilweise durch palästinensische bewaffnete Ordnungskräfte und Volkskomitees gewährleistet, die von der jeweils politisch bestimmenden Fraktion gestellt werden. Das deutsche Außenamt berichtet von teils schweren Auseinandersetzungen, zuletzt zwischen verschiedenen Palästinenserfraktionen in den Lagern Ain El-Hilweh und Mieh-Mieh. Das Lager Nahr el-Bared stellt insofern eine Ausnahme dar, da es unter libanesischer Kontrolle steht. Allerdings beschränkt sich die libanesische Armee auf Zugangskontrollen und die Sicherung der Umgebung (AA 24.1.2020).
Der Libanon und Israel befinden sich offiziell noch im Krieg. An der gemeinsamen Grenze im Südlibanon kommt es immer wieder zu Spannungen zwischen der israelischen Armee und der Hisbollah (ORF 26.8.2020).
Es besteht ein hohes Risiko von nicht explodierten Bomben und Minen (MAG o.D.). Im September 2019 kam es dort nach der Aufdeckung von Tunnelanlagen durch israelisches Militär kurzfristig zu erhöhten Spannungen und gegenseitigem Artilleriebeschuss zwischen der Hizbollah und der israelischen Armee. Die Hizbollah beschoss israelische Militärstellungen und -fahrzeuge nahe der Ortschaft Avivim mit mehreren Panzerabwehrlenkraketen. Israel reagierte seinerseits mit Artilleriebeschuss auf Ziele im südlichen Libanon. Nach wenigen Stunden wurden die Gefechte beidseitig wieder eingestellt (AA 24.1.2020).
Die Bekaa-Ebene ist bekannt für Waffen- und Drogenhandel (Al Ahram 13.2.2020).
Die Sicherheitslage in der Bekaa-Ebene hat sich durch den bewaffneten Konflikt in Syrien zunehmend verschlechtert. Es sind bewaffnete Gruppierungen aktiv, und Grenzüberschreitungen durch Kämpfer sind häufig. Es kommt regelmäßig zu Zusammenstößen zwischen der Armee und militanten Gruppen, vor allem in und um Ersal, Ras Baalbek und Qaa. Spannungen zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen, aber auch innerhalb einzelner Gemeinschaften, können sich in bewaffneten Konfrontationen oder Anschlägen entladen (EDA 12.8.2020). In der Provinz Baalbek-Hermel gab es neben solchen Entführungen auch Plünderungen und Mordanschläge (Asharq al-Awsat 22.9.2019). Hermel gilt als Hochburg der Hizbollah (Al Ahram 13.2.2020).
Die Spannungen im Nordlibanon (insbesondere um die Stadt Tripoli und in der Region Akkar) haben sich durch den Konflikt in Syrien und die Ankunft zahlreicher Flüchtlinge weiter verschärft. Es kommt immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen verschiedenen politisch-religiösen Gruppierungen. Die Gefahr von Anschlägen und einer Eskalation der Lage ist groß (EDA 12.8.2020).
Die libanesische Armee (Lebanese Armed Forces - LAF) trägt die Hauptverantwortung für die Sicherung der Land- und Seegrenzen des Libanon, während das „Directorate of General Security“ (DGS) und der Zoll für die offiziellen Einreisepunkte zuständig sind. Die Effizienz der Kontrollen der Landgrenze des Libanon mit Syrien konnte in letzter Zeit durch ein von den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich und Kanada finanziertes Landgrenzsicherungsprojekt gesteigert werden, was die Festnahme von aus Syrien einreisenden IS-Mitgliedern ermöglichte (USDOS 24.6.2020b).
Infolge der Krise in Syrien haben die destabilisierenden regionalen, politischen und konfessionellen Spannungen deutlich zugenommen. So ist die Hizbollah erklärtes Ziel sunnitischer Extremisten, die sich mit Selbstmordanschlägen gegen schiitische Wohn- und Einflussgebiete für den Kampf der Schiiten-Miliz an der Seite von Baschar al-Assad in Syrien rächen wollen. Die größte christliche Partei des Landes (Free Patriotic Movement) ist demgegenüber politisch mit der Hizbollah verbündet und betrachtet diese als Stabilisierungsfaktor für Libanon und seine religiösen Minderheiten. Die politische und militärische Rolle von Hizbollah, die zumindest in ihren Hochburgen auch soziale, politische und sicherheitsbehördliche Aufgaben wahrnimmt, bleibt damit struktureller Streitpunkt für den Libanon (AA 24.1.2020).
Bei der von der UN geforderten Abrüstung aller bewaffneten Gruppen einschließlich der palästinensischen Milizen und dem militärischen Flügel der Hizbollah konnten bislang keine Fortschritte erzielt werden. Die Hizbollah bestätigte immer wieder, über entsprechende militärische Kapazitäten zu verfügen. Die libanesische Regierung ist somit weiterhin nicht in der Lage, die volle Souveränität und Autorität über ihr Territorium auszuüben (UNSC 13.7.2018).
Die allgemeine Sicherheitslage ist insbesondere durch die seit Oktober 2019 immer wieder stattfindenden Massenproteste und Verkehrsblockaden unübersichtlicher geworden (AA 24.1.2020). Der Zorn der Demonstranten konzentriert sich auf die wahrgenommene Korruption libanesischer Politiker, die das Land seit dem Bürgerkrieg von 1975-1990 beherrscht haben (DailyStar 6.11.2019). Im Zuge der Demonstrationen kommt es insbesondere in Beirut immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und Straßenschlachten mit der Polizei, die zum Teil zahlreiche Verletzte fordern (Spiegel 20.1.2020; vgl. Zeit-Online 7.8.2020). Auch in der Hafenstadt Tripoli kam es zu schweren Auseinandersetzungen (Tagesspiegel 29.4.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (24.1.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: November 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025311/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_November_2019%29%2C_24.01.2020.pdf , Zugriff 23.6.2020
- Al Ahram (13.2.2020): Lebanon‘s security and economy at stake, http://english.ahram.org.eg/NewsContent/50/1203/363350/AlAhram-Weekly/World/Lebanon ’s-security-and-economy-at-stake.aspx, Zugriff 3.9.2020
- Asharq al-Awsat (22.9.2019): Beqaa Witnesses Wave of Kidnappings Amid Failure to Control Security, https://english.aawsat.com//home/article/1913576/lebanon-beqaa-witnesses-wave-kidnappings-amid-failure-control-security , Zugriff 31.8.2020
- DailyStar (6.11.2019): Why is Lebanon in an economic and political mess?, https://www.dailystar.com.lb/News/Lebanon-News/2019/Nov-06/495099-explainer-why-is-lebanon-in-an-economic-and-political-mess.ashx , Zugriff 12.5.2020
- EDA – Eidgenössisches Department für auswärtige Angelegenheiten (12.8.2020): Reisehinweise für den Libanon, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/libanon/reisehinweise-libanon.html , Zugriff 7.7.2020
- MAG – Mines Advisory Group (o.D.): Lebanon, https://www.maginternational.org/what-we-do/where-we-work/lebanon/ , Zugriff 31.8.2020
- ORF (26.8.2020): Israel greift nach Schüssen auf Soldaten Ziele im Libanon an, https://orf.at/stories/3178860/ , Zugriff 1.9.2020
- Spiegel (20.1.2020): Randale am Abgrund, https://www.spiegel.de/politik/ausland/schwere-proteste-im-libanon-randale-am-abgrund-a-eab1a8dd-2f7c-45b6-84b0-03febe804779 , Zugriff 30.8.2020
- Tagesspiegel (29.4.2020): Der Hunger ist größer als die Angst, https://www.tagesspiegel.de/politik/proteste-im-libanon-der-hunger-ist-groesser-als-die-angst/25784480.html , Zugriff 31.8.2020
- UN – United Nations Security Council (13.7.2018): Bericht des UNO-Generalsekretärs zu Entwicklungen vom 1. März bis 20. Juni 2018 (Sicherheitslage; Entwaffnung bewaffneter Gruppen; politische Stabilität; weitere Themen) https://www.ecoi.net/en/file/local/1439147/1226_1532506886_n1822402.pdf , Zugriff 21.8.2018
- USDOS – United States Department of State (24.6.2020a): Country Report on Terrorism 2019 - Chapter 4 – Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032504.html , Zugriff 6.7.2020
- USDOS – United States Department of State (24.6.2020b): Country Report on Terrorism 2019 - Chapter 1 – Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032521.html , Zugriff 6.7.2020
- Zeit (7.8.2020): Beirut. Konfrontationen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten, https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-08/proteste-beirut-explosion-korruption , Zugriff 31.8.2020
Rechtsschutz / Justizwesen
Die Verfassungsinstitutionen, insbesondere Parlament, Regierung und Justizwesen, funktionieren im Prinzip nach rechtsstaatlichen Grundsätzen, sind aber in ihrer tatsächlichen Arbeit politischen Einflussnahmen ausgesetzt. Die Gewaltenteilung ist in der Verfassung zwar festgeschrieben, wird in der Praxis aber nur eingeschränkt respektiert; insbesondere in politisch brisanten Ermittlungsverfahren kommt es zu Versuchen der Einflussnahme auf die Justiz, z.B. bei der Ernennung von Staatsanwälten und Ermittlungsrichtern oder zum Schutz politischer Parteigänger vor Strafverfolgung. Neben den in mehrere Instanzen gegliederten und strukturell dem französischen Justizwesen angeglichenen Zivilgerichten existieren im Libanon konfessionelle Gerichtsbarkeiten, in deren Zuständigkeit die familienrechtlichen, bei den islamischen Religionsgemeinschaften auch die erbrechtlichen Verfahren fallen (AA 24.1.2020). Personen, die an zivil- und strafrechtlichen Routineverfahren beteiligt waren, baten manchmal um die Unterstützung prominenter Personen, um den Ausgang ihrer Verfahren zu beeinflussen (USDOS 11.3.2020). Die Einhaltung der in der Verfassung garantierten richterlichen Unabhängigkeit ist in der praktischen Durchführung durch verbreitete Korruption, chronischen Mangel an qualifizierten Richtern und zum Teil auch politische Einflussnahme eingeschränkt (AA 24.1.2020). Politische Führer versuchten zeitweise, die richterliche Behandlung politisch aufgeladener Fälle zu beeinflussen, und gegensätzliche politische und konfessionelle Fraktionen werfen sich jeweils unzulässige Einflussnahme vor. Beginnend mit Februar 2019 laufen auch Ermittlungen wegen des Vorwurfs der Korruption, Bestechung und Manipulation von Gerichtsakten innerhalb der Sicherheits- und Justizorgane (USDOS 11.3.2020).
Eine Strafverfolgungs- und Strafbemessungspraxis, die nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität diskriminiert, ist im Libanon nicht gegeben. Allgemeine kriminelle Delikte werden im Rahmen feststehender straf- bzw. strafprozessrechtlicher Vorschriften nach insgesamt weitgehend rechtsstaatlichen Prinzipien verfolgt und geahndet (AA 24.1.2020).
Fragen des Personenstands werden nach wie vor in 15 separaten Personenstandsgesetzen geregelt, von denen keines die Grundrechte garantiert und in denen Frauen durchwegs diskriminiert werden (HRW 3.8.2020), und zwar in in Bezug auf die Ehe, das Sorgerecht für die Kinder, das Erbrecht und die Scheidung (USDOS 10.6.2020).
Anm.: Nähere Ausführungen hierzu sind dem Abschnitt „17. Frauen" zu entnehmen.
Das Rechtssystem unterscheidet im Strafrechtsbereich zwischen ordentlichen und Militärgerichten. Delikte gegen die Staatssicherheit, gegen das Militär oder deren Angehörige unterliegen dem Militärrecht (AA 24.1.2020). Diese sind zuständig für Fälle, an denen Militär-, Polizei- und Regierungsbeamte beteiligt sind, sowie für Fälle, in denen Zivilpersonen oder Militärs der Spionage, des Hochverrats, des Waffenbesitzes, der Wehrpflichtverletzung und der Begehung von Delikten gegen die Staatssicherheit, das Militär oder deren Angehörige bezichtigt werden. Es kann auch Zivilpersonen wegen Sicherheitsvorwürfen oder wegen Verstößen gegen den Militärkodex vor Gericht stellen (USDOS 11.3.2020). Die Zuständigkeiten der Militärgerichtsbarkeit werden vor allem beim Vorwurf des Terrorismus bzw. bei terroristischen Delikten mit islamistischem Hintergrund oftmals sehr extensiv ausgelegt. Militärgerichte verurteilen auch zivile Angeklagte wegen terroristischer Delikte mit islamistischem Hintergrund oft in Schnellverfahren und ohne ausreichenden Rechtsbeistand (AA 24.1.2020). Zivilgerichte können zwar auch über Militärangehörige verhandeln, aber das Militärgericht verhandelt diese Fälle häufig, auch bei nicht mit dem offiziellen Militärdienst in Zusammenhang stehenden Anklagen, oftmals in Schnellverfahren und ohne ausreichenden Rechtsbeistand. Menschenrechtsaktivisten äußerten die Befürchtung, dass solche Verfahren das Potenzial für Straflosigkeit schaffen (USDOS 11.3.2020).
Seit Jahren wird - wenn bislang auch ohne greifbare Fortschritte - erwogen, alle Militärverfahren ordentlichen Gerichten zu übertragen (AA 24.1.2020).
Regierungsführung und Justiz in den palästinensischen Lagern waren sehr unterschiedlich, wobei die meisten Lager unter der Kontrolle von gemeinsamen palästinensischen Sicherheitskräften standen, die mehrere Fraktionen vertraten (USDOS 11.3.2020).
Palästinensische Gruppen betreiben in den Flüchtlingslagern ein autonomes Justizsystem, das für Außenstehende meist undurchsichtig ist und sich der Kontrolle des Staates entzieht. Beispielsweise versuchten lokale Volkskomitees in den Lagern, Streitigkeiten durch informelle Vermittlungsmethoden zu lösen, überwiesen die betreffenden Personen im Falle schwerwiegender Vergehen (wie z.B. Mord und Terrorismus) aber gelegentlich zur Verhandlung an die staatlichen Behörden (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (24.1.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: November 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025311/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_November_2019%29%2C_24.01.2020.pdf , Zugriff 23.6.2020
- HRW – Human Rights Watch: Lebanon (3.8.2020): UPR Submission 2020, 3. August 2020,
https://www.hrw.org/news/2020/08/03/lebanon-upr-submission-2020 , Zugriff 14.8.2020
- USDOS – United States Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026426.html , Zugriff 12.5.2020
- USDOS – United States Department of State (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2031339.html , Zugriff 14.8.2020
Sicherheitsbehörden
Die führenden Positionen in den Sicherheitsbehörden werden u.a. nach konfessionellem Proporz vergeben. Die dem Innenministerium unterstehenden Forces de Sécurité Intérieure (FSI) [auch „Internal Security Force“ – ISF, Anm.] sind die allgemein zuständige Polizei und gleichzeitig auch Hilfsorgan der Justiz (z.B. zum Führen des Kriminalregisters). Sie wird durch einen sunnitischen General geleitet und steht dem ebenfalls sunnitischen Innenminister nahe. Die schiitisch geprägte Sûreté Générale (SG) übt neben Fragen der Ein- und Ausreisekontrollen auch eine nachrichtendienstliche Funktion aus. Ihr Leiter wird der AMAL-Partei von Parlamentspräsident Berri zugeordnet. Ein Polizeigesetz im engeren Sinne gibt es nicht (AA 24.1.2020).
Das Verhältnis zwischen den Bürgern und den staatlichen Sicherheitsbehörden, einschließlich des ISF und der Sûreté Générale (SG) ist nicht immer vertrauensvoll. Es wird beklagt, dass die Sicherheitsinstitutionen wie viele andere Staatsorgane von dem selben Klientelismus betroffen sind, der den Libanon als Ganzes durchzieht. Dieser Umstand stellt die Unparteilichkeit der Polizei in Frage. Auf der anderen Seite hat der Strategische Plan 2018-2022 des ISF die Organisation zu einem allgemeinen Wechsel zu mehr Verantwortlichkeit und Schutz der Menschenrechte verpflichtet. Die Verwirklichung solcher Ambitionen wird natürlich einige Zeit in Anspruch nehmen und nicht ganz reibungslos vor sich gehen (MEI 23.1.2019).
Das General Directorate for State Security (GDSS), das an den Premierminister berichtet, ist für Spionage und Staatssicherheit verantwortlich (USDOS 11.3.2020).
Die Lebanese Armed Forces (LAF) unter der Führung des Verteidigungsministeriums sind für die äußere Sicherheit verantwortlich, aber auch zur Festnahme von Verdächtigen aus Gründen der nationalen Sicherheit befugt. Sie inhaftierten auch mutmaßliche Drogenhändler, führten die Überwachung von Protesten durch, setzten Bauvorschriften im Zusammenhang mit Flüchtlingsunterkünften durch und intervenierten, um Gewalt zwischen rivalisierenden politischen Fraktionen zu verhindern. Die zivilen Behörden behielten die Kontrolle über die Streitkräfte der Regierung (USDOS 11.3.2020). Im Gegensatz zu den anderen Sicherheitskräften gilt die Armee trotz eines stets christlichen Oberbefehlshabers und zahlreicher christlicher Generäle als parteipolitisch und konfessionell weitgehend neutral und genießt grundsätzlich hohes Ansehen in allen Bevölkerungsteilen. Sie nimmt - beispielsweise durch zahlreiche Kontrollpunkte - auch Aufgaben der inneren Sicherheit wahr (AA 24.1.2020).
Daneben gibt es noch mehrere vorwiegend nachrichtendienstlich tätige Sicherheitsbehörden (Amn ad-Daula – Staatssicherheit; Amn al-Dschaisch – militärische Sicherheit; Sicherheitsdienst der Quwat al-Amn ad-Dakhili – Polizeikräfte; Nachrichtendienstliche Abteilung der Sûreté Générale). Alle genannten Institutionen und Dienste arbeiten verstärkt zusammen, auch wenn die Abgrenzung ihrer Kompetenzen nicht immer klar ist. Ihre Professionalisierung wird auch deutlich dahingehend beschränkt, dass bestimmte Institutionen einer bestimmten Konfession und somit dem entsprechenden politischen Lager zuzuordnen sind. Die daraus resultierenden Loyalitäten beeinflussen teilweise spürbar deren Arbeit (AA 24.1.2020).
Zudem haben die staatlichen Institutionen in Teilen des Landes keinen uneingeschränkten Zugriff (AA 24.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Zum Beispiel übernimmt die Hizbollah zumindest in ihren Hochburgen, d.h. in Teilen der Bekaa-Ebene, in südlichen Beiruter Vororten und Teilgebieten des Südens faktisch auch Aufgaben der Sicherheitsbehörden. Parallel bestehen kleinere bewaffnete Milizen der AMAL-Partei des Parlamentspräsidenten Nabih Berri, drusische Bürgerwehren sowie christliche Milizen (etwa in Nähe zur Kataeb-Partei oder zur griechisch-orthodoxen Kirche), die sich zuletzt im Spätsommer 2015 auch an Kampfhandlungen gegen aus Syrien einsickernde sunnitische Extremisten beteiligt haben (AA 24.1.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (24.1.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: November 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025311/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_November_2019%29%2C_24.01.2020.pdf , Zugriff 15.5.2020
- MEI – Middle East Institute (23.1.2019): Security sector reform and the Internal Security Forces in Lebanon, https://www.mei.edu/publications/security-sector-reform-and-internal-security-forces-lebanon , Zugriff 24.8.2020
- USDOS – United States Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026426.html , Zugriff 15.5.2020
NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Im Libanon sind zahlreiche lokale und internationale, im öffentlichen Leben deutlich wahrnehmbare Menschenrechtsorganisationen tätig, die grundsätzlich frei arbeiten können. Regierungsbeamte gingen manchmal auf die Ansichten dieser Gruppen ein, aber es gab nur eine begrenzte Rechenschaftspflicht für Menschenrechtsverletzungen (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 24.1.2020). NGOs müssen das – in seinen Grundzügen seit 1909 bestehende - Vereinsgesetz und andere anwendbare Gesetze in Bezug auf Arbeit, Finanzen und Einwanderung einhalten. Auch ist eine Registrierung beim Innenministerium erforderlich, womit unter Umständen ein Genehmigungsverfahren verbunden ist. Weiters kann das Innenministerium gegen Gründer, Funktionäre und Mitarbeiter einer NGO ermitteln (FH 4.3.2020).
Die Anwaltskammer Beirut veranstaltet regelmäßig öffentliche Seminare zum Schutz der Menschenrechte. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen (NGOs) arbeiten offiziell mit staatlichen Stellen bei der Aus- und Fortbildung von Sicherheitskräften und anderen Staatsbediensteten zusammen, deren Arbeit Auswirkungen auf die Menschenrechtslage haben kann. Vertreter internationaler Organisationen wie Amnesty International (AI) und Human Rights Watch (HRW) können sich im Land frei bewegen. HRW unterhält ein Regionalbüro in Beirut und publiziert – wie auch lokale NGOs – regelmäßig kritische Berichte zur Menschenrechtslage im Land. Das bedeutet jedoch nicht, dass keine Versuche der Einschüchterung und Beeinflussung durch politische Institutionen oder nichtstaatliche Akteure zu verzeichnen wären. Der Libanon hat nach mehrjährigen Vorarbeiten im Herbst 2016 den Aufbau einer nationalen Menschenrechtsinstitution beschlossen, die seit Mai 2018 mit 10 Mitgliedern besetzt ist. Auch ist im Libanon eine Delegation des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) vertreten. Das IKRK befasst sich insbesondere mit der Situation in den Gefängnissen. Im Februar 2007 hat das IKRK ein Protokoll mit der Regierung unterzeichnet, das ihm auch den Zutritt zu den Gefängnissen der Armee und des Verteidigungsministeriums erlaubt. Rechtlich erschwert bleibt die Gründung von Organisationen durch Ausländer; dies macht es palästinensischen und syrischen Flüchtlingen de facto unmöglich, unabhängig von libanesischen Partnern NGOs zur Verfolgung ihrer Interessen zu gründen. In der Praxis treten libanesische Staatsangehörige für palästinensische und syrische Flüchtlinge als Gründer und Organe auf (AA 24.1.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (24.1.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: Dezember 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025311/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_November_2019%29%2C_24.01.2020.pdf , Zugriff 15.5.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2030886.html , Zugriff 16.6.2020
- USDOS – United States Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026426.html , Zugriff 12.5.2020
Allgemeine Menschenrechtslage
Der Libanon ist seit 1945 Gründungsmitglied der Vereinten Nationen (GIZ 3.2020). Die Präambel der libanesischen Verfassung hält ausdrücklich fest, dass der Libanon die Allgemeine Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen beachtet. Der Staat ist Vertragsstaat wichtiger internationaler Menschenrechtsabkommen. Jedoch wurden die meisten der Fakultativprotokolle zu den Menschenrechtsabkommen nicht ratifiziert, so beispielsweise auch das Zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe (OP2-ICCPR) von 1991. Der Libanon ist bislang keinem internationalen Übereinkommen zum Status von Flüchtlingen beigetreten (AA 24.1.2020).
Das Land genießt im Vergleich zu anderen arabischen Ländern eine demokratische und rechtsstaatliche Tradition, die sich in einer aktiven Zivilgesellschaft und zahlreichen Nichtregierungsorganisationen ausdrückt. Jedoch lassen sich trotz gesetzlicher Regelungen grobe Verstöße gegen die Menschenrechte feststellen. Der Schutz von Migranten und Flüchtlingen wird nicht gemäß internationaler Standards gewährt, auch häufen sich Berichte von Misshandlungen und Folter bei Verhören. Eine offene Wunde des Libanons sind die seit dem Bürgerkrieg vermissten Menschen. Eine der größten Herausforderungen für die Menschenrechte im Libanon ist die Gratwanderung des libanesischen Staates zwischen der Garantie der Sicherheit und der Einhaltung der Freiheitsrechte (GIZ 3.2020).
Zu den wichtigsten Menschenrechtsverletzungen gehörten willkürliche oder ungesetzliche Tötungen durch nichtstaatliche Akteure, weiters wurden Vorwürfe der Folter durch Sicherheitskräfte erhoben. Auch gab es Berichte über eine exzessive Dauer der Untersuchungshaft, unangemessene und zunehmende Einschränkungen der Rede- und Pressefreiheit, nicht zuletzt durch Gesetze, die eine Reihe von Ausdrucksformen kriminalisieren. Darüber hinaus gab es hochgradige und weit verbreitete Korruption bei den Behörden, eine Kriminalisierung des Status oder Verhaltens von Homosexuellen, Bisexuellen, Transgender-Personen und Intersexuellen (LGBTI) sowie Kinderarbeit. Obwohl die Rechtsstruktur die Verfolgung und Bestrafung von Beamten vorsieht, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben, blieb die Durchsetzung ein Problem und Regierungsbeamte genossen in solchen Fällen ein gewisses Maß an Straffreiheit. Gerichtsverfahren wurden umgangen oder beeinflusst (USDOS 11.3.2020).
Das libanesische Parlament hat im Oktober 2016 durch die Einrichtung eines Nationalen Menschenrechtsinstituts (NHRI) einen Schritt gesetzt, um die Menschenrechtssituation zu verbessern und die Anwendung von Folter im Land zu beenden. Das Institut soll die Menschenrechtslage im Libanon überwachen, Beschwerden über Verstöße entgegennehmen und regelmäßig Berichte und Empfehlungen abgeben (HRW 28.10.2016; vgl. UN 9.5.2018). Da es der Ministerrat jedoch verabsäumt hat, die für die Operationalisierung des Mechanismus erforderlichen Dekrete zu erlassen bzw. ein Budget zuzuweisen, kann dieser weiterhin nicht tätig werden (AI 18.2.2020; vgl. HRW 14.1.2020; USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (24.1.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: November 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025311/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_November_2019%29%2C_24.01.2020.pdf , Zugriff 23.6.2020
- AI – Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019; Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025835.html , Zugriff 12.5.2020
- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020): Libanon – Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/libanon/geschichte-staat/ , Zugriff 16.6.2020
- HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2019 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022749.html , Zugriff 15.5.2020
- HRW – Human Rights Watch (28.10.2016): Lebanon: New Law a Step to End Torture, https://www.hrw.org/news/2016/10/28/lebanon-new-law-step-end-torture , Zugriff 22.8.2018
- UN – United Nations Human Rights Committee (9.5.2018): Concluding observations on the third periodic report of Lebanon [CCPR/C/LBN/CO/3], https://www.ecoi.net/en/file/local/1439102/1930_1532434210_g1812984.pdf , Zugriff 30.6.2020
- USDOS – United States Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026426.html , Zugriff 12.5.2020
Meinungs- und Pressefreiheit
Die Pressefreiheit ist verfassungsmäßig garantiert und die Regierung respektiert dieses Recht im Allgemeinen (USDOS 11.3.2020). Einschränkungen ergeben sich manchmal, wenn Fragen der Moral und Religion oder der Beziehungen zwischen konfessionellen Gemeinschaften aufgeworfen werden (BTI 29.4.2020).
Im Libanon erscheinen 13 Tageszeitungen, 300 Wochen-, Monats- und Quartalszeitschriften und viele Druckversionen ausländischer (arabischer) Zeitungshäuser. Darüber hinaus senden acht einheimische, meist private, Fernsehstationen rund um die Uhr. Allerdings zeigt sich auch in diesem Bereich die Zersplitterung der libanesischen Gesellschaft entlang konfessionell-politischer Bruchlinien. Kaum eine Fernsehstation oder eine Zeitung richtet sich an alle Libanesen. Jede der großen Konfessionen unterhält einen oder zwei Fernsehsender und übt Einfluss auf entsprechende Tageszeitungen aus (GIZ 3.2020).
In der von „Reporter ohne Grenzen“ geführten Rangliste zur Pressefreiheit liegt der Libanon derzeit auf Rang 102 (von 180 Staaten). Grund für diese Einstufung ist insbesondere die Tatsache, dass Journalisten wegen übler Nachrede und des Verbreitens falscher Informationen bestraft werden können (AA 24.1.2020), sowie die Arbeit des Bureau of Cybercrime, das bei privaten Beschwerden gegen Beiträge auf sozialen Netzwerken gegen Journalisten vorgehen kann (AA 24.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Die Tatbestände Verleumdung und Verbreitung falscher Informationen sind sehr schwammig definiert. Immer wieder werden Medienschaffende zu Geld- und gelegentlich auch zu Haftstrafen verurteilt (RoG o.D.). Auch gibt es Berichte über kurzfristige Verhaftungen oder Verhöre von Online-Aktivisten, denen Verstöße wie Beleidigung des Staatsoberhaupts, Verleumdung öffentlicher Behörden oder Provokation konfessioneller und rassistischer Auseinandersetzungen vorgeworfen werden (AA 24.1.2020).
Aber auch wenn die Medien des Landes zu den offensten und vielfältigsten in der Region gehören, sind sie fast alle von der Schirmherrschaft politischer Parteien, wohlhabender Einzelpersonen oder ausländischer Mächte abhängig (FH 4.3.2020). Fast alle wichtigen Medien gehören Eigentümern mit starken politischen Interessen, die meisten sind in der Hand einiger weniger Unternehmerfamilien (RoG o.D.). Die Medienunternehmen sind je nach Inhaber oder Geldgeber stark politisiert. Das führt zu einer starken Selbstzensur unter den Journalisten, die keine Investigativrecherchen gegen jene anstreben, die sie finanzieren. Somit gibt es im Libanon eine zwar freie, aber keine unabhängige Presse (GIZ 3.2020).
Diffamierung oder Kritik am libanesischen Präsidenten oder der libanesischen Armee sind Straftaten, die mit bis zu drei Jahren Gefängnis geahndet werden (HRW 14.1.2020). Zivilisten wurden auf Grundlage dieses Gesetzes vom Militärgerichtshof angeklagt (USDOS 11.3.2020; vgl. RoG o.D.). Das libanesische Strafgesetzbuch kriminalisiert Verleumdung und üble Nachrede und erlaubt in diesen Fällen eine Gefängnisstrafe von bis zu drei Monaten, bei Amtsträgern von bis zu einem Jahr (HRW 14.1.2020). Zudem nutzten die Behörden diese Gesetze und Regeln, um Journalisten, die Politiker, Regierungsbeamte und mächtige nichtstaatliche Akteure kritisieren, zu schikanieren und festzunehmen. Inhaftierte Journalisten werden oft zur schriftlichen Zusage gezwungen, die Veröffentlichung von Inhalten, die von der Regierung als verleumderisch angesehen werden, hinkünftig zu unterlassen (FH 4.3.2020).
Während Schikanen häufig als Taktik zur Einschüchterung der Presse eingesetzt werden, hat die Regierung 2019 auch zu Razzien und Strafverfolgungen gegriffen. Tödliche Übergriffe auf Journalisten gab es 2019 nicht, allerdings waren Einzelpersonen und Organisationen Gewalttaten ausgesetzt. Die seit Oktober 2019 immer wieder stattfindenden Proteste und Demonstrationen dienten als Grund für fortgesetzte Schikanierung und Behinderung von Journalisten (FH 4.3.2020).
Die Einfuhr von ausländischen Kulturerzeugnissen wie Filmen oder Büchern sowie die Tätigkeit libanesischer Autoren unterliegt einer Vorzensur durch die Sûreté Générale (SG - Sicherheitsbehörde mit grenzpolizeilichen und nachrichtendienstlichen Aufgaben), die gelegentlich „polemische“, pornografische oder „den religiösen Frieden gefährdende“ Werke untersagt. Aufgrund des florierenden Handels mit Raubkopien laufen Verbote von audiovisuellen Medien aber praktisch ins Leere. Ausnahme bleiben im Rahmen des allgemeinen Wirtschaftsboykotts alle Kulturprodukte aus Israel, mit dem sich der Libanon formal seit 1948 im Krieg befindet (AA 24.1.2020).
Der Internetzugang ist verfügbar und wird von der Öffentlichkeit breit genutzt. Gesetzliche Einschränkungen des Zugangs zum Internet gibt es nicht. Berichten zufolge zensierte die Regierung einige Websites, um Online-Glücksspiele, Pornographie, religiös provokatives Material, extremistische Foren und israelische Websites zu blockieren, aber es gab keine verifizierten Berichte, in denen die Regierung systematisch versuchte, persönlich identifizierbare Informationen über das Internet zu sammeln (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (24.1.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: Dezember 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025311/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_November_2019%29%2C_24.01.2020.pdf , Zugriff 15.5.2020BTI
- BTI - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Lebanon, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029489/country_report_2020_LBN.pdf , Zugriff 30.6.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2030886.html , Zugriff 16.6.2020
- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020): Libanon – Geschichte-Staat, https://www.liportal.de/libanon/geschichte-staat/ , Zugriff 15.5.2020
- HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2019 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022749.html , Zugriff 15.5.2020
- RoG - Reporter ohne Grenzen (o.D.): Libanon, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/libanon/?L=0 , Zugriff 15.5.2020
- USDOS – United States Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026426.html , Zugriff 12.5.2020
Versammlungs- Vereinigungsfreiheit; Opposition
Die von der Verfassung garantierte Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit wird respektiert, wie Massendemonstrationen und Veranstaltungen der unterschiedlichen politischen Lager regelmäßig unter Beweis stellen. Für Demonstrationen ist im Vorfeld eine Anmeldung durchzuführen bzw. eine Genehmigung des Innenministeriums einzuholen. In den vergangenen Jahren wurden Demonstrationen – insbesondere aus dem salafistischen Spektrum – gelegentlich aus Sicherheitsgründen untersagt (AA 24.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Im Allgemeinen erlaubten es die Sicherheitskräfte den Demonstranten – auch bei großen, weit verbreiteten Protesten wie ab Ende 2019 - friedlich zu demonstrieren und zeigten sich im Umgang mit diesen überwiegend zurückhaltend und professionell. Eingegriffen wurde vor allem dann, wenn Demonstranten Sachbeschädigungen verursachten oder Zusammenstöße zwischen gegnerischen Demonstranten ausbrachen. Das Militär (LAF – „Lebanese Armed Forces“) setzte in einigen Fällen ebenfalls Gewalt ein, um Demonstranten zu zerstreuen, die sich den Bemühungen um die Räumung wichtiger Durchgangsstraßen widersetzten (USDOS 11.3.2020; vgl. HRW 14.1.2020).
Amnesty International berichtete, dass die Armee im Oktober 2019 übermäßige Gewalt einsetzte, um die Demonstranten in den nördlichen Städten Beddawi und Abdeh sowie in der südlichen Stadt Saida auseinander zu treiben, unter anderem durch den Beschuss mit scharfer Munition, Gummigeschossen und Tränengasbomben sowie durch Schläge mit Gewehrkolben (AI 18.2.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).
Bei Neugründung von Vereinigungen – darunter fallen sowohl NGOs als auch Parteien – ist ein zweistufiges Anmeldeverfahren beim Innenministerium einzuhalten, welches 2008 vereinfacht wurde. Rechtlich erschwert bleibt die Gründung von Organisationen durch Ausländer; dies macht es palästinensischen und syrischen Flüchtlingen de facto unmöglich, unabhängig von libanesischen Partnern NGOs zur Verfolgung ihrer Interessen zu gründen. In der Praxis treten libanesische Staatsangehörige für palästinensische und syrische Flüchtlinge als Gründer und Organe auf (AA 24.1.2020).
Das Innenministerium prüft, ob moralische Bedenken oder Bedenken hinsichtlich öffentlicher Bestimmungen oder der Staatssicherheit gegeben sind. Das Ministerium hat in manchen Fällen uneinheitliche zusätzliche Beschränkungen und Anforderungen eingeführt und die Genehmigung zurückgehalten. Die Organisationen müssen Repräsentanten des Ministeriums zu jeder Generalversammlung einladen, bei denen über eine Satzungsänderung oder über die Mitglieder im Aufsichtsrat abgestimmt wird. Das Ministerium muss dann die Wahl bestätigen, andernfalls kann dies zur Auflösung der Organisation durch ein vom Ministerrat herausgegebenes Dekret führen (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (24.1.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: November 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025311/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_November_2019%29%2C_24.01.2020.pdf , Zugriff 15.5.2020
- AI – Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019; Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025835.html , Zugriff 12.5.2020
- HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2019 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022749.html , Zugriff 12.5.2020
- USDOS – United States Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026426.html , Zugriff 15.5.2020
Relevante Bevölkerungsgruppen
Kinder
Eine Million Libanesen sind derzeit im staatlichen und privaten Schulsystem integriert (GIZ 6.2020a). Die Alphabetisierungsrate liegt bei 94,3 Prozent bei den Männern und 88,1 Prozent bei den Frauen, mit einer Gesamtalphabetisierungsrate von 91,2 Prozent (2009). Dies ist vor allem auf eine geringere Teilnahme von Frauen an der Primarschulbildung zurückzuführen, insbesondere in den ländlichen Gebieten (BTI 29.4.2020). In einem Spannungsfeld zwischen privater, meist konfessionell organisierter Bildung und staatlich zentral organisierter öffentlicher Bildung leidet das staatliche Bildungssystem unter enormen strukturellen und qualitativen Problemen. Etwa zwei Drittel der libanesischen Kinder besuchen derzeit teure Privatschulen, während öffentliche Schulen der letzte Ausweg für einkommensschwache Familien sind. Das vergrößert die Bildungs- und damit die Einkommenslücke zwischen den wirtschaftlich benachteiligten Jugendlichen und ihren Altersgenossen (GIZ 6.2020a). Der Unterricht ist für libanesische Bürger kostenlos und in der ersten Phase obligatorisch (USDOS 11.3.2020). Die Flüchtlingskrise im Kontext des Bürgerkrieges in Syrien erhöht den Druck auf den libanesischen Bildungssektor (GIZ 6.2020a).
Kinderarbeit ist, insbesondere in abgelegenen und ländlichen Gebieten wie etwa der Bekaa-Ebene/Akkar verbreitet. Betroffene kommen meist aus den unteren sozialen Schichten und haben oft keine libanesische Staatsangehörigkeit, wie palästinensische bzw. syrische Flüchtlinge oder auch die Kinder afrikanischer oder asiatischer Hausangestellter. Das gesetzliche Mindestalter für eine Arbeitsaufnahme liegt bei 14 Jahren. Die Zahl der Straßenkinder ist in den letzten Jahren, insbesondere seit Konfliktbeginn in Syrien 2011, enorm angestiegen. Laut einem Bericht von UNICEF leben derzeit 1.500 Kinder auf der Straße, vor allem in Beirut und Tripoli (AA 24.1.2020).
Es gibt kein gesetzliches Mindestalter für die Eheschließung, und die Regierung führt keine zivilen Eheschließungen durch. Außerhalb des Landes geschlossene Ehen werden im Libanon anerkannt. Das Mindestalter für die Eheschließung liegt je nach Konfession zwischen 14 und 18 Jahren. UN-Organisationen, NGOs und Regierungsvertreter stellten unter der syrischen Flüchtlingsbevölkerung hohe Raten früher Eheschließungen fest. Sie führten diesen Umstand teilweise auf den sozialen und wirtschaftlichen Druck auf Familien mit begrenzten Ressourcen zurück (USDOS 11.3.2020).
Die Staatsbürgerschaft wird ausschließlich vom Vater abgeleitet. Dies kann zur Staatenlosigkeit von Kindern einer libanesischen Mutter und eines nicht-libanesischen Vaters führen, weil die Mütter ihre eigene Staatsbürgerschaft nicht übertragen dürfen. Wenn die Geburt eines Kindes nicht innerhalb des ersten Jahres registriert wird, ist der Prozess zur Legitimierung der Geburt langwierig und kostspielig, was Familien oft von der Registrierung abhält (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (24.1.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: Dezember 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025311/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_November_2019%29%2C_24.01.2020.pdf , Zugriff 15.5.2020
- BTI - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Lebanon, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029489/country_report_2020_LBN.pdf , Zugriff 30.6.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2020a): Der Libanon – Gesellschaft, https://www.liportal.de/libanon/gesellschaft/ , Zugriff 16.6.2020
- USDOS – United States Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026426.html , Zugriff 12.5.2020
Bewegungsfreiheit
Das Gesetz gewährt Bewegungsfreiheit in Bezug auf Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung, und die Regierung respektierte grundsätzlich diese Rechte. Einschränkungen gibt es nur für Flüchtlinge und Asylsuchende, von denen die meisten aus Palästina, Syrien und dem Irak stammen [Für detaillierte Informationen wird auf den entsprechenden Abschnitt "IDPs und Flüchtlinge" verwiesen; Anm.]. Innerhalb des Landes behinderten oder verhinderten bewaffnete nichtstaatliche Akteure die Bewegung in den von ihnen kontrollierten Gebieten. Bewaffnete Mitglieder der Hizbollah kontrollierten den Zugang zu einigen Gebieten, und die Palästinensische Front für die Befreiung Palästinas und bewaffnete Anhänger des drusischen Führers Walid Jumblatt verhinderten den Zugang zu Gebieten unter ihrer Kontrolle (USDOS 11.3.2020).
Aufgrund von Übergriffen des sogenannten Islamischen Staates (IS), terroristischen Anschlägen und Waffenschmuggel nach Syrien hält der Libanon die Grenzen zu Syrien nur für den eingeschränkten Personenverkehr offen (GIZ 3.2020).
Innerhalb der Familien übten die Männer manchmal eine beträchtliche Kontrolle über die weiblichen Verwandten aus, indem sie ihre Aktivitäten außerhalb des Hauses oder ihren Kontakt zu Freunden und Verwandten einschränkten (USDOS 11.3.2020). Verheiratete Frauen benötigen für die Ausstellung eines Reisepasses die Zustimmung des Ehemannes (AA 24.1.2020).
Im Zuge der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie kommt es immer wieder zu Lockdowns, Ausgangssperren und Ausgangsbeschränkungen sowie zu Reisebeschränkungen (France24 21.8.2020; vgl. SZ 19.8.2020, vgl. Worldaware 4.6.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (24.1.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: Dezember 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025311/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_November_2019%29%2C_24.01.2020.pdf , Zugriff 15.5.2020
- France24 (21.8.2020): Lebanon braces for fresh Covid-19 lockdown in wake of Beirut blast, https://www.france24.com/en/20200821-lebanon-braces-for-fresh-covid-19-lockdown-in-wake-of-beirut-blast , Zugriff 28.8.2020
- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020): Libanon – Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/libanon/geschichte-staat/ , Zugriff 16.6.2020
- SZ – Süddeutsche Zeitung (19.8.2020): Erneuter Lockdown, https://www.sueddeutsche.de/politik/libanon-erneuter-lockdown-1.5003936 , Zugriff 28.8.2020
- USDOS – United States Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026426.html , Zugriff 12.5.2020
- WorldAware (4.6.2020): COVID-19 Alert: Lebanon Extends Nationwide Lockdown Through July 5, Curfew in Effect, https://www.worldaware.com/covid-19-alert-lebanon-extends-nationwide-lockdown-through-july-5-curfew-effect , Zugriff 28.8.2020
IDPs und Flüchtlinge
Das Gesetz sieht weder die Gewährung von Asyl noch die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus vor (USDOS 11.3.2020). Die Regierung hat aber durch ein „Memorandum of Understanding“ in Absprache mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) seit September 2003 ein faktisches und verlängerbares Bleiberecht von höchstens einem Jahr für Flüchtlinge geschaffen, das allerdings nicht für Altfälle gilt. Ferner duldet die Regierung den vorübergehenden Aufenthalt von Asylsuchenden – bei Betreuung durch UNHCR - bis zu einer Dauer von sechs Monaten (AA 24.1.2020).
Dennoch leben bei einer geschätzten Gesamtbevölkerung von etwa 5,8 Millionen nach Schätzungen des UNHCR und anderer Organisationen 1,3 Millionen Flüchtlinge im Land (USDOS 10.6.2020; vgl. GIZ 6.2020a). Den größten Anteil hiervon haben die etwa 920.000 beim UNHCR registrierten syrischen Flüchtlingen (USDOS 11.3.2020). Hinzu kommen palästinensische Flüchtlinge. Diese sind in den meisten Fällen überwiegend sunnitische, aber auch christliche Nachkommen von Flüchtlingen, die in den 1940er und 1950er Jahren ins Land kamen (USDOS 10.6.2020). Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) schätzte Anfang 2019, dass von den insgesamt über 470.000 registrierten palästinensischen Flüchtlingen tatsächlich etwa 180.000 im Libanon aufhältig sind (UNRWA o.D.; vgl. KAS 20.2.2019).
Außerdem sind bei UNHCR etwa 14.000 irakische Flüchtlinge registriert. Die Flüchtlinge und ausländischen Migranten aus dem Irak sind vor allem sunnitische Kurden, sunnitische und schiitische Muslime sowie Chaldäer. Es gab auch koptische Christen aus Ägypten und dem Sudan. Nach Angaben der NGO Syriac League, die sich für die assyrischen Christen im Land einsetzt, leben etwa 10.000 irakische Christen aller Konfessionen und 3.000 bis 4.000 koptische Christen im Land. Derselben NGO zufolge ist die Mehrheit der irakischen christlichen Flüchtlinge nicht bei UNHCR registriert und wird daher nicht in ihre Zählung einbezogen (USDOS 10.6.2020). Zudem gibt es mehrere Tausend Flüchtlinge aus dem Sudan, aus Äthiopien und Eritrea (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 24.1.2020).
Der Libanon beheimatet somit pro Kopf die meisten Flüchtlinge weltweit (KAS 20.2.2019). Um Flüchtlinge dazu zu bewegen, ihren Aufenthaltsstatus zu beantragen und zu verlängern, werden seit 2017 keine diesbezüglichen Gebühren für jene Flüchtlinge verlangt, die sich vor 2015 bei UNHCR registriert hatten. Diese Regelung schließt Flüchtlinge aus, die nicht registriert sind. Die Anwendung dieser Regelung ist jedoch inkonsistent und der Anteil der Flüchtlinge mit legalem Aufenthaltsstatus hat sich trotzdem nur minimal verbessert. Nach Angaben der Vereinten Nationen hatten im September 2019 nur 20 Prozent der Flüchtlingsbevölkerung einen legalen Aufenthaltsstatus. Die Mehrheit der syrischen Flüchtlinge konnte ihre Rechtsdokumente nicht erneuern, was deren Bewegungsfreiheit wegen der Möglichkeit von Festnahmen an Kontrollpunkten, insbesondere für erwachsene Männer erheblich beeinträchtigte (USDOS 11.3.2020).
Einige Flüchtlingskinder leben und arbeiten auf der Straße. Angesichts des schlechten wirtschaftlichen Umfelds, der eingeschränkten Bewegungsfreiheit und der geringen Möglichkeiten für Erwachsene, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, verlassen sich viele syrische Flüchtlingsfamilien oft auf Kinder, um Geld für die Familie zu verdienen, unter anderem durch Betteln oder den Verkauf kleiner Gegenstände auf der Straße. Flüchtlingskinder sind in Bezug auf Ausbeutung, geschlechtsspezifische Gewalt und Kinderarbeit einem größeren Risiko ausgesetzt als libanesische Kinder, da sie im Vergleich zu ihren Eltern, die oft keine Aufenthaltsgenehmigung hatten, eine größere Bewegungsfreiheit haben (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (24.1.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: Dezember 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025311/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_November_2019%29%2C_24.01.2020.pdf , Zugriff 15.5.2020
- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2020a): Libanon – Gesellschaft, https://www.liportal.de/libanon/gesellschaft/ , Zugriff 16.6.2020
- KAS – Konrad-Adenauer-Stiftung (20.2.2019): Informationen zur Lage syrischer Flüchtlinge im Libanon, https://www.kas.de/de/web/libanon/laenderberichte/detail/-/content/informationen-zur-lage-syrischer-fluechtlinge-im-libanon-1 , Zugriff 30.6.2020
- UNRWA - United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees (o.D.): Where we work, https://www.unrwa.org/where-we-work/lebanon , Zugriff 15.7.2020
- USDOS – United States Department of State (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2031339.html , Zugriff 16.6.2020
- USDOS – United States Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026426.html , Zugriff 15.5.2020
Grundversorgung
Vor dem Bürgerkrieg 1975 zählte der Libanon zu den bedeutendsten Finanzzentren im Nahen Osten. Im Zuge des Bürgerkriegs überschuldete sich der Staat maßlos. Die Verschuldung beläuft sich nunmehr auf über 150 Prozent des BIP. 40 Prozent des Haushalts fließen somit in den Zinsendienst, seine eigentlichen Aufgaben kann der Staat kaum noch erfüllen (SZ 17.2.2020; vgl. DailyStar 6.11.2019).
69 Prozent des BIP wird durch den Dienstleistungssektor erwirtschaftet, 8 Prozent durch den Agrarsektor und 23 Prozent durch den Industriesektor. Dabei erzielt das Land seit Jahren hohe Handelsbilanzdefizite. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt Schätzungen zu Folge bei über 63 Prozent (GIZ 6.2020b). Insbesondere gut ausgebildete Ingenieure, Ärzte und Betriebswirte verlassen das Land. Notwendige Investitionen bleiben aus (GIZ 6.2020b).
Die aktuelle massive Finanzkrise wird durch die COVID-19-Pandemie weiter verschärft (AJ 1.7.2020). Im Juni 2020 kam es bei den ersten größeren Protesten gegen die Regierung seit Wochen neuerlich zu schweren Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Anhängern der schiitischen Hizbollah (ORF 6.6.2020). Der International Monetary Fund (IMF) geht davon aus, dass das Land 2020 eine der schlimmsten Rezessionen der Welt erleben wird, zumal den Prognosen zufolge von einer Schrumpfung der Wirtschaftsleistung um bis zu 12 Prozent auszugehen ist. (AJ 12.5.2020).
Im März ist die Regierung zum ersten Mal in der Geschichte des Landes mit der Rückzahlung von Staatsanleihen in Verzug geraten (AJ 12.5.2020; vgl. ORF 6.6.2020). Das libanesische Pfund hat seit August auf parallelen Märkten etwa zwei Drittel seines Wertes gegenüber dem US-Dollar verloren, da die Überweisungen versiegen und die Devisen immer knapper werden. Beschränkungen des öffentlichen Lebens zur Eindämmung des Coronavirus haben diese Probleme weiter verschärft (AJ 12.5.2020). Unternehmen gingen reihenweise in Konkurs (SZ 5.6.2020).
Besondere Bedeutung kommt einer längst überfälligen Reform des Elektrizitätssektors zu, der jährlich beinahe 2 Milliarden US-Dollar aus den Staatskassen zieht und 30 Jahre nach dem Ende des libanesischen Bürgerkriegs immer noch nicht in der Lage ist, rund um die Uhr Strom zu liefern (AJ 12.5.2020). Zum Teil können nicht einmal Straßenlaternen und Ampeln mit genügend Strom versorgt werden. Denn selbst die Betreiber von Generatoren, die sonst die Lücken schließen, haben keinen Treibstoff, und der zuvor aus Syrien importierte Strom fällt ebenfalls weg (Spiegel 7.7.2020).
Seit Oktober 2019 kommt es immer wieder zu Demonstrationen und auch zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen die politische Elite und die weit verbreitete Korruption (Spiegel 29.4.2020; vgl. SZ 5.6.2020). Der Lockdown infolge der Corona-Pandemie hat die Lage im Land noch weiter verschärft. Viele Libanesen klagen, sie könnten wegen stark gestiegener Preise ihre Familien nicht mehr ernähren (Spiegel 29.4.2020). Die libanesische Landeswährung, die offiziell noch immer an den US-Dollar gebunden ist, hat auf dem nun maßgebenden Schwarzmarkt von September 2019 bis Juli 2020 rund 85 Prozent ihres Werts verloren (Spiegel 7.7.2020). Damit ist der nationale Mindestlohn von 675.000 libanesischen Pfund Anfang Juli 2020 gerade noch 75 US-Dollar wert (AJ 1.7.2020).
Fast die Hälfte der libanesischen Bevölkerung lebt heute unterhalb der Armutsgrenze (AJ 1.7.2020). Insbesondere im Nord-Libanon (Akkar-Gebiet), in der nördlichen Bekaa-Ebene (insb. Hermel-Gebiet) sowie in Süd-Libanon bestehen hohe Armutsraten. Für arme Libanesen besteht bislang nur ein rudimentäres System der sozialen Sicherung in Form des nationalen Armutsprogramms. Derzeit erhalten lediglich 10.000 Familien über das nationale Armutsprogramm Nahrungsmittelhilfe in Höhe von 27 US-Dollar pro Kopf/pro Monat. Es existiert keine allgemeine Arbeitslosenversicherung. Wesentliches Element sozialer Sicherung ist die Familie, daneben karitative und religiöse Einrichtungen (AA 24.1.2020).
Im Juni 2020 traten neue, sehr umfassende US-Sanktionen (Caesar Act) gegen das syrische Regime in Kraft, die sich auch auf Syriens Geschäftspartner erstrecken. Diese Maßnahmen treffen auch den libanesischen Bankensektor, vor allem aber die Hizbollah. Das US-Außenministerium hat schon jetzt schärfere Restriktionen für alle Fördermittel verhängt (Spiegel 12.6.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (24.1.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: November 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025311/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_November_2019%29%2C_24.01.2020.pdf , Zugriff 23.6.2020
- AJ – Al Jazeera (12.5.2020): Lebanon faces painful reforms to unlock foreign aid, https://www.aljazeera.com/ajimpact/lebanon-faces-painful-reforms-unlock-foreign-aid-200512190902820.html , Zugriff 15.5.2020
- AJ – Al Jazeera (1.7.2020): 'Plotting our escape': Lebanon braces for new emigration wave, https://www.aljazeera.com/ajimpact/escape-lebanon-braces-emigration-wave-200701094323974.html , Zugriff 20.7.2020
- DailyStar (6.11.2019): Why is Lebanon in an economic and political mess?, https://www.dailystar.com.lb/News/Lebanon-News/2019/Nov-06/495099-explainer-why-is-lebanon-in-an-economic-and-political-mess.ashx , Zugriff 12.5.2020
- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2020b): Libanon – Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/libanon/wirtschaft-entwicklung/ , Zugriff 20.7.2020
- ORF (6.6.2020): Dutzende Verletzte bei Zusammenstößen im Libanon, https://orf.at/stories/3168607/ , Zugriff 12.6.2020
- Spiegel (29.4.2020): Arabische Liga warnt vor Eskalation im Libanon, https://www.spiegel.de/politik/ausland/libanon-arabische-liga-warnt-vor-eskalation-a-f9e0d6e4-18f8-4578-b99b-fc545743bea3 , Zugriff 15.5.2020
- Spiegel (12.6.2020): Weiter so in den Untergang, https://www.spiegel.de/politik/ausland/libanon-in-der-krise-weiter-so-in-den-untergang-a-1f5c6c66-198b-4d40-94b4-2bb1775194a8 , Zugriff 12.6.2020
- Spiegel (7.7.2020): Bald ziehen wir unter eine Brücke, https://www.spiegel.de/politik/ausland/libanon-in-der-krise-in-beirut-gehen-die-lichter-aus-a-cc85c11f-2d7a-4038-a0d9-02086d53717e , Zugriff 20.7.2020
- SZ – Süddeutsche Zeitung (17.2.2020): Libanons Finanzsystem steht kurz vor dem Kollaps, https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/libanon-finanzen-schulden-pleite-1.4802164 , Zugriff 15.5.2020
- SZ – Süddeutsche Zeitung (5.6.2020): Eine Nation im freien Fall, https://www.sueddeutsche.de/politik/libanon-eine-nation-im-freien-fall-1.4928011 , Zugriff 12.6.2020
- Zeit (31.8.2020): Macron macht Druck, https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-08/emmanuel-macron-libanon-besuch-beirut-explosion-krise , Zugriff 1.9.2020
Medizinische Versorgung
Der Libanon ist ein Land mit insgesamt – vor allem im regionalen Vergleich – guter medizinischer Versorgung (AA 24.1.2020). Die durchschnittliche Lebenserwartung lag 2016 bei 75 bzw. 78 Jahren (m/w) (WHO o.D.).
Der Libanon weist die höchste Pro-Kopf-Zahl an Ärzten im Nahen Osten auf und bietet fachärztliche Behandlungsmöglichkeiten jeder Richtung an (GIZ 6.2020a). Die Ärzteschaft umfasst zahlreiche Spezialisten, die zu einem großen Teil im westlichen Ausland studiert und auch praktiziert haben. Staatliche Krankenhäuser gibt es in allen größeren Städten (AA 24.1.2020). Zusätzlich zu den 24 öffentlichen gibt es 138 privat geführte Krankenhäuser. Darüber hinaus betreiben NGOs und politische Parteien etwa 760 örtliche Kliniken (GIZ 6.2020a). Auch sehr spezielle Behandlungen wie Operationen am offenen Herzen oder etwa Krebstherapien können im Land durchgeführt werden. Weiters ist auch die Nachversorgung kriegsbedingter Behinderungen inkl. Transplantationen möglich. Lediglich Patienten mit sehr seltenen oder schweren Erkrankungen müssen zwingend ins Ausland überwiesen werden. Vereinzelt kommt es in Krankenhäusern in ärmeren Regionen (Akkar) zu zeitweiligen Überbelegungen und Engpässen (AA 24.1.2020).
Die Versorgung im ländlichen Bereich ist jedoch eher mäßig. Zudem sind die qualitativen Unterschiede zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor sehr groß (GIZ 6.2020a).
Nur ein kleiner Teil der Libanesen ist Mitglied der Nationalen Sozialversicherungskasse (Caisse nationale de la sécurité sociale, CNSS). Das Gesundheitsministerium wendet 80 Prozent seines Budgets für die Bezahlung privater Krankenhäuser auf, um die Kosten der medizinischen Betreuung von Patienten abzudecken, die nicht sozial- bzw. privatversichert sind und ihre Krankenhausrechnung nicht bezahlen können. Damit ist der Anteil der Bevölkerung mit Zugang zu Gesundheitsdiensten insgesamt sehr hoch (GIZ 6.2020a).
Das nationale Gesundheitsprogramm erstreckt sich nur auf Personen, die seit mehr als 10 Jahren libanesische Staatsbürger sind und nicht vom Nationalen Sicherheitsplan oder anderen staatlichen Versicherungen abgedeckt werden. Daher fallen große Teile der im Libanon lebenden Menschen aus dem Versorgungssystem heraus. Insbesondere betroffen ist die Gruppe der palästinensischen Flüchtlinge (GIZ 6.2020a). Diese werden vom Gesundheitsdienst der UNRWA versorgt, doch deckt diese Versorgung Leistungen der Nachsorge (qualifizierte Krankenhausversorgung) nur unzureichend ab. Andere Flüchtlinge und Ausländer haben keinen Zugang zur staatlichen Krankenversorgung und müssen ihre Behandlungskosten selbst tragen oder eine private Krankenversicherung abschließen (AA 24.1.2020), oder sie sind auf sozial-karitative Organisationen angewiesen (GIZ 6.2020a). Für ältere Personen oder bei Vorerkrankungen kann es ausgeschlossen oder exorbitant teuer sein, eine private Krankenversicherung abzuschließen. Alle international gängigen Medikamente sind im Libanon erhältlich (AA 24.1.2020)
Neben privater und staatlicher Krankenversicherung können Behandlung und Medikation für mittellose und/oder aus dem Ausland zurückkehrende Libanesen durch eine Überweisung des Gesundheitsministeriums an dessen Vertragskrankenhäuser - darunter befinden sich auch renommierte Kliniken wie das American University Hospital oder das Hôtel Dieu in Beirut - und Vertragsärzte erfolgen. Die Vertragskrankenhäuser sind verpflichtet, vom Gesundheitsministerium zugewiesene Patienten im Rahmen einer monatlichen Quote aufzunehmen. Sie wehren sich gelegentlich – soweit diese Quote überschritten wird oder besonders „teure“ Fälle darunter sind – mit juristischen oder bürokratischen Maßnahmen gegen die Überweisung oder versuchen Einzelpersonen an eine karitative Organisation „weiterzureichen“. Patienten müssen bis zu 10-15 Prozent der Kosten selbst zahlen, sofern deren Mittellosigkeit nicht förmlich durch das Gesundheitsministerium festgestellt wurde (AA 24.1.2020).
Parallel existiert ein vom Gesundheits- und Sozialministerium gefördertes Netzwerk von „Erstversorgungseinrichtungen“, die häufig von Nichtregierungsorganisationen betrieben werden. Diese nehmen einfache Behandlungen wie beispielsweise Impfungen gegen eine Gebühr von ca. 5-10 US-Dollar vor. Das libanesische Rote Kreuz ist die größte private Organisation unter den zahlreichen karitativ und konfessionell tätigen Vereinigungen. Derzeit bekommen 42.000 Haushalte (d.h. rund 230.000 Personen) diese Unterstützungsleistung des Gesundheitsministeriums (AA 24.1.2020).
Es gibt Berichte, wonach Krankenhäuser Patienten die Behandlung verweigern, sofern sie keine Versicherung nachweisen können (Borgen 13.5.2017).
Die Behörden im Libanon haben sehr rasch auf den Ausbruch von Covid-19 reagiert und fuhren bereits seit Anfang März eine strikte Eindämmungsstrategie. Am 9. März stellte sie den Betrieb des Parlaments ein. Wenige Tage später wurden zahlreiche Einrichtungen des öffentlichen Lebens geschlossen, ebenso auch Theater, Kinos, Konzertsäle. An den Schulen und Universitäten fand kein Unterricht mehr statt, die Restaurants und großen Einkaufspassagen machten ebenfalls dicht. Nachts herrschte Ausgangssperre. Die Regierung forderte die Bürger zudem auf, auch tagsüber zu Hause zu bleiben. Erst gegen Mai 2020 begann man damit, den Lockdown langsam wieder herunterzufahren. Die längerfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen sind schwer abzuschätzen. Große Angst hat man vor einer Ausbreitung der Pandemie in den palästinensischen und syrischen Flüchtlingslagern, zumal dort auch bereits erste Fälle registriert wurden (DW 27.4.2020).
Im Sommer 2020 gab es Berichte, dass Krankenhäuser keine weiteren Schwerkranken mehr aufnehmen können (Zeit 31.8.2020) und auch private Spitäler, beispielsweise in Tripoli, bereits ausgelastet wären (Spiegel 17.7.2020).
Zudem sind nach der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut am 4. August 2020 mehr als die Hälfte der medizinischen Einrichtungen der Stadt nicht mehr funktionsfähig (DR 19.8.2020). Sechs große Krankenhäuser und 20 Kliniken erlitten teilweise oder schwere strukturelle Schäden (BBC 19.82020). Zusätzlich besteht laut der Weltgesundheits¬organisation (WHO) die Gefahr, dass aufgrund der 6.000 Verletzten und 300.000 Menschen, die durch die Explosion ihre Unterkünfte verloren haben, eine beschleunigte Ausbreitung von COVID-19 erfolgen könnte (AJ 12.8.2020).
Anm.: Bezüglich der aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle im Libanon empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Website der WHO https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports , oder der Johns Hopkins-Universität https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen, zu kontaktieren.
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (24.1.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: November 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025311/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_November_2019%29%2C_24.01.2020.pdf , Zugriff 23.6.2020
- AJ – Al Jazeera (12.8.2020): Lebanon sees record-high coronavirus cases and deaths, https://www.aljazeera.com/news/2020/08/lebanon-sees-record-high-coronavirus-cases-deaths-200812063607556.html , Zugriff 25.8.2020
- BBC (19.8.2020): Coronavirus: Lebanon to impose lockdown as cases spike after explosion, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-53833273 , Zugriff 25.8.2020
- Borgen Project (13.5.2017): Healthcare in Lebanon, https://borgenproject.org/healthcare-in-lebanon/ , Zugriff 14.7.2020
- DR – Deutschlandradio (19.8.2020): Neuer Lockdown im Libanon nach steigenden Infektionszahlen, https://www.deutschlandfunk.de/coronavirus-pandemie-neuer-lockdown-im-libanon-nach.1939.de.html?drn:news_id=1163302 , Zugriff 25.8.2020
- DW – Deutsche Welle (27.4.2020): Libanon: Coronavirus, Armut, Hunger, https://www.dw.com/de/libanon-coronavirus-armut-hunger/a-53264169 , Zugriff 20.7.2020.
- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2020a): Libanon – Gesellschaft, https://www.liportal.de/libanon/gesellschaft/ , Zugriff 15.7.2020
- Spiegel (17.7.2020): Der Libanon zerbricht, https://www.spiegel.de/politik/corona-hunger-versorgungskrise-der-libanon-zerbricht-a-2599ea3a-5bcc-42ff-97f2-ec3d68d86a53 , Zugriff 20.7.2020
- WHO – World Health Organisation (o.D.): Lebanon, https://www.who.int/countries/lbn/en/ , Zugriff 16.7.2020
- Zeit (31.8.2020): Macron macht Druck, https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-08/emmanuel-macron-libanon-besuch-beirut-explosion-krise , Zugriff 1.9.2020
Rückkehr
Laut dem deutschen Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen aus Deutschland abgeschobene libanesische Staatsangehörige aus diesem Grund eine diskriminierende Behandlung in Libanon erfahren haben. Sie werden – wie alle Einreisenden – von den Sicherheitsbehörden überprüft. Ein besonderes staatliches Interesse an dieser Personengruppe ist nicht erkennbar. Bisher ist auch kein Fall bekannt geworden, in dem die unfreiwillige Rückkehr eines abgelehnten Asylbewerbers staatliche Repressionsmaßnahmen ausgelöst hätte. In Abwesenheit verurteilte Personen werden bei der Einreise in Strafhaft genommen und verbüßen die verhängte Haftstrafe. Sie haben unmittelbar nach Haftantritt die Möglichkeit, die Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen. Das Verfahren wird vollständig neu durchgeführt, und es gilt das Verschlechterungsverbot. In diesen Fällen sind keine Vorwürfe von Folter oder Misshandlung bekannt geworden (AA 24.1.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (24.1.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: November 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025311/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_November_2019%29%2C_24.01.2020.pdf , Zugriff 20.6.2020
COVID-19 Hinweis:
Derzeit herrscht weltweit die als COVID-19 bezeichnete Pandemie. COVID-19 wird durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte. In Ihrem Herkunftsstaat Libanon wurden bisher 618.580 Fälle von mit diesem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei bisher 8.240 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden (https://coronavirus.jhu.edu/map.html , abgerufen am 21.09.2021).
Wie gefährlich der Erreger SARS-CoV-2 ist, kann derzeit noch nicht genau beurteilt werden. Man geht aber von einer Sterblichkeitsrate von bis zu drei Prozent aus, wobei v.a. alte Menschen und immungeschwächte Personen betroffen sind (https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus---Haeufig-gestellte-Fragen.html , abgerufen am 21.09.2021).
2. Beweiswürdigung:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:
- Einsicht in die Verwaltungsakte des BFA betreffend die Beschwerdeführerin, ihre Eltern und ihre Geschwister sowie in die diesbezüglichen hg. Akte;
- Einsicht in die vom BFA in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen betreffend die allgemeine Lage im Libanon;
- Einsicht in die Geburtsurkunde der Beschwerdeführerin, ausgestellt vom Standesamt XXXX .
2.1. Zum Verfahrensgang:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akteninhalt.
2.2. Die Feststellungen hinsichtlich der Staatsangehörigkeit, der Identität der Beschwerdeführerin sowie hinsichtlich ihrer familiären Situation in Österreich ergeben sich aus dem Akteninhalt und der in Vorlage gebrachten Geburtsurkunde.
Die Feststellungen zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu den privaten Verhältnissen der Beschwerdeführerin und ihren familiären Anknüpfungspunkten im Libanon gründen sich auf die glaubwürdigen Angaben ihrer Eltern.
Die Feststellungen zu den Asylverfahren und den Aufenthaltsstatus der Eltern und der Geschwister der Beschwerdeführerin stützen sich auf die Akteninhalte und die diesbezüglich ergangenen behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen.
2.3. Das BFA hat ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst.
Die belangte Behörde ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführerin weder der Status einer Asylberechtigten noch der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen waren.
Ebenso ist die belangte Behörde nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet dem persönlichen Interesse der Beschwerdeführerin am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt, zumal eine Abschiebung der minderjährigen Beschwerdeführerin ausnahmslos nur im Familienverband gemeinsam mit ihren Eltern und ihren beiden ebenfalls minderjährigen Geschwistern zulässig ist.
Die belangte Behörde ist des Weiteren auch nach Abwägung aller dargelegten persönlichen Umstände der Beschwerdeführerin zu Recht davon ausgegangen, dass ihr ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht zu erteilen ist.
Schließlich sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG getroffene Feststellung keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung in den Libanon unzulässig wäre und entspricht die in Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides festgelegte Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung § 55 Abs. 2 erster Satz FPG.
Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich einerseits den diesbezüglichen Ausführungen des BFA im gegenständlich angefochtenen Bescheid vollinhaltlich an und tritt andererseits dem Verfahrensergebnis vollinhaltlich bei.
Insgesamt gesehen vermochte es die Vertretung der Beschwerdeführerin mit gegenständlicher Beschwerde insbesondere mit den in den Raum gestellten Behauptungen – die Lage im Libanon sei für Kinder katastrophal; die Beschwerdeführerin würde Opfer von Kinderarbeit werden; die Beschwerdeführerin habe keine Möglichkeit eine Schulbildung oder medizinische Versorgung zu erhalten – nicht, der schlüssigen und nachvollziehbaren Beweiswürdigung des BFA fundiert entgegenzutreten.
Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungsrelevante Sachverhalt wurde von der belangten Behörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben, der immer noch die gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die belangte Behörde hat auch die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in der angefochtenen Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt und teilt das hier entscheidende Gericht auch die tragenden Erwägungen der Beweiswürdigung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid. In gegenständlicher Beschwerde wurde kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet, der nicht vom Neuerungsverbot des § 20 BFA-VG umfasst ist.
Der von der belangten Behörde festgestellte Sachverhalt wurde in gegenständlicher Beschwerde nicht fundiert bestritten. So wurde den Eltern der Beschwerdeführerin vom BFA ausreichend Gelegenheit gegeben im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme sämtliche Gründe für die Antragstellung auf internationalen Schutz betreffend die Beschwerdeführerin vorzubringen. Aus diesem Grund war auch dem Antrag auf Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung nicht zu folgen.
2.4. Zur Lage im Herkunftsstaat
Die vom BFA getroffenen Länderfeststellungen basieren auf mannigfaltigen Quellen, denen keine Voreingenommenheit unterstellt werden kann. Diesen Länderfeststellungen wurde in gegenständlicher Beschwerde nicht in qualifizierter Form entgegengetreten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
3.1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.
3.2. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:
3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG hat die Behörde einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK droht. Darüber hinaus darf keiner der in § 6 Abs. 1 AsylG genannten Ausschlussgründe vorliegen, andernfalls der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden kann.
Nach Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).
Im Hinblick auf die Neufassung des § 3 AsylG 2005 im Vergleich zu § 7 AsylG 1997 wird festgehalten, dass die bisherige höchstgerichtliche Judikatur zu den Kriterien für die Asylgewährung in Anbetracht der identen Festlegung, dass als Maßstab die Feststellung einer Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK gilt, nunmehr grundsätzlich auch auf § 3 Abs. 1 AsylG 2005 anzuwenden ist.
Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334). Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen (vgl. VwGH 21.09.2000, Zl. 2000/20/0241; VwGH 14.11.1999, Zl. 99/01/0280). Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 19.04.2001, Zl. 99/20/0273; VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334). Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233; VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).
3.2.2. Für die Beschwerdeführerin wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht, weshalb die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des bekämpften Bescheides als unbegründet abzuweisen war.
3.3. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:
3.3.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.
Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.
Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat gemäß § 8 Abs. 3a AsylG eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.
Somit ist vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zl. 95/18/0049; 05.04.1995, Zl. 95/18/0530; 04.04.1997, Zl. 95/18/1127; 26.06.1997, ZI. 95/18/1291; 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).
Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).
Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen ("a sufficiently real risk") im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560).
Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird – auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören –, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Staates in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; 08.06.2000, Zl. 99/20/0203; 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Selbst wenn infolge von Bürgerkriegsverhältnissen letztlich offen bliebe, ob überhaupt noch eine Staatsgewalt bestünde, bliebe als Gegenstand der Entscheidung nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Frage, ob stichhaltige Gründe für eine Gefährdung des Fremden in diesem Sinne vorliegen (vgl. VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203).
Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (vgl. VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 81ff).
Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Unter "außergewöhnlichen Umständen" können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443; 13.11.2001, Zl. 2000/01/0453; 09.07.2002, Zl. 2001/01/0164; 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059). Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr ("real risk") – die bloße Möglichkeit genügt nicht – damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137).
3.3.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG nicht gegeben sind.
Dass die Beschwerdeführerin im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden.
Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um ein Kleinkind im Alter von sieben Monaten.
Bei den Eltern der Beschwerdeführerin handelt es sich um arbeitsfähige, junge Erwachsene, bei denen die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Die Eltern der Beschwerdeführerin verfügen über eine mehrjährige Schulbildung, über eine Berufserfahrung als Fleischhauer, Verkäufer und Verkäuferin, Installateur sowie Sicherheitskraft bzw. Wachmann und ist in deren Verfahren nicht hervorgekommen, dass sie nicht arbeitsfähig sind. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die Eltern der Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat grundsätzlich in der Lage sein werden, für sich, für die Beschwerdeführerin und für die beiden minderjährigen Geschwister der Beschwerdeführerin ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführerin und deren Eltern und Geschwister nach wie vor über familiäre Anknüpfungspunkte in ihrer Heimatregion verfügen, wobei die im Libanon lebenden Familienmitglieder der Beschwerdeführerin die Familie der Beschwerdeführerin bei ihrer Rückkehr sowohl wirtschaftlich als auch sozial unterstützen können.
Es kann auch nicht erkannt werden, dass der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in den Libanon die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. hiezu grundlegend VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059), haben doch die Eltern der Beschwerdeführerin in deren Verfahren selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihnen im Falle einer Rückführung in den Libanon jegliche Existenzgrundlage fehlen würde und sie in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wären.
Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde (vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 18.07.2003, 2003/01/0059), liegt nicht vor.
Letztlich war zu berücksichtigen, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um ein Kleinkind im Alter von sieben Monaten handelt, weshalb die Behauptung, dass sie im Falle einer Rückkehr Opfer von Kinderarbeit sein würde oder sie keine Möglichkeit einer angemessenen Bildung haben würde, im Entscheidungszeitpunkt nicht zutrifft.
3.3.3. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde die Beschwerdeführerin somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 und Nr. 13 verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte. Dasselbe gilt für die reale Gefahr, der Todesstrafe unterworfen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für die Beschwerdeführerin als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.
Auch im Hinblick auf die weltweite Ausbreitung des COVID-19 Virus kann unter Zugrundelegung der medial ausführlich kolportierten Entwicklungen auch im Libanon bislang keine derartige Entwicklung erkannt werden, die diesbezüglich eine Gefährdung nach Art. 3 EMRK erkennen lässt (zu den aktuellen Zahlen vgl. WHO COVID-19, Global Lebanon, vom 18.01.2022, https://covid19.who.int/region/emro/country/lb ). Unabhängig davon liegen sowohl im Hinblick auf das Alter als auch den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin keine Anhaltspunkte vor, wonach sie bei einer allfälligen COVID-19 Infektion zu einer Hoch-Risikogruppe zählen würde.
Aus diesen Gründen war die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 8 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.
3.4. Zu Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides:
3.4.1. Gesetzliche Grundlagen:
Gemäß § 10 AsylG 2005 wird Folgendes normiert:
"§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,
der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird
und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.
(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.
(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt."
Der mit "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" betitelte § 57 AsylG 2005 lautet wie folgt:
"§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:
wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.
(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.
(4) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können."
Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG lautet wie folgt:
"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
der Grad der Integration,
die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(4) (Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.
(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."
Gemäß § 58 AsylG 2005, Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln, wird wie folgt normiert:
"§ 58. (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn
der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,
einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder
ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.
(2) Das Bundesamt hat einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wurde. § 73 AVG gilt.
(3) Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.
(4) Das Bundesamt hat den von Amts wegen erteilten Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 oder 57 auszufolgen, wenn der Spruchpunkt (Abs. 3) im verfahrensabschließenden Bescheid in Rechtskraft erwachsen ist. Abs. 11 gilt.
(5) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 sowie auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 sind persönlich beim Bundesamt zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter einzubringen.
(6) Im Antrag ist der angestrebte Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 bis 57 genau zu bezeichnen. Ergibt sich auf Grund des Antrages oder im Ermittlungsverfahren, dass der Drittstaatsangehörige für seinen beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel benötigt, so ist er über diesen Umstand zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt.
(7) Wird einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 stattgegeben, so ist dem Fremden der Aufenthaltstitel auszufolgen. Abs. 11 gilt.
(8) Wird ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 zurück- oder abgewiesen, so hat das Bundesamt darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.
(9) Ein Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach diesem Hauptstück ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Drittstaatsangehörige
sich in einem Verfahren nach dem NAG befindet,
bereits über ein Aufenthaltsrecht nach diesem Bundesgesetz oder dem NAG verfügt oder
gemäß § 95 FPG über einen Lichtbildausweis für Träger von Privilegien und Immunitäten verfügt oder gemäß § 24 FPG zur Ausübung einer bloß vorübergehenden Erwerbstätigkeit berechtigt ist
soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt. Dies gilt auch im Falle des gleichzeitigen Stellens mehrerer Anträge.
(10) Anträge gemäß § 55 sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§ 56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.
(11) Kommt der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nach, ist
das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels (Abs. 4) ohne weiteres einzustellen oder
der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen.
Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren.
(12) Aufenthaltstitel dürfen Drittstaatsangehörigen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, nur persönlich ausgefolgt werden. Aufenthaltstitel für unmündige Minderjährige dürfen nur an deren gesetzlichen Vertreter ausgefolgt werden. Anlässlich der Ausfolgung ist der Drittstaatsangehörige nachweislich über die befristete Gültigkeitsdauer, die Unzulässigkeit eines Zweckwechsels, die Nichtverlängerbarkeit der Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 und 56 und die anschließende Möglichkeit einen Aufenthaltstitel nach dem NAG zu erlangen, zu belehren.
(13) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 begründen kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Sie können daher in Verfahren nach dem 7. und 8. Hauptstück des FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten. Bei Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 hat das Bundesamt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag jedoch mit der Durchführung der einer Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn
ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung erst nach einer Antragstellung gemäß § 56 eingeleitet wurde und
die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Z 1, 2 und 3 jedenfalls vorzuliegen haben."
Der mit "Rückkehrentscheidung" betitelte § 52 FPG lautet wie folgt:
"§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich
nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder
nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.
(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,
dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird
und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.
(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels, Einreisetitels oder der erlaubten visumfreien Einreise entgegengestanden wäre,
ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder
das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.
Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt – EU" verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.
(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.
(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.
(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.
(9) Das Bundesamt hat mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.
(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.
(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde."
3.4.2. Es liegen keine Umstände vor, dass der Beschwerdeführerin allenfalls von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) zu erteilen gewesen wäre, und wurde diesbezüglich in der Beschwerde auch nichts vorgebracht.
3.4.3. Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.
Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer "Familie" voraussetzt. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern bzw. von verheirateten Ehegatten, sondern auch andere nahe verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine hinreichende Intensität für die Annahme einer familiären Beziehung iSd. Art. 8 EMRK erreichen. Der EGMR unterscheidet in seiner Rechtsprechung nicht zwischen einer ehelichen Familie (sog. "legitimate family" bzw. "famille légitime") oder einer unehelichen Familie ("illegitimate family" bzw. "famille naturelle"), sondern stellt auf das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens ab (siehe EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 454; 18.12.1986, Johnston u.a., EuGRZ 1987, 313; 26.05.1994, Keegan, EuGRZ 1995, 113; 12.07.2001 [GK], K. u. T., Zl. 25702/94; 20.01.2009, Serife Yigit, Zl. 03976/05). Als Kriterien für die Beurteilung, ob eine Beziehung im Einzelfall einem Familienleben iSd. Art. 8 EMRK entspricht, kommen tatsächliche Anhaltspunkte in Frage, wie etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Art und die Dauer der Beziehung sowie das Interesse und die Bindung der Partner aneinander, etwa durch gemeinsame Kinder, oder andere Umstände, wie etwa die Gewährung von Unterhaltsleistungen (EGMR 22.04.1997, X., Y. und Z., Zl. 21830/93; 22.12.2004, Merger u. Cros, Zl. 68864/01). So verlangt der EGMR auch das Vorliegen besonderer Elemente der Abhängigkeit, die über die übliche emotionale Bindung hinausgeht (siehe Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 [2008] 197 ff.). In der bisherigen Spruchpraxis des EGMR wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Europäischen Kommission für Menschenrechte auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).
Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007, Zl. B 328/07 und Zl. B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In den zitierten Entscheidungen wurden vom VfGH auch unterschiedliche – in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) fallbezogen entwickelte – Kriterien aufgezeigt, die in jedem Einzelfall bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:
Die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.09.2004, Ghiban, Zl. 11103/03, NVwZ 2005, 1046), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.06.2002, Al-Nashif, Zl. 50963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.04.1997, X, Y und Z, Zl. 21830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 04.10.2001, Adam, Zl. 43359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Slivenko, Zl. 48321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Sisojeva, Zl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124), die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 11.04.2006, Useinov, Zl. 61292/00), sowie auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 05.09.2000, Solomon, Zl. 44328/98; 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07).
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567; 21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99; 23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00).
In Ergänzung dazu verleiht weder die EMRK noch ihre Protokolle das Recht auf politisches Asyl (EGMR 30.10.1991, Vilvarajah ua., Zl. 13163/87 ua.; 17.12.1996, Ahmed, Zl. 25964/94; 28.02.2008 [GK] Saadi, Zl. 37201/06).
Hinsichtlich der Rechtfertigung eines Eingriffs in die nach Art. 8 EMRK garantierten Rechte muss der Staat ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Einzelnen und jenen der Gesellschaft schaffen, wobei er in beiden Fällen einen gewissen Ermessensspielraum hat. Art. 8 EMRK begründet keine generelle Verpflichtung für den Staat, Einwanderer in seinem Territorium zu akzeptieren und Familienzusammenführungen zuzulassen. Jedoch hängt in Fällen, die sowohl Familienleben als auch Einwanderung betreffen, die staatliche Verpflichtung, Familienangehörigen von ihm Staat Ansässigen Aufenthalt zu gewähren, von der jeweiligen Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse ab. Von Bedeutung sind dabei das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben, der Umfang der Beziehungen zum Konventionsstaat, weiters ob im Ursprungsstaat unüberwindbare Hindernisse für das Familienleben bestehen, sowie ob Gründe der Einwanderungskontrolle oder Erwägungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung für eine Ausweisung sprechen. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07, mwN; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, Zl. 28770/05; 14.02.2012, Antwi u. a., Zl. 26940/10).
Die Ausweisung eines Fremden, dessen Aufenthalt lediglich auf Grund der Stellung von einem oder mehreren Asylanträgen oder Anträgen aus humanitären Gründen besteht, und der weder ein niedergelassener Migrant noch sonst zum Aufenthalt im Aufenthaltsstaat berechtigt ist, stellt in Abwägung zum berechtigten öffentlichen Interesse einer wirksamen Einwanderungskontrolle keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Privatleben dieses Fremden dar, wenn dessen diesbezüglichen Anträge abgelehnt werden, zumal der Aufenthaltsstatus eines solchen Fremden während der ganzen Zeit des Verfahrens als unsicher gilt (EGMR 08.04.2008, Nnyanzi, Zl. 21878/06).
Aufenthaltsbeendende Maßnahmen beeinträchtigt das Recht auf Privatsphäre eines Asylantragstellers dann in einem Maße, der sie als Eingriff erscheinen lässt, wenn über jemanden eine Ausweisung verhängt werden soll, der lange in einem Land lebt, eine Berufsausbildung absolviert, arbeitet und soziale Bindungen eingeht, ein Privatleben begründet, welches das Recht umfasst, Beziehungen zu anderen Menschen einschließlich solcher beruflicher und geschäftlicher Art zu begründen (Wiederin in Korinek/Holoubek, Bundesverfassungsrecht, 5. Lfg., 2002, Rz 52 zu Art 8 EMRK).
Nach der Rechtsprechung des EGMR (EGMR 08.04.2008, Nnyanzi v. the United Kingdom, 21878/06 bzgl. einer ugandischen Staatsangehörigen die 1998 einen Asylantrag im Vereinigten Königreich stellte) ist im Hinblick auf die Frage eines Eingriffes in das Privatleben maßgeblich zwischen niedergelassenen Zuwanderern, denen zumindest einmal ein Aufenthaltstitel erteilt wurde und Personen, die lediglich einen Asylantrag gestellt haben und deren Aufenthalt somit bis zur Entscheidung im Asylverfahren unsicher ist, zu unterscheiden (im Falle der Beschwerdeführerin Nnyanzi wurde die Abschiebung nicht als ein unverhältnismäßiger Eingriff in ihr Privatleben angesehen, da von einem grundsätzlichen Überwiegen des öffentlichen Interesses an einer effektiven Zuwanderungskontrolle ausgegangen wurde).
Nach der Rechtsprechung des EGMR (vgl. aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Ausländern kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat, unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (zB. eine Ausweisungsentscheidung) auch in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in einem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).
Bei der vorzunehmenden Interessensabwägung ist zwar nicht ausschlaggebend, ob der Aufenthalt des Fremden zumindest vorübergehend rechtmäßig war (EGMR 16.09.2004, Ghiban / BRD; 07.10.2004, Dragan / BRD; 16.06.2005, Sisojeva u.a. / LV), bei der Abwägung jedoch in Betracht zu ziehen (vgl. VfGH 17.03.2005, G 78/04; EGMR 08.04.2008, Nnyazi / GB). Eine langjährige Integration ist zu relativieren, wenn der Aufenthalt auf rechtsmissbräuchlichem Verhalten, insbesondere etwa die Vortäuschung eines Asylgrundes (vgl VwGH 2.10.1996, 95/21/0169), zurückzuführen ist (VwGH 20.12.2007, 2006/21/0168). Darüber hinaus sind auch noch Faktoren wie etwa Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, sowie der Grad der Integration welcher sich durch Intensität der Bindungen zu Verwandten und Freunden, Selbsterhaltungsfähigkeit, Schulausbildung bzw. Berufsausbildung, Teilnahme am sozialen Leben, Beschäftigung manifestiert, aber auch die Bindungen zum Herkunftsstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, bei der Abwägung in Betracht zu ziehen (VfGH 29.09.2007, B1150/07 unter Hinweis und Zitierung der EGMR-Judikatur).
Gemäß der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 07.10.2010, B 950/10 sind betreffend die Frage der Integration einer Familie in Österreich insbesondere die Aufenthaltsdauer der Familie in Österreich, ein mehrjähriger Schulbesuch von minderjährigen Kindern, gute Deutschkenntnisse und eine sehr gute gesellschaftliche Integration der gesamten Familie zu berücksichtigen.
Es ist weiters als wesentliches Merkmal zu berücksichtigen, wenn – anders als in Fällen, in denen die Integration auf einem nur durch Folgeanträge begründeten unsicheren Aufenthaltsstatus basierte (vgl. zB VfGH 12.6.2010, U614/10) – die Integration der Beschwerdeführer während eines einzigen Asylverfahrens (dessen Dauer im durch den Verfassungsgerichtshof entschiedenen Fall sieben Jahre betrug), welches nicht durch eine schuldhafte Verzögerung durch den Beschwerdeführer und seine Familie geprägt war, erfolgte.
Bei der Abwägung der betroffenen Rechtsgüter zur Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes ist immer auf die besonderen Umstände des Einzelfalls im Detail abzustellen. Eine Ausweisung hat daher immer dann zu unterbleiben, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.
3.4.4. In Österreich lebt – außer den Eltern und den Geschwistern der Beschwerdeführerin, die über kein Aufenthaltsrecht für Österreich verfügen – ein Großonkel der Beschwerdeführerin. Mit diesem besteht kein gemeinsamer Wohnsitz. Für die Beschwerdeführerin wurde auch kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis zum Großonkel vorgebracht.
In Abwägung der erörterten Umstände, insbesondere der fehlenden Abhängigkeitsverhältnisse (siehe dazu VwGH 29.11.2017, Ra 2017/18/0425) sowie angesichts eines nicht bestehenden gemeinsamen Wohnsitzes, ist daher von keinem schützenswerten Familienleben iSd Art. 8 EMRK auszugehen.
Ein schützenswertes Familienleben der Beschwerdeführerin liegt somit nicht vor und ist somit zu prüfen, ob mit der Ausweisung ein Eingriff in deren Privatleben einhergeht.
Die Beschwerdeführerin wurde am 03.06.2021 in Österreich geboren und wurde für sie in der Folge ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Sie ist somit seit ungefähr sieben Monate als Asylwerberin in Österreich aufhältig.
Vor diesem Hintergrund kann auch von einer nachhaltigen Integration der Beschwerdeführerin in Österreich nicht ausgegangen werden.
Soweit Kinder von einer Ausweisung betroffen sind, sind nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen (vgl. EGMR U 18.10.2006, Üner gegen Niederlande, Nr. 46.410/99; GK 6.7.2010, Neulinger und Shuruk gegen Schweiz, Nr. 1615/07). Maßgebliche Bedeutung hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dabei den Fragen beigemessen, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter ("adaptable age"; vgl. EGMR U 31.7.2008, Darren Omoregie ua. gegen Norwegen, Nr. 265/07; U 17.2.2009, Onur gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 27.319/07; siehe dazu auch VwGH 17.12.2007, Zlen. 2006/01/0216 bis 0219) befinden.
Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um ein Kleinkind im Alter von sieben Monaten. Die Beschwerdeführerin wurde in Österreich geboren und verbrachte sie ihr gesamtes Leben im Bundesgebiet. Die Beschwerdeführerin hat daher keinen persönlichen Bezug zum Libanon, obwohl mit einem Erwerb der arabischen Sprache im Wege der Eltern gerechnet werden kann bzw. muss. Im Libanon verfügen die Beschwerdeführerin und ihre Geschwister sowie ihre Eltern zudem über Bezugspersonen in Form ihrer Angehörigen (Großeltern und Onkel und Tanten bzw. Eltern und Geschwister). Aus der Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes deutet auch nichts darauf hin, dass es der Beschwerdeführerin in Begleitung ihrer Eltern im Falle einer Rückkehr in den Libanon nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft zu integrieren – dies insbesondere aufgrund des noch sehr jungen Alters der Beschwerdeführerin, in dem die Erkundung der Umgebung und der Spracherwerb erst künftig im Zentrum des Interesses und der kindlichen Entwicklung stehen werden. Zudem würde die Nichterlassung einer Rückkehrentscheidung hinsichtlich der Beschwerdeführerin zum Ergebnis führen, dass diese von ihren Eltern und ihren Geschwistern, die über kein Aufenthaltsrecht für Österreich verfügen, zumal die gegen sie erlassenen Rückkehrentscheidungen in Rechtskraft erwachsen sind, getrennt würden. Die gebotene Berücksichtigung des Kindeswohles führt daher nicht zu einer Unverhältnismäßigkeit der Rückkehrentscheidung, zumal sich die Beschwerdeführerin in einem anpassungsfähigen Alter befindet, ihr ihre wichtigsten Bezugspersonen (Eltern und Geschwister) erhalten bleiben und ein alleiniger Verbleib der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet die erwähnten ungünstigen Auswirkungen zeitigten würde, was nicht dem Kindeswohl entsprechen würde.
Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde daher zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet den persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt.
Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen und auch in der Beschwerde nicht substantiiert vorgebracht worden, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre. Die belangte Behörde ist des Weiteren auch nach Abwägung aller dargelegten persönlichen Umstände zu Recht davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG von Amts wegen nicht zu erteilen ist. Schließlich sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs. 9 iVm § 46 FPG getroffenen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin in den Libanon unzulässig wäre.
3.4.5. Die in Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides festgelegte Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung entspricht § 55 Abs. 2 FPG. Dass besondere Umstände, die für die Beschwerdeführerin bei der Regelung der persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen wären, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidungen geführt haben, überwiegen würden, wurde nicht vorgebracht.
Da alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung und die gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise vorliegen, war die Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.
3.5. Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt ist, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.
Im gegenständlichen Fall ist dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes und ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durch die belangte Behörde vorangegangen. Für die in der Beschwerde behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens ergeben sich aus der Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr wurde den Grundsätzen der Amtswegigkeit, der freien Beweiswürdigung, der Erforschung der materiellen Wahrheit und des Parteiengehörs entsprochen. So ist die belangte Behörde ihrer Ermittlungspflicht durch detaillierte Befragung sowie mehrmalige Belehrung der beschwerdeführenden Partei bzw. deren gesetzlichen Vertreter über ihre Mitwirkungspflichten nachgekommen. Der Sachverhalt wurde nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung des BFA festgestellt und es wurde in der Beschwerde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet.
Der Verfassungsgerichtshof hat sich (anlässlich von Beschwerden gegen Entscheidungen des Asylgerichtshofes) mit der EU-Grundrechte-Charta (GRC) ausführlich in den Entscheidungen zu U 466/11-18 und U 1836/11-13, beide vom 14. März 2012 auseinandergesetzt. Auf das Wesentliche zusammengefasst gilt demnach in Verfahren, in denen Unionsrecht eine Rolle spielt, die EU-Grundrechte-Charta wie die Verfassung und sind Grundrechte, die durch diese EU-Charta garantiert sind, gleichsam verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte, die vor dem Verfassungsgerichtshof geltend gemacht werden können. Der Verfassungsgerichtshof brachte aber im Zuge dieser Entscheidungen auch zum Ausdruck, dass er vor dem Hintergrund der in diesen Entscheidungen zitierten Rechtsprechung des EGMR weder Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des nunmehr durch § 21 Abs. 7 BFA-VG ersetzten und gleichlautenden § 41 Abs. 7 AsylG 2005 hegt, noch habe der Asylgerichtshof der Bestimmung durch das Absehen von der Verhandlung in den Anlassfällen einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt. Demnach steht das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen tatsachenwidrig ist, im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde.
Das Bundesverwaltungsgericht erachtet diese Voraussetzungen als erfüllt, da die Betrachtung des von der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens nicht den geringsten Zweifel an der fehlenden Asylrelevanz der Angaben der beschwerdeführenden Partei bzw. deren gesetzlichen Vertreter zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates aufkommen lässt und auch in der Beschwerde keine Angaben gemacht wurden, die geeignet gewesen wären, diese Betrachtung zu entkräften oder die Beurteilung der belangten Behörde zweifelhaft erscheinen zu lassen. Daran ändert auch ein in der Beschwerde gestellter Antrag nichts, eine mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl. VwGH 17.10.2006, Zl. 2005/20/0329; 23.11.2006, Zl. 2005/20/0406; 23.11.2006, Zl. 2005/20/0477; 23.11.2006, Zl. 2005/20/0517; 23.11.2006, Zl. 2005/20/0551; 23.11.2006, Zl. 2005/20/0579). Mit der Behauptung, der Mutter bzw. den Eltern der Beschwerdeführerin sei vom BFA nicht ausreichend die Möglichkeit eingeräumt worden, den Sachverhalt vorzubringen, wird zwar Bescheides bestritten, dass der gesamte Sachwalter festgestellt worden sei, jedoch genügt wie im gegenständlichen Fall eine bloße – d.h. nicht konkrete und nicht substantiierte – Bestreitung des Sachverhaltes und der Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht, um mit dieser Behauptung durchzudringen und die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung zu erreichen.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
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