BVwG G311 2176530-1

BVwGG311 2176530-116.6.2020

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2020:G311.2176530.1.00

 

Spruch:

G311 2176530-1/21E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva WENDLER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Irak, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.10.2017, Zahl: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.02.2020, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 30.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005.

Am 31.01.2016 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers zu seinem Antrag auf internationalen Schutz statt.

Die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten, Außenstelle Klagenfurt, fand am 12.10.2017 statt.

Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), der Antrag bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.), dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde dem Beschwerdeführer weiters eine Frist zur freiwilligen Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt IV.).

Mit dem am 10.11.2017 beim Bundesamt eingebrachten Schriftsatz vom selben Tag erhob der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Rechtsvertretung das Rechtsmittel der Beschwerde gegen den ihn betreffenden Bescheid des Bundesamtes. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen, der Beschwerde stattgeben und dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten, allenfalls des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen; in eventu die Rückkehrentscheidung sowie den Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung aufheben und dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 55, 57 AsylG erteilen.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und sind am 15.11.2017 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

Mit am 05.01.2018 beim Bundesverwaltungsgericht einlangender Beschwerdenachreichung des Bundesamtes vom 03.01.2018 wurde ein Bericht der Landespolizeidirektion (LPD) XXXX vom 01.01.2018 über den Verdacht der vom Beschwerdeführer begangenen sexuellen Belästigung weitergeleitet.

Am 26.02.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine vom Bundesamt weitergeleitete Meldung der LPD vom 22.02.2018 über die erfolgte Anzeige des Beschwerdeführers wegen sexueller Belästigung bei der zuständigen Staatsanwaltschaft ein.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX , XXXX , rechtskräftig am XXXX .2019 wurde der Beschwerdeführer wegen sexueller Belästigung und öffentlicher geschlechtlicher Handlung gemäß § 218 Abs. 1a StGB zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je EUR 4,00 (gesamt daher EUR 400,00) und im Uneinbringlichkeitsfall zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 50 Tagen verurteilt.

Mit Schreiben vom 29.01.2020, beim Bundesverwaltungsgericht am 30.01.2020 einlangend, wurde seitens des Beschwerdeführers beantragt, seine Lebensgefährtin im Zuge der anberaumten mündlichen Beschwerdeverhandlung als Zeugin zu vernehmen. Weiters wurden Unterlagen zur selbstständigen Tätigkeit des Beschwerdeführers in Österreich, Empfehlungsschreiben und Teilnahmebestätigungen zu Kursen vorgelegt.

Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.02.2020 wurden der bevollmächtigten Rechtsvertretung des Beschwerdeführers und dem Bundesamt zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung ein Konvolut von aktuellen und relevanten Länderberichten zum Irak zur Kenntnisnahme übermittelt und zugleich die Möglichkeit der Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung oder der mündlichen Stellungnahme im Rahmen der mündlichen Verhandlung eingeräumt.

Mit am 10.02.2020 beim Bundesverwaltungsgericht einlangender Urkundenvorlage wurden ergänzende Unterlagen zum Nachweis der Integration des Beschwerdeführers vorgelegt.

Mit Beschwerdenachreichung vom 12.02.2020 wurde dem Bundesverwaltungsgericht vom Bundesamt das gegen den Beschwerdeführer ergangene Strafurteil des Bezirksgerichtes XXXX sowie die dazu ergangene Rechtsmittelentscheidung des Landesgerichtes XXXX vorgelegt.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 14.02.2020 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer, seine Rechtsvertretung sowie in Dolmetscher für die Sprache Arabisch teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung. Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers wurde als Zeugin einvernommen. Das Bundesverwaltungsgericht führte im Zuge der mündlichen Verhandlung zu den dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde vorab übermittelten Länderberichten noch aktuelle Zeitungsberichte in das Verfahren ein.

Auf die Fortsetzung der Verhandlung und die mündliche Verkündung der Entscheidung wurde verzichtet. Dem Beschwerdeführer vom Gericht die Möglichkeit eingeräumt, bis 28.02.2020 bei Gericht einlangend schriftliche Schlussausführungen zu erstatten.

Am 02.03.2020 langte eine schriftliche Stellungnahme des Beschwerdeführers samt seinerseits ergänzend vorgelegter Zeitungsartikel beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 20.04.2020 wurden dem Beschwerdeführer aktuelle Berichte bezogen auf die COVID-19 Situation im Nahen Osten bzw. im Irak zur Stellungahme bis 01.05.2020 übermittelt.

Eine schriftliche Stellungnahme langte am 30.04.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum moslemischen Glauben schiitischer Ausrichtung. Seine Muttersprache ist Arabisch (vgl etwa Erstbefragung vom 31.01.2016, AS 1 ff; Niederschrift Bundesamt vom 12.10.2017, AS 27 ff; Kopie irakischer Personalausweis, AS 43 f; Kopie irakischer Staatsbürgerschaftsnachweis, AS 41; Verhandlungsprotokoll vom 14.02.2020, S 2 ff).

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Geboren und aufgewachsen ist der Beschwerdeführer in Bagdad. Er hat dort sechs Jahre die Grundschule und drei Jahre die Mittelschule besucht, aber keinen höheren Schulabschluss erreicht. Die Schule brach er wegen der Ermordung des Vaters im Jahr 2009 ab, jobbte dann in verschiedenen Berufsrichtungen und erlernte schließlich den Beruf des Frisörs als Hilfsarbeiter. Mit einem seiner Brüder investierte der Beschwerdeführer auch in ein Taxi und waren beide gemeinsam auch als Taxifahrer berufstätig. Der Beschwerdeführer lebte – bis auf einen kurzen Aufenthalt in Kairo/Ägypten während der Konfessionskriege zwischen 2006 und 2008 – durchgehend in Bagdad oder nahgelegenen Orten (vgl Niederschrift Bundesamt vom 12.10.2017, AS 31 f; Verhandlungsprotokoll vom 14.02.2020, S 4 ff).

Der Vater des Beschwerdeführers verstarb 2009. Der Beschwerdeführer vermutet, dass er von Milizen ermordet wurde, da der Vater als Mechaniker für die US-Amerikaner in Abu Ghraib gearbeitet hatte. Der Beschwerdeführer hat noch zwei Brüder, wobei einer bereits verheiratet ist, und zwei Schwestern. Diese leben alle gemeinsam nach einem vorübergehenden Aufenthalt in der Türkei bzw. einem Flüchtlingslager in Erbil, wieder in Bagdad in einer gemieteten Wohnung. Der Beschwerdeführer hat weiters einen Onkel, der in XXXX lebt, und hat – sofern die Familie über einen funktionierenden Internetzugang verfügt – regelmäßig Kontakt zur Familie in Bagdad (vgl Niederschrift Bundesamt vom 12.10.2017, AS 30 ff; Verhandlungsprotokoll vom 14.02.2020, S 5 ff, S 11 und 14).

Der Beschwerdeführer reiste am 19.01.2016 legal auf dem Luftweg von Bagdad nach Istanbul/Türkei. Von dort aus reiste der Beschwerdeführer teils selbstständig, teils schlepperunterstützt über Griechenland und weitere dem Beschwerdeführer nicht bekannte Länder, darunter aber jedenfalls Slowenien, bis nach Österreich, wo er den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte (vgl Erstbefragung vom 31.01.2016, AS 3 ff; Niederschrift Bundesamt vom 12.10.2017, AS 32 f; Kopie des Flugtickets, AS 49; Kopie eines türkischen B1-Visums, gültig von 16.01.2016-13.07.2016 für 30 Tage, AS 53; Kopie eines slowenischen Polizeiberichts vom 29.01.2016, AS 51). Er hält sich seit seiner Asylantragsstellung ununterbrochen im Bundesgebiet auf und verfügt hier seit 10.02.2016 über durchgehende Meldungen von Hauptwohnsitzen. Seit 10.09.2019 ist der Beschwerdeführer bei seiner Lebensgefährtin mit Hauptwohnsitz gemeldet (vgl Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 30.03.2020).

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Er leidet an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen im Endstadium, die im Irak nicht behandelbar wären (vgl Niederschrift Bundesamt vom 12.10.2017, AS 28; Verhandlungsprotokoll vom 14.02.2020, S 4).

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX .2018, XXXX , rechtskräftig am XXXX .2019, wurde der Beschwerdeführer nach Teilstattgabe seiner Strafberufung durch das Landesgericht XXXX mit Urteil vom XXXX .2019, XXXX , wegen sexueller Belästigung und öffentlicher geschlechtlicher Handlung gemäß § 218 Abs. 1a StGB zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je EUR 4,00 (gesamt daher EUR 400,00) und im Uneinbringlichkeitsfall zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 50 Tagen verurteilt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 01.01.2018 im Zuge einer Silvesterparty in einem Nachtlokal in erheblich alkoholisierten Zustand (etwa 1,2 Promille) eine Frau durch eine intensive Berührung in einer der Geschlechtssphäre zuzuordnenden Körperstelle in ihrer Würde verletzte, und zwar indem er ihren linken Oberschenkel intensiv berührte und die Hand bis zum Genitalbereich bewegte (vgl aktenkundiges Urteil vom XXXX .2018).

Der Beschwerdeführer erhob gegen das Urteil des Bezirksgerichtes „volle Berufung“. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX .2019, XXXX , wurde auf die Berufung wegen Nichtigkeit mangels Erklärung darüber, welche Nichtigkeitsgründe geltend gemacht würden und diese in der Berufung auch nicht ausgeführt wurden, keine Rücksicht genommen. Weiters führte das Landesgericht aus, dass auch die Schuldberufung ohne Erfolg bleibe, weil keine Bedenken gegen die vom Erstgericht festgestellten schulderheblichen Tatsachen und die dazu angestellten beweiswürdigenden Erwägungen bestünden. Das Erstgericht habe sich umfassend mit den ihm zur Verfügung stehenden Beweisergebnissen auseinandergesetzt und daraus anhand einwandfreier Prämissen den Gesetzen der Logik folgende Feststellungen zur objektiven und subjektiven Tatseite getroffen. Die Strafberufung führe nur deswegen zu einem Teilerfolg (Herabsetzung der Geldstrafe von ursprünglich 120 Tagessätzen bzw. 60 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe auf 100 Tagessätze bzw. 50 Tage Ersatzfreiheitsstrafe), weil die gesetzliche Urteilsausfertigungsfrist vom Erstgericht um ein Vielfaches überschritten worden sei und das Verfahren aus einem nicht vom Beschwerdeführer oder seinem Verteidiger zu vertretenden Grund unverhältnismäßig lange gedauert habe (vgl aktenkundiges Urteil vom XXXX .2019).

Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer die den zitierten strafgerichtlichen Urteilen zugrundliegende Straftat begangen und das je umschriebene Verhalten gesetzt hat.

Der Beschwerdeführer lebt mit XXXX , geboren am XXXX , österreichische Staatsangehörige, seit etwa eineinhalb Jahren in einer Beziehung und zumindest seit 10.09.2019 (Datum der Meldung des Hauptwohnsitzes) mit dieser im gemeinsamen Haushalt. Eine Heirat wird von beiden beabsichtigt. Die Lebensgefährtin arbeitet als Schmuckberaterin in einer Filiale einer Schmuckkette in XXXX und verdient monatlich netto etwa EUR 1.100,00. Er ist in das Familienleben seiner Lebensgefährtin integriert und nimmt regelmäßig an gemeinsamen Aktionen und Feiern teil. Darüber hinaus verfügt der Beschwerdeführer über keine weiteren familiären Bindungen in Österreich (vgl „Mietvereinbarung“ zwischen dem Beschwerdeführer und der Lebensgefährtin vom 01.09.2019; Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 30.03.2020; diverse aktenkundige Unterstützungsschreiben; Verhandlungsprotokoll vom 14.02.2020, S 12 f).

Der Beschwerdeführer lebte seit seiner Asylantragstellung Ende Jänner 2016 bis Mitte September 2019 von der Grundversorgung. Nunmehr ist er seit 22.07.2019 selbstständig vertretender, unbeschränkt haftender Gesellschafter (Komplementär) der „ XXXX “ (im Folgenden: KG). Der Beschwerdeführer betreibt gemeinsam mit einem weiteren Komplementär und einem Kommanditisten die KG, deren Geschäftszweig laut Firmenbuch das Führen eines Friseursalons sowie das Handeln mit Waren aller Art ist. Die KG erwirtschaftete einen Umsatz von EUR 1.363,- im Oktober 2019, von EUR 1.708,00 im November 2019 und von EUR 1.996,00 im Dezember 2019. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung verdiente der Beschwerdeführer monatlich zwischen EUR 600,00 und EUR 900,00. Davon bezahlt er der Lebensgefährtin monatlich EUR 150,00 anteilige Betriebskosten für deren Wohnung und beteiligte sich an den Kosten für die Verpflegung (vgl Grundversorgungs- und Sozialversicherungsdatenauszug vom 30.03.2020; Firmenbuchauszug zur FN XXXX vom 09.04.2020; Umsatzbestätigung der Steuerberatung; Verhandlungsprotokoll vom 14.02.2020, S 12; GISA-Abfrage vom 09.04.2020).

Im Zeitraum 03.04.2019 bis 25.07.2019 sowie seit September 2019 bis voraussichtlich Juli 2020 nahm bzw. nimmt der Beschwerdeführer an Basisbildungskursen der Volkshochschule teil (vgl aktenkundige Teilnahmebestätigung bzw. Kursbestätigung vom 28.01.2020). Weiters besucht der Beschwerdeführer seit 03.03.2019 laufend einen Deutschkurs des Niveaus A2 (vgl aktenkundige Bestätigungen vom 30.06.2019 und 03.02.2020). Eine Deutschsprachprüfung hat der Beschwerdeführer bisher nicht abgelegt. Er kann sich im Alltag auf Deutsch verständigen. Es konnte aber nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer über Deutschkenntnisse in einem den Referenzrahmen zuordenbaren Ausmaß verfügt.

Er hat weiters einen umfangreichen Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich (vgl die zahlreichen aktenkundigen Unterstützungs- und Integrationsschreiben). Hingegen konnte nicht festgestellt werden, dass sich der Beschwerdeführer in einem Verein oder einer Organisation engagiert oder ehrenamtliche Tätigkeiten ausgeübt hätte.

Insgesamt liegen jedoch keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des Beschwerdeführers in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht vor.

Der Vater des Beschwerdeführers wurde im Jahr 2009 – mutmaßlich wegen seiner Tätigkeit für das US-amerikanische Militär - getötet. Der Beschwerdeführer hatte deswegen keine persönlichen Probleme und lebte bis Ende 2015 im Irak. Ein für die Flucht des Beschwerdeführers kausaler Grund liegt diesbezüglich nicht vor (vgl Erstbefragung vom 31.01.2016, AS 7; Niederschrift Bundesamt vom 12.10.2017, AS 34 ff).

Der Beschwerdeführer ist im Irak nicht vorbestraft, hat keinerlei Probleme mit irakischen Behörden, Gerichten, der Polizei oder der Regierung. Gegen ihn besteht weder eine Fahndung, ein Haftbefehl noch eine Strafanzeige im Irak. Er war bisher niemals politisch tätig oder Mitglied einer politischen Partei und wurde weder wegen seiner Volksgruppen- noch Religionszugehörigkeit persönlich verfolgt oder bedroht (vgl insbesondere Niederschrift Bundesamt vom 12.10.2017, AS 36).

Ein konkreter Anlass oder Vorfall für das (fluchtartige) Verlassen des Herkunftsstaates konnte nicht festgestellt werden. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer generellen Verfolgungsgefahr oder Bedrohung durch schiitische Milizen, den IS oder von staatlicher Seite ausgesetzt ist.

Zur entscheidungsrelevanten Lage im Irak:

Zur allgemeinen Lage im Irak werden die vom Bundesverwaltungsgericht zur Vorbereitung der mündlichen Beschwerdeverhandlung mit Schreiben vom 06.02.2020 in das Verfahren eingeführten Länderberichte, nämlich ein Konvolut aus fallbezogen relevanten aktueller Länderberichte samt den angeführten Quellen (mit Stand Februar 2020), die im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung ergänzend in das Verfahren eingeführten Zeitungsberichte sowie die mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 20.04.2020 zur Lage betreffend COVID-19 auch als entscheidungsrelevante Feststellungen zum endgültigen Gegenstand des Erkenntnisses erhoben.

Daraus ergibt sich auszugsweise:

Zur COVID-19 Lage im Irak ergibt sich aus der Kurzinformation der Staatendokumentation des Bundesamtes vom 27.03.2020, dass die Behörden ein Lautsprechersystem benützen, um die Bevölkerung dazu aufzufordern, zuhause zu bleiben. Humanitäre Organisationen fürchten besonders um die 1.5 Millionen Zivilisten, die im Zuge der Kämpfe gegen den IS vertrieben worden. In den dicht besiedelten Lagern und Wohnblöcken haben viele nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln. Sauberes Wasser wird zum Kochen und nicht zum Händewaschen benötigt. Schulen, Universitäten und Einkaufszentren sowie andere Plätze, an denen sich größere Menschenansammlungen bilden können, wurden geschlossen. Die landesweite Abriegelung sollte zum Stand 26.03.2020 bis 11.04.2020 anhalten. Die irakischen Grenzen waren geschlossen (vgl Kurzinformation der Staatendokumentation vom 27.03.2020 zur COVID-19 Lage im Nahen Osten, S 2).

Aus dem UN OCHA Situation Report No. 10 zum Irak (COVID-19) vom 09.04.2020 ist ersichtlich, dass es zu diesem Zeitpunkt im gesamten Irak zu 1202 bestätigten COVID-19 Fällen gekommen ist, wovon 69 Personen bis zum 09.04.2020 verstorben und 452 Patienten wieder genesen waren. In der Autonome Region Kurdistan kam es vorübergehend zu einem „Lockdown“. Flughäfen im Zentralirak und in Kurdistan blieben jedenfalls bis 11.04.2020 geschlossen. Die COVID-19 Maßnahmen, darunter Abstandhalten und „Social Distancing“ haben – wie auch in anderen Staaten - zu Wirtschaftseinbrüchen geführt. Durch die Restriktionen und Lockdowns kam es auch zur Beeinträchtigung von Hilfsleistungen humanitärer Institutionen.

Mit Stand 26.05.2020 gab es im Irak 4.632 bestätigte COVID-19 Erkrankungen und 163 Todesfälle (vgl https://www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/situation-reports/20200526-covid-19-sitrep-127.pdf?sfvrsn=7b6655ab_8 , Zugriff am 27.05.2020).

Aus den im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung ergänzend in das Verfahren eingeführten Zeitungsberichten ergibt sich im Wesentlichen, dass die seit Oktober andauernden Proteste gegen die Regierung im Irak, insbesondere auch in Bagdad, weiter fortdauern und die Sicherheits- und Regierungskräfte dabei Protestanten und auch gewaltsame Ausschreitungen weiterhin mit Gewalt bekämpfen (vgl dazu etwa New York Times, In Iraq, Where Beauty Was Long Suppressed, Art Flowers Amid Protests, vom 03.02.2020, https://nyti.ms/2RR5PSs ; Wiener Zeitung, Bagdad erlebt seinen Tahrir-Moment, vom 12.11.2019; Welt e-Paper: Tränengas, Detonationen – und die Menschen schwören der Regierung Rache, vom 08.11.2019, https://www.welt.de/203180338 ).

Aus dem zur Vorbereitung der mündlichen Beschwerdeverhandlung in das Verfahren eingeführten Konvolut an Länderberichten ergibt sich:

„1. Sicherheitslage:

1.1. Allgemeine Sicherheitslage:

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den Islamischen Staat (IS). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde, verbessert (CRS 4.10.2018; vgl. MIGRI 6.2.2018). IS-Kämpfer sind jedoch weiterhin in manchen Gebieten aktiv, die Sicherheitslage ist veränderlich (CRS 4.10.2018).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.2.2018).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.2.2018). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (MIGRI 6.2.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 19.07.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- CRS – Congressional Research Service (4.10.2018): Iraq: Issues in the 115th Congress, https://fas.org/sgp/crs/mideast/R45096.pdf , Zugriff 29.10.2018

- MIGRI – Finnische Immigrationsbehörde (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710 , Zugriff 30.10.2018

1.2. Islamischer Staat (IS):

1.2.1. Islamischer Staat – Stand LIB vom 20.11.2018:

Seitdem der IS Ende 2017 das letzte Stück irakischen Territoriums verlor, hat er drei Phasen durchlaufen: Zunächst kam es für einige Monate zu einer Phase remanenter Gewalt; dann gab es einen klaren taktischen Wandel, weg von der üblichen Kombination aus Bombenanschlägen und Schießereien, zu einem Fokus auf die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes. Die Kämpfer formierten sich neu und im Zuge dessen kam es zu einem starken Rückgang an Angriffen. Jetzt versucht der IS, die Kontrolle über die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes und über Grenzgebiete zurückzuerlangen. Gleichzeitig verstärkt er die direkte Konfrontation mit den Sicherheitskräften (Joel Wing 3.7.2018). Im September 2018 fanden die IS-Angriffe wieder vermehrt in Bagdad statt und es ist eine Rückkehr zu Selbstmordanschlägen und Autobomben feststellbar (Joel Wing 6.10.2018).

Mit Stand Oktober 2018 waren Einsätze der irakischen Sicherheitskräfte gegen IS-Kämpfer in den Provinzen Anbar, Ninewa, Diyala und Salah al-Din im Gang. Ziel war es, den IS daran zu hindern sich wieder zu etablieren und ihn von Bevölkerungszentren fernzuhalten. Irakische Beamte warnen vor Bemühungen des IS, Rückzugsorte in Syrien für die Infiltration des Irak zu nutzen. Presseberichte und Berichte der US-Regierung sprechen von anhaltenden IS-Angriffen, insbesondere in ländlichen Gebieten von Provinzen, die vormals vom IS kontrolliert wurden (CRS 4.10.2018; vgl. ISW 2.10.2018, Atlantic 31.8.2018, Jamestown 28.7.2018, Niqash 12.7.2018). In diesen Gebieten oder in Gebieten, in denen irakische Sicherheitskräfte abwesend sind, kommt es zu Drohungen, Einschüchterungen und Tötungen durch IS-Kämpfer, vor allem nachts (CRS 4.10.2018).

Es gibt immer häufiger Berichte über Menschen, die aus Dörfern in ländlichen Gebieten, wie dem Bezirk Khanaqin im Nordosten Diyalas, fliehen. Ortschaften werden angegriffen und Steuern vom IS erhoben. Es gibt Gebiete, die in der Nacht No-go-Areas für die Sicherheitskräfte sind und IS-Kämpfer, die sich tagsüber offen zeigen. Dies geschieht trotz ständiger Razzien durch die Sicherheitskräfte, die jedoch weitgehend wirkungslos sind (Joel Wing 6.10.2018).

Die Extremisten richten auch falsche Checkpoints ein, an denen sie sich als Soldaten ausgeben, Autos anhalten und deren Insassen entführen, töten oder berauben (Niqash 12.7.2018; vgl. WP 17.7.2018).

Das Hauptproblem besteht darin, dass es in vielen dieser ländlichen Gebiete wenig staatliche Präsenz gibt und die Bevölkerung eingeschüchtert wird (Joel Wing 6.10.2018). Sie kooperiert aus Angst nicht mit den Sicherheitskräften. Im vergangenen Jahr hat sich der IS verteilt und in der Zivilbevölkerung verborgen. Kämpfer verstecken sich an den unzugänglichsten Orten: in Höhlen, Bergen und Flussdeltas. Der IS ist auch zu jenen Taktiken zurückgekehrt, die ihn 2012 und 2013 zu einer Kraft gemacht haben: Angriffe, Attentate und Einschüchterungen, besonders nachts. In den überwiegend sunnitischen Provinzen, in denen der IS einst dominant war (Diyala, Salah al-Din und Anbar), führt die Gruppe nun wieder Angriffe von großer Wirkung durch (Atlantic 31.8.2018).

Quellen:

- Atlantic (31.8.2018): ISIS Never Went Away in Iraq, https://www.theatlantic.com/international/archive/2018/08/iraq-isis/569047/ , Zugriff 30.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- CRS – Congressional Research Service (4.10.2018): Iraq: Issues in the 115th Congress, https://fas.org/sgp/crs/mideast/R45096.pdf , Zugriff 29.10.2018

- ISW – Institute for the Study of War (2.10.2018): ISIS‘s Second Resurgence, https://iswresearch.blogspot.com/2018/10/isiss-second-resurgence.html , Zugriff 30.10.2018

- Jamestown Foundation (28.7.2018): Is Islamic State Making Plans for a Comeback in Iraq?, https://jamestown.org/program/is-islamic-state-making-plans-for-a-comeback-in-iraq/ , Zugriff 30.10.2018

- Joel Wing – Musings on Iraq (3.7.2018): June 2018 Islamic State Rebuilding In Rural Areas Of Central Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/june-2018-islamic-state-rebuilding- in.html, Zugriff 30.10.2018

- Joel Wing – Musings on Iraq (6.10.2018): Islamic State Returns To Baghdad While Overall Security In Iraq Remains Steady, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/10/islamic-state-returns-to-baghdad-while.html , Zugriff 30.10.2018

- Niqash (12.7.2018): Extremists Intimidate, Harass, Dislocate Locals In Salahaddin, Then Take Over, http://www.niqash.org/en/articles/security/5951/ , Zugriff 30.10.2018

- WP – Washington Post (17.7.2018): ISIS is making a comeback in Iraq just months after Baghdad declared victory, https://www.washingtonpost.com/world/isis-is-making-a-comeback-in-iraq-less-than-a-year-after-baghdad-declared-victory/2018/07/17/9aac54a6-892c-11e8-9d59-dccc2c0cabcf_story.html?noredirect=on&utm_term=.8ebfcea17e9f , Zugriff 30.10.2018

1.2.2. Islamischer Staat – Stand Kurzinformation vom 09.04.2019:

Der Islamische Staat (IS) ist im Irak weitestgehend auf Zellen von Aufständischen reduziert worden, die meist aus jenen Gebieten heraus operieren, die früher unter IS-Kontrolle standen, d.h. aus den Gouvernements Anbar, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salahaddin. Laut dem Institute for the Study of War (ISW) werden nur die Distrikte Shirqat und Tuz in Salahaddin, Makhmour in Erbil, Hawija und Daquq in Kirkuk, sowie Kifri und Khanaqin in Diyala als umkämpft angesehen (EASO 3.2019). Das ganze Jahr 2018 über führten IS-Kämpfer Streifzüge nach Anbar, Bagdad und Salahaddin durch, zogen sich dann aber im Winter aus diesen Gouvernements zurück. Die Anzahl der verzeichneten Übergriffe und zivilen Todesopfern sank daher im Vergleich zu den Vormonaten deutlich ab (Joel Wing 2.1.2019).

Quellen:

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- EASO - European Asylum Support Office (3.2019): Iraq; Security situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2004116/Iraq_security_situation.pdf , 13.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (2.1.2019): Islamic State Went Into Hibernation In Winter 2018 , https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/01/islamic-state-went-into-hibernation-in.html , Zugriff 12.3.2019

1.2.3. Islamischer Staat – Stand Kurzinformation vom 30.10.2019:

Die folgende Karte des Institute for the Study of War (ISW) weist neben Unterstützungszonen des islamischen Staates (IS) im Irak und in Syrien auch Gebiete aus, in denen Angriffe und Manöver vom IS ausgeführt wurden, sowie Gebiete, in denen Änderungen in der Vorgehensweise des IS beobachtet wurden. Weiters werden Gebiete, die sowohl von der kurdischen Regionalregierung als auch von der irakischen Zentralregierung für sich beansprucht werden (die sogenannten „umstrittenen Gebiete") dargestellt (in grau schattierten Linien).

ISW - Institute for the Study of War (19.4.2019): ISIS Resurgence Update - April 2019, https://iswresearch.blogspot.com/2019/04/isis-resurgence-update-apri/-16-2019.html , Zugriff 17.6.2019 [Grafik gelöscht, Anm.]

Obwohl die terroristischen Aktivitäten im Irak deutlich zurückgegangen sind, stellt der islamische Staat (IS) nach wie vor eine Bedrohung dar (SCR 30.4.2019). Nachdem der IS am 23.3.2019 in Syrien das letzte von ihm kontrollierte Territorium verloren hatte (ISW 19.4.2019), kündigte er Anfang April einen neuen Feldzug an, um den Gebietsverlust in Syrien zu rächen (Joel Wing 3.5.2019). Der IS vergrößerte so seine „Unterstützungszonen" [Anm. eine Kategorie des ISW für Gebiete, in denen der IS aktive und passive Unterstützung durch die lokale Bevölkerung lukrieren kann] im Irak und weitete seine Angriffe in bedeutenden Städten, wie Mossul und Fallujah, sowie im irakischen Kurdistan aus (ISW 19.4.2019). Neu wiederorganisierte IS-Zellen verstärkten ihre Operationen und Angriffe in den Gouvernements Anbar, Babil, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninawa und Salahaddin (UNSC 2.5.2019). Das führte zu einem starken Anstieg der Angriffe in der zweiten Woche des Monats April. So erfolgten alleine in der zweiten Aprilwoche 41 der im gesamten Monat verzeichneten 97 sicherheitsrelevanten Vorfälle. Danach gingen die Vorfälle jedoch wieder auf das niedrige Niveau der Vormonate zurück (Joel Wing 3.5.2019). Für Mai 2019 wurden im Zuge der Frühjahrsoffensive des IS wieder die höchsten monatlichen Angriffszahlen seit Oktober 2018 verzeichnet (Joel Wing 5.6.2019). Es gab tägliche Berichte über IS-Kämpfer, die Hit-and-Run- Angriffe auf Sicherheitspersonal und Infrastruktur sowie Entführungen und Tötungen von lokalen Beamten und Zivilisten in Gebieten mit massiven Sicherheitslücken durchführten - vor allem in den Wüstenregionen Anbars, nahe der Grenze zu Syrien, als auch in den umstrittenen Gebieten, in denen es „Lücken“ zwischen den irakischen und kurdischen Truppen gibt (Rudaw 9.5.2019).

Irakische Einheiten führten wiederholt Operationen in Rückzugsgebieten des IS durch (Rudaw 9.5.2019). Beispielsweise am 11.4.2019 in den Hamrin Bergen (ISW 19.4.2019; vgl. Kurdistan 24 11.4.2019) und am 5.5.2019 in den Gouvernements Anbar, Salahaddin und Ninewa (Xinhua 6.5.2019). Solche Operationen hatten jedoch nur begrenzten Erfolg, da sie die Operationsmöglichkeiten des IS nur geringfügig einschränkten. Eine große Herausforderung für die irakischen Streitkräfte besteht in Versäumnissen ihrer Geheimdienste. Unzureichende Ausbildung, Finanzierung, schlechte Kommunikation zwischen den Behörden des Sicherheitsapparats und damit einhergehend die mangelnde Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten und zu nutzen, behindern die Aufklärungsarbeit (Rudaw 9.5.2019).

Einem Bericht des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom Februar 2019 zufolge kontrolliert der IS immer noch zwischen 14.000 und 18.000 Kämpfer im Irak und in Syrien (UNSC 1.2.2019). Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums, unter Berufung auf Geheimdienstquellen, verfügt der IS noch über 20.000 bis 30.000 Angehörige - Kämpfer, Anhänger und Unterstützer - im Irak und in Syrien (USDOD 7.5.2019).

Der IS hat seine Präsenz in den Gouvernements Ninewa und Anbar durch Kämpfer aus dem benachbarten Syrien erhöht. Auch das Gouvernement Diyala bleibt weiterhin ein Kerngebiet des IS, der sich auf Gebiete im Norden und Osten des Irak fokussiert. Vorfälle in Bagdad und im Süden bleiben sporadisch (Joel Wing 3.5.2019).

Im Mai 2019 hat der Islamische Staat (IS) im gesamten Mittelirak landwirtschaftliche Anbauflächen in Brand gesetzt, mit dem Zweck die Bauernschaft einzuschüchtern und Steuern zu erheben, bzw. um die Bauern zu vertreiben und ihre Dörfer als Stützpunkte nutzen zu können. Das geschah bei insgesamt 33 Bauernhöfen - einer in Bagdad, neun in Diyala, 13 in Kirkuk und je fünf in Ninewa und Salahaddin - wobei es gleichzeitig auch Brände wegen der heißen Jahreszeit und wegen lokalen Streitigkeiten gab (Joel Wing 5.6.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Am 23.5.2019 bekannte sich der Islamische Staat (IS) in seiner Zeitung AI-Nabla zu den Brandstiftungen. Kurdische Medien berichteten zudem von Brandstiftung in Daquq, Khanaqin und Makhmour (BAMF 27.5.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Das irakische Militär und die Koalitionstruppen [Anm. die Truppen der von den USA geführten Koalition westlicher Staaten im Irak] führten eine Reihe von Angriffen gegen den IS durch, insbesondere im Gouvernement Anbar (ACLED 11.6.2019) und in den Hamrin Bergen (ISW 19.4.2019; vgl. Kurdistan 24 11.4.2019; Jane‘s 1.5.2019).

Quellen:

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (18.6.2019): Regional Overview – Middle East 18 June 2019, https://www.acleddata.com/2019/06/18/regional-overview-middle-east-18-june-2019/ , Zugriff 18.6.2019

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (11.6.2019): Regional Overview – Middle East 11 June 2019, https://www.acleddata.com/2019/06/12/regional-overview-middle-east-11-june-2019/ , Zugriff 18.6.2019

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (27.5.2019): Briefing Notes 27. Mai 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010482/briefingnotes-kw22-2019.pdf , Zugriff 18.6.2019

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- ISW - Institute for the Study of War (19.4.2019): ISIS Resurgence Update - April 2019, https://iswresearch.blogspot.com/2019/04/isis-resurgence-update-april-16-2019.html , Zugriff 17.6.2019

- Jane‘s 360 (1.5.2019): USAF reports combat debut for F-35A, https://www.janes.com/article/88186/usaf-reports-combat-debut-for-f-35a , Zugriff 17.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.5.2019): Islamic State Announces New Offensive But Amounts To Little So Far, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/05/islamic-state-announces-new-offensive.html , Zugriff 14.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State’s Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html , Zugriff 14.6.2019

- Kurdistan 24 (11.4.2019): Iraq launches 'large-scale' anti-ISIS operation in Hamrin Mountains, https://www.kurdistan24.net/en/news/e2d4b872-d38a-4a00-8de1-fd4a6b93d8f0 , Zugriff 17.6.2019

- Rudaw (9.5.2019): Iraq not keeping up with evolving ISIS: US Defense Department, http://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/090520191 , Zugriff 18.6.2019

- SCR - Security Council Report (30.4.2019): May 2019 Monthly Forecast, https://www.securitycouncilreport.org/monthly-forecast/2019-05/iraq-3.php , Zugriff 1.7.2019

- UNSC - UN Security Council (2.5.2019): Implementation of resolution 2421 (2018); Report of the Secretary-General [S/2019/365], https://www.ecoi.net/en/file/local/2008023/S_2019_365_E.pdf , Zugriff 17.6.2019

- UNSC – United Nations Security Council (1.2.2019): Eighth report of the Secretary-General on the threat posed by ISIL (Da’esh) to international peace and security and the range of United Nations efforts in support of Member States in countering the threat, https://www.un.org/sc/ctc/wp-content/uploads/2019/02/N1901937_EN.pdf , Zugriff 18.6.2019

- USDOD - US Department of Defense (7.5.2019): Operation Inherent Resolve - Lead Inspector General report to the United States Congress, January 1, 2019, March 31, 2019, https://media.defense.gov/2019/May/07/2002128675/-1/-1/1/LIG OCO OIR Q2 MARCH2019.PDF , Zugriff 18.6.2019

- Xinhua (6.5.2019): 8 IS militants killed in operation in western Iraq desert, http://www.xinhuanet.com/english/2019-05/06/c_138036239.htm , Zugriff 18.6.2019

1.2.4. Islamischer Staat – Stand Kurzinformation vom 30.10.2019:

Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (The Portal 9.10.2019).

Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 7.8.2019). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019). Der IS setzt nach wie vor auf Gewaltakte gegen Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter sowie beispielsweise auf Brandstiftung, um Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften zu entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung zu untergraben und soziale Spannungen zu verschärfen (ACLED 7.8.2019).

Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder aufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019).

Am 7.7.2019 begann die „Operation Will of Victory“, an der irakische Streitkräfte (ISF), Popular Mobilization Forces (PMF), Tribal Mobilization Forces (TMF) und Kampfflugzeuge der USgeführten Koalition teilnahmen (ACLED 7.8.2019; vgl. Military Times 7.7.2019). Die mehrphasige Operation hat die Beseitigung von IS-Zellen zum Ziel (Diyaruna 7.10.2019; vgl. The Portal 9.10.2019). Die am 7. Juli begonnene erste Phase umfasste Anbar, Salah ad-Din und Ninewa (Military Times 7.7.2019). Phase zwei begann am 20. Juli und betraf die nördlichen Gebiete von Bagdad sowie die benachbarten Gebiete der Gouvernements Diyala, Salah ad-Din und Anbar (Rudaw 20.7.2019). Phase drei begann am 5. August und konzentrierte sich auf Gebiete in Diyala und Ninewa (Rudaw 11.8.2019). Phase vier begann am 24. August und betraf die Wüstenregionen von Anbar (Rudaw 24.8.2019). Phase fünf begann am 21.9.2019 und konzentrierte sich auf abgelegene Wüstenregionen zwischen den Gouvernements Kerbala, Najaf und Anbar, bis hin zur Grenze zu Saudi-Arabien (PressTV 21.9.2019). Eine sechste Phase wurde am 6. Oktober ausgerufen und umfasste Gebiete zwischen dem südwestlichen Salah ad-Din bis zum nördlichen Anbar und Ninewa (Diyaruna 7.10.2019).

Quellen:

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (17.7.2019): Regional Overview – Middle East 17 July 2019, https://www.acleddata.com/2019/07/17/regional-overview-middleeast-17-july-2019/ , Zugriff 2.10.2019

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middleeast-2-october-2019/ , Zugriff 7.10.2019

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (4.9.2019): Regional Overview – Middle East 4 September 2019, https://www.acleddata.com/2019/09/04/regional-overviewmiddle-east-4-september-2019/ , Zugriff 2.10.2019

- Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone190924052551906.html , Zugriff 2.10.2019

- Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border190825184711737.html , Zugriff 28.10.2019

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- Diyaruna (7.10.2019): Iraq launches phase 6 of 'Will of Victory’, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/10/07/feature-02 , Zugriff 18.10.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-theirusual.html , Zugriff 17.10.2019

- Military Times (7.7.2019): Iraqi forces begin operation against ISIS along Syrian border, https://www.militarytimes.com/flashpoints/2019/07/07/iraqi-forces-begin-operation-against-isis-alongsyrian-border/ , Zugriff 18.10.2019

- PressTV (21.9.2019): Fifth phase of Will of Victory operation ends with cleansing areas near Saudi border, https://www.presstv.com/Detail/2019/09/21/606767/Fifth-phase-of-Will-ofVictory-operation-ends-with-cleansing-areas-near-Saudi-border-from-Daesh , Zugriff 18.10.2019

- Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsiblefor-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5 , Zugriff 30.10.2019

- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victoryover-islamic-state-idUSKBN1E30B9 , Zugriff 28.10.2019

- Rudaw (11.8.2019): Iraq ends third phase of ‘Will of Victory’ campaign, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/11082019 , Zugriff 18.10.2019

- Rudaw (20.7.2019): Iraq launches second phase of Will of Victory anti-ISIS operation, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/200720191 , Zugriff 18.7.2019

- Rudaw (24.8.2019): Fourth phase of ‘Will of Victory’ operation begins: Iraqi defense ministry, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/24082019 , Zugriff 18.10.2019

- The Portal (9.10.2019): Iraq launches a new process of “Will to Victory", http://www.theportalcenter.com/2019/10/iraq-launches-a-new-process-of-will-to-victory/ , Zugriff 18.10.2019

1.3. Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen:

1.3.1. Sicherheitsrelevante Vorfälle – Stand LIB vom 20.11.2018:

Der Irak verzeichnet derzeit die niedrigste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 (Joel Wing 5.4.2018). Die Sicherheitslage ist in verschiedenen Teilen des Landes sehr unterschiedlich, insgesamt hat sich die Lage jedoch verbessert (MIGRI 6.2.2018).

So wurden beispielsweise im September 2018 vom Irak-Experten Joel Wing 210 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 195 Todesopfern im Irak verzeichnet. Dem standen im September des Jahres 2017 noch 306 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 728 Todesopfern gegenüber. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen im September 2018 waren Bagdad mit 65 Vorfällen, Diyala mit 36, Kirkuk mit 31, Salah al-Din mit 21, Ninewa mit 18 und Anbar mit 17 Vorfällen (Joel Wing 6.10.2018).

Die folgende Grafik von ACCORD zeigt, im linken Bild, die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle mit mindestens einem Todesopfer im zweiten Quartal 2018, nach Provinzen aufgeschlüsselt. Auf der rechten Karte ist die Zahl der Todesopfer im Irak, im zweiten Quartal 2018, nach Provinzen aufgeschlüsselt, dargestellt (ACCORD 5.9.2018).

ACCORD (5.9.2018): Irak, 2. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus ACLED, https://www.ecoi.net/en/file/local/1442566/193015362173742018q2iraq-de.pdf , Zugriff 29.10.2018 [Grafik gelöst, Anm.]

Laut Angaben von UNAMI, der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen im Irak, wurden im September 2018 im Irak insgesamt 75 irakische Zivilisten durch Terroranschläge, Gewalt und bewaffnete Konflikte getötet und weitere 179 verletzt (UNAMI 1.10.2018). Insgesamt verzeichneteUNAMI im Jahr 2017 3.298 getötete und 4.781 verwundete Zivilisten. Nicht mit einbezogen in diesen Zahlen waren zivile Opfer aus der Provinz Anbar im November und Dezember 2017, für die keine Angaben verfügbar sind. Laut UNAMI handelt es sich bei den Zahlen um absolute Mindestangaben, da die Unterstützungsmission bei der Überprüfung von Opferzahlen in bestimmten Gebieten eingeschränkt ist (UNAMI 2.1.2018). Im Jahr 2016 betrug die Zahl getöteter Zivilisten laut UNAMI noch 6.878 bzw. die verwundeter Zivilisten 12.388. Auch diese Zahlen beinhalten keine zivilen Opfer aus Anbar für die Monate Mai, Juli, August und Dezember (UNAMI 3.1.2017)

Die folgenden Grafiken von lraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken). Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle, dokumentierte IBC im September 2018 241 zivile Todesopfer im Irak. Im September 2017 betrug die Zahl von IBC dokumentierter ziviler Todesopfer im Irak 490; im September 2016 935. Insgesamt dokumentierte IBC von Januar bis September 2018 2.699 getötete Zivilisten im Irak. Im Jahr 2017 dokumentierte IBC 13.178 zivile Todesopfer im Irak; im Jahr 2016 betrug diese Zahl 16.393 (IBC 9.2018).

IBC - lraq Body Count (9.2018): Database - Documented civilian deaths from violence, https://www.iraqbodycoun t.org/database/, Zugriff 31.10.2018 [Grafik gelöscht, Anm.]

IBC - lraq Body Count (9.2018): Database - Documented civilian deaths from violence, https://www.iragbodycount.org/database/ , Zugriff 31.10.2018 [Grafik gelöscht, Anm.]

Quellen:

 ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (5.9.2018): Irak, 2. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/1442566/1930 1536217374 2018q2irag-de.pdf, Zugriff 29.10.2018

 BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

 IBC - lraq Body Count (9.2018): Database - Documented civilian deaths from violence, https://www.iragbodycount.org/database/ , Zugriff 31.10.2018

 Joel Wing - Musings on lraq (5.4.2018): lraq Witnessing Fewest Security lncidents Since 2003, http://musingsonirag.blogspot.com/2018/04/iraq-witnessing-fewest-securi.thytml , Zugriff 02.11.2018

 Joel Wing - Musings on lraq (6.10.2018): lslamic State Returns To Baghdad While Overall Security In lraq Remains Steady, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/10/islamic-state ­returns-to-baghdad-while.html, Zugriff 30.10.2018

 MIGRI - Finnische lmmigrationsbehörde (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in lraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish immigrationservicereportsecurityiniraqvariablebutimproving/10061710, Zugriff 30.10.2018

 UNAMI - United Nations Assistance Mission in lraq (3.1.2017): UN Casualties Figures for lraq for the Month of December 2016, http://www.unirag.org/index.php?option=comk2&view=item&id=6611:un-casualties-figures-for-irag-for-the-month-of-december-2016&Itemid=633&Iang=en , Zugriff 31.10.2018

 UNAMI - United Nations Assistance Mission in lraq (2.1.2018): UN Casualty Figures for lraq for the Month of December 2017, http://www.unirag.org/index.php?option=comk2&view=item&id=8427:un-casualty-figures-for-irag-for-the-month-of-december-2017&Itemid=633&Iang=en , Zugriff 31.10.2018

 UNAMI - United Nations Assistance Mission in lraq (1.10.2018): UN Casualty Figures for lraq for the Month of September 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=comk2&view=item&id=9687:un-casualty-figures-for-irag-for-the-month-of-september-2018&Itemid=633&Iang=en , Zugriff 31.10.2018

1.3.2. Sicherheitsrelevante Vorfälle – Stand Kurzinformation vom 09.04.2019:

Liveuamap Live Universal Awareness Map, https://irag.liveuamap.com/en/time/01.04.2019 , Zugriff 1.4.2019 [Grafik gelöscht, Anm.]

Seit Sommer 2018 ist die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Irak zurückgegangen. Im Dezember 2018 wurde ein Rekordtief an Sicherheitsvorfällen registriert (Joel Wing 2.1.2019). Anfang 2019 ist diese Zahl wieder leicht angestiegen, wobei die Monate Jänner und Februar in etwa die gleichen Zahlen an Angriffen und Opfern aufweisen (Joel Wing 4.3.2019). Für März 2019 wurde die niedrigste, je vom Irak-Experten Joel Wing registriere Zahl von Sicherheitsvorfällen verzeichnet (Joel Wing 3.4.2019).

Die folgende Grafik von lraq Body Count (IBC) stellt die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken). Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar (IBC 3.2019).

lraq Bodycount (3.2019): Month/y civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/ , Zugriff 1.4.2019 [Grafik gelöscht, Anm.]

Die folgende Tabelle des IBC gibt die Zahlen der Todesopfer an. Für Dezember 2018 sind 155 zivile Todesopfer im Irak ausgewiesen. Im Jänner 2019 wurden von IBC 323 und im Februar 2019 271 getötete Zivilisten im Irak dokumentiert (IBC 3.2019).

lraq Bodycount (3.2019): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/ , Zugriff 1.4.2019 [Grafik gelöscht, Anm.]

Quellen:

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- IBC - Iraq Bodycount (3.2019): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/ , Zugriff 12.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (2.1.2019): Islamic State Went Into Hibernation In Winter 2018, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/01/islamic-state-went-into-hibernation-in.html , Zugriff 12.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (4.3.2019): Islamic State Might Be Coming Out Of Its Winter Hibernation In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/03/islamic-state-might-be-coming-out-of.html , Zugriff 12.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.4.2019): Iraq Saw Lowest Violence Ever March 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/04/iraq-saw-lowest-violence-ever-march-2019.html , Zugriff 4.4.2019

1.3.3. Sicherheitsrelevante Vorfälle – Stand Kurzinformation vom 30.10.2019:

Die folgende Karte von liveuamap zeigt die Einteilung des Irak in offiziell von der irakischen Zentralregierung kontrollierte Gouvernements (in rosa), die autonome Region Kurdistan (KRG) (in gelb) und Gebiete unter der weitgehenden Kontrolle von Gruppen des Islamischen Staates (IS) (in grau). Die Symbole kennzeichnen dabei Orte und Arten von sicherheitsrelevanten Vorfällen, wie Luftschläge, Schusswechsel/-attentate, Sprengstoffanschläge/Explosionen, Granatbeschuss, u.v.m.

Liveuamap Live Universal Awareness Map (30.6.2019): Map of Iraq, https://iraq.liveuamap.com/enltime/30.06.2019 , Zugriff 30.6.2019 [Grafik gelöscht, Anm.]

Die folgende Grafik von Iraq Body Count (IBC) stellt die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken). Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar (IBC 7.2019).

lraq Bodycount (7.2019): Month/y civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iragbodycount.org/database/ , Zugriff 17.7.2019 [Grafik gelöscht, Anm.]

Die folgende Tabelle des IBC gibt die Zahlen der Todesopfer an. Für April 2019 sind 140 zivile Todesopfer im Irak ausgewiesen. Im Mai 2019 wurden von IBC 166 getötete Zivilisten im Irak dokumentiert (IBC 7.2019).

lraq Bodycount (7.2019): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iragbodycount.org/databasel/ , Zugriff 17.7.2019 [Grafik gelöscht, Anm.]

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden für den Gesamtirak im Lauf des Monats April 2019 99 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 105 Toten und 100 Verletzten verzeichnet. 36 Tote gingen auf Funde älterer Massengräber im Gouvernement Ninewa zurück, wodurch die Zahl der tatsächlichen gewaltsamen Todesfälle im April auf 69 reduziert werden kann. Die meisten Opfer gab es in den Gouvernements Diyala und Ninewa (Joel Wing 3.5.2019).

Im Mai 2019 verzeichnet Joel Wing 137 sicherheitsrelevante Vorfälle, von denen 136 auf den islamischen Staat (IS) zurückgehen (Joel Wing 5.6.2019). Bei einem dieser Vorfälle handelte es sich um einen Raketenbeschuss der „Green Zone" in Bagdad durch eine mutmaßlich pro-iranische Gruppe (Joel Wing 5.6.2019; vgl. OS 19.5.2019). Insgesamt wurden im Mai 163 Todesfälle und 200 Verwundete registriert, wobei 35 Tote auf einen Massengräberfund im Bezirk Sinjar in Ninewa zurückgehen (Joel Wing 5.6.2019).

Im Juni 2019 wurden von Joel Wing 99 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet. Da jedoch zwei Hauptquellen zur Sicherheitslage im Irak den gesamten Monat Juni über offline waren, kann es sein, dass es tatsächlich mehr Angriffe gab, als registriert wurden. Sechs Vorfälle werden pro- iranischen Gruppen zugeschrieben, die mutmaßlich wegen der Spannungen zwischen den USA und dem Iran ausgeführt wurden (Joel Wing 1.7.2019).

Quellen:

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- IBC - Iraq Bodycount (7.2019): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/ , Zugriff 17.7.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.5.2019): Islamic State Announces New Offensive But Amounts To Little So Far, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/05/islamic-state-announces-new-offensive.html , Zugriff 14.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State’s Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html , Zugriff 14.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (1.7.2019): Violence Dips During Islamic State’s Latest Offensive, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/07/violence-dips-during-islamic-states.html , Zugriff 3.7.2019

1.3.4. Sicherheitsrelevante Vorfälle – Stand Kurzinformation vom 30.10.2019:

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 7.8.2019). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungseinheiten (PMF/PMU/Hashd al Shabi) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Die folgende Grafik von Iraq Body Count (IBC) stellt die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken). Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar (IBC 9.2019).

[Grafik gelöscht, Anm.] Quelle: Iraq Bodycount (9.2019): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/ , Zugriff 15.10.2019

Die folgende Tabelle des IBC gibt die Zahlen der Todesopfer an. Für Juli 2019 sind 145 zivile Todesopfer im Irak ausgewiesen. Im August 2019 wurden von IBC 93 getötete Zivilisten im Irak dokumentiert und für September 151 (IBC 9.2019).

[Grafik gelöscht, Anm.] Quelle: Iraq Bodycount (9.2019): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/ , Zugriff 15.10.2019

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden für den Gesamtirak im Lauf des Monats Juli 2019 82 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 83 Tote und 119 Verletzten verzeichnet. 18 Tote gingen auf Leichenfunde von Opfern des IS im Distrikt Sinjar im Gouvernement Ninewa zurück, wodurch die Zahl der tatsächlichen gewaltsamen Todesfälle im Juli auf 65 reduziert werden kann. Es war der zweite Monat in Folge, in dem die Vorfallzahlen wieder zurückgingen. Dieser Rückgang wird einerseits auf eine großangelegte Militäraktion der Regierung in vier Gouvernements zurückgeführt [Anm.: „Operation Will of Victory“; Anbar, Salah ad Din, Ninewa und Diyala, siehe oben], wobei die Vorfallzahlen auch in Gouvernements zurückgingen, die nicht von der Offensive betroffen waren. Der Rückgang an sicherheitsrelevanten Vorfällen wird auch mit einem neuerlichen verstärkten Fokus des IS auf Syrien erklärt (Joel Wing 5.8.2019).

Im August 2019 verzeichnete Joel Wing 104 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 103 Toten und 141 Verletzten. Zehn Tote gingen auf Leichenfunde von Jesiden im Distrikt Sinjar im Gouvernement Ninewa zurück, wodurch die Zahl der Todesfälle im August auf 93 angepasst werden kann. Bei einem der Vorfälle handelte es sich um einen Angriff einer pro-iranischen PMF auf eine Sicherheitseinheit von British Petroleum (BP) im Rumaila Ölfeld bei Basra (Joel Wing 9.9.2019).

Im September 2019 wurden von Joel Wing für den Gesamtirak 123 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 122 Toten und 131 Verletzten registriert (Joel Wing 16.10.2019).

Seit 1. Oktober kam es in mehreren Gouvernements (Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiya, Dhi Qar, Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala, Najaf, Diyala, Kirkuk und Salah ad-Din) zu teils gewalttätigen Demonstrationen (ISW 22.10.2019, vgl. Joel Wing 3.10.2019). Die Proteste richten sich gegen Korruption, die hohe Arbeitslosigkeit und die schlechte Strom- und Wasserversorgung (Al Mada 2.10.2019; vgl. BBC 4.10.2019; Standard 4.10.2019), aber auch gegen den iranischen Einfluss auf den Irak (ISW 22.10.2019). Im Zuge dieser Demonstrationen wurden mehrere Regierungsgebäude sowie Sitze von Milizen und Parteien in Brand gesetzt (Al Mada 2.10.2019). Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) gingen unter anderem mit scharfer Munition gegen Demonstranten vor. Außerdem gibt es Berichte über nicht identifizierte Scharfschützen, die sowohl Demonstranten als auch Sicherheitskräfte ins Visier genommen haben sollen (ISW 22.10.2019). Premierminister Mahdi kündigte eine Aufklärung der gezielten Tötungen an (Rudaw 13.10.2019). Zeitweilig, vom 2. bis zum 5. Oktober, wurde eine Ausgangssperre ausgerufen (Al Jazeera 5.10.2019; vgl. ISW 22.10.2019; Rudaw 13.10.2019) und eine Internetblockade vom 4. bis 7. Oktober implementiert (Net Blocks 3.10.2019; FAZ 3.10.2019; vgl. Rudaw 13.10.2019).

Nach einer kurzen Ruhephase gingen die gewaltsamen Proteste am 25. Oktober weiter und forderten bis zum 30. Oktober weitere 74 Menschenleben und 3.500 Verletzte (BBC News 30.10.2019). Insbesondere betroffen waren bzw. sind die Städte Bagdad, Nasiriyah, Hillah, Basra und Kerbala (BBC News 30.10.2019; vgl. Guardian 27.10.2019; Guardian 29.10.2019). Am 28. Oktober wurde eine neue Ausgangssperre über Bagdad verhängt, der sich jedoch tausende Demonstranten widersetzen (BBC 30.10.2019; vgl. Guardian 29.10.2019). Über 250 Personen wurden seit Ausbruch der Proteste am 1. Oktober bis zum 29. Oktober getötet (Guardian 29.10.2019) und mehr als 8.000 Personen verletzt (France24 28.10.2019).

Quellen:

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (17.7.2019): Regional Overview – Middle East 17 July 2019, https://www.acleddata.com/2019/07/17/regional-overview-middleeast-17-july-2019/ , Zugriff 2.10.2019

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middleeast-2-october-2019/ , Zugriff 7.10.2019

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (4.9.2019): Regional Overview – Middle East 4 September 2019, https://www.acleddata.com/2019/09/04/regional-overviewmiddle-east-4-september-2019/ , Zugriff 2.10.2019

- Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone190924052551906.html , Zugriff 2.10.2019

- Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border190825184711737.html , Zugriff 28.10.2019

- Al Jazeera (5.10.2019): Iraq PM lifts Baghdad curfew, https://www.aljazeera.com/news/2019/10/iraq-pm-lifts-baghdad-curfew-191005070529047.html , Zugriff 28.10.2019

- Al Mada (2.10.2019): ساحات الاحتجاج تتحول إلى مناطق حرب („Proteste werden zu Kriegsgebieten“), https://almadapaper.net/view.php?cat=221822 , Zugriff 4.10.2019

- BBC News (28.10.2019): Iraq protests: Upsurge in violence despite Baghdad curfew, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-50225055?intlink_from_url=https://www.bbc.com/news/topics/cvenzmgyljrt/iraq&link_location=live-reporting-story , Zugriff 28.10.2019

- BBC News (4.10.2019): Iraq protests: 'No magic solution' to problems, PM says, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-49929280 , Zugriff 4.10.2019

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (3.10.2019): Die Wut der Iraker auf die Regierung, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/tote-bei-protesten-die-wut-der-iraker-auf-dieregierung-16415369.html , Zugriff 4.10.2019

- France 24 (28.10.2019): Iraq protesters defy Baghdad curfew as violence rocks Shiite holy city, https://www.france24.com/en/20191029-iraq-protesters-defy-baghdad-curfew-as-violencerocks-shiite-holy-city , Zugriff 30.10.2019

- ISW - Institute for the Study of War (22.10.2019): Iraq's Sustained Protests and Political Crisis, https://iswresearch.blogspot.com/2019/10/iraqs-sustained-protests-and-political.html , Zugriff 24.10.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-theirusual.html , Zugriff 17.10.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.10.2019): Iraq’s October Protests Escalate And Grow, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/iraqs-october-protests-escalate-and-grow.html , Zugriff 4.10.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html , Zugriff 1.10.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (9.9.2019): Islamic State’s New Game Plan In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/09/islamic-states-new-game-plan-in-iraq.html , Zugriff 1.10.2019

- Net Blocks (3.10.2019, update am 7.8.2019): Heavily censored internet briefly returns to Iraq 28 hours after nationwide blackout, https://netblocks.org/reports/heavily-censored-internetbriefly-returns-to-iraq-28-hours-after-nationwide-blackout-7yNG1w8q , Zugriff 28.10.2019

- Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsiblefor-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5 , Zugriff 30.10.2019

- Rudaw (13.10.2019): Iraq launches probe into killing of protesters, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/13102019 , Zugriff 18.10.2019

- Standard, Der (4.10.2019): Irakischer Premier sieht Demonstranten im Recht, https://www.derstandard.at/story/2000109475503/mehr-als-30-tote-bei-protesten-im-irak , Zugriff 4.10.2019

- The Guardian (27.10.2019): Iraq clashes: at least 15 die as counter-terror police quell protests, https://www.theguardian.com/world/2019/oct/26/six-killed-as-iraq-protests-continue-inbaghdad-and-nasiriyah , Zugriff 28.10.2019

- The Guardian (29.10.2019): Iraq's young protesters count cost of a month of violence, https://www.theguardian.com/world/2019/oct/29/iraqi-protesters-demonstrations-month-of-violence , Zugriff 30.10.2019

1.4. Sicherheitslage Bagdad:

1.4.1. Sicherheitslage Bagdad - Stand LIB vom 20.11.2018:

Die Provinz Bagdad ist die kleinste und am dichtesten bevölkerte Provinz des Irak, mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit der Provinz wird sowohl vom „Baghdad Operations Command" kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst zieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).

Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt durch die oben genannten Ereignisse im Zusammenhang mit der Bekämpfung des IS im Zentralirak. Im Laufe der Jahre 2016 und 2017 kam es jedoch im Stadtgebiet von Bagdad zu mehreren Anschlägen bzw. Selbstmordattentaten auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern, die sich, ausgehend vom Bekenntnis des – als sunnitisch zu bezeichnenden – IS, gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden.

Im Jahr 2016 verzeichnete die Provinz Bagdad noch immer die höchste Zahl an Opfern im gesamten Land. Die Sicherheitslage verbesserte sich jedoch in Bagdad als die Schlacht um Mossul begann. Während Joel Wing im Januar 2016 in Bagdad noch durchschnittlich 11,6 Angriffe pro Tag verzeichnete, sank diese Zahl zwischen April und September 2017 auf durchschnittlich 3 Angriffe pro Tag (OFPRA 10.11.2017; vgl. Joel Wing 8.7.2017, Joel Wing 4.10.2017). Seit 2016 ist das Ausmaß der Gewalt in Bagdad allmählich zurückgegangen. Es gab einen Rückgang an IS- Aktivität, nach den Vorstößen der irakischen Truppen im Nordirak, obwohl der IS weiterhin regelmäßig Angriffe gegen militärische und zivile Ziele durchführt, insbesondere, aber nicht ausschließlich, in schiitischen Stadtvierteln. Darüber hinaus sind sunnitische Bewohner der Gefahr von Übergriffen durch schiitische Milizen ausgesetzt, einschließlich Entführungen und außergerichtlichen Hinrichtungen (OFPRA 10.11.2017).

Terroristische und politisch motivierte Gewalt setzte sich das ganze Jahr 2017 über fort. Bagdad war besonders betroffen. UNAMI berichtete, dass es von Januar bis Oktober 2017 in Bagdad fast täglich zu Angriffen mit improvisierten Sprengkörpern kam. Laut UNAMI zielten einige Angriffe auf Regierungsgebäude oder Checkpoints ab, die von Sicherheitskräften besetzt waren, während viele andere Angriffe auf Zivilisten gerichtet waren. Der IS führte Angriffe gegen die Zivilbevölkerung durch, einschließlich Autobomben- und Selbstmordattentate (USDOS 20.4.2018).

Laut Joel Wing kam es im Januar 2018 noch zu durchschnittlich 3,3 sicherheitsrelevanten Vorfällen in Bagdad pro Tag, eine Zahl die bis Juni 2018 auf durchschnittlich 1,1 Vorfälle pro Tag sank (Joel Wing 3.7.2018). Seit Juni 2018 ist die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Bagdad langsam wieder auf 1,5 Vorfälle pro Tag im Juli, 1,8 Vorfälle pro Tag im August und 2,1 Vorfälle pro Tag im September gestiegen. Diese Angriffe bleiben Routine, wie Schießereien und improvisierte Sprengkörper und konzentrieren sich hauptsächlich auf die äußeren südlichen und nördlichen Gebiete der Provinz (Joel Wing 6.10.2018).

Insgesamt kam es im September 2018 in der Provinz Bagdad zu 65 sicherheitsrelevanten Vorfällen. Damit verzeichnete Bagdad die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen im ganzen Land (Joel Wing 6.10.2018). Auch in der ersten und dritten Oktoberwoche 2018 führte Bagdad das Land in Bezug auf die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle an. Wenn man jedoch die Größe der Stadt bedenkt, sind Angriffe immer noch selten (Joel Wing 9.10.2018 und Joel Wing 30.10.2018).

In Bezug auf die Opferzahlen war Bagdad von Januar bis März 2018, im Mai 2018, sowie von Juli bis September 2018 die am schwersten betroffene Provinz im Land (UNAMI 1.2.2018; UNAMI 2.3.2018; UNAMI 4.4.2018; UNAMI 31.5.2018; UNAMI 1.8.2018; UNAMI 3.9.2018; UNAMI 1.10.2018). Im September 2018 verzeichnete UNAMI beispielsweise 101 zivile Opfer in Bagdad (31 Tote, 70 Verletzte) (UNAMI 1.10.2018).

Quellen:

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- Joel Wing – Musings on Iraq (8.7.2017): 3,230 Dead, 1,128 Wounded In Iraq June 2017, https://musingsoniraq.blogspot.com/2017/07/3230-dead-1128-wounded-in-iraq-june-2017.html , Zugriff 1.11.2018

- Joel Wing – Musings on Iraq (4.10.2017): 728 Dead And 549 Wounded In September 2017 In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2017/10/728-dead-and-549-wounded-in-september.html , Zugriff 1.11.2018

- Joel Wing – Musings on Iraq (6.10.2018): Islamic State Returns To Baghdad While Overall Security In Iraq Remains Steady, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/10/islamic-state-returns-to-baghdad-while.html , Zugriff 30.10.2018

- Joel Wing – Musings on Iraq (9.10.2018): Security In Iraq Oct 1-7, 2018, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/10/security-in-iraq-oct-1-7-2018.html , Zugriff 1.11.2018

- Joel Wing – Musings on Iraq (30.10.2018): Security In Iraq Oct 22-28, 2018, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/10/security-in-iraq-oct-22-28-2018.html , Zugriff 1.11.2018

- OFPRA – Office Français de Protection des Réfugiés et Apatrides (10.11.2017): The Security situation in Baghdad Governorate, https://www.ofpra.gouv.fr/sites/default/files/atoms/files/39_irq_security_situation_in_baghdad.pdf , Zugriff 31.10.2018

- UNAMI – United Nations Assistance Mission in Iraq (1.2.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of January 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=8500:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-january-2018&Itemid=633&lang=en , Zugriff 1.11.2018

- UNAMI – United Nations Assistance Mission in Iraq (2.3.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of February 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=8643:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-february-2018&Itemid=633&lang=en , Zugriff 1.11.2018

- UNAMI – United Nations Assistance Mission in Iraq (4.4.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of March 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=8801:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-march-2018&Itemid=633&lang=en , Zugriff 1.11.2018

- UNAMI – United Nations Assistance Mission in Iraq (31.5.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of May 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=9155:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-may-2018&Itemid=633&lang=en , Zugriff 1.11.2018

- UNAMI – United Nations Assistance Mission in Iraq (1.8.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of July 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=9402:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-july-2018&Itemid=633&lang=en , Zugriff 1.11.2018

- UNAMI – United Nations Assistance Mission in Iraq (3.9.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of August 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=9542:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-august-2018&Itemid=633&lang=en , Zugriff 1.11.2018

- UNAMI – United Nations Assistance Mission in Iraq (1.10.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of September 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=9687:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-september-2018&Itemid=633&lang=en , Zugriff 31.10.2018

- USDOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html , Zugriff 31.10.2018

1.4.2. Sicherheitslage Bagdad – Stand Kurzinformation vom 09.04.2019:

Aufständische haben mittlerweile die meisten ihrer Ressourcen aus Bagdad abgezogen, einst das Hauptziel des Terrorismus (Joel Wing 4.3.2019). Im Dezember 2018 wurden 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit zehn Toten (Joel Wing 2.1.2019) verzeichnet, bzw. 17 Tote und drei Verwundete (UNAMI 3.1.2019). Im Jänner 2019 wurden zwölf sicherheitsrelevante Vorfälle mit 13 Toten erfasst (Joel Wing 4.2.2019), im Februar dagegen nur noch sieben Vorfälle mit sieben Toten (Joel Wing 4.3.2019) und im März vier Vorfälle mit fünf Toten und fünf verletzten (Joel Wing 3.4.2019). Dabei handelte es sich meist um Schießereien/Schussattentate in den Vorstädten und Dörfern des Gouvernements (Joel Wing 4.3.2019).

Der IS behielt jedoch eine latente Präsenz nördlich von Bagdad und begann damit seine Unterstützungszone weiter auszubauen (ISW 7.3.2019). Er verfügt in Bagdad und den Bagdad Belts über mehrere aktive Zellen (EASO 3.2019). Der nördliche „Bagdad-Belt" dient dabei als Transferroute von Kämpfern zwischen den Gouvernements Anbar, Salahaddin und Diyala, während das sogenannte „Dreieck des Todes" im südlichen Bagdad-Belt IS-Gruppen in den Gouvernements Anbar, Bagdad und Babil verbindet. Irakische Sicherheitskräfte (ISF) haben seit Dezember 2018 mehrere IS-Kämpfer an Kontrollpunkten entlang der Autobahnen, die das Gouvernement Babil mit Bagdad verbindet, festgenommen und im Februar 2019 180 Personen mit Verbindungen zum IS verhaftet (ISW 7.3.2019).

Quellen:

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- EASO - European Asylum Support Office (3.2019): Iraq; Security situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2004116/Iraq_security_situation.pdf , 13.3.2019

- ISW - Institute for the Study of War (7.3.2019): ISIS Re-Establishes Historical Sanctuary in Iraq, https://iswresearch.blogspot.com/2019/03/isis-re-establishes-historic-sanctuary.html , Zugriff 12.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (2.1.2019): Islamic State Went Into Hibernation In Winter 2018, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/01/islamic-state-went-into-hibernation-in.html , Zugriff 12.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (4.2.2019): Slight Uptick In Islamic State Ops In Iraq As New Year Begins, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/02/slight-uptick-in-islamic-state-ops-in.html , Zugriff 12.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (4.3.2019): Islamic State Might Be Coming Out Of Its Winter Hibernation In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/03/islamic-state-might-be- coming-out-of.html, Zugriff 12.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.4.2019): Iraq Saw Lowest Violence Ever March 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/04/iraq-saw-lowest-violence-ever-march-2019.html , Zugriff 4.4.2019

- UNAMI - United Nations Assistance Mission for Iraq (3.1.2019): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of December 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=10269:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-december-2018&Itemid=633&lang=en , Zugriff 12.3.2019

1.4.3. Sicherheitslage Bagdad – Stand Kurzinformation vom 30.10.2019:

Laut Joel Wing ist Bagdad ist eine weitgehend vergessene Front des Islamischen Staates (IS). Seit Anfang des Jahres 2019 wurden dort wochenweise überhaupt keine terroristischen Aktivitäten verzeichnet (Joel Wing 3.5.2019). Der IS versucht jedoch wieder in Bagdad Fuß zu fassen (Joel Wing 3.5.2019) und baut seine „Unterstützungszone“ im südwestlichen Quadranten der „Bagdad- Belts“ wieder auf, um seine Aktivitäten im Gouvernement Anbar mit denen in Bagdad und dem Südirak zu verbinden (ISW 19.4.2019). Alle im Gouvernement Bagdad verzeichneten Angriffe betrafen nur die Vorstädte und Dörfer im Norden, Süden und Westen (Joel Wing 3.5.2019; vgl. Joel Wing 1.7.2019). Während es sich dabei üblicherweise nur um kleinere Schießereien und Schussattentate handelte, wurden im Juni, bei einem kombinierten Einsatz eines improvisierten Sprengsatzes mit einem Hinterhalt für die den Vorfall untersuchenden, herankommenden irakischen Sicherheitskräfte, sechs Soldaten getötet und 15 weitere verwundet (Joel Wing 1.7.2019).

Im April 2019 wurden zehn sicherheitsrelevante Vorfälle im Gouvernement Bagdad verzeichnet (Joel Wing 3.5.2019). Diese führten zu sieben Toten und einer verwundeten Person (Joel Wing 1.5.2019). Auch im Mai 2019 wurden zehn Vorfälle erfasst, mit 16 Toten und 14 Verwundeten. Ein weiterer mutmaßlicher Vorfall, eine Autobombe in Sadr City betreffend, ist umstritten (Joel Wing 5.6.2019). Im Juni gab es 13 Vorfälle mit 15 Toten und 19 Verwundeten (Joel Wing 1.7.2019).

Am 19.5.2019 ist eine Rakete des Typs Katjuscha in der hoch gesicherten Grünen Zone in der irakischen Hauptstadt Bagdad, Standort der US-Botschaft, sowie einiger Ministerien und des Parlaments, eingeschlagen und explodiert. Verletzte oder Schäden habe es laut dem irakischen Militär nicht gegeben (DS 19.5.2019).

Quellen:

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- Der Standard (19.5.2019): Rakete schlägt in Grüner Zone in Bagdad ein, https://derstandard.at/2000103450186/Rakete-schlaegt-in-Gruener-Zone-in-Bagdad-ein , Zugriff 14.6.2019

- ISW - Institute for the Study of War (19.4.2019): ISIS Resurgence Update - April 2019, https://iswresearch.blogspot.com/2019/04/isis-resurgence-update-april-16-2019.html , Zugriff 17.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.5.2019): Islamic State Announces New Offensive But Amounts To Little So Far, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/05/islamic-state-announces-new- offensive.html, Zugriff 14.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State’s Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html , Zugriff 14.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (1.7.2019): Violence Dips During Islamic State’s Latest Offensive, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/07/violence-dips-during-islamic-states.html , Zugriff 3.7.2019

1.4.4. Sicherheitslage Bagdad – Stand Kurzinformation vom 30.10.2019:

Der IS versucht weiterhin seine Aktivitäten in Bagdad zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Fast alle Aktivitäten des IS im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019). Im Juli gelang es dem IS zwei Selbstmordattentate im Gouvernement auszuführen, weswegen Bagdad die Opferstatistik des Irak in diesem Monat anführte (Joel Wing 5.8.2019). Sowohl am 7. als auch am 16. September wurden jeweils fünf Vorfälle mit „Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Während der Proteste im Südirak im Oktober 2019, von denen auch Bagdad betroffen war, stoppte der IS seine Angriffe im Gouvernement (Joel Wing 16.10.2019).

Im Juli 2019 wurden vom Irak-Experten Joel Wing im Gouvernement Bagdad 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 15 Toten und 27 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden 14 Vorfälle erfasst, mit neun Toten und elf Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verwundeten (Joel Wing 16.10.2019).

Quellen:

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-theirusual.html , Zugriff 17.10.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html , Zugriff 1.10.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (9.9.2019): Islamic State’s New Game Plan In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/09/islamic-states-new-game-plan-in-iraq.html , Zugriff 1.10.2019

1.4.5. Proteste und Ausgangssperre in Bagdad und Südirak – Stand Kurzinformation vom 30.10.2019:

Betreffend die seit Anfang Oktober 2019 im Irak stattfindenden gewalttätigen Demonstrationen und die damit im Zusammenhang stehende Sicherheitslage wird auf die unter Punkt 1.3.4. (Sicherheitslage – Sicherheitsrelevante Vorfälle) dargelegten Ausführungen der Kurzinformation der Staatendokumentation vom 30.10.2019 verwiesen.

1.5. Sicherheitslage Autonome Region Kurdistan / Kurdische Region im Irak:

1.5.1. Sicherheitslage Kurdistan – Stand LIB vom 20.11.2018:

In Erbil bzw. Sulaymaniya und unmittelbarer Umgebung erscheint die Sicherheitssituation vergleichsweise besser als in anderen Teilen des Irak. Allerdings ist die derzeitige Sicherheitssituation aufgrund der andauernden Kämpfe, in die teilweise auch die kurdischen Streitkräfte (Peshmerga) und diverse Milizen eingebunden sind, besorgniserregend. Insbesondere Einrichtungen der kurdischen Regionalregierung und politischer Parteien sowie militärische und polizeiliche Einrichtungen können immer wieder Ziele terroristischer Attacken sein (BMEIA 1.11.2018).

Die türkische Armee führt regelmäßig (teilweise im Abstand von wenigen Tagen) Luftangriffe auf PKK-Ziele in der kurdischen Autonomieregion im Irak durch. Beide Seiten (sowohl die Türkei als auch die PKK) geben wenig Informationen über die Opfer. In Einzelfällen handelt es sich um Zivilisten (CEDOCA 14.3.2018).

Nachdem die Kurdische Demokratische Partei des Iran (KDPI) ihre bewaffneten Aktivitäten im Jahr 2015 wieder aufnahm, fanden 2016 zum ersten Mal seit zehn Jahren auch wieder iranische Angriffe auf KDPI-Ziele in der Autonomen Region Kurdistan-Irak statt (CEDOCA 14.3.2018). Iranische Revolutionsgarden führten gezielte Tötungen von KDPI-Mitgliedern in der Autonomen Region Kurdistan durch (Al Monitor 7.3.2018). Der Iran hat in der Vergangenheit auch bewaffnete kurdische Oppositionsgruppen im Irak beschossen. Auch im September 2018 kam es zu einem tödlichen Raketenangriff der iranischen Revolutionsgarden auf die KDPI im Irak (Reuters 8.9.2018; vgl. RFE/RL 9.9.2018).

Quellen:

- Al Monitor (7.3.2018): Assassinations mount as Iranian Kurdish militants clash with Tehran, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/03/iran-kdpi-kurdish-opposition-iraq-assassinations-rahmani.html , Zugriff 1.11.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- BMEIA – Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (1.11.2018): Reiseinformation: Irak, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/irak/ , Zugriff 1.11.2018

- CEDOCA - Centre de documentation et de recherches du Commissariat général aux réfugiés et aux apatrides (14.3.2018): IRAK: Situation sécuritaire dans la Région autonome du Kurdistan, https://www.cgra.be/sites/default/files/rapporten/coi_focus_irak._situation_securitaire_dans_la_region_autonome_du_kurdistan_0.pdf , Zugriff 1.11.2018

- Reuters (8.9.2018): Iran attacks Iranian Kurdish opposition group base in Iraq, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-iran/iran-attacks-iranian-kurdish-opposition-group-base-in-iraq-idUSKCN1LO0KZ , Zugriff 1.11.2018

- RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (9.9.2018): Iran's Revolutionary Guards Confirm Deadly Missile Strikes On Kurdish Rebels In Iraq, https://www.rferl.org/a/at-least-11-iranian-kurdish-fighters-killed-in-attack-rebels-blame-on-tehran/29479697.html , Zugriff 1.11.2018

1.5.2. Sicherheitslage Kurdistan – Stand Kurzinformation vom 09.04.2019:

In Nordkurdistan setzte die Türkei ihre Angriffe auf PKK-Stellungen fort. Zwei Treffer durch Luftschläge in Ninewa zogen letztlich einen Protest der irakischen Regierung nach sich. Die Türkei gab jedoch bekannt, ihre Aktionen fortführen zu wollen (Joel Wing 2.1.2019). Als Folge eines Luftangriffs, bei dem mutmaßlich einige Zivilisten ums Leben kamen, stürmte eine aufgebrachte Menge einen Posten der türkischen Armee nahe Dohuk, wobei eine Person ums Leben kam und zehn verletzt wurden (BBC 26.1.2019). Im Dezember 2018 wurden zwölf Luftschläge mit 31 Toten registriert (Joel Wing 2.1.2019), im Jänner 2019 elf mit 35 Toten (Joel Wing 4.2.2019) und im März zwei Vorfälle mit 32 Toten und 10 Verletzten (Joel Wing 3.4.2019). Zusammenstöße zwischen türkischen Soldaten und kurdischen Kämpfern hatten Todesopfer auf beiden Seiten zur Folge (Joel Wing 26.3.2019). Am 30.3.2019 bombardierte die türkische Luftwaffe erneut PKK-Stellungen im Qandil Gebirge (BAMF 1.4.2019).

Der IS rekrutiert in der kurdischen Autonomieregion (ISW 7.3.2019).

Quellen:

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (1.4.2019): Briefing Notes 1 April 2019, per E-Mail

- BBC News (29.1.2019): Kurdish protesters storm Turkish military camp in Iraq, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-47015699 , Zugriff 13.3.2019

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- ISW - Institute for the Study of War (7.3.2019): ISIS Re-Establishes Historical Sanctuary in Iraq, https://iswresearch.blogspot.com/2019/03/isis-re-establishes-historic-sanctuary.html , Zugriff 12.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (2.1.2019): Islamic State Went Into Hibernation In Winter 2018 , https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/01/islamic-state-went-into-hibernation-in.html , Zugriff 12.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (4.2.2019): Slight Uptick In Islamic State Ops In Iraq As New Year Begins, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/02/slight-uptick-in-islamic-state-ops-in.html , Zugriff 12.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (26.3.2019): Security In Iraq Mar 15-21, 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/03/security-in-iraq-mar-15-21-2019.html , Zugriff 27.3.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.4.2019): Iraq Saw Lowest Violence Ever March 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/04/iraq-saw-lowest-violence-ever-march-2019.html , Zugriff 4.4.2019

1.5.3. Sicherheitslage Kurdistan – Stand Kurzinformation vom 30.10.2019:

Der Islamische Staat (IS) erweitert seine Netzwerke im irakischen Kurdistan. Es wird vermutet, dass er versucht diese mit seinen wieder auflebenden Unterstützungszonen in den Gouvernements Kirkuk und Diyala zu verbinden. Einheiten der Asayish [Anm.: Inlandsgeheimdienst der Autonomen Region Kurdistan] konnten laut eigenen Angaben seit Jänner 2019 unter anderem drei arabische IS-Zellen sprengen - in Sulaymaniyah City, in Chamchamal, zwischen Sulaymaniyah und der Stadt Kirkuk, sowie in Kalar, im Nordosten des Diyala Flußtales. Am 11. April verhafteten die Asayish einen IS-Kämpfer, der für das Schleusen von Kämpfern zwischen Kirkuk Stadt, Hawija und Dibis im Gouvernement Kirkuk verantwortlich war (ISW 19.4.2019).

Die türkische Luftwaffe führte in den Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniya Luftangriffe durch und verursachte materielle Schäden, ohne dass jedoch Verluste an Menschenleben gemeldet wurden. Zwischen 14. Februar und 9. April meldeten die türkischen Streitkräfte mindestens zwölf Einsätze sowie zwei Zusammenstöße mit Einheiten der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) (UNSC 2.5.2019). Am 27.5.2019 startete das türkische Militär die „Operation Klaue“ mit dem Ziel PKK-Hochburgen im Nordirak, in der Region Qandil zu beseitigen (ACLED 2.7.2019; vgl. Al Jazeera 28.5.2019). Nach einer anfänglich defensiven Haltung der PKK kam es zu einer Zunahme der Angriffe auf die türkischen Streitkräfte, insbesondere im Südosten der Türkei, wie den Bezirk Cukurca in der Provinz Hakkari. Kurdische Einheiten zogen sich dabei grenzüberschreitend auch in den Iran zurück (ACLED 2.7.2019). Über 60 PKK-Kämpfer wurden seit Beginn der „Operation Klaue“ als „neutralisiert“ (d.h. getötet, gefangen genommen oder verletzt) gemeldet (ACLED 11.6.2019; vgl. ACLED 2.7.2019). Ebenso wurde die Zerstörung von Sprengmittel (Landminen, IEDs) und Verstecken der PKK gemeldet (ACLED 11.6.2019; vgl. Reuters 8.6.2019).

Türkisches Bombardement, das die Ortsränder dreier Dörfer im Bezirk Amadiya im Gouvernement Dohuk traf, zwang deren Einwohner zur Flucht (Kurdistan 24 9.4.2019).

Quellen:

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.7.2019): Regional Overview – Middle East 2 July 2019, https://www.acleddata.com/2019/07/02/regional-overview-middle-east-2-july-2019/ , Zugriff 3.7.2019

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (11.6.2019): Regional Overview – Middle East 11 June 2019, https://www.acleddata.com/2019/06/12/regional-overview-middle-east-11-june-2019/ , Zugriff 18.6.2019

- Al Jazeera (28.5.2019): Turkey launches operation against PKK fighters in northern Iraq, https://www.aljazeera.com/news/2019/05/turkey-launches-operation-pkk-fighters-northern-iraq- 190528140950966.html, Zugriff 18.6.2019

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- ISW - Institute for the Study of War (19.4.2019): ISIS Resurgence Update - April 2019, https://iswresearch.blogspot.com/2019/04/isis-resurgence-update-april-16-2019.html , Zugriff 17.6.2019

- Kurdistan 24 (9.4.2019): Christian villagers flee from Turkish cross-border attacks into Kurdistan Region, https://www.kurdistan24.net/en/news/e04e4df6-9d16-45a7-83b1-57281d28fd74 , Zugriff 1.7.2019

- Reuters (8.6.2019): Turkey says it has 'neutralized' 43 Kurdish militants in northern Iraq, https://www.reuters.com/article/us-turkey-iraq-security/turkey-says-it-has-neutralized-43-kurdish-militants-in-northern-iraq-idUSKCN1T90A7 , Zugriff 18.6.2019

- UNSC - UN Security Council (2.5.2019): Implementation of resolution 2421 (2018); Report of the Secretary-General [S/2019/365], https://www.ecoi.net/en/file/local/2008023/S_2019_365_E.pdf , Zugriff 17.6.2019

1.5.4. Sicherheitslage Kurdistan – Stand Kurzinformation vom 30.10.2019:

Im Juli 2019 führte der IS seine seit langem erste Attacke auf kurdischem Boden durch. Im Gouvernement Sulaimaniya attackierte er einen Checkpoint an der Grenze zu Diyala, der von Asayish [Anm.: Inlandsgeheimdienst der Autonomen Region Kurdistan] bemannt war. Der Angriff erfolgte in drei Phasen: Auf einen Schussangriff folgte ein IED-Angriff gegen eintreffende Verstärkung, gefolgt von Mörserbeschuss. Bei diesem Angriff wurden fünf Tote und elf Verletzte registriert (Joel Wing 5.8.2019). Im August wurde in Sulaimaniya ein Vorfall mit einer IED verzeichnet, wobei es keine Opfer gab (Joel Wing 9.9.2019).

Die am 27. Mai initiierte türkische „Operation Claw“ gegen Stellungen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) im Nordirak hält an. Die erste Phase richtete sich gegen Stellungen in der Hakurk/Khakurk-Region im Gouvernement Erbil (Anadolu Agency 13.7.2019; vgl. Rudaw 13.7.2019). Die zweite Phase begann am 12. Juli und zielt auf die Zerstörung von Höhlen und Zufluchtsorten der PKK (Anadolu Agency 13.7.2019). Die türkischen Luftangriffe konzentrierten sich auf die Region Amadiya im Gouvernement Dohuk, von wo aus die PKK häufig operiert (ACLED 17.7.2019). Aktuell befindet sich die Operation in der dritten Phase (ACLED 4.9.2019).

Im Kreuzfeuer wurden in den vergangenen Wochen mehrere kurdische Dörfer evakuiert, da manchmal auch Zivilisten und deren Eigentum bei türkischen Luftangriffen getroffen wurden (ACLED 4.9.2019; vgl. ACLED 7.8.2019).

Am 10. und 11. Juli bombardierte iranische Artillerie mutmaßliche PKK-Ziele im Subdistrikt Sidakan/Bradost im Gouvernement Sulaimaniya, wobei ein Kind getötet wurde (Al Monitor 12.7.2019). In dem Gebiet gibt es häufige Zusammenstöße zwischen iranischen Sicherheitskräften und iranisch-kurdischen Aufständischen, die ihren Sitz im Irak haben, wie die “Partei für ein Freies Leben in Kurdistan‘‘ (PJAK), die von Teheran beschuldigt wird, mit der PKK in Verbindungen zu stehen (Reuters 12.7.2019).

Quellen:

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (17.7.2019): Regional Overview – Middle East 17 July 2019, https://www.acleddata.com/2019/07/17/regional-overview-middleeast-17-july-2019/ , Zugriff 2.10.2019

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middleeast-2-october-2019/ , Zugriff 7.10.2019

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (4.9.2019): Regional Overview – Middle East 4 September 2019, https://www.acleddata.com/2019/09/04/regional-overviewmiddle-east-4-september-2019/ , Zugriff 2.10.2019

- Al Monitor (12.7.2019): Iran shells Iraqi Kurdistan Region, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2019/07/iraq-iran-kurdistan-turkey.html , Zugriff 2.10.2019

- Anadolu Agency (13.7.2019): Turkey launches counter-terror Operation Claw-2 in N.Iraq, https://www.aa.com.tr/en/turkey/turkey-launches-counter-terror-operation-claw-2-in-niraq/1530592 , Zugriff 2.10.2019

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html , Zugriff 1.10.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (9.9.2019): Islamic State’s New Game Plan In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/09/islamic-states-new-game-plan-in-iraq.html , Zugriff 1.10.2019

- Reuters (12.7.2019): Iran strikes opposition positions on border with Iraqi Kurdistan – Tasnim, https://www.reuters.com/article/us-iran-iraq-security/iran-strikes-opposition-positions-onborder-with-iraqi-kurdistan-tasnim-idUSKCN1U71E7 , Zugriff 2.10.2019

- Rudaw (13.7.2019): Turkey reinvigorates Operation Claw in Kurdistan Region against PKK, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/130720191 , Zugriff 2.10.2019

1.6. Sicherheitslage im Nord- und Zentralirak:

1.6.1. Sicherheitslage Nord- & Zentralirak – Stand LIB vom 20.11.2018:

In den Provinzen Ninewa und Salah al-Din muss weiterhin mit schweren Anschlägen und offenen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem IS und irakischen Sicherheitskräften gerechnet werden. Diese Gefährdungslage gilt ebenfalls für die Provinz Anbar und die Provinz Ta’mim (Kirkuk), sowie auch für die Provinz Diyala. Hinzu kommen aktuelle Spannungen zwischen irakischen Streitkräften und kurdischen Peshmerga (AA 1.11.2018).

Mit dem Zuwachs und Gewinn an Stärke von lokalen und sub-staatlichen Kräften, haben diese auch zunehmend Verantwortung für die Sicherheit, politische Steuerung und kritische Dienstleistungen übernommen. Infolgedessen ist der Nord- und Zentralirak, obgleich nicht mehr unter der Kontrolle des IS, auch nicht unter fester staatlicher Kontrolle. Die Fragmentierung der Macht und die große Anzahl an mobilisierten Kräften mit widersprüchlichen Loyalitäten und Programmen stellt eine erhebliche Herausforderung für die allgemeinen Stabilität dar (GPPI 3.2018).

Der Zentralirak ist derzeit der wichtigste Stützpunkt für den IS. Die Gewalt dort nahm im Sommer 2018 zu, ist aber inzwischen wieder gesunken. In der Provinz Diyala beispielsweise fiel die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle von durchschnittlich 1,7 Vorfällen pro Tag im Juni 2018 auf 1,1 Vorfälle im Oktober 2018. Auch in der Provinz Salah al-Din kam es im Juni 2018 zu durchschnittlich 1,4 sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Tag, im Oktober jedoch nur noch zu 0,5. Die Provinz Kirkuk verzeichnete im Oktober 2018 einen Anstieg an sicherheitsrelevanten Vorfällen, mit durchschnittlich 1,5 Vorfällen pro Tag, die höchste Zahl seit Juni 2018. Die Anzahl der Vorfälle selbst ist jedoch nicht so maßgeblich wie die Art der Vorfälle und die Schauplätze an denen sie ausgeübt werden. Der IS ist in allen ländlichen Gebieten der Provinz Diyala, in Süd-Kirkuk, Nord- und Zentral-Salah-al-Din tätig. Es gibt regelmäßige Angriffe auf Städte; Zivilisten und Beamte werden entführt; Steuern werden erhoben und Vergeltungsmaßnahmen gegen diejenigen ausgeübt, die sich weigern zu zahlen; es kommt auch regelmäßige zu Schießereien. Es gibt immer mehr Berichte über IS-Mitglieder, die sich tagsüber im Freien bewegen und das Ausmaß ihrer Kontrolle zeigen. Die Regierung hat in vielen dieser Gegenden wenig Präsenz und die anhaltenden Sicherheitseinsätze sind ineffektiv, da die Kämpfer ausweichen, wenn die Einsätze im Gang sind, und zurückkehren, wenn sie wieder beendet sind. Der IS verfügt derzeit über eine nach außen hin expandierende Kontrolle in diesen Gebieten (Joel Wing 2.11.2018).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt (1.11.2018): Irak: Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/iraksicherheit/202738 , Zugriff 1.11.2018

 BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

 GPPI - Global Public Policy Institute (3.2018): Iraq after ISIL: Sub-State Actors, Local Forces, and the Micro-Politics of Control, http://www.gppi.net/fileadmin/userupload/media/pub/2018/GastonDerzsi-HorvathIraqAfterISIL.pdf , Zugriff 5.11.2018

 Joel Wing - Musings on Iraq (2.11.2018): October 2018: Islamic State Expanding Operations in Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/11/october-2018-islamic-state-expanding.html , Zugriff 5.11.2018

1.6.2. Sicherheitslage Nord- & Zentralirak – Stand Kurzinformation vom 09.04.2019:

In einem Bericht des UN-Sicherheitsrats vom 1.2.2019 heißt es, dass verbliebene IS-Kämpfer nach wie vor eine Bedrohung im Nord- und Zentralirak (Gouvernements Kirkuk, Ninewa und Salahaddin, sowie Anbar, Bagdad und Diyala) darstellen (UNSC 1.2.2019). Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salahaddin sind dabei das Herzstück der Umgruppierungsbemühungen des IS. Dort werden monatlich auch die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle verzeichnet. Der IS ist beinahe im gesamten ruralen Gebiet dieser Gouvernements aktiv, kann sich Berichten zufolge in einigen Städten nachts völlig frei bewegen und hebt Steuern ein (Joel Wing 3.4.2019). Die Lage in diesen umstrittenen Gebieten hat sich nach dem Abzug der kurdischen Peschmerga 2017 verschärft (Landinfo 8.1.2019). Die Konkurrenz zwischen der irakischen Zentralregierung und der kurdischen Autonomieregierung, erzeugt in diesen Gebieten zusätzliche Instabilität, die wiederum vom IS ausgenutzt werden kann (ISW 7.3.2019). Sowohl kurdische Streitkräfte als auch Mitglieder der vom Iran unterstützten Volksmobilisierungskräfte (PMF) üben weiterhin in unterschiedlichem Ausmaß Kontrolle und Einfluss aus, was die Zentralregierung in eine prekäre Lage versetzt, da sie sowohl mit zivilen Unruhen, als auch mit Versuchen einer Reorganisation des IS umgehen und gleichzeitig ihre Verbündeten unter Kontrolle halten muss (ACLED 2019).

Insbesondere ländliche Gebiete, das Hamrin-Gebirge, sowie das Diyala-Flussdelta dienen dem IS als Rückzugsorte, von wo bereits im Jahr 2018 ein Großteil der IS-Operationen im Irak ausgegangen sind (Landinfo 8.1.2019). Das Hamrin-Gebirge ermöglicht dabei den Nord-Süd Übergang zwischen den Gouvernements Ninewa und Diyala und bietet dem IS dauerhaften Schutz vor Luftangriffen und Bodenoffensiven (ISW 7.3.2019). Es gelang den irakischen Sicherheitskräften (ISF) bisher trotz umfangreicher Säuberungsaktionen nicht, den IS aus Hawija zu vertreiben (ISW 7.3.2019; vgl. Landinfo 8.1.2019). Zwischen 25. und 27. März wurde eine neuerliche koordinierte Luft- und Bodenoperation durch die Luftwaffe der Koalition und die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) gegen den IS im nordwestlichen Irak geführt (OIR 29.3.2019).

Der IS führt seine Operationen hauptsächlich südlich und westlich von Ninewas Hauptstadt Mossul durch (Joel Wing 4.2.2019). Er soll auch in der Stadt über Schläferzellen verfügen, und hat dort zuletzt im Februar 2019 eine Autobombe eingesetzt (ISW 7.3.2019). Seit einigen Wochen fordern IS-Angriffe insbesondere in Ninewa regelmäßig viele Opfer (Joel Wing 1.4.2019). So wurden in der Provinz im Dezember 2018 22 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 36 Toten und 37 Verwundeten registriert, wobei hier elf ältere Leichen eingerechnet wurden, die aus Trümmern der Altstadt von Mossul geborgen wurden. Mit den verbliebenen 25 im Dezember getöteten Personen und 37 Verwundeten verzeichnete die Provinz die meisten Gewaltopfer im Irak im Dezember (Joel Wing 2.1.2019). Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen für den Irak nennt für denselben Zeitraum hingegen sieben Tote und 19 Verwundete (UNAMI 3.1.2019). Im Jänner 2019 wurden neun Vorfälle mit 75 Toten und einer verwundeten Person, sowie zwei Massengräberfunde (ältere Gräber aus der Zeit der IS-Herrschaft) mit den Überresten von insgesamt 66 Leichen verzeichnet (Joel Wing 4.2.2019). Im Februar kam es erneut zu einem Anstieg der IS-Aktivitäten, mit 20 Vorfällen mit 147 Toten und 31 Verletzten, wobei wiederum die meisten der Toten auf Funde von Massengräbern älteren Datums zurückgehen (Joel Wing 4.3.2019). Im März wurden elf Vorfälle mit 109 Toten und 53 Verletzten registriert (Joel Wing 3.4.2019).

In Diyala kam es im Dezember 2018 zu 28 sicherheitsrelevanten Vorfällen, mit insgesamt 15 Toten und 16 Verwundeten, darunter drei Angriffe auf Kontrollpunkte (Joel Wing 2.1.2019), sowie Mörserbeschuss der Stadt Saraya (Joel Wing 10.12.2018). Im Jänner 2019 wurden 32 Vorfälle mit zehn Toten und 21 Verwundeten registriert (Joel Wing 4.2.2019), im Februar 26 Vorfälle mit acht Toten und 16 Verwundeten (Joel Wing 4.3.2019) und im März 17 Vorfälle mit acht Toten und 18 Verletzten (Joel Wing 3.4.2019).

In Kirkuk wurden im Dezember 17 Vorfälle mit 204 Toten und 16 Verwundeten registriert, wobei 200 Leichenfunde aus einem Massengrab im Distrikt Hawija im Süden Kirkuks miteingerechnet wurden (Joel Wing 2.1.2019). Im Jänner 2019 wurden 28 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 13 Toten und 31 Verwundeten registriert (Joel Wing 4.2.2019), im Februar 17 Vorfälle mit 17 Toten und 7 Verwundeten (Joel Wing 4.3.2019) und im März 15 Vorfälle mit sieben Toten und sechs Verletzten (Joel Wing 3.4.2019). Die Stämme von Diyala kündigten um Jänner 2019 eine Mobilmachung gegen den IS an, um die Sicherheitskräfte in ihrem Kampf zu unterstützen (Diyaruna 21.1.2019).

In Salahaddin wurden im Dezember acht Vorfälle mit drei Toten und zwei, bzw. drei Verletzten registriert (Joel Wing 2.1.2019; vgl. UNAMI 3.1.2019), im Jänner 2019 14 Vorfälle mit 17 Toten und 36 Verwundeten (Joel Wing 4.2.2019), im Februar 18 Vorfälle mit 25 Toten und 48 Verwundeten (Joel Wing 4.3.2019) und im März acht Vorfälle mit acht Toten und 14 Verletzten (Joel Wing 3.4.2019).

In Anbar, ist es dem IS wieder gelungen eine Unterstützungszone in der Nähe von Amariyat al- Fallujah einzurichten, von der aus seit August 2018 Angriffe in Fallujah erfolgen (ISW 7.3.2019). Im Dezember 2018 wurden in Anbar acht Vorfälle mit acht Toten und 13 Verwundeten registriert (Joel Wing 2.1.2019), im Jänner 2019 16 Vorfälle mit elf Toten und 35 Verwundeten (Joel Wing 4.2.2019), im Februar 28 Vorfälle mit 46 Toten und 26 Verletzten und im März fünf Vorfälle mit acht Toten und fünf Verletzten (Joel Wing 3.4.2019). Der starke Anstieg im Februar wird auf das Einsickern fliehender IS-Kämpfer aus dem benachbarten Syrien zurückgeführt (Joel Wing 4.3.2019).

Quellen:

 ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2019), Behind Frenemy Lines: Uneasy Alliances against IS in Iraq, https://www.acleddata.com/2019/03/01/behind-frenemy-lines-uneasy-alliances-against-is-in-iraq/ , Zugriff 12.3.2019

 BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

 Diyaruna (21.1.2019): Diyala tribes mobilise to rout ISIS remnants, http://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/01/28/feature-02 , Zugriff 14.3.2019

 ISW - Institute for the Study of War (7.3.2019): ISIS Re-Establishes Historical Sanctuary in Iraq, https://iswresearch.blogspot.com/2019/03/isis-re-establishes-historic-sanctuary.html , Zugriff 12.3.2019

 Joel Wing, Musings on Iraq (10.12.2018): Security In Iraq Dec 1-7, 2018, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/12/security-in-iraq-dec-1-7-2018.html , Zugriff 4.4.2019

 Joel Wing, Musings on Iraq (2.1.2019): Islamic State Went Into Hibernation In Winter 2018, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/01/islamic-state-went-into-hibernation-in.html , Zugriff 12.3.2019

 Joel Wing, Musings on Iraq (4.2.2019): Slight Uptick In Islamic State Ops In Iraq As New Year Begins, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/02/slight-uptick-in-islamic-state-ops-in.html , Zugriff 12.3.2019

 Joel Wing, Musings on Iraq (4.3.2019): Islamic State Might Be Coming Out Of Its Winter Hibernation In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/03/islamic-state-might-be-coming-out-of.html , Zugriff 12.3.2019

 Joel Wing, Musings on Iraq (1.4.2019): Security In Iraq Mar 22-28, 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/04/security-in-iraq-mar-22-28-2019.html , Zugriff 2.4.2019

 Joel Wing, Musings on Iraq (3.4.2019): Iraq Saw Lowest Violence Ever March 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/04/iraq-saw-lowest-violence-ever-march-2019.html , Zugriff 4.4.2019

 Landinfo - Norwegian Country of Origin Information Centre (8.1.2019): Temanotat Irak: Diyala provins - sikkerhetssituasjonen per november 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1456258/4792_1547275214_irak-temanotat-diyala-provins-sikkerhetssituasjonen-per-november-2018.pdf , Zugriff 14.3.2019

 OIR - Operation Inherent Resolve (29.3.2019): Fight is not over: Iraqi clearances spearhead fight against Daesh in Iraq, https://www.inherentresolve.mil/Media-Library/News-Releases/Article/1799730/fight-is-not-over-iraqi-clearances-spearhead-fight-against-daesh-in-iraq/ , Zugriff 1.4.2019

 UNAMI - United Nations Assistance Mission for Iraq (3.1.2019): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of December 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=10269:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-december-2018&Itemid=633&lang=en , Zugriff 12.3.2019

 UNSC - United Nations Security Council (1.2.2019): Implementation of resolution 2421 (2018) Report of the Secretary-General, https://www.ecoi.net/en/file/local/2002890/S_2019_101_E.pdf , Zugriff 14.3.2019

1.6.3. Sicherheitslage Nord- & Zentralirak – Stand Kurzinformation vom 30.10.2019:

In den 2017 von der Zentralregierung übernommenen, umstrittenen Gebieten nutzt der Islamische Staat (IS) die geringe Zahl an Sicherheitskräften und deren Konkurrenzverhältnis zueinander aus, woraus sich die hohe Zahl an Übergriffen ableiten lässt (Joel Wing 1.7.2019). Kleinere Gruppen von IS-Kämpfern infiltrieren von Syrien kommend immer wieder die zerklüfteten Gebiete und Wüstenlandschaft im Westirak (Xinhua 6.5.2019).

Das irakische Militär und die von den USA geführte internationale Koalition führten eine Reihe von Angriffen gegen den IS durch, insbesondere im Gouvernement Anbar (ACLED 11.6.2019). Am 5.5.2019 startete ein gemischter Verband der irakischen Armee und paramilitärischen Stammeseinheiten, mit Luftunterstützung der Koalition, und in Abstimmung zwischen den Militärkommandos der Gouvernements Anbar, Salahaddin und Ninewa, eine großangelegte Militäroperation im Westirak (Xinhua 6.5.2019).

Der Islamische Staat (IS) hat seine Präsenz in Ninewa durch Kräfte aus Syrien verstärkt und führte seine Operationen hauptsächlich im Süden und Westen des Gouvernements aus (Joel Wing 3.5.2019). Er verfügt aber auch in Mossul über Zellen (Joel Wing 5.6.2019). Es wird außerdem vermutet, dass der IS vorhat in den Badush Bergen, westlich von Mossul, Stützpunkte einzurichten (ISW 19.4.2019).

Im April 2019 wurden in Ninewa 19 Vorfälle (Joel Wing 3.5.2019) mit 46 Toten und zehn Verletzten (Joel Wing 1.5.2019) verzeichnet, wobei hier auch der Fund eines Massengrabs älteren Datums, mit 36 Leichen, eingerechnet ist (Joel Wing 3.5.2019). Im Mai 2019 wurden 25 Vorfälle mit 64 Toten und 26 Verwundeten registriert, wobei der Fund eines jesidischen Massengrabes älteren Datums im Bezirk Sinjar, mit 35 Leichen, miteingerechnet ist (Joel Wing 5.6.2019). Im Juni wurden zehn Vorfälle mit 24 Toten und 22 Verletzten registriert, wobei hier vier Brandstiftungen von landwirtschaftlichen Flächen und zwei Explosionen von Kriegsrelikten aus der Schlacht um Mossul (Anm.: 17.10.2016 bis 9.7.2017) inkludiert sind (Joel Wing 1.7.2019).

1.6.3.1. Gouvernement Diyala:

Der Islamische Staat (IS) hat Zugang zu allen ländlichen Gebieten des Gouvernements Diyala, konzentriert sich aber besonders auf den Bezirk Khanaqin im Nordosten, der eines der zwischen der Zentralregierung und der Autonomen Kurdischen Region umstrittenen Gebiete ist (Joel Wing 3.5.2019; vgl. Joel Wing 5.6.2019).

In Diyala kam es im April 2019 zu 30 sicherheitsrelevanten Vorfällen (Joel Wing 3.5.2019) mit 22 Toten und 23 Verletzten (Joel Wing 1.5.2019). Im Mai 2019 wurden 35 Vorfälle mit 22 Toten und 42 Verwundeten registriert (Joel Wing 5.6.2019) und im Juni 27 Vorfälle mit zwölf Toten und 20 Verletzten (Joel Wing 1.7.2019).

1.6.3.2. Gouvernement Kirkuk:

Im Gouvernement Kirkuk ist der Islamische Staat (IS) in allen Bezirken aktiv und hat auch regelmäßigen Zugang zu Kirkuk City (Joel Wing 3.5.2019; vgl. Joel Wing 5.6.2019). Insbesondere die Hamrin Berge, sowie die Haine im Westen des Gouvernements dienen dem IS als Rückzugsorte (Joel Wing 3.5.2019). Üblicherweise ereignen sich sicherheitsrelevante Vorfälle in Kirkuk im Süden des Gouvernements (Joel Wing 1.7.2019). Am 30. Mai fand jedoch in Kirkuk City mit der Detonation von sechs „Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ (IEDs) der schwerwiegendste Angriff des Monats statt, der fünf Tote und 35 Verletzte forderte (Joel Wing 5.6.2019; vgl. Reuters 30.5.2019). Im Juni wurden acht Angriffe in Kirkuk City verzeichnet (Joel Wing 1.7.2019). Eine Veränderung in der Taktik des IS in Kirkuk stellt das Legen von Hinterhalten für die Sicherheitskräfte dar (Joel Wing 3.5.2019).

Die 1. und 2. Brigade der Irakischen Spezialeinheiten (ISOF) begannen am 11. April, unterstützt durch die US-geführte Koalition, mit der bisher größten Säuberungsaktion gegen die „Unterstützungszone“ des IS in den Hamrin Bergen (ISW 19.4.2019; vgl. Kurdistan 24 11.4.2019). Die US-amerikanische Luftwaffe (USAF) bombardierte ein Tunnelnetz des IS in den Hamrin Bergen (Jane‘s 1.5.2019). Ähnliche Operationen wurden bereits in den vergangenen Monaten durchgeführt (Kurdistan 24 11.4.2019). Laut lokalen Quellen wurden im Zuge der Operation sechs bedeutende Anführer des IS getötet und damit die Kommandokette in dem Gebiet stark beeinträchtigt (D&S 24.4.2019).

In Kirkuk wurden im April 2019 13 Vorfällen registriert (Joel Wing 3.5.2019) mit 18 Toten und 53 Verletzten (Anm.: Summe aus Joel Wing 1.5.2019 und Joel Wing 5.6.2019). Im Mai 2019 wurden in Kirkuk 35 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 29 Toten und 78 Verwundeten, die höchsten Opferzahlen dieses Monats im Irak, verzeichnet (Joel Wing 5.6.2019). Im Juni sanken die registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle auf 18, mit 18 Toten und 40 Verletzten (Joel Wing 1.7.2019).

1.6.3.3. Gouvernement Salah-al-Din:

Obwohl sich das Gouvernement Salahaddin die Hamrin-Gebirge, das dem Islamischen Staat (IS) als Basis dient, mit dem Gouvernement Diyala teilt, konzentrieren sich die Aufständischen in ihren Aktivitäten stärker auf Diyala (Joel Wing 3.5.2019).

In Salahaddin wurden im April 2019 acht Vorfälle (Joel Wing 3.5.2019) mit zehn Toten und neun Verletzten (Joel Wing 1.5.2019) registriert. Einer davon war ein Angriff auf einen ISF-Konvoi, gefolgt von einem Hinterhalt für die Einsatzkräfte, die am Tatort eintrafen (Joel Wing 3.5.2019; vgl. UNAMI 3.1.2019). Im Mai 2019 wurden 20 Vorfälle mit 22 Toten und 28 Verwundeten verzeichnet (Joel Wing 5.6.2019) und im Juni neun Vorfälle mit vier Toten und neun Verletzten (Joel Wing 1.7.2019). Zwei Angriffe auf das Alas Ölfeld im Mai weiteten sich zu großen Feuergefechten aus (Joel Wing 5.6.2019).

1.6.3.4. Gouvernement Anbar:

Der Islamische Staat (IS) hat vermehrt Kämpfer und Material durch die Jazeera Wüste zwischen Ostsyrien und dem Westirak in den Westen des Gouvernements Anbar verlegt (ISW 19.4.2019; vgl. Joel Wing 3.5.2019). In dieser Region passierten auch die meisten der in Anbar verzeichneten Gewaltakte (Joel Wing 3.5.2019).

Seit Ende Jänner 2019 werden Trüffelsammler, meist in den Wüsten Anbars, vom IS entführt und manchmal, im Fall von Schiiten, getötet. Die irakischen Sicherheitskräfte bestätigten die Entführung von 44 Trüffelsammlern in diesem Jahr, wobei davon auszugehen ist, dass weitere Vorfälle nicht gemeldet wurden (NYT 19.5.2019). Im April wurde eine Autobombe gezündet, die gegen Trüffelsammler in der Rutba Wüste gerichtet war (Joel Wing 3.5.2019).

Die Rutba Wüste an der Grenze zu Saudi Arabien war das Ziel einer von einem gemischten irakischen Verband mit Luftunterstützung der Koalition durchgeführten Militäroperation (Rudaw 9.5.2019). Der Manöverbereich des IS in der Wüste konnte durch die irakischen Sicherheitskräfte um einige Kilometer verkleinert werden (D&S 10.6.2019).

Im April 2019 wurden in Anbar 16 Vorfälle (Joel Wing 3.5.2019) mit sieben Toten und 30 Verletzten (Joel Wing 1.5.2019) registriert, im Mai 2019 acht Vorfälle mit acht Toten und sieben Verwundeten (Joel Wing 5.6.2019) und im Juni 13 Vorfälle mit einem Toten und sieben Verletzten (Joel Wing 1.7.2019).

Quellen:

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (11.6.2019): Regional Overview – Middle East 11 June 2019, https://www.acleddata.com/2019/06/12/regional-overview-middle-east-11-june-2019/ , Zugriff 18.6.2019

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- D&S - Difesa & Sicurezza (24.4.2019): Iraq, Isis chain of command in the Hamrin mountains in Diyala decimated, https://www.difesaesicurezza.com/en/defence-and-security/iraq-isis-chain- of-command-in-the-hamrin-mountains-in-diyala-decimated/, Zugriff 17.6.2019

- D&S - Difesa & Sicurezza (10.6.2019): Iraq-Syria, ISF and SDF intensify the hunt for ISIS cells, https://www.difesaesicurezza.com/en/defence-and-security/iraq-syria-isf-and-sdf- intensify-the-hunt-for-isis-cells/, Zugriff 17.6.2019

- ISW - Institute for the Study of War (19.4.2019): ISIS Resurgence Update - April 2019, https://iswresearch.blogspot.com/2019/04/isis-resurgence-update-april-16-2019.html , Zugriff 17.6.2019

- Jane‘s 360 (1.5.2019): USAF reports combat debut for F-35A, https://www.janes.com/article/88186/usaf-reports-combat-debut-for-f-35a , Zugriff 17.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (1.5.2019): Security In Iraq Apr 22-28, 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/05/security-in-iraq-apr-22-28-2019.html , Zugriff 14.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.5.2019): Islamic State Announces New Offensive But Amounts To Little So Far, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/05/islamic-state-announces-new- offensive.html, Zugriff 14.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State’s Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html , Zugriff 14.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (1.7.2019): Violence Dips During Islamic State’s Latest Offensive, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/07/violence-dips-during-islamic-states.html , Zugriff 3.7.2019

- Kurdistan 24 (11.4.2019): Iraq launches 'large-scale' anti-ISIS operation in Hamrin Mountains, https://www.kurdistan24.net/en/news/e2d4b872-d38a-4a00-8de1-fd4a6b93d8f0 , Zugriff 17.6.2019

- Reuters (30.5.2019): At least five dead in blasts in Iraq's Kirkuk: medical sources, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/at-least-five-dead-in-blasts-in-iraqs-kirkuk- medical-sources-idUSKCN1T02E8, Zugriff 14.6.2019

- Rudaw (9.5.2019): Iraq not keeping up with evolving ISIS: US Defense Department, http://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/090520191 , Zugriff 18.6.2019

- NYT - The New York Times (19.5.2019): They Go to the Desert to Hunt for Truffles. But ISIS Is Hunting Them, https://www.nytimes.com/2019/03/19/world/middleeast/isis-truffle-iraq.html , Zugriff 17.6.2019

- Xinhua (6.5.2019): 8 IS militants killed in operation in western Iraq desert, http://www.xinhuanet.com/english/2019-05/06/c_138036239.htm , Zugriff 18.6.2019

1.6.4. Sicherheitslage Nord- & Zentralirak – Stand Kurzinformation vom 30.10.2019:

In den sogenannten “umstrittenen Gebieten“, die sowohl von Bagdad als auch von der kurdischen Autonomieregion beansprucht werden, und wo es zu erhebliche Sicherheitslücken zwischen den zentralstaatlichen und kurdischen Einheiten kommt, verfügt der IS nach wie vor über operative Kapazitäten, um Angriffe, Bombenanschläge, Morde und Entführungen, durchzuführen (Kurdistan24 7.8.2019). Trotz der Zunahme der Sicherheitsvorfälle im gesamten Irak waren die Zahlen im Laufe des Monats August 2019 für den Zentral-Irak jedoch rückläufig (Joel Wing 9.9.2019).

1.6.4.1. Gouvernement Ninewa:

Im Gouvernement Ninewa wurden im Juli 2019 sechs Vorfälle mit 24 Toten verzeichnet, wobei hier der Fund von 18 Leichen älteren Datums eingerechnet ist (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden neun Vorfälle mit 24 Toten und drei Verwundeten registriert (Joel Wing 9.9.2019). Im September wurden 22 Vorfälle mit 35 Toten und 27 Verletzten registriert, wobei bei fast allen diesen Vorfällen IEDs involviert waren. Außerdem wurde ein Mukhtar ermordet und Mossul mit Mörsergranaten beschossen (Joel Wing 16.10.2019).

1.6.4.2. Gouvernement Diyala:

Das Gouvernement Diyala zählt regelmäßig zu den Regionen mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen und als die gewalttätigste Region des Irak (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 9.9.2019). Der IS ist stark in der Region vertreten und konnte seine operativen Fähigkeiten erhalten (Joel Wing 5.8.2019). Trotz wiederholter Militäroperationen in Diyala kann sich der IS noch immer in den ausgedehnten Gebieten, die sich vom westlichen Teil Diyalas bis zu den Hamreen Bergen im Norden des Gouvernements erstrecken, sowie in den rauen Gebieten nahe der Grenze zum Iran halten (Xinhua 22.8.2019). Es kommt in Diyala regelmäßig zu Konfrontationen des IS mit Sicherheitskräften und zu Übergriffen auf Städte (Joel Wing 5.8.2019). Einerseits vertreibt der IS Zivilisten aus ländlichen Gebieten, um dort Basen zu errichten, anderseits greift er wiederholt die lokale Verwaltung und Sicherheitskräfte an (Joel Wing 9.9.2019). Ein Hauptproblem Diyalas ist die mangelhafte Kommunikation zwischen den vielen unterschiedlichen Sicherheitsakteuren in der Region (Joel Wing 9.9.2019), andererseits gibt es generell zu wenige Sicherheitskräfte in Diyala, was der IS auszunutzen versteht (Joel Wing 5.8.2019). Der IS hat Zugang zu allen ländlichen Gebieten in Diyala, konzentriert sich aber besonders auf die Bezirke Khanaqin und Jalawla im Nordosten, welche die Zentralregierung nach dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum von 2017 übernommen hat (Joel Wing 5.8.2019). Die übrigen Vorfälle betreffen hauptsächlich den Norden und das Zentrum von Diyala. Im Süden und Westen gibt es hingegen kaum sicherheitsrelevante Vorfälle (Joel Wing 9.9.2019).

Für Juli 2019 verzeichnete Joel Wing im Gouvernement Diyala 28 sicherheitsrelevante Vorfälle mit elf Toten und 30 Verletzten (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden 41 Vorfälle – die höchste Anzahl seit August 2018, mit 21 Toten und 46 Verwundeten registriert (Joel Wing 9.9.2019) und im September 37 Vorfälle mit 21 Toten und 30 Verletzten (Joel Wing 16.10.2019). Im September schlug der IS in fast allen Distrikten des Gouvernements zu (Joel Wing 16.10.2019).

1.6.4.3. Gouvernement Kirkuk:

Im Gouvernement Kirkuk gehen die Zahlen der sicherheitsrelevanten Vorfälle, bis auf wenige Spitzen, kontinuierlich zurück. Im Juli gab es eine Reihe von Raketen- und Mörserangriffen auf Städte und Sicherheitskräfte, ansonsten handelte es ich bei den Vorfällen meist um Schießereien und den Einsatz von IEDs (Joel Wing 5.8.2019). Wie im benachbarten Diyala handelte es sich bei Vorfällen in Kirkuk meist um Schießereien, Angriffe auf Kontrollpunkte, Überfälle auf Städte und Vertreibungen aus ländlichen Gebieten, wobei sich der IS auf den Süden des Gouvernements konzentrierte. Unter anderem wurden eine Polizeistation und ein Armeestützpunkt angegriffen, sowie ein Polizeihauptquartier mit Mörsern beschossen (Joel Wing 16.10.2019).

Im Gouvernement Kirkuk wurden im Juli 2019 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit sechs Toten und 13 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 5.8.2019), im August 2019 19 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 34 Toten und 19 Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September 22 Vorfälle mit elf Toten und 19 Verletzten (Joel Wing 16.10.2019).

1.6.4.4. Gouvernement Salah al-Din:

Im Gouvernement Salah ad-Din wurden im Juli 2019 acht Vorfälle mit zehn Toten und acht Verletzten registriert. Zu den Vorfällen zählten zwei Feuergefechte und ein Angriff auf einen Checkpoint (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden sieben Vorfälle mit vier Toten und fünf Verwundeten verzeichnet (Joel Wing 9.9.2019) und im September zehn Vorfälle mit 13 Toten und zehn Verletzten (Joel Wing 16.10.2019).

1.6.4.5. Gouvernement Anbar:

Das Gouvernement Anbar, früher ein IS-Zentrum, wird nun hauptsächlich für den Transit von IS-Kämpfern zwischen dem Irak und Syrien genutzt (Joel Wing 16.10.2019). Die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Anbar hat in den vergangenen Monaten stark fluktuiert (Joel Wing 5.8.2019).

Im Gouvernement Anbar wurden im Juli 2019 fünf sicherheitsrelevante Vorfälle mit neun Toten und 14 Verletzten registriert (Joel Wing 5.8.2019), im August 2019 waren es vier Vorfälle mit sechs Toten und neun Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September vier Vorfälle mit 19 Toten (Joel Wing 16.10.2019).

Quellen:

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-theirusual.html , Zugriff 17.10.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (9.9.2019): Islamic State’s New Game Plan In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/09/islamic-states-new-game-plan-in-iraq.html , Zugriff 1.10.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html , Zugriff 1.10.2019

- Kurdistan24 (7.8.2019): ISIS increases activity in Iraq's disputed territories, https://www.kurdistan24.net/en/news/16f3d2f2-8395-40b8-94f3-ebbd183f398d , Zugriff 2.10.2019

- Xinhua (22.8.2019): 4 IS militants, 2 soldiers killed in clashes in eastern Iraq, http://www.xinhuanet.com/english/2019-08/22/c_138329358.htm , Zugriff 2.10.2019

1.7. Sicherheitslage Südirak:

1.7.1. Sicherheitslage Südirak – Stand LIB vom 20.11.2018:

Der gesamte südliche Teil des Irak, einschließlich der Provinz Babil, steht nominell unter der Kontrolle der irakischen Regierung. Vielerorts scheinen die Regierungsbehörden gegenüber lokalen Stämmen und Milizen noch immer in einer schwächeren Position zu sein. Die irakische Regierung war gezwungen, dem Kampf gegen den IS im Zentral- und Nordirak in den letzten Jahren Vorrang einzuräumen und bedeutende militärische und polizeiliche Ressourcen aus dem Süden abzuziehen und in diese Gegenden zu entsenden. Vor diesem Hintergrund sind Stammeskonflikte, eskalierende Gesetzlosigkeit und Kriminalität ein Problem der lokalen Sicherheitslage. Die Bemühungen der Regierung, die Kontrolle wieder zu übernehmen, scheinen noch nicht zum entscheidenden Erfolg geführt zu haben. Regierungsnahe Milizen sind in unterschiedlichem Maße präsent, aber der Großteil ihrer Kräfte wird im Norden eingesetzt. Terrorismus und Terrorismusbekämpfung spielen im Süden nach wie vor eine Rolle, insbesondere in Babil, aber im Allgemeinen in geringerem Maße als weiter im Norden. Noch immer gibt es vereinzelte Terroranschläge (Landinfo 31.5.2018).

In der Provinz Basra kam es in den vergangenen Monaten immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen bewaffneter Gruppierungen. In Basra und den angrenzenden Provinzen besteht ebenfalls das Risiko von Entführungen (AA 1.11.2018).

Seit 2015 finden in allen Städten des Südirak regelmäßig Demonstrationen statt, um gegen die Korruption der Regierung und die Arbeitslosigkeit zu protestieren und eine bessere Infrastruktur zu fordern. Gewöhnlich finden diese Demonstrationen in Ruhe statt, sie haben jedoch auch schon zu Zusammenstößen mit der Polizei geführt, zu Verletzten und Toten (CEDOCA 28.2.2018). Dies war auch im Juli und September 2018 der Fall, als Demonstranten bei Zusammenstößen mit der Polizei getötet wurden (Al Jazeera 16.7.2018; vgl. Joel Wing 5.9.2018, AI 7.9.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (1.11.2018): Irak: Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/iraksicherheit/202738 , Zugriff 1.11.2018

- AI – Amnesty International (7.9.2018): Iraq: Effective Investigations needed into deaths of protesters in Basra, https://www.amnesty.org/download/Documents/MDE1490552018ENGLISH.PDF , Zugriff 2.11.2018

- Al Jazeera (16.7.2018): Death toll rises in southern Iraq protests, https://www.aljazeera.com/news/2018/07/death-toll-rises-southern-iraq-protests-180716181812482.html , Zugriff 02.11.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- CEDOCA - Centre de documentation et de recherches du Commissariat général aux réfugiés et aux apatrides (28.2.2018): IRAK: Situation sécuritaire dans le sud de l‘Irak, https://www.cgra.be/sites/default/files/rapporten/coi_focus_irak_situation_securitaire_dans_le_sud_de_lirak_20180228.pdf , Zugriff 1.11.2018

- Joel Wing – Musings on Iraq (5.9.2018): Basra Explodes In Rage and Riots Over Water Crisis, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/09/basra-explodes-in-rage-and-riots-over.html , Zugriff 2.11.2018

- Landinfo – The Norwegian COI Centre (31.5.2018): Irak: Sikkerhetssituasjonen i Sør-Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434620/1226_1528700530_irak-temanotat- sikkerhetssituasjonen-i-syarirak-hrn-31052018.pdf, Zugriff 1.11.2018

1.7.2. Sicherheitslage Südirak – Stand Kurzinformation vom 09.04.2019:

Am 21.12.2018 setzte die Polizei scharfe Munition und Tränengas ein, um Demonstranten im südirakischen Basra an der Erstürmung eines Regierungsgebäudes zu hindern. Die zweitgrößte Stadt des Landes erlebt seit Juli 2018 ausgedehnte Proteste gegen Korruption, Misswirtschaft, die schlechte Grundversorgung und Arbeitslosigkeit (Guardian 18.7.2018; vgl. Reuters 21.12.2019). Auch 2019 kommt es weiterhin zu häufigen Protesten (Jane‘s 5.2.2019).

In Qadisiya wurde im Dezember 2018 ein sicherheitsrelevanter Vorfall mit einer verwundeten Person registriert. In Babil waren es im Dezember 2018 zwei Vorfälle mit sechs Verletzten (Joel Wing 2.1.2019), im Jänner 2019 drei Vorfälle mit sechs Verletzten (Joel Wing 4.2.2019) und im Februar zwei Vorfälle mit zwei Verletzten (Joel Wing 4.3.2019). Im März wurde in Babil ein Vorfall registriert, bei dem zwei Personen getötet wurden (Joel Wing 3.4.2019). In Basra wurden bei einem Zusammenstoß zweier Stämme am 11.3.2019 mindestens drei Menschen getötet und sieben weitere verwundet (Kurdistan 24 12.3.2019).

Quellen

 BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

 Jane‘s 360 (5.2.2019): Protests in Iraq’s Basra likely throughout 2019, but security force presence mitigates disruption risk to oil sites, https://www.janes.com/article/86167/protests-in-iraq-s-basra-likely-throughout-2019-but-security-force-presence-mitigates-disruption-risk-to-oil-sites , Zugriff 13.3.2019

 Joel Wing, Musings on Iraq (2.1.2019): Islamic State Went Into Hibernation In Winter 2018, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/01/islamic-state-went-into-hibernation-in.html , Zugriff 12.3.2019

 Joel Wing, Musings on Iraq (3.4.2019): Iraq Saw Lowest Violence Ever March 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/04/iraq-saw-lowest-violence-ever-march-2019.html , Zugriff 4.4.2019

 Joel Wing, Musings on Iraq (4.2.2019): Slight Uptick In Islamic State Ops In Iraq As New Year Begins, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/02/slight-uptick-in-islamic-state-ops-in.html , Zugriff 12.3.2019

 Joel Wing, Musings on Iraq (4.3.2019): Islamic State Might Be Coming Out Of Its Winter Hibernation In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/03/islamic-state-might-be- coming-out-of.html, Zugriff 12.3.2019

 Kurdistan 24 (12.3.2019): WATCH: Clashes between Basra tribes kill, injure ten people, http://www.kurdistan24.net/en/news/5dc59e22-744f-483e-a102-dfe1388e5afd , Zugriff 1.4.2019

 Reuters (21.12.2018): Police use live rounds to disperse protest in Iraq's Basra for second week, https://www.reuters.com/article/us-iraq-protests/police-use-live-rounds-to-disperse-protest-in-iraqs-basra-for-second-week-idUSKCN1OK29Q , Zugriff 13.3.2019

 The Guardian (18.7.2018): Protests spread through cities in Iraq's oil-rich Shia south, https://www.theguardian.com/world/2018/jul/18/protests-spread-through-cities-in-iraqs-oil-rich-shia-south , Zugriff 1.4.2019

1.7.3. Sicherheitslage Südirak – Stand Kurzinformation vom 30.10.2019:

Der Islamische Staat (IS) arbeitet daran seine Netzwerke im Norden des Gouvernements Babil wieder aufzubauen, mutmaßlich um Angriffe auf leichte Ziele (Anm. orig. „soft targets“) in Bagdad und im Süden, in den heiligen Städten Karbala und Najaf, auszuführen (ISW 19.4.2019).

Fast immer, wenn es im Gouvernement Babil zu sicherheitsrelevanten Vorfällen kommt, geschehen diese im Bezirk Jurf al-Sakhr. Der vom Gouvernement Anbar aus zugängliche Bezirk musste von seiner Bevölkerung verlassen werden und dient nun den al-Hashd al-Sha‘bi (Volksmobilisierungseinheiten, PMF) als Basis, weswegen der IS für gewöhnlich hier zuschlägt (Joel Wing 5.6.2019). Am 9. April stieß die 47. Brigade der Volksmobilisierungseinheiten (PMF) in Jurf al-Sakhr mit dem IS zusammen. Dieser zog sich zwar vorübergehend aus dem Gebiet zurück, es erfolgte jedoch keine vollständige Säuberung durch die PMF (ISW 19.4.2019). Im Mai fanden zwei Angriffe im nordwestlichen Jurf al-Sakhr und einer im zentralen Mahawil statt (Joel Wing 5.6.2019). Eine SVBIED-Attacke (Suicide Vehicle Borne Improvised Explosive Device) - die erste seit 2014 - in Jurf al-Sakhr konnte durch die 46. PMF-Brigade verhindert werden (ISW 19.4.2019).

Im April 2019 wurden in Babil drei sicherheitsrelevante Vorfälle (Joel Wing 5.6.2019) mit fünf Verletzten (Joel Wing 1.5.2019) registriert. Im Mai gab es drei Vorfälle mit zwei Toten und fünf Verletzten (Joel Wing 5.6.2019) und im Juni waren es drei Vorfälle mit zwei Verletzten (Joel Wing 1.7.2019).

In Basra wurden im Juni zwei Vorfälle mit drei Verletzten registriert. Ein von internationalen Ölgesellschaften genutzter Gebäudekomplex wurde von Raketen getroffen. Mutmaßlich steckt eine pro-iranischen Gruppe hinter diesem Angriff (Joel Wing 1.7.2019).

Quellen:

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- ISW - Institute for the Study of War (19.4.2019): ISIS Resurgence Update - April 2019, https://iswresearch.blogspot.com/2019/04/isis-resurgence-update-april-16-2019.html , Zugriff 17.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (1.5.2019): Security In Iraq Apr 22-28, 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/05/security-in-iraq-apr-22-28-2019.html , Zugriff 14.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State’s Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html , Zugriff 14.6.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (1.7.2019): Violence Dips During Islamic State’s Latest Offensive, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/07/violence-dips-during-islamic-states.html , Zugriff 3.7.2019

1.7.4. Sicherheitslage Südirak – Stand Kurzinformation vom 30.10.2019:

1.7.4.1. Gouvernement Babil:

Das Gouvernement Babil ist ein einfaches Ziel für die Aufständischen des IS, in das sie von Anbar aus leichten Zugang haben. Insbesondere der Distrikt Jurf al-Sakhr, in dem es keine Zivilisten gibt und der als PMF-Basis dient, ist ein beliebtes Ziel des IS (Joel Wing 9.9.2019).

Im Gouvernement Babil wurden im Juli 2019 drei sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und fünf Verletzten verzeichnet (Joel Wing 5.8.2019). Im August waren es acht Vorfälle mit fünf Toten und 48 Verletzten. Es handelt sich dabei um die höchste Zahl an Vorfällen seit Juni 2018. Darunter befand sich ein schwerer Angriff mit einer Motorradbombe (VBIED) auf einen Markt im Norden des Gouvernements (Joel Wing 9.9.2019). Im September waren es wieder drei Vorfälle mit einem Toten und fünf Verletzten (Joel Wing 16.10.2019).

1.7.4.2. Gouvernement Kerbala:

Im Gouvernement Kerbala wurde im Juli ein Vorfall mit einem Toten und drei Verletzten verzeichnet. Es handelte sich dabei um den Einsatz einer Haftbombe an einem Auto (Joel Wing 5.8.2019). Im September wurde ein sicherheitsrelevanter Vorfall mit zwölf Toten und fünf Verletzten registriert (Joel Wing 16.10.2019). Hierbei wurde an einem Checkpoint im Norden von Kerbala Stadt eine Autobombe gezündet (Joel Wing 16.10.2019; vgl. VOA 21.9.2019). Von Sicherheitskräften entdeckte Waffenlager des IS weisen darauf hin, dass dieser über eine große Menge an Sprengmitteln verfügt (Joel Wing 16.10.2019).

1.7.4.3. Gouvernement Basra:

In Basra wurde im August ein Vorfall ohne Opfer registriert. Es handelte sich dabei um eine gegen British Petroleum (BP) im Rumaila Ölfeld gerichtete IED (Joel Wing 9.9.2019). Demonstrationen gegen Korruption, Arbeitslosigkeit und mangelnde Grundversorgung halten an, wobei iranisch unterstützte PMFs beschuldigt werden, sich an der Unterdrückung der Proteste zu beteiligen und Demonstranten und Menschenrechtsaktivisten anzugreifen (Diyaruna 7.8.2019; vgl. Al Jazeera 25.10.2019).

Quellen:

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- Al Jazeera (25.10.2019): Dozens killed as fierce anti-government protests sweep Iraq, https://www.aljazeera.com/news/2019/10/dozens-killed-fierce-anti-government-demonstrationssweep-iraq-191025171801458.html , Zugriff 28.10.2019

- Diyaruna (7.8.2019): Iran-backed militias suppress Iraqi protests, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/08/07/feature-01 , Zugriff 2.10.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-theirusual.html , Zugriff 17.10.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (9.9.2019): Islamic State’s New Game Plan In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/09/islamic-states-new-game-plan-in-iraq.html , Zugriff 1.10.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html , Zugriff 1.10.2019

- VOA - Voice of America (21.9.2019): IS Claims Blast That Killed 12 Near Iraq's Karbala, https://www.voanews.com/middle-east/claims-blast-killed-12-near-iraqs-karbala , Zugriff 2.10.2019

1.7.5. Proteste und Ausgangssperre in Bagdad und Südirak – Stand Kurzinformation vom 30.10.2019:

Betreffend die seit Anfang Oktober 2019 im Irak stattfindenden gewalttätigen Demonstrationen und die damit im Zusammenhang stehende Sicherheitslage wird auf die unter Punkt 1.3.4. (Sicherheitslage – Sicherheitsrelevante Vorfälle) dargelegten Ausführungen der Kurzinformation der Staatendokumentation vom 30.10.2019 verwiesen.

2. Sicherheitskräfte und Milizen:

Im ganzen Land sind zahlreiche innerstaatliche Sicherheitskräfte tätig. Zivile Behörden haben über einen Teil der Sicherheitskräfte keine wirksame Kontrolle ausgeübt (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2013286.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- USDOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html , Zugriff 31.10.2018

2.1. Irakische Sicherheitskräfte (ISF):

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Sicherheitskräften, die vom Innenministerium verwaltet werden, Sicherheitskräften, die vom Verteidigungsministerien verwaltet werden, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF, Popular Mobilization Forces), und dem Counter-Terrorism Service (CTS). Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig; es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Infrastruktur in diesem Bereich verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der Counter-Terrorism Service (CTS) ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören (USDOS 20.4.2018).

Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 Armee- Angehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen. Sie sind noch nicht befähigt, landesweit den Schutz der Bürger zu gewährleisten. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen. Ohnehin gibt es kein Polizeigesetz, die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten sind sehr weitgehend. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung: Die Sicherheitssektorreform wird aktiv und umfassend von der internationalen Gemeinschaft unterstützt (AA 12.2.2018).

Straffreiheit ist ein Problem. Es gibt Berichte über Folter und Misshandlungen im ganzen Land in Einrichtungen des Innen- und Verteidigungsministeriums. Nach Angaben internationaler Menschenrechtsorganisationen findet Missbrauch vor allem während der Verhöre inhaftierter Personen im Rahmen der Untersuchungshaft statt. Probleme innerhalb der Provinzpolizei des Landes, einschließlich Korruption, bleiben weiterhin bestehen. Armee und Bundespolizei rekrutieren und entsenden bundesweit Soldaten und Polizisten. Dies führt zu Beschwerden lokaler Gemeinden bezüglich Diskriminierung aufgrund ethno-konfessioneller Unterschiede durch Mitglieder von Armee und Polizei. Die Sicherheitskräfte unternehmen nur begrenzte Anstrengungen, um gesellschaftliche Gewalt zu verhindern oder darauf zu reagieren (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 31.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- USDOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html , Zugriff 31.10.2018

2.2. Popular Mobilization Forces (PMF) - Milizen:

2.2.1. Übersicht:

Der Name „Volksmobilisierungseinheiten“ (al-hashd al-sha‘bi, engl.: popular mobilization units, PMU oder popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF), bezeichnet eine Dachorganisation für etwa vierzig bis siebzig Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen (Süß 21.8.2017). Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere „Minderheiten-Einheiten“ der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig (USDOS 20.4.2018). Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten wie dem Iran oder Saudi-Arabien unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mossul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt (AA 12.2.2018).

Die PMF unterstehen seit 2017 formal dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten (AA 12.2.2018). Obwohl die PMF laut Gesetz auf Einsätze im Irak beschränkt sind, sollen, ohne Befugnis durch die irakische Regierung, in einigen Fällen Einheiten das Assad-Regime in Syrien unterstützt haben. Die irakische Regierung erkennt diese Kämpfer nicht als Mitglieder der PMF an, obwohl ihre Organisationen Teil der PMF sind. Alle PMF-Einheiten sind offiziell dem Nationalen Sicherheitsberater unterstellt. In der Praxis gehorchen aber mehrere Einheiten auch dem Iran und der iranischen Revolutionsgarde. Ende 2017 war keine einheitliche Führung und Kontrolle der PMF durch Premierminister und ISF feststellbar, insbesondere nicht der mit dem Iran verbundenen Einheiten. Die Bemühungen der Regierung, die PMF als staatliche Sicherheitsbehörde zu formalisieren, werden fortgesetzt, aber Teile der PMF bleiben „iranisch" ausgerichtet. Das Handeln dieser unterschiedlichen Einheiten stellt zeitweise eine zusätzliche Herausforderungen in Bezug auf die Sicherheitslage dar, insbesondere - aber nicht nur - in ethnisch und religiös gemischten Gebieten des Landes (USDOS 20.4.2018).

Die Schwäche der ISF hat es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa‘ib Ahl al-Haqq und den Kata’ib Hisbollah, erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. Die PMF waren und sind ein integraler Bestandteil der Anti-IS-Operationen, wurden jedoch zuletzt in Kämpfen um sensible sunnitische Ortschaften nicht an vorderster Front eingesetzt. Es gab eine Vielzahl an Vorwürfen von Plünderungen und Gewalttaten durch die PMF. Diese Meldungen haben sich mit dem Konflikt um die umstrittenen Gebiete zum Teil verschärft (AA 12.2.2018).

2.2.2. Rechtsstellung und Aktivitäten der PMF:

Obwohl das Milizenbündnis der PMF unter der Aufsicht des 2014 gegründeten Volksmobilisierungskomitees steht und Ende 2016 ein Gesetz in Kraft trat, das die PMF dem regulären irakischen Militär in allen Belangen gleichstellt und somit der Weisung des Premierministers unterstellt, hat der irakische Staat nur mäßige Kontrolle über die Milizen. In diesem Zusammenhang kommt vor allem Badr eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von Badr dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann. Die einzelnen Teilorganisationen agieren größtenteils eigenständig und weisen eigene Kommandostrukturen auf, was zu Koordinationsproblemen führt und letztendlich eine institutionelle Integrität verhindert (Süß 21.8.2017).

Die militärischen Erfolge der PMF gegen den IS steigerten ihre Popularität vor allem bei der schiitischen Bevölkerung, gleichzeitig wurden allerdings auch Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Hinrichtungen, Entführungen und Zerstörung von Häusern veröffentlicht (Süß 21.8.2017). In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, klagen Einheimische, dass sich die PMF gesetzwidrig und unverhohlen parteiisch verhalten. In Mossul beispielsweise behaupteten mehrere Einwohner, dass die PMF weit davon entfernt seien, Schutz zu bieten, und durch Erpressung oder Plünderungen illegale Gewinne erzielten. PMF-Kämpfer haben im gesamten Nordirak Kontrollpunkte errichtet, um Zölle von Händlern einzuheben. Auch in Bagdad wird von solchen Praktiken berichtet. Darüber hinaus haben die PMF auch die Armee in einigen Gebieten verstimmt. Zusammenstöße zwischen den PMF und den regulären Sicherheitskräften sind häufig. Auch sind Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen der PMF weitverbreitet. Die Rivalität unter den verschiedenen Milizen ist groß (ICG 30.7.2018).

Neben der Finanzierung durch den irakischen, sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf - mit Hilfe der organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die 2003/4 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem dermaßen hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizzentum vereinen - oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat. Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem großangelegten Ölschmuggel, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen sind/waren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker sind/waren (Posch 8.2017).

2.2.3. Bekannte PMF-Organisationen:

Die Badr-Organisation ist die älteste schiitische Miliz im Irak und gleichermaßen die mit den längsten und engsten Beziehungen zum Iran. Hervorgegangen ist sie aus dem Badr-Korps, das 1983/84 als bewaffneter Arm des „Obersten Rates für die Islamische Revolution im Irak" gegründet wurde und von Beginn an den iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran) unterstellt war [Anm. der „Oberste Rat für die Islamische Revolution im Irak" wurde später zum „Obersten Islamischen Rat im Irak" (OIRI), siehe Abschnitt „Politische Lage"]. Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt und gilt heute als die bedeutendste Teilorganisation und dominierende Kraft der PMF. Sie ist besonders mächtig, weil sie Kontrolle über das irakische Innenministerium und damit auch über die Polizeikräfte besitzt; ein Großteil der bewaffneten Kräfte der Organisation wurde ab 2005 in die irakische Polizei aufgenommen. Sie soll über etwa 20.000 bis 50.000 Mann verfügen und ist Miliz und politische Partei in einem (Süß 21.8.2017).

Die Kata’ib Hizbullah (Bataillone der Partei Gottes, Hizbullah Brigades) wurden 2007 von Abu Mahdi al-Muhandis gegründet und werden auch von diesem angeführt. Die Miliz kann als Eliteeinheit begriffen werden, die häufig die gefährlichsten Operationen übernimmt und vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv ist. Ihre Personalstärke ist umstritten, teilweise ist die Rede von bis zu 30.000 Mann. Die Ausrüstung und militärische Ausbildung ihrer Mitglieder sind besser als die der anderen Milizen innerhalb der PMF. Kata’ib Hizbullah arbeiten intensiv mit Badr und der libanesischen Hizbullah zusammen und gelten als Instrument der iranischen Politik im Irak. Die Miliz wird von den USA seit 2009 als Terrororganisation geführt (Süß 21.8.2017).

Die Asa‘ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen oder Khaz‘ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz‘ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US- amerikanischen Truppen im Irak. Asa‘ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern. Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata’ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierung, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Khaz‘ali ist einer der bekanntesten Anführer der PMF (Süß 21.8.2017).

Die Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) wurden im Juni 2014 nach der Fatwa von Großayatollah Ali al-Sistani, in der alle junge Männer dazu aufgerufen wurden, sich im Kampf gegen den IS den Sicherheitskräften zum Schutz von Land, Volk und heiligen Stätten im Irak anzuschließen, von Muqtada as-Sadr gegründet. Die Gruppierung kann de facto als eine Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee bezeichnet werden. Diese ist zwar 2008 offiziell aufgelöst worden, viele ihrer Kader und Netzwerke blieben jedoch aktiv und konnten 2014 leicht wieder mobilisiert werden. Quellen sprechen von einer Gruppengröße von 50.000, teilweise sogar 100.000 Mann, ihre Schlagkraft ist jedoch mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt. Dies liegt darin begründet, dass Sadr politische Distanz zu Teheran wahren will, was in einer nicht ganz so großzügigen Unterstützung Irans resultiert. Das Haupteinsatzgebiet der Miliz liegt im südlichen Zentrum des Irak, wo sie vorgibt, die schiitischen heiligen Stätten zu schützen. Ebenso waren Saraya as-Salam aber auch mehrfach an Kämpfen nördlich von Bagdad beteiligt (Süß 21.8.2017).

Auch die Kata’ib al-Imam Ali (Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions) ist eine der Milizen, die im Juni 2014 neu gebildet wurden. Sie sticht hervor, weil sie sich rasant zu einer schlagkräftigen Gruppe entwickelte, die an den meisten wichtigen Auseinandersetzungen im Kampf gegen den IS beteiligt war. Dies lässt auf eine beträchtliche Kämpferzahl schließen. Die Funktion des Generalsekretärs hat Shibl al-Zaidi inne, ein früherer Angehöriger der Sadr- Bewegung. Zaidi steht in engem Kontakt zu Muhandis und den Pasdaran, weshalb die Miliz intensive Beziehungen zur Badr-Organisation, den Kata’ib Hizbullah und den iranischen Revolutionsgarden unterhält. Die Miliz betreibt außerdem wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit, wodurch ihr Bekanntheitsgrad schnell gestiegen ist. Vor allem der Feldkommandeur Abu Azrael erlangte durch Videos mit äußerst brutalen Inhalten zweifelhafte Berühmtheit. Die Gruppe scheint Gefangene routinemäßig zu foltern und hinzurichten (Süß 21.8.2017).

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 31.10.2018

 BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

 ICG - International Crisis Group (30.7.2018): Iraq’s Paramilitary Groups: The Challenge of Rebuilding a Functioning State, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/188-iraqs-paramilitary-groups-challenge-rebuilding-functioning-state , Zugriff 31.10.2018

 Posch, Walter (8.2017): Schiitische Milizen im Irak und in Syrien - Volksmobilisierungseinheiten und andere, per E-Mail

 Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha’bi: Die irakischen „Volksmobilisierungseinheiten“ (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 31.10.2018

 USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html , Zugriff 31.10.2018

2.3. Kurdische Sicherheitskräfte (Peshmerga):

Die kurdischen Sicherheitskräfte (Peshmerga) unterstehen formal der kurdischen Regionalregierung und sind bislang nicht in den Sicherheitsapparat der Zentralregierung eingegliedert. Sie bilden allerdings keine homogene Einheit, sondern unterstehen faktisch voneinander getrennt den beiden großen Parteien, der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), in ihren jeweiligen Einflussgebieten (AA 12.2.2018). Die Peshmerga sind eine komplexe und vielschichtige Kraft, ihre Loyalität geteilt zwischen dem irakischen Staat, der autonomen Region Kurdistan, verschiedenen politischen Parteien und mächtigen Persönlichkeiten. Zu verschiedenen Zeitpunkten, manchmal auch gleichzeitig, können die Peshmerga als nationale Sicherheitskräfte, regionale Sicherheitskräfte, Partei-Kräfte und persönliche Sicherheitskräfte bezeichnet werden (Clingendael 3.2018).

Im Kampf gegen den IS hatten die Peshmerga Gebiete über die ursprünglichen Grenzen von 2003 der Region Kurdistan-Irak hinaus befreit. Aus diesen zwischen Bagdad und Erbil seit jeher umstrittenen Gebieten hat die irakische Armee die Peshmerga nach Abhaltung des Unabhängigkeitsreferendums im September 2017 größtenteils zurückgedrängt. In weiten Teilen haben die Peshmerga sich kampflos zurückgezogen, es gab jedoch auch teils schwere bewaffnete Auseinandersetzungen mit Opfern auf beiden Seiten (AA 12.2.2018).

Nach der irakischen Verfassung hat die kurdische Autonomieregion das Recht, ihre eigenen Sicherheitskräfte zu unterhalten, finanziell unterstützt von der irakischen Bundesregierung, aber unter der operativen Kontrolle der kurdischen Autonomieregierung. Dementsprechend beaufsichtigt das Ministerium für Peshmerga-Angelegenheiten der kurdischen Autonomieregion 14 Infanteriebrigaden und zwei Unterstützungsbrigaden. Die PUK und die KDP kontrollieren zehntausende Mann zusätzliches Militärpersonal, einschließlich Milizen, die allgemein als die 70er und 80er Peshmerga-Brigaden bezeichnet werden (USDOS 20.4.2018).

KDP und PUK unterhalten getrennte Sicherheits- und Nachrichtendienste, einerseits Asayish und Parastin (KDP), und andererseits Asayish und Zanyari (PUK) (USDOS 20.4.2018; vgl. Chapman 2009). Die Unabhängige Menschenrechtskommission der kurdischen Autonomieregion informiert das kurdische Innenministerium regelmäßig, wenn ihr glaubwürdige Berichte über Menschenrechtsverletzungen durch Polizeikräfte zukommen (USDOS 20.4.2018).

Die Sicherheitsdienste der kurdischen Autonomieregion halten in den von ihnen kontrollierten Gebieten bisweilen Verdächtige fest. Die schlecht definierten administrativen Grenzen zwischen Gebieten und dem Rest des Landes führen zu anhaltender Verwirrung über die Zuständigkeit der Sicherheitskräfte und der Gerichte. Erschwerend kommt hinzu, dass Teile dieser Gebiete sich noch unter IS-Kontrolle befinden (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 31.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- Clingendael – Netherlands Institute of International Relations (3.2018): Fighting for Kurdistan? Assessing the nature and functions of the Peshmerga in Iraq, https://www.clingendael.org/sites/default/files/2018-03/fighting-for-kurdistan.pdf , Zugriff 31.10.2018

- USDOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html , Zugriff 31.10.2018

3. Politische Lage:

3.1. Im Zentralirak:

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018). Gemäß der Verfassung ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.2.2018), der aus 18 Provinzen (muhafazät) besteht (Fanack 27.9.2018). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Autonome Region Kurdistan ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung, verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuwwab, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat), für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt. Zusammen bilden sie den Präsidialrat (Fanack 27.9.2018).

Teil der Exekutive ist auch der Ministerrat, der sich aus dem Premierminister und anderen Ministern der jeweiligen Bundesregierung zusammensetzt (Fanack 27.9.2018; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (RoI 15.10.2005).

Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (BBC 3.10.2018). Abd al-Mahdi ist seit 2005 der erste Premier, der nicht die Linie der schiitischen Da‘wa-Partei vertritt, die seit dem Ende des Krieges eine zentrale Rolle in der Geschichte Landes übernommen hat. Er unterhält gute Beziehungen zu den USA. Der Iran hat sich seiner Ernennung nicht entgegengestellt (Guardian 3.10.2018).

Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik (Fanack 27.9.2018). Im Gegensatz zum Präsidenten, dessen Rolle weitgehend zeremoniell ist, liegt beim Premierminister damit die eigentliche Exekutivgewalt (Guardian 3.10.2018).

Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 27.9.2018). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 17.10.2018; vgl. IRIS 11.5.2018).

Die konfessionell/ethnische Verteilung der politischen Spitzenposten ist nicht in der irakischen Verfassung festgeschrieben, aber seit 2005 üblich (Standard 3.10.2018). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnite, der Premierminister ist ein Schiite und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018).

In weiten Teilen der irakischen Bevölkerung herrscht erhebliche Desillusion gegenüber der politischen Führung (LSE 7.2018; vgl. IRIS 11.5.2018). Politikverdrossenheit ist weit verbreitet (Standard 13.5.2018). Dies hat sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 gezeigt (WZ 12.5.2018). Der Konfessionalismus und die sogennante „Muhassasa", das komplizierte Proporzsystem, nach dem bisher Macht und Geld unter den Religionsgruppen, Ethnien und wichtigsten Stämmen im Irak verteilt wurden, gelten als Grund für Bereicherung, überbordende Korruption und einen Staat, der seinen Bürgern kaum Dienstleistungen wie Strom- und Wasserversorgung, ein Gesundheitswesen oder ein Bildungssystem bereitstellt (TA 12.5.2018).

Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten und Schiiten sowie Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.2.2018).

Die Zeit des Wahlkampfs im Frühjahr 2018 war nichtsdestotrotz von einem Moment des verhaltenen Optimismus gekennzeichnet, nach dem Sieg über den sogenannten Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (ICG 9.5.2018). Am 9.12.2017 hatte Haider al-Abadi, der damalige irakische Premierminister, das Ende des Krieges gegen den IS ausgerufen (BBC 9.12.2017). Irakische Sicherheitskräfte hatten zuvor die letzten IS-Hochburgen in den Provinzen Anbar, Salah al-Din und Ninewa unter ihre Kontrolle gebracht. (UNSC 17.1.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 12.10.2018

- Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html , Zugriff 19.10.2018

- BBC – British Broadcasting Corporation (9.12.2017): Iraq declares war with Islamic State is over, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-42291985 , Zugriff 18.10.2018

- BBC – British Broadcasting Corporation (3.10.2018): New Iraq President Barham Saleh names Adel Abdul Mahdi as PM, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-45722528 , Zugriff 18.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- CIA – Central Intelligence Agency (17.10.2018): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html , Zugriff 19.10.2018

- DW – Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih- as-new-president/a-45733912, Zugriff 18.10.2018

3.2. In der Autonomen Region Kurdistan:

Das Verhältnis der Zentralregierung zur kurdischen Autonomieregion, die einen semi-autonomen Status innehat, hat sich seit der Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums in der Autonomieregion und einer Reihe zwischen Bagdad und Erbil umstrittener Gebiete am 25. September 2017 deutlich verschlechtert (AA 12.2.2018). Die Kurden konnten das von ihnen kontrollierte Territorium im Irak in Folge der Siege gegen den IS zunächst ausdehnen. Mit dem Referendum am 25.9.2017 versuchte die kurdische Regional-Regierung unter Präsident Masud Barzani, ihren Anspruch auch auf die von ihr kontrollierten Gebiete außerhalb der drei kurdischen Provinzen zu bekräftigen und ihre Verhandlungsposition gegenüber der Zentralregierung in Bagdad zu stärken (BPB 24.1.2018).

Bagdad reagierte mit der militärischen Einnahme eines Großteils der umstrittenen Gebiete, die während des Kampfes gegen den IS von kurdischen Peshmerga übernommen worden waren, angefangen mit der ölreichen Region um Kirkuk (AA 12.2.2018). Die schnelle militärische Rückeroberung der umstrittenen Gebiete durch die irakische Armee, einschließlich der Erdöl- und Erdgasfördergebiete um Kirkuk, mit massiver iranischer Unterstützung, bedeutete für die kurdischen Ambitionen einen Dämpfer. Präsident Barzani erklärte als Reaktion darauf am 29.10.2017 seinen Rücktritt. Der kampflose Rückzug der kurdischen Peshmerga scheint auch auf zunehmende Differenzen zwischen den kurdischen Parteien hinzudeuten (BPB 24.1.2018).

Grundlegende Fragen wie Öleinnahmen, Haushaltsfragen und die Zukunft der umstrittenen Gebiete sind weiterhin ungelöst zwischen Bagdad und der kurdischen Autonomieregion (AA 12.2.2018).

Im Dezember 2017 forderte die gewaltsame Auflösung von Demonstrationen gegen die Regionalregierung in Sulaymaniya mehrere Todesopfer. Daraufhin hat sich die Oppositionspartei Gorran aus dem kurdischen Parlament zurückgezogen (BPB 24.1.2018). In der Autonomieregion gehen die Proteste schon auf die Zeit gleich nach 2003 zurück und haben seitdem mehrere Phasen durchlaufen. Die Hauptforderungen der Demonstranten sind jedoch gleich geblieben und drehen sich einerseits um das Thema Infrastrukturversorgung und staatliche Leistungen (Strom, Wasser, Bildung, Gesundheitswesen, Straßenbau, sowie die enormen Einkommensunterschiede) und andererseits um das Thema Regierungsführung (Rechenschaftspflicht, Transparenz und Korruption) (LSE 4.6.2018).

Am 30.9.2018 fanden in der kurdischen Autonomieregion Wahlen zum Regionalparlament statt (Tagesschau 30.9.2018). Mit einer Verzögerung von drei Wochen konnte die regionale Wahlkommission am 20.10.2018 die Endergebnisse veröffentlichen. Zahlreiche Parteien hatten gegen die vorläufigen Ergebnisse Widerspruch eingelegt. Gemäß der offiziellen Endergebnisse gewann die KDP mit 686.070 Stimmen (45 Sitze), vor der PUK mit 319.912 Stimmen (21 Sitze) und Gorran mit 186.903 Stimmen (12 Sitze) (ANF 21.10.2018; vgl. Al Jazeera 21.10.2018, RFE/RL 21.10.2018). Die Oppositionsparteien lehnen die Abstimmungsergebnisse ab und sagen, dass Beschwerden über den Wahlbetrug nicht gelöst wurden (Al Jazeera 21.10.2018).

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 12.10.2018

 Al Jazeera (21.10.2018): Opposition parties reject vote results in Iraq's Kurdish region, https://www.aljazeera.com/news/2018/10/opposition-parties-reject-vote-results-iraq-kurdish-region-181021194012607.html , Zugriff 23.10.2018

 ANF – ANF News (21.10.2018): Wahlergebnisse in Südkurdistan veröffentlicht, https://anfdeutsch.com/kurdistan/wahlergebnisse-in-suedkurdistan-veroeffentlicht-7293 , Zugriff 23.10.2018

 BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

 BPB – Bundeszentrale für politische Bildung (24.1.2018): Kurdenkonflikt, https://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54641/kurdenkonflikt , Zugriff 22.10.2018

 LSE – London School of Economics and Political Science (4.6.2018): Iraq and its regions: The Future of the Kurdistan Region of Iraq after the Referendum, http://eprints.lse.ac.uk/88153/1/Sleiman Haidar_Kurdistan_Published_English.pdf , Zugriff 23.10.2018

 RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (21.10.2018): Ruling KDP Wins Most Seats In Kurdish Regional Parliament Vote, https://www.rferl.org/a/ruling-kdp-wins-most-seats-in-kurdish-regional-parliament-vote/29555348.html , Zugriff 23.10.2018

 Tagesschau (30.9.2018): Wahl in Irakisch-Kurdistan Ein Parlament, das besser arbeitet?, https://www.tagesschau.de/ausland/irak-kurden-wahlen-101.html , Zugriff 23.10.2018

3.3. Parteien:

Es gibt vier große schiitische politische Gruppierungen im Irak: die Islamische Da‘wa-Partei, den Obersten Islamischen Rat im Irak (OIRI) (jetzt durch die Bildung der Hikma-Bewegung zersplittert), die Sadr-Bewegung und die Badr-Organisation. Diese Gruppen sind islamistischer Natur, sie halten die meisten Sitze im Parlament und stehen in Konkurrenz zueinander – eine Konkurrenz, die sich, trotz des gemeinsamen konfessionellen Hintergrunds und der gemeinsamen Geschichte im Kampf gegen Saddam Hussein, bisweilen auch in Gewalt niedergeschlagen hat (KAS 2.5.2018).

Die meisten politischen Parteien verfügen über einen bewaffneten Flügel oder werden einer Miliz zugeordnet (Niqash 7.7.2016; vgl. BP 17.12.2017) obwohl dies gemäß dem Parteiengesetz von 2015 verboten ist (Niqash 7.7.2016; vgl. WI 12.10.2015). Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018) und haben sich zu einer einflussreichen politischen Kraft entwickelt (Niqash 5.4.2018; vgl. Guardian 12.5.2018).

Die sunnitische politische Szene im Irak ist durch anhaltende Fragmentierung und Konflikt gekennzeichnet, zwischen Kräften, die auf Provinz-Ebene agieren, und solchen, die auf Bundesebene agieren. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018).

Die politische Landschaft der Autonomen Region Kurdistan ist historisch von zwei großen Parteien geprägt: der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK). Dazu kommen Gorran („Wandel“), eine 2009 gegründete Bewegung, die sich auf den Kampf gegen Korruption und Nepotismus konzentriert, sowie eine Reihe kleinere islamistische Parteien (KAS 2.5.2018).

Abgesehen von den großen konfessionell bzw. ethnisch dominierten Parteien des Irak, gibt es auch nennenswerte überkonfessionelle politische Gruppierungen. Unter diesen ist vor allem die Iraqiyya/Wataniyya Bewegung des Ayad Allawi von Bedeutung (KAS 2.5.2018).

Die folgende Grafik veranschaulicht die Sitzverteilung im neu gewählten irakischen Parlament. Sairoon, unter der Führung des schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadrs, ist mit 54 Sitzen die größte im Parlament vertretene Gruppe, gefolgt von der Fath-Bewegung des Milizenführers Hadi al-Amiri und Haider al-Abadi‘s Nasr („Victory“)-Allianz (LSE 7.2018).

LSE - London School of Economics and Political Science (7.2018): The 2018 lraqi Federal Elections, http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC lragi-elections Report 2018.pdf, Zugriff 2.11.2018 [Grafik gelöscht, Anm.]

Die Wahl im Mai 2018 war von Vorwürfen von Unregelmäßigkeiten und Wahlbetrug begleitet (Al­ Monitor 23.8.2018; vgl. Reuters 24.5.2018, Al Jazeera 6.6.2018). Eine manuelle Nachzählung der Stimmen, die daraufhin angeordnet wurde, ergab jedoch fast keinen Unterschied zu den zunächst verlautbarten Ergebnissen und bestätigte den Sieg von Muqtada al-Sadr (WSJ 9.8.2018; vgl. Reuters 10.8.2018). Die Mehrheit der Abgeordneten im Parlament ist neu und jung (WZ 9.10.2018). Im Prozess zur Designierung des neuen Parlamentssprechers, des Präsidenten und des Premierministers stimmten die Abgeordneten zum ersten Mal individuell und nicht in Blöcken - eine Entwicklung, die einen Bruch mit den üblichen, schwer zu durchbrechenden Loyalitäten entlang parteipolitischer, konfessioneller und ethnischer Linien, darstellt (Arab Weekly 7.10.2018).

Quellen:

- Al Jazeera (6.6.2018): lraq orders recount of all 11 million votes from May 12 election, https://www.aljazeera.com/news/2018/06/irag-orders-recount-11-million-votes-12-election-180606163950024.html , Zugriff 23.10.2018

- Al-Monitor (23.8.2018): Many lraqi legislators call for canceling election results, https://www.al ­monitor.com/pulse/originals/2018/05/irag-election-fraud.html, Zugriff 23.10.2018

- The Arab Weekly (7.10.2018): Room for optimism in lraq under new leadership, https://thearabweekly.com/room-optimism-irag-under-new-leadership , Zugriff 23.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- BP – Baghdad Post (17.12.2017): All Shia political parties have armed militias – Nujaba, https://www.thebaghdadpost.com/en/Story/21086/All-Shia-political-parties-have-armed-militias-Nujaba , Zugriff 22.10.2018

- CGP – Center for Global Policy (4.2018): The Role of Iraq‘s Shiite Militias in the 2018 Elections, https://www.cgpolicy.org/wp-content/uploads/2018/04/Mustafa-Gurbuz-Policy-Brief.pdf , Zugriff 22.10.2018

- Fanack (27.9.2018): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/ , Zugriff 17.10.2018

- The Guardian (12.5.2018): Martyr or master? Future of anti-Isis militias splits Iraq ahead of elections, https://www.theguardian.com/world/2018/may/12/iraq-elections-become-battleground-iranian-influence , Zugriff 22.10.2018

- HoC – House of Commons (12.6.2018): Briefing paper: Iraq and the 2018 election, researchbriefings.files.parliament.uk/documents/.../CBP-8337.pdf, Zugriff 22.10.2018

- IRIS – Institute of Regional and International Studies (11.5.2018): Iraq Votes 2018: Election Mobilization Strategies, https://auis.edu.krd/iris/sites/default/files/IraqVotes2018_MobilizationStrategies1.pdf , Zugriff 2.11.2018

- ISPI – Istituto per gli studi di politica internazionale (10.5.2018): After IS: The meaning of Iraq’s election for the Arab Sunni community, https://www.ispionline.it/sites/default/files/pubblicazioni/commentary_seloom_10.05.2018.pdf , Zugriff 22.10.2018

- Joel Wing – Musings on Iraq (22.5.2018): Sadr-Communist Alliance And Iraq’s 2018 Elections Interview With Benedict Robin, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/05/sadr-communist- alliance-and-iraqs-2018.html, Zugriff 22.10.2018

- KAS – Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459 , Zugriff 17.10.2018

- LSE – London School of Economics and Political Science (4.6.2018): Iraq and its regions: The Future of the Kurdistan Region of Iraq after the Referendum, http://eprints.lse.ac.uk/88153/1/Sleiman Haidar_Kurdistan_Published_English.pdf , Zugriff 23.10.2018

- LSE – London School of Economics and Political Science (7.2018): The 2018 Iraqi Federal Elections: A Population in Transition?, http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC_Iraqi-elections_Report_2018.pdf , Zugriff 18.10.2018

- MEMO – Middle East Monitor (16.1.2018): Iraq: 3 major Sunni provinces form alliance to run in elections, https://www.middleeastmonitor.com/20180116-iraq-3-major-sunni-provinces-form-alliance-to-run-in-elections/ , Zugriff 22.10.2018

- MEMO – Middle East Monitor (27.2.2018): Iraq Islamic party will not run in upcoming elections, https://www.middleeastmonitor.com/20180227-iraq-islamic-party-will-not-run-in-upcoming-elections/ , Zugriff 22.10.2018

- Niqash (7.7.2016): Too Many Contradictions: Why Iraq’s New Political Parties Law Can Never Work, http://www.niqash.org/en/articles/politics/5304/ , Zugriff 22.10.2018

- Niqash (5.4.2018): Formerly-Armed Angels? The Controversial Iraqi Militia That Now Prefers Social Work To Politics, http://www.niqash.org/en/articles/security/5873/ , Zugriff 22.10.2018

- Reuters (19.5.2018): Cleric Moqtada al-Sadr's bloc wins Iraq election, https://www.reuters.com/article/us-iraq-election-results/cleric-moqtada-al-sadrs-bloc-wins-iraq- election-idUSKCN1IJ2X0, Zugriff 19.10.2018

- Reuters (24.5.2018): Iraqi PM Abadi says election fraud allegations to be investigated, https://www.reuters.com/article/us-iraq-election-fraud/iraqi-pm-abadi-says-election-fraud-allegations- to-be-investigated-idUSKCN1IP2Z2, Zugriff 23.10.2018

- Reuters (10.8.2018): Recount shows Iraq's Sadr retains election victory, no major changes, https://www.reuters.com/article/us-iraq-election/recount-shows-iraqs-sadr-retains-election- victory-no-major-changes-idUSKBN1KV041, Zugriff 19.10.2018

- Der Standard (29.10.2017): Kurdenpräsident Barzani hinterlässt einen Trümmerhaufen, https://derstandard.at/2000066849335/Kurdenpraesident-Barzani-hinterlaesst-einen-Truemmerhaufen , Zugriff 22.10.2018

- SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (8.2016): Die »Volksmobilisierung« im Irak, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2016A52_sbg.pdf , Zugriff 22.10.2018

- SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Die Badr-Organisation: Irans wichtigstes politisch-militärisches Instrument im Irak, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A27_sbg.pdf , Zugriff 22.10.2018

- WI – al-Waqā’i‘a al-irāqiyya (12.10.2015): Law No. 36 of 2015 on Political Parties, https://www.ilo.org/dyn/natlex/docs/ELECTRONIC/102986/124758/F1240401810/4383.pdf , Zugriff 22.10.2018

- WoR – War on the Rocks (25.8.2017): Iraq‘s competing security forces after the battle for Mosul, https://warontherocks.com/2017/08/iraqs-competing-security-forces-after-the-battle-for-mosul/ , Zugriff 22.10.2018

- WSJ – Wall Street Journal (9.8.2018): Iraq Election Results Unchanged After Recount on Fraud Allegations, https://www.wsj.com/articles/iraq-election-results-unchanged-after-recount-on-fraud-allegations-1533852653 , Zugriff 23.10.2018

- WZ – Wiener Zeitung (9.10.2018): Schlüsselland Irak, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt/weltpolitik/994916_Schluesselland-Irak.html , Zugriff 15.10.2018

3.4. Protestbewegung:

3.4.1. Übersicht:

Die Protestbewegung, die es schon seit 2014 gibt, gewinnt derzeit an Bedeutung. Zumeist junge Leute gehen in Scharen auf die Straße, fordern bessere Lebensbedingungen, Arbeitsplätze, Reformen, einen effektiven Kampf gegen Korruption und die Abkehr vom religiösen Fundamentalismus (WZ 9.10.2018). Im Juli 2018 brachen im Süden des Landes, in Basra, nahe den Ölfeldern West Qurna und Zubayr Proteste aus. Diese eskalierten, nachdem die Polizei in West Qurna auf Demonstranten schoss (ICG 31.7.2018). Reich an Ölvorkommen, liefert die Provinz Basra 80 Prozent der Staatseinnahmen des Irak. Unter den Einwohnern der Provinz wächst jedoch das Bewusstsein des Gegensatzes zwischen dem enormen Reichtum und ihrer eigenen täglichen Realität von Armut, Vernachlässigung, einer maroden Infrastruktur, Strom- und Trinkwasserknappheit (Carnegie 19.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).

Die Proteste im Juli weiteten sich schnell auf andere Städte und Provinzen im Süd- und Zentralirak aus (DW 15.7.2018; vgl. Presse 15.7.2018, CNN 17.7.2018, Daily Star 19.7.2018). So gingen tausende Menschen in Dhi Qar, Maysan, Najaf und Karbala auf die Straße, um gegen steigende Arbeitslosigkeit, Korruption und eine schlechte Regierungsführung, sowie die iranische Einmischung in die irakische Politik zu protestieren (Al Jazeera 22.7.2018). Die Proteste erreichten auch die Hauptstadt Bagdad (Joel Wing 25.7.2018; vgl. Joel Wing 17.7.2018). Am 20.7. wurden Proteste in 10 Provinzen verzeichnet (Joel Wing 21.7.2018). Demonstranten setzten die Bürogebäude der Da‘wa-Partei, der Badr-Organisation und des Obersten Islamischen Rats in Brand; praktisch jede politische Partei wurde angegriffen (Al Jazeera 22.7.2018). Es kam zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, sowie zu Todesfällen (Kurier 15.7.2018; vgl. CNN 17.7.2018, HRW 24.7.2018). Ende August war ein Nachlassen der Demonstrationen zu verzeichnen (Al Jazeera 3.8.2018). Im September flammten die Demonstrationen wieder auf. Dabei wurden in Basra Regierungsgebäude, die staatliche Fernsehstation, das iranische Konsulat, sowie die Hauptquartiere fast aller Milizen, die vom Iran unterstützt werden, angegriffen. Mindestens 12 Demonstranten wurden getötet (Vox 8.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).

Quellen:

- Al Jazeera (22.7.2018): Iraq protests: What you should know, https://www.aljazeera.com/indepth/features/iraq-protests-180717074846746.html , Zugriff 23.10.2018

- Al Jazeera (3.8.2018): Protests in Iraq dwindle after weeks of anger, https://www.aljazeera.com/news/2018/08/protests-iraq-dwindle-weeks-anger-180803192747710.html , Zugriff 24.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- Carnegie – Carnegie Middle East Center (19.9.2018): The Basra Exception, http://carnegie-mec.org/diwan/77284?lang=en , Zugriff 23.10.2018

- CNN – Central News Network (17.7.2018): Protests spread, turn deadly in Iraq: At least 8 are dead, dozens hurt, https://edition.cnn.com/2018/07/16/world/iraq-protests-violent/index.html , Zugriff 23.10.2018

- The Daily Star (19.7.2018): In Iraq, old grievances fuel deadly protests, https://www.dailystar.com.lb/News/Middle-East/2018/Jul-19/457085-in-iraq-old-grievances-fuel-deadly-protests.ashx , Zugriff 23.10.2018

- DW – Deutsche Welle (15.7.2018): Protests spread from oil-rich Basra across southern Iraq, https://www.dw.com/en/protests-spread-from-oil-rich-basra-across-southern-iraq/a-44678926 , Zugriff 23.10.2018

- HRW – Human Rights Watch (24.7.2018): Iraq: Security Forces Fire on Protesters, https://www.hrw.org/news/2018/07/24/iraq-security-forces-fire-protesters , Zugriff 24.10.2018

- ICG – International Crisis Group (31.7.2018): How to cope with Iraq’s summer brushfire, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/b61-how- cope-iraqs-summer-brushfire, Zugriff 23.10.2018

- Joel Wing – Musings on Iraq (14.7.2018): Protests In Iraq Greatly Escalate And Spread Throughout South, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/protests-in-iraq-greatly-escalate-and.html , Zugriff 24.10.2018

- Joel Wing – Musings on Iraq (17.7.2018): Iraq Government Starts Crackdown On Protests, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/iraq-government-starts-crackdown-on.html , Zugriff 24.10.2018

- Joel Wing – Musings on Iraq (21.7.2018): 2 Killed As Protests Hit 10 Provinces In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/2-killed-as-protests-hit-10-provinces.html , Zugriff 24.10.2018

- Joel Wing – Musings on Iraq (25.7.2018): Silencing Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/silencing-protests-in-iraq.html , Zugriff 24.10.2018

- Kurier (15.7.2018): Proteste im Irak eskalieren weiter: Mehrere Tote, https://kurier.at/politik/ausland/proteste-im-irak-eskalieren-weiter-mehrere-tote/400066748 , Zugriff 24.10.2018

- NPR – National Public Radio (27.9.2018): Months Of Protests Roil Iraq‘s Oil Capital Basra, https://www.npr.org/2018/09/27/651508389/months-of-protests-roil-iraqs-oil-capital-basra?t=1539869569857&t=1540298050551 , Zugriff 23.10.2018

- Die Presse (15.7.2018): Massive Proteste breiten sich im Süden des Irak aus, https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5464674/Massive-Proteste-breiten-sich-im-Sueden-des-Irak-aus , Zugriff 24.10.2018

- Vox (8.9.2018): The violent protests in Iraq, explained, https://www.vox.com/world/2018/9/7/17831526/iraq-protests-basra-burning-government-buildings-iran-consulate-water , Zugriff 24.10.2018

- WZ – Wiener Zeitung (9.10.2018): Schlüsselland Irak, https://www.wienerzeitung.at/_em_cms/globals/print.php?em_ssc=LCwsLA==&em_cnt=994916&em_loc=69&em_ref=/nachrichten/welt/weltpolitik/&em_ivw=RedCont/Politik/Ausland&em_absatz_bold=0 , Zugriff 2.11.2018

3.4.2. Proteste und Ausgangssperre in Bagdad und Südirak – Stand Kurzinformation vom 30.10.2019:

Betreffend die seit Anfang Oktober 2019 im Irak stattfindenden gewalttätigen Demonstrationen und die damit im Zusammenhang stehende Sicherheitslage wird auf die unter Punkt 1.3.4. (Sicherheitslage – Sicherheitsrelevante Vorfälle) dargelegten Ausführungen der Kurzinformation der Staatendokumentation vom 30.10.2019 verwiesen.

4. Rechtsschutz und Justizwesen:

4.1. Im Zentralirak:

Die Bundesjustiz besteht aus dem Obersten Justizrat (Higher Judicial Council, HJC), dem Bundesgerichtshof, dem Kassationsgericht, der Staatsanwaltschaft, der Justizaufsichtskommission und anderen Bundesgerichten, die durch das Gesetz geregelt werden. Das reguläre Strafjustizsystem besteht aus Ermittlungsgerichten, Gerichten der ersten Instanz, Berufungsgerichten, dem Kassationsgerichtshof und der Staatsanwaltschaft (LIFOS 8.5.2014). Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts (AA 12.2.2018).

Die Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (Stanford 2013; vgl. AA 12.2.2018). Jedoch schränken bestimmte gesetzliche Bestimmungen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ein. Darüber hinaus schwächen die Sicherheitslage und die politische Geschichte des Landes die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 20.4.2018). Die Rechtsprechung ist in der Praxis von einem Mangel an kompetenten Richtern, Staatsanwälten sowie Justizbeamten gekennzeichnet. Eine Reihe von Urteilen lassen auf politische Einflussnahme schließen. Hohe Richter werden oftmals auch unter politischen Gesichtspunkten ausgewählt (AA 12.2.2018).

Zudem ist die Justiz von Korruption, politischem Druck, Stammeskräften und religiösen Interessen beeinflusst. Aufgrund von Misstrauen gegenüber Gerichten oder fehlendem Zugang wenden sich viele Iraker an Stammesinstitutionen, um Streitigkeiten beizulegen, selbst wenn es sich um schwere Verbrechen handelt (FH 16.1.2018).

Eine Verfolgung von Straftaten findet nur unzureichend statt (AA 12.2.2018). Strafverfahren sind zutiefst mangelhaft (FH 16.1.2018). Es mangelt an ausgebildeten, unbelasteten Richtern; eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen auf 30 Tage ausgedehnt. Es gibt häufig Fälle überlanger Untersuchungshaft, ohne dass die Betroffenen, wie vom irakischen Gesetz vorgesehen, einem Richter oder Staatsanwalt vorgeführt würden. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über „schiitische Siegerjustiz“ und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten. Das seit 2004 geltende Notstandsgesetz ermöglicht der Regierung Festnahmen und Durchsuchungen unter erleichterten Bedingungen (AA 12.2.2018).

Korruption oder Einschüchterung beeinflussen Berichten zufolge einige Richter in Strafsachen auf der Prozessebene und bei der Berufung vor dem Kassationsgericht. Die Integritätskommission untersucht routinemäßig Richter wegen Korruptionsvorwürfen, aber einige Untersuchungen sind Berichten zufolge politisch motiviert. Zahlreiche Drohungen und Morde durch konfessionelle, extremistische und kriminelle Elemente sowie der Stämme beeinträchtigten die Unabhängigkeit der Justiz. Richter, Anwälte und ihre Familienangehörigen sind häufig mit Morddrohungen und Angriffen konfrontiert (USDOS 20.4.2018). Nicht nur Polizei Richter, sondern auch Anwälte, können dem Druck einflussreicher Personen, z.B. der Stämme, ausgesetzt sein. Dazu kommt noch Überlastung. Ein Untersuchungsrichter kann beispielsweise die Verantwortung über ein Gebiet von einer Million Menschen haben, was sich negativ auf die Rechtsstaatlichkeit auswirkt (LIFOS 8.5.2014).

Die Verfassung gibt allen Bürgern das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess. Dennoch verabsäumen es Beamte routinemäßig, Angeklagte unverzüglich oder detailliert über die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu informieren. In zahlreichen Fällen dienen erzwungene Geständnisse als primäre Beweisquelle. Beobachter berichteten, dass Verfahren nicht den internationalen Standards entsprechen. Obwohl Ermittlungs-, Prozess- und Berufungsrichter im Allgemeinen versuchen, das Recht auf ein faires Verfahren durchzusetzen, ist der unzureichende Zugang der Angeklagten zu Verteidigern ein schwerwiegender Mangel im Verfahren. Viele Angeklagte treffen ihre Anwälte zum ersten Mal während der ersten Anhörung und haben nur begrenzten Zugang zu Rechtsbeistand während der Untersuchungshaft. Dies gilt insbesondere für die Anti-Terror-Gerichte, wo Justizbeamte Berichten zufolge versuchen, Schuldsprüche und Urteilsverkündungen für Tausende von verdächtigen IS-Mitgliedern in kurzer Zeit abzuschließen (USDOS 20.4.2018).

2017 endeten viele Schnellverfahren gegen Terrorverdächtige mit Todesurteilen. Zwischen Juli und August 2017 erließen die irakischen Behörden auch Haftbefehle gegen mindestens 15 Rechtsanwälte, die mutmaßliche IS-Mitglieder verteidigt hatten. Den Anwälten wurde vorgeworfen, sie stünden mit dem IS in Verbindung (AI 22.2.2018).

Nach Ansicht der Regierung gibt es im Irak keine politischen Gefangenen. Alle inhaftierten Personen sind demnach entweder strafrechtlich verurteilt oder angeklagt oder befinden sich in Untersuchungshaft. Politische Gegner der Regierung behaupteten jedoch, diese habe Personen wegen politischer Aktivitäten oder Überzeugungen unter dem Vorwand von Korruption, Terrorismus und Mord inhaftiert oder zu inhaftieren versucht (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 16.7.2018

 AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World’s Human Rights - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425073.html , Zugriff 13.7.2018

 BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

 FH – Freedom House (16.1.2018): Freedom in the World 2018 - Iraq, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/iraq , Zugriff 25.7.2018

 LIFOS (8.5.2014): Iraq: Rule of Law in the Security and Legal System, https://landinfo.no/asset/2872/1/28721.pdf , Zugriff 13.7.2018

 Stanford - Stanford Law School (2013): Constitutional Law of Iraq, https://law.stanford.edu/wp-content/uploads/2018/04/ILEI-Constitutional-Law-2013.pdf , Zugriff 12.7.2018

 USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html , Zugriff 13.7.2018

4.2. In Kurdistan:

Auch die Lage in der Autonomen Region Kurdistan ist von Defiziten der rechtsstaatlichen Praxis gekennzeichnet (AA 12.2.2018). Der Kurdische Justizrat ist rechtlich, finanziell und administrativ unabhängig vom Justizministerium der Regierung der Autonomen Region Kurdistan, die Exekutive beeinflusst jedoch politisch sensible Fälle. Beamte der Region Kurdistan-Irak berichten, dass Staatsanwälte und Verteidiger bei der Durchführung ihrer Arbeit häufig auf Hindernisse stoßen und dass Prozesse aus administrativen Gründen unnötig verzögert werden. Nach Angaben der Unabhängigen Menschenrechtskommission der Region Kurdistan-Irak bleiben Häftlinge auch nach gerichtlicher Anordnungen ihrer Freilassung für längere Zeit in den Einrichtungen des internen Sicherheitsdienstes der kurdischen Regierung (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 16.7.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- USDOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html , Zugriff 13.7.2018

5. Folter und unmenschliche Behandlung:

5.1. Im Zentralirak:

Folter und unmenschliche Behandlung sind lautder irakischen Verfassung ausdrücklich verboten. Im Juli 2011 hat die irakische Regierung die UN-Anti-Folter-Konvention (CAT) unterzeichnet. Folter wird jedoch auch in der jüngsten Zeit von staatlichen Akteuren angewandt, etwa bei Befragungen durch irakische (einschließlich kurdische) Polizei- und andere Sicherheitskräfte. Laut Informationen von UNAMI sollen u. a. Bedrohung mit dem Tod, Fixierung mit Handschellen in schmerzhaften Positionen und Elektroschocks an allen Körperteilen zu den Praktiken gehören. Das im August 2015 abgeschaffte Menschenrechtsministerium hat nach eigenen Angaben 500 Fälle unerlaubter Gewaltanwendung an die Justiz übergeben, allerdings wurden die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen (AA 12.2.2018).

Es gibt Berichte, dass die Polizei mit Gewalt Geständnisse erzwingt und Gerichte diese als Beweismittel akzeptieren. Weiterhin misshandeln und foltern die Sicherheitskräfte der Regierung, einschließlich der mit den PMF verbundenen Milizen, Personen während Verhaftungen, Untersuchungshaft und nach Verurteilungen. Internationale Menschenrechtsorganisationen dokumentierten Fälle von Folter und Misshandlung in Einrichtungen des Innenministeriums und in geringerem Umfang in Haftanstalten des Verteidigungsministeriums sowie in Einrichtungen unter KRG-Kontrolle. Ehemalige Gefangene, Häftlinge und Menschenrechtsgruppen berichteten von einer Vielzahl von Folterungen und Misshandlungen (USDOS 20.4.2018).

Gegen Ende der Kämpfe um Mossul zwischen Mai und Juli 2017 häuften sich Berichte, wonach irakische Einheiten, darunter Spezialkräfte des Innenministeriums, Bundespolizei und irakische Sicherheitskräfte, Männer und Jungen, die vor den Kämpfen flohen, festnahmen, folterten und außergerichtlich hinrichteten (AI 22.2.2018).

In ihrem Kampf gegen den IS haben irakische Streitkräfte Hunderte von IS-Verdächtigen gefoltert, hingerichtet oder gewaltsam verschwinden lassen. Zahlreiche gefangene IS-Verdächtige haben behauptet, die Behörden hätten sie durch Folter zu Geständnissen gezwungen. Während der Militäreinsätze zur Befreiung von Mosul, haben irakische Streitkräfte mutmaßliche IS-Kämpfer, die auf dem Schlachtfeld oder in dessen Umfeld gefangen genommen worden waren, ungestraft gefoltert und hingerichtet, manchmal sogar nachdem sie Fotos und Videos der Misshandlungen auf Social Media Seiten veröffentlicht hatten (HRW 18.1.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 16.7.2018

- AI – Amnesty International (22.2.2018): Jahresbericht 2017/18 Irak, https://www.amnesty.de/jahresbericht/2018/irak#section-1722159 , Zugriff 16.7.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- HRW – Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 – Iraq, https://www.hrw.org/world-report/2018/country-chapters/iraq , Zugriff 16.7.2018

- USDOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html , Zugriff 16.7.2018

5.2. In Kurdistan:

Missbräuchliche Verhöre sollen unter bestimmten Bedingungen in einigen Haftanstalten der internen Sicherheitseinheit der KRG, der Asayish, und der Geheimdienste der großen politischen Parteien, der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) Parastin und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) Zanyari stattfinden (USDOS 20.4.2018). Berichten zufolge kommt es in Gefängnissen der Asayish in der Region Kurdistan-Irak zur Anwendung von Folterpraktiken gegen Terrorverdächtige (AA 12.2.2018).

KRG-Behörden haben Buben zwischen 11 und 17 Jahren gefoltert, die wegen angeblicher Verbindungen zum IS verhaftet worden waren, und haben sie daran gehindert, sich an einen Anwalt zu wenden. Nach Angaben der Unabhängigen Menschenrechtskommission der KRG befanden sich in einer Jugendstrafanstalt in Erbil 215 Buben wegen Vorwürfen in Zusammenhang mit dem IS. Die Kommission hat 165 Buben befragt. Die meisten Jugendlichen behaupteten, dass die Sicherheitskräfte von PMF und KRG sie verschiedenen Formen des Missbrauchs, einschließlich Schlägen, ausgesetzt hätten (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 16.7.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- USDOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html , Zugriff 16.7.2018

6. Korruption:

Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Staatsdiener vor, aber die Regierung setzt das Gesetz nicht immer wirksam um. Im Laufe des Jahres 2017 gab es zahlreiche Berichte über staatliche Korruption. Auf allen Ebenen des Staates sind einzelne Amtsträger in korrupte Praktiken verstrickt. Die Untersuchung von Korruption ist nicht frei von politischer Einflussnahme. Erwägungen hinsichtlich Familienzugehörigkeit, Stammeszugehörigkeit und Religionszugehörigkeit beeinflussen Regierungsentscheidungen auf allen Ebenen maßgeblich. Bestechung, Geldwäsche, Vetternwirtschaft und Veruntreuung öffentlicher Gelder sind üblich. Medien und NGOs versuchen Korruption unabhängig aufzudecken, obwohl ihre Möglichkeiten begrenzt sind. Antikorruptions-, Strafverfolgungs- und Justizbeamte sowie Mitglieder der Zivilgesellschaft und der Medien werden wegen ihrer Bemühungen zur Bekämpfung korrupter Praktiken bedroht und eingeschüchtert (USDOS 20.4.2018).

Die im ganzen Land grassierende Korruption ist bei fast allen Reformvorhaben ein wesentliches Hindernis, ihre Bekämpfung wurde nach dem militärischen Sieg gegen den IS von Ministerpräsident Abadi als dringlichste politische Aufgabe ausgerufen. Positiv zu vermerken ist die (demokratische) Absetzung einiger besonders korrupter Gouverneure, insbesondere in Ninewa. Abzuwarten bleibt, ob eine konsequentere Strafverfolgung auch unabhängig von der jeweiligen Zugehörigkeit zu bestimmten politischen Lagern erfolgen wird (AA 12.2.2018).

Es kommt wiederholt zu Demonstrationen gegen Korruption, sowohl im Süden des Landes, als auch in Bagdad, sowie in den kurdischen Autonomiegebieten (Rudaw 19.12.2017; vgl. Rudaw 9.2.2018, Qantara 16.7.2018).

Auf dem Corruption Perceptions Index 2017 von Transparency International wird der Irak mit 18 (von 100) Punkten bewertet (0=highly corrupt, 100=very clean) (TI 21.2.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 16.7.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- Rudaw (19.12.2017): Anger over corruption fuels Kurdish protests, http://www.rudaw.net/english/kurdistan/181220178 , Zugriff 17.7.2018

- Rudaw (9.2.2018): Thousands join anti-corruption protests across Iraq, http://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/09022018 , Zugriff 2.11.2018

- TI – Transparency International (21.2.2018): Iraq, https://www.transparency.org/country/IRQ , Zugriff 16.7.2018

- Qantara (16.7.2018): Proteste im Irak gegen Arbeitslosigkeit und Korruption eskalieren, https://de.qantara.de/content/proteste-im-irak-gegen-arbeitslosigkeit-und-korruption-eskalieren , Zugriff 17.7.2018

- USDOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html , Zugriff 16.7.2018

7. NGOs und Menschenrechtsaktivisten:

Mit Stand August 2018 waren laut irakischer Bundesdirektion für Nichtregierungsorganisationen 3.550 NGOs registriert. In der Autonomen Region Kurdistan betrug die Zahl registrierter NGOs 4.300 Seit 2010 gibt es ein Gesetz zu NGOs, das die Beschränkungen der Auslandsfinanzierung von NGOs erleichtert, die Ablehnung von Registrierungsanträgen einschränkt, strafrechtliche Sanktionen beseitigte, unbegründete Überprüfungen und Inspektionen untersagt, sowie gerichtliche Kontrollen über die Suspendierung von NGOs schuf (ICNL 14.9.2018).

Trotz positiver rechtlicher Rahmenbedingungen hat sich im Zuge der seit 2014 anhaltenden bewaffneten Auseinandersetzungen das Arbeitsumfeld für Menschenrechtsorganisationen deutlich verschlechtert. Im gesamten Irak existierten allein im Bereich Menschenrechte zuletzt etwa 350 registrierte NGOs. Zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzen, unterliegen in ihrer Registrierung keinen besonderen Einschränkungen. Die schwierige Sicherheitslage und weiter bestehende regulatorische Hindernisse erschweren dennoch die Arbeit vieler NGOs. Sie unterliegen der Kontrolle durch die Behörde für Angelegenheiten der Zivilgesellschaft. Zahlreiche NGOs berichten von bürokratischen und intransparenten Registrierungsverfahren, willkürlichem Einfrieren von Bankkonten sowie unangekündigten und einschüchternden „Besuchen“ durch Vertreter des Ministeriums. Die Präsenz von ausländischen NGOs im Zentral- und Südirak ist nach wie vor gering. Dies gilt nicht für die Region Kurdistan-Irak, wo viele ausländische NGOs tätig sind, die derzeit aber unter verschärften Kontrollen durch die Zentralregierung in ihrer Arbeit beeinträchtigt sind (AA 12.2.2018).

Nationale und internationale NGOs operieren in den meisten Fällen unter geringer staatlicher Einflussnahme, jedoch gibt es Berichte über staatliche Einmischung, wenn NGOs der Regierung oder bestimmten ethnischen oder religiösen Gruppen Menschenrechtsverletzungen vorwerfen. Im Südirak berichten einige NGOs von Regierungsbeamten, die ihre Arbeit behindert bzw. sie belästigt haben, insbesondere was die Finanzen betrifft. Die kurdische Autonomieregion verfügt über eine aktive Gemeinschaft von meist kurdischen NGOs, viele mit engen Beziehungen zu den politischen Parteien PUK und KDP (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 17.7.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- ICNL – The International Center for Not-for-Profit Law (14.9.2018): Civic Freedom Monitor: Iraq, http://www.icnl.org/research/monitor/iraq.html , Zugriff 30.10.2018

- USDOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html , Zugriff 16.7.2018

8. Allgemeine Menschenrechtslage:

8.1. Im Zentralirak:

Die Verfassung garantiert demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Schutz von Minderheiten und Gleichberechtigung. Der Menschenrechtskatalog umfasst auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit und das Recht auf Bildung. Der Irak hat wichtige internationale Abkommen zum Schutz der Menschenrechte ratifiziert. Es kommt jedoch weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und andere Sicherheitskräfte. Der in der Verfassung festgeschriebene Aufbau von Menschenrechtsinstitutionen kommt weiterhin nur schleppend voran. Die unabhängige Menschenrechtskommission konnte sich bisher nicht als geschlossener und durchsetzungsstarker Akteur etablieren. Internationale Beobachter kritisieren, dass Mitglieder der Kommission sich kaum mit der Verletzung individueller Menschenrechte beschäftigen, sondern insbesondere mit den Partikularinteressen ihrer jeweils eigenen ethnisch-konfessionellen Gruppe. Ähnliches gilt für den Menschenrechtsausschuss im irakischen Parlament. Das Menschenrechtsministerium wurde 2015 abgeschafft (AA 12.2.2018).

Zu den wesentlichsten Menschenrechtsfragen im Irak zählen unter anderem: Anschuldigungen bezüglich rechtswidriger Tötungen durch Mitglieder der irakischen Sicherheitskräfte, insbesondere durch einige Elemente der PMF; Verschwindenlassen und Erpressung durch PMF-Elemente; Folter; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen; willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre; Einschränkungen der Meinungsfreiheit, einschließlich der Pressefreiheit; Gewalt gegen Journalisten; weit verbreitete Korruption; stark reduzierte Strafen für so genannte „Ehrenmorde“; gesetzliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen; Menschenhandel. Militante Gruppen töteten bisweilen LGBTI-Personen. Es gibt auch Einschränkungen bei den Arbeitnehmerrechten, einschließlich Einschränkungen bei der Gründung unabhängiger Gewerkschaften (USDOS 20.4.2018).

Im Zuge des internen bewaffneten Konflikts begingen Regierungstruppen, kurdische Streitkräfte, paramilitärische Milizen, die US-geführte Militärallianz und der IS auch 2017 Kriegsverbrechen, Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und schwere Menschenrechtsverstöße. Der IS vertrieb Tausende Zivilpersonen, zwang sie in Kampfgebiete und missbrauchte sie massenhaft als menschliche Schutzschilde. Er tötete vorsätzlich Zivilpersonen, die vor den Kämpfen fliehen wollten, und setzte Kindersoldaten ein. Regierungstruppen und kurdische Streitkräfte sowie paramilitärische Milizen waren für außergerichtliche Hinrichtungen von gefangen genommenen Kämpfern und Zivilpersonen, die dem Konflikt entkommen wollten, verantwortlich. Außerdem zerstörten sie Wohnhäuser und anderes Privateigentum. Sowohl irakische und kurdische Streitkräfte als auch Regierungsbehörden hielten Zivilpersonen, denen Verbindungen zum IS nachgesagt wurden, willkürlich fest, folterten sie und ließen sie verschwinden. Prozesse gegen mutmaßliche IS-Mitglieder und andere Personen, denen terroristische Straftaten vorgeworfen wurden, waren unfair und endeten häufig mit Todesurteilen, die auf „Geständnissen“ basierten, welche unter Folter erpresst worden waren. Die Zahl der Hinrichtungen war weiterhin besorgniserregend hoch (AI 22.2.2018).

Es gibt zahlreiche Berichte, dass der IS und andere terroristische Gruppen, sowie einige Regierungskräfte, einschließlich der PMF, willkürliche oder rechtswidrige Tötungen begangen haben. Es gibt keine öffentlich zugängliche umfassende Darstellung des Umfangs des Problems verschwundener Personen. Obwohl die PMF offiziell unter dem Kommando des Premierministers stehen, operieren einige PMF-Einheiten nur unter begrenzter staatlicher Aufsicht oder Rechenschaftspflicht (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 23.7.2018

- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 – The State oft he World’s Human Rights - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/1425073.html , Zugriff 28.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- USDOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html , Zugriff 23.7.2018

8.2. In Kurdistan:

Es gibt zwar eine unabhängige kurdische Menschenrechtskommission, sie beschränkt sich aber eher auf die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen und kann selten eine volle Aufklärung oder gar Ahndung gewährleisten (AA 12.2.2018). Der Hohe Ausschuss für die Bewertung und Reaktion auf internationale Berichte überprüfte in der Autonomen Region Kurdistan Anschuldigungen von Misshandlungen durch die Peshmerga, insbesondere gegen IDPs, und entschuldigte sie in öffentlichen Berichten und Kommentaren. Es besteht quasi Straffreiheit für Regierungsbeamte und Sicherheitskräfte, einschließlich der Peshmerga und PMF (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 23.7.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- USDOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html , Zugriff 23.7.2018

8.3. Haftbedingungen:

8.3.1. Im Zentralirak:

Die Haftbedingungen entsprechen nicht dem Mindeststandard, wobei die Situation in den Haftanstalten erheblich variiert (AA 12.2.2018). In einigen Gefängnissen und Haftanstalten bleiben die Bedingungen aufgrund von Überbelegung, Misshandlung und unzureichendem Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung hart und lebensbedrohlich. In staatlichen Haftanstalten und Gefängnissen fehlt es zuweilen an ausreichender Nahrung und Wasser. Der Zugang zu medizinischer Versorgung ist uneinheitlich. Einige Haftanstalten verfügten über keine eigene Apotheke oder Krankenstation. Existierende Apotheken sind oft unterversorgt. Die Überbelegung der staatlichen Gefängnisse stellt ein systemisches Problem dar, das durch die Zunahme der Zahl der mutmaßlichen IS-Mitglieder, die im Berichtszeitraum festgenommen wurden, noch verschärft wird. Es gibt keine Unterkünfte für Häftlinge mit Behinderungen. Häftlinge, die des Terrorismus beschuldigt werden, werden vom Rest der Gefangenen isoliert und bleiben häufiger in Gewahrsam des Innen- bzw. Verteidigungsministeriums. (USDOS 20.4.2018)

Es fehlt an Jugendstrafanstalten; laut dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz werden jugendliche Häftlinge mittlerweile meist getrennt von erwachsenen Straftätern inhaftiert, ihnen wird aber oft der regelmäßige Kontakt zu ihren Familien verwehrt (AA 12.2.2018)

Die UN-Mission für den Irak (UNAMI) konnte ihr Mandat zum Besuch irakischer Haftanstaltennicht umfassend wahrnehmen. Die irakischen Behörden verweigerten in mehreren Fällen den Zugang zu Haftanstalten. Das Internationale Rote Kreuz (IKRK) hat hingegen regelmäßigen und flächendeckenden Zugang (AA 12.2.2018).

Die Behörden halten IS-Verdächtige unter überfüllten und in einigen Fällen unmenschlichen Bedingungen fest. Inhaftierte Minderjährige werden in manchen Fällen nicht von Erwachsenen getrennt (HRW 18.1.2018).

Berichten zufolge unterhält der nationale Sicherheitsdienst (National Security Service, NSS), ein dem Premierminister unterstellter Geheimdienst, auch inoffizielle Gefangenenlager (BAMF 23.7.2018; vgl. HRW 22.7.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 23.7.2018

- BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (23.7.2018): Briefing Notes, per E-Mail

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- HRW – Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 – Iraq, https://www.hrw.org/world-report/2018/country-chapters/iraq , Zugriff 24.7.2018

- HRW – Human Rights Watch (22.7.2018): Iraq: Intelligence Agency Admits Holding Hundreds Despite Previous Denials, https://www.hrw.org/news/2018/07/22/iraq-intelligence-agency-admits-holding-hundreds-despite-previous-denials , Zugriff 24.7.2018

- USDOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html , Zugriff 23.7.2018

8.3.2. In Kurdistan:

In den Haftanstalten der Region Kurdistan-Irak (KRG) herrschen etwas bessere Bedingungen, insbesondere in der neugebauten Modellanstalt Dohuk (AA 12.2.2018). Die Bedingungen in vielen kleineren Haftanstalten des KRG-Innenministeriums sind jedoch weiterhin schlecht. In einigen Haftanstalten der Asayish und der Polizei halten KRG-Behörden gelegentlich Jugendliche in denselben Zellen wie Erwachsene fest (USDOS 20.4.2018).

In Gefängnissen der Asayisch in der Region Kurdistan-Irak werden Folterpraktiken gegen Terrorverdächtige angewendet. Die Haftbedingungen sind insgesamt sehr schlecht. Allerdings sind Bemühungen der kurdischen Regionalregierung erkennbar, die Haftbedingungen zu verbessern, systematische Folter abzustellen und internationale Standards einzuhalten. Das IKRK hat Zugang zu den Gefängnissen in der Region Kurdistan-Irak (AA 12.2.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 23.7.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- USDOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html , Zugriff 23.7.2018

8.4. Todesstrafe:

8.4.1. Im Zentralirak:

Im irakischen Strafrecht ist die Todesstrafe vorgesehen, sie wird auch verhängt und vollstreckt. Irak ist eines der Länder mit der höchsten Zahl von verhängten Todesstrafen (AA 12.2.2018; vgl. HRW 18.1.2018, AI 12.4.2018).

Aktuelle Daten liegen nicht vor, da die irakische Regierung die Zahlen nicht mehr regelmäßig an die Vereinten Nationen berichtet und, auch auf Nachfrage, keine verlässlichen Angaben macht. Laut Berichten von NGOs sind 1.816 Personen aktuell zum Tode verurteilt (AA 12.2.2018), gemäß einer anderen Quelle sind es sogar über 3.000 (AI 21.3.2018). Human Rights Watch berichtet von mindestens 78 Hinrichtungen von verurteilten IS-Mitgliedern im Jahr 2017. Es gibt jedoch seit Kurzem Berichte über wöchentlich 3-4 Vollstreckungen der Todesstrafe, was die jährliche Zahl verdoppeln würde (AA 12.2.2018). Hintergrund könnte sein, dass aktuell insbesondere ehemalige IS-Kämpfer – oder Personen die dessen beschuldigt werden – massenhaft in unzulänglichen Prozessen zu Tode verurteilt werden (AA 12.2.2018; vgl. AI 21.3.2018).

Problematisch sind bereits seit Jahren die Bandbreite und die mitunter fehlende rechtliche Klarheit der Straftatbestände, für die die Todesstrafe verhängt werden kann: neben Mord und Totschlag unter Anderem auch wegen des Verdachts auf staatsfeindliche Aktivitäten, Vergewaltigung, Einsatz von chemischen Waffen und insbesondere wegen terroristischer Aktivitäten unterschiedlicher Art. Die Todesstrafe stößt in der Bevölkerung auf breite Akzeptanz (AA 12.2.2018).

8.4.2. In Kurdistan:

In der Autonomen Region Kurdistan wurde nach dem Fall des Regimes Saddam Husseins die Todesstrafe abgeschafft, später aber zur Bekämpfung des Terrorismus wieder eingeführt. Am 12. August 2015 wurden erstmals seit 2008 wieder drei Menschen hingerichtet. Auch im Jahr 2017 wurde ein Todesurteil durch den Präsidenten der Autonomen Region Kurdistan zur Vollstreckung freigegeben, die Vollstreckung ist bisher aber noch nicht erfolgt (AA 12.2.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 23.7.2018

- AI – Amnesty International (12.4.2018): Death sentences and executions 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1429291/90_1523523827_act5079552018english.pdf , Zugriff 25.7.2018

- AI – Amnesty International (21.3.2018): Iraq: Alarming reports of more than 3,000 people facing death over terror-related offences, https://www.ecoi.net/en/document/1427328.html , Zugriff 25.7.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- HRW – Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 – Iraq, https://www.hrw.org/world-report/2018/country-chapters/iraq , Zugriff 25.7.2018

9. Meinungs- und Pressefreiheit:

9.1. Im Zentralirak:

Die Verfassung garantiert die Freiheit der Meinungsäußerung (AA 12.2.2018), solange diese nicht die öffentliche Ordnung und Moral verletzt, Unterstützung für die verbotene Ba‘ath-Partei ausdrückt oder die gewaltsame Änderung der Grenzen des Landes befürwortet. Einzelpersonen und Medien betreiben jedoch Selbstzensur, aufgrund der glaubwürdigen Angst vor Repressalien durch die Regierung, politische Parteien, ethnische und konfessionellen Kräfte, terroristische und extremistische Gruppen oder kriminelle Banden. Kontrolle und Zensur der Zentralregierung und der kurdischen Regionalregierung behindern manchmal den Medienbetrieb, was mitunter die Schließung von Medien, Einschränkungen der Berichterstattung und Behinderung von Internetdiensten zur Folge hat. Einzelpersonen können die Regierung öffentlich oder privat kritisieren, jedoch nicht ohne Angst vor Vergeltung (USDOS 20.4.2018).

Im Irak existiert eine lebendige, aber wenig professionelle, zumeist die ethnisch-religiösen Lagerbildungen nachzeichnende Medienlandschaft, die sich zudem weitgehend in ökonomischer Abhängigkeit von Personen oder Parteien befindet, die regelmäßig direkten Einfluss auf die Berichterstattung nehmen (AA 12.2.2018). Die meisten der mehrere hundert Printmedien, die im Irak täglich oder wöchentlich erscheinen, sowie dutzende Radio- und Fernsehsender, werden von politischen Parteien stark beeinflusst oder vollständig kontrolliert (USDOS 20.4.2018). Es gibt nur wenige politisch unabhängige Nachrichtenquellen. Journalisten, die sich nicht selbst zensieren, können mit rechtlichen Konsequenzen oder gewaltsamen Vergeltungsmaßnahmen rechnen (FH 1.2018).

Einige Medienorganisationen berichteten über Verhaftungen und Schikane von Journalisten sowie darüber, dass die Regierung sie davon abhielt, politisch heikle Themen, wie Sicherheitsfragen, Korruption und schwache Regierungskapazitäten, zu behandeln (USDOS 20.4.2018). Das „Gesetz zum Schutz von Journalisten“ von 2011 hält unter anderem mehrere Kategorien des Straftatbestands der Verleumdung aufrecht, die in ihrem Strafmaß zum Teil unverhältnismäßig hoch sind. Klagen gegen das Gesetz sind anhängig (AA 12.2.2018).

Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen ist der Irak für Journalisten eines der gefährlichsten Länder der Welt. Auf ihrem Index für Pressefreiheit kommt der Irak im Jahr 2017 auf Platz 158 von 180. Das Land nimmt im Straflosigkeitsindex (Zeitraum 2007-2016) des Committee to Protect Journalists zudem den weltweit vorletzten Platz in Bezug auf die Aufklärung von Morden an Journalisten ein. Demnach wurden in den letzten zehn Jahren 32 Morde an Journalisten nicht aufgeklärt (AA 12.2.2018).

Auch Lehrer sind im Irak seit langem mit der Gefahr von Gewalt oder anderen Auswirkungen konfrontiert, wenn sie Themen unterrichten oder besprechen, die mächtige staatliche oder nicht staatliche Akteure für verwerflich halten. Politischer Aktivismus von Universitätsstudenten kann zu Schikane oder Einschüchterung führen (FH 1.2018). Sozialer, religiöser und politischer Druck schränken die Entscheidungsfreiheit in akademischen und kulturellen Angelegenheiten ein. In allen Regionen des Landes versuchen verschiedene Gruppen die Ausübung der formalen Bildung und die Vergabe von akademischen Positionen zu kontrollieren (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 19.7.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- FH – Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/1442330.html , Zugriff 25.10.2018

- USDOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html , Zugriff 25.10.2018

9.2. In Kurdistan:

Politische Meinungsäußerung kann in der kurdischen Autonomieregion auch willkürliche Verhaftung oder andere Repressalien von staatlicher Seite auslösen. Journalisten und Medien, die kritisch über die KRG-Führung oder die Krise des Unabhängigkeitsreferendums berichteten, sahen sich mit Verhaftungen, Drohungen und Schließungsanordnungen durch Sicherheitskräfte und Aufsichtsbehörden sowie mit Angriffen von parteizugehörigen Schlägern konfrontiert. Es gab Berichte über Einschüchterungen im Zusammenhang mit dem Unabhängigkeitsreferendum, insbesondere in den umstrittenen Gebieten, wie Kirkuk (FH 1.2018). Es gibt zahlreiche Fälle von Gewalt, Inhaftierung und Todesdrohungen gegen Medienschaffende. In manchen Fällen trugen die Angreifer Militär- oder Polizeiuniformen (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 19.7.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- FH – Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/1442330.html , Zugriff 25.10.2018

- USDOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html , Zugriff 25.10.2018

9.3. Internet und Soziale Medien:

Es gibt offene staatliche Einschränkungen beim Zugang zum Internet und Berichte (jedoch kein offizielles Eingeständnis), dass die Regierung E-Mail- und Internetkommunikationen ohne entsprechende rechtliche Befugnisse überwacht (USDOS 20.4.2018).

Es gibt Fälle von Vergeltungsmaßnahmen aufgrund von Aussagen bzw. Beiträgen in sozialen Medien (FH 1.2018). Trotz Einschränkungen nutzten politische Persönlichkeiten und Aktivisten das Internet, um korrupte und ineffektive Politiker zu kritisieren, Demonstranten zu mobilisieren und sich über soziale Medien für Kandidaten zu engagieren bzw. Wahlkampf zu betreiben (USDOS 20.4.2018).

Es gibt keine Berichte, dass das Ministerium für Kommunikation sozialen Medien Sperren auferlegt hätte (USDOS 20.4.2018). Während Großereignissen wird regelmäßig das Internet für einige Stunden gesperrt (AA 12.2.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 19.7.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- FH – Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/1442330.html , Zugriff 25.10.2018

- USDOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html , Zugriff 25.10.2018

10. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

10.1. Versammlungsfreiheit:

Die Verfassung sieht das Recht auf Versammlung und friedliche Demonstration, „nach den Regeln des Gesetzes“ vor (USDOS 20.4.2018). Diese einfach gesetzlichen Bestimmungen fehlen jedoch. Im Alltag wird die Versammlungs- und Meinungsfreiheit durch das seit dem 7.11.2004 geltende

„Gesetz zur Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit“ eingeschränkt, das u. a. die Verhängung eines bis zu 60-tägigen Ausnahmezustands ermöglicht (AA 12.2.2018).

Das Recht auf Versammlungsfreiheit wird in der Praxis zunehmend respektiert, obwohl es immer noch zu tödlicher Gewalt kommt (FH 1.2018). Die gesetzlichen Regelungen schreiben vor, dass die Veranstalter sieben Tage vor einer Demonstration um Genehmigung ansuchen und detaillierte Informationen über Veranstalter, Grund des Protests und Teilnehmer einreichen müssen. Die Vorschriften verbieten jegliche Slogans, Schilder, Druckschriften oder Zeichnungen, die Konfessionalismus, Rassismus oder die Segregation der Bürger zum Inhalt haben. Die Vorschriften verbieten auch alles, was gegen die Verfassung oder gegen das Gesetz verstößt; alles, was zu Gewalt, Hass oder Mord ermutigt; und alles, was eine Beleidigung des Islam, der Ehre, Moral, Religion, heiliger Gruppen oder irakischer Einrichtungen im Allgemeinen darstellt. Die Behörden erteilen Genehmigungen in der Regel in Übereinstimmung mit diesen Vorschriften (USDOS 20.4.2018).

Bei den Demonstrationen im Süd- und Zentralirak im Juli 2018 feuerten irakische Sicherheitskräfte mit scharfer Munition auf Demonstranten (AI 19.7.2018). Die größtenteils vom Innenministerium eingesetzten Kräfte verwendeten scheinbar unverhältnismäßige Gewalt, die in Basra zum Tod von drei Menschen führte (HRW 24.7.2018). Auch in Najaf, Simawa und Karbala starben Menschen (CNN 17.7.2018). Auch im September kam es zu Gewalt und Todesopfern, als Sicherheitskräfte auf Demonstranten schossen (AI 7.9.2018). Berichten zufolge werden Demonstranten und Aktivisten von schiitischen Milizen willkürlich festgenommen, eingeschüchtert und bedroht (ToI 23.9.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 19.7.2018

- AI – Amnesty International (19.7.2018): Iraq: Security forces deliberately attack peaceful protesters while internet is disabled, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2018/07/iraq- security-forces-deliberately-attack-peaceful-protesters-while-internet-is-disabled/, Zugriff 25.10.2018

- AI – Amnesty International (7.9.2018): Iraq: Effective investigations needed into deaths of proteters in Basra, https://www.amnesty.org/download/Documents/MDE1490552018ENGLISH.PDF , Zugriff 25.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- CNN – Central News Network (17.7.2018): Protests spread, turn deadly in Iraq: At least 8 are dead, dozens hurt, https://edition.cnn.com/2018/07/16/world/iraq-protests-violent/index.html , Zugriff 23.10.2018

- FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/1442330.html , Zugriff 25.10.2018

- HRW – Human Rights Watch (24.7.2018): Iraq: Security Forces Fire on Protesters, https://www.hrw.org/news/2018/07/24/iraq-security-forces-fire-protesters , Zugriff 25.10.2018

- ToI – Times of Israel (23.9.2018): Iran-backed militias accused of reign of fear in Iraqi Basra, https://www.timesofisrael.com/iran-backed-militias-accused-of-reign-of-fear-in-iraqi-basra/ , Zugriff 25.10.2018

- USDOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html , Zugriff 25.10.2018

10.2. Vereinigungsfreiheit, Opposition:

10.2.1. Im Zentralirak:

Die Verfassung garantiert, mit einigen Ausnahmen, das Recht auf Gründung von und Mitgliedschaft in Vereinen und politischen Parteien. Die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen. Ausnahmen betreffen das gesetzliche Verbot von Gruppen, die Unterstützung für die Ba‘ath-Partei oder für zionistische Prinzipien bekunden (USDOS 20.4.2018). Belastbare Erkenntnisse über die gezielte Unterdrückung der politischen Opposition durch staatliche Organe liegen nicht vor. Politische Aktivisten berichten jedoch von Einschüchterungen und Gewalt durch staatliche, nichtstaatliche oder paramilitärische Akteure, die abschrecken sollen, neue politische Bewegungen zu etablieren und die freie Meinungsäußerung teils massiv einschränken (AA 12.2.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 19.7.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- USDOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html , Zugriff 25.10.2018

10.2.2. In Kurdistan:

In der kurdischen Autonomieregion ist im Raum Erbil und Dohuk eine Oppositionsbewegung kaum existent. Die KDP gilt in weiten Teilen als alternativlos. In der Region um Sulaymaniya und Halabja haben sich in den vergangenen Jahren auch Gruppen von der PUK abgewandt. (AA 12.2.2018)

In den KDP-Gebieten finden kaum Demonstrationen statt, da sie meist bereits im Keim erstickt werden. In den PUK-Gebieten, v.a. in der Stadt Sulaymaniya, sind Demonstrationen (beispielsweise gegen Gehaltskürzungen) hingegen keine Seltenheit (AA 12.2.2018).

Im Laufe des Jahres 2017 sahen sich Demonstranten mit Verhaftungen und tödlicher Gewalt konfrontiert, insbesondere bei Demonstrationen gegen die Regierung, die infolge der Krise nach dem Unabhängigkeitsreferendum stattfanden und bei denen Angriffe auf staatliche und parteipolitische Einrichtungen verübt wurden. In Sulaymaniya und Halabja wurden im Dezember 2017 mindestens fünf regierungsfeindliche Demonstranten von Sicherheitskräften getötet (FH 1.2018). Auch im März 2018 kam es zu Gewalt gegen Demonstranten und Journalisten bei ausgedehnten Anti-Austeritäts-Protesten in der Autonomen Region Kurdistan (AI 28.3.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 19.7.2018

- AI – Amnesty International (28.3.2018): Iraq: Violence against protesters and journalists in Kurdistan Region shows blatant disregard for freedom of expression, https://www.ecoi.net/en/document/1428025.html , Zugriff 25.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/1442330.html , Zugriff 25.10.2018

11. Religionsfreiheit:

11.1. Übersicht und religiöse Minderheiten:

Die Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an. Gemäß Art. 2 Abs. 1 ist der Islam Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung (AA 12.2.2018). Es darf kein Gesetz erlassen werden das den „erwiesenen Bestimmungen des Islams“ widerspricht (USDOS 29.5.2018; vgl. RoI 15.10.2005). In Abs. 2 wird das Recht einer jeden Person auf Religions- und Glaubensfreiheit sowie das Recht auf deren Ausübung garantiert. Explizit erwähnt werden in diesem Zusammenhang Christen, Jesiden und Mandäer-Sabäer, jedoch nicht Anhänger anderer Religionen (RoI 15.10.2005; vgl. USDOS 29.5.2018).

Art. 3 der Verfassung legt ausdrücklich die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung des Irak fest, betont aber auch den arabisch-islamischen Charakter des Landes (AA 12.2.2018; vgl. UNHCR 15.1.2018). Art. 43 verpflichtet den Staat zum Schutz der religiösen Stätten. Das Strafgesetzbuch kennt keine aus dem islamischen Recht übernommenen Straftatbestände, wie z. B. den Abfall vom Islam; auch spezielle, in anderen islamischen Ländern existierende Straftatbestände, wie z.B. die Beleidigung des Propheten, existieren nicht (AA 12.2.2018). Das Zivilgesetz sieht einen einfachen Prozess für die Konversion eines Nicht-Muslims zum Islam vor. Die Konversion eines Muslims zu einer anderen Religion ist jedoch gesetzlich verboten (USDOS 29.5.2018).

Die folgenden religiösen Gruppen werden durch das Personenstandsgesetz anerkannt: Muslime, chaldäische Christen, assyrische Christen, assyrisch-katholische Christen, syrisch-orthodoxe Christen, syrisch-katholische Christen, armenisch-apostolische Christen, armenisch-katholische

Christen, römisch-orthodoxe Christen, römisch-katholische Christen, lateinisch-dominikanische Christen, nationale Protestanten, Anglikaner, evangelisch-protestantische Assyrer, Adventisten, koptisch-orthodoxe Christen, Jesiden, Sabäer-Mandäer und Juden. Die staatliche Anerkennung ermöglicht es den Gruppen, Rechtsvertreter zu bestellen und Rechtsgeschäfte wie den Kauf und Verkauf von Immobilien durchzuführen. Alle anerkannten religiösen Gruppen haben ihre eigenen Personenstandsgerichte, die für die Behandlung von Ehe-, Scheidungs- und Erbschaftsfragen zuständig sind. Laut der jesidischen NGO Yazda gibt es jedoch kein Personenstandsgericht für Jesiden (USDOS 29.5.2018).

Das Gesetz verbietet die Ausübung des Bahai-Glaubens und der wahhabitischen Strömung des sunnitischen Islams (USDOS 29.5.2018; vgl. UNHCR 15.1.2018).

Die alten irakischen Personalausweise enthielten Informationen zur Religionszugehörigkeit einer Person, was von Menschenrechtsorganisationen als Sicherheitsrisiko im aktuell herrschenden Klima religiös-konfessioneller Gewalt kritisiert wurde. Mit Einführung des neuen Personalausweises wurde dieser Eintrag zeitweise abgeschafft. Mit Verabschiedung eines Gesetzes zum neuen Personalausweis im November 2015 wurde allerdings auch wieder ein religiöse Minderheiten diskriminierender Passus aufgenommen: Art. 26 besagt, dass Kinder eines zum Islam konvertierenden Elternteils automatisch auch als zum Islam konvertiert geführt werden (AA 12.2.2018). Es wird berichtet, dass das Gesetz faktisch zu Zwangskonvertierungen führt, indem Kinder mit nur einem muslimischen Elternteil (selbst Kinder, die infolge von Vergewaltigung geboren wurden) als Muslime angeführt werden müssen. Christliche Konvertiten berichten auch, dass sie gezwungen sind, ihr Kind als Muslim zu registrieren oder das Kind undokumentiert zu lassen, was die Berechtigung auf staatliche Leistungen beeinträchtigt (USDOS 29.5.2018).

Die meisten religiös-ethnischen Minderheiten sind im irakischen Parlament vertreten. Grundlage bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze (fünf Sitze für die christliche Minderheit sowie jeweils einen Sitz für Jesiden, Sabäer, Mandäer und Schabak). Das kurdische Regionalparlament sieht jeweils fünf Sitze für Turkmenen, Chaldäer und assyrische Christen sowie einen für Armenier vor (AA 12.2.2018).

Es gibt weiterhin Berichte, dass die irakischen Sicherheitskräfte (ISF), einschließlich der Peshmerga und schiitischer Milizen, sunnitische Gefangene töten. Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten. Internationale Menschenrechtsorganisationen erklären, dass die Regierung es immer noch verabsäumt ethnisch- konfessionelle Verbrechen zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen, einschließlich Verbrechen, die von bewaffneten Gruppen in den vom IS befreiten Gebieten ausgeübt wurden. Sunnitische Araber berichten weiterhin, dass manche Regierungsbeamte bei Festnahmen und Inhaftierungen konfessionelles Profiling vornehmen, sowie Religion als bestimmenden Faktor bei der Vergabe von Arbeitsplätzen benützen (USDOS 29.5.2018).

Minderheiten sind auch weiterhin mit Belästigungen, einschließlich sexueller Übergriffe, und Einschränkungen durch lokale Behörden in einigen Regionen konfrontiert. Da Religion, Politik und Ethnizität oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, viele Vorfälle als ausschließlich auf religiöser Identität beruhend zu kategorisieren. Einige Jesiden und christliche Führer berichten von Belästigungen und Misshandlungen durch kurdische Sicherheitskräfte, einschließlich Anforderungen für Sicherheitsgenehmigungen, die von den Asayish auferlegt werden und die die Bewegungsfreiheit von Jesiden zwischen der Provinz Dohuk und dem Sinjar-Gebiet einschränken. Christen berichten von Belästigungen und Misshandlungen an zahlreichen Checkpoints, die von Einheiten der Volksmobilisierungseinheiten (PMF) betriebenen werden. Dadurch wird die Bewegungsfreiheit im Gebiet der Ninewa-Ebene behindert (USDOS 29.5.2018).

Christen und Jesiden geben an, dass die Zentralregierung in Bagdad eine gezielte demografische Veränderung fördert, indem sie Schiiten mit Land und Häusern ausstattet, damit diese in traditionell christliche Gebiete ziehen (USDOS 29.5.2018).

Vertreter religiöser Minderheiten berichten, dass die Zentralregierung im Allgemeinen nicht in religiöse Handlungen eingreift und sogar für die Sicherheit von Gotteshäusern und anderen religiösen Stätten, einschließlich Kirchen, Moscheen, Schreinen, religiösen Pilgerstätten und Pilgerrouten, sorgt (USDOS 29.5.2018).

11.2. Atheismus, Agnostizismus, Kritik an konfessioneller Politik:

11.2.1. Übersicht:

Das irakische Strafgesetzbuch enthält keine Artikel, die eine direkte Bestrafung für Atheismus vorsehen. Es gibt auch keine speziellen Gesetze, die Strafen für Atheisten vorsehen. (Al-Monitor 1.4.2018; vgl. EASO 7.2017, EASO 11.4.2018, Landinfo 29.8.2018). Die irakische Verfassung garantiert Atheisten nicht die freie Glaubensausübung (USDOS 29.5.2018). Im März 2018 wurden in Dhi Qar Haftbefehle gegen vier Iraker aufgrund von Atheismus-Vorwürfen erlassen (Al-Monitor 1.4.2018).

Der Irak ist ein zutiefst religiöses Land, in dem Atheismus selten ist (PRI 17.1.2018; vgl. RDC 31.1.2018). Trotzdem berichten Universitätsstudenten landesweit, dass es noch nie so viele Atheisten im Irak gegeben habe wie heute (WZ 9.10.2018).

Obwohl in der Bevölkerung verschiedene Grade der Religiosität vertreten sind und ein Segment der Iraker eine säkulare Weltanschauung vertritt, ist es dennoch selten, dass sich jemand öffentlich zum Atheismus bekennt. Die meisten Atheisten verstecken ihre Identität. Manchmal sagen sie, dass sie Muslime seien, insgeheim sind sie jedoch Atheisten (EASO 7.2017).

Viele Geistliche, die islamischen politischen Parteien nahestehen, haben missverständliche Vorstellungen zu dem Thema und bezeichnen z.B. oft den Säkularismus als Atheismus (Al-Monitor 1.4.2018). Einige Politiker führender konfessioneller Parteien verurteilten Säkularismus und Atheismus und reagierten damit offenbar auf einen Wandel in der öffentlichen Meinung nach dem IS-Konflikt, gegen religiösen Extremismus und den politischen Islam (FH 1.2018).

Berichten zufolge gibt es auch eine wachsende Bewegung von Agnostikern. Dazu kommen viele Menschen, die zwar bestimmte religiöse Erscheinungen oder Überzeugungen kritisieren, den generellen Rahmen der Religiosität jedoch nicht aufgeben (Al-Monitor 6.3.2014). Eine wachsende Gruppe junger Iraker spricht frei über Säkularismus, Atheismus und den Bedarf ihres Landes an nicht-konfessionellen Institutionen. Während ihr Einfluss begrenzt ist, spiegelt ihre Frustration über die konfessionelle Politik einen breiteren Trend im Land wider. Die Welle des „Facebook- Säkularismus“ muss die irakische Politik jedoch erst erreichen (Defense One 5.7.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 19.7.2018

- Al-Monitor (1.4.2018): Iraqi courts seeking out atheists for prosecution, https://www.al- monitor.com/pulse/originals/2018/03/atheists-iraq-human-rights.html, Zugriff 24.10.2018

- Al-Monitor (6.3.2014): Iraqi atheists demand recognition, guarantee of their rights, https://www.al-monitor.com/pulse/en/contents/articles/originals/2014/03/iraq-atheism-spread-rights-recognition.html , Zugriff 24.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- Defense One (5.7.2018): The Rise of Iraq’s Young Secularists, https://www.defenseone.com/ideas/2018/07/rise-iraqs-young-secularists/149507/?oref=d-channeltop , Zugriff 24.10.2018

- EASO – European Asylum Support Office (11.4.2018): Iraq: COI Query Response on atheism, especially in Baghdad (treatment of atheists by non-state and state actors and militias; state protection), https://www.ecoi.net/en/file/local/1429402/5228_1523539284_66-q-iraq-atheism.pdf , Zugriff 25.7.2018

- EASO – European Asylum Support Office (7.2017): EASO COI Meeting Report: Iraq; Practical Cooperation Meeting, 25-26 April 2017, Brussels, https://www.ecoi.net/en/file/local/1404903/90_1501570991_easo-2017-07-iraq-meeting-report.pdf , Zugriff 5.11.2018

- FH – Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/1442330.html , Zugriff 29.10.2018

- Landinfo (29.8.2018): Irak: Apostasi og ateisme, https://www.ecoi.net/en/file/local/1442030/4792_1535643188_irak-respons-apostasi-og-ateisme-grha-29082018.pdf , Zugriff 24.10.2018

- PRI – Public Radio International (17.1.2018): ISIS turned this young Iraqi Christian into an atheist, https://www.pri.org/stories/2018-01-17/isis-turned-young-iraqi-christian-atheist , Zugriff 24.10.2018

- RDC – Refugee Documentation Centre Ireland (31.1.2018): Iraq - Treatment of atheists including by ISIS, https://www.ecoi.net/en/file/local/1423773/1788_1518009737_3101.pdf , Zugriff 24.10.2018RoI – Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html , Zugriff 5.11.2018

- UNHCR – United Nations High Commissioner for Refugees (15.1.2018): Situation of Christians in Baghdad, http://www.refworld.org/docid/5a66f80e4.html , Zugriff 29.8.2018

- USDOS – United States Department of State (29.5.2018): International Religious Freedom Report 2017 – Iraq, https://www.state.gov/j/drl/rls/irf/2017/nea/280984.htm , Zugriff 26.7.2018

- WZ – Wiener Zeitung (9.10.2018): Schlüsselland Irak, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt/weltpolitik/994916_Schluesselland-Irak.html , Zugriff 24.10.2018

12. Minderheiten:

12.1. Übersicht:

In der irakischen Verfassung vom 15.10.2005 ist der Schutz von Minderheiten verankert (AA 12.2.2018). Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung leiden religiöse Minderheiten unter weitreichender faktischer Diskriminierung und Existenzgefährdung. Der irakische Staat kann den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen (AA 12.2.2018).

Offiziell anerkannte Minderheiten, wie chaldäische und assyrische Christen sowie Jesiden, genießen in der Verfassung verbriefte Minderheitenrechte, sind jedoch im täglichen Leben, insbesondere außerhalb der Autonomen Region Kurdistan, oft benachteiligt (AA 12.2.2018).

Die wichtigsten ethnisch-religiösen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60 bis 65 Prozent der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten/Süden des Landes bewohnen, (arabische) Sunniten (17 bis 22 Prozent) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak und die vor allem im Norden des Landes lebenden, überwiegend sunnitischen Kurden (15 bis 20 Prozent) (AA 12.2.2018). Genaue demografische Aufschlüsselungen sind jedoch mangels aktueller Bevölkerungsstatistiken sowie aufgrund der politisch heiklen Natur des Themas nicht verfügbar (MRG 5.2018). Zahlenangaben zu einzelnen Gruppen variieren oft massiv (siehe unten).

Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Allerdings ist nach dem Ende der Herrschaft Saddam Husseins die irakische Gesellschaft teilweise in ihre (konkurrierenden) religiösen und ethnischen Segmente zerfallen – eine Tendenz, die sich durch die IS-Gräuel gegen Schiiten und Angehörige religiöser Minderheiten weiterhin verstärkt hat. Gepaart mit der extremen Korruption im Lande führt diese Spaltung der Gesellschaft dazu, dass im Parlament, in den Ministerien und zu einem großen Teil auch in der nachgeordneten Verwaltung, nicht nach tragfähigen, allgemein akzeptablen und gewaltfrei durchsetzbaren Kompromissen gesucht wird, sondern die zahlreichen ethnisch- konfessionell orientierten Gruppen oder Einzelakteure ausschließlich ihren individuellen Vorteil suchen oder ihre religiös geprägten Vorstellungen durchsetzen. Ein berechenbares Verwaltungshandeln oder gar Rechtssicherheit existieren nicht (AA 12.2.2018).

Die Hauptsiedlungsgebiete der religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in den Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des IS standen. Hier kam es zu gezielten Verfolgungen von Jesiden, Mandäern, Kakai, Schabak und Christen. Es liegen zahlreiche Berichte über Zwangskonversionen, Versklavung und Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten, Massenmord und Massenvertreibungen vor. Auch nach der Befreiung der Gebiete wird die Rückkehr der Bevölkerung durch noch fehlenden Wiederaufbau, eine unzureichende Sicherheitslage, unklare Sicherheitsverantwortlichkeiten sowie durch die Anwesenheit von schiitischen Milizen zum Teil erheblich erschwert (AA 12.2.2018).

In der Autonomen Region Kurdistan sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Hier haben viele Angehörige von Minderheiten Zuflucht gefunden (AA 12.2.2018; vgl. KAS 8.2017). Mit der Verabschiedung des Gesetzes zum Schutze der Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan durch das kurdische Regionalparlament im Jahr 2015 wurden die ethnischen und religiösen Minderheiten zumindest rechtlich mit der kurdisch-muslimischen Mehrheitsgesellschaft gleichgestellt. Dennoch ist nicht immer gewährleistet, dass die bestehenden Minderheitsrechte auch tatsächlich umgesetzt werden (KAS 8.2017).

Es gab auch Berichte über die Diskriminierung von Minderheiten (Turkmenen, Arabern, Jesiden, Shabak und Christen) durch Behörden der Kurdischen Autonomieregierung in den sogenannten umstrittenen Gebieten (USDOS 20.4.2018). Darüber hinaus empfinden Angehörige von Minderheiten seit Oktober 2017 erneute Unsicherheit in den sog. umstrittenen Gebieten aufgrund der Präsenz der irakischen Streitkräfte und v.a. der schiitischen Milizen (AA 12.2.2018).

Im Zusammenhang mit der Rückeroberung von Gebieten aus IS-Hand wurden problematische Versuche einer ethnisch-konfessionellen Neuordnung unternommen, besonders in der ethnisch- konfessionell sehr heterogenen Provinz Diyala (AA 12.2.2018).

BMI (2016): Atlas – Middle East & North Africa: Religious Groups [Grafik gelöscht, Anm.]

BMI (2016): Atlas – Middle East & North Africa: Ethnic Groups [Grafik gelöscht, Anm.]

Die religiös-konfessionelle sowie ethnisch-linguistische Zusammensetzung der irakischen Bevölkerung ist höchst heterogen. Die hier dargebotenen Karten zeigen nur die ungefähre Verteilung der Hauptsiedlungsgebiete religiös-konfessioneller bzw. ethnisch-linguistischer Gruppen und Minderheiten. Insbesondere in Städten kann die Verteilung deutlich von der ländlichen Umgebung abweichen (BMI 2016).

Dazu muss hervorgehoben werden, dass ein und dieselbe Gruppe in einer Gegend eine Minderheit sein, in einer anderen jedoch die Mehrheitsbevölkerung stellen kann und umgekehrt (Lattimer EASO 26.4.2017; vgl. Prochazka 11.8.2014).

Durch den Vorstoß des IS und seiner aktiven Kampagne zur Umwälzung der religiösen Demografie des Landes kam es zu drastischen Veränderungen in der konfessionellen und ethnischen Verteilung der Bevölkerung im Irak (FH 2018; vgl. Ferris und Taylor 8.9.2014). Viele Schiiten und religiöse Minderheiten, die vom IS vertrieben wurden, sind bis heute nicht in ihre Häuser zurückgekehrt. Die Rückkehr irakischer Streitkräfte in Gebiete, die seit 2014 von kurdischen Streitkräfte gehalten wurden, führte Ende 2017 zu einer weiteren Runde demografischer Veränderungen, wobei manche kurdischen Bewohner auszogen und Araber zurückkehrten. In Gebieten, die von schiitischen Milizen befreit wurden, gab es wiederum Berichte von der Vertreibung sunnitischer Araber. Dasselbe gilt für Gebiete, die von den kurdischen Peshmerga befreit wurden (FH 2018; vgl. GNI 20.11.2016).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 19.7.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- BMI – Bundesministerium für Inneres; BMLVS - Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport (2016 – Stand Irak: 2014): Atlas: Middle East & North Africa, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1487770786_2017-02-bfa-mena-atlas.pdf , Zugriff 17.8.2018

- Ferris und Taylor (8.9.2014): The Past and Future of Iraq’s Minorities, https://www.brookings.edu/opinions/the-past-and-future-of-iraqs-minorities/ , Zugriff 17.8.2018

- FH – Freedom House (2018): Freedom in the World, 2018: Iraq Profile, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/iraq , Zugriff 17.8.2018

- GNI – Gulf News Iraq (20.11.2016): Kirkuk, Mosul and the ever-changing demographics of Iraq, https://gulfnews.com/world/mena/kirkuk-mosul-and-the-ever-changing-demographics-of-iraq-1.1930570 , Zugriff 17.8.2018

- KAS – Konrad Adenauer Stiftung (8.2017): Rechte ethnischer und religiöser Minderheiten in Kurdistan-Irak, http://www.kas.de/wf/doc/kas_50065-1522-1-30.pdf?170918113417 , Zugriff 17.8.2018

- Lattimer EASO (26.4.2017): Minorities and Vulnerable Groups – EASO COI Meeting Report Iraq: Practical Cooperation Meeting, 25-26 April 2017, Brussels, https://www.ecoi.net/en/file/local/1404903/90_1501570991_easo-2017-07-iraq-meeting-report.pdf , Zugriff 12.9.2018

- MRG – Minority Rights Group International (5.2018): Iraq – Minorities and indigenous peoples, http://minorityrights.org/country/iraq/ , Zugriff 17.8.2018

- Prochazka (11.8.2014): Religiöse Minderheiten in arabischen Staaten – Historie und aktuelle Situation, https://blog.univie.ac.at/religioese-minderheiten-in-arabischen-staaten-historie-und- aktuelle-situation/ , Zugriff 17.8.2018

- USDOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html , Zugriff 17.8.2018

13. (Mutmaßliche) IS-Mitglieder, IS-Sympathisanten und „IS-Familien“ (Dawa’esh):

Tausende von IS-Verdächtigen werden sowohl von den irakischen Bundesbehörden als auch von den Behörden der kurdischen Autonomieregion im Rahmen der jeweiligen Anti-Terror-Gesetze rechtlich verfolgt, primär wegen Mitgliedschaft in bzw. Unterstützung von einer terroristischen Organisation, aber auch wegen Mord und anderen Handlungen, die unter die Anti-Terror- Gesetzgebung fallen. Die Behörden halten IS-Verdächtige in überfüllten Haftanstalten und in einigen Fällen unter unmenschlichen Bedingungen und verletzen laut Menschenrechtsorganisationen systematisch die Rechte auf ein ordnungsgemäßes Verfahren, wie z.B. Garantien im irakischen Recht, dass Häftlinge innerhalb von 24 Stunden einen Richter sehen müssen, während der Verhöre Zugang zu einem Anwalt haben müssen, dass Familien über Inhaftierungen informiert werden bzw. dass Inhaftierte mit ihren Familien kommunizieren können. Zahlreiche Häftlinge behaupten auch, unter Folter zu Geständnissen gezwungen worden zu sein (HRW 18.1.2018; vgl. AA 12.2.2018, HRW 19.8.2018). Darüber hinaus bedrohen und verhaften irakische Sicherheitskräfte Anwälte, die IS-Verdächtigen und deren Familien Rechtsbeistand leisten (HRW 12.9.2018).

Aufgrund von IS-Mitgliedschaft Inhaftierte können nach dem im August 2016 verabschiedeten Allgemeinen Amnestiegesetz (Nr. 27/2016) Anspruch auf Haftentlassung haben (Ausnahme: Autonome Region Kurdistan). Das Gesetz bietet jenen Personen Amnestie, die nachweisen können, dass sie gegen ihren Willen dem IS oder einer anderen extremistischen Gruppe beigetreten sind und vor August 2016 keine schwere Straftat begangen haben. Nach Angaben des Justizministeriums hatten die Behörden bis Februar 2017 756 Verurteilte nach dem Amnestiegesetz freigelassen. Es ist allerdings unklar, ob die Richter dieses Gesetz konsequent anwenden. Die kurdische Autonomieregierung hat kein Amnestiegesetz verabschiedet (HRW 18.1.2018).

Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richteten sich 2017 vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger (AA 12.2.2018). So wurden Familien von mutmaßlichen IS-Mitgliedern und mutmaßlichen IS-Sympathisanten Opfer von Kollektivbestrafung, Misshandlungen und Angriffen (HRW 18.1.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Teilweise betrifft dies auch Familien, die aus Gebieten unter IS-Kontrolle geflohen waren und denen Sympathie für den IS unterstellt wird (HRW 24.6.2018). Menschenrechtsorganisationen dokumentierten im Zuge der Befreiung vom IS Diskriminierungen, Folterungen und Vergeltungsmorde an sunnitischen Muslimen, von denen viele verdächtigt wurden, IS- Sympathisanten zu sein. An einigen Orten wurden „IS-Familien-Lager“ eingerichtet, nachdem vielen Sunniten das Recht auf Rückkehr in ihre Heimatorte verweigert worden war (USCIRF 4.2018; vgl. HRW 24.6.2018). Nach der Rückeroberung der vormals unter IS-Kontrolle stehenden Gebiete wurden Familien mutmaßlicher IS-Mitglieder in den Provinzen Anbar, Babil, Diyala, Salah al-Din und Ninewa durch örtliche Beamte vertrieben. Sicherheitskräfte unternahmen kaum etwas, um diese Übergriffe zu stoppen, und nahmen in einigen Fällen auch daran teil (HRW 18.1.2018; vgl. CIVIC 9.5.2018).

Als Familien aus dem Gebiet in und um Mosul flohen, wurden Tausende von Männern und Buben von ihren Familien getrennt und willkürlich verhaftet. Während es sich bei einigen davon um IS- Kämpfer handelte, waren vielen davon Personen, die z.B. als Köche oder Fahrer für den IS gearbeitet hatten; deren Namen in Datenbanken aufscheinenden Namen ähnlich waren; oder sie wurden verhaftet, weil sie aus bestimmten Gebieten oder Nachbarschaften kamen bzw. mit IS- Kämpfern verwandt waren. Viele wurden außergerichtlich hingerichtet. Fast alle dieser Männer sind gewaltsam verschwunden (AI 17.4.2018).

Volksmobilisierungseinheiten (PMF) nahmen in Ninewa routinemäßig sunnitische Männer, die aus der Gegend stammen, unter dem Verdacht fest, dass diese den IS unterstützt hätten bzw. unterstützten. Sicherheitskräfte der Zentralregierung informierten in vielen Fällen die Häftlinge nicht über den Grund ihrer Inhaftierung oder die gegen sie erhobenen Anklagen. In mehreren Provinzen vertrieben Regierungskräfte und Milizen angebliche IS-Sympathisanten aus ihren Häusern. In Diyala und Babil hat die Kata’ib Hizbollah örtlich ansässige sunnitische Araber entführt und eingeschüchtert und arabisch-sunnitische IDPs daran gehindert, in ihre Herkunftsorte zurückzukehren. Es gibt glaubwürdige Berichte, wonach örtliche Behörden Familienmitglieder mutmaßlicher IS-Mitglieder bestraften. In einigen Fällen haben örtliche Gemeindeleiter gegen Familienmitglieder von IS-Verdächtigten Gewalt- und Todesdrohungen ausgesprochen (USDOS 20.4.2018).

Frauen und Kinder mit vermeintlichen Verbindungen zum IS sind in IDP-Lagern einer Reihe von Übergriffen, Misshandlungen und Risiken ausgesetzt. Diese Verstöße werden von bewaffneten Akteuren, die in den Lagern aktiv sind, von Lagerbehörden und anderen Personen begangen. Vielen wird der Zugang zu Nahrung, Wasser und Gesundheitsversorgung verwehrt. Sie erleiden schwere Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit, sei es, weil sie über keine ordnungsgemäßen Dokumente verfügen oder weil die Lagerbehörden sie daran hindern, das Lager zu verlassen und sie de facto in Haft halten (AI 17.4.2018).

Frauen mit vermeintlichen Verbindungen zum IS sind sexuellen Belästigungen ausgesetzt. Viele von ihnen werden auch zu Opfern sexueller Gewalt und Ausbeutung. Die Täter sind in erster Linie bewaffnete Akteure, die in den Lagern präsent sind. Letztere nutzen ihre Machtpositionen aus, um Frauen in sexuelle Beziehungen zu zwingen, im Austausch gegen Bargeld, Hilfsgüter oder Schutz vor anderen bewaffneten Akteuren oder Männern im Lager (AI 17.4.2018).

Verwandten von IS-Verdächtigen wird routinemäßig die notwendige Sicherheitsfreigabe zur Ausstellung von Personalausweisen und Dokumenten verweigert. Ohne vollständige Personenstanddokumente können sich Iraker im Land jedoch nicht frei bewegen, um Arbeitsplätze bewerben oder Sozialleistungen beantragen. Frauen, die keine Sterbeurkunden für ihre Ehemänner haben oder erhalten, können nicht erben und nicht wieder heiraten (HRW 25.2.2018; vgl. CIVIC 9.5.2018).

Der IS konfiszierte regelmäßig offizielle Dokumente, die von staatlichen irakischen Stellen ausgestellt worden waren. IS Behörden erstellten ihre eigenen Dokumente, wie z.B. Heirats- und Geburtsurkunden. Diese werden von den irakischen Behörden jedoch nicht anerkannt. Ohne Geburtsurkunde kann ein Kind, das unter IS-Kontrolle geboren wurde, keine anderen Dokumente erhalten, was ihm z.B. den Zugang zu staatliche Leistungen, wie den Zugang zur Schule, Gesundheitsversorgung, etc., verwehrt (HRW 25.2.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Tausende von Kindern, die unter der IS-Herrschaft geboren oder von Kämpfern gezeugt wurden, fallen so durch den Raster des irakischen Rechtssystems und sind faktisch staatenlos (Independent 18.5.2017). Es handelt sich dabei um mindestens 30.000 Kinder (ISI 6.2017).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 27.9.2018

- AI – Amnesty International (17.4.2018): The Condemned: Women and children isolated, trapped and exploited in Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/1429590/1226_1523942325_mde1481962018english.PDF , Zugriff 4.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- CIVIC – Center for Civilians in Conflict (9.5.2018): Mosul: Civilian protection challenges post- ISIS, https://civiliansinconflict.org/wp-content/uploads/2018/05/FINAL_MosulCIVProtectChallenges May2018-1.pdf, Zugriff 4.10.2018

- HRW – Human Rights Watch (12.9.2018): Iraq: Officials Threatening, Arresting Lawyers, https://www.ecoi.net/en/document/1443377.html , Zugriff 2.10.2018

- HRW – Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 – Iraq, https://www.hrw.org/world-report/2018/country-chapters/iraq , Zugriff 2.10.2018

- HRW – Human Rights Watch (19.8.2018): Iraq: Chilling Accounts of Torture, Deaths, https://www.ecoi.net/en/document/1441253.html , Zugriff 2.10.2018

- HRW – Human Rights Watch (24.6.2018): Iraq: Displaced Families blocked from Returning, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436492.html , Zugriff 4.10.2018

- HRW – Human Rights Watch (25.2.2018): Iraq: Families of Alleged ISIS Members denied Ids, https://www.hrw.org/news/2018/02/25/iraq-families-alleged-isis-members-denied-ids , Zugriff 4.10.2018

- Independent (18.5.2017): Iraq’s generation of stateless Isis children is being ‘punished for the crimes of their fathers’, https://www.independent.co.uk/news/world/middle-east/isis-mosul- children-iraq-legal-system-stateless-school-aid-fighter-fathers-crime-a7742751.html, Zugriff 4.10.2018

- ISI – Institute on Statelessness and Inclusion (6.2017): Statelessness Monthly Bulletin: June 2017, http://www.institutesi.org/stateless_bulletin_2017-06.pdf , Zugriff 4.10.2018

- USCIRF – United States Commission on International Religious Freedom (4.2018): United States Commission on International Religious Freedom 2018 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/1435649/1930_1529395043_tier2- iraq.pdf, Zugriff 4.10.2018

- USDOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html , Zugriff 21.9.2018

14. Bewegungsfreiheit:

Die irakische Verfassung und andere nationale Rechtsinstrumente erkennen das Recht aller Bürger auf Freizügigkeit, Reise- und Aufenthaltsfreiheit im ganzen Land an (USDOS 20.4.2018). Die Bewegungsfreiheit verbesserte sich etwas, nachdem die vom IS kontrollierten Gebiete wieder unter staatliche Kontrolle gebracht wurden (FH 1.2018).

Die Regierung respektiert das Recht auf Bewegungsfreiheit jedoch nicht konsequent. In einigen Fällen beschränken die Behörden die Bewegungsfreiheit von Vertriebenen und verbieten Bewohnern von IDP-Lagern, ohne eine Genehmigung das Lager zu verlassen. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheitskräften, die Bewegungsfreiheit im Land einzuschränken, Ausgangssperren zu verhängen, Gebiete abzuriegeln und zu durchsuchen. Es gab zahlreiche Berichte, dass Sicherheitskräfte (ISF, Peshmerga, PMF) Bestimmungen, die Aufenthaltsgenehmigungen vorschreiben, um die Einreise von Personen in befreite Gebiete unter ihrer Kontrolle zu beschränken, selektiv umgesetzt haben (USDOS 20.4.2018).

Die kurdische Autonomieregierung schränkt die Bewegungsfreiheit in den von ihr verwalteten Gebieten ein (USDOS 20.4.2018). Innerirakische Migration aus dem Zentralirak in die Autonome Region Kurdistan ist grundsätzlich möglich. Durch ein Registrierungsverfahren wird der Zuzug jedoch kontrolliert. Wer dauerhaft bleiben möchte, muss sich bei der Asayish-Behörde des jeweiligen Bezirks anmelden. Informationen über die Anzahl der Anträge und Ablehnungen werden nicht veröffentlicht (AA 12.2.2018). Die Behörden verlangen von Nicht-Ortsansässigen, Genehmigungen einzuholen, die einen befristeten Aufenthalt in der Autonomieregion erlauben. Diese Genehmigungen waren in der Regel erneuerbar. Bürger, die eine Aufenthaltserlaubnis für die Autonome Region Kurdistan bzw. die von ihr kontrollierten Gebiete einholen wollen, benötigen einen in der Region ansässigen Bürgen. Bürger, die aus dem Zentral- oder Südirak in die Autonome Region Kurdistan einreisen (egal welcher ethno-religiösen Gruppe sie angehörten, auch Kurden) müssen Checkpoints passieren und Personen- und Fahrzeugkontrollen über sich ergehenlassen (USDOS 20.4.2018).

Die Behörden der Autonomen Region Kurdistan wenden Beschränkungen unterschiedlich streng an. Die Wiedereinreise von IDPs und Flüchtlingen wird - je nach ethno-religiösem Hintergrund und Rückkehrgebiet - mehr oder weniger restriktiv gehandhabt. Beamte hindern Personen, die ihrer Meinung nach ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten, an der Einreise in die Region. Die Einreise ist für Männer oft schwieriger, insbesondere für arabische Männer, die ohne Familie reisen (USDOS 20.4.2018).

Aufgrund militärischer Operationen gegen den IS erhöhten die irakischen Streitkräfte, PMF und Peshmerga die Zahl der Checkpoints und errichteten in vielen Teilen des Landes provisorische Straßensperren (USDOS 20.4.2018). Diese Checkpoints unterliegen oft undurchschaubaren Regeln verschiedenster Gruppierungen (NYT 2.4.2018). Der IS richtet falsche Checkpoints ein, um Zivilisten zu entführen bzw. Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten zu verüben (albawaba 12.3.2018; vgl. GardaWorld 29.3.2018, Kurdistan24 29.3.2018, Iraqi News 28.6.2018).

In Bagdad selbst sollen seit Dezember 2017 hingegen 305 Checkpoints und Straßensperren entfernt worden sein. Über tausend Straßen sind in Bagdad seit dem offiziellen Sieg über den IS wieder geöffnet worden (AAA 8.8.2018; vgl. AAA 29.1.2018, Iraqi News 29.1.2018).

Die Regierung verlangt von Bürgern, die das Land verlassen, eine Ausreisegenehmigung. Diese Vorschrift wird jedoch nicht routinemäßig durchgesetzt (USDOS 20.4.2018). An den Grenzen zu den Nachbarstaaten haben sich in den letzten Monaten immer wieder Änderungen der Ein- und Ausreisemöglichkeiten, Kontrollen, Anerkennung von Dokumenten etc. ergeben. Nach wie vor muss mit solchen Änderungen – auch kurzfristig – gerechnet werden (AA 12.2.2018).

Die Bewegungsfreiheit von Frauen wird im Allgemeinen durch Recht und Brauchtum nicht respektiert. So hindert das Gesetz Frauen beispielsweise daran, ohne die Zustimmung eines männlichen Vormunds oder gesetzlichen Vertreters einen Reisepass zu beantragen. In den vom IS kontrollierten Gebieten war es Frauen angeblich verboten, ihr Zuhause ohne männlichen Verwandten zu verlassen (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 12.10.2018

- AAA – Asharq Al-Awsat (29.1.2018): Iraq Reopens 600 Main Streets, Lifts 281 Security Checkpoints in Baghdad, https://aawsat.com/english/home/article/1158316/iraq-reopens-600- main-streets-lifts-281-security-checkpoints-baghdad, Zugriff 5.10.2018

- AAA – Asharq Al-Awsat (8.8.2018): Removal of Roadblocks in Iraq's Capital Oils Traffic and Trade, https://aawsat.com/english/home/article/1356981/removal-roadblocks-iraqs-capital-oils- traffic-and-trade, Zugriff 5.10.2018

- albawaba (12.3.2018): ISIS Kills 10 Civilians at Fake Checkpoint in Eastern Iraq, https://www.albawaba.com/news/isis-kills-10-civilians-fake-checkpoint-eastern-iraq-1101032 , Zugriff 5.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- FH – Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/1442330.html , Zugriff 29.10.2018

- GardaWorld (29.3.2018): Iraq: Increasing IS attacks on fake checkpoints in north, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/104516/iraq-increasing-is-attacks-on-fake- checkpoints-in-north, Zugriff 5.10.2018

- Iraqi News (28.6.2018): 17 Islamic State militants killed as they set fake checkpoint to kidnap civilians, near Mosul, https://www.iraqinews.com/iraq-war/17-islamic-state-militants-killed-as-they-set-fake-checkpoints-to-kidnap-civilians-near-mosul/ , Zugriff 5.10.2018

- Iraqi News (29.1.2018): Iraq plans to remove 300 checkpoints, erect security fence in Baghdad, https://www.iraqinews.com/iraq-war/iraq-uncovers-plan-remove-300-checkpoints-set-security-fence-around-baghdad/ , Zugriff 5.10.2018

- Kurdistan24 (29.3.2018): IS ambush at another fake checkpoint leaves five Iraqi forces dead, http://www.kurdistan24.net/en/news/995d414a-88be-42ec-be9b-b3cf84e2bac5 , Zugriff 5.10.2018

- NYT – New York Times (2.4.2018): In Iraq, I Found Checkpoints as Endless as the Whims of Armed Men, https://www.nytimes.com/2018/04/02/magazine/iraq-sinjar-checkpoints- militias.html, Zugriff 5.10.2018

- USDOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html , Zugriff 4.10.2018

15. Innerstaatliche Fluchtalternative:

15.1. Allgemein:

Laut UNHCR wurden in fast allen Teilen des Landes für Binnenflüchtlinge verschärfte Zugangs- und Aufenthaltsbeschränkungen implementiert. Zu den verschärften Maßnahmen gehören die Notwendigkeit des Vorweisens eines Bürgen, die Registrierung bei lokalen Behörden, sowie das Durchlaufen von Sicherheitsüberprüfungen durch mehrere verschiedene Sicherheitsbehörden, da die Regionen fürchten, dass sich IS Kämpfer unter den Schutzsuchenden befinden.

Zugangs- und Aufenthaltsbedingungen variieren von Provinz zu Provinz und beinhalten nicht nur Sicherheits-Screenings, sondern hängen Berichten zufolge auch vom persönlichen Profil der flüchtenden Personen und Familien ab, wie z.B. vom ethnisch-konfessionellen Hintergrund, dem Herkunftsort oder der Zusammensetzung der Familie der jeweiligen Person. Eine ID-Karte ist in fast allen Regionen von Nöten, doch besteht nicht in jeder Region die Notwendigkeit eines Bürgen.

Seit Jänner 2014 hat der Krieg gegen den IS im Irak die Vertreibung von ca. sechs Millionen Irakern verursacht, rund 15 Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes (IOM 4.9.2018). Ende September 2018 betrug die Zahl der weiterhin intern Vertriebenen noch 1,89 Millionen (IOM 30.9.2018).

Dabei handelt es sich um die niedrigste Zahl an IDPs seit Ende 2014 (IOM 4.9.2018). Die Zahl der Vertriebenen sinkt seit der zweiten Hälfte des Jahres 2017 sukzessive (UNHCR 31.8.2018; vgl. UNHCR 31.7.2018, IOM 30.9.2018); die Zahl der Rückkehrer ist mittlerweile auf 4 Millionen gestiegen (IOM 30.9.2018). Bis zu einer Million Menschen bleiben weiterhin aus dem konfessionellen Konflikt von 2006-08 vertrieben (USDOS 20.4.2018).

Die Regierung und internationale Organisationen, einschließlich UN-Einrichtungen und NGOs, versuchen, IDPs Schutz und andere Hilfe zu gewähren. Eine hohe Anzahl von IDPs außerhalb der Lager belastet die Ressourcen der Gastgebergemeinden (USDOS 20.4.2018).

Anfang 2018 lag die Rückkehrrate noch bei ca. 200.000 Menschen pro Monat. Diese Zahl hat sich seither drastisch verringert. So kehrten im März 2018 beispielsweise 112.446 Menschen in ihre Heimat zurück, von April bis Mai 2018 durchschnittlich 79.000 pro Monat, von Juni bis Juli 45.871. Im August 2018 lag die Zahl der Rückkehrer bei 33.528 Menschen (Joel Wing 19.9.2018).

Verschiedene Hilfsorganisationen berichten über eine Änderung der Einstellung von IDPs. Ursprünglich erklärte eine Mehrheit, sie würden zurückkehren, sobald der Krieg gegen den IS vorbei sei. Jetzt sind sie besorgt aufgrund der Sicherheit, dem Mangel an Dienstleistungen, zerstörten Häusern, wenig Arbeitsplätzen und wenig Geld. Es gibt auch eine beträchtliche Anzahl an IDPs, denen die Rückkehr verweigert wird, weil ihnen vorgeworfen wird, mit dem IS in Verbindung zu stehen. Darüber hinaus gibt es Menschen, die in ihre ursprünglichen Gebiete zurückgereist sind, die Situation dort jedoch als mangelhaft wahrgenommen haben und wieder in die Binnenvertreibung zurückgekehrt sind (Joel Wing 19.9.2018). Der Großteil der verbliebenen IDPs hat keine unmittelbaren Pläne zur Rückkehr (IOM 26.6.2018; vgl. REACH 29.8.2018, Joel Wing 11.10.2018).

Schwierige Rückkehrbedingungen finden sich unter anderem in Sinjar Zentrum, Telafar Zentrum, West Mossul, al-Ba‘aj, im Wüsten-Streifen von al-Tal, Hatra (Hadr) und Muhallabiyya (Provinz Ninewa); in Baiji, Tuz Khurmatu/Sulayman Beg und Balad/Duloeiya (Provinz Salah al-Din); in Taza Khurmatu, Hawija Zentrum und al-‘Abassi (Provinz Kirkuk); in al-Adheim und Sa‘adiya/Jalawla (Provinz Diyala); und im Falludscha-Ramadi Streifen sowie in Ana Zentrum (Provinz Anbar) (IOM 9.2018).

In einigen Gebieten behindern Gewalt und Unsicherheit sowie langjährige politische, stammes¬und konfessionelle Spannungen die Fortschritte bei der nationalen Aussöhnung und erschweren den Schutz von IDPs. Tausende von Familien haben mehr als eine Vertreibung erlebt, und viele waren gezwungen, auf der Suche nach Schutz über die Grenzen der jeweiligen Provinz hinaus zu ziehen. Zwangsvertreibungen, kombiniert mit dem langwierigen und weitgehend ungelösten Problem von Millionen von Menschen, die in den letzten Jahrzehnten entwurzelt wurden, haben eine destabilisierende Wirkung auf die ohnehin schon komplexe soziale und politische Dynamik des Landes. Dies belastet die Kapazitäten der lokalen Behörden und offenbart die Grenzen der rechtlichen und administrativen Rahmenbedingungen (USDOS 20.4.2018).

Sowohl Vertriebene als auch Rückkehrer sind vulnerabel und auf humanitäre Hilfe angewiesen, um ihren Lebensunterhalt wiederzuerlangen und ihre Familien ernähren zu können (IOM 4.9.2018).

Die Regierung stellt vielen - aber nicht allen - IDPs, auch in der kurdischen Autonomieregion, Nahrungsmittel, Wasser und finanzielle Hilfe zur Verfügung. Viele IDPs leben in informellen Siedlungen, wo sie keine ausreichende Versorgung mit Wasser, sanitären Einrichtungen oder anderen wichtigen Dienstleistungen erhalten (USDOS 20.4.2018). Alle Bürger sind berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des Public Distribution System (PDS) zu erhalten. Die Behörden verteilen aber nicht jeden Monat alle Waren, und nicht alle IDPs können in jeder Provinz auf Lebensmittel aus dem Public Distribution System (PDS) zugreifen. Die Bürger können die PDS-Rationen nur an ihrem Wohnort und in ihrer eingetragenen Provinz einlösen, was zu einem Verlust des Zugangs und der Ansprüche aufgrund von Vertreibungen führt (USDOS 20.4.2018).

Personen, die sich nicht als IDPs an ihrem Wohnort registriert haben, verfügen manchmal nur über einen begrenzten Zugang zu staatlichen Leistungen. Die lokalen Behörden entscheiden oft darüber, ob IDPs Zugang zu örtlichen Leistungen erhalten. Humanitäre Organisationen berichten, dass einige IDPs mangels erforderlicher Unterlagen Schwierigkeiten bei der Registrierung haben. Viele Bürger, die zuvor in den vom IS kontrollierten Gebieten gelebt haben, besitzen keine Personenstandsdokumente, was die Schwierigkeit, einen Ausweis und andere persönliche Dokumente zu erhalten, noch vergrößerte. Durch die Bereitstellung von Rechtshilfe unterstützen die Vereinten Nationen und humanitäre Organisationen IDPs bei der Beschaffung von Dokumenten und der Registrierung bei Behörden, um den Zugang zu staatlichen Leistungen zu verbessern (USDOS 20.4.2018).

Für den Süden des Iraks (Babil, Basra, Kerbala, Najaf, Missan, Muthanna, Qaddisiya, Thi-Qar und Wassit) liegen generell nur wenige Berichte über Menschenrechtsverletzungen von schiitischen Milizen an Sunniten vor. Im Süden des Iraks leben ca. 400.000 Sunniten sowie Angehörige anderer Minderheiten. Die Region Südirak hat ca. 200.000 flüchtende irakische Staatsangehörige aufgenommen.

Im Regelfall können sich irakische Staatsangehörige mit einer irakischen ID-Karte in den Gebieten des Südiraks frei und ohne Einschränkungen bewegen. Basra betreffend besteht Berichten zufolge grundsätzlich auch für Binnenflüchtlinge die Möglichkeit zur Inanspruchnahme von Leistungen des staatlichen Gesundheitssystems. Laut eines Berichtes der IOM haben in Basra zudem 80% der Binnenflüchtlinge die Möglichkeit, am örtlichen Bildungssystem und am Arbeitsmarkt teilzuhaben. In den meisten Gemeinden ist es auch für Frauen möglich, Berufen nachzugehen, allerdings vor allem solche, die von zuhause aus ausgeübt werden können.

Es ist möglich, ohne Bürgschaft in die Autonome Region Kurdistan einzureisen. Eine Einreise ist über den Internationalen Flughafen Erbil als auch auf dem Landweg möglich. Laut Bericht der International Organisation for Immigration (IOM) würden irakische Bürger bei der Ankunft an einem Checkpoint einer Landgrenze zu Kurdistan oder am Flughafen eine einwöchige Aufenthaltserlaubnis erhalten. Irakische Staatsbürger können sich z.B. in Erbil frei bewegen und von dort aus in alle Provinzen einzureisen. Binnenflüchtlinge müssen sich bei der Einreise registrieren und können dann eine dauerhafte Aufenthaltsberechtigung beantragten. Ob eine Person ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht bzw. eine verlängerbare Aufenthaltsgenehmigung in der Autonomen Region Kurdistan bekommt, hängt dabei oft vom ethischen, religiösen und persönlichen Profil ab. Die Notwendigkeit eines Bürgen zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung differiert von Provinz zu Provinz und wird zuweilen auch willkürlich gehandhabt. In manchen Provinzen kann Bürge notwendig werden, um sich dort niederzulassen oder dort zu arbeiten.

Arabische Binnenflüchtlinge können in der Region Sulaimaniyya zunächst eine temporäre Aufenthaltsgenehmigung erhalten und sodann den Daueraufenthalt beantragen. In Sulaimaniyya ist nach Berichten der UNHCR kein Bürge notwendig, um sich niederzulassen oder eine Arbeitsbewilligung zu erhalten. Berichten der IOM zufolge leben 90 % aller Binnengeflüchteten in Sulaimaniyya in stabilen sanitären Verhältnissen und haben 83 % Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem. Im Regelfall können binnengeflüchtete Menschen in Sulaimaniyya am Bildungssystem teilhaben. Binnengeflüchtete haben in Sulaimaniyya die Möglichkeit in den verschiedensten Feldern zu den gleichen Löhnen wie ortsansässige Personen zu arbeiten.

In Bagdad gibt es sunnitisch geprägte Viertel. Zur Einreise von sunnitischen Arabern in das Stadtgebiet Bagdad müssen sich diese einem Sicherheitscheck unterziehen, vor allem, wenn sie aus vom IS dominierten Gebieten kommen. Ein Bürge für die Einreise nach Bagdad ist jedoch nicht mehr nötig. Wird jedoch eine Niederlassung mit Wohnsitz in Bagdad angestrebt, ist in Bagdad das Vorweisen von zwei Bürgern aus der Nachbarschaft, in welcher man sich niederlassen möchte, sowie ein Unterstützungsschreiben des örtlichen „mukhtar“ nötig, wenn eine Person aus früheren IS-Gebieten oder umstrittenen Gebieten sich in Bagdad niederlassen möchte. Auch um Bagdad herum gibt es Flüchtlingslager und Aufnahmestationen.

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 12.10.2018

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 BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 25.10.2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1416409/5818_1508929404_irak-lib-2017-08-24-ke.doc mwN (Zugriff am 20. Februar 2018)

 BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

 IOM - International Organization for Migration (26.6.2018): Returns Continue While Obstacles to Return Remain in Iraq: IOM, https://www.iom.int/news/returns-continue-while-obstacles-return-remain-iraq-iom , Zugriff 11.10.2018

 IOM - International Organization for Migration (4.9.2018): Iraq Displacement Figures Drop Below Two Million for First Time Since 2014; Nearly Four Million Have Returned Home, https://www.iom.int/news/iraq-displacement-figures-drop-below-two-million-first-time-2014-nearly-fpur-million-have , Zugriff 5.10.2018

 IOM - International Organization for Migration (9.2018): Return Index: Findings Round 1 | Iraq, http://iraqdtm.iom.int/LastDTMRound/Return Index Briefing Round 1 FindingsSeptember 2018.pdf , Zugriff 11.10.2018

 IOM – International Organization for Migration, Iraq Mission, 17.05.2017, http://iraqdtm.iom.int/LastDTMRound/Round86_Report_English_2017_December_31_IOM_DTM.pdf , (Zugriff am 08. Februar 2018)

 Joel Wing - Musings on Iraq (19.9.2018): Number Of Displaced In Iraq Returning Home Declined Again, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/09/number-of-displaced-in-iraq-returning.html , Zugriff 11.10.2018

 Joel Wing - Musings on Iraq (31.8.2018): More Evidence Iraq Reaching Tipping Point With Displaced, Few Want To Return Home, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/08/more-evidence-iraq-reaching-tipping.html , Zugriff 11.10.2018

 REACH Initiative (29.8.2018): Majority of IDPs living outside of displacement camps have no intention of returning home - Findings from Dahuk, Erbil, Ninewa, Salah al-Din and Sulaymaniyah, http://www.reach-initiative.org/iraq-majoritv-of-idps-living-out-of-displacement-camps-have-no-intention-of-returning-home-findings-from-dahuk-erbil-ninewa-salah-al-din-and-sulaymaniyahm , Zugriff 11.10.2018

 UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Sunni (Arab) Muslims, Juni 2017 https://www.ecoi.net/en/file/local/1403272/1226_1499246656_iraq-sunni-arabs-cpin-v2-0-june-2017.pdf (Zugriff am 8. Februar 2018)

 UNHCR – UN High Commissioner for Refugees: Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA); Ability of Persons Originating from (Previously or Currently) ISIS-Held or Conflict Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Relocation, 12.4.2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1397131/1930_1492501398_58ee2f5d4.pdf (Zugriff am 8. Februar 2018)

 UNHCR – United Nations High Commissioner for Refugees: Iraq: Country of Origin Information on Access and Residency Requirements in Iraq: Ability of Persons Origination from Formerly ISIS-Held or Conflict-Affected Areas to Legally Access an Remain in Proposed Areas of Relocation, 25.04.2019, https://www.refworld.org/docid/5cc2c30d7.html , (Zugriff am 06.05.2019).

 UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (31.7.2018): Iraq Protection Update - July 2018, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/20180820 Iraq Protection Update - Julv 2018.pdf , Zugriff 11.10.2018

 UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (31.8.2018): Iraq Protection Update August 2018, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/20180919 Iraq Protection Update - August 2018.pdf , Zugriff 11.10.2018

 UNOCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.8.2018): Iraq: Internally displaced people by governorate, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/iraqidpsandreturneesbygovernoratedtm-iomround102aug312018.pdf , Zugriff 5.10.2018

 USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq. https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html , Zugriff 4.10.2018

15.2. UNHCR-Erwägungen zur innerstaatlichen Fluchtalternative:

Aus den UNHCR-Erwägungen zu internationalem Schutz für Menschen, die aus dem Irak fliehen (Mai 2019), in der Folge: UNHCR-Erwägungen, Punkt I.3. und 5., Seiten 7 f und 9, ergibt sich:

Innerstaatliche Flucht- oder Relokationsalternative (IFA/IFA):

UNHCR ist der Ansicht, dass eine IFA/IRA in Gebieten, die zuvor vom IS kontrolliert wurden oder auf andere Weise von Konflikten hinsichtlich Menschenrechtsverletzungen und Misshandlungen durch staatliche und nichtstaatliche Akteuere betroffen waren, mit anhaltender IS-Präsenz und/oder laufenden Militäroperationen gegen den IS, nicht zur Verfügung steht.

UNHCR ist ferner der Ansicht, dass in den umstrittenen Gebieten wegen der dort herrschenden volatilen Sicherheitslage, der politischen und demografischen Dynamik und dem Risiko weiterer Destabilisierung der Situaion durch Bevölkerungsbewegungen keine IFA/IRA verfügbar ist.

In Bezug auf sunnitische Araber und sunnitische Turkemen aus ehemals vom IS besetzten Gebieten oder von Konflikten betroffenen Gebieten muss bei der Beurteilung der Verfügbarkeit einer IFA/IRA in anderen Gebieten des Irak geprüft werden, ob diese das vorgeschlagene Gebiet als Einzelperson praktisch, sicher und legal erreichbar sind. Diese Anforderung beinhaltet die Einschätzung der konkreten Perspektiven des Einzelnen:

- Möglichkeit das vorgeschlagene Umsiedlungsgebiet sicher zu erreich und dort aufgenommen zu werden, was die Einschätzung beinhaltet, ob die Einzelperson Checkpoints passieren und in das vorgeschlagene Gebiet aufgenommen werden kann, einschließlich der möglichen Notwendigkeit eines Bürgen

- Erlaubnis der Wohnsitznahme, wofür womöglich ein Bürge nötig ist

- Erlaubnis, sich im Umsiedlungsgebiet dauerhaft niederzulassen

Zugangs- und Aufenthaltsbesteimmungen sind Berichten zufolge nicht immer klar definiert und/oder kann deren Umsetzung variieren oder Änderungen, hauptsächlich abhängig von der Sicherheitslage, unterliegen. Bürgschafts-Voraussetzungen sind in der Regel weder gesetzlich verankert noch werden diese offiziell angekündigt.

Vor dem Hintergrund der in vielen Teilen des Landes geltenden Zugangs- und Aufenthaltsbeschärnkungen ist UNHCR der Ansicht, dass für sunnitische Araber und sunnitische Turkmenen aus ehemals vom IS besetzten oder von Konflikten betroffenen Gebieten eine IFA/IRA generell keine Relevanz in Gebieten entfaltet, in welchen die Behörden Zugangs- und Aufenthaltsbeschränkungen aufrechterhalten und/oder wo auf Personen aus ehemaligen vom IS besetzten oder von Konflikten betroffenen Gebieten Druck ausgeübt wird, in ihre Heimatregion zurückzukehren. Die einzige Ausnahme wären Antragsteller dieser Profile für die festgestellt werden kann, dass basierend auf den individuellen Umständen ihres Falles, ein tatsächlicher Zugang und ein legaler und dauerhafter Aufenthalt in den vorgeschlagenen Umsiedlungsgebieten besteht.

Im konkreten Fall der autonomen Region Kurdistan (KRG) als Gebiet für eine IFA/IRA ist UNHCR der Auffassung, dass eine solche angesichts der dort herrschenden, derzeitigen humanitären Lage im Allgemeinen nicht zumutbar ist. Die einzigen Ausnahmen wären Antragsteller für die festgestellt werden kann, dass basierend auf den individuellen Umständen ihres Falles, sie Zugang zu:

 angemessener Unterbringung in dem vorgeschlagenen Umsiedlungsgebiet der KRG haben, mit dem Hinweis, dass die IDP-Lager oder informelle Siedlungen nicht als „angemessene Unterbringung“eingestuft werden;

 wesentlichen Dienste in dem vorgeschlagenen Umsiedlungsgebiet der KRG haben, wie Trinkwasser, Wasser und sanitäre Anlagen, Elektrizität, Gesundheitsführsorge und Bildung; und

 Lebensgrundlagen oder bei Antragstellern, von denen nicht erwartet werden kann, dass sie für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen (zB Frauenhaushalte, ältere Antragsteller oder solche mit nachgewiesenen Behinderungen) nachgewiesener und nachhaltiger Unterstützung um einen Zugang zu einem angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen

UNHCR-Position zu Abschiebungen:

Angesichts der weit verbreiteten Zerstörung und Beschädigung von Häusern, Grundinfrastruktur und landwirtschaftlichen Flächen, eingeschränktem Zugang zu Lebensgurndlagen und Grundversorgung, Verseuchung von Häusern und Grundstükcen mit ERW, anhaltenden Spannungen in der Gemeinschaftm einschließlich Repressalien gegen Zivilisten, von welchen angenommen wird, dass sie den IS unterstützten, fordert UNHCR die Staaten auf, von erzwungenen Abschiebungen von Personen, die aus ehemaligen vom IS besetzten Gebieten oder Gebieten mit anhaltender IS-Präsenz stammen, Abstand zu nehmen. UNHCR rät auch von der zwangsweisen Rückführung dieser Personen in andere Teile des Irak ab, wenn das Risiko besteht, dass sie möglicherweise nicht in der Lage sind, zu diesen Gebieten Zugang zu erhalten oder sich dort niederzulassen oder sie sich sonst in einer Situation wiederfinden, die ihnen keine andere Wahl lässt, als zu ihrer Herkunftsregion zurückzukehren. Dieser Rat bezieht sich auf Personen, bei denen festgestellt wurde, dass sie keinen internationalen Schutz in Form der Gewährung des Status eines Asylberechtigten benötigen.

Quelle:

- UNHCR – The UN Refugee Agency (05.2019): International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007789/unhcr-2019-05-protection-considerations-iraq.pdf , Zugriff 17.09.2019, mwN

16. Grundversorgung und Wirtschaft:

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten (AA 12.2.2018). Die Iraker haben eine dramatische Verschlechterung in Bezug auf die Zurverfügungstellung von Strom. Wasser. Abwasser- und Abfallentsorgung. Gesundheitsversorgung. Bildung. Verkehr und Sicherheit erlebt. Der Konflikt hat nicht nur in Bezug auf die Armutsraten. sondern auch bei der Erbringung staatlicher Dienste zu stärker ausgeprägten räumlichen Unterschieden geführt. Der Zugang zu diesen Diensten und deren Qualität variiert demnach im gesamten Land erheblich (K4D 18.5.2018).

Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig. Die genannten Defizite werden durch die grassierende Korruption zusätzlich verstärkt. Nach Angaben des UN-Programms „Habitat" leben 70 Prozent der Iraker in Städten. die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums (AA 12.2.2018).

In vom IS befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wieder hergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 12.2.2018).

16.1. Wirtschaftslage:

Der Irak erholt sich nur langsam vom Terror des sogenannten Islamischen Staat und seinen Folgen. Nicht nur sind ökonomisch wichtige Städte wie Mosul zerstört worden. Dies trifft das Land. nachdem es seit Jahrzehnten durch Krieg. Bürgerkrieg. Sanktionen zerrüttet wurde. Wiederaufbauprogramme laufen bereits. vorsichtig-positive Wirtschaftsprognosen traf die Weltbank im Oktober 2018 für das Jahr 2019. Ob der Wiederaufbau zu einem nachhaltigen positiven Aufschwung beiträgt. hängt aus Sicht der Weltbank davon ab. ob das Land die Korruption in den Griff bekommt (GIZ 11.2018).

Das Erdöl stellt immer noch die Haupteinnahmequelle des irakischen Staates dar (GIZ 11.2018). Rund 90 Prozent der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor (AA 12.2.2018). Noch im Jahr 2016 wuchs die irakische Wirtschaft laut Economist Intelligence Unit (EIU) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) um 11 Prozent. Im Folgejahr schrumpfte sie allerdings um 0,8 Prozent. Auch 2018 wird das Wachstum um die 1 Prozent betragen, während für 2019 wieder ein Aufschwung von 5 Prozent zu erwarten ist (WKO 2.10.2018). Laut Weltbank wird erwartet, dass das gesamte BIP-Wachstum bis 2018 wieder auf positive 2,5 Prozent ansteigt. Die Wachstumsaussichten des Irak dürften sich dank der günstigeren Sicherheitslage und der allmählichen Belebung der Investitionen für den Wiederaufbau verbessern (WB 16.4.2018). Die positive Entwicklung des Ölpreises ist dafür auch ausschlaggebend. Somit scheint sich das Land nach langen Jahren bewaffneter Auseinandersetzungen wieder in Richtung einer gewissen Normalität zu bewegen. Dieser positiven Entwicklung stehen gleichwohl weiterhin Herausforderungen gegenüber (WKO 2.10.2018).

So haben der Krieg gegen den IS und der langwierige Rückgang der Ölpreise seit 2014 zu einem Rückgang der Nicht-Öl-Wirtschaft um 21,6 Prozent geführt, sowie zu einer starken Verschlechterung der Finanz- und Leistungsbilanz des Landes. Der Krieg und die weit verbreitete Unsicherheit haben auch die Zerstörung von Infrastruktur und Anlageobjekten in den vom IS kontrollierten Gebieten verursacht, Ressourcen von produktiven Investitionen abgezweigt, den privaten Konsum und das Investitionsvertrauen stark beeinträchtigt und Armut, Vulnerabilität und Arbeitslosigkeit erhöht. Dabei stieg die Armutsquote [schon vor dem IS, Anm.] von 18,9 Prozent im Jahr 2012 auf geschätzte 22,5 Prozent im Jahr 2014 (WB 18.4.2018).

Jüngste Arbeitsmarktstatistiken deuten auf eine weitere Verschlechterung der Armutssituation hin. Die Erwerbsquote von Jugendlichen (15-24 Jahre) ist seit Beginn der Krise im Jahr 2014 deutlich gesunken, von 32,5 Prozent auf 27,4 Prozent. Die Arbeitslosigkeit nahm vor allem bei Personen aus den ärmsten Haushalten und Jugendlichen und Personen im erwerbsfähigen Alter (25-49 Jahre) zu. Die Arbeitslosenquote ist in den von IS-bezogener Gewalt und Vertreibung am stärksten betroffenen Provinzen etwa doppelt so hoch wie im übrigen Land (21,1 Prozent gegenüber 11,2 Prozent), insbesondere bei Jugendlichen und Ungebildeten (WB 16.4.2018).

Der Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat (AA 12.2.2018). Grundsätzlich ist der öffentliche Sektor sehr gefragt. Die IS-Krise und die Kürzung des Budgets haben Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im privaten und öffentlichen Sektor. Jobangebote sind mit dem Schließen mehrerer Unternehmen zurückgegangen. Im öffentlichen Sektor sind ebenfalls viele Stellen gestrichen worden. Gute Berufschancen bietet jedoch derzeit das Militär. Das durchschnittliche monatliche Einkommen im Irak beträgt derzeit 350-1.500 USD, je nach Position und Ausbildung (IOM 13.6.2018).

Das Ministerium für Arbeit und Soziales bietet Unterstützung bei der Arbeitssuche und stellt Arbeitsagenturen in den meisten Städten. Die Regierung hat auch ein Programm gestartet, um irakische Arbeitslose und Arbeiter, die weniger als 1 USD pro Tag verdienen, zu unterstützen. Aufgrund der derzeitigen Situation im Land wurde die Hilfe jedoch eingestellt. Weiterbildungsmöglichkeiten werden durch Berufsschulen, Trainingszentren und Agenturen angeboten (IOM 13.6.2018).

16.2. Stromversorgung:

Die Stromversorgung des Irak ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht (AA 12.2.2018). Sie deckt nur etwa 60 Prozent der Nachfrage ab, wobei etwa 20 Prozent der Bevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Der verfügbare Stromvorrat variiert jedoch je nach Gebiet und Jahreszeit (Fanack 22.12.2017). Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten, wenn bei Temperaturen von über 50 Grad flächendeckend Klimaanlagen eingesetzt werden, häufig unterbrochen. Dann versorgt sich die Bevölkerung aus privaten Generatoren, sofern diese vorhanden sind. Die Versorgung mit Mineralöl bleibt unzureichend und belastet die Haushalte wegen der hohen Kraftstoffpreise unverhältnismäßig. In der Autonomen Region Kurdistan erfolgt die Stromversorgung durch Betrieb eigener Kraftwerke, unterliegt jedoch wie in den anderen Regionen Iraks erheblichen Schwankungen und erreicht deutlich weniger als 20 Stunden pro Tag. Kraftwerke leiden unter Mangel an Brennstoff und es gibt erhebliche Leitungsverluste (AA 12.2.2018).

16.3. Wasserversorgung:

Die Wasserversorgung wird von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen (AA 12.2.2018). Der Irak befindet sich inmitten einer schweren Wasserkrise, die durch akute Knappheit, schwindende Ressourcen und eine stark sinkende Wasserqualität gekennzeichnet ist (Clingendael 10.7.2018). Die Wasserknappheit dürfte sich kurz- bis mittelfristig noch verschärfen. Besonders betroffen sind die südlichen Provinzen, insbesondere Basra. Der Klimawandel ist dabei ein Faktor, aber auch große Staudammprojekte in der Türkei und im Iran, die sich auf den Wasserstand von Euphrat und Tigris auswirken und zur Verknappung des Wassers beitragen. Niedrige Wasserstände führen zu einem Anstieg des Salzgehalts, wodurch das bereits begrenzte Wasser für die landwirtschaftliche Nutzung ungeeignet wird (UNOCHA 31.8.2018).

Parallel zur Wasserknappheit tragen veraltete Leitungen und eine veraltete Infrastruktur zur Kontaminierung der Wasserversorgung bei (UNOCHA 31.8.2018). Es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser (AA 12.2.2018). Im August meldete Iraks südliche Provinz Basra 17.000 Fälle von Infektionen aufgrund der Kontaminierung von Wasser. Der Direktor der Gesundheitsbehörde Basra warnte vor einem Choleraausbruch (Iraqi News 28.8.2018).

16.4. Nahrungsversorgung:

Laut Welternährungsorganisation sind im Irak zwei Millionen Menschen von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen (FAO 8.2.2018). 22,6 Prozent der Kinder sind unterernährt (AA 12.2.2018). Schätzungen des Welternährungsprogramms zufolge benötigen mindestens 700.000 Iraker Nahrungsmittelhilfe (USAID 23.2.2018).

Die Landwirtschaft ist für die irakische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Schätzungen zufolge hat der Irak in den letzten vier Jahren jedoch 40 Prozent seiner landwirtschaftlichen Produktion verloren. Im Zuge des Krieges gegen den IS waren viele Bauern gezwungen, ihre Betriebe zu verlassen. Ernten wurden zerstört oder beschädigt. Landwirtschaftliche Maschinen, Saatgut, Pflanzen, eingelagerte Ernten und Vieh wurden geplündert. Aufgrund des Konflikts und der Verminung konnten Bauern für die nächste Landwirtschaftssaison nicht pflanzen. Die Nahrungsmittelproduktion und -versorgung wurde unterbrochen, die Nahrungsmittelpreise auf den Märkten stiegen (FAO 8.2.2018). Das Land ist stark von Nahrungsmittelimporten abhängig (AW 11.2.2018; vgl. USAID 1.8.2017).

Das Sozialsystem wird vom sogenannten „Public Distribution System" (PDS) dominiert, einem Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft, um sie an die Öffentlichkeit zu verteilen. Das PDS ist das wichtigste Sozialhilfeprogramm im Irak, in Bezug auf Flächendeckung und Armutsbekämpfung. Es ist das wichtigste Sicherheitsnetz für Arme, obwohl es von schweren Ineffizienzen gekennzeichnet ist (K4D 18.5.2018). Es sind zwar alle Bürger berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des PDS zu erhalten. Das Programm wird von den Behörden jedoch sporadisch und unregelmäßig umgesetzt, mit begrenztem Zugang in den wiedereroberten Gebieten. Außerdem hat der niedrige Ölpreis die Mittel für das PDS weiter eingeschränkt (USDOS 20.04.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 12.10.2018

- AW - The Arab Weekly (11.2.2018): Can Iraq’s ailing economy liberate itself in 2018?, https://thearabweekly.com/can-iraqs-ailing-economy-liberate-itself-2018 , Zugriff 15.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- Clingendael - Netherlands Institute of International Relations (10.7.2018): More than infrastructures: water challenges in Iraq, https://www.clingendael.org/sites/default/files/2018-07/PB_PSI_water_challenges_Iraq.pdf , Zugriff 15.10.2018

- Fanack (22.12.2017): Energy file: Iraq, https://fanack.com/fanack-energy/iraq/ , Zugriff 15.10.2018

- FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations (8.2.2018): Iraq: Recovery and Resilience Programme 2018-2019, http://www.fao.org/3/I8658EN/i8658en.pdf , Zugriff 15.10.2018

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak: Die wirtschaftliche Lage im Überblick, https://www.liportal.de/irak/wirtschaft-entwicklung/ , Zugriff 20.11.2018

- Iraqi News (28.8.2018): Iraq’s Basra declares 17000 infection cases from water pollution, https://www.iraqinews.com/features/iraqs-basra-declares-17000-infection-cases-from-water-pollution/ , Zugriff 15.10.2018

- IOM - International Organization for Migration (13.6.2018): Länderinformationsblatt Irak (2017), https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_irak-dl_de.pdf?__blob=publicationFile , Zugriff 16.10.2018

- K4D - Knowledge for Development Program (18.5.2018): Iraqi state capabilities, https://assets.publishing.service.gov.uk/media/5b18e952e5274a18eb1ee3aa/Iraqi_state_capabilities.pdf , Zugriff 15.10.2018

- UNOCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.8.2018): Iraq: Humanitarian Bulletin, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/OCHA Iraq Humanitarian Bulletin - August 2018.pdf , Zugriff 15.10.2018

- USAID - Unites States Agency for International Development (1.8.2017): Iraq: Agriculture, https://www.usaid.gov/iraq/agriculture , Zugriff 16.10.2018

- USAID - Unites States Agency for International Development (30.9.2018): Food Assistance Fact Sheet: Iraq, https://www.usaid.gov/sites/default/files/documents/1866/FFP_Iraq_Fact_Sheet.pdf , Zugriff 15.10.2018

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html , Zugriff 4.10.2018

- WB - The World Bank (16.4.2018): Iraq's Economic Outlook - April 2018, https://www.worldbank.org/en/country/iraq/publication/economic-outlook-april-2018 , Zugriff16.10.2018

- WB - The World Bank (18.4.2018): Iraq: Overview, http://www.worldbank.org/en/country/iraq/overview , Zugriff 15.10.2018

- WKO - Wirtschaftskammer Österreich (2.10.2018): Die irakische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-irakische-wirtschaft.html , Zugriff 15.10.2018

17. Medizinische Versorgung:

Die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt: In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen (AA 7.2.2017). Geschätzte 75 Prozent der Ärzte, Pharmakologen und Krankenpfleger haben seit 2003 ihre Arbeit niedergelegt, wodurch ein massiver Versorgungsmangel entsteht. Etwa 60 Prozent des medizinischen Fachpersonals, das das Land verlassen hat, tat dies aufgrund der Sicherheitslage (CR 7.7.2016).

Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen. Korruption ist verbreitet. Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen (AA 7.2.2017). Die Jahre des bewaffneten Konflikts haben das Gesundheitssystem ernsthaft deformiert und im Irak gibt es beträchtliche Lücken bei der Bereitstellung von medizinischen Leistungen, auch wenn es regionale Unterschiede gibt. In Konfliktzonen sind viele Gesundheitseinrichtungen außer Betrieb oder zerstört (AIO 12.6.2017). In den am meisten betroffenen Provinzen Anbar, Kirkuk, Ninewah und Salahuddin wurden geschätzt 23 Krankenhäuser und über 230 medizinische Versorgungseinrichtungen beschädigt oder zerstört (OCHA 7.3.2017). Angriffe auf Spitäler und Schulen sind häufig und die Verweigerung von humanitärer Unterstützung und die Zerstörung von grundlegenden Diensten wie Wasser- und Stromversorgung werden als Kriegswaffe eingesetzt (UNICEF o.D.). Jenen Gesundheitseinrichtungen, die weiterbetrieben werden, fehlt es häufig an der Kapazität für den erhöhten Bedarf an zu Versorgenden, insbesondere in Gebieten mit einer hohen Zahl an IDPs, wie in der Region Kurdistan (AIO 12.6.2017).

Neben dem bewaffneten Konflikt und der großen Menge an IDPs tragen auch noch der Ausbruch von Krankheiten (mitausgelöst durch die beeinträchtigte Wasserversorgung und die Unterbrechung bei Schutzimpfungsprogrammen), sowie Finanzierungsengpässe zur Verschlimmerung bei. Es gibt einen weit verbreiteten Mangel an wesentlichen Medikamenten, Sanitätsartikeln und Nahrungsergänzungen. Laut Schätzungen haben mehr als 7,7 Millionen Menschen (laut anderer Quelle mehr als 8 Millionen Menschen) dringenden Bedarf an wesentlichen medizinischen Dienstleistungen. Seit Ende 2015 gibt es im Irak einen Cholera-Ausbruch und es besteht darüber hinaus ein erhöhtes Risiko, an Typhus, Gelbsucht oder Masern zu erkranken (WHO 2016, vgl. OCHA 7.3.2017). Im gesamten Land gibt es für schwangere Frauen nur eingeschränkten Zugang zu reproduktiven Gesundheits- und Beratungsdiensten, zu prä- und postnataler Versorgung und sicheren Geburtseinrichtungen. Diese Situation ist in verschärftem Ausmaß in Flüchtlingslagern oder anderen Umgebungen zu beobachten, in denen es einen mangelhaften Zugang zu Gesundheitsversorgung in diesem Bereich gibt. Darüber hinaus sehen sich schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen verschiedenen Barrieren beim Zugang zu grundlegender medizinischer Versorgung gegenüber, beispielsweise auf Grund der Sicherheitslage, der ethnischen Zugehörigkeit oder finanzieller Schwierigkeiten (OCHA 7.3.2017).

Gemäß WHO lag im Jahr 2014 die Dichte von primären medizinischen Einrichtungen im Irak bei 0,7 auf 10.000 Einwohner (MedCOI 2017). In ungefähr der Hälfte der medizinischen Zentren arbeitet zumindest ein Arzt/ eine Ärztin, im Rest der Versorgungszentren arbeiten geschulte Gesundheitskräfte wie medizinische HelferInnen und KrankenpflegerInnen.

Das Gesundheitsministerium ist der Hauptanbieter im Gesundheitsbereich. Das öffentliche Gesundheitssystem basiert auf einem Kostenteilungsmodell, bei dem die Regierung die Kosten für die medizinischen Dienstleistungen übernimmt und dem Patienten eine geringe Gebühr in Rechnung stellt. Der Mangel an politischer Stabilität und Staatssicherheit im Irak hindert den Staat jedoch daran, die allgemeine Gesundheitsversorgung der Bevölkerung abzudecken. Der private Sektor bietet ebenfalls heilmedizinische Leistungen an, diese können jedoch, wenn weitere Leistungen nötig werden (z.B. MRT, Medikamente oder operative Eingriffe) für ärmere Familien kostspielig sein (MedCOI 2017).

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, http://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455296_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2016-07-02-2017.pdf , Zugriff 6.8.2017

 BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 18.05.2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1416409/5818_1508929404_irak-lib-2017-08-24-ke.doc mwN (Zugriff am 15.11.2018)

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

 Crisis response (7.7.2016): Crisis - The state of healthcare in Iraq, https://www.crisis-response.com/comment/blogpost.php?post=264 , Zugriff 30.9.2017.

 MedCOI – Medical Country of Origin Information (2017): Country Fact Sheet Iraq, https://www.medcoi.eu/Source/Detail/10009 , Zugriff 5.7.2017

 OCHA – UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (7.3.2017): Humanitarian Needs Overview, http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/irq_2017_hno.pdf , Zugriff 16.6.2017

 UNICEF Iraq (o.D.): The situation of children in Iraq, https://www.unicef.org/iraq/children.html , Zugriff 9.2.2017.

 WHO - World Health Organization (2016): Iraq Humanitarian Response Plan 2016, http://www.who.int/hac/crises/irq/appeal/en/ , Zugriff 7.12.2016

17.1. Allgemeines:

17.1.1. Gesundheitswesen und Zugang zu Gesundheitsversorgung:

Aus dem EASO-Bericht über Herkunftsländer Irak: Zentrale sozioökonomische Indikatoren vom Februar 2019 ergibt sich auszugsweise (Punkt 7.2., S 80 ff):

„[…]

Seit den 1970er Jahren umfasst das irakische Gesundheitswesen Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung und Krankenhäuser. Die Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung erbringen Vorsorge- und Heilbehandlungen. Die Leistungen werden für gewöhnlich von Ärzten erbracht, in den Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung in ländlichen Gebieten kann es jedoch vorkommen, dass lediglich medizinisches Hilfspersonal vor Ort ist.680 Zur Primärversorgung zählen „Untersuchungen, Impfungen, Schwangerschaftsvorsorge und Gesundheitserziehung“, soweit einfache Behandlungen und Arzneimittel erforderlich sind; komplexere Krankheitsfälle werden an die Krankenhäuser überwiesen. Trotz schlechter Organisation sowie Personal- und Arzneimittelmangel in den Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung gelten sie als unverzichtbare Eckpfeiler der Gesundheitsversorgung, insbesondere für die ärmeren Bevölkerungsgruppen. Krankenhäuser und sonstige Gesundheitseinrichtungen sind ganz überwiegend in städtischen Gebieten zu finden. Infolgedessen sind Krankenhäuser und sonstige medizinische Einrichtungen für die Einwohner der ärmeren Gouvernements entweder selten oder überhaupt nicht zugänglich. Sowohl Gesundheitsdienste als auch Arzneimittel sind im Rahmen eines öffentlichen und eines privaten Gesundheitssystems verfügbar. Es gibt kein öffentliches Krankenversicherungssystem. Der Zugang zum Gesundheitswesen erfordert einen Personalausweis und die Bezahlung der Leistung. Die Patienten müssen für die Mehrheit der Beratungen und Behandlungen sowohl im öffentlichen als auch im privaten Gesundheitssystem bezahlen. Die Leistungen der Primärversorgung und der Vorsorge werden durch Unterbrechungen der Stromversorgung und fehlende Ausrüstungen beeinträchtigt. Zur Primärversorgung zählen „Untersuchungen, Impfungen, Schwangerschaftsvorsorge und Gesundheitserziehung“, soweit einfache Behandlungen und Arzneimittel erforderlich sind; komplexere Krankheitsfälle werden an die Krankenhäuser überwiesen. Im Jahr 2017 schrieb die Weltbank: „Da es keine Krankenversicherungssysteme im Irak gibt, müssen die Kosten der privaten Gesundheitsversorgung aus eigener Tasche finanziert werden, wozu zahlreiche Iraker nicht imstande sind“. Den im Jahr 2017 veröffentlichten Länder-Factsheets der IOM war zu entnehmen, dass die Krankenversicherung keine Kosten übernimmt; die „Leistungen des öffentlichen Gesundheitswesens sind kostengünstiger als die Leistungen des privaten Gesundheitswesens“. Im privaten Gesundheitssystem sind Qualität und Verfügbarkeit in der Regel besser, dagegen sind die Preise höher. Infolgedessen suchen Patienten, die es sich leisten können, private Gesundheitseinrichtungen in Erbil oder Bagdad oder im Ausland auf, während die Patienten mit geringerem Einkommen auf öffentliche Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen angewiesen sind. Die Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung berichten, dass fehlendes Material und der Mangel an Fachkräften ihre Behandlungskapazitäten mindern und somit weniger Patienten behandelt werden können.690 In einem von IRIN News im März 2018 veröffentlichten Artikel wurden die Schwierigkeiten jesidischer Rückkehrer beim Zugang zur Gesundheitsversorgung in der Region Sindschar im Nordosten des Irak beleuchtet. IRIN berichtete ferner, dass die neuen von der irakischen Regierung im öffentlichen Gesundheitswesen eingeführten Gebühren zwar moderat waren – 2 000 IQD [1,48 EUR] für eine Beratung und 1 000 IQD [0,74 EUR] für eine Verordnung –, jedoch gravierende Auswirkungen auf einige der ärmsten Gruppen der Gemeinde in Sindschar gehabt haben, die diese Gebühren nicht aufbringen können.

Präzise und aktuelle Informationen über die vorhandenen Gesundheitseinrichtungen sind kaum verfügbar. Den Statistiken der irakischen Regierung für 2015 war zu entnehmen, dass es 212 öffentliche und 95 private Krankenhäuser gab, von denen 207 bzw. 93 „voll oder teilweise einsatzfähig“ waren. Angaben der WHO auf ihrer Website (ohne Datum) zufolge hat der Irak 229 allgemeine Krankenhäuser und Fachkliniken. Nach Angaben der WHO gibt es 1 185 Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung, die von einem Arzt geleitet werden, und 1 146 Einrichtungen, die von medizinischem Hilfspersonal geleitet werden. Aus den von der irakischen Regierung 2017 vorgelegten Statistiken ging jedoch hervor, dass es 2 669 Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung gibt. Die WHO schätzt, dass es 0,7 Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung je 10 000 Einwohner und 13 Krankenhausbetten je 10 000 Einwohner im Irak gibt. Was das Gesundheitspersonal angeht, beläuft sich die Zahl der Ärzte auf 8,4 und die Zahl von Krankenpflegern/Hebammen auf 19,4 je 10 000 Einwohner im Irak. In Bereich der Gesundheitsindikatoren (wie Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben, Krankenhausbetten je 1 000 Einwohner, Krankenpfleger/Hebammen je 1000 Einwohner) schneidet der Irak schlechter ab als seine Nachbarländer in der Region. Im dem Bericht 2017 von REACH wird festgestellt, dass die gesamte irakische Bevölkerung der Verbesserung des Zugangs zur medizinischen Grundversorgung weiterhin einen hohen Stellenwert beimisst. Zudem wurde berichtet, dass es einen „Mangel an Arzneimitteln in Krankenhäusern gibt und sich Patienten die Arzneimittel in den Apotheken nicht leisten können“. Einem von The Lancet 2013 veröffentlichten Papier zufolge bleibt die Personalausstattung im medizinischen Bereich hinter derjenigen anderer vergleichbarer Länder in der Region zurück (Jordanien, Syrien, Ägypten). Im Gesundheitswesen fehlen ferner Ärzte und medizinische Fachkräfte, die Berichten zufolge das Land in den vergangenen Jahren aufgrund des Konflikts, ausbleibender Gehaltszahlungen und der Korruption verlassen haben. Medizinische Fachkräfte verteilen sich ungleichmäßig über das Land: In Bagdad befinden sich unverhältnismäßig viele Ärzte, Angehörige des medizinischen Personals und Betten, während die ärmeren Gouvernements über geringere medizinische Ressourcen verfügen. Die Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung berichten, dass fehlendes Material und der Mangel an Fachkräften ihre Behandlungskapazitäten mindern und somit weniger Patienten behandelt werden können.“

Quelle:

- EASO-Bericht über Herkunftsländer Irak: Zentrale sozioökonomische Indikatoren, Februar 2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2015474.html mwN (Zugriff am 02.10.2019)

18. Rückkehr:

18.1. Übersicht:

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig - u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Autonome Region Kurdistan finden regelmäßig statt (AA 12.2.2018).

Studien zufolge ist die größte primäre Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018; vgl. REACH 30.6.2017). In der Autonomen Region Kurdistan gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Ob sich diese Tendenzen verstetigen, wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der Autonomen Region Kurdistan kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 12.2.2018).

Die Höhe einer Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung der Unterkunft ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger. Die Miete für 250m2 in Bagdad liegt bei ca. 320 USD. In den Städten der kurdischen Autonomieregion liegt die Miete bei 300-600 USD für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage nach Mietobjekten stieg, nahm die Nachfrage nach Kaufobjekten ab. Durchschnittliche Betriebskosten betragen pro Monat 15.000 IQD (Anm.: ca. 11 EUR) für Gas, 10.000-25.000 IQD (Anm.: ca. 7-18 EUR) für Wasser, 30.000-40.000 IQD (Anm.: ca. 22-29 EUR) für Strom (staatlich) und 40.000 IQD für private oder nachbarschaftlichen Generatorenstrom (IOM 13.6.2018).

Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser im Land. Jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote (GIZ 11.2018). Wohnen ist zu einem der größten Probleme im Irak geworden, insbesondere nach den Geschehnissen von 2003 (IOM 13.6.2018). Die Immobilienpreise in irakischen Städten sind in den letzten zehn Jahren stark angestiegen (IEC 24.1.2018). Im Zuge des Wiederaufbaus nach dem IS stellt der Wohnungsbau eine besonders dringende Priorität dar (Reuters 12.2.2018). Im November 2017 bestätigte der irakische Ministerrat ein neues Programm zur Wohnbaupolitik, das mit der Unterstützung von UN-Habitat ausgearbeitet wurde, um angemessenen Wohnraum für irakische Staatsbürger zu gewährleisten (UNHSP 6.11.2017). Öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche besteht für Rückkehrer nicht (IOM 13.6.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/de/dokument/1437719.html , Zugriff 12.10.2018

- BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 20.11.2018 mit Kurzinformation vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak - Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/#c28570 , Zugriff 20.11.2018

- IEC - Iraq‘s Economic Center (24.1.2018): Rising Real Estate Prices in Iraq encourages buying abroad, http://en.economiciraq.com/2018/01/24/rising-real-estate-prices-in-iraq-encourages-buying-abroad/ , Zugriff 17.10.2018

- IOM - International Organization for Migration (2.2018): Iraqi returnees from Europe: A snapshot report on Iraqi Nationals upon return in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/DP.1635 - IraqReturneesSnapshot-Report - V5.pdf , Zugriff 16.10.2018

- IOM - International Organization for Migration (13.6.2018): Länderinformationsblatt Irak (2017), https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_irak-dl_de.pdf ;jsessionid=0E66FF3FBC9BF77D6FB52022F1A7B611.1_cid294?__blob=publicationFile, Zugriff 16.10.2018

- MCH - Ministry of Construction and Housing (10.2010): Iraq National Housing Policy. https://www.humanitarianlibrary.org/sites/default/files/2013/05/634247_INHP_English_Version.pdf , Zugriff 17.10.2018

- REACH (30.6.2017): Iraqi migration to Europe in 2016: Profiles. Drivers and Return. https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/reach_irq_grc_report_iraqi_migration_to_europe_in_2016_june_2017 (1).pdf , Zugriff 16.10.2018

- Reuters (12.2.2018): Iraq says reconstruction after war on Islamic State to cost $88 billion. https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-reconstruction/iraq-savs-reconstruction-after-war-on-islamic-state-to-cost-88-billion-idUSKBN1FW0JB , Zugriff 17.10.2018

- UNHSP - United Nations Human Settlements Program (6.11.2017): The Council of Ministers Endorses the Updated Housing Policy of Iraq by the Ministry of Construction. Housing Municipalities and Public Works through the support of UN-Habitat, https://reliefweb.int/report/iraq/council-ministers-endorses-updated-housing-policy-iraqministry-construction-housing , Zugriff 17.10.2018

18.2. Einreise, Rückkehrlage und Zugang zu Sozialleistungen:

Aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Irak: Einreise, Rückkehrlage und Zugang zu Sozialleistungen vom 14.10.2019 ergibt sich:

„Der volljährige Beschwerdeführer, geboren in Kuwait, ist irakischer Staatsangehöriger und gehört seinen Angaben nach der kurdischen Volksgruppe sunnitischen Glaubens an. In Kuwait hat er sein ganzes Leben verbracht. Er spricht Arabisch und nur wenig bis gar kein Kurdisch. Er war noch nie im Irak und hat dort weder Angehörige noch soziale Kontakte.

Der Beschwerdeführer verfügte über Visa für Kuwait. Nach Beendigung seines letzten Arbeitsvertrages wurde sein Visum nicht verlängert. Er hielt sich fortan illegal in Kuwait auf und es wurde ihm mit Abschiebung in den Irak gedroht. Der Beschwerdeführer reiste jedoch nach Europa, wo er in Österreich den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Er bringt keine persönliche Bedrohung oder Verfolgung im Irak vor, fürchtet jedoch die allgemeine Sicherheitslage im ganzen Irak. Er verfügt derzeit auch über keine gültigen irakischen Dokumente.

1. Wäre es einer Person wie dem Beschwerdeführer unter den geschilderten Voraussetzungen (auch faktisch) möglich, in den Irak zu reisen, sich dort ohne Bürgen oder familiäre Bindungen niederzulassen (wenn ja, wo) und Sozialleistungen, sonstige Unterstützungsleistungen oder wenigstens neue Dokumente zu erhalten, die ihm einen Bezug von öffentlichen Leistungen ermöglichen würden?

Quellenlage/Quellenbeschreibung:

In öffentlich zugänglichen Quellen wurden im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche auf Deutsch und Englisch wenige aktuellen Informationen gefunden. Gesucht wurde auf google.com, bing.com, ecoi.net, refworld.org, im internen Archiv mit den Suchworten „kurdische Volksgruppe“, „Sunniten“, „legale Einreise“, „Rückkehr“, „Niederlassung“ und fremdsprachigen Äquivalenten. Zur weiteren Informationserhebung wurde die Anfrage daher auch an den Verbindungsbeamten des BM.I für den Nahen Osten (VB) und an ACCORD weitergeleitet.

Eine Quellenbeschreibung zu Verbindungsbeamten des BM.I, sowie zu ACCORD findet sich auf dem Quellenblatt der Staatendokumentation auf www.staatendokumentation.at wie auch in der dort ersichtlichen Methodologie der Staatendokumentation. Eine ausführliche Quellenbeschreibung zu einigen der verwendeten Quellen findet sich unter http://www.ecoi.net/5.unsere-quellen.htm Als allgemein bekannt vorausgesetzte Quellen werden i.d.R. nicht näher beschrieben. Als weniger bekannt erkannte Quellen werden im Abschnitt „Einzelquellen“ näher beschrieben.

[…]

Zusammenfassung:

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass für die Rückkehr/Einreise in den Irak notwendige Reisedokumente bzw. Reisepässe nur ausgestellt werden können, wenn ID-Karte oder Nationalitätsnachweis vorhanden sind. Eine Abschiebung/Rückführung ohne Reisedokumente von der irakischen Botschaft Wien wird vom Irak nicht angenommen. Irakische Bürger, die über einen Flughafen in der KRI [Region Kurdistan-Irak; Anm.] in den Irak einreisen möchten, müssen im Besitz eines gültigen Reisepasses oder eines irakischen Laissez-Passer-Dokuments [Dokumentbeschreibung - siehe Einzelquelle; Anm.] sein. Die Sicherheitslage im gesamten Irak bleibt volatil.

Sunniten haben beim Passieren von Kontrollpunkten größere Probleme, da sie von willkürlichen Verhaftungen aufgrund des Verdachts des Sympathisierens mit dem IS besonders betroffen sind bzw. beim Passieren von Kontrollpunkten auf Straßen zwischen Gouvernements und zwischen dem Flughafen Bagdad und der Stadt möglichen Misshandlungen und Diskriminierungen ausgesetzt sind.

Alle Iraker müssen einen nationalen Personalausweis besitzen, der von der Direktion für Zivilstandsangelegenheiten, die der Generaldirektion für Staatsangehörigkeit des Innenministeriums unterstellt ist, ausgestellt wird. Für einen Antragsteller, der seine/ihre Identität nicht nachweisen kann, ist es schwierig, im Ausland einen Ausweis zu erhalten.

Die Wahl des Zielortes im Irak wird hauptsächlich durch im Irak lebende Familienangehörige, Verwandte und Freunde, sowie die dort vorhandene ethnisch-religiöse Gemeinschaft bestimmt. Nach Angaben von kurdischen Beamten, hätten abgelehnte Asylbewerber nach der Rückkehr in den Irak Schwierigkeiten, wenn sie kein Netz haben, das sie unterstützt. Die Unterstützung durch die Gemeinschaft sei für den Integrationsprozess für Rückkehrer entscheidend. Nach Angaben von DIS/Landinfo, in einem Bericht über Binnenvertriebene vom November 2018, wurde die Einreise in die KRI verbessert, obwohl es keine rechtlichen Normen, Gesetze oder formellen Maßnahmen gibt und Verfahren aufgrund von sicherheitsbezogenen und politischen Entwicklungen häufig geändert werden.

Die Behörden der KRI verlangen von nicht gebietsansässigen Personen Genehmigungen, die für begrenzte Aufenthalte in der KRI erteilt werden. DIS/Landinfo berichteten im November 2018, dass Binnenvertriebene in die KRI einreisen dürfen, wenn sie Ausweispapiere besitzen. Die KRG [Kurdische Regionalregierung; Anm.] schreibt unterschiedliche Einreisebestimmungen vor, die je nach ethnischer und religiöser Identität oder der mutmaßlichen politischen Zugehörigkeit der Person variieren können. Personen kurdischer ethnischer Zugehörigkeit aus anderen Teilen des Irak können beispielsweise im Allgemeinen leicht in die KRI einreisen. Die Einreisebestimmungen sind manchmal willkürlich und werden schlecht kommuniziert und unterliegen Änderungen, die sehr kurzfristig bekannt gegeben werden. Die mutmaßliche politische Zugehörigkeit einer Person kann ebenfalls Einfluss darauf haben, ob diese in die KRI ziehen und sich innerhalb der Region frei bewegen darf.

Alle irakischen StaatsbürgerInnen, die sich als solche ausweisen können, haben Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem. Für den Zugang wird lediglich ein irakischer Ausweis benötigt. Die Krankenversicherung übernimmt keinerlei Kosten. Die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt: In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen. Die große Zahl von Flüchtlingen und Binnenflüchtlingen belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen.

Das durchschnittliche monatliche Einkommen im Irak beträgt derzeit, je nach Position und Ausbildung, zwischen 200 und 2.500 USD. Laut Trading Economics, beträgt die Arbeitslosenquote derzeit 14.8%. Zur Zeit wird auf nationaler Ebene vom Staat keine Arbeitslosenhilfe ausgezahlt. Rückkehrer sollten sich über die Anlaufstellen des Ministeriums für Arbeit und Soziales registrieren. Sie sollten ihren Personalausweis, ihre Ration Card und, je nach Bewerbung, zusätzliche Dokumente bereithalten.

Die Höhe von Mieten hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger. Stand 2018, liegt die Miete in KR-I Städten bei 200 - 600 USD für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche besteht für Rückkehrende nicht. Zu gefährdete Personengruppen gehören Waisen, Märtyrerangehörige, Witwen, Personen mit Einschränkungen. Diese erhalten vom Staat Leistungen, dazu müssen sie Unterlagen einreichen, die die Zugehörigkeit zu diesem Personenkreis bestätigt. Je nach Gefährdung sind dazu unterschiedliche Unterlagen notwendig. Sozialbedürftige Personen können einen finanziellen Nachlass beantragen. Allerdings gibt es laut VB Auskunft vom 10.9.2019 gegenwärtig keine Sozialhilfe.

Derzeit stellt sich für den Irak prioritär die Frage nach der Rückkehr der aktuell noch ca. 1,8 Mio. Binnenflüchtlinge. Von den ca. 6 Mio. durch den IS vertriebenen Binnenflüchtlingen sind ca. 4,1 Mio. in ihre Herkunftsorte zurückgekehrt. Nachdem die Rückkehrerraten bis Anfang des Jahres 2018 anstiegen, haben diese ihr Plateau nun überschritten. Hilfsorganisationen gehen von einer Stagnation der Rückkehr aus. Gründe für Nichtrückkehr sind überwiegend mangelnde Sicherheit, Kontaminierung durch Sprengfallen, Bedrohung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure (Milizen), sowie innergesellschaftliche Spannungen.

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. In der Region Kurdistan-Irak gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Ob sich diese Tendenzen verstetigen, wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der Region Kurdistan-Irak kurz- und mittelfristig verbessern wird. Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig.

Einzelquellen:

Der VB des BM.I für den Nahen Osten berichtet in einer Auskunft zur Fragestelleung am 10.9.2019 Folgendes:

„Zu der gegenständlichen Anfrage gab es folgende deckungsgleiche Auskünfte aus Bagdad und Erbil:

 Irakische Reisedokumente bzw. Reisepässe können nur ausgestellt werden, wenn ID-Karte oder Nationalitätsnachweis vorhanden ist.

 Eine Abschiebung/Rückführung ohne Reisedokumente von der irakischen Botschaft Wien (in diesem Fall) wird vom Irak nicht angenommen.

 Sozialhilfe gibt nicht im Irak (inkl. Kurdistan).“

Anmerkung des VB:

Die Informationen werden noch nicht schriftlich sondern entweder telefonisch oder per whatsapp [sic] eingeholt da es noch kein Polizeikooperationsabkommen mit dem Irak gibt (ist in Ausarbeitung), somit müssen wir uns bis dahin weiter mit mündlichen Auskünften zufrieden geben.

VB des BM.I für den Nahen Osten (10.9.2019): Auskunft des VB, per E-Mail

Auf der Homepage des deutschen Auswärtigen Amtes wird in der folgenden Reisewarnung vom 6.9.2019 vor Reisen in den Irak mit Ausnahme der Region Kurdistan-Irak gewarnt:

„Vor Reisen nach Irak wird mit Ausnahme der Region Kurdistan-Irak gewarnt. Von nicht erforderlichen Reisen in die Region Kurdistan-Irak wird abgeraten.

Die terroristische Organisation wurde Ende Dezember 2017 auf irakischem Staatsgebiet militärisch in der Fläche besiegt. Gleichwohl gibt es im Land noch immer Gruppen von Kämpfern, von denen unverändert Gefahr ausgeht. Es muss weiterhin landesweit mit schweren Anschlägen und offenen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen terroristischen Gruppierungen und Sicherheitskräften gerechnet werden. Die Sicherheitslage im gesamten Irak bleibt volatil. Die Zahl der terroristischen Anschläge vor allem im Nord- und Zentralirak ist seit Langem sehr hoch.

[…]

Besonders gefährlich sind die Provinzen Anbar, Diyala, Kirkuk, Ninewa (Sindschar, Mossul, Grenze zu Syrien), Salah Al-Din sowie der Norden der Provinz Babel. Insbesondere in den Provinzen Ninewa und Salah Al-Din muss weiterhin mit schweren Anschlägen und offenen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen und irakischen Sicherheitskräften gerechnet werden. Diese Gefährdungslage gilt ebenfalls für die Provinzen Anbar, Diyala und Kirkuk.

In der nördlichen Provinz Ninewa gibt es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und PKK-Kräften, von denen auch Zivilisten betroffen sind. Gleiches gilt für die nördliche Grenze der Region Kurdistan-Irak zu Syrien und der Türkei. Hier ist es zu Angriffen auf türkisches Militär und zu türkischen Luftangriffen auf PKK-Stellungen gekommen. Auch an der Grenze der Region Kurdistan-Irak zu Iran kommt es vereinzelt zu Gefechten.

[…]

Hauptstadt Bagdad

Trotz einer Verbesserung der Sicherheitslage in der Hauptstadt Bagdad besteht weiterhin die Gefahr schwerer Anschläge, insbesondere auf irakische Sicherheitsinstitutionen und deren Angehörige, auf Ministerien, Hotels, öffentliche Plätze und religiöse Einrichtungen. Es besteht zudem ein hohes Risiko für Entführungen mit terroristischem oder kriminellem Hintergrund. Die Sicherheitslage ist weiterhin volatil.

Einzelne Abschnitte der Hauptstadt Bagdad werden von irakischen Sicherheitskräften in besonderem Maße gesichert, dazu zählt der Flughafen Bagdad International Airport. Anschläge können aber auch dort nicht ausgeschlossen werden.

Durch den Abbau der Kontrollen rund um die „International Zone“ (ehem. „Green Zone“) und freien Zugang der Öffentlichkeit sind die dortigen öffentlichen Gebäude, insbesondere Ministerien, Behörden und Botschaften, nun stärker exponiert, es ist von einer erhöhten Anschlagsgefahr auszugehen.

[…]

Region Kurdistan-Irak

In der Region Kurdistan-Irak (Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaimaniyah/Halabja) ist die Sicherheitslage weiter volatil. Es besteht eine anhaltend erhöhte Gefahr von Terroranschlägen. Erforderliche Reisen in die Region erfordern eine sorgfältige Prüfung der aktuellen örtlichen Sicherheitslage und entsprechende Sicherheitsmaßnahme.

[…]

Im Grenzgebiet zu Syrien besteht die Gefahr, Opfer von anhaltenden Auseinandersetzungen oder auch inhaftiert zu werden, wenn ein illegaler Grenzübertritt und/oder eine Verbindung zu Terrorismus vermutet wird.

[…]

Der Luftverkehr entspricht nicht immer europäischen Sicherheitsstandards.

[…]

Der Straßenverkehr ist nicht sicher. Busverkehr existiert unregelmäßig und Routen werden häufig geändert.“

AA - Auswärtiges Amt (6.9.2019): Irak: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/irak-node/iraksicherheit/202738 , Zugriff 6.9.2019

European Asylum Support Office (EASO) berichtete im Februar 2019 in seinem Informationsbericht über das Herkunftsland Irak unter anderem, dass irakische Bürger, die über einen Flughafen in der KRI [Region Kurdistan-Irak; Anm.] in den Irak einreisen möchten, im Besitz eines gültigen Reisepasses oder eines irakischen Laissez-Passer-Dokuments sein müssen. Sunniten haben beim Passieren von Kontrollpunkten größere Probleme, da sie von willkürlichen Verhaftungen wegen Sympathisierens mit IS besonders betroffen sind und misshandelt werden können, bzw. sind besonders gefährdet beim Passieren von Kontrollpunkten auf Straßen zwischen Gouvernements und zwischen dem Flughafen Bagdad und der Stadt diskriminiert zu werden. Alle Iraker müssen einen nationalen Personalausweis besitzen, der von der Direktion für Zivilstandsangelegenheiten, die der Generaldirektion für Staatsangehörigkeit des Innenministeriums unterstellt ist, ausgestellt wird. Für einen Antragsteller, der seine/ihre Identität nicht nachweisen kann, ist schwierig, im Ausland einen Ausweis zu erhalten.

Die Wahl des Zielortes im Irak wird hauptsächlich durch dort lebende Familienangehörige, Verwandte und Freunde sowie eine dort vorhandene ähnliche ethnisch-religiöse Gemeinschaft bestimmt. Nach Angaben von kurdischen Beamten, die von DIS/Landinfo befragt wurden, hätten abgelehnte Asylbewerber nach der Rückkehr in den Irak Schwierigkeiten, wenn sie kein Netz haben, das sie unterstützt. Sie gaben an, dass dies besonders auf alleinstehende Frauen zutreffe, vor allem, weil es nicht ausreichend Raum und Unterstützung für die Bereitstellung von Unterkünften gebe. IOM erklärte in demselben Bericht, dass Unterstützung durch die Gemeinschaft für den Integrationsprozess für Rückkehrer entscheidend sei. Nach Angaben von DIS/Landinfo in einem Bericht vom November 2018 wurde die Einreise in die KRI verbessert, obwohl es keine rechtlichen Normen, Gesetze oder formellen Maßnahmen gibt und Verfahren aufgrund von sicherheitsbezogenen und politischen Entwicklungen häufig geändert werden. Die Behörden in der KRI verlangen von nicht gebietsansässigen Personen Genehmigungen, die für begrenzte Aufenthalte in der KRI erteilt werden. DIS/Landinfo berichteten im November 2018, dass Binnenvertriebene in die KRI einreisen dürfen, wenn sie Ausweispapiere besitzen. Die KRG [Kurdische Regionalregierung; Anm.] schreibt unterschiedliche Einreisebestimmungen vor, die je nach ethnischer und religiöser Identität oder der mutmaßlichen politischen Zugehörigkeit der Person variieren können.

Die detaillierten Informationen zur Einreise und Niederlassungmöglichkeiten in den einzelnen Gouvernements finden sich im unten angeführten EASO-Originaldokument vom Februar 2019:

„Der dänische Einwanderungsdienst (DIS) stellte nach seiner Erkundungsmission im Jahr 2015 fest, dass ‘irakische Bürger, die über einen Flughafen in der KRI in den Irak einreisen möchten, im Besitz eines gültigen Reisepasses oder eines irakischen Laissez-Passer-Dokuments sein müssen‘ (33). Dies ist laut Dr. Géraldine Chatelard aktuell an allen Einreisestellen des Irak der Fall. Sie erklärt, dass abgelaufene Reisepässe durch ein Laissez-Passer-Dokument ersetzt werden müssen (34). Auf der Website des irakischen Außenministeriums wird angegeben, dass Irakern für die Einreise in den Irak von ausländischen Konsulaten ein Laissez-Passer-Dokument für ‘eine einfache Reise‘ ausgestellt werden kann (35). Laissez-Passer-Dokumente gelten nicht für Weiterreisen (36).

Solche Dokumente können in folgenden Fällen im Ausland ausgestellt werden:

 wenn ein irakischer Staatsangehöriger in den Irak zurückkehren möchte, seinen/ihren Reisepass jedoch verloren hat;

 wenn ein irakischer Staatsangehöriger in den Irak zurückkehren möchte, sein/ihr Reisepass jedoch beschlagnahmt wurde;

 wenn ein irakischer Staatsangehöriger in den Irak abgeschoben wird;

 wenn ein ausländischer Staatsangehöriger von einem unbekannten Ort in den Irak kommt oder Staatsbürger eines Landes ist, das keine Vertretung im Irak hat, und in sein/ihr Heimatland zurückkehren möchte, vorausgesetzt die Behörden des Heimatlandes akzeptieren die Rückkehr‘ (37).

Bei der Ausstellung des Laissez-Passer-Dokuments überprüft die irakische Behörde die Identität/Nationalität des Rückkehrers anhand von Dokumenten im Irak, bestätigt, dass die Person freiwillig zurückkehrt, und prüft, ob Strafregistereinträge des Innenministeriums vorliegen (38).

[…]

Ein Beamter der norwegischen Botschaft, der 2017 von Landinfo im Rahmen eines Berichts befragt wurde, gab an, dass Sunniten beim Passieren von Kontrollpunkten größere Probleme haben, da sie von willkürlichen Verhaftungen wegen Sympathisierens mit ISIL besonders betroffen sind und misshandelt werden können (60). Der UNHCR stellte fest, dass sunnitische Araber und sunnitische Turkmenen aus ehemaligen ISIL-Gebieten Angaben zufolge besonders gefährdet seien, beim Passieren von Kontrollpunkten auf Straßen zwischen Gouvernements und zwischen dem Flughafen Bagdad und der Stadt diskriminiert zu werden (61).

[…]

Im Irak sind ordnungsgemäße Personenstandsurkunden für das tägliche Leben und für den Zugang zu Grundrechten (66), öffentlichen Diensten (67), Bildung (68), Ernährungshilfe (69), Unterkunft (70), Beschäftigung (71), zur Registrierung für staatliche Unterstützungs- oder Sozialleistungen (72), zur Anmietung einer Wohnung, zur polizeilichen Anmeldung im Wohnbezirk oder zum Verkauf von Fahrzeugen oder größerer Gegenstände erforderlich (73). Personenstandsurkunden sind notwendig, um sich im Irak zu bewegen und Sicherheitskontrollpunkte zu passieren (74). Mehrere Quellen geben an, dass bei Personen ohne gültige Ausweispapiere die Freizügigkeit eingeschränkt sei und sie Gefahr laufen, verhaftet zu werden (75).

Alle Iraker müssen einen nationalen Personalausweis besitzen, der von der Direktion für Zivilstandsangelegenheiten, die der Generaldirektion für Staatsangehörigkeit des Innenministeriums unterstellt ist, ausgestellt wird (76). Auf Arabisch heißt dieser Personalausweis bitaqat hawwiyat al-ahwal al-shakhsiya(77).

[…]

Landinfo stellte fest, dass ‘das Familienregister die Grundlage für die Ausstellung von nationalen Personalausweisen und Staatsangehörigkeitsbescheinigungen bildet, die wiederum zur Ausstellung von Pässen benötigt werden‘ (80).

Der Personalausweis wird von Landinfo als ‘das wichtigste persönliche Ausweisdokument‘ für Iraker beschrieben, da er für alle Kontakte zu Behörden und für Dienstleistungen wie Gesundheitsdienste, Sozialleistungen, für den Zugang zu Bildung und für das Kaufen und Verkaufen von Eigentum wie Häusern oder Fahrzeugen notwendig ist. Er ist außerdem erforderlich, um weitere amtliche Dokumente wie Pässe zu erhalten (81). Eine Staatsangehörigkeitsbescheinigung (shahadat jinsiyya) wird allen irakischen Staatsangehörigen auf Antrag ausgestellt und ‘wird für Bewerbungen im öffentlichen Sektor, im Zusammenhang mit Bildung und für andere öffentliche Dienste benötigt. Darüber hinaus ist die Staatsangehörigkeitsbescheinigung als Abstammungsurkunde zur Beantragung eines Reisepasses, von Geburtsurkunden für eigene Kinder, einer Heiratsurkunde und einer Sterbeurkunde erforderlich‘ (82). Kinder erhalten sie normalerweise im Alter von zwölf Jahren (83). In der Praxis sind sowohl der Personalausweis als auch die Staatsangehörigkeitsbescheinigung notwendig, um die oben im zweiten Absatz aufgeführten Dienstleistungen zu erhalten. Diese Dokumente können auch von Personen verlangt werden, die einen Kontrollpunkt passieren möchten. Berichten zufolge tragen Iraker ‘beide Dokumente immer bei sich‘ (84).

[…]

DIS/Landinfo schrieben im November 2018, dass das Fehlen der für das Leben in der irakischen Gesellschaft erforderlichen Personenstandsurkunden ‘einen wesentlichen Faktor darstellen, der Binnenvertriebene an der Rückkehr hindert‘ (92).

[…]

Wiederbeschaffung von Personalausweisen und Staatsangehörigkeitsbescheinigungen außerhalb des Iraks

Informationen über die Verfahren und Anforderungen zur Beantragung verschiedener Personenstandsurkunden im Ausland sind auf der Website des Außenministeriums abrufbar und werden vom irakischen Konsulat in London auch auf Englisch bereitgestellt. Auf dieser Website finden Antragsteller mit verlorenem/beschädigtem Personalausweis, die einen neuen Ausweis benötigen, folgende Anweisungen:

 Das Antragsformular (in der Botschaft erhältlich) ist dem Antrag beizufügen.

 Das Formular ist vom männlichen oder weiblichen Familienoberhaupt, der eingetragenen Person, dem Vormund oder einem Rechtsanwalt mit eindeutiger Unterschrift und vollständigem Namen auszufüllen.

 Der Konsul notiert die Erklärung des Antragstellers auf der Rückseite des oben genannten Formulars, gibt den vollständigen Namen des Antragstellers an und versieht ihn mit seinem/ihrem Fingerabdruck. Die Erklärung ist vom Konsul zu unterzeichnen (112).

Landinfo gab an, dass es für einen Antragsteller, der seine/ihre Identität nicht nachweisen kann, schwierig sei, im Ausland einen Ausweis zu erhalten (113). Bei Staatsangehörigkeitsbescheinigungen werden Anträge ebenfalls von den Botschaften angenommen, die sie an die zuständige Direktion weiterleiten. Ein Verwandter ersten Grades muss jedoch auch hier seine eigene Staatsangehörigkeitsbescheinigung vorlegen sowie die Nummer angeben, unter der die Familie in der Familienerfassung (sijillat al-qaid) registriert ist, und bestätigen, dass der Antragsteller mit ihm verwandt ist (114).

In der zweiten integrierten Standortbewertung der IOM (Integrated Location Assessement II), die im Oktober 2017 veröffentlicht wurde, wurde festgestellt, dass für 30 % der vertriebenen Familien im Irak, die von der IOM für diese Studie befragt wurden, die Wahl des Zielortes im Irak hauptsächlich durch dort lebende Familienangehörige, Verwandte und Freunde sowie eine dort vorhandene ähnliche ethnisch-religiöse Gemeinschaft bestimmt wurde (115). In Bezug auf die Situation von Minderheiten, die ihren Wohnort wechseln, merkt die MRG an, dass Minderheiten je nach ihrem neuen Wohnort Schwierigkeiten haben könnten. Aus derselben Quelle geht hervor, dass ‘vor allem viele Minderheiten aus gemischten Städten und Stadtteilen in Gebiete umgesiedelt sind, in denen sie die Mehrheit bilden‘ (116). Die IOM beobachtete insbesondere bei diesen Rückkehrern aus Europa, dass gemäß einer Studie von 2016 über die Erfahrungen von Rückkehrern in den Irak soziales Kapital oder soziale Netze ‘bedeutender sind als Integrationshilfe. Dies trifft vor allem dann zu, wenn sich Asylbewerber entscheiden, nach Hause zurückzukehren, um sich trotz der ursprünglichen Instabilität wieder mit diesen Netzwerken zu verbinden‘ (117).

In einer Studie der IOM vom Februar 2018, in der 675 irakische Staatsangehörige beobachtet wurden, die aus Europa zurückkehrten, wurde festgestellt, dass 5,9 % der Befragten ein fehlendes soziales Netz aus Familie und Freunden als primäre Herausforderung angaben, mit der sie bei ihrer Rückkehr nach dem Migrationsversuch nach Europa konfrontiert waren (118).

Laut der MRG sei es extrem schwierig, ‘ohne persönliche oder familiäre Bindungen grundlegende Dienstleistungen zu erhalten und einfache Verwaltungsaufgaben in Regierungsdienststellen zu erledigen‘ (119), da öffentliche Einrichtungen im Irak und in der KRI stark von Korruption, Vetternwirtschaft und Patronage-Netzwerken geprägt sind.

Das DFAT schrieb im Oktober 2018, dass es die interne Umsiedlung in die KRI ‘für Personen ohne Bürgen oder bestehende Netzwerke innerhalb der Region [als] schwierig‘ bewerte (120).

Nach Angaben von kurdischen Beamten, die von DIS/Landinfo befragt wurden, ‘hätten abgelehnte Asylbewerber nach der Rückkehr in den Irak Schwierigkeiten, wenn sie kein Netz haben, das sie unterstützt‘. Sie gaben an, dass dies besonders auf alleinstehende Frauen zutreffe, vor allem, weil es nicht ausreichend Raum und Unterstützung für die Bereitstellung von Unterkünften gebe (121).

Die IOM erklärte in demselben Bericht, dass die Unterstützung durch die Gemeinschaft für den Integrationsprozess für Rückkehrer entscheidend sei. Die Reintegration sei für Personen mit guten familiären Bindungen einfacher, wohingegen Rückkehrer ohne Familie Schwierigkeiten aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten haben. Die Kapazitäten der Gemeinschaft und die Infrastruktur wurden von der IOM ebenfalls als wesentlich für die Reintegration genannt, da es nur wenige Möglichkeiten in ländlichen Gebieten gibt; die IOM erklärt, dass die meisten Rückkehrer in die ländlichen Gebiete von Sulaymaniyah, Halabja und Rania gehen (122).

[…]

Bagdad

Laut einem Schreiben des UNHCR vom April 2017 laufen Iraker, die nicht aus Bagdad kommen und ein bestimmtes Profil aufweisen, Gefahr, an einem der Kontrollpunkte zwischen dem internationalen Flughafen Bagdad und der Stadt Bagdad willkürlich verhaftet zu werden. Dies trifft insbesondere auf sunnitische Araber und sunnitische Turkmenen zu, die aus (früher oder aktuell) von ISIS besetzten Gebieten oder vom Konflikt betroffenen Gebieten stammen. Es wird berichtet, dass diese Personen willkürlich verhaftet und aufgrund ihrer mutmaßlichen Unterstützung von ISIS in Isolationshaft genommen werden (147). Frau Dr. Chatelard erklärte, dass Sunniten gefährdet seien, von Milizen oder der Bundespolizei belästigt zu werden, deren Bedienstete hauptsächlich Schiiten sind. Dies sei nicht unbedingt in ihrem Wohnsitz in ehemaligen ISIL-Gebieten begründet, sondern liege möglicherweise daran, dass sie Familien- oder Stammesnamen tragen, die mit diesen Gebieten in Verbindung gebracht werden, z. B. Samarra’i, Rawi, Falouji, oder einen Vornamen haben, der typisch sunnitisch ist, z. B. Omar, Othman, Marwan oder Sufian (148).

[…]

Aus dem Ausland einreisende Personen

Nach Angaben des UNHCR “haben sunnitische Araber, die aus dem Ausland in den Irak zurückkehren, aufgrund weitverbreiteter Vorurteile und Argwohn gegenüber sunnitischen Arabern - insbesondere wenn diese aus Gebieten stammen, die gegenwärtig oder früher von ISIS kontrolliert wurden -, Schwierigkeiten, einen Bürgern zu finden (155) oder ein Unterstützungsschreiben vom Mukhtar/von der Gemeindeverwaltung (Local Council) zu erhalten, wenn sie keine bestehenden familiären oder anderen Bindungen in Bagdad haben“ (156). Frau Dr. Chatelard gab an, dass sich diese Schwierigkeiten auch aus ihrem Familien- oder Stammesnamen ergeben können (157).

Kirkuk und umstrittene Gebiete des Iraks

Kirkuk ist ein vielseitiges multi-ethnisches Gouvernement, das nach der Verfassung aufgrund seines langen ‘kaum eingedämmten Konflikts‘ einen umstrittenen und ungeklärten Status hat (169). Die Stadt Kirkuk und der Flughafen Kirkuk wurden im Oktober 2017 nach dem Rückzug der kurdischen Streitkräfte von den irakischen Streitkräften im Zuge des Kontrollübergangs in der Region nach dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum übernommen (170). DIS/Landinfo schrieben, dass aufgrund des Kontrollübergangs in Kirkuk im Oktober 2017 von den kurdischen auf die irakischen Behörden zahlreiche Menschen vertrieben wurden.

[…]

Nach Angaben von DIS/Landinfo ‘möchten lokale Gemeinden in einigen Fällen nicht, dass bestimmte Personen oder Familien zurückkehren. Es gibt beispielsweise bestimmte Gebiete in Kirkuk und Mossul, in die Binnenvertriebene oder Gruppen von Binnenvertriebenen nicht zurückkehren können. Außerdem kann es lokale Stammesdynamiken geben, die bestimmen, ob eine Person eine Genehmigung erhält. Was sunnitische Araber betrifft, wird häufig nur denjenigen erlaubt zurückzukehren, die deutlich ihre Unterstützung für die örtliche Führung zeigen‘ (178).

[…]

Südliche Gouvernements

Nach Angaben von Dr. Géraldine Chatelard gelten die Bürgschaftsanforderungen für Reisen in den Süden nicht speziell für Vertriebene aus ehemaligen ISIS-Gebieten und für Nadschaf, sondern generell. Dr. Chatelard merkte an, dass eine Person, die nach Nadschaf oder in ein anderes Gouvernement ziehen möchte, einen Bürgen benennen müsse. Dabei erklärt Dr. Géraldine Chatelard, dass das Konzept der Bürgschaft breit gefächert sei: der Bürge kann ein Arbeitgeber (es gibt viele Fälle, in denen binnenvertriebene Beamte aus Ninewa und Anbar in das Gouvernement versetzt wurden, in das sie fliehen mussten, einschließlich Nadschaf, um ihre Arbeit fortzusetzen), ein Verwandter oder jede Art seriöser Einrichtung oder ein etabliertes privates Unternehmen sein.

[…]

Region Kurdistan-Irak

Nach Angaben von DIS/Landinfo in einem Bericht für [sic] Binnenvertriebene vom November 2018 wurde die Einreise in die KRI verbessert, obwohl es keine rechtlichen Normen, Gesetze oder formellen Maßnahmen gibt und Verfahren aufgrund von sicherheitsbezogenen und politischen Entwicklungen häufig geändert werden (220).

[…]

Die Behörden verlangen von nicht gebietsansässigen Personen Genehmigungen, die für begrenzte Aufenthalte in der KRI erteilt werden‘ (221). DIS/Landinfo berichteten im November 2018, dass Binnenvertriebene in die KRI einreisen dürfen, wenn sie Ausweispapiere besitzen. Zwei kurdische Beamte und IOM gaben an, dass jede Person, die die Grenze zur KRI passiert, sich innerhalb von 48 Stunden beim kurdischen Geheimdienst (Asayish) melden muss, dass am Kontrollpunkt der Name und die Ausweispapiere anhand einer Datenbank geprüft werden und ein Aufenthaltstitel für einen Monat ausgestellt wird (222).

DIS/Landinfo merkten an, dass jeder irakische Staatsbürger, der über Flughäfen in die KRI zurückkehrt, die Erlaubnis erhält, drei Tage zu bleiben. Danach muss er sich jedoch innerhalb von 48 Stunden beim Asayish melden, und es kann schwierig sein, eine Verlängerung dieses dreitägigen Aufenthaltstitels zu erhalten (223). Dr. Chatelard beschrieb außerdem, dass zu den Anforderungen der Besitz von offiziellen Ausweisdokumenten (Personalausweis, Staatsangehörigkeits-bescheinigung oder Reisepass), das Bestehen einer Identitätskontrolle durch den Asayish und die Aufnahme eines Fotos vor Ort zur Erstellung einer einen Monat gültigen Aufenthaltskarte gehören. Es muss eine Gebühr von 10 000 IQ [rund 7,4 EUR (224)] gezahlt werden (225).

Die Bürgschaftsanforderungen für die Einreise wurden nach Angaben von DIS/Landinfo ‘erleichtert oder aufgehoben‘, nachdem Mossul 2017 wieder zurückerobert wurde. Es wurde jedoch auch berichtet, dass einige Personen in Einzelfällen dennoch einen Bürgen benennen mussten und einigen Binnenvertriebenen die Einreise aus Sicherheitsgründen verweigert wurde und bestimmte Personen, bei denen in der Vergangenheit ‘erhöhte Sicherheitsbedenken‘ bestanden, Berichten zufolge in Gewahrsam genommen wurden (226). Nach Angaben des australischen DFAT vom Oktober 2018 liegt die Erlaubnis für die Einreise in die KRI im Ermessen der KRG, die die Beschränkungen erhöht hat, einschließlich der Anforderung an Personen, einen Bürgen zu benennen, obwohl die Umsetzung in der Praxis häufig inkonsequent ist (227).

Quellen erklärten DIS/Landinfo, dass beispielsweise folgende Personen einen Bürgen für die KRI benötigen:

 Familien mit einem weiblichen Familienoberhaupt, die die Abwesenheit des Ehemannes nicht erklären können;

 alleinstehende Männer und Frauen ohne Familien und

 junge arabische Männer. Diesen sei die Einreise verweigert worden oder sie hätten, je nach ihren Beziehungen, Schwierigkeiten gehabt, eine Einreisegenehmigung für die KRI zu erhalten (228).

Das USDOS merkte in ähnlicher Weise an, dass die Einreise in die KRI ‘für Männer häufig schwieriger sei, insbesondere für arabische Männer, die ohne Familie reisen‘ (229). Das DFAT stellte ebenfalls fest, dass arabische Sunniten Schwierigkeiten bei der Einreise in die KRI haben (230).

DIS/Landinfo erklärten in ihrem Bericht vom November 2018, dass einigen Binnenvertriebenen die Einreise in die KRI aus Sicherheitsgründe verweigert wurde, was dazu geführt hat, dass einzelne Personen in Gewahrsam genommen wurden (231).

Das USDOS berichtete in ähnlicher Weise, dass ‘Beamte Personen, die sie als Sicherheitsbedrohung einstuften, die Einreise in die Region verweigerten‘ (232). Dr. Chatelard merkte in ihrer Überprüfung dieses Berichts an, dass eine Person eine Sicherheitskontrolle der Asayish durchlaufen muss, um einreisen zu dürfen; diejenigen, die Probleme bei der Einreise in die KRI haben, sind mutmaßliche ISIS-Mitglieder, deren Namen auf ‘Sicherheitslisten‘ aufgeführt sind (233).

In einer E-Mail-Korrespondenz mit dem EASO erklärte ein Zivilrechtsbeauftragter der Minority Rights Group International (MRG), der sich mit dem Irak beschäftigt und dort vor Ort Nachforschungen anstellt, Folgendes: ‘Die KRG schreibt unterschiedliche Einreisebestimmungen vor, die je nach ethnischer und religiöser Identität oder der mutmaßlichen politischen Zugehörigkeit der Person variieren können. Personen kurdischer ethnischer Zugehörigkeit aus einem beliebigen Teil des Irak können beispielsweise im Allgemeinen leicht in die KRI einreisen, wohingegen Personen mit arabischer oder einer anderen ethnischen Zugehörigkeit normalerweise einen Bürgen in der KRI angeben müssen, bevor sie einreisen dürfen. Mitglieder von Minderheiten haben ebenfalls unterschiedliche Behandlungen erfahren, wobei die Einreise für Christen und Jesiden im Allgemeinen einfacher ist als beispielsweise für Schabaken und Turkmenen.

Die Einreisebestimmungen sind manchmal willkürlich und werden schlecht kommuniziert und unterliegen Änderungen, die sehr kurzfristig bekannt gegeben werden. Die mutmaßliche politische Zugehörigkeit kann ebenfalls Einfluss darauf haben, ob eine Person in die KRI umsiedeln und sich innerhalb der Region frei bewegen darf. KRG-Beamte verknüpfen gute Behandlung und Zugang zu Dienstleistungen regelmäßig mit der Bedingung, dass die wichtigsten kurdischen politischen Parteien unterstützt werden. Dies betrifft auch religiöse Minderheiten, die die KRG in großer Zahl in die Region eingelassen hat, wie Christen und Jesiden.

[…]

Nach Angaben von Quellen von DIS/Landinfo in ihrem Bericht vom November 2018 ist es nun für Iraker aus Anbar, Ninewa, Salah ad-Din und Diyala ‘einfacher‘, einen Aufenthaltstitel für die KRI, abhängig von ihren Ausweispapieren, zu erhalten. Personen ohne Ausreisestempel in ihren Reisepässen werden befragt. Aus einer Quelle von DIS/Landinfo geht hervor, dass es zahlreiche Schritte in diesem Verfahren für einen Aufenthaltstitel gibt und dass er für arabische alleinstehende junge Männer ‘sehr schwer‘ zu erhalten ist (249). Der Asayish muss beispielsweise alle Aufenthaltsanträge und Mietverträge genehmigen, was als ein ‘erhebliches Hindernis‘ beschrieben wird (250).

Kurden

Zwei Quellen zufolge, die 2018 von DIS/Landinfo befragt wurden, ‘brauchen Kurden aus dem übrigen Irak keine besondere Genehmigung‘, ‘können in die KRI problemlos einreisen und sich dort aufhalten‘ und benötigen keinen Bürgen (251). Das DFAT stellte außerdem fest, dass Personen aus der KRI oder ethnische Kurden ‘relativ leicht‘ in die KRI einreisen können, dies aber im Einzelfall anders sein könne (252).

[…]

Zentrale nördliche Gouvernements

[…]

Die IOM hat anhand von Rückkehrermustern ab Juni 2018 festgestellt, dass sich die größte Zahl der Rückkehrer im Gouvernement Ninewa befindet (1,4 Millionen; vor allem in den Bezirken Mossul, Tel Afar und Al-Hamdaniya), gefolgt vom Gouvernement Anbar mit 1,2 Millionen Rückkehrern (in den Bezirken Falludscha und Ramadi) und dem Gouvernement Salah ad-Din mit über 534.000 Rückkehrern.

[…]

Die Rückkehrer in diese Gebiete sehen sich der Gefahr durch nicht explodierte Kampfmittel, Minen und Sprengfallen sowie ‘komplizierten Verwaltungsverfahren und neuen lokalen Dynamiken‘ ausgesetzt (293). Quellen gaben im Juni 2018 an, dass Binnenvertriebene, die in befreite Gebiete zurückkehren möchten, die begrenzte Bereitstellung von Dienstleistungen, wenige Möglichkeiten zur Sicherung des Lebensunterhalts und Unsicherheit als wichtigste Faktoren angeben (294). Weit verbreitete Zerstörung und Kontaminierung durch Kampfmittelrückstände sind ein wesentliches Hindernis für die Rückkehr in ehemalige ISIL-Gebiete.

[…]

Es fehlen außerdem grundlegendeDienstleistungen in den befreiten Gebieten des Irak, in denen die Infrastruktur zerstört ist […]

[…]

In dem Bemühen, die sichere Rückkehr von Familien zu unterstützen, hat die irakische Regierung vier von fünf Rückkehrausschüssen der Gouvernements (GRC) eingerichtet und ihre Arbeit aufnehmen lassen. Diese Ausschüsse, die in Anbar, Kirkuk, Salah ad-Din und teilweise in Ninewa tätig sind, bestehen aus NRO-Beamten und den Vereinten Nationen. Sie sollen die Schließung von Lagern und die menschenwürdige Rückkehr von Vertriebenen erleichtern (306). Entscheidungen über die Schließung von Lagern werden weiterhin außerhalb dieses Rahmens getroffen (307).“

EASO - European Asylum Support Office (2.2019): EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Irak, Interne Mobilität, https://www.ecoi.net/en/file/local/2012384/2019_02_EASOCOIReportIraqInternal_Mobility_DE.pdf , Zugriff 12.9.2019

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) ist eine deutsche überregionale Abonnement-Tageszeitung. Sie wird von der Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH verlegt, die sich zu 93,7 % im Besitz der gemeinnützigen Fazit-Stiftung befindet. Laut einem Artikel der FAZ vom November 2015, ist das Laissez-passer-Dokument der EU ein Passersatz, der jedoch nicht unbedingt anerkannt werden muss:

„[…] Laissez-passer-Dokument der Europäischen Union. Ins Deutsche übersetzt heißt das: Bitte durchlassen! Anders als der wohlklingende französische Begriff zunächst glauben macht, handelt es sich nicht um eine Urkunde auf Büttenpapier, sondern um ein simples DIN-A4-Blatt mit einem Foto und den sogenannten Personalkerndaten, also den nötigsten Angaben zu demjenigen, der mit dem Papier ausgestattet wurde. […] Voraussetzung ist, dass diese Kerndaten bekannt sind.

[…]

Kein Land der Erde ist gezwungen, jemanden mit einem solchen Dokument einreisen zu lassen. Das Laissez-passer-Verfahren funktioniert also nur dann, wenn ein Herkunftsland sich darauf einlässt.“

FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (12.11.2015): Flüchtlingskrise: Ablehnen ist einfacher als abschieben, https://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/fluechtlingskrise-ablehnen-ist-einfacher-als-abschieben-13909297-p3.html , Zugriff 12.9.2019

Laut einem Bericht von Amnesty International (AI) vom Februar 2019, waren bis November 2018 mehr als vier Millionen Binnenvertriebene die in ihre Herkunftsgebiete zurückgekehrt sind. Die Rückkehrströmung verlangsamte sich in der zweiten Jahreshälfte 2018. Zum Berichtszeitpunkt waren fast zwei Millionen Menschen weiterhin vertrieben, von denen die meisten berichteten außerhalb der formalen Lager zu leben. Die Gründe für die Verlangsamung der Rückkehr waren laut IDPs Schäden und Zerstörungen an Wohngebäuden, das Fehlen an Beschäftigungsmöglichkeiten, das Fehlen grundlegender Infrastruktur und öffentlicher Dienstleistungen, einschließlich Gesundheitsversorgung, sowie Unsicherheit aufgrund von Blindgängern, improvisierten Sprengkörpern (IEDs), willkürlichen Verhaftungen, Belästigungen und Einschüchterungen durch bewaffnete Personen und, in einigen Fällen, Befürchtungen vor einem neuen Aufstand durch die IS:

„By November, humanitarian organizations had recorded that more than 4 million IDPs had returned to their areas of origin. The flow of returns slowed in the second half of the year and almost 2 million people remained displaced, the majority of whom were reported to be living outside formal camps. Secondary displacements and new arrivals to formal camps were also reported. People who remained displaced cited several reasons for not returning home, including damage and destruction to housing; lack of job opportunities, basic infrastructure and public services, including health care; and insecurity due to unexploded ordnance, improvised explosive devices (IEDs), arbitrary arrests, harassment and intimidation by armed people, and in some cases fears of a new insurgency by IS.“

AI - Amnesty International (16.2.2019): Irak, Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2018), Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf , Zugriff 9.9.2019

IOM berichtet in ihrem Länderinformationsblatt Irak unter anderem über den Zugang zum Gesundheitswesen, zum Arbeits- und Wohnungsmarkt, sowie zum Sozialwesen für Rückkehrende:

„Gesundheitswesen

Alle irakischen StaatsbürgerInnen, die sich als solche ausweisen können, haben Zugang zum Gesundheitssystem. Generell ist von den meisten Städten innerhalb einer Stunde ein Krankenhaus/Gesundheitszentrum erreichbar. In ländlichen Gegenden, in denen ein Großteil der Bevölkerung lebt, sind jedoch Gesundheitseinrichtungen weiter entfernt.

Zugang:

Alle irakischen StaatsbürgerInnen haben Zugang zu Gesundheitseinrichtungen. Es ist jedoch kein staatliches Krankenversicherungssystem etabliert. Für den Zugang wird lediglich ein irakischer Ausweis benötigt.

Leistungen und Kosten:

Die Krankenversicherung übernimmt keinerlei Kosten. Öffentliche Gesundheitsdienstleister bieten Behandlungen an, die normalerweise kostengünstiger als private Dienstleistungen sind. Die Preise von Medikamenten variieren je nach Diagnose.

Gesundheitswesen: Zugang für Rückkehrende

Berechtigungen und Voraussetzungen:

Da ein Krankenversicherungssystem nicht existiert, besitzen grundsätzlich alle irakischen Staatsbürger Zugang zum Gesundheitssystem. Öffentliche Krankenhäuser und Kliniken verlangen sehr geringe Gebühren für ärztliche Überprüfungen und bieten Medikamente zu einem geringeren Preis an als im privaten Sektor. Allerdings sind im öffentlichen Sektor auch nicht alle Dienste und/oder Medikamente verfügbar.

Anmeldungsverfahren:

Es wird lediglich ein gültiger Ausweis benötigt. Darüber hinaus sollten alle weiteren relevanten Dokumente wie z.B. medizinische Bescheinigungen mitgebracht werden.

Benötigte Dokumente:

Für die Registrierung wird lediglich ein gültiger Ausweis benötigt. Für Säuglinge, die eine bestimmte Impfung erhalten sollen, erhalten die Eltern einen gesonderten Impfausweis. Dieser muss bei jedem Krankenhausbesuch von den Eltern vorgezeigt werden. Der Impfausweis wird basierend auf den Informationen im Personalausweis der Eltern bzw. In der Geburtsurkunde des Kindes ausgestellt.

[…]

Arbeitsmarkt und Beschäftigung

Das durchschnittliche monatliche Einkommen im Irak beträgt derzeit, je nach Position und Ausbildung, zwischen 200 und 2500 USD. Laut Trading Economics, beträgt die Arbeitslosenquote derzeit 14.8%.

Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche

Arbeitsagenturen werden durch das Ministerium für Arbeit und Soziales in den meisten Städten zu Verfügung gestellt. Diese können beim Generalsekretariat der Arbeits- und Sozialversicherung eingesehen werden. Stellenangebote können unter anderem auf folgenden Websites gefunden werden:

- http://erbilmanpower.com/

- http://www.mselect.iq/

- http://www.aweza.co/jobs/

-http://unjobs.org/duty_stations/iraq

Arbeitslosenunterstützung

Es gab ein Programm, welches irakische ArbeiterInnen, die weniger als 1 USD pro Tag verdienen, unterstützen sollte. Dies galt ebenfalls für arbeitslose Personen. Aufgrund der derzeitigen Situation im Land wurde das Programm jedoch eingestellt.

Leistungen und Kosten:

Zur Zeit wird auf nationaler Ebene vom Staat keine Arbeitslosenhilfe ausgezahlt.

[…]

Arbeitsmarkt: Zugang für Rückkehrende

Berechtigung und Voraussetzungen:

Als Antwort auf die Herausforderungen hoher Arbeitslosigkeit, einer unterqualifizierten Arbeiterschaft sowie den Bedürfnissen eines wachsenden Privatsektors, hat die irakische Regierung ein Ausbildungsprogramm entwickelt. Allerdings ist dieses Programm auf Grund der wirtschaftlichen Lage des Landes nicht mehr aktiv.

Anmeldungsverfahren:

Rückkehrer können sich an die nächstgelegene Anlaufstelle des Ministeriums für Arbeit und Soziales wenden um sich zu registrieren und über mögliche Hilfe zu erkundigen. Dies gilt sowohl für Arbeitsmöglichkeiten als auch für Weiterbildungsmaßnahmen. In Bagdad können sie sich entweder über die Website des Ministeriums für Arbeit und Soziales online (http://176.241.89.196:7777/ ) oder vor Ort bei einem der Anlaufstellen registrieren.

Benötigte Dokumente:

Rückkehrer sollten sich über die Anlaufstellen des Ministeriums für Arbeit und Soziales registrieren. Sie sollten ihren Personalausweis, Ration Card und, je nach Bewerbung, zusätzliche Dokumente bereithalten.

[…]

Wohnsituation

Allgemeine Informationen

Die Höhe der Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger. Stand 2018, liegt die Miete in KR-I Städten bei 200 - 600 USD für eine Zweizimmerwohnung.

Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage zum Mieten stieg, nahm die Nachfrage zum Kaufen ab. Die Durchschnittliche Betriebskosten pro Monat liegen für:

• Gas (15,000 IQD)

• Wasser (10-25,000 IQD)

• Öffentliche Elektrizität (30-40,000 IQD)

• Private oder nachbarschaftliche Generatoren (40,000 - 60,000 IQD)

Im Anschluss an den Krieg gegen den IS und der anschließenden Befreiung der Gebiete unter seiner Kontrolle kehren die ersten Binnenflüchtlinge wieder zu ihren Heimatsorten zurück. Dies führt zu einer leichten Senkung der Mietspreise Generell ist es vor allem für alleinstehende Männer schwierig Häuser zu mieten. Mit Hinblick auf (Einzel-) Wohnungen, sind die Abläufe unkomplizierter.

Unterstützung bei der Wohnungssuche

Öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche besteht für Rückkehrende nicht. Private Immobilienfirmen können helfen.

Finanzielle Unterstützung

Die Regierung gewährte Kredite für BürgerInnen für den Hausbau, solange diese ein Grundstück mit einer Mindestgröße von 100 m2 besaßen. Derzeit ist diese Förderung jedoch eingestellt. Allerdings stellen einige Privatbanken Kredite für den Hausbau bereit.

[…]

Sozialwesen

Sozialsystem: Alle IrakerInnen sind automatisch im Sozialsystem registriert. Die KR-I Regierung behandelt StaatsbürgerInnen aufgrund von Religion oder Ethnie nicht unterschiedlich. Diese haben, ebenso wie Rückkehrer, Zugang zu allen Sozialleistungen.

Folgende Personen können Sozialhilfe beantragen:

• Körperlich eingeschränkte

• Familien von Märtyrern (inklusive Witwen und Witwer)

• Weise

Schutzbedürftige Personen mit Behinderungen erhalten 150.000 IQD für Betreuungsmöglichkeiten. In bestimmten Fällen können Unterstützungsprogramme je nach Gemeinde und Art der Behinderung variieren.

Beispielsweise muss die Behinderung einer Person bis zu 70% betragen um sich für die Sozialleistungen zu qualifizieren.

Leistungen:

Irak hat ein System, das nicht unbedingt der Definition eines Sozialleistungssystems in europäischen Ländern entspricht. Dennoch stellt der Staat gewisse Leistungen, z.B. im Bildungsbereich, der Gesundheitspflege sowie Grundnahrungsmittel, zur Verfügung. Jedoch sind die Leistungen im öffentlichen Sektor auf Grund der instabilen Lage des Landes von recht niedriger Qualität.

Kosten:

Mit Ausnahme geringer Arbeitsgebühren treten für den Begünstigten keinerlei Kosten auf.

[…]

Sozialsystem: Zugang für Rückkehrende

Berechtigungen und Voraussetzungen:

Folgende Personen können Sozialhilfe beantragen: Körperlich eingeschränkte, Familien von Märtyrern (inklusive Witwen und Witwer) und Weisen. Um einer dieser Personengruppen zugeordnet zu werden, müssen wiederum bestimmte Kriterien erfüllt werden. Ein individueller Fall wird entsprechen dieser Kriterien entweder angenommen oder abgelehnt. Beispielsweise muss die Behinderung einer Person bis zu 70% betragen um sich für die Sozialleistungen zu qualifizieren. Dieser Prozentsatz variiert wiederum je nach Art der Behinderung.

Anmeldeverfahren:

Die Anmeldung erfolgt über das Ministerium für Arbeit und Soziales nachdem alle nötigen Dokumente eingereicht wurden. Jeder Fall obliegt Durchsicht und Zustimmung.

Benötigte Dokumente:

Die allgemein benötigten Dokumente beinhalten einen irakischen Personalausweis und eine Food Ration Card. Das Ministerium für Arbeit und Soziales kann je nach Kategorie der Schutzbedürftigkeit zusätzliche Dokumente anfordern.

[…]

Schutzbedürftige Personen

Zu den gefährdete Personengruppen gehören Waisen, Märtyrerangehörige, Witwen, Personen mit Einschränkungen. Diese erhalten vom Staat Leistungen, dazu müssen sie Unterlagen einreichen, die die Zugehörigkeit zu diesem Personenkreis bestätigt. Je nach Gefährdung sind dazu unterschiedliche Unterlagen notwendig.

Unterstützung für Schutzbedürftige Personen

Sozialbedürftige Personen können einen finanziellen Nachlass beantragen. Außerdem befindet sich eine Liste mit NGOs und anderen Organisationen im Anhang."

IOM - Internationale Organisation für Migration (geändert am 1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_-_Country_Fact_Sheet_2018,_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2 , Zugriff 9.9.2019

Das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland (AA) berichtet im Jänner 2019 folgendes über die Rückkehrsituation von Binnenvertriebenen im Irak, sowie über die freiwillige Rückkehr von Irakern aus anderen Staaten:

„Situation für Rückkehrerinnen und Rückkehrer

Derzeit stellt sich für Irak prioritär die Frage nach der Rückkehr der aktuell noch ca. 1,8 Mio. Binnenflüchtlinge. Von den ca. 6 Mio. durch IS vertriebenen Binnenflüchtlingen sind ca. 4,1 Mio. in ihre Herkunftsorte zurückgekehrt. Nachdem sich die Rückkehrerraten zum Anfang des Jahres 2018 noch erhöhten, haben diese ihr Plateau nun überschritten, Hilfsorganisationen gehen von einer Stagnation der Rückkehr aus. Gründe für Nichtrückkehr sind überwiegend mangelnde Sicherheit, Kontaminierung durch Sprengfallen, Bedrohung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure (Milizen), sowie innergesellschaftliche Spannungen.

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Laut BAMF wurden bis Ende September 2018 24 irakische Staatsangehörige in ihr Heimatland zurückgeführt.

[…]

In der Region Kurdistan-Irak gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Ob sich diese Tendenzen verstetigen, wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der Region Kurdistan-Irak kurz- und mittelfristig verbessern wird.

[…]

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. […] Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig.

[…]

Die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt: In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen. Die große Zahl von Flüchtlingen und Binnenflüchtlingen belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen.

AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Dezember 2018), https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 12.9.2019

[…]“

Quellen:

- BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung zu Irak: Einreise, Rückkehrlage und Zugang zu Sozialleistungen vom 14.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2018510.html , mwN (Zugriff am 04.02.2020)

19. Voreheliche Beziehungen - Ehebruch:

Aus der ACCORD-Anfragebeantwortung zum Irak: Lage für unverheiratete Männer, die mit einer verheirateten Frau Geschlechtsverkehr hatten: Sanktoinen, Verfolgungen von Seiten der Familie der verheirateten Frau, gerichtliche Sanktionen der eigenen Familie [a-10710] vom 31.08.2018 ergibt sich:

„[…]

Das Global Justice Project Iraq (GJPI), ein vom US-Außenministerium gefördertes Projekt der Universität Utah, veröffentlicht im Mai 2018 eine Übersetzung des irakischen Strafgesetzbuches Nummer 111 aus dem Jahr 1969 mit aktuellen Änderungen vom März 2010. In Artikel 377 des Strafgesetzbuches wird angeführt, dass eine Ehebrecherin und der Mann, mit dem sie Ehebruch begangen habe, mit Haft bestraft würden. Es werde davon ausgegangen, dass der Schuldige von der Ehe gewusst habe, es sei denn er könne nachweisen, nicht darüber informiert gewesen zu sein:

„Article 377 - (1) An adulteress and the man with whom she commits adultery are punishable by detention. The offender is assumed be aware of the marriage unless he can prove that he was not capable of being aware of it." (GJPI, 29. Mai 2018)

Die Heartland Alliance, eine seit 2004 im Irak tätige Organisation, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen unterstützt, bezieht sich 2011 in einem Bericht zu institutionalisierter Gewalt gegen Frauen auf Artikel 377 des Strafgesetzbuches und gibt an, dass auch Männer strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden könnten, doch dass das irakische Recht Frauen diskriminiere, indem es sie für Ehebruch verantwortlich mache, während Männer nur für Ehebruch in der ehelichen Wohnung zur Verantwortung gezogen werden könnten. Laut Artikel 377 könnten auch unverheiratete Personen, die mit verheirateten Personen in Beziehung stehen würden, zur Verantwortung gezogen werden. Das Verbrechen des Ehebruchs sei ein Vergehen, das mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren nach Artikel 26 des Strafgesetzbuchs bestraft werden könne:

„Men are also criminally liable under the IPC Article 377, however Iraqi law discriminates against women by holding them responsible for adultery committed anywhere, whereas men are only liable for acts of adultery committed in the marital home. In 2001 the Kurdistan Regional Government amended Article 377 in Law No. 9 to hold men liable to the same extent as women; thus a married man may be charged and convicted of committing adultery whether the act is committed inside or outside the home. Also liable under Article 377 are unmarried persons who engage in relationships with married persons. The crime of adultery is a misdemeanor offense which is punishable with a jail sentence from three months to five years under the IPC Article 26." (Heartland Alliance, 2011, S. 21)

Die Minority Rights Group International (MRG), eine internationale Menschenrechtsorganisation, die sich für die Rechte von ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten und indigenen Völkern weltweit einsetzt, schreibt in einem Bericht über Frauen im Irak im November 2015, dass sogenannte Ehrenverbrechen Gewalttaten seien, die von Familienmitgliedern gegen einen Verwandten, der Schande über die Familie gebracht habe, verübt würden. Ehrenverbrechen würden überwiegend von männlichen Familienmitgliedern gegen weibliche Verwandte verübt, wobei gelegentlich auch Männer Opfer dieser Gewalt würden:

„So-called ‘honour’ crimes are acts of violence perpetrated by family members against a relative who is perceived to have brought shame upon the family or tribe. ‘Honour’ crimes are overwhelmingly perpetrated by male family members against female relatives, although occasionally males are also the victims of such violence." (MRG, 4. November 2015, S. 26)

Im Mai 2018 führt die finnische Migrationsbehörde (Finnish Immigration Service) an, dass die überwiegende Mehrheit der Ehrenverbrechen von Männern gegen weibliche Verwandte verübt werde, Männer aber auch gelegentlich Opfer solcher Delikte würden. Laut UNO (2013) seien Ehrenmorde im Irak zum Teil auch deshalb häufig, weil das Strafgesetzbuch eine Strafmilderung erlaube, wenn die Straftat aus Gründen der Ehre begangen werde:

„The vast majority of honour-related offences are committed by men against female relatives, although men occasionally fall victim to such offences. […]

According to the UN (2013), honour killings are common in Iraq, partly because the Penal Code allows for the mitigation of punishment if the offence is committed for an honour - related motive." (Finnish Immigration Service, 22. Mai 2018, S. 22-23)

Laut der Übersetzung des Strafgesetzbuches von GPJI legt Artikel 128 fest, dass gesetzliche Rechtfertigungen („legal excuse“) eine Person entweder entlasten oder die Strafe reduzieren würden. Rechtfertigungen würden nur unter Bedingungen existieren, die vom Gesetz festgeschrieben seien. Ungeachtet dieser Bedingungen gelte das Verüben einer Straftat aus „ehrenwerten Motiven“ oder als Reaktion auf die ungerechtfertigte und schwerwiegende Provokation des Opfers der Straftat als mildernde Umstände:

„Article 128 - (1) Legal excuse either discharges a person from a penalty or reduces that penalty. Excuse only exists under conditions that are specified by law. Notwithstanding these conditions, the commission of an offence with honourable motives or in response to the unjustified and serious provocation of a victim of an offence is considered a mitigating excuse." (GJPI, 29. Mai 2018)

Die Organization of Women's Freedom in Iraq (OWFI), die sich für marginalisierte Frauen im Irak einsetzt, die International Women‘s Human Rights Clinic der juristischen Fakultät der City University von New York und die internationale Frauenrechtsorganisation MADRE veröffentlichen 2015 einen gemeinsamen Bericht an den UNO-Ausschuss gegen Folter. Bezugnehmend auf lokale Menschenrechtsverteidigerinnen heißt es im Bericht, dass nach den kulturellen Normen derjenigen, die Gewalt im Namen der „Ehre" rechtfertigen würden, die Ermordung einer weiblichen Verwandten, die angeblich Schande über ihre Familie gebracht habe, ihr persönliches Recht sei. Ein solcher Mord sei als Familienrecht anerkannt. Der Täter werde daher in der Regel nicht einmal angeklagt, und jeder Polizeibericht bleibe anonym. Wenn die Tat aber die Tötung einer Frau und einer anderen Person (z.B. eines Geliebten) außerhalb der Familie umfasse, werde diese Form des Ehrenmordes als verhaftungspflichtig („as requiring arrest“) wahrgenommen, werde aber immer noch durch „ehrenhafte Motive“ gerechtfertigt und durch das irakische Strafrecht abgeschwächt:

„Local women’s human rights advocates explain that according to cultural norms held by those who justify violence in the name of ‘honor’, one exercises a personal right if they kill a female relative who has purportedly brought shame to their family. This killing is accepted as a familial right. The perpetrator is therefore not even usually charged, and any police report is left anonymous. If one exercises a ‘public right’, however, that involves killing a woman and someone else (such as a lover) outside of one’s family; this form of honor killing is recognized as requiring arrest, but still falling within the category of being justified by ‘honorable motives’ and mitigated under Iraqi Penal Law." (OWFI et al., 2015, S. 19-20)

Dr. Aisha Gill, eine Lektorin für Kriminologie an der Universität Roehampton, die sich unter anderem mit Ehrenverbrechen wissenschaftlich auseinandersetzt, führt in einem auf der britischen Medienplattform Media Diversified veröffentlichten Beitrag Gründe an, aufgrund derer auch Männer Opfer von Ehrenverbrechen werden können. Männer würden am ehesten durch ihr Verhalten gegenüber Frauen Schande verursachen, unter anderem durch (i) die Wahl ihrer romantischen und/oder sexuellen Partner, (ii) die Ablehnung einer arrangierten Ehe, (iii) das Outing als schwul, bisexuell oder transsexuell, und/oder (iv) die Weigerung ein Ehrenverbrechen zu begehen. Dennoch sei es eine Tatsache, dass die Mehrheit der Opfer weiblich und die Mehrheit der Täter männlich sei:

„Subordinate men are most likely to cause dishonour as a result of their behaviour towards women, including through (i) their choice of romantic and/or sexual partners, (ii) refusing an arranged marriage, (iii) coming out as gay, bi-sexual or transgender, and/or (iv) refusing to commit an act of HBV [honour-based violence]. Nevertheless, the fact remains that the majority of victims are female and the majority of perpetrators male." (Gill, 14. März 2014)

Die dänische Migrationsbehörde (Danish Immigration Service, DIS), der dänische Flüchtlingsrat (DRC) und das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo geben im Juli 2009 in ihrem Bericht zur gemeinsamen Fact-Finding Mission im März 2009 im Irak zu Ehrenverbrechen im Süd- und Zentralirak an, dass diese laut der Internationale Organisation für Migration (IOM) seit Generationen im Irak begangen würden. Es sei hinzugefügt worden, dass Ehrenverbrechen nichts Neues seien und die Regierung kaum in der Lage sei, diese zu verhindern, da es sich um eine Stammespraxis handle. Es sei selten der Fall, dass Angelegenheiten im Zusammenhang mit Ehrenverbrechen in Stammesräten behandelt würden. Wenn ein solches Problem jemals außerhalb der eigenen vier Wände angesprochen werde, würden die Stammesführer miteinbezogen. Dies geschehe zum Beispiel, wenn Personen außerhalb der Familie in den Vorfall verwickelt seien, wie bei außerehelichen Affären. Unabhängig vom Ausgang einer sogenannten illegalen Liebesaffäre, in die unverheiratete Personen verwickelt seien, komme es häufig vor, dass beide Parteien ihren Heimatort verlassen müssten. In vielen Fällen würden große Geldbeträge nach traditionellen Regeln als Entschädigung gezahlt. Es komme auch vor, dass der Stamm des Täters den Täter drängt, seinen Stamm zu verlassen oder der Stamm, dessen Ehre verletzt worden sei, das Opfer zur Flucht dränge. Es könne auch vorkommen, dass Menschen sich aufgrund der wahrgenommen Verletzungen ihrer Rechte rächen würden. In Stammesangelegenheiten sei alles möglich, und auch wenn eine Entschädigung gezahlt worden sei, könne das Opfer immer noch von Racheakten bedroht sein:

„7.1.1 Honour crimes in South/Central Iraq (S/C Iraq): IOM, Amman stated that honour crimes have been going on for generations in Iraq. It was added that honour crimes is nothing new and the Government is almost unable to restrain this as this is a tribal practice. A female victim of an honour crime needs the support of her family if she wants to address the issue. It is rare that issues concerning honour crimes are dealt with in tribal councils. If such a problem ever is addressed outside the walls of the house, the tribal leaders get involved. This happens for instance in cases involving persons outside of the family, like in the event of extra marital affairs. Irrespective of the outcome [in a case involving unmarried persons who have been involved in so - called illegal love affairs], the result is often that both parties will have to leave their home area. In many cases huge amounts of money is being paid in compensation, according to traditional rules. It also happens that the tribe of the offender will urge the perpetrator to leave his tribe or the offended tribe will urge the victim to escape. It can also happen that individuals will take revenge against perceived violations of their rights. In tribal matters anything is possible and even though compensation has been paid the victim might still be at risk of revenge." (DIS/DRC/Landinfo, Juli 2009, S. 46)

Die nachfolgenden Quellen beziehen sich vorrangig auf die kurdischen Gebiete im Irak:

Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO), eine Agentur der Europäischen Union zur Umsetzung der praktischen Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten im Asylbereich, veröffentlicht im Juli 2017 den Bericht eines COI-Meetings zum Irak. In einer Fragen- und Antworten-Runde gibt der Leiter des Ceasefire Centre for Civilian Rights, Mark Lattimer, an, dass auch Männer beispielsweise in der kurdischen Region Opfer von Ehrenmorden werden könnten, Frauen jedoch von dieser Praxis stärker betroffen seien (z.B. bei Ehebruch oder problematischer Mischehe). Es sei weniger wahrscheinlich, aber es könne passieren, dass auch Männer ins Visier geraten. Eine Sache, die man über Ehrenverbrechen im irakischen Kontext im Allgemeinen verstehen sollte, sei die Art und Weise, wie das Rechtssystem damit umgehe. Nach dem irakischen Strafgesetzbuch würden Argumente, dass das begangene Verbrechen aus ehrenwerten Motiven verübt worden sei, bei der Verurteilung als mildernder Faktor im Hinblick auf die Strafe berücksichtigt:

„Are men also subject to honour violence in the Kurdish region, for example?

(Lattimer) Men may also become victims of honour killings, but women are more affected by this practice (for example, in the case of adultery or a problematic mixed marriage). Maybe you have a Muslim and a Christian or a Sunni and a Shia who are in a relationship and want to marry but the families do not approve. It is also the men who can be targeted as well as the women. It is less likely but it can happen. One thing to understand about honour crimes generally in the Iraqi context is the way in which the legal system deals with them. Under the Iraqi penal code if you can argue that the crime you committed was done for honourable motives – that is taken into account in sentencing, so that is a mitigating factor in terms of punishments. For example, if you kill someone/murder someone when the death penalty is available and if often awarded, though infrequently carried out - if you prove that you killed the woman for ‘honourable’ purposes then the sentence becomes one year. In the case of serious assault, it’s down to six months. The potential implications of being able to argue that it was done for honourable reasons has profound consequences, and you do have these kinds of situations when men kill their wives because they want to remarry, or they want a n inheritance, but then they will allege that there was adultery and use that as a cover to effectively avoid punishment for the crime. And that mitigation is not available if the family then retaliates against the family that did the honour killing. So, f or example, if the husband kills the wife but the wife’s family/brother then kills the husband in retaliation – the mitigation is not open to him – he cannot plead in mitigation that his killing of the killer was honourable." (EASO, Juli 2017, S. 24)

Die dänische Migrationsbehörde (Danish Immigration Service, DIS) und der dänische Flüchtlingsrat (DRC) veröffentlichten im April 2016 ihren Bericht zur Fact-Finding Mission vom September/Oktober 2015 in den kurdischen Gebieten im Irak. Bezugnehmend auf Vertreter der Internationalen Organisation für Migration (IOM) gibt die Quelle an, dass manche Fälle von Ehrenstreitigkeiten leichter zu lösen seien als andere. Wenn ein Teenager-Mädchen und ein Teenager-Junge eine Beziehung außerhalb der Ehe haben würden, könne dies durch eine Einigung zur Verheiratung beider Parteien manchmal leicht gelöst werden. Wenn jedoch beispielsweise eine verheiratete Frau eine Beziehung mit einem anderen Mann führen und ihre Familie dies herausfinden würde, könnte ihre Familie ihren Geliebten töten, noch bevor eine Streitschlichtung stattfinden hätte können. In diesem Fall könne eine Blutfehde („blood fight“) zwischen den beiden Familien beginnen, die jahrelang andauern könne:

„Some cases of honour related disputes are easier to solve than others. If a teenage girl and a teenage boy have a relationship outside marriage, it could sometimes easily be solved by reaching an agreement about marriage between the two parties. However, if for instance a married woman has a relationship with another man than her husband and her family finds out, her family might kill her lover before any mediation can take place. Then a blood fight between the two families might start, and a blood fight can go on for years." (DIS/DRC, April 2016, S. 138)

In einem Bericht zu Ehrenverbrechen gegen Männer in den kurdischen Gebieten des Irak, bezieht sich das DIS im März 2010 auf die Einschätzungen unterschiedlicher Experten. Dr. JwanIhsan Fawzi, ein Wissenschaftler an der Universität von Sulemaniyah, habe erklärt, dass es die Norm in der kurdischen Gesellschaft darstelle, dass Männer sich auf verbotene sexuelle Beziehungen einlassen würden. Die Gesellschaft in den kurdischen Gebieten im Irak sei männlich dominiert und viele Männer wären bereit, das Risiko, das mit verbotenen sexuellen Beziehungen verbunden sei, auf sich zu nehmen. Hassan Berwari, der Landesvertreter von Diakonia in Dahuk, habe angeführt, dass sowohl Frauen als auch Männer Opfer von Ehrenverbrechen seien und beide wegen Verbrechen gegen die Ehre getötet würden. Es sei betont worden, dass Männer gleich stark gefährdet seien, Opfer von Ehrenverbrechen zu werden wie Frauen. Ari Rafiq, der Leiter, und Huda S. Zangan, ein Mitglied des Beratungsausschusses des Aufsichtsrates zur Verfolgung von Gewalt gegen Frauen („Advisory Committee, Directorate to Follow-up Violence against Women“, DVW) in Erbil, hätten darüber informiert, dass das Risiko, wegen eines Verbrechens gegen die Ehre Opfer von Rache zu werden, real sei und langfristig sein könne. Es sei auf einen Mann in Sulemaniyah hingewiesen worden, der noch immer um sein Leben fürchte, 18 Jahre nachdem er die Ehre einer Familie verletzt habe. Man habe hinzugefügt, dass ein Vater oder Ehemann, dessen Ehre verletzt worden sei, oft eine Haftstrafe aufgrund eines Ehrenverbrechens vorziehen würde, anstatt sich der Gesellschaft und der Schande zu stellen, die Ehre seiner Familie nicht wiederhergestellt zu haben. Sardasht Abdulrahman Majid und Aree Jaza Mahmoud vom Democracy and Human Rights Development Center (DHRD) in Sulemaniyah hätten erklärt, dass jeder, der traditionelle Werte und Regeln durch das Eingehen einer verbotenen sexuellen Beziehung verletze, riskiere, von seiner Familie oder seinem Stamm bestraft zu werden. Mahdi M. Qadr und Fakhir Ibrahim von der Public Aid Organization (PAO) in Erbil, hätten mitgeteilt, dass auch Fälle von verheirateten Frauen mit Kindern, die illegale Beziehungen mit einem jungen Mann gehabt hätten, bekannt seien. In diesen Fällen könnten die Anführer der beteiligten Stämme oder ein Vermittler auch eine Lösung finden, bei der der junge Mann die Frau heiraten könnte. Es sei jedoch hinzugefügt worden, dass die meisten jungen Männer die Frau, mit der sie eine Affäre gehabt hätten, nicht heiraten wollen würden, da sich die jungen Männer um ihren Ruf sorgen würden. Ari Rafiq und Huda S. Zangana von DVW in Erbil, hätten angegeben, dass die Gefahr einer Vergeltung für ein Verbrechen gegen die Ehre immer bestehe. Das Problem einer befleckten Familienehre, die nicht bereinigt worden sei, würde ewig anhalten. Wenn eine dauerhafte Versöhnung nicht erreicht werde, werde der Angreifer der Familienehre zu jeder Zeit in Gefahr sein. Selbst wenn ein Mann, der denjenigen, der die Familienehre beschädigt habe, bedrohe, im Gefängnis sei, bestehe die ernsthafte Gefahr, dass ein anderes Mitglied der angegriffenen Familie Rache, einschließlich der Tötung des Täters, nehme. Hassan Berwari habe erklärt, dass sexuelle Beziehungen zwischen einem unverheirateten Paar als Verbrechen gemäß der Stammestradition angesehen würden. Sollte ein männlicher Täter zur Polizei gehen, weil er Rache von Verwandten der Frau, mit der er eine Beziehung geführt habe, befürchte, würde ihm höchstwahrscheinlich Schutz geboten werden. Die einzige Möglichkeit, ihn zu schützen, wäre jedoch, ihn in Polizeigewahrsam zu nehmen. Gleichzeitig würde die Polizei höchstwahrscheinlich versuchen, das Problem zu lösen, indem sie die Stammesführer auffordere, den Streit zu schlichten. Es sei betont worden, dass eine verheiratete Frau, die eine sexuelle Beziehung zu einem anderen Mann habe, definitiv aufgrund ihrer Auffassung von Ehre von der Familie oder dem Stamm ihres Mannes getötet würde. Hassan Berwari habe weiters darüber informiert, dass es Beispiele gebe, wonach Männer von nahestehenden Verwandten beschützt würden, beispielsweise von einem Onkel, der einflussreicher sei und mehr respektiert werde als der Vater des Mannes. Ein Täter werde dennoch niemals vor der Rache der Familie des Mädchens geschützt werden können. Ehre sei zeitlos und auch nach einiger Zeit müsse die Ehre der angegriffenen Familie geschützt werden. Auch nach vielen Jahren kann der Täter noch ernsthaft gefährdet sein, Opfer eines Ehrenverbrechens zu werden:

„Dr. JwanIhsan Fawzi, Researcher/Lecturer, University of Sulemaniyah, explained that it is the norm in Kurdish society that men embark on illicit sexual relationships. Society in KRI is male - dominated and many men are ready to take on the risk that is associated with illicit sexual relationships. […]

Hassan Berwari, Country Representative, Diakonia, Dahuk, stated that women, as well as men, are victims of honour crimes, and both are being killed for honour offenses. It was emphasized that men are equally at risk of becoming victims of honour crimes as women. […]

Ari Rafiq, Director, and Huda S. Zangan, Member of Advisory Committee, Directorate to Follow-up Violence against Women (DVW), Erbil, informed that the risk of falling victim to revenge because of an honour-related offense is real and can be long-term. Reference was made to an incident in Sulemaniyah where a man still fears for his life 18 years after he wronged a family’s honour. It was added that the offended father or husband would often prefer imprisonment for having committed an honour crime rather than face society and the shame associated with not having re-established the honour of his family." (DIS, März 2010, S. 3)

„Sardasht Abdulrahman Majid and Aree Jaza Mahmoud, DHRD, Sulemaniyah, explained that anyone violating traditional values and rules, by having an illicit sexual relationship, will be at high risk of being punished [by their family or tribe]." (DIS, März 2010, S. 4)

„Mahdi M. Qadr and Fakhir Ibrahim, PAO, Erbil, informed that PAO is also aware of cases concerning married women with children who have had illicit relations with young men. In some cases, the husband has attempted to seek revenge on the young man’s family. In these cases, the heads of the tribes involved, or a mediator, might also find a solution which could involve the young man marrying the woman. However, it was added, mostly young men will not wish to marry the woman with whom they have had an affair as young men are concerned with their reputation." (DIS, März 2010, S. 6)

„Ari Rafiq and Huda S. Zangana, DVW, Erbil, stated the risk of retribution for an honour - related offense is always there. The matter of a tarnished honour of a family not yet rectified is eternal, and if a lasting reconciliation is not accomplished, the offender of that family honour will be at risk at all times. Even if a man responsible for threats against a man who has offended his family’s honour is imprisoned, there is a serious risk that another member of the offended family will undertake the revenge, including the killing of the offender.“ (DIS, März 2010, S. 7)

„Hassan Berwari, Diakonia, Dahuk, stated that sexual relations between an unmarried couple is considered a crime according to tribal tradition. Should a male offender fear revenge from relatives of the woman with whom he has had a relationship approach the police, he would most likely be offered protection. However, the only possible way for him to be protected would be to be kept in police custody. At the same time, the police would most likely try to solve the issue by requesting the tribal leaders to settle the dispute. It was emphasized that if a married woman has a sexual relationship with another man, she would definitely be killed by her husband’s family or tribe due to their perception of honour." (DIS, März 2010, S. 10)

„Hassan Berwari, Diakonia, Dahuk, informed that there are examples of men being protected by close relatives, for instance an uncle that is more influential and respected than the man’s own father. However, an offender will never be able to be protected against the revenge of the girl’s family. Honour is eternal and even after time has passed, the honour of the offended family will still have to be protected. Even after many years, the offender can still be at serious risk of becoming a victim of an honour crime." (DIS, März 2010, S. 13)

Das kanadische Verwaltungsgericht, das sich mit Fällen von Asyl und Migration befasst (Immigration and Refugee Board, IRB) schreibt in einem Bericht über Ehrenverbrechen im Gebiet Kurdistan im Februar 2016, dass es laut einem Vertreter von WADI, einer deutschen im irakischen Kurdistan tätigen NGO, für Jungen und Männer nicht sehr wahrscheinlich sei, Opfer von Ehrenverbrechen im irakischen Kurdistan zu werden. Sollte dies doch der Fall sein, liege es meist an vermeintlicher Homosexualität:

„In contrast, in the opinion of the WADI representative, boys and men are ‘not very likely’ to become victims of honour-based violence in Iraqi Kurdistan, and when they are affected, ‘most’ of the time it is due to ‘supposed homosexuality’." (IRB, 15. Februar 2016)

Quellen:

- ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Lage für unverheiratete Männer, die mit einer verheirateten Frau Geschlechtsverkehr hatten [a-10710] vom 31.08.2018, https://www.ecoi.net/de/dokument/1442975.html , mwN (Zugriff am 06.02.2020)

20. Blutfehden und Blutrache:

Aus den UNHCR-Erwägungen zu internationalem Schutz für Menschen, die aus dem Irak fliehen (Mai 2019), in der Folge: UNHCR-Erwägungen, Punkt 11., Seiten 106 ff, ergibt sich:

Bei einer Blutfehde drohen in der Regel Angehörige einer Familie, Angehörige einer anderen Familie bei Vergeltungsmaßnahmen zu töten, die nach einem alten Ehrenkodex durchgeführt werden. Im Irak können Konflikte zwischen (erweiterten) Familien Berichten zufolge durch absichtliches oder unabsichtliches Töten, aber auch durch andere Angriffe wie das Zufügen von Verletzungen, Ehrverletzungen (zB durch Entführung oder Vergewaltigung einer Frau oder eines Mädchens oder sozial unaktzeptables Verhalten), Diebstahl, unbezahlte Schulden oder ungelöste Streitigkeiten über Land, Zugang zu Wasserversorgung oder Eigentum ausgelöst werden.

Männliche Mitglieder einer Großfamilie („Khamsa“) sind nach den Stammesregeln verpflichtet, die Verletzung oder den Tod eines anderen Mitglieds zu rächen, sei es in Form eines Mordes an jemandem aus der Khamsa des Mörders oder häufiger einer finanziellen Entschädigung (Blutgeld, „fasl“ oder „diyya“ an die Familie des Opfers), was wiederum das Recht auf Vergeltung beendet.

Obwohl gesetzlich verboten, werden Stammeskonflikte manchmal auch dadurch beendet, dass der eine Stamm dem anderen Stamm ein oder mehrere Mädchen oder Frauen zur Heirat mit Mitgliedern des anderen Stammes übergibt („fasliyah“). In schwerwiegenden Fällen kann der Stamm des Täters den Täter „entehren“ und die (vorübergehende oder dauerhafte) Ausweisung von ihm und seiner Familie aus dem Stamm anordnen. In besonders schwerwiegenden Fällen, wie im Fall von „Ehrenverbrechen“ oder dem Mord an einem Stammesführer, können Stämme dem Täter die Todesstrafe auferlegen.

In Fällen, in denen Stämme Streitigkeiten zwischen ihnen nicht friedlich beilegen können, können diese zu Blutfehden („tha’r“) werden. Solche Fehden, die von bewaffneten Auseinandersetzungen mit schwerden Waffen, Entführungen und Morden begleitet werden, sind Berichten zufolge weiterhin ein häufiges Ereignis, insbesondere, aber nicht ausschließlich, in den südlichen Gouvernements, in denen sich die Situation Berichten zufolge durch die Rückkehr der bewaffneten Kämpfer, welche gegen den IS gekämpft haben, verschärft hat.

Berichten zufolge hat die Stammesgerichtsbarkeit auch in ehemaligen IS-Gebieten an Stärke gewonnen, da viele Stämme das Justizsystem für ineffizient halten, um (potentiell) Schuldige der vom IS begangenen Gräueltaten zu verfolgen (sei es in Bezug auf mutmaßliche IS-Mitglieder anderer Stämme oder von ihrem eigenen Stamm). Es wird berichtet, dass Vergeltungsmaßnahmen häufig auch gegen Familien durchgeführt werden, die aufgrund ihrer familiären oder Stammesverwandtschaft mit echten IS-Mitgliedern in Verbindung stehen oder als solche wahrgenommen werden.

Diejenigen, die befürchten, Opfer von Racheakten zu werden, wenden sich häufig aus Angst nicht an die Polizei, während Polizeibeamte, die häufig selbst Angehörige eines Stammes sind, Berichten zufolge zögern, sich in Stammeskonflikte einzumischen. Blutfehden können zu langen Zyklen von Vergeltungsgewalt und Rache führen und manchmal wieder aufflammen, nachdem sie jahrelang inaktiv waren. Im April 2018 kündigte das Justizministerium die Einrichtung eines Schiedsgerichtsausschusses für Stämme an, der mit der Beilegung von Stammeskonflikten betraut werden soll. Irakische Beobachter bezeichneten diese Entwicklung als eine weitere Form der Untergrabung des formellen Justizsystems.

UNHCR ist der Ansicht, dass Personen, die an Blutfehden beteiligt sind, je nach den individuellen Umständen des Einzelfalls aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder anderen relevanten Konventionsgründen, und der generellen Unfähigkeit des Staates, vor einer solchen Verfolgung Schutz zu gewähren. Ansprüche von Personen, die an Blutfehden beteiligt sind, können jedoch dazu führen, dass Asylausschlussgründe geprüft werden müssen.

Quelle:

- UNHCR – The UN Refugee Agency (05.2019): International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007789/unhcr-2019-05-protection-considerations-iraq.pdf , Zugriff 20.08.2019, mwN

Aus dem EASO-Informationsbericht über das Herkunftsland Irak – Gezielte Gewalt gegen Individuen (März 2019) ergibt sich zu Blutfehden unter Punkt 3.6.1. (S 192 ff):

Laut dem von DIS/Landinfo 2018 bei ihrer Mission in die KRI befragten Irak-Analysten können Stämme schwer bewaffnet sein, und tribale Gewalt ist oft der Grundauslöser für den Ausbruch von Konflikten in der irakischen Gesellschaft. Stammeskonflikte können aus verschiedenen Gründen entstehen. Der Irak-Analyst erklärte, dass Tötungen zwischen den Stämmen (die Tötung von Angehörigen eines anderen Stammes) den Täter und seinen Stamm zum Ziel der Gewalt des anderen Stammes machen. Niqash berichtete, dass die gegenwärtige politische Instabilität den Ausbruch von Stammeskonflikten verstärkt hat. In Basra können Stammeskonflikte auch wegen weniger gewichtigen Situationen als Morde oder Verletzungen der Ehre ausbrechen, zum Beispiel durch Geschäftsstreitigkeiten, staatliche Bauaufträge oder sogar Fußballspiele.

Stammeskonflikte werden häufig durch die Zahlung von Entschädigungen in Form von „Blutgeld“ beigelegt, um ein „endloses Töten unter den Stämmen“ zu vermeiden. Es gilt allerdings als schwieriger, Konflikte zwischen verschiedenen ethnischen oder religiösen Stämmen zu schlichten, wie zum Beispiel zwischen einem schiitischen Stamm und einem sunnitischen Stamm. Andere Quellen wiesen darauf hin, dass Frauen manchmal als Entschädigung bei Stammesstreitigkeiten der gegnerischen Partei zugesprochen werden, nämlich durch die sogenannte Fasliya-Ehe. Laut einem Artikel von Al-Monitor verlieren Frauen, die eine Fasliya-Ehe eingehen, alle ihre Rechte, sogar das Recht, sich von ihrem Ehemann scheiden zu lassen oder sich von ihm zu trennen.

Was die Personen betrifft, die sich nicht dem Willen ihres Stammes fügen, gab ein bei der DIS/Landinfo-FFM im Jahr 2018 befragter Irak-Analyst an, dass sie entweder „erschossen, geächtet oder enteignet und aus dem Stamm vertrieben“ werden und sich nicht in bestimmten Gegenden aufhalten dürfen. Dieselbe Quelle wies darauf hin, dass Personen, die vor Stammeskonflikten in Basra flüchten, in Bagdad, Anbar und in der KRI sicher sein könnten, während sie in den südlichen Regionen keine Möglichkeit hätten, Schutz bei den Behörden zu suchen.

Der Irak-Analyst erläuterte ferner, dass manchmal eine geringfügige Handlung, wie etwa die Kritik an einem Stammesmitglied auf Facebook, ausreichen kann, dass die Person aus der Stammesgemeinschaft ausgestoßen wird. Ein Artikel von Niqash bestätigte, dass Facebook-Aktivitäten im Irak „reale“ Gewalt ausgelöst haben. Darin wurde berichtet, dass südliche Stämme Geldstrafen gegen Personen verhängten, die unangemessene Kommentare veröffentlichten. In einem Fall wurde ein Mann aus Wasit Berichten zufolge gezwungen, 10 Millionen IQD (etwa 8 400 USD) zu zahlen, nachdem sein Sohn eine „sozial inakzeptable“ Aussage über ein Mädchen gepostet hatte, der er einen Heiratsantrag machen wollte. Er hatte die Formulierung „in Erinnerung an die guten alten Zeiten“ verwendet, was ihre Eltern als Beleidigung interpretierten und als Unterstellung, dass ihre Tochter viele Geliebte gehabt hatte. Im Jahr 2016 berichtete Iraqi News, dass 500 Flüchtlingsfamilien aufgrund einer ungelösten Stammes-Blutfehde, die in das Jahr 2006 zurückreicht, Angst hatten, nach Diyala zurückzukehren.

In Basra konspirieren internationale Konzerne, korrupte Beamte und Stammesführer über Geld und Macht. Die Stammeskonflikte wirken sich auch auf die Wirtschaft des südlichen Irak aus, denn einige ausländische Unternehmen und Ölraffinerien haben ihre Geschäftstätigkeit in der Region eingestellt, und die Arbeitnehmer haben sich aus Sicherheitsgründen geweigert, ihre Arbeit zu verrichten. Der norwegische Flüchtlingsrat (NRC) schreibt, dass die Basra-Stämme bekannt dafür sind, gut bewaffnet zu sein, und Zwistigkeiten sind die Hauptquelle der Gewalt in diesen Gebieten. Arab News berichtete im April 2018 über Korruption und Erpressung im irakischen Ölsektor und merkte an, dass „Basras prominente Clans im Rahmen einer als staatlich gestützte Entschädigung getarnten Schutzgelderpressungsintrige mehr als 105 Millionen US-Dollar erbeutet haben.“ Während der Demonstrationen gegen ausländische und einheimische Ölfirmen im Juli 2018 in Basra richteten die Demonstranten ihre Proteste „gegen die Vorgänge in den wichtigen Einrichtungen des Energiesektors und forderten Arbeitsplätze und verbesserte Dienstleistungen.“ In einem Artikel von Middle East Eye heißt es: „Die Proteste in Basra sind Teil eines Konflikts zwischen der Peripherie und der Hauptstadt, zwischen der Regierung und den Ölfirmen einerseits und der Region Basra andererseits. Dhurgham Al-Maliki, der Scheich des Stammes der Bani Malik, und Muzahim al-Tamimi, der Scheich der Bani Tamim – zwei der größten Stämme Basras –, sind als Vertreter der Demonstranten aufgetreten.“

Nachdem die Polizei im Juli 2018 das Feuer gegen die Demonstranten eröffnet hatte und ein Mann getötet wurde, stellten sich mehr als 13 Stämme hinter die Forderung des Stammes des Opfers nach Bestrafung der Täter. Das führte dazu, dass die Stämme Straßen blockierten, um das Kommen und Gehen der Arbeiter im Öl- und Gassektor sowie die Evakuierung der Mitarbeiter aus dem Gebiet durch die Ölfirmen einzuschränken. Andere Quellen berichteten von der Ermordung eines Mitarbeiters aus dem Ölsektor im Januar 2018 in der Nähe seines Hauses in Basra durch bewaffnete Männer sowie von einem Vorfall im Jahr 2017, bei dem ein Kleinbus mit Mitarbeitern eines Ölunternehmens, die nach Basra gefahren waren, von bewaffneten Männern in einem Kleintransporter angegriffen wurde. Im Jahr 2017 wurde von Stammeskämpfen zwischen rivalisierenden schiitischen Stämmen um „Ackerland, staatliche Bauaufträge und Landbesitz“ berichtet, durch die die Sicherheit bei den Ölanlagen im Süden bedroht war.

Quellen:

- EASO-Bericht über Herkunftsländer Irak: Gezielte Gewalt gegen Individuen, März 2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019413.html , mwN (Zugriff am 06.02.2020)

Aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Irak: Einfluss der Stämme, Verstoß gegen Stammesvorgaben vom 23.11.2018 ergibt sich:

„Anmerkungen der Staatendokumentation zu den Fragen 1-5:

Grundsätzlich wird die Regelung von Stammesangelegenheiten von verschiedenen Faktoren beeinflusst, wie zum Beispiel der Art des Verstoßes gegen Stammesvorgaben bzw. des Verbrechens, der soziale Status der beteiligten Stämme, Geschlecht und sozialer Status der Beteiligten, und die Geschichte der Fehden zwischen den beteiligten Stämmen.

Tief verwurzelte kulturelle Praktiken wie Stammesstrukturen bzw. das Stammesrecht im Irak ändern sich nur langsam, daher wurden für die Beantwortung der Fragen auch ältere Quellen berücksichtigt.

Wie weit reicht ganz allgemein der Einfluss einzelner Stämme im irakischen Staatsgebiet?

[…]

Zusammenfassung:

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass der Einfluss von Stämmen theoretisch keine Grenzen hat; in der Praxis hängt er von der geographischen Dichte und der relativen Größe und Stärke des Stammes ab. Stammesrecht kann auf viele verschiedene Arten ausgeübt werden. Genauere Informationen entnehmen Sie bitte den Einzelquellen.

Einzelquellen:

Mark Lattimer ist Direktor und Irak-Experte des Ceasefire Centre for Civilian Rights (CCCR). Das CCCR ist eine internationale Initiative zur Entwicklung einer zivil geführten Überwachung von Verletzungen des humanitären Völkerrechts bzw. der Menschenrechte mit Sitz in London.

Gemäß Mark Lattimer weisen viele Berichterstatter zu Recht auf die Bedeutung von Stammesdynamiken für das Verständnis von Politik und Gesellschaft im Irak hin. Die Bedeutung der Stammesstrukturen ist jedoch historischen Veränderungen unterworfen (sie ist in der jüngsten Geschichte des Irak gestiegen und gesunken) und variiert auch zwischen Stämmen und Gemeinschaften sowie zwischen städtischen und ländlichen Bevölkerungsgruppen.

Unter dem Baath-Regime wurde der gezielte Versuch unternommen, Stammesstrukturen zu schwächen; aber wie auch im Falle der Religion, wurde die Bedeutung der Stämme später gefeiert und zum Machterhalt gefördert. Im heutigen Irak stellen konfessionelle Identitäten und Strukturen (wie z.B. die Hashd al Shaabi und andere Milizen) einerseits ein konkurrierendes Machtzentrum in der Gesellschaft dar, und andererseits gleichzeitig eines, das in manchen Fällen zur Stärkung von Stammesstrukturen beitragen kann. Generalisierungen zur irakischen Stammesstruktur als Ganzes sind deshalb schwierig.Es ist wichtig den Kontext eines jeden individuellen Falles zu beachten.

Bezüglich der Reichweite des Einflusses eines Stammes im Irak schreibt Lattimer, dass es in der Theorie keine Grenzen gibt. Verbrechen wie Ehrenmorde wurden auch schon in irakischen Gemeinden im Exil, in Großbritannien oder anderen Teilen Europas, verübt. In der Praxis hängt es von der geographischen Dichte und der relativen Größe und Stärke des Stammes ab. Es ist für Mitglieder durchaus üblich, nach Bagdad oder in andere große Städte zu reisen und dort zu arbeiten, wodurch die Verbindungen zum Stamm nachhaltig geschwächt werden oder verloren gehen; auf der anderen Seite ist es in Fällen der Familien- oder Stammesehre üblich, dass Familienmitglieder reisen, um Einzelpersonen zu finden und mit ihnen abzurechnen [orig. to settle with them].

Cautionary note: Many commentators, correctly, point to the importance of tribal dynamics in understanding Iraqi politics and society. However, the importance of tribal structures has waxed and waned during Iraq’s recent history, and also varies between tribes and communities, and between urban and rural populations. Under Ba’athism, a concerted effort was made to weaken the influence of tribal structures but, as with religion, the importance of tribe was later celebrated and promoted as a way of maintaining power. In contemporary Iraq, sectarian identities and structures (including the Hash’d al Shaabi and other militias) present both a competing locus of power in society, and at the same time one which can work in some cases to strengthen tribal structures. It is therefore difficult to come to any generalizations across Iraqi tribal structures as a whole, and it is important to consider the context of each individual case.

1. What’s the possible extent of the influence of individual tribes on their respective members within the territory of Iraq? (How far is the tribal reach or the ability of an individual tribe to go after one of its members in case of transgression of tribal norms or expectations?)

In theory there are no limits. Indeed, to take the case of honour killings, such crimes have been committed in Iraqi exile communities based in the UK and other parts of Europe. In practice, it will depend on the degree of geographic concentration of the tribe and its relative size and strength. It is certainly common for members to travel and work in Baghdad and other big cities and effectively weaken or lose most links with the tribe; on the other hand, in cases of tribal or family ‘honour’, it is also common for family members to travel to find individuals and settle with them.

Mark Lattimer (13.11.2018): Al Rufai – General Questions, Auskunft per E-mail

War on the Rocks ist nach eigenen Angaben eine US-amerikanische Plattform für Analyse und Diskussion von außen- und sicherheitspolitischen Themen. War on the Rocks schreibt in einem Artikel vom 17.1.2018, dass ungefähr 75% der irakischen Bevölkerung entweder Mitglied eines der landesweit ungefähr 150 Stämme sind oder eine enge Verbindung zu einem von ihnen haben. Im Irak seien vor allem die sunnitischen Gebiete Anbar, Salahadin, Kirkuk und Nineveh und die großteils schiitische Provinz Basra stammesgesellschaftlich organisiert.

About 75 percent of Iraq’s population is either a member or close associate of one of the country’s approximately 150 tribes. The tribes, which comprise multiple family-based clans, have wielded considerable influence since modern Iraq’s founding in 1921. In contemporary Iraq, tribes and tribalism are most prominent in Sunni areas — Anbar, Salahadin, Kirkuk, Nineveh — and the southern, mainly Shia province of Basra. Tribal leaders, called sheikhs, settle disputes within their tribes, some of which cut across ethnic and sectarian lines. Tribal networks can help members gain employment, secure government services and protect members from external threats.

War On The Rocks (17.1.2018): Baghdad Must Seize the Chance to Work With Iraq’s Tribes, https://warontherocks.com/2018/01/baghdad-must-seize-chance-work-iraqs-tribes/ , Zugriff 18.10.2018

Fanack ist eine unabhängige Online-Medienorganisation, die sich auf den Nahen/Mittleren Osten und Nordafrika (Geschichte, Politik, Wirtschaft, Soziales, Wasser- und Energieressourcen) spezialisiert. Sie wurde 2010 in den Niederlanden gegründet; die Website ist auf Englisch und Arabisch verfügbar. Fanack richtet sich vor allem an ein jüngeres Zielpublikum (18-35 Jahre). In einem Beitrag, der am 27.9.2018 aktualisiert wurde, heißt es, dass die irakische Gesellschaft stark an Familie und Clan (der aus einigen Familien besteht) orientiert ist. Circa 40% der Bevölkerung stehen ihrem Stamm (der aus mehreren Clans besteht) loyal gegenüber. Diese traditionellen sozialen Beziehungen stellen einen immensen sozialen Druck und Kontrolle dar. Das Verhalten von Individuen ist streng geregelt, und der Verstoß gegen ungeschriebene Gesetze werden bestraft. Die Familienehre gilt als höchstes Gut und definiert das Prestige einer Familie in Relation zu anderen Familien. Verstöße gegen traditionelle Regeln und Bräuche werden als „Schandfleck“ der Familienehre gesehen und mit physischer Gewalt bestraft, um den Schaden für die Familie wiedergutzumachen.

Iraqi society is organized differently from Western, post-industrial society. There is a strong orientation to the family and the clan (which consists of several families). About 40 percent of the population are also loyal to their own tribe (which consists of several clans). There are about a hundred large tribes and twenty-five tribal confederations. […] These traditional social relationships impose immense social pressure and control. Individual conduct is tightly regulated, and violations of unwritten laws are punished. Family honour is regarded as the highest good and defines a family’s prestige in relation to other families. Violations of traditional rules and customs, such as improper contacts between men and women, are regarded as a blot on the family honour and punished with physical violence, in order to redress the harm done to the family. Violence can be used in response to violence. According to Islamic law, questions of honour and acts of violence should be laid before an Islamic court for judgement and punishment, but this generally does not happen, particularly in rural areas: people take the law into their own hands, sometimes acting in complete disregard of Islamic law.

Fanack (27.9.2018): Tribe in Iraq, https://fanack.com/iraq/society-media-culture/society/family-clan-tribe/ , Zugriff 18.10.2018

The Christian Science Monitor (CSM) ist laut eigenen Angaben ein unabhängiges Medienunternehmen, dessen Besitzer die Kirche First Church of Christ, Scientist aus Boston ist. Laut einem Artikel des CSM aus dem Jahr 2014 erstrecken sich die größten Stämme des Irak von Norden nach Süden, wie z.B. der al-Jubbur Stamm. Nur wenige der größten Stämme bestehen aus einer einzigen konfessionellen oder ethnischen Gruppe.

Saddam Hussein tapped Iraq’s tribes, which cross geographic and ethnic lines, to bolster his regime. Now some tribesmen are offering to help fend off the self-declared Islamic State. […] Formed Aug. 6 and endorsed by the government in September, the tribal council groups some of the largest tribes of Iraq – including Al-Jubbur, which is scattered through central and northern Iraq and has Shiite members in the south. […] Iraq’s largest tribes stretch from north to south, and only a few are made up of a single sect or ethnic group. This diversity, tribal leaders insist, could be instrumental in bridging the country's crippling ethnic and sectarian divides, provided the government can harness their power.

The Christian Science Monitor (19.10.2014): Could Iraq's tribes provide the glue that keeps the country from falling apart?, https://www.csmonitor.com/World/Middle-East/2014/1019/Could-Iraq-s-tribes-provide-the-glue-that-keeps-the-country-from-falling-apart , Zugriff 18.10.2018

Die finnische Migrationsbehörde berichtet am 22.5.2018, dass der Irak grundsätzlich eine stammesgesellschaftlich organisierte Gesellschaft ist. Traditionelle Stammeswerte, wie die Ehre eines Individuums oder einer Familie, und Solidarität der eigenen Familie und dem Clan gegenüber beeinflussen soziale Praktiken und die politische Kultur des Landes stark. Obwohl ein ziviles Justizsystem existiert, haben vor allem in ländlichen Gebieten, manchmal auch in urbanen Gebieten, Praktiken des Stammesrechts überlebt. Weil das Justizsystem nicht verlässlich oder nicht zugänglich ist, wenden sich viele Iraker stammesrechtlichen Institutionen zu, um Konflikte zu lösen. Es gibt sehr wenig Information darüber, wie innerhalb der Stämme Stammesrecht gesprochen wird.

Iraq is fundamentally a tribal society. Traditional tribal values, such as the honour of an individual or a family (sharaf) and solidarity towards one’s family or clan (‘asabiyya) have a strong bearing on social customs and the political culture of the country. Despite the existence of a civil justice system, practices deriving from traditional tribal justice (‘urf) survive in rural areas, in particular, as well as in some urban areas. According to Freedom House (2018), the Iraqi judiciary is prone to corruption, political pressure, tribal intimidation and religious interests. Because the judicial system is unreliable or inaccessible, many Iraqis turn to tribal justice bodies for the resolution of disputes. Very little information is available on how tribal justice is administered within tribes.

Finnish Immigration Service (22.5.2018): Overview of the Satus of Women living without Safety Net in Iraq, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Report_Women_Iraq_Migri_CIS.pdf/ab7712ba-bad7-4a1f-8c1f-f3f4013428a7/Report_Women_Iraq_Migri_CIS.pdf.pdf , Zugriff 18.10.2018

Das Small Wars Journal ist ein von ehemaligen US-Marines gegründetes Online-Magazin, das sich mit Fragen asymmetrischer und hybrider Kriegsführung beschäftigt und von der gemeinnützigen Small Wars Foundation geführt wird. Small Wars Journal berichtet in einem Artikel davon, dass irakische Stämme mächtige Interessensgruppen sind, die die irakische Gesellschaft durchdringen. Mehr als 85% der Iraker hätte eine Art der Stammeszugehörigkeit. Die Stammesidentität ist eine parallele, informelle, aber machtvolle Einflusssphäre in der Gemeinschaft. Irakische Stammesoberhäupter stellen ein konkurrierendes Machtzentrum dar, und die Stämme selbst sind Teil einer parallelen Hierarchie, die sich mit den formalen Regierungsstrukturen und politischen Zugehörigkeiten überlappt.

To understand what follows, you need to realize that Iraqi tribes are not somehow separate, out in the desert, or remote: rather, they are powerful interest groups that permeate Iraqi society. More than 85% of Iraqis claim some form of tribal affiliation; tribal identity is a parallel, informal but powerful sphere of influence in the community. Iraqi tribal leaders represent a competing power center, and the tribes themselves are a parallel hierarchy that overlaps with formal government structures and political allegiances. Most Iraqis wear their tribal selves beside other strands of identity (religious, ethnic, regional, socio-economic) that interact in complex ways, rendering meaningless the facile division into Sunni, Shi'a and Kurdish groups that distant observers sometimes perceive. The reality of Iraqi national character is much more complex than that, and tribal identity plays an extremely important part in it, even for urbanized Iraqis.

Small Wars Journal (o.D.): Anatomy of a Tribal Revolt, http://smallwarsjournal.com/blog/anatomy-of-a-tribal-revolt , Zugriff 18.10.2018

Al Monitor ist eine Onlinezeitung mit Sitz in Washington, DC., welche durch eigene und übersetzte Inhalte Reportagen und Analysen über den Nahen Osten bietet. Al-Monitor schreibt in einem Artikel vom 20.1.2016, dass der Einfluss der Stämme immer dann wächst, wenn der Staat schwach ist.

Tribal influence grows stronger when the state is weak. Social researcher Qasim Mohammed told Al-Monitor, “This influence increased [even more] following 2003, when the Saddam regime fell, and the tribes have managed many government departments by virtue of the ties that government officials running these departments have with the tribes."

Al-Monitor (20.1.2016): Can Iraq curb tribal disputes?, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/01/iraq-tribes-armed-conflict.html , Zugriff 18.10.2018

UNHCR berichtet am 15.1.2018, dass Berichten zufolge die Stammesjustiz im Irak aufgrund der aufeinanderfolgenden Konflikte, einer schwachen Staatsgewalt und eines ineffektiven Justizsystems wieder an Bedeutung gewonnen hat. Die Menschen wenden sich wieder vermehrt den Stämmen zu, um ihre Konflikte zu lösen. Justizbeamte sind oft selbst Mitglieder eines Stammes aus der Gegend, und greifen, Berichten zufolge, oft nicht in Konflikte zwischen Stämmen ein, weil ihre persönliche Involvierung den Konflikt verschlimmern könnte. Andere stellen sich Berichten zufolge bei Stammeskonflikten auf eine Seite, je nach ihrer eigenen Stammeszugehörigkeit.

According to reports, tribal justice has reportedly gained renewed strength as a result of successive conflicts affecting Iraq, weak state authority and an ineffective formal justice system and people increasingly resort to tribes to resolve their differences. Law enforcement personnel, who are often themselves members of tribes in the area, are said to be reluctant to interfere in tribal conflicts as their involvement may risk further escalating the situation. Others are reported to take sides in tribal disputes along their own tribal affiliation.

UNHCR – UN High Commissioner for Refugees (15.1.2018): Tribal Conflict Resolution in Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/1422677/1930_1516710358_5a66f84f4.pdf , Zugriff 18.10.2018

Kann eine Person oder Familie aus eigenem Willen den ursprünglichen Stamm verlassen?

[…]

Zusammenfassung:

Der nachfolgend zitierten Quelle ist zu entnehmen, dass tribale Identität im Irak generell als Merkmal gesehen wird, das man bei der Geburt erwirbt und welches bis zum Tod erhalten bleibt. Eine Einzelperson kann deshalb zwar versuchen, den Stamm zu verlassen, oder ihm den Rücken zuzukehren, wird aber immer noch die Konsequenzen dafür tragen, wenn andere Mitglieder des Stammes ihre Entscheidung nicht akzeptieren oder auf eine Wiedergutmachung für vermeintliche Schande bestehen.

Einzelquellen:

Der Direktor des Ceasefire Center for Civilian Rights (CCCR) Mark Lattimer schreibt in seiner Auskunft per E-Mail, dass tribale Identität, genauso wie religiöse oder ethnische Identität, im Irak generell als Merkmal gesehen wird, das man bei der Geburt erwirbt und welches bis zum Tod erhalten bleibt. Es ist kein freiwilliges Attribut und unterliegt nicht der Möglichkeit einer Konversion bzw. eines Austritts [orig. is not subject to conversion]. Die wichtigste, partielle Ausnahme stellen Frauen in Ehen zwischen zwei verschiedenen Stämmen dar [orig. inter-tribal marriages]. Eine Einzelperson kann zwar versuchen, den Stamm zu verlassen, oder ihm den Rücken zuzukehren, sie wird aber dennoch mit den Folgen dafür konfrontiert sein, dass andere Mitglieder des Stammes ihre Entscheidung nicht akzeptieren oder auf eine Wiedergutmachung für vermeintliche Schande bestehen. Generalisierungen bezüglich Mitgliedern, die gegen Stammesvorschriften verstoßen, sind sehr schwierig. Die Reaktion von Stammes- oder Familienoberhäuptern kann von einem Ignorieren des vermeintlichen Verstoßes bis zu sehr ernsten Konsequenzen, auch Mord, reichen.

3. How does an Iraqi tribe react to

 a member voluntarily leaving the tribe (Is this even possible)?

Tribal identity, just like religious or ethnic identity, is generally conceived of in Iraq as a characteristic acquired at birth that persists until death. It is not a voluntary attribute and is not subject to conversion. (The main, partial exception to this is the case of women in inter-tribal marriages.) Therefore an individual may seek to leave, or turn his/her back on, a tribe, but will still face the consequences of other members of the tribe not accepting their decision or insisting on reparation for perceived dishonor.

 a member of the tribe breaching tribal rules (e.g. sell alcohol, reject a fasl-marriage)?

Once again, generalizations are very difficult. The reaction of both tribal leaders and heads of families can range from effectively ignoring the perceived breach to very serious consequences, including murder. And in some parts of Iraq, those selling or drinking alcohol, for example, may be at greater risk from miltias seeking to implement their own moral codes.

Mark Lattimer (13.11.2018): Al Rufai – General Questions, Auskunft per E-mail

Ist feststellbar, ob einzelne Familien wegen eines Verstoßes gegen die Stammesvorgaben aktiv vom Stamm und zum Zwecke einer Bestrafung gesucht werden?

[…]

Zusammenfassung:

Siehe Einzelquellen.

Einzelquellen:

In einer Anfragebeantwortung von ACCORD vom 31.8.2018 wird Folgendes berichtet:

Die dänische Migrationsbehörde (Danish Immigration Service, DIS), der dänische Flüchtlingsrat (DRC) und das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo geben im Juli 2009 in ihrem Bericht zur gemeinsamen Fact-Finding Mission im März 2009 im Irak zu Ehrenverbrechen im Süd- und Zentralirak an, dass diese laut der Internationale Organisation für Migration (IOM) seit Generationen im Irak begangen würden. Es sei hinzugefügt worden, dass Ehrenverbrechen nichts Neues seien und die Regierung kaum in der Lage sei, diese zu verhindern, da es sich um eine Stammespraxis handle. Es sei selten der Fall, dass Angelegenheiten im Zusammenhang mit Ehrenverbrechen in Stammesräten behandelt würden. Wenn ein solches Problem jemals außerhalb der eigenen vier Wände angesprochen werde, würden die Stammesführer miteinbezogen. Dies geschehe zum Beispiel, wenn Personen außerhalb der Familie in den Vorfall verwickelt seien, wie bei außerehelichen Affären. Unabhängig vom Ausgang einer sogenannten illegalen Liebesaffäre, in die unverheiratete Personen verwickelt seien, komme es häufig vor, dass beide Parteien ihren Heimatort verlassen müssten. In vielen Fällen würden große Geldbeträge nach traditionellen Regeln als Entschädigung gezahlt. Es komme auch vor, dass der Stamm des Täters den Täter drängt, seinen Stamm zu verlassen oder der Stamm, dessen Ehre verletzt worden sei, das Opfer zur Flucht dränge. Es könne auch vorkommen, dass Menschen sich aufgrund der wahrgenommen Verletzungen ihrer Rechte rächen würden. In Stammesangelegenheiten sei alles möglich, und auch wenn eine Entschädigung gezahlt worden sei, könne das Opfer immer noch von Racheakten bedroht sein: [...]

ACCORD (31.8.2018): Anfragebeantwortung zum Irak: Lage für unverheiratete Männer, die mit einer verheirateten Frau Geschlechtsverkehr hatten: Sanktionen, Verfolgungen von Seite der Familie der verheirateten Frau, gerichtliche Sanktionen, Sanktionen der eigenen Familie, https://www.ecoi.net/de/dokument/1442975.html , Zugriff 18.10.2018

Gemäß einem Bericht von EASO zum Expertennetzwerktreffen Irak, das am 25.-26. April 2017 in Brüsselstattgefunden hat, konnten die eingeladenen Experten auf die Frage, ob ein Stamm eines seiner Mitglieder ausschließen oder sogar zum Tode verurteilen könne, keine definitive Antwort geben.Sie waren sich jedoch darüber einig, dass es für einen Stamm oder Clan möglich sei, ein Mitglied (vor allem Frauen) für den Verstoß gegen Stammesvorgaben, wie beispielsweise eine gemischte Ehe, zu bestrafen.

Can a clan / tribe expel a member or even condemn him to death? An example was given of a person who provided a written document saying they had been expelled from the tribe – have there been reports of this? There was no clear answer to this question as the experts were not aware of the inner workings of tribal legal affairs. On the other hand, they agreed that it is possible for a clan or a tribe to punish a member (especially a woman) for committing a misguided act, such as a mixed marriage. It was unclear whether they would be likely to issue a document expelling a person.

EASO – European Asylum Support Office (7.2017): EASO COI Meeting Report: Iraq; Practical Cooperation Meeting, 25-26 April 2017, Brussels, https://www.ecoi.net/en/file/local/1404903/90_1501570991_easo-2017-07-iraq-meeting-report.pdf , Zugriff 18.10.2018

Laut dem Direktor des CCCR, Mark Lattimer, ist die unmittelbarste Konsequenz eines Stammesausschlusses der Verlust des Schutzes durch den Stamm ist. In vielen Gebieten des Irak wirken Stammesstrukturen als eine Form des Sicherheitsschutzes für Einzelpersonen und Familien, und ein Verlust dieses Schutzes kann Einzelpersonen durch Milizen, kriminelle Bande, etc. verwundbar machen. Bezüglich anderer Konsequenzen sind Spekulationen schwierig, da man die Gründe für einen Stammesausschluss kennen müsste. In einigen Fällen könnte es eine adäquate Strafe sein, durch das Stammesoberhaupt abgelehnt zu werden. In anderen Fällen könnten Mitglieder der Familie bzw. des Clans versuchen, die Einzelperson zu verbannen oder sogar zu töten, weil sie vermeintlich Schande über die Familie gebracht hat.

Es ist, so Lattimer, für Mitglieder durchaus üblich, nach Bagdad oder in andere große Städte zu reisen und dort zu arbeiten, wodurch die Verbindungen zum Stamm nachhaltig geschwächt oder verloren werden; auf der anderen Seite ist es in Fällen der Familien- oder Stammesehre üblich, dass Familienmitglieder reisen, um Einzelpersonen zu finden und mit ihnen abzurechnen [orig. to settle with them].

2. What are the consequences of being expelled from one’s tribe?

The most immediate consequence in modern-day Iraq is to lose the protection of the tribe. In many areas of Iraq tribal structures act as a form of security protection for individuals and families, and losing that protection can make individuals vulnerable to militias, criminal gangs, etc. For other consequences it is difficult to speculate on the consequences without understanding the reasons for any alleged expulsion. In some cases being disowned by a tribal leader might itself constitute an adequate punishment; in other cases members of a family/clan may seek to banish or even kill an individual for bringing perceived dishonor on the family.

1. What’s the possible extent of the influence of individual tribes on their respective members within the territory of Iraq? (How far is the tribal reach or the ability of an individual tribe to go after one of its members in case of transgression of tribal norms or expectations?)

In theory there are no limits. Indeed, to take the case of honour killings, such crimes have been committed in Iraqi exile communities based in the UK and other parts of Europe. In practice, it will depend on the degree of geographic concentration of the tribe and its relative size and strength. It is certainly common for members to travel and work in Baghdad and other big cities and effectively weaken or lose most links with the tribe; on the other hand, in cases of tribal or family ‘honour’, it is also common for family members to travel to find individuals and settle with them.

Mark Lattimer (13.11.2018): Al Rufai – General Questions, Auskunft per E-mail

The Daily Star (TDS) ist eine libanesische, englischsprachige Tageszeitung mit Sitz in Beirut. Am 19.11.2018 berichtet TDS in einem Artikel darüber, dass ein alter Brauch der Stämme im Irak nunmehr als “terroristischer Akt" gilt und mit der Todesstrafe bestraft werden kann. Irakische Stämme haben ihr eigenes jahrhundertealtes System, um Konflikte zu lösen. In de-facto “Anhörungen" [orig. “hearings"] bringen Würdenträger des Stammes die beiden Konfliktparteien zusammen und vermitteln [orig. to mediate]. Wenn eine Seite nicht zu so einem Treffen erscheint, schießt der rivalisierende Clan auf das Haus der nicht erschienenen Person oder auf das von Stammesangehörigen. Diese Praxis ist auch bekannt als “degga ashairiya" oder “tribal warning". In einer Zeit, in der irakische ländliche Gebiete und Städte mit Waffen überschwemmt sind, die sich staatlicher Kontrolle entziehen, kann “degga" tödlicher als je zuvor sein. Sogar in Bagdad können in einem Streit [orig. dispute] auch Maschinengewehre und raketenbetriebene Granaten zum Einsatz kommen.

A bloody, age-old custom used by Iraq’s powerful tribes to mete out justice has come under fire, with authorities classifying it as a “terrorist act" punishable by death. For centuries, Iraqi clans have used their own system to resolve disputes, with tribal dignitaries bringing together opposing sides to mediate in de facto “hearings."

If one side failed to attend such a meeting, the rival clan would fire on the absentee’s home or that of fellow tribesmen, a practice commonly known as the “degga ashairiya" or “tribal warning." But in an age when Iraq’s vast rural areas and built-up cities alike are flooded with weapons outside state control, the “degga" may be deadlier than ever.

A recent dispute between two young men in a teashop in the capital’s eastern district of Sadr City escalated to near-fatal proportions, leaving a 40-year-old policeman with a broken hip and severely damaged abdomen. His cousin Abu Tayba explained the policeman was “wounded in a stray bullet during a ‘degga’ on a nearby home." “Weeks after the incident, he’s still in the hospital, hovering between life and death," Abu Tayba told AFP.

Even in Baghdad, disputes often involve machine guns and rocket-propelled grenades, the city’s military command warned a top Iraqi court recently. That body, the country’s Superior Magistrate Council, issued a decision last week classifying “deggas" as “terrorist acts" and therefore warranting the death penalty because of their severe impact on public safety.

The Daily Star (19.11.2018): In Iraq, bloody tribal custom now classed as ‘terrorism’, https://www.dailystar.com.lb/News/Middle-East/2018/Nov-19/469535-in-iraq-bloody-tribal-custom-now-classed-as-terrorism.ashx , Zugriff 23.11.2018

Ist es realistisch, dass im Falle einer Bestrafung durch den Stamm wegen eines Verstoßes gegen die Stammesvorgaben alle erwachsenen männlichen Familienmitglieder gefährdet sind?

[…]

Zusammenfassung:

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass eine Einzelperson davon betroffen sein kann, dass ein Verwandter in einen Stammeskonflikt involviert ist (das Prinzip der kollektiven Schuld). Laut einer Quelle ist es im Stammesrecht beispielsweise möglich, die Verletzung oder den Tod eines anderen Mitgliedes zu rächen, unter anderem indem eine Person aus der erweiterten Familie des Täters getötet wird. In einer anderen Quelle heißt es, wenn sich eine Person nicht an die Entscheidung des Stammesgerichts hält, können auch andere Mitglieder der beiden in den Konflikt involvierten Stämme in einen größeren Konflikt oder sogar eine Fehde verwickelt werden.

Einzelquellen:

UNHCR schreibt in einem Bericht vom 15.1.2018, dass im Stammesrecht die männlichen Mitglieder einer erweiterten Familie (khamsa) dazu verpflichtet sind, die Verletzung oder den Tod eines anderen Mitglieds zu rächen, sei es in Form des Tötens einer Person aus der „khamsa“ des Mörders, oder in Form einer finanziellen Entschädigung (Blutgeld, „fasl“ oder „diyya“) an die Familie des Opfers. In schweren Fällen kann der Stamm des Täters diesen „entehren“ und den Ausschluss des Täters und seiner Familie aus dem Stamm anordnen, oder ihn töten. Berichten zufolge es hat es ernste Konsequenzen für den sozialen Status und das Alltagsleben, wenn man aus seinem Stamm ausgeschlossen wird, weil man alle Rechte auf Unterstützung verliert.

Tribal conflicts can reportedly be triggered by intentional or unintentional killing, but also by other offences such as the infliction of injury, loss of “honour" (e.g. as a result of the kidnapping or rape of a woman or girl, or socially unacceptable activities on social media), theft, unpaid debts, or unresolved disputes over land, access to water supplies or property. Under tribal custom, male members of an extended family (“khamsa") are obliged to avenge the injury or death of another member, be it in the form of killing someone from the murderer’s “khamsa", or, more commonly, agreeing on financial compensation (blood money, “fasl" or “diyya") to the family of the victim. […]

In serious cases, the perpetrator’s tribe can “dishonour" the perpetrator and order his and his family’s expulsion from the tribe, or even kill him. Being expelled from one’s tribe reportedly has serious consequences for the affected individual’s social status and every-day life, as he loses all claims to protection by the tribe. In the event of a formal expulsion from the tribe, which can be for a specific period of time or forever, the expulsion is reportedly announced through a document (“sanad", or “certification"). It reportedly has the purpose of informing other tribes of a tribe’s decision to expel a certain member and that the tribe does not take any responsibility for any of his future actions. According to UNHCR information, such letters do not follow a standard format. The perpetrator may receive a copy of such a letter based on his standing in the tribe and his relationship with the sheikh, or may be informed verbally through relatives or other members of the tribe.

UNHCR – UN High Commissioner for Refugees (15.1.2018): Tribal Conflict Resolution in Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/1422677/1930_1516710358_5a66f84f4.pdf , Zugriff 18.10.2018

In einem Artikel von Niqash, einer dreisprachigen (Arabisch, Englisch, Kurdisch) Medienplattform mit Sitz in Berlin und mehreren Zweigstellen im Nahen Osten (u.a. im Irak), wird berichtet, dass sich der Beschwerdeführer bei Konflikten entscheiden muss, ob er sich an das staatliche Rechtssystem oder an die Stammesjustiz wendet. Wählt er das Stammesrecht, muss sich der Angeklagte an die Entscheidung des Stammesgerichts halten. Wenn er das nicht tut, bedeutet das, dass auch andere Mitglieder der beiden Stämme in einen größeren Konflikt oder sogar eine Fehde verwickelt werden können. Das bedeutet in der Praxis, dass Familien- und Stammesmitglieder die Angeklagten höchstwahrscheinlich davon überzeugen, den Wünschen des Beschwerdeführers nachzukommen.

In tribal law, when a dispute arises, the complainant decides whether they wish to use tribal law or go to the legal system. If they choose tribal law, then the accused must abide by their decision; if they do not, then it may mean that more members of the two tribes involved are forced into a wider dispute, perhaps even a feud. What this means in effect is that family and tribe members would most likely persuade the accused to accede to the complainant’s wishes.

Niqash (o.D.): In Basra, ‘Terrorism By Tradition’ Causes Fear And Waste, http://www.niqash.org/en/articles/society/5543/ , Zugriff 18.10.2018

Das britische Innenministerium berichtet, in Bezug auf Blutfehden in Kurdistan, dass sich ein Stamm als Einheit begreift, und von Außenstehenden auch als solche wahrgenommen wird. Damit verbunden ist die Idee der kollektiven Verantwortung, was bedeutet, dass als Vergeltungsmaßnahme jedes Mitglied der Gruppe des Täters von Mitgliedern der Gruppe des Opfers angegriffen werden kann. Als Quelle nennt das britische Innenministerium hier „The Kurdish National Movement: Its Origins and Development“ von Wadie Jwaideh (1960, S.34). Als weitere Quelle wird ein Artikel aus der Zeitschrift „Perspectives on Terrorism“ aus dem Jahr 2007 angeführt.

Jwaideh explained: ‘The tribal group regards itself as a single unit and is so regarded by outsiders – a fact that engenders the idea of collective responsibility, with the consequent practice of retaliation against the offender or any member of his group by any member of the victim’s group… ‘[The notion of] ‘tola’ (vengeance) [is] one of the three things that dominate the Kurd’s thinking and determine the pattern of his loyalties and behaviour. The commission of murder is the signal for the beginning of a blood feud in conflicts concerning such matters as theft of animals, water or grazing rights, and, most serious of all, questions of honour involving women. According to Nikitine, who wrote about the Kurds of central Kurdistan, the victim’s family acquires the right of retaliation against the murderer, who is banished from the tribe for a period of five years or more. At the end of this period, provided a settlement has been made, the murderer may return to the tribe, with the elder’s approval and the chieftain’s confirmation. The victim’s family, however, retains its right of retaliation.’ […]

The journal Perspectives on Terrorism, in an article dated 2007, explained that blood feuds can be settled by ‘killing a member of the khams that murdered the family member or more commonly through managing financial compensation for the death (al-diya).’

UK Home Office (8.2017): Country Policy and Information Note Iraq: Blood feuds, https://www.ecoi.net/en/file/local/1411490/1226_1507804359_iraq-blood-feuds-cpin-version-1-0.pdf , Zugriff 18.10.2018

Raseef22 ist laut Eigenangabe eine unabhängige Medienplattform, die Nachrichten und Meinungskommentare zur arabischen Welt veröffentlicht. Am 16.1.2018 wird in einem Artikel von Personen im Irak berichtet, die von Stämmen gesucht werden, und deren Häuser oder Marktstände mit den Worten „vom Stamm gesucht“ oder „von einem Stamm gesucht“ [„tribally wanted“] beschmiert werden. So wird gezeigt, dass der Besitzer der beschmierten Immobilie in einen Stammeskonflikt verwickelt ist. Die Worte können potentielle Kunden abschrecken. Sie bedeuten jedoch nicht, dass diese Menschen ein Verbrechen begangen haben. Die Menschen müssen oft dafür herhalten, dass Verwandte von ihnen in solche Stammeskonflikte involviert sind.

It is not uncommon in Iraq to see "tribally wanted" emblazoned in red paint on residential buildings to declare that the owners of the marked properties are involved in tribal disputes. The term, which would fend off interest from potential buyers, does not necessarily mean the targeted individuals have committed a crime; people often bear the brunt of relatives' involvement in such disputes.

Raseef22 (16.1.2018): What Does "Tribally Wanted" Mean in Iraq?, https://raseef22.com/en/politics/2018/01/16/tribally-wanted-mean-iraq/ , Zugriff 18.10.2018

In einer Arbeit des Institute for Integrated Transition der UN University in Tokio, Japan, wird im Mai 2018 berichtet, dass Stammesrecht im Irak besonders in Gebieten des Irak verbreitet ist, in denen die Staatsgewalt schwach ist. Ein Schlüsselprinzip des Stammesrechts ist die Zuweisung von kollektiver Schuld an die Familie oder den Stamm desjenigen, der ein Verbrechen verübt.

Relatives of IS members are another social group that has become a target for retaliation and extra-judicial violence by Iraqi security forces and by other civilians. Kinship ties to the group are considered a sufficient basis for retaliation even if the relatives of IS members did not personally commit any crimes. A key principle of tribal law, which is influential in Iraq – particularly in areas where state authority is weak – is the attribution of collective guilt to the family or tribe of the perpetrator of a crime. […]

Unlike state law, tribal law allows for the attribution of collective guilt to the family or tribe of the perpetrator, such that the relatives of an IS member can be held vicariously responsible for crimes that he or she committed individually.

UN University – Insitute for Integrated Transitions (5.2018): The Limits of Punishment, Transitional Justice and Violent Extremism, Iraq Case Study, https://i.unu.edu/media/cpr.unu.edu/attachment/3127/2-LoP-Iraq-final.pdf , Zugriff 18.10.2018

Ist feststellbar, ob die Familien potentieller Bräutigame tatsächlich Erkundigungen beim Stamm der Braut einheben?

[…]

Zusammenfassung:

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass Heirat in Stammesgesellschaften grundsätzlich eine Angelegenheit der Familie ist, mit möglichen Konsequenzen für den Status und das Ansehen der ganzen Familie. Konflikte zwischen Individuen haben das Potential, zu Konflikten zwischen Gruppen zu werden.

Einzelquellen:

Dawn ist eine pakistanische Tageszeitung, die in englischer Sprache erscheint. In einem Artikel wird berichtet, dass im Irak der Familienname und die Herkunft von Relevanz bei der Jobsuche, Partnerwahl, Heirat oder in der Politik sind. Stammestraditionen haben einen richtigen Einfluss auf die Gesellschaft, wird ein Lehrender der al-Nahrain Universität in Bagdad zitiert.

In Iraq, a conservative Arab country where your origin and family name carries weight in finding a job, a partner in marriage or in politics, “tribal customs have a real impact on society", said Hussein Allawi, a teacher in national security at Baghdad’s Al-Nahrain University.

Dawn (24.9.2017): Tribes, tradition stand in way of Iraq police, https://www.dawn.com/news/1359595 , Zugriff 18.10.2018

The Washington Institute for Near East Policy (WINEP) ist ein US-amerikanischer Think-Tank, der sich mit der US-amerikanischen Außenpolitik in Bezug auf den Nahen Osten beschäftigt. In einem Bericht eines US-amerikanischen Oberstleutnants zur irakischen Stammeskultur aus dem Jahr 2007 heißt es, dass Heirat keine persönliche Entscheidung ist, sondern eine Angelegenheit der Familie, mit Konsequenzen für den Status und das Ansehen der ganzen Familie. Konflikte zwischen Individuen haben immer das Potential, zu Konflikten zwischen Gruppen zu werden.

Marriage is not a personal choice, but a family affair, with implications for the status and standing of the entire family. Conflicts between individuals always have the potential to become conflicts between groups.

WINEP - Washington Institute for Near East Policy (9.-10.2007): https://www.washingtoninstitute.org/uploads/Documents/opeds/46e959386ed5a.pdf , Zugriff 18.10.2018

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), gegründet 1936, ist ein Dachverband schweizerischer Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen, die, neben anderen Tätigkeiten, auch Dienste zur Recherche über Herkunftsländerinformationen zur Verfügung stellen. Im Jänner berichtet die SFH Folgendes über Heiratspraktiken im Irak allgemein und in der Region Kurdistan:

Im Irak, auch in der KRG-Region, müssen sich die Frauen den männlichen Familienmitgliedern unterordnen. Die Ehen sind meistens arrangiert und Frauen haben kaum die Möglichkeit eigene Pläne, welche den Vorstellungen der männlichen Familienangehörigen widersprechen, umzusetzen. Das moralisch korrekte Verhalten und der Erhalt der Jungfräulichkeit der unverheirateten Frauen sind bedeutend für die Familienehre. Zwar hat die strengere strafrechtliche Verfolgung von Ehrenmördern einen gewissen Rückgang von Ehrenmorden zur Folge. Heute werden Ehrenmorde häufig als Selbstmorde oder Unfälle ausgegeben; Selbstmorde junger Frauen und Mädchen haben zugenommen. Frauen haben kaum die Möglichkeit, sich dem Willen der Familie zu entziehen. Auch wenn sie nicht mit Ehrenmord bedroht werden, können junge Frauen in den seltensten Fällen alleine, ausserhalb ihres Familienverbandes leben.

Schweizerische Flüchtlingshilfe (15.1.2015): Schnellrecherche der SFH – Länderanalyse vom 15. Januar 2015 zu Irak: Zwangsheirat, https://www.ecoi.net/en/file/local/1032635/5012_1468234752_150115-irk-zwangsheirat.pdf , Zugriff 18.10.2018

Die unabhängige Online-Medienorganisation Fanack, die 2010 in den Niederlanden gegründet wurde, berichtet in einem Beitrag zur Rolle der Stämmen im Irak, dass eine Heirat nicht nur eine Union von zwei Menschen, sondern auch als Allianz von zwei Familien gesehen wird. Wenn eine Frau heiratet, verlässt sie ihre Familie und ist ab dann Teil der Familie des Ehemannes.

Upon marriage, a woman leaves her family and enters the family of her husband. In addition to being a union between two people, a marriage is seen as an alliance between two families. Children from the marriage are counted as members of the husband’s family. In the case of divorce, the woman loses her children and returns to her parents or brothers. These traditional social relationships impose immense social pressure and control. Individual conduct is tightly regulated, and violations of unwritten laws are punished. Family honour is regarded as the highest good and defines a family’s prestige in relation to other families. Violations of traditional rules and customs, such as improper contacts between men and women, are regarded as a blot on the family honour and punished with physical violence, in order to redress the harm done to the family.

Fanack (27.9.2018): Tribe in Iraq, https://fanack.com/iraq/society-media-culture/society/family-clan-tribe/ , Zugriff 18.10.2018„

Quellen:

- BFA Staatendokumentation – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl: Anfragebeantwortung zu Irak: Einfluss der Stämme, Verstoß gegen Stammesvorgaben, https://www.ecoi.net/de/dokument/1454361.html , Zugriff 06.02.2020, mwN“

Insgesamt konnten keine Umstände festgestellt werden, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG unzulässig wäre.

2. Beweiswürdigung:

Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Zur Person der beschwerdeführenden Partei:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität (Namen, Geburtsdatum, Geburtsort), Staatsangehörigkeit sowie Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.

Aktenkundig sind weiters Kopien des irakischen Personalausweises und des irakischen Staatsbürgerschaftsnachweises, an deren Echtheit keine Zweifel aufgekommen sind (vgl AS 41 ff).

Das Bundesverwaltungsgericht nahm weiters hinsichtlich des Beschwerdeführers Einsicht in das Fremdenregister, das Strafregister, das Zentrale Melderegister sowie die Grundversorgungs- und Sozialversicherungsdaten, veranlasste eine GISA-Abfrage und holte die aktenkundigen Auszüge ein.

Die beiden Strafurteile sind aktenkundig. In Zusammenschau der Begründung des Urteiles des Bezirksgerichtes sowie der Begründung des Landesgerichtes XXXX über die vom Beschwerdeführer erhobenen Rechtsmittel, welche dem gegenständlichen Erkenntnis im Rahmen der freien Beweiswürdigung zugrunde gelegt werden, ergibt sich für das erkennende Gericht keinerlei Grund, an dem der Verurteilung zugrundeliegenden Sachverhalt zu zweifeln. Der Beschwerdeführer zeigt sich diesbezüglich nicht einsichtig und beharrt darauf, zu Unrecht verurteilt worden zu sein. Dies wird im gegebenen Zusammenhang als Schutzbehauptung gewertet.

Der Beschwerdeführer legte bisher kein Deutsch-Prüfungszeugnis vor und brachte auch nicht vor, erfolgreich eine Deutsch-Sprachprüfung absolviert zu haben. Insofern ist es dem erkennenden Gericht auch nicht möglich, ein gewisses Sprachniveau festzustellen, zumal der vom Beschwerdeführer absolvierte Deutschkurs sich nach den vorgelegten Teilnahmebestätigungen seit über einem Jahr auf Niveau A2 befinden soll. Aufgrund der sozialen Bindungen und der Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers ist davon auszugehen, dass er sich im Alltag auf Deutsch verständlich machen kann. Damit kann jedoch noch nicht gesagt werden, dass der Beschwerdeführer über maßgebliche Deutschkenntnisse verfügt.

Die übrigen Feststellungen ergeben sich aus den im Verwaltungs- bzw. Gerichtsakt einliegenden Beweismitteln und insbesondere den im gesamten Verfahren vom Beschwerdeführer gemachten eigenen Angaben, welche jeweils in Klammer zitiert und vom Beschwerdeführer zu keiner Zeit bestritten wurden.

Zum Vorbringen der beschwerdeführenden Partei:

Zu seinen Fluchtgründen brachte der Beschwerdeführer im Zuge der Erstbefragung am 31.01.2016 vor, er habe ein Mädchen geliebt und sei deswegen Alkoholiker geworden. Er sei auf der Straße mehrmals von Milizen geschlagen worden. Einmal sei er von Milizen entführt und zusammengeschlagen worden. Als sie eine Pause gemacht hätten, habe er aus der Station flüchten können. Er habe den Irak verlassen, weil die Milizen ihn hätten töten wollen.

Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt am 12.10.2017 brachte der Beschwerdeführer zwar vor, sein Vater sei wegen seiner Arbeit für die US-Amerikaner im Jahr 2009 getötet worden, er selbst habe den Irak jedoch verlassen, da er vom sunnitischen Clan der „ XXXX “ bedroht und verfolgt worden sei, weil er sich in ein Mädchen des Clans verliebt habe, das aber bereits ihrem Cousin versprochen gewesen sein soll. Er habe sie schon auf dem Schulweg kennengelernt und mit ihr vier Jahre lang eine „platonische“ Beziehung geführt. Er habe dann drei Mal mit seiner Mutter bzw. dem Onkel bei der Familie des Mädchens um die Hand angehalten. Die männlichen Familienmitglieder hätten aber immer abgelehnt und ihm mit dem Tode gedroht, falls er noch einmal fragen würde. Die sunnitischen Brüder des Mädchens würden auch einer schiitischen Miliz angehören. Der Beschwerdeführer habe das Mädchen aber trotzdem weiter täglich vor ihrer Haustür getroffen. Ihr Bruder habe das gesehen und ihm neuerlich mit dem Tode gedroht. Als er eines Tages Ende 2015 von der Arbeit nachhause gekommen sei, habe er geduscht und sich anschließend mit Freunden treffen wollen. Auf der Straße sei plötzlich ein Auto gekommen, er sei gefesselt worden, man habe ihm die Augen verbunden und ihn entführt. Seine Familie habe fünf Tage nicht gewusst, wo er sich befindet und sei er in den fünf Tagen ständig geschlagen worden. Er sei in glaublich eine große Halle gebracht worden. Man habe ihn immer wieder gefragt, was er mit dem Mädchen gemacht habe. Man habe ihn gefüttert und danach sei derjenige wieder verschwunden. Er habe sich in die Hose machen müssen, habe geschrien, aber niemand habe geantwortet. Nachbarn der Familie des Mädchens hätten ein Gespräch ihrer Brüder mitbekommen und dann der Familie des Beschwerdeführers informiert. Die Mutter sei dann zur Familie des Mädchens und habe darum gebeten, dass der Beschwerdeführer freigelassen werde und zugesagt, dass er sie fortan in Ruhe lassen würde, da sie umziehen würden. Die Familie des Mädchens habe die Beteiligung an der Entführung geleugnet. Dennoch habe ihn am fünften Tag daraufhin jemand zum Aufstehen gezwungen und in ein Auto gebracht. Die Fahrt sei lange gewesen und sei der Beschwerdeführer schlussendlich an einem Müllplatz aus dem Auto geworfen worden. Er sei von Jungs auf einem nahegelegenen Fußballplatz befreit worden und habe sie bei diesen zuhause duschen und Anziehen dürfen. Sein Bruder habe ihn dort abgeholt. Die Familie des Beschwerdeführers hätte nach dem Vorfall die Wohnung gewechselt, dennoch habe er weiterhin Kontakt mit dem Mädchen gehabt. Eines Abends sei er betrunken gewesen und habe sich von einem Freund zur Familie des Mädchens bringen lassen. Er habe sie angerufen und gesagt, sie müsse herauskommen, was sie abgelehnt habe, um ihn zu schützen. Sie habe gesagt ihre Brüder würden kommen und er sei daraufhin weggelaufen. Er habe bei einem Onkel übernachtet. Dort sei am nächsten Tag auch die übrige Familie des Beschwerdeführers hingekommen. Die Familie des Mädchens sei davon ausgegangen, dass er mit ihr Geschlechtsverkehr gehabt und sie damit in ihrer Ehre verletzt habe. Die Familie des Mädchens sei zum Beschwerdeführer nach Hause gefahren und habe auf das Haus seiner Familie geschossen. Da sie auch gewusst hätten, wo sein Onkel mütterlicherseits wohnt und sie mit den Onkeln väterlicherseits zerstritten gewesen seien, hätten sie sich entschlossen, nach XXXX zu einem Freund des Vaters des Beschwerdeführers zu flüchten, wo sie etwa einen Monat geblieben wären. Sie hätten sich Reisepässe ausstellen lassen, die Mutter habe Goldschmuck verkauft, der Bruder das Auto. Dennoch habe das Geld für eine Ausreise aller Familienangehörigen nicht gereicht, sodass diese nach Erbil geflüchtet sei, ein Bruder und der Beschwerdeführer weiter in die Türkei und der Beschwerdeführer in der Folge weiter allein nach Europa. In einem anderen Teil des Irak könne er nicht leben, da der Clan XXXX im gesamten Irak vertreten sei. Das Foto eines Täters werde im Clan herumgereicht, deswegen würde der gesamte Clan im ganzen Irak Bescheid wissen bzw. würden ihn alle erkennen. Die Hälfte aller Iraker im Flüchtlingsquartier wären ebenfalls Zugehörige des ihn verfolgenden Clans. Er fürchte, dass man ihm auch in Österreich etwas antun werde.

Im Gegensatz dazu steigerte der Beschwerdeführer sein Vorbringen in der mündlichen Beschwerdeverhandlung massiv und erweist sich das im Verlauf des gesamten Verfahrens vom Beschwerdeführer erhobenen Vorbringen zudem als ausgesprochen widersprüchlich:

So gab er im Zuge der mündlichen Verhandlung im Gegensatz zum bisherigen Vorbringen plötzlich an, er habe mit dem Mädchen auch eine sexuelle Beziehung gehabt, sie entjungfert und mit ihr in ihrem Elternhaus immer wieder Geschlechtsverkehr gehabt, wenn ihre Brüder bei der Arbeit gewesen seien und die Mutter bei anderen Familienmitgliedern zu Besuch gewesen sei. Er sei sehr um ihre Sicherheit besorgt gewesen, da die fehlende Jungfräulichkeit die Eheschließung mit dem Cousin sicherlich aufgefallen wäre. Nachdem er sie entjungfert habe, habe er drei Mal um ihre Hand gebeten, er sei aber jedes Mal abgelehnt worden. Dann habe er drei Mal versucht, sie zu entführen. Er habe mit ihr ins Ausland flüchten wollen, was aber mangels vorhandenen Reisepasses des Mädchens nicht möglich gewesen sei.

Während der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt angab, die Familie sei mit den Onkeln väterlicherseits zerstritten gewesen, gab er in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht an, er habe damals bei seinem Onkel väterlicherseits als Friseur gearbeitet. Er sei von der Arbeit nachhause gekommen, habe sich umgezogen und zum Mädchen gehen wollen (während er sich vor dem Bundesamt mit seinen Freunden habe treffen wollen). Unterwegs hätte ihm ein Fahrzeug den Weg abgeschnitten, ihm seien von hinten die Augen verbunden worden und habe man ihn in den Kofferraum des Fahrzeuges gesperrt. Dabei habe er sofort an die Brüder des Mädchens gedacht und vermutet, dass sie von ihrer fehlenden Jungfräulichkeit erfahren hätten. Er habe den Bruder des Mädchens nie kennengelernt, wisse aber, dass er für eine schiitische Miliz tätig gewesen sei (jedoch könne er nicht angeben für welche). Er sei in einen großen Raum gebracht worden (wegen des Echos) und dort befragt worden, was er mit dem Mädchen gemacht habe. Er habe alles dementiert. Sie hätten ihn dann beschimpft, geschlagen und ihn weiter befragt. Er habe in den fünf Tagen nicht auf die Toilette gehen dürfen und seine Notdurft an Ort und Stelle verrichten müssen. Er sei auch immer geknebelt gewesen.

Zudem gab der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt an, ein Nachbar der Familie des Mädchens habe ein Gespräch ihrer Brüder über den Beschwerdeführer mitgehört und dann seine Familie über den Verdacht informiert, dass diese etwas mit dem Verschwinden des Beschwerdeführers zu tun hätten. In der mündlichen Verhandlung jedoch soll es der beste Freund des Beschwerdeführers gewesen sein, der auch mit den Brüdern des Mädchens gut befreundet gewesen sein soll und von diesen zufällig gehört hätte, dass der Beschwerdeführer entführt worden wäre. Der Freund habe dann die Familie des Beschwerdeführers informiert.

Nach fünf Tagen hätten sie den Beschwerdeführer nach Bitten seiner Mutter in der Nacht nahe einem Staudamm an einem Müllplatz gefesselt, geknebelt und mit verbundenen Augen aus einem Auto geworfen. Er habe versucht den Knebel los zu werden und um Hilfe zu rufen. Es sei ihm gelungen und er habe um Hilfe gerufen. Erst in der Früh habe ihn ein ihm unbekannter Mann gehört und sei ihm zur Hilfe gekommen. Auf Vorhalt der Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt, wonach er von fußballspielenden Jungen eines nahen Fußballplatzes gefunden und befreit worden wäre, konnte der Beschwerdeführer nicht erklären. Er gab dazu lediglich an, dass er das nie gesagt hätte.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht gab der Beschwerdeführer dann an, er sei nach der Freilassung einen Monat zuhause gewesen und habe den Kontakt zum Mädchen abgebrochen, während er vor dem Bundesamt angab, dass der Kontakt weiterbestanden hätte.

Vor Gericht gab er dann an, er sei von ihr per SMS immer wieder kontaktiert worden. Eines Tages habe er sich mit einem Freund gemeinsam so betrunken, dass er nicht mehr gewusst habe, was er da macht und habe das Mädchen angerufen und sich dann vom Freund zum Haus des Mädchens bringen lassen. Er habe ihr gesagt, sie müsse die Tür öffnen, wenn er klopfe, sonst würde er herumschreien. Sie habe ihm dann die Tür geöffnet, das Gespräch müsse ihr Bruder aber gehört haben und sei herausgekommen, sodass der Beschwerdeführer geflüchtet sei. Er sei vom Bruder nicht gesehen worden, habe sich aber trotzdem beim Onkel väterlicherseits in der Provinz Maissan/ XXXX versteckt. Eine Stunde später habe ihn sein Bruder angerufen und davon berichtet, dass auf das Haus der Familie des Beschwerdeführers in Bagdad geschossen worden sei. Sie seien dann gemeinsam zur Polizei gegangen und hätten den Vorfall angezeigt.

Dazu muss ausgeführt werden, dass zwischen der Hauptstadt der Provinz Maissan/ XXXX , XXXX , und dem Zentrum von Bagdad rund 370 Kilometer liegen. Es ist daher nicht nachvollziehbar, wie der Beschwerdeführer so schnell dorthin gelangen konnte, um dann – der vorgelegten Anzeige vom 14.09.2015 bzw. dem Gerichtsbeschluss vom 19.09.2015 nach – am Tag darauf eine Anzeige in Bagdad zu erstatten.

Wenn auch grundsätzlich nur das pauschale Verweisen auf eine Fälschungsmöglichkeit nicht genügt, um von einer Dokumentenfälschung auszugehen (vgl VwGH vom 01.03.2019, Ra 2018/18/0446), so können im gegenständlichen Fall in einer Gesamtbetrachtung der bereits ausführlich aufgezeigten, massiven Widersprüche im Vorbringen des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund der notorisch bekannten Fälschungsmöglichkeiten derartiger Dokumente im Irak, der nicht vorhandenen Überprüfungsmöglichkeit der Authentizität und dem Umstand, dass der Beschwerdeführer die Dokumente nicht selbst aus dem Irak mitbrachte, sondern nur eine Kopie/Fotografie vorlegte, kein maßgeblicher Beweiswert beigemessen werden. Das Bundesverwaltungsgericht geht im konkreten Fall aus den angeführten Gründen von der Fälschung dieser Dokumente aus. Selbst bei Wahrunterstellung der Dokumente würde sich daraus aber nur ergeben, dass der Beschwerdeführer bei der Polizei um Schutz ersucht und diesen offensichtlich – soweit möglich – erhalten hat.

Auch zum Video auf dem vom Beschwerdeführer vorgelegten USB-Stick ist auszuführen, dass diesem mangels Identifizierbarkeit seiner Angehörigen und auch mangels Nachprüfbarkeit kein relevanter Beweiswert zugemessen werden kann.

Würde darüber hinaus das Vorbringen des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt und insbesondere der Beschwerde, er werde vom Clan der XXXX derart bedroht, dass er auch in der Asylunterkunft keinem von seinen Fluchtgründen erzählt habe, weil die Hälfte der dort untergebrachten Iraker diesem Clan angehöre und er wäre auch im gesamten Irak von dem Clan bedroht, den Tatsachen entsprechen, wäre der Beschwerdeführer sicher nicht Geschäftspartner eines Clanmitgliedes, wie er es tatsächlich nunmehr ist. Dazu ergibt sich nämlich aus dem aktenkundigen Firmenbuchauszug der KG, dass der zweite unbeschränkt haftende Gesellschafter der KG dem Namen nach genau diesem Clan angehört.

Schlussendlich konnte der Beschwerdeführer die von ihm vorgebrachte, ihn persönlich treffende Bedrohung keineswegs glaubhaft machen. Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers erweist sich somit in seiner Gesamtheit als unglaubwürdig, zumal sich daraus derart massive Widersprüche ergeben, die auch nicht mit Nervosität oder zwischenzeitlich vergangener Zeit erklärt bzw. gerechtfertigt werden könnten.

Während des gesamten Verfahrens hat der Beschwerdeführer somit keine einzige in konkret und persönlich treffende Verfolgungsgefahr oder Bedrohung glaubhaft vorgebracht.

Generell kann dem Vorbringen des Beschwerdeführers, schiitische Milizen unterlägen keiner durchgehenden staatlichen Kontrolle, würden organisierte Kriminalität (darunter auch Schutzgelderpressungen, Entführungen gegen Lösegeld) als Einnahmequelle heranziehen und Menschenrechtsverletzungen, insbesondere an Sunniten, begehen, nicht entgegengetreten werden. In Anbetracht der oben angeführten beweiswürdigenden Erwägungen und dem Umstand, dass sich der Beschwerdeführer während einer besonders kritischen Zeit zwischen 2009 und Ende 2015 ohne jegliche Probleme im Irak aufgehalten hat, ist im gegenständlichen Fall unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Beschwerdeführer schiitischer Araber ist und eine derart prekäre Situation zwischen Schiiten und Sunniten wie in den Jahren bis 2015 den Länderberichten zufolge aktuell nicht mehr besteht, nicht davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr seitens schiitischer Milizen konkrete Bedrohung oder Verfolgung drohen würde.

Aus den aktuellen Länderberichten zur Sicherheitslage bezogen auf die Hauptstadt Bagdad ergibt sich, dass der IS inzwischen wieder versucht, seine Aktivitäten insbesondere in der Peripherie der Hauptstadt, somit dem äußeren Norden, Süden und Westen, zu erhöhen. Es ist sowohl im Juni als auch im September 2019 zu Selbstmordattentaten sowie zu fünf Angriffen mit „Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ (IEDs) in der Stadt Bagdad gekommen. Im Zeitraum von Juli bis September 2019 wurden insgesamt 54 sicherheitsrelevante Vorfälle im Gouvernement Bagdad mit 34 Toten und 73 Verletzten verzeichnet. Auch die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar. In diesem Zusammenhang kam es konkret Bagdad betreffend im September 2019 zu Raketeneinschlägen in der Grünen Zone, nahe der US-amerikanischen Botschaft, die pro-iranischen Milizen zugeschrieben werden. Seit 01.10.2019 kam es weiters in mehreren Gouvernements (Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiya, Dhi Qar, Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala, Najaf, Diyala, Kirkuk und Salah ad-Din) zu teils gewalttätigen Demonstrationen. Die Proteste richten sich gegen Korruption, die hohe Arbeitslosigkeit und die schlechte Strom- und Wasserversorgung, aber auch gegen den iranischen Einfluss auf den Irak. Im Zuge dieser Demonstrationen wurden mehrere Regierungsgebäude sowie Sitze von Milizen und Parteien in Brand gesetzt. Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) gingen unter anderem mit scharfer Munition gegen Demonstranten vor. Außerdem gibt es Berichte über nicht identifizierte Scharfschützen, die sowohl Demonstranten als auch Sicherheitskräfte ins Visier genommen haben sollen. Premierminister Mahdi kündigte eine Aufklärung der gezielten Tötungen an. Von 02.10.2019 bis 05.10.2019 wurde eine Ausgangssperre ausgerufen und eine Internetblockade von 04.10.2019 bis 07.10.2019 implementiert. Nach einer kurzen Ruhephase gingen die gewaltsamen Proteste am 25.10.2019 weiter und forderten bis zum 30.10.2019 weitere 74 Menschenleben und 3.500 Verletzte. Insbesondere betroffen waren bzw. sind die Städte Bagdad, Nasiriyah, Hillah, Basra und Kerbala. Am 28.10.2019 wurde eine neue Ausgangssperre über Bagdad verhängt, der sich jedoch tausende Demonstranten widersetzen. Über 250 Personen wurden seit Ausbruch der Proteste am 01.10.2019 bis zum 29.10.2019 getötet und mehr als 8.000 Personen verletzt. Weiters kommt es im Konflikt zwischen den USA, dem Iran und den schiitischen Milizen im Irak zu Raketeneinschlägen in Bagdad bis in die Grüne Zone sowie die US-amerikanische Botschaft. Auch Stützpunkte US-amerikanischer Soldaten wurden angegriffen.

Bezogen auf die übrige Sicherheitslage im Irak, insbesondere hinsichtlich der Provinzen im Nord- und Zentralirak ergeben sich ernst zu nehmende Reorganisationsbemühungen des IS, steigende Anschlagsaktivitäten insbesondere in Diyala und Kirkuk und laufende Militäroperationen, „Operation Will of Victory“ der irakischen Sicherheitskräfte, der Stammes- und Volksmobilisierungseinheiten und Kampfflugzeugen der US-Streitkräfte.

Sofern in der gegenständlichen Beschwerde ganz allgemeine Problemlagen im Irak und in der Herkunftsregion (Bagdad) des Beschwerdeführers aufgezeigt werden, lässt der Beschwerdeführer damit seine unmittelbare Betroffenheit nicht erkennen. So brachte der Beschwerdeführer keine (glaubhaften) konkreten/besonderen Probleme aufgrund seiner persönlichen Stellung, seines Geschlechtes oder seines Alters vor, sondern können letztlich nur allgemein auf allfällige diesbezügliche Problemlagen im Herkunftsstaat verweisen. Auch Probleme mit herkunftsstaatlichen Behörden wurden nicht vorgebracht.

Zur Situation bezüglich des Corona-Virus ergibt sich, dass im Irak – wie fast allen übrigen Staaten – entsprechende Maßnahmen durch Ausgangsbeschränkungen und Abstandsregeln sowie vorübergehendem Schließen von Grenzen und Flughäfen gesetzt wurden. Die Gesamtzahl an Erkrankungen (zum 26.05.2020 gesamt bestätigt: 4.632) und Todesfällen (zum 26.05.2020 gesamt bestätigt: 163) erweist sich im Verhältnis zur Gesamtbevölkerungszahl von über 35 Millionen Einwohnern und den teils – insbesondere bezogen auf die Flüchtlingscamps – prekären allgemeinen Bedingungen als verhältnismäßig sehr gering. Die medizinische Versorgung in der Hauptstadt in Bagdad, wo der Beschwerdeführer auch noch Familie hat, ist dort am besten und ehesten gewährleistet. Es kann nicht erkannt werden, dass der Beschwerdeführer durch eine Rückkehr in den Irak einem höheren Risiko ausgesetzt wäre, an COVID-19 zu erkranken, als in Österreich. Darüber hinaus kommt eine Rückführung aufgrund des derzeit eingeschränkten Reiseverkehrs nicht unverzüglich in Betracht.

Insbesondere wurden in der gegenständlichen Beschwerde, der mündlichen Verhandlung und der nachfolgenden Stellungnahme keine, den seitens der belangten Behörde und des erkennenden Gerichtes jeweils in das Verfahren eingeführten Länderberichten entgegenstehenden oder anderslautenden, Berichte vorgebracht, die eine andere Beurteilung des gegenständlichen Falles erfordern würden.

Zusammenfassend ist im Lichte der ins Verfahren eingebrachten Länderfeststellungen sowie der konkreten familiären Situation des Beschwerdeführers auch festzuhalten, dass er im Falle einer Rückkehr in den Irak nicht in eine existenz- und lebensbedrohende Notlage geraten würde, was in weiterer Folge in der rechtlichen Beurteilung noch dargestellt wird.

Die Feststellung betreffend die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in den Irak beruht darauf, dass der Beschwerdeführer - wie in der rechtlichen Beurteilung näher ausgeführt - keine konkreten Angaben dahingehend getätigt hat, denen zufolge gegenwärtig eine rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung anzunehmen gewesen wäre. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG aus von dem Beschwerdeführer zu vertretenden Gründen nicht möglich wäre (§ 52 Abs. 9 FPG).

Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den von ihr in das Verfahren eingebrachten und im Bescheid angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen. Die belangte Behörde hat dabei Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt. Diese Quellen liegen dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vor und decken sich im Wesentlichen mit dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgericht, das sich aus der ständigen Beachtung der aktuellen Quellenlage (Einsicht in aktuelle Berichte zur Lage im Herkunftsstaat) ergibt.

Darüber hinaus brachte das Bundesverwaltungsgericht für den konkreten Fall maßgebliche und zum Entscheidungszeitpunkt aktuelle Länderberichte bereits im Zuge der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung, während der mündlichen Verhandlung und auch nach der mündlichen Verhandlung in das gegenständliche Verfahren ein. Die Rechtsvertretung gab dazu eine schriftliche Stellungnahme ab, in welcher die in das Verfahren eingeführten Länderberichte nicht bestritten wurden. Bei den angeführten Quellen handelt es sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation im Irak ergeben.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf eine Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention – GFK, droht.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (VwGH 15.03.2001, 99/20/0036; 15.03.2001, 99/20/0134). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 29.03.2001, 2000/20/0539; 17.03.2009, 2007/19/0459).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459; 28.05.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031; 06.11.2009, 2008/19/0012). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011; 28.05.2009, 2008/19/1031). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid (bzw. das Asylerkenntnis) erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 17.09.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichen Schutzes einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinn ist die Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat nicht gewillt oder nicht in der Lage sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793).

Vorliegend ist festzuhalten, dass dem Vorbringen im Ergebnis keine Asylrelevanz zukommt:

Im gegenständlichen Fall gelangte das Bundesverwaltungsgericht aus den oben im Rahmen der Beweiswürdigung erörterten Gründen zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer keiner individuellen Verfolgung im Herkunftsstaate ausgesetzt waren oder im Fall der Rückkehr ausgesetzt wären, sodass internationaler Schutz nicht zu gewähren ist. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedenfalls nicht, um den Status eines Asylberechtigten zu erhalten (VwGH vom 15.12.2015, Ra 2015/18/0100). Ferner liegen keine Anhaltspunkte vor, dass dem Beschwerdeführer eine über die allgemeinen Gefahren der im Irak gebietsweise herrschenden bürgerkriegsähnlichen Situation hinausgehende Gruppenverfolgung droht.

Eine systematische Verfolgung und Diskriminierung von schiitischen Arabern im Irak, insbesondere in der Heimatregion der Beschwerdeführer (Bagdad), durch staatliche Stellen oder Privatpersonen kann im Lichte der vorliegenden Länderberichte nicht festgestellt werden, zumal auch etliche Familienangehörige des Beschwerdeführers wieder unbehelligt in Bagdad leben.

Demzufolge lässt sich eine aktuelle Verfolgung des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr aus einer der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe nicht erkennen.

Zur Abweisung des Asylantrages sei erwähnt, dass auch ein wirtschaftlicher Nachteil unter bestimmten Voraussetzungen als Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu qualifizieren sein kann, im Ergebnis jedoch nur dann, wenn durch den Nachteil die Lebensgrundlage massiv bedroht ist und der Nachteil in einem Kausalzusammenhang mit den Gründen der Flüchtlingskonvention steht. Eine solche Bedrohung der Lebensgrundlage ist den Feststellungen zufolge nicht gegeben und ein derartiger Kausalzusammenhang ist im vorliegenden Fall auch nicht ersichtlich.

Entsprechend den oben getätigten Ausführungen ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, darzutun, dass ihm im Herkunftsstaat Irak asylrelevante Verfolgung droht, weshalb die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen war.

Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Die Voraussetzungen dafür, einem Asylwerber gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 subsidiären Schutz zu gewähren, unterscheiden sich im Ergebnis nicht von jenen nach § 8 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 in Verbindung mit § 57 Abs. 1 FrG (VwGH 19.02.2004, 99/20/0573; 28.06.2005, 2005/01/0080), weshalb zur Auslegung die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu diesen Bestimmungen herangezogen werden kann.

Nach dieser Rechtsprechung ist Voraussetzung für eine positive Entscheidung betreffend den subsidiären Schutz, dass eine konkrete, den Asylwerber betreffende, aktuelle, durch staatliche Stellen zumindest gebilligte oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt von diesen nicht abwendbare Gefährdung bzw. Bedrohung vorliege.

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 MRK gewährleisteten oder anderer in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erwähnter Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Landes in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 FrG gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 08.06.2000, 99/20/0203; 17.09.2008, 2008/23/0588). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 MRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 20.06.2002, 2002/18/0028; 06.11.2009, 2008/19/0174).

Gemäß § 8 Abs. 3 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Asylantrag auch in Bezug auf den subsidiären Schutz abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

Der Asylwerber hat glaubhaft zu machen, dass er aktuell bedroht sei, dass die Bedrohung also im Fall seiner Abschiebung in dem von seinem Antrag erfassten Staat gegeben wäre und durch staatliche Stellen zumindest gebilligt wird oder durch sie nicht abgewendet werden kann. Gesichtspunkte der Zurechnung der Bedrohung im Zielstaat zu einem bestimmten "Verfolgersubjekt" sind nicht von Bedeutung; auf die Quelle der Gefahr im Zielstaat kommt es nicht an (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509; 22.08.2006, 2005/01/0718). Diese aktuelle Bedrohungssituation ist mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender Angaben darzutun, die durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert werden (VwGH 02.08.2000, 98/21/0461; 25.01.2001, 2001/20/0011). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214).

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Unter „realer Gefahr“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen („a sufficiently real risk“) im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560).

Die Anerkennung des Vorliegens einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person, die als Zivilperson die Gewährung von subsidiären Schutz beantragt, setzt nicht voraus, dass sie beweist, dass sie aufgrund von ihrer persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist. Eine solche Bedrohung liegt auch dann vor, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls in die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EUGH 17.02.2009, Elgafaji, C-465/07, Slg. 2009, I-0000, Randnr. 45).

Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH vom 31.03.2005, 2002/20/0582, 2005/20/0095). Dabei kann bei der Prüfung von außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten nur dann in der Außerlandesschaffung des Antragsstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK liegen, wenn außergewöhnliche, exzeptionelle Umstände, glaubhaft gemacht sind (vgl. EGMR, Urteil vom 06.02.2001, Beschwerde Nr. 44599/98, Bensaid v United Kingdom; VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443).

Wie bereits oben ausgeführt wurde, hat der Beschwerdeführer keine ihn konkret drohende aktuelle, an asylrelevante Merkmale im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität bzw. keine für eine aktuell drohende unmenschliche Behandlung oder Verfolgung sprechende Gründe vorgebracht. Wie bereits oben zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ausgeführt wurde, kann daher nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer im Irak eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete Verfolgung maßgeblicher Intensität droht.

Dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden.

Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

Konkrete Anhaltspunkte, dass der Beschwerdeführer einer Gefahr ausgesetzt sein würde, liegen nicht vor. Zudem hat der Beschwerdeführer auch im Rahmen der Beschwerde kein substanziiertes Vorbringen dahingehend erstattet, noch kann aus den Feststellungen zur Lage im Irak abgeleitet werden, dass er alleine schon aufgrund der bloßen Anwesenheit in Bagdad mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer individuellen Gefährdung durch Anschlagskriminalität oder bürgerkriegsähnliche Zustände ausgesetzt wäre.

Es kann auch nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre. Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen arbeitsfähigen Mann, bei welchem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Er wurde im Irak sozialisiert, ist dort aufgewachsen und verfügt dort über ein soziales Netz. Der Beschwerdeführer hat noch zwei verheiratete Brüder und zwei Schwestern, die alle wieder in Bagdad leben. Außerdem hat er noch einen Onkel in Missan. Zu seiner Familie hat er regelmäßig Kontakt über das Internet. Es ist daher davon auszugehen, dass ihn seine Familienangehörigen im Falle seiner Rückkehr wieder bei sich aufnehmen und ihm zumindest Unterkunft und/oder (finanzielle) Unterstützung gewähren würde. Von einer hinreichenden Absicherung seiner Grundbedürfnisse kann somit ausgegangen werden.

Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde (vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 18.07.2003, 2003/01/0059), liegt nicht vor.

Durch die Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in seinen Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden.

Weder droht ihm im Herkunftsstaat das reale Risiko einer Verletzung der oben genannten gewährleisteten Rechte, noch bestünde konkret die Gefahr einer Todesstrafe. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

Letztlich war zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer zu keiner Zeit den vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingebrachten Feststellungen und Erwägungen zur Zumutbarkeit und Möglichkeit der Rückkehr in den Irak substanziiert entgegengetreten ist und in weiterer Folge auch nicht dargelegt hat, wie sich eine Rückkehr in den Herkunftsstaat konkret auf seine individuelle Situation auswirken würde, insbesondere inwieweit der Beschwerdeführer durch die Rückkehr einem realen Risiko einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre.

Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.

Zu den Spruchpunkten III. und IV. des angefochtenen Bescheides:

Der mit „Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme“ betitelte § 10 AsylG lautet:

„§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt.“

Der mit „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ betitelte § 57 AsylG 2005 lautet wie folgt:

„§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.

(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.

(4) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können.“

Der Beschwerdeführer reiste spätestens zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung am 30.01.2016 in das Bundesgebiet ein und ist sein Aufenthalt nicht geduldet. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt im Bundesgebiet. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur behauptet wurde.

Im vorliegenden Verfahren erfolgte die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz im Hinblick auf den Status des subsidiär Schutzberechtigten auch nicht gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 und ist auch keine Aberkennung gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 ergangen, wie aus dem Verfahrensgang ersichtlich ist.

Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Der Beschwerdeführer ist als Staatsangehöriger des Irak kein begünstigter Drittstaatsangehöriger.

Der Beschwerdeführer hat das Bundesgebiet seit seiner Einreise Ende Jänner 2016 nicht mehr verlassen.

Es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu. Mit der erfolgten Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz endet grundsätzlich das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung.

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,4. der Grad der Integration,5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechtes ist gemäß Abs. 2 leg. cit. nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art 8 Abs. 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Der Beschwerdeführer hat keine familiären Bindungen in Österreich. Jedoch lebt er mit seiner österreichischen Freundin seit etwa einem halben Jahr im gemeinsamen Haushalt und ist beiderseits eine Heirat geplant. Insofern liegt ein schützenswertes Familienleben iSd Art. 8 EMRK vor.

Der Begriff des Privatlebens iSd Art. 8 EMRK ist weit zu verstehen und umfasst das persönliche und berufliche Umfeld eines Menschen, in dem er mit anderen interagiert. Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR ist die Gesamtheit der sozialen Beziehungen zwischen einem ansässigen Migranten und der Gemeinschaft, in der er lebt, integraler Bestandteil des Begriffs des Privatlebens (EGMR 13.10.2011, 41548/06, Trabelsi/DE; EGMR [GK] 23.06.2008, 1638/03, Maslov/AT). Dazu zählen auch berufliche und geschäftliche Beziehungen. Wie stark das Privatleben ausgeprägt ist, hängt in erster Linie von der Dauer des Aufenthalts ab. Für die Annahme eines in den Schutzbereich von Art. 8 EMRK fallenden Privatlebens ist keine konkrete Mindestaufenthaltsdauer erforderlich. Die bereits in Österreich verbrachte Zeit und die dabei erfolgte Integration ist erst bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten (vgl. Peyerl/Czech in Abermann ua. (Hrsg), NAG § 11 Rz 38).

Im Falle einer bloß auf die Stellung eines Asylantrags gestützten Aufenthalts wurde in der Entscheidung des EGMR (N. gegen United Kingdom vom 27.05.2008, Nr. 26565/05) auch ein Aufenthalt in der Dauer von zehn Jahren nicht als allfälliger Hinderungsgrund gegen eine Ausweisung unter dem Aspekt einer Verletzung von Art. 8 EMRK thematisiert.

In seiner davor erfolgten Entscheidung Nnyanzi gegen United Kingdom vom 08.04.2008 (Nr. 21878/06) kommt der EGMR zu dem Ergebnis, dass bei der vorzunehmenden Interessensabwägung zwischen dem Privatleben des Asylwerbers und dem staatlichen Interesse eine unterschiedliche Behandlung von Asylwerbern, denen der Aufenthalt bloß aufgrund ihres Status als Asylwerber zukommt, und Personen mit rechtmäßigem Aufenthalt gerechtfertigt sei, da der Aufenthalt eines Asylwerbers auch während eines jahrelangen Asylverfahrens nie sicher ist. So spricht der EGMR in dieser Entscheidung ausdrücklich davon, dass ein Asylweber nicht das garantierte Recht hat, in ein Land einzureisen und sich dort niederzulassen. Eine Abschiebung ist daher immer dann gerechtfertigt, wenn diese im Einklang mit dem Gesetz steht und auf einem in Art 8 Abs. 2 EMRK angeführten Grund beruht. Insbesondere ist nach Ansicht des EGMR das öffentliche Interesse jedes Staates an einer effektiven Einwanderungskontrolle jedenfalls höher als das Privatleben eines Asylwerbers; auch dann, wenn der Asylwerber im Aufnahmestaat ein Studium betreibt, sozial integriert ist und schon zehn Jahre im Aufnahmestaat lebte.

Einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren kommt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ohne Hinzutreten weiterer maßgeblicher Umstände noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zu (VwGH vom 15.03.2016, Zl. Ra 2016/19/0031 mwN). Diesbezüglich ist auf die höchstgerichtliche Judikatur zu verweisen, wonach selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht und sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt, weshalb diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (VwGH vom 06.11.2009, Zl. 2008/18/0720; und vom 25.02.2010, Zl. 2010/18/0029).

Der Beschwerdeführer reiste Ende Jänner 2016 in das Bundesgebiet ein und hat dieses seither nicht mehr verlassen. Er hält sich zum Entscheidungszeitpunkt daher etwas über vier Jahre im Bundesgebiet auf. Er ging bis zur Aufnahme seiner selbstständigen Tätigkeit als Friseur keiner sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nach und lebte von der Grundversorgung. Seit Mitte September bezieht der Beschwerdeführer keine Grundversorgungsleistungen mehr und ist als Kommanditist an einer Friseur-KG beteiligt. Er verfügt über eine Gewerbeberechtigung. Die den Feststellungen zu entnehmenden Umsätze des Friseursalons, wenngleich dabei zu berücksichtigen ist, dass der Beschwerdeführer und seine Partner diesen erst vor etwa einem halben Jahr übernommen haben, sind jedoch verhältnismäßig gering bzw. unstet, auch wenn er seiner Lebensgefährtin monatlich EUR 150,00 für anteilige Betriebskosten für deren Wohnung leistet und sich darüber hinaus an den gemeinsamen Verpflegungskosten beteiligt. Aufgrund des kurzen Zeitraumes der selbstständigen Tätigkeit und auch der allgemein schwierigen Wirtschaftslage als Folge der COVID-19-Pandemie und in diesem Zusammenhang zu setzenden Maßnahmen kann somit nicht gesagt werden, dass der Beschwerdeführer zukünftig keine öffentlichen Leistungen mehr beanspruchen werden muss bzw. mit Sicherheit selbst für seinen Lebensunterhalt aufkommen wird können, zumal sein monatliches Einkommen teilweise erheblich unter der Höhe einer allfälligen Mindestsicherung liegt bzw. diese nur unerheblich übersteigt.

Er absolviert in Österreich zwar einige wenige Kurse/Ausbildungen, ist aber nicht ehrenamtlich oder in Vereinen engagiert und konnte mangels Deutschsprachzertifikat auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer über maßgebliche tatsächliche Deutschkenntnisse verfügt. Dazu ist auszuführen, dass selbst Sprachkenntnisse allein noch nicht ausreichen würden, um die fortgeschrittene oder gar vollständige Integration eines Fremden in Österreich annehmen zu können, wenngleich der Spracherwerb und der tatsächliche Wille, die deutsche Sprache zu erlernen, zweifellos ein wesentliches Kriterium bei der Beurteilung der Integration in Österreich darstellen. Die sich schon aus der Aufenthaltsdauer in Österreich ergebenden privaten Bindungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sind bei der Beurteilung seines Privatlebens zu seinen Gunsten zu berücksichtigen.

Das Gewicht seines Aufenthalts ist allerdings vor dem Hintergrund der relativ kurzen Verfahrensdauer in Österreich und dem Umstand, dass ihm die Ungewissheit seines weiteren Verbleibes in Österreich bewusst sein musste, maßgeblich dadurch abgeschwächt, dass der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt von einem sicheren Aufenthalt in Österreich ausgehen konnte.

Darüber hinaus wurde der Beschwerdeführer auch wegen sexueller Belästigung und öffentlicher geschlechtlicher Handlung rechtkräftig zu einer Geldstrafe bzw. Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt. Wenngleich die Tat wesentlich der starken Alkoholisierung des Beschwerdeführers zuzuschreiben war, lag – dem Strafurteil zufolge – keine die Zurechnungsfähigkeit ausschließende Alkoholisierung vor. Der Beschwerdeführer musste sich auch schon aufgrund seiner Erlebnisse im Irak darüber bewusst sein, dass sich sein Verhalten in alkoholisiertem Zustand erheblich verändert. Dennoch hat er Alkohol konsumiert.

Insgesamt liegen daher keine Anhaltspunkte einer berücksichtigungswürdigen Integration in sprachlicher, beruflicher oder gesellschaftlicher Hinsicht vor.

Aufgrund dieser Gesamtumstände ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer einen so wesentlichen Grad an Integration erreicht hat, der eine Rückkehrentscheidung unzulässig erscheinen ließe. Die Schutzwürdigkeit des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers in Österreich ist aufgrund dessen auch nur in geringem Maße gegeben.

In einer solchen Konstellation wiegt zudem das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung besonders schwer, zumal von den Beteiligten zu keiner Zeit von einem (rechtmäßigen) Verbleib der beschwerdeführenden Parteien in Österreich hätte ausgegangen werden dürfen. Angesichts dessen sind auch Schwierigkeiten bei der Gestaltung der Lebensverhältnisse, die infolge der gemeinsamen Ausreise der Familie oder infolge alleiniger Rückkehr der beschwerdeführenden Parteien auftreten, im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. VwGH vom 15.03.2016, Zl. Ra 2015/21/0180).

Der nunmehr XXXX -jährige Beschwerdeführer hat die überwiegende Zeit seines Lebens im Irak verbracht, wurde dort sozialisiert und war dort auch erwerbstätig. Er spricht Arabisch und leben seine zwei Brüder mit ihren Frauen sowie zwei Schwestern wieder in Bagdad. Ein Onkel des Beschwerdeführers lebt in Missan. Er verfügt im Irak daher nach wie vor über familiäre und wohl auch private Anknüpfungspunkte.

Vor dem Hintergrund der durchgeführten Abwägung und den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen und im Lichte des Art. 8 EMRK als verhältnismäßig anzusehen ist.

Die Verhängung der Rückkehrentscheidung war daher nicht zu beanstanden und erscheint auch nicht unverhältnismäßig.

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

Nach § 50 Abs. 2 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

Nach § 50 Abs. 3 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

Die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der vorliegenden Entscheidung keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, des Verfassungsgerichtshofes und des EGMR zu Fragen des Asyls, zur Überschreitung der Eingriffsschwelle des Art. 3 EMRK und zu Fragen des Art. 8 EMRK ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich bei allen erheblichen Rechtsfragen an der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, des Verfassungsgerichtshofes und des EGMR orientiert und hat diese – soweit erforderlich – auch zitiert.

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