VwGH Ra 2018/18/0446

VwGHRa 2018/18/04461.3.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Sutter als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des A B, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Jänner 2018, Zl. L524 2117691- 2/19E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §3;
AVG §45 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018180446.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 23. November 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2 Zu den Gründen für seine Flucht brachte er - zusammengefasst - vor, dass er nach Absolvierung der Polizeischule von 2004 bis 2010 in einer Spezialeinheit bei den Amerikanern als Ausbildner gearbeitet habe. Er sei an der Festnahme eines hochrangigen Milizführers im Jahr 2007 maßgeblich beteiligt gewesen. Seit dessen Verhaftung sei er bedroht worden. Im Juli 2014 sei der Milizführer aus dem Gefängnis entlassen worden und der Revisionswerber auch persönlich von diesem bedroht worden. Am 10. November 2014 seien bewaffnete Milizen gekommen und hätten das Haus des Revisionswerbers in die Luft gesprengt und sein Auto angezündet. Er sei mit seiner Familie durch die Hintertüre zu den Nachbarn geflohen. Der Milizführer sei entschlossen, den Revisionswerber zu töten.

3 Mit Bescheid vom 19. August 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte eine befristete Aufenthaltsbewilligung (Spruchpunkt III.).

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet ab. Die Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

5 Begründend führte das BVwG aus, das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers sei nicht glaubhaft, insbesondere sei nicht glaubhaft, dass der Revisionswerber Polizist gewesen sei oder dem Militär angehört habe. Selbst bei Wahrunterstellung des Vorbringens des Revisionswerbers handle es sich dabei um eine befürchtete Verfolgung durch eine Privatperson aus nicht asylrelevanten Gründen. Dass die irakischen Behörden aus asylrelevanten Gründen nicht gewillt gewesen seien, dem Revisionswerber Schutz zu gewähren, sei weder vorgebracht worden, noch ersichtlich.

6 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit und in der Sache mit näherer Begründung insbesondere geltend macht, dem angefochtenen Erkenntnis hafteten wesentliche Ermittlungs- und Begründungsmängel sowie eine unvertretbare und nicht nachvollziehbare Beweiswürdigung an.

7 Das BFA hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

 

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Die Revision ist zulässig, sie ist auch begründet. 10 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass eine im Einzelfall

vorgenommene, nicht als grob fehlerhaft erkennbare Beweiswürdigung im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufwirft (vgl. VwGH 22.2.2017, Ra 2014/13/0028). Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt - als Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - allerdings dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 6.9.2016, Ra 2016/18/0192, mwN).

11 Dabei hat der Verwaltungsgerichtshof zur Begründungspflicht bereits wiederholt ausgesprochen, dass das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise auch die Pflicht hat, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. VwGH 19.12.2017, Ra 2017/18/0260, mwN).

12 Die beweiswürdigenden Erwägungen des BVwG stützen sich in zentraler Weise auf das Aufzeigen von Widersprüchen im Vorbringen und in den Aussagen des Revisionswerbers. Wie die Revision zutreffend vorbringt, findet sich jedoch keine umfassende Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Revisionswerbers bezüglich seiner Tätigkeit in einer mit US-Truppen zusammenarbeitenden Spezialeinheit. Insbesondere ging das BVwG auf die vom Revisionswerber vorgelegten Lichtbilder, die diesen bei der Arbeit in Uniform zeigen, nur pauschal und oberflächlich ein, indem es diese mit dem Hinweis abtat, dass die Entstehungsgeschichte der Fotos unklar sei, und würdigte die vorgelegten Dienstausweise im Wesentlichen nur dahingehend, dass im Irak jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, gegen Bezahlung beschafft werden könne. Dabei unterlässt es das BVwG jedoch, sich mit dem Vorbringen des Revisionswerbers und den vorgelegten Beweismitteln in der gebotenen Weise, etwa durch nähere Befragung des Revisionswerbers oder Einholung näherer Länderinformationen, auseinanderzusetzen.

13 Diesem Verfahrensmangel kann auch die Relevanz nicht abgesprochen werden, weil nicht auszuschließen ist, dass das BVwG aufgrund zusätzlicher Ermittlungen zu dem Ergebnis kommen könnte, dass die behauptete Tätigkeit des Revisionswerbers als glaubhaft zu erachten ist, wobei sich diese Tätigkeit unter Berücksichtigung einschlägiger Länderberichte auch als asylrelevant erweisen könnte.

14 Das BVwG wird sich daher im fortgesetzten Verfahren eingehender mit dem vom Revisionswerber erstatteten Fluchtvorbringen und den vorgelegten Beweismitteln (Dienstausweis, Fotos), insbesondere durch Befragen des Revisionswerbers und/oder durch spezifische länderkundliche Ermittlungen, auseinanderzusetzen haben.

15 Das angefochtene Erkenntnis war aus diesen Gründen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

16 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 1. März 2019

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