BVwG W208 1420652-3

BVwGW208 1420652-324.7.2019

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W208.1420652.3.00

 

Spruch:

W208 1420652-3/12E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ewald SCHWARZINGER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit AFGHANISTAN, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Martin SAUSENG, 8010 GRAZ, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid des BUNDESAMTES FÜR FREMDENWESEN UND ASYL, Regionaldirektion Tirol vom 14.03.2019, Zl. 13-810712409-180045602, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

 

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) hat nach schlepperunterstützter und unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 12.07.2011 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG) gestellt. Bei der Erstbefragung gab er an vor ca 1 Jahr von seinem Heimatdorf aus über den IRAN und die TÜRKEI nach GRIECHENLAND geflüchtet und dort 10 Monate gewesen zu sein, bevor er versteckt auf der Ladefläche eines LKW nach Österreich gekommen sei. Als Fluchtgrund führte er Grundstücksstreitigkeiten an (Erstbefragung, Seite 3; AS 29).

 

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.07.2011 wurde sein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Abs 1 Ziffer 13 AsylG 2005 (AsylG)" abgewiesen (Spruchpunkt I.), ebenso wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Absatz 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.) und wurde er gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG nach Afghanistan ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

 

3. Eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde gegen alle Spruchpunkte wurde vom ASYLGERICHTSHOF (AsylGH) mit Erkenntnis vom 28.11.2013, Zl. C10 420652-1/2011/5E, rechtskräftig hinsichtlich Spruchpunkt I. als unbegründet abgewiesen. Die Spruchpunkte II. und III. wurden aufgehoben und zur neuerlichen Entscheidung an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

 

Den Feststellungen des AsylGH (Seite 3/AS 199) ist zu entnehmen, dass der BF behauptete in einem näher genannten Dorf in PAKTIA geboren, dort aufgewachsen und 4 Jahre zur Schule gegangen zu sein; ab seinem 11. bis zum 14. Lebensjahr habe er als Hirte und sodann im familieneigenen Geschäft mitgearbeitet. Die Eltern, die Geschwister sowie mehrere Onkel und Tanten des BF würden noch im Heimatdorf leben.

 

Er sei Paschtune und bekenne sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache sei Paschtu. Er sei ledig, nicht verlobt und habe keine Kinder.

 

Ein konkreter Anlass für das fluchtartige Verlassen des Herkunftsstaates konnte der AsylGH nicht feststellen; auch nicht, dass er im Fall einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt wäre.

 

Zur Aufhebung des Spruchpunktes II. führte der AsylGH aus, dass das Bundesasylamt keine ausreichenden Feststellungen zur Heimatprovinz des BF und zur unterstellten alternativen Niederlassungs- und Existenzsicherungsmöglichkeit in KABUL getroffen habe.

 

4. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 05.02.2015 wurde dem BF gemäß § 8 Absatz 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt I.) und wurde ihm gemäß § 8 Abs 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 06.02.2016 erteilt (Spruchpunkt II.).

 

In der Begründung dieses Bescheides (Seite 14/AS 598) wurde zur Situation im Fall der Rückkehr das Folgende festgestellt (Hervorhebung durch BVwG):

 

"Auf Grund der extremen Sicherheitslage in Ihrer Heimatregion PAKTIA wären bei einer Rückkehr Ihre körperliche Unversehrtheit und ihr Leben in Gefahr. Es wird auch festgestellt, dass Ihnen nicht zugemutet werden kann in einer anderen Provinz zu leben, da Sie nur den Beruf eines Ziegenhirten ausgeübt haben und ohne Ihr familiäres Netzwerk mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in eine existenzielle Notlage geraten würden."

 

In der Beweiswürdigung (Seite 44/AS 628) in Bezug auf die Situation des BF bzw. die Lage in seinem Herkunftsstaat stützte sich das Bundesasylamt auf Auszüge aus Erkenntnissen des BVwG (05.08.2014, W228 1433400-1; 30.05.2014, W134 1406283-2; 19.05.2014, W199 1427134-1) in denen sinngemäß ausgeführt ist, das der jeweilige BF, der zwar ein arbeitsfähiger und gesunder Mann sei und bei dem die Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben grundsätzlich vorausgesetzt werden könne, ausschließlich in der Provinz PAKTIA gelebt habe und nur dort über familiäre Anknüpfungspunkte verfüge. Die Bedrohungslage in PAKTIA - wo sich seine Angehörigen befänden - sei hoch, eine Rückkehr dorthin können nicht zugemutet werden. Eine innerstaatliche Fluchtalternative in KABUL könne, mangels dort vorhandenem familiären Netzwerk, der Versorgungs- und Sicherheitslage, nicht zugemutet werden.

 

In der rechtlichen Würdigung dieses Bescheides (Seite 49/AS 633) begründete das Bundesasylamt die Zuerkennung von subsidiärem Schutz wie folgt:

 

"Wird ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, so ist dem Asylwerber gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine [...] Abschiebung des fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK [...] bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß § 8 Abs 3 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offen steht. [...]

 

In Ihrem Fall ging die Behörde von einer realen Gefahr einer solchen Bedrohung aus, weil wie in der Beweiswürdigung ausgeführt die Provinz PAKTIA eine extreme Gefährdung für die körperliche Unversehrtheit und für das Leben darstellt. Eine Rückkehr in das Gebiet würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung des Art 2 EMRK führen oder zumindest eine ernsthafte Bedrohung des Lebens infolge willkürlicher Gewalt in Folge des innerstaatlichen Konfliktes mit Terroristen bedeuten."

 

5. Aufgrund eines vom BF selbst unterfertigten Verlängerungsantrags (vom 15.12.2015) verlängerte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA, im Folgenden: belangte Behörde) mit Bescheid vom 12.01.2016 die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG bis zum 06.02.2018.

 

6. Am 31.10.2017 stellte der BF neuerlich einen Verlängerungsantrag und forderte ihn die belangte Behörde am 06.11.2017 auf im Ermittlungsverfahren Beweismittel für seine erfolgreiche Integration vorzulegen (AS 735).

 

Der BF legte daraufhin zwei Lohnzettel der Firma H XXXX H XXXX (Hulusi K XXXX ) vom Oktober 2017 vor, wonach er seit 14.08.2017 als Küchenhilfe tätig war und € 1.263,23 (netto) und vom Mai 2017, wonach er seit 10.04.2017 als Küchenhilfe € 382,36 verdient hat. Weiters einen Lohnzettel vom Mai 2015 der Firma Roman H XXXX , wonach € 748,64 verdient hat (AS 747-753).

 

7. Bereits 2016 gelangte dem BFA zur Kenntnis, dass die Polizei gegen den BF und seine im selben Wohnhaus aufhältigen Bekannten, wegen Suchtmittelerwerb, -besitz (Cannabiskraut) und unentgeltlicher Überlassung im Zeitraum zwischen Anfang Mai 2013 bis 10.05.2016 ermittelte (StA INNSBRUCK, Zl. XXXX ). Dazu war der BF geständig (AS763). Das damals eingeleitete Verfahren zur Aberkennung wurde am 07.03.2016 vorerst eingestellt (AS 789).

 

8. Am 21.12.2017 wurde der BF von der Polizei auf Anordnung der Staatsanwaltschaft INNSBRUCK vorübergehend festgenommen ( XXXX ), weil er beschuldigt wurde, im Zeitraum zwischen 2016 und Mitte August 2017 mehrere Kilogramm Cannabis gewinnbringend verkauft und auch selbst konsumiert zu haben (AS 755, 797). Der BF bestritt den Verkauf, war jedoch zum Besitz und Eigengebrauch in geringen Mengen geständig.

 

9. Das BFA leitete am 15.01.2018 aus diesem Grund neuerlich ein Aberkennungsverfahren ein und teilte dem BF dies mit (AS 813).

 

10. Mit rechtskräftigem Urteil des LG INNSBRUCK vom 17.07.2018, XXXX (AS 823) wurde der BF schuldig erkannt " [...] zu einem datumsmäßig nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Zeitraum von Ende 2016 bis Mitte Juli 2017 vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge des § 28b SMG nicht übersteigenden Menge anderen überlassen, und zwar durch Beitrag zum gewinnbringenden Verkauf von zumindest 500 g THC-hältigem Cannabiskraut mit einem gerichtsnotorischen Reinsubstanzgehalt von etwa 4 % (20 g reines Delta-9-THC) durch ‚H

XXXX ' an den abgesondert verfolgten Fabian [...] zum Zweck des Weiterverkaufes, indem er zwischen ‚H XXXX ' und [...] die Verhandlungen über Menge und Preis dolmetschte.

 

Der Angeklagte [BF] hat hierdurch begangen das Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 8. Fall SMG in Form der Beitragstäterschaft nach § 12 3. Fall StGB und er wird hiefür nach § 27 Abs 1 SMG zu einer Geldstrafe in Höhe von 120 (einhundertzwanzig) Tagessätzen [€ 1.800,--] im Fall der Uneinbringlichkeit 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, sowie gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt.

[...]"

 

Den Feststellungen des Gerichtes ist zu entnehmen, dass bereits am 23.08.2016 ein Strafverfahren gegen den BF ( XXXX ) der StA INNSBRUCK wegen Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 ABs 1 Z 1 1. Fall, 2. Fall und 8. Fall SMG anhängig war und die StA unter Bestimmung einer Probezeit von zwei Jahren (welche zum Zeitpunkt des Urteils noch lief), vorläufig zurückgetreten ist, da die Voraussetzungen des § 35 Abs 4 SMG vorlagen.

 

Weiters, dass der BF auf Grund des ersten Verfahrens gewusst hatte, dass der Umgang mit Cannabis in Österreich verboten ist und die Begehung während des Verfahrens als erschwerend zu berücksichtigen sei. Mildernd seien das Tatsachengeständnis, welches wesentlich zur Wahrheitsfindung beigetragen habe, und die Unbescholtenheit. Der BF habe jedoch trotz des Geständnisses angeführt, er sei unschuldig und habe es nicht notwendig, Drogen zu verkaufen.

 

11. Am 31.01.2019 wurde der BF vom BFA, in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu, im Gegenstand einvernommen. Er wurde dabei zu seinen persönlichen Lebensumständen, seinem Privat- und Familienleben und seiner in Afghanistan aufhältigen Familie befragt.

 

Er legte in diesem Zusammenhang eine Gehaltsbestätigungen der Fa. XXXX vor, wo er seit 09.04.2018 als Kommissionierer arbeitet und rund € 2.000,-- netto verdient (AS 889-895). Weiters seinen österr. Führerschein, ausgestellt am 02.01.2017(AS 927), mit Erste-Hilfe-Kurs (AS 897) und Fahrsicherheitstraining (AS 915); Sprachzertifikat vom 26.04.2018, A1 gut bestanden (AS 923); einen Lebenslauf aus dem folgende Tätigkeiten hervorgehen: 2006-2008 abgeschlossene Malerlehre, 2012-2013 Deutschkurs, 2015 Küchenhilfe H XXXX Roman, 2015-2016 Koch bei Picknick XXXX ; weiters ist angeführt, dass sein Vater Geschäftsmann sei (AS 909); Einladung zur Pflichtschulabschlusskursfeier Juli 2013, wo angeführt ist, dass sich die Volkshochschule (VHS) auf ein Wiedersehen im Oktober 2013 freut (AS 901); Teilnahmebestätigungen Outdoor-Workshop (4 UE) der VHS im März 2013 (AS 903, 905); Zertifikat des AMS vom 02.09.2016, 16 UE Vermittlung Grundwerte (AS 911); AMS-Zertifikat Kompetenzcheck vom 02.09.2016 (AS 913).

 

Verständigungsprobleme lagen keine vor, die Rückübersetzung wurde als korrekt bezeichnet (AS 877).

 

12. Mit dem im Spruch genannten Bescheid (AS 943) wurde dem BF der zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs 1 Asylgesetz 2005 (AsylG), von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und ihm die mit Bescheid vom 05.02.2015 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.). Ferner sprach die belangte Behörde aus, dass dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). und gegen ihn gemäß § 10 Abs 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt wird, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V). Weiters legte sie gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt IV.), verhängte gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 2 FPG ein Einreiseverbot von drei Jahren (Spruchpunkt VII.) und wies den Antrag auf Verlängerung der Aufenthalsberechtigung vom 31.10.2017 gemäß § 8 Abs 4 AsylG ab (Spruchpunkt VIII.).

 

13. Mit Verfahrensanordnung vom 15.03.2019 wurde er verpflichtet am 01.04.2019 ein Rückkehrberatungsgespräch bei der CARITAS in Anspruch zu nehmen (AS 1119, 1125).

 

14. Gegen den am 19.03.2019 zugestellten Bescheid wurde von der gemäß § 52 Abs 1 BFA-VG dem BF zur Seite gestellten Rechtsberatungsorganisation (Vollmacht und Zustellvollmacht vom 04.04.2019) am 12.04.2019 beim BFA Beschwerde eingebracht (AS 1133). Diese legte jedoch am 14.04.2019 ihre Vollmacht zurück (ON 3/BVwG).

 

15. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem BVwG am 23.04.2019 vom BFA vorgelegt.

 

Darin enthalten war eine Beschwerdeergänzung des vom BF bevollmächtigten Rechtsanwaltes vom 15.04.2019 (ON 2/BVwG).

 

16. Mit Ladungen vom 25.04.2019 wurde vom BVwG eine Verhandlung in der Sache anberaumt und der BF darauf hingewiesen, welche aktuellen Länderinformationen in das Verfahren eingebracht und falls nicht bekannt angefordert werden oder Akteneinsicht genommen und eine Stellungnahme abgegeben werden kann.

 

17. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 03.07.2019 eine öffentliche Verhandlung durch, an der der BF im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu persönlich teilnahm und ausführlich zu den Fluchtgründen und zur Person befragt wurde, sowie Stellung nehmen konnte.

 

Der Rechtsanwalt des BF gab mit Schriftsatz vom 26.06.2019 bekannt, dass es ihm aufgrund eines lang geplanten urlaubsbedingten Auslandsaufenthaltes nicht möglich sei an der Verhandlung teilzunehmen und beantragte die Zusendung der Verhandlungsschrift. Diese wurde ihm übermittelt.

 

Ein Vertreter des BFA nahm - trotz Ankündigung der Teilnahme (ON 6/BVwG) - an der Verhandlung nicht teil. Die Verhandlungsschrift wurde dem BFA übermittelt.

 

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden folgende weitere Unterlagen vorgelegt bzw. eingebracht:

 

Eine Bestätigung von XXXX vom 26.06.2019, dass der BF seit 09.04.2018 als Kommissionierer in einer Zweigniederlassung beschäftigt ist.

 

Eine Lohn-/Gehaltsabrechnung von F XXXX I XXXX (lt. Aussage des BF, Bedienstete der Firma Ahmad K XXXX / Picknick XXXX ; VHS, 8), in der als Eintrittsdatum der 05.11.2015 und als Austrittsdatum der 14.01.2016 angeführt ist, der BF als Hilfskraft tätig war und €

294,57 verdient hat.

 

Eine Arbeitsbescheinigung von Roman H XXXX vom 06.07.2015 wonach der BF von 12.05.2015 bis 30.06.2015 dort tätig war und im Mai € 933,33 sowie im Juni € 1.400,-- brutto verdient hat.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

 

1. Feststellungen

 

1.1. Zur Person und ihrem Netzwerk

 

Der BF führt den im Spruch angeführten Namen, wurde am XXXX im Dorf XXXX , in der Provinz PAKTIKA geboren. Er ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan; weiters Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam (VHS, 4). Seine Muttersprache ist Paschtu, außerdem spricht er noch Dari/Farsi, Urdu, Englisch und Griechisch und verfügt über Deutschkenntnisse deutlich über dem Niveau A1 (hat aber keine positive Prüfung abgelegt). In der Sprachen Dari/Farsi, Urdu, Englisch, Deutsch kann er lesen und schreiben, Arabisch schreiben (VHS, 5, 7).

 

Er ist im Juni 2011 illegal in Österreich eingereist und hat sich davor von 2006-2008 in Griechenland aufgehalten, wo er das Malerhandwerk gelernt hat (AS 909 und VHS, 8).

 

Der BF hat folgende Bildung genossen: 4 Jahre Grundschule in Afghanistan und weitere 4 Jahre in PAKISTAN (VHS, 7), weiters hat er 2013 begonnen den Pflichtschulabschluss in Österreich nachzuholen (AS 901) aber nach einer Verlegung nicht mehr weitergemacht bzw abgeschlossen (VHS, 7).

 

Der BF ist arbeitsfähig und hat Berufserfahrung als Kommissionierer in einem Lebensmittellager, als Küchengehilfe in einem Hotelrestaurant, Hilfskraft in einer Pizzeria (VHS, 4, 11), Maler (VHS, 8), beim Hüten von Ziegen (VHS; 8) und als Hilfskraft im Lebensmittelgeschäft seines Vaters (VHS, 7) gesammelt.

 

Der BF hat folgende Angehörige in Afghanistan: beide Eltern, eine Schwester die bei den Eltern lebt in GHAZNI, einen Bruder in GHAZNI, eine Schwester die in KHOST verheiratet ist, eine weitere verheiratete Schwester und einen Onkel in PAKTIKA (VHS, 9; BFA, 7). Die Mutter wird vom BF durch Geldüberweisungen für Medikamente unterstützt (VHS, 14).

 

Die Eltern und der Bruder bestreiten ihren Lebensunterhalt durch eine Landwirtschaft in GHAZNI, wo sie arbeiten. Die verheirateten Schwestern werden von ihren Männern versorgt (BFA, 7).

 

Der BF hat folgende Angehörige im PAKISTAN: einen Onkel, der Obst verkauft und früher auch Kleidung verkauft hat (VHS, 10); drei verheiratete Schwestern mit deren Familien (BFA, einen Bruder (BFA, 7); seine Verlobte, mit der er sich am 15. oder 16.07.2016 dort während eines einmonatigen Urlaubsaufenthalts getroffen und verlobt hat (VHS, 6; BFA, 5,9).

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF keine weiteren Angehörigen, Bekannte oder Freunde mehr in Afghanistan oder in Pakistan hat.

 

Er kann auf das soziale Netzwerk seines Clans in Afghanistan und Pakistan zurückgreifen - mit dem er in Kontakt steht bzw bei Bedarf den Kontakt herstellen kann (BFA, 7; VHS, 14) - und auf die Unterstützung der Großfamilie, die ihn aufgrund der modernen Kommunikationsmittel und des Bankwesens finanziell oder zumindest mit ihren Kontakten auch aus der Ferne unterstützen kann.

 

Der BF ist gesund.

 

Er ist in Afghanistan nicht vorbestraft, war dort nie inhaftiert, war kein Mitglied einer politischen Partei oder sonstigen Gruppierung, hat sich nicht politisch betätigt und hatte keine Probleme mit staatlichen Einrichtungen oder Behörden im Heimatland.

 

1.2. Zum Leben des BF in Österreich

 

1.2.1. Zu Dauer, Qualität und (Un‑)Sicherheit des Aufenthaltsstatus

 

Nach seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet war der BF zunächst ab Juli 2011 als Asylwerber aufhältig.

 

Einer ua. gegen den Spruchpunkt I. des ersten Bescheide des Bundesasylamt vom 26.07.2011 (Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten) erhobenen Beschwerde, gab der AsylGH am 28.11.2013 keine Folge, wies das Verfahren aber nach Aufhebung der anderen Spruchpunkte an das Bundesasylamt zurück.

 

Nach Zustellung des Bescheides des Bundesasylamtes im zweiten Rechtsgang vom 05.02.2105, war er als subsidiär Schutzberechtigter aufhältig, und zwar zunächst aufgrund einer erteilten Aufenthaltsberechtigung, befristet bis 06.02.2016. Diese Berechtigung wurde einmal bis zum 06.02.2018 verlängert.

 

Sein neuerlicher Antrag auf Verlängerung der ihm befristet erteilten Aufenthaltsberechtigung wurde mit dem beschwerdegegenständlichen Bescheid abgewiesen.

 

Zwischen Anfang Mai 2013 und Mai 2016 sowie Ende 2016 bis Mitte Juli 2017 beging der BF Straftaten nach dem Suchtmittelgesetz (näheres dazu oben bei Punkte I. 7, 8, 10) Sein 2. Antrag auf Verlängerung blieb daher vorerst unerledigt.

 

1.2.1. Zu Selbsterhaltungsfähigkeit, Erwerbstätigkeiten, Ausbildungen etc.

 

Zu Beginn seines Aufenthalts war der BF nicht selbsterhaltungsfähig und lebte von der Grundversorgung.

 

Von Mitte Mai 2015 bis Ende Juni 2015, von Anfang November 2015 bis Mitte Jänner 2016 von April 2017 bis Mai 2017 und von August 2017 bis Oktober 2017 ging er einer (geringfügigen) Beschäftigung als Hilfskraft bzw. Küchenhilfe bei drei verschiedenen Arbeitgebern nach.

 

Von Anfang April 2018 bis dato geht der BF einer regelmäßigen Beschäftigung als Kommissionierer eines Lagers einer Supermarktkette nach. Dazwischen bezog er jeweils Mindestsicherung bzw. Arbeitslosengeld.

 

Aufgrund dieser Beschäftigung bezieht er ein Einkommen, welches deutlich über der Geringfügigkeitsgrenze liegt (rund € 2.000,--).

 

Der BF hat während seines Aufenthalts in Österreich Deutschkurse besucht und zuletzt die Deutschprüfung (ÖSD Niveau A1) erfolgreich bestanden. Er hat im Jänner 2017 den Führerschein gemacht und an diversen Integrationsschulungen/Projekten teilgenommen (vgl. I. 11.). Er besitzt ein Auto und Ersparnisse iHv rund € 6.000,-- (VHS, 14).

 

1.2.2. Zu Wohnverhältnissen und privaten Bindungen in Österreich

 

Der BF wohnt seit November 2014 in einer Zwei-Zimmer-Mietwohnung die er mit drei Mitbewohnern (Afghanen mit subsidiärem Schutz) teilt und mit denen er auch befreundet ist. Der BF kann seinen Anteil an der Miete aus eigener finanzieller Kraft bestreiten (VHS, 5).

 

Weitere Freundschaften bestehen mit Personen, mit denen er gelegentlich Fußball spielt und in die Disco geht (darunter auch Frauen), mit Arbeitskollegen und ehemaligen Arbeitskollegen (VHS, 11).

 

1.2.3. Der BF ist in Österreich mehrfach im Zusammenhang mit Suchtmittel (Cannabis) straffällig geworden. Ein Verfahren wurde unter Einräumung einer Probezeit eingestellt und noch während die Probezeit lief, wurde er erneut straffällig und diesmal verurteilt (vgl. dazu vorne I. 7-10).

 

Der BF hat dazu in der Verhandlung vor dem BVwG im Wesentlichen angegeben, er habe die falschen Freunde gehabt und sich komplett von gewissen Landsleuten zurückgezogen. Er habe die Taten aus Langeweile und zu viel Freizeit begangen. Jetzt mache er viele Überstunden, sei nach der Arbeit müde, habe nicht einmal die Kraft Sport zu treiben, esse und gehe schlafen. Er wisse, dass Drogen den Körper schädigen, auch das regelmäßig Drogentests gemacht würden und er seinen Führerschein verlieren könne.

 

Dazu ist festzustellen, dass der BF seit 02.01.2017 im Besitz seines Führerscheins ist und der Tatzeitraum laut Urteil bis Mitte Juli 2017 reicht. Ebenfalls, wohnt der BF noch immer im selben Wohnhaus (Bahnhofstraße XXXX in XXXX ) und teilt nunmehr sogar eine Wohnung mit zwei der damaligen Mitbeschuldigten aus 2015, die er als seine Freunde bezeichnet und die aus der Provinz LAGHMAN stammen (T XXXX A XXXX und B XXXX ; VHS, 5 und AS 757). Auffällig ist auch, dass einer der damaligen Hauptbeschuldigten, den Namen Z XXXX XXXX führt und der BF in der Verhandlung vor dem BVwG angegeben hat, dass sein richtiger Name eigentlich Z XXXX , der Name seines Stammes, sei und nur irrtümlicherweise der Familienname seiner Mutter bei der Ersteinvernahme aufgenommen worden sei.

 

1.2.4. Der BF ist im Vergleich zum Zeitpunkt der Erlassung der vorhergehenden Bescheide (aus 2015 und 2016) älter und reicher an Lebens- und Berufserfahrung.

 

Er hat Berufserfahrungen in der Gastronomie und in der Lagerlogistik als Kommissionierer gemacht und der belangten Behörde bis zur Vorlage seines Lebenslaufes am 31.01.2019 verschwiegen, dass er auch eine zweijährige Malerausbildung (in Griechenland) genossen hat.

 

Er hatte weiters verschwiegen, dass er in Pakistan ergänzende Bildungsschritte unternommen hat.

 

Seit er in Österreich ist, hat er Kontakte zu anderen afghanischen Staatsangehörigen geknüpft und sind Familienangehörige von ihm in verschiedene Provinzen in Afghanistan und in Pakistan wohnhaft.

 

1.3. Zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF in ihr Herkunftsland

 

Das BVwG geht davon aus, dass die Herkunftsprovinz des BF nicht PAKTIA, sondern PAKTIKA ist.

 

Im Fall einer Rückkehr an den Ort seiner Geburt und Herkunft, PAKTIKA, wäre der BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht der ernsthaften Gefahr durch den Eintritt eines ernsthaften Schadens im Sinne entweder der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe oder einer Behandlung wie Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung ausgesetzt, die auf Faktoren beruht, die den afghanischen Behörden direkt oder indirekt anzulasten und ihnen stets bewusst sind (sei es der Art, dass die Behörden Afghanistan ihn persönlich bedrohen oder diese Bedrohung tolerieren würden, oder der Art, dass diese Bedrohung auf unabhängige Gruppen zurückginge, vor denen die Behörden ihre Staatsangehörigen nicht wirksam schützen könnten).

 

Das LIB der Staatendokumentation, spricht bei PAKTIKA aber von einer volatilen Provinz mit einer verschlechterten Sicherheitslag, mit der höchsten Anzahl registrierter Sicherheitsvorfälle. Es kommt zu Anschlägen und regelmäßigen Kämpfen zwischen Aufständischen (Taliban, Haqqani Netzwer, al-Quada, IS und andere) und den Sicherheitskräften der Regierung.

 

Zivilile Opfer sind durch Sprengfallen, Selbstmordanschläge regierungsfeindlicher Gruppierungen und durch Kollateralschäden bei Bodenoffensiven der Sicherungskräfte gegen die Aufständischen zu beklagen.

 

Auf dem Weg in die Heimatprovinz bzw. den Heimatdistrikt besteht die reelle Gefahr willkürlicher Gewalt bloß aufgrund der Anwesenheit ausgesetzt zu sein, indem man Opfer von Angriffen und Bombenanschlägen wird, bei Kämpfen ins Kreuzfeuer gelangt oder an Checkpoints entweder als Spion der Aufständischen oder der Sicherheitskräfte der Regierung (je nachdem wer gerade das Gebiet kontrolliert) angesehen zu werden.

 

Der BF kann sich aber im Rückkehrfall in einer der relativ sicheren Städte HERAT oder MAZAR-E SHARIF niederlassen und mittelfristig dort eine Existenz aufbauen.

 

Er kann diese Städte auch - in einer relativ sicheren Weise - auf dem Luftweg erreichen.

 

Es besteht dort für ihn keine reale (über die bloße Möglichkeit hinausgehende) Gefahr einer Tötung (einschließlich der Verhängung und/oder Vollstreckung der Todesstrafe) durch den Staat oder tödlicher Übergriffe durch Dritte.

 

Eine mit der Rückkehr in den Herkunftsstaat verbundene reale (über die bloße Möglichkeit hinausgehende) Gefahr, der Folter ausgesetzt zu sein oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe durch einen konkreten Akteur unterworfen zu sein, besteht dort nicht, insbesondere nicht im Hinblick auf eine drohende Kettenabschiebung, im Hinblick auf eine drohende Todesstrafe; weiters auch nicht im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand in Verbindung mit einer Unzulänglichkeit der medizinischen Bedingungen im Herkunftsstaat, im Hinblick auf die dortigen allgemeinen humanitären Bedingungen und Versorgungslage, in Verbindung mit seiner persönlichen Lage (etwa im Sinne einer existenzgefährdenden Notlage oder des Entzugs der notdürftigsten Lebensgrundlagen) oder im Hinblick auf psychische Faktoren, auf Haftbedingungen oder aus anderen Gründen.

 

Eine solche mit der Rückkehr in den Herkunftsstaat verbundene Gefahr besteht in diesen Städten auch nicht im Hinblick auf eine etwaige ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit als Zivilperson im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

 

1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat

 

Das BVwG trifft folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

 

1.4.1. Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 (letzte Kurzinformation eingefügt 04.06.2019):

 

Die Kurzinformation vom 04.06.2019 handelt vom politischen Ringen um einen Friedensvertrag mit den Taliban, spricht trotz landesweitem Rückgang der zivilen Opferzahlen im ersten Quartal um 23 %, immer noch von 1773 Toten und Verletzten darunter 582 Kinder. Ursache waren Luftangriffe, Kampfhandlungen, Sprengstoffanschläge und Kampfmittelrückstände. Auch in KABUL-Stadt kam es wieder zu Anschlägen auf Sicherheitskräfte, Mitarbeiter von Ministerien, Ausländer und schiitischen Studenten unter anderem durch den IS. Die IOM gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM.

 

Die Kurzinformation vom 26.03.2019 spricht von einem Anschlag des IS in KABUL während des persischen Neujahrsfestes (Nowruz) in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Die Bomben waren in einer Moschee, hinter einem Krankenhaus und in einem Stromzähler plaziert. Ein weitere Angriff des IS mit Mörsergranaten erfolgte ebenfalls auf einen mehrheitlich von Hazara bewohnten Stadtteil auf eine Gedenkveranstaltung für einen Hazara-Führer. Berichtet wird auch von Überflutungen die der Dürre in den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, HERAT, Kapisa, Parwan, Zabul und KABUL. Diese haben eine weitere Landflucht in die urbanen Zentren ausgelöst und befinden sich insbesondere in Herat-Stadt rund 95.000 Personen in Notunterkünften die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind. Ebenfalls erwähnt werden Friedensgespräche mit den Taliban und die neuerliche Verschiebung der Präsidentenwahl auf 28.09.2019.

 

Der Kurzinformation vom 01.03.2019 ist zu entnehmen, dass die Sicherheitslage in Afghanistan nach wie vor labil bleibt. Die meisten regierungsfeindlichen Angriffe fanden in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandarhar, Uruzgan und Herat statt. Zivile Opfer durch Kämpfe und Anschläge gab es auch in den Provinzen Kunar, Nangarhar, Kunduz und Kabul sowie entlang verschiedener Hauptstraßen in diesen Provinzen. Alle Provinzzentren sind jedoch unter Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung.

 

Den Kurzinformationen vom 22.01.2019 und 31.01.2019 sind einerseits die Aufnahme von Friedensgesprächen der USA mit den Taliban zu entnehmen andererseits aber auch wieder tödliche Anschläge auf einen Stützpunkt des afghanischen Geheimdienstes in der Provinz WARDAK am 21.01.2019, am Vortag auf einen Konvoi des Provinzgouverneurs der Provinz LOGAR und vor der gesicherten Green Zone in KABUL, wo viele internationale Organisationen und NGO angesiedelt sind.

 

Im Herbst und Winter 2018 kam es zu mehreren Anschlägen in KABUL auf Ministerien, auf Islamgelehrte, Demonstrationen der Hazaras und Gefängnismitarbeitern bei denen es zivile Opfer gab. Brandvorrichtung/Sprengfallen, Selbstmordanschläge regierungsfeindlicher Gruppierungen und Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer. Zivilisten in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Faryab, Helmand und Kandahar waren am stärksten betroffen.

 

Aus der KI vom 11.9.2018, geht hervor, dass Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in KABUL, Anschläge in Nangarhar und Aktivitäten der Taliban in den Provinzen Sar-i Pul und Jawzjan stattgefunden haben. Es handelte sich dabei um Selbstmordanschläge auf eine Demonstration, eine Mädchenschule, einen Festumzug und einen Wrestling-Club.

 

Der KI vom 22.08.2018, sind Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul und Paktia und Aktivitäten der Taliban in Ghazni, Baghlan, Faryab und Kunduz zu entnehmen. Dies waren Entführungen auf der Takhar-Kunduz-Autobahn, ein IS-Angriff auf die Mawoud Akademie in Kabul sowie vor dem Flughafen Kabul und auf eine schiitische Moschee in Gadrez-Stadt in Paktia, sowie Kämpfe zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen in den Provinzen Ghazni, Baghlan und Faryab.

 

Das LIB der Staatendokumentation führt zur SICHERHEITSLAGE im Punkt 3 im Wesentlichen aus:

 

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist sehr instabil. Es ist mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Die afghanische Regierung bzw deren Sicherheitskräfte behalten auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen.

 

Die Aufständischen üben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren aus. Sie greifen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige an; es gibt Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS. Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt. Es haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden.

 

Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen.

 

Die Taliban kontrollieren zwischen 10% und 14 % der afghanischen Distrikte Die Fähigkeiten und der Einfluss des IS sind seit seiner Erscheinung im Jahr 2015 zurückgegangen. Operationen durch die ANDSF und die US-Amerikaner, Druck durch die Taliban und Schwierigkeiten die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, störten das Wachstum des IS und verringerten dessen Operationskapazitäten. Trotz erheblicher Verluste von Territorium, Kämpfern und hochrangigen Führern, bleibt der IS nach wie vor eine Gefährdung für die Sicherheit in Afghanistan und in der Region. Er ist dazu in der Lage, öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) in städtischen Zentren zu verüben (USDOD 12.2017).

 

Der IS hat sich nämlich in den vergangenen Monaten zu einer Anzahl tödlicher Angriffe in unterschiedlichen Teilen des Landes bekannt - inklusive der Hauptstadt. Dies schürte die Angst, der IS könne an Kraft gewinnen (VoA 10.1.2018; vgl. AJ 30.4.2018). Auch haben örtliche IS-Gruppen die Verantwortung für Angriffe auf Schiiten im ganzen Land übernommen (USDOD 12.2017).

 

Zur Heimatprovinz des BF PAKTIKA wird im LIB ausgeführt:

 

"3.28. PAKTIKA

 

Die Provinz Paktika ist 210 km von Kabul entfernt und befindet sich im Südosten Afghanistans (Pajhwok o.D.); die Provinz teil sich eine 360 km lange Grenze mit Pakistan (Pajhwok o.D.) und grenzt im Norden an Ghazni, Paktia und Khost, im Osten und im Süden an Pakistan und im Westen an Ghazni und Zabul (NPS o.D.). Paktika hat folgende Distrikte: die Provinzhauptstadt Sharana/Sharan, Mata Khan/Matakhan, Yusufkhel/Yosufkhel, Yahyakhel, Omna, Sar Hawza/Sarrawzah, Zarghun Shar/Zarghunshahr, Janikhel, Gomal, Surobi/Sarobi, Urgun, Ziruk, Nika/Naka, Dila, WazaKhwa/Wazakhah, Terwa/Turwo, Wor Mamay/Wormamy, Barmal/Bermel, Gayan/Gyan und Measht (Pakhwok o.D.; vgl. UN OCHA 4.2014). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 449.116 geschätzt (CSO 4.2017).

 

In Sharana befindet sich ein Militärflughafen (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35.).

 

Paktika ist durch die Autobahn Paktika-Ghazni mit Ghazni verbunden; Ende März wurde die Straße nach einer einwöchigen Blockade aufgrund von Demonstrationen wegen der verschlechterten Sicherheitslage wieder geöffnet; der Provinzgouverneur versprach, erforderliche Maßnahmen zu ergreifen (MF 19.3.2018). Afghanistans Präsident Ashraf Ghani förderte Anfang März 2018 den Bau neuer Schulen in der Provinz Paktika (IWPR 12.3.2018). Auch wurden verschiedene Projekte, wie u. a. ein Brückenbau und die Errichtung einer Stützwand in Distrikten der Provinz vollendet (Pajhwok 23.1.2018a).

 

Paktika weist keine guten Zahlen bzgl. der Gesundheitsfürsorge für Frauen und ihrer Rechte vor, jedoch verändere sich die konservative Einstellung langsam (IWPR 22.2.2018). In Teilen der Provinz besitzen zahlreiche Frauen keine Tazkira und in abgelegenen Distrikten, in denen die Taliban aktiv sind, haben auch Männer keinen Identitätsausweis (Pajhwok 11.2.2018). In anderen Distrikten, z. B. Barmal, haben afghanische Provinzbewohner hingegen pakistanische Ausweise (IWPR 22.3.2018).

 

Die Provinz Paktika zählte 2017 zu den Opium-freien Provinzen Afghanistans (UNODC 11.2017).

 

Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage

 

Einige Distrikte der Provinz Paktika galten Mitte 2017 und Anfang 2018 als umkämpft und unsicher (Pajhwok 23.1.2018b; vgl. Pajhwok 9.8.2017); Paktika gehört zu den volatilen Provinzen Afghanistans (Khaama Press 3.4.2017). Aufständische der Taliban, des Haqqani Netzwerks, der al-Qaida und anderer regierungsfeindlicher Gruppierungen sind in der Provinz Paktika aktiv; die Aufständischen verüben manchmal terroristische Anschläge - inklusive koordinierter Angriffe und Selbstmordanschläge (Khaama Press 26.2.2018).

 

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 81 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die folgende Darstellung der Staatendokumentation veranschaulicht werden sollen

[GRAFIK].

 

Im gesamten Jahr 2017 wurden 158 zivile Opfer (62 getötete Zivilisten und 96 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von gezielten Tötungen und Bodenoffensiven. Dies bedeutet einen Rückgang von 5% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018). Paktika gehört zu den Provinzen mit der höchsten Anzahl registrierter Vorfälle im Jahr 2017 (Pajhwok 14.1.2018). In einigen Distrikten der Provinz leben pakistanische IDPs, die aus Nord- und Südwaziristan geflüchtet sind (Pajhwok 21.11.2017).

 

Militärische Operationen in Paktika

 

In der Provinz werden Antiterror-Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien (Gandhara 10.3.2018; vgl. Pajhwok 22.12.2017, Pajhwok 1.1.2017). Luftangriffe werden in der Provinz durchgeführt (LWJ 3.3.2018; vgl. UP 2.3.2018, Khaama Press 26.2.2018, Tolonews 23.1.2018, Pajhwok 23.1.2018b, RFL/RL 26.3.2017, Khaama Press 13.2.2017); dabei wurden Aufständische getötet (LWJ 3.3.2018; vgl. UP 2.3.2018, Pajhwok 23.1.2018b, RFL/RL 26.3.2017, Khaama Press 6.4.2017).

 

Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt (MF 15.3.2018; vgl. Pajhwok 25.3.2018, Pajhwok 19.2.2018, Pajhwok 11.11.2017, Pajhwok 9.8.2017). Regierungsfeindliche Gruppierungen in Paktika Aufständische der Taliban, des Haqqani Netzwerks, der al-Qaida und anderer regierungsfeindlicher Gruppierungen, wie des Tehrik-e Taliban Pakistan (TTP), sind in der Provinz Paktika aktiv (Khaama Press 26.2.2018; vgl. LWJ 3.3.2018 UP 2.3.2018, Khaama Press 26.2.2018, Khaama Press 13.2.2017, Khaama Press 4.2.2017,CRS 13.12.2017, Khaama Press 9.4.2017, The Diplomat 27.9.2016). Das Haqqani Netzwerk ist in der Provinz Paktika aktiv (CRS 12.1.2017; vgl. Khaama Press 4.4.2017). Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden in Paktika IS-bezogene Vorfälle an der Grenze zu Ghazni registriert; im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden hingegen keine Ereignisse bzgl. Des IS gemeldet (ACLED 23.2.2018)."

 

Zu den als Ansiedlungsgebiet herangezogenen Provinz(en) bzw. Stadt/Städten führt das LIB aus:

 

"3.3. BALKH

 

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Sie hat folgende administrative Einheiten: Hairatan Port, Nahra-i-Shahi, Dihdadi, Balkh, Daulatabad, Chamtal, Sholgar, Chaharbolak, Kashanda, Zari, Charkont, Shortipa, Kaldar, Marmal, und Khalm; die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz grenzt im Norden an Tadschikistan und Usbekistan. Die Provinz Samangan liegt sowohl östlich als auch südlich von Balkh. Die Provinzen Kunduz und Samangan liegen im Osten, Jawzjan im Westen und Sar-e Pul im Süden (Pajhwok o.D.y).

Balkh grenzt an drei zentralasiatische Staaten: Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan (RFE/RL 9.2015). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (CSO 4.2017).

 

Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.:

Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut.

 

Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staaatendokumentation 4.2018). In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35).

 

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (Pajhwok 7.6.2017).

 

Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet. Er ernannte den Parlamentsabgeordneten Mohammad Ishaq Rahgozar als seinen Nachfolger zum Provinzgouverneur (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Reuters 22.3.2018). Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren (Tolonews 24.3.2018).

 

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

 

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans (RFE/RL 23.3.2018), sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan (Khaama Press 16.1.2018; vgl. Khaama Press 20.8.2017). Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Khaama Press 16.1.2018).

 

Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (Tolonews 7.3.2018), oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (BBC 22.4.2017; vgl. BBC 17.6.2017).

 

In der Provinz befindet sich u.a. das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North) (NATO 11.11.2016; vgl. iHLS 28.3.2018), sowie auch das Camp Shaheen (BBC 17.6.2017; vgl. Tolonews 22.4.2017).

 

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert [...].

 

Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

 

Militärische Operationen in Balkh

 

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen (Khaama Press 16.1.2018). Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT.3.2018, Pajhwok 21.8.2017, Pajhwok 10.7.2017). Dabei werden Taliban getötet (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT 6.3.2018, Pajhwok 10.7.2017) und manchmal auch ihre Anführer (Tolonews 18.3.2018; vgl. Tolonews 7.3.2018, PT 6.3.2018, Tolonews 22.4.2017).

 

Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 7.3.2018).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Balkh

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben (Khaama Press 16.1.2018). Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen (Khaama Press 20.8.2017).

 

Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (ACLED 23.2.2018).

 

[...]

 

3.13. HERAT

 

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in folgende Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden: Shindand, Engeel/Injil, Ghorian/Ghoryan, Guzra/Guzara und Pashtoon Zarghoon/Pashtun Zarghun, werden als Bezirke der ersten Stufe angesehen. Awba/Obe, Kurkh/Karukh, Kushk, Gulran, Kuhsan/Kohsan, Zinda Jan und Adraskan als Bezirke zweiter Stufe und Kushk-i-Kuhna/Kushki Kohna, Farsi, und Chisht-i-Sharif/Chishti Sharif als Bezirke dritter Stufe (UN OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o. D.). Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (CP 21.9.2017). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35.). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt (CSO 4.2017).

 

In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken (Pajhwok o.D.; vgl. NPS o.D.).

 

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz (AJ 8.3.2012). Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion (AJ 8.3.2012; vgl. EN 9.11.2017). Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine Alternative zum Mohnanbau werden (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Anfang Jänner 2018 wurde ein Labor zur Kontrolle der Safran-Qualität in Herat errichtet (Pajhwok 13.1.2018). Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. (Tolonews 10.11.2017). Insgesamt wurden 2017 in der Provinz min. 8 Tonnen Safran produziert; im Vorjahr 2016 waren es 6.5 Tonnen (Pajhwok 13.1.2018; vgl. EN 9.11.2017). Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (UNODC 11.2017).

 

Im Dezember 2017 wurden verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2017).

 

Mitte März 2018 wurde der Bau der TAPI-Leitung in Afghanistan eingeweiht. Dabei handelt es sich um eine 1.800 Km lange Pipeline für Erdgas, die Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan und Indien 30 Jahre lang mit 33 Billionen m³ turkmenischem Erdgas versorgen soll. Die geplante Leitung wird sich entlang der Herat-Kandahar-Autobahn erstrecken. Somit wird sie durch Gegenden, auf die die Taliban einen starken Einfluss haben, verlaufen. Jedoch erklärten die Taliban, TAPI sei ein "wichtiges Projekt" und sie würden es unterstützen (PPG 26.2.2018; vgl. RFE/RL 23.2.2018). Im Rahmen des TAPI-Projekts haben sich 70 Taliban bereit erklärt, an den Friedensprozessen teilzunehmen (Tolonews 4.3.2018). Um Sicherheit für die Umsetzung des TAPI-Projekts zu gewähren, sind tausende Sicherheitskräfte entsandt worden (Tolonews 14.3.2018).

 

Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage

 

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018; vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat (Khaama Press 25.10.2017).

 

Die Provinz ist u.a. ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern (Pajhwok 21.1.2017).

 

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (AN 18.2.2018).

 

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert [...]

 

Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

 

Militärische Operationen in Herat

 

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 18.1.2017; Khaama Press 15.1.2017). Auch werden Luftangriffe verübt (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017); dabei wurden Taliban getötet (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017). Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt (AJ 25.6.2017; vgl. AAN 11.1.2017). In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (MdD o. D.).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Herat

 

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018;

vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Dem Iran wird von verschiedenen Quellen nachgesagt, afghanische Talibankämpfer auszubilden und zu finanzieren (RFE/RL 23.2.2018;

vgl. Gandhara 22.2.2018, IP 13.8.2017, NYT 5.8.2017). Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an (FAZ 1.8.2017; vgl. DW 1.8.2017). Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen (AF 14.3.2018; vgl. Tolonews 4.3.2018). Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017).

 

Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (UNAMA 2.2018).

 

ACLED registrierte für den Zeitraum 1.1.2017-15.7.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat (ACLED 23.2.2017).

 

[...]"

 

Im Punkt 3.35. des LIB ist zur Erreichbarkeit der genannten Provinzen zusammengefasst angeführt, dass die Infrastruktur ein kritischer Faktor für Afghanistan bleibt, trotz der seit 2002 erreichten Infrastrukturinvestitionen und -optimierungen. Seit dem Fall der Taliban wurde das afghanische Verkehrswesen in städtischen und ländlichen Gebieten grundlegend erneuert. Beachtenswert ist die Vollendung der "Ring Road", welche Zentrum und Peripherie des Landes sowie die Peripherie mit den Nachbarländern verbindet. Investitionen in ein integriertes Verkehrsnetzwerk zählen zu den Projekten, die systematisch geplant und umgesetzt werden. Unter anderem in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif befinden sich internationale Flughäfen. Das Transportwesen in Afghanistan gilt als "verhältnismäßig gut". Es gibt einige regelmäßige Busverbindungen innerhalb Kabuls und in die wichtigsten Großstädte Afghanistans, sowie Gemeinschaftstaxis.

 

Im Rechts- und Justizwesen (detailliert ausgeführt in Punkt 4 des LIB) gibt es zwar Gesetze, es gilt allerdings der Vorrang der Scharia (islamisches Recht) und daneben existieren lokale Gepflogenheiten. Das Justizwesen wird von Unterfinanzierung, Unterbesetzung, inadäquater Ausbildung, Unwirksamkeit und Korruption unterminiert. Letzteres gilt auch für die Sicherheitskräfte (Punkt 5 des LIB). Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex für 2017 von Transparency International, belegt Afghanistan von 180 Ländern den

177. Platz (TI 21.2.2018). Einer Umfrage zufolge betrachten 83,7% der Afghanen die Korruption als ein Hauptproblem des Landes. Die Provinzen mit der höchsten Korruptionswahrnehmung sind Kabul mit 89,6%, Uruzgan mit 87,9%, Nangarhar mit 87,8% und Helmand mit 86,9% (Punkt 7 des LIB).

 

Es kommt auch zu bedeutenden Menschenrechtsverletzungen, obwohl die Menschenrechte eine klare rechtliche Grundlage haben. Dazu zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwindenlassen, willkürliche Verhaftungen, Festnahmen (u. a. von Frauen wegen "moralischer Straftaten") und sexueller Missbrauch von Kindern durch Mitglieder der Sicherheitskräfte. Weitere Probleme sind Gewalt gegenüber Journalisten, Verleumdungsklagen, durchdringende Korruption und fehlende Verantwortlichkeit und Untersuchung bei Fällen von Gewalt gegen Frauen. Diskriminierung von Behinderten, ethnischen Minderheiten sowie aufgrund von Rasse, Religion, Geschlecht und sexueller Orientierung, besteht weiterhin mit geringem Zuschreiben von Verantwortlichkeit. Die weit verbreitete Missachtung der Rechtsstaatlichkeit und die Straffreiheit derjenigen, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben, sind ernsthafte Probleme. Missbrauchsfälle durch Beamte, einschließlich der Sicherheitskräfte, werden von der Regierung nicht konsequent bzw. wirksam verfolgt. Bewaffnete aufständische Gruppierungen greifen mitunter Zivilisten, Ausländer und Angestellte von medizinischen und nicht-staatlichen Organisationen an und begehen gezielte Tötungen regierungsnaher Personen. Regierungsfreundlichen Kräfte verursachen eine geringere - dennoch erhebliche - Zahl an zivilen Opfern (vgl. zur Menschenrechtslage Punkt 10 des LIB).

 

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen sind gesetzlich verboten; trotzdem werden beide Praktiken weiterhin betrieben. Diese stellen in den meisten Provinzen ein Problem dar. Beobachtern zufolge werden Personen gelegentlich von Polizei und Staatsanwälten auf Basis von Handlungen, die nach afghanischem Recht nicht strafbar sind, ohne Anklage inhaftiert. Teilweise auch deshalb, weil das Justizsystem nicht in der Lage ist, in angemessener Zeit einen Strafprozess abzuwickeln. Die UNAMA berichtete von Verhaftungen wegen Verstößen gegen die Moral, Vertragsbruch, Familiendisputen und zum Zwecke des Erhalts von Geständnissen. Beobachter berichten, dass oft Frauen für "moralische" Vergehen inhaftiert werden. Die angekündigten Reformen u. a. zur Beendigung der unwissenschaftlichen und missbräuchlichen Jungfräulichkeitsuntersuchungen bei inhaftierten Frauen wurden nicht durchgeführt. Oft werden Frauen wegen versuchter zina [Anm.:

Ehebruch] angeklagt, um Verhaftungen wegen Verstöße gegen die Sitten, wie das Davonlaufen von Zuhause, die Ablehnung designierter Ehemänner, die Flucht vor häuslicher Gewalt usw. rechtlich zu legitimieren. Einige Frauen, die Missbräuche anzeigen, werden verhaftet und anstelle von verurteilten Familienmitgliedern eingesperrt in der Annahme, dass diese sich stellen würden, um die Freilassung der Frau zu bewirken. In einigen Fällen werden Frauen in Schutzhaft genommen, um sie vor Gewalt seitens ihrer Familienmitglieder zu beschützen. Wenn die Unterbringung in Frauenhäusern nicht möglich ist, werden von häuslicher Gewalt betroffene Frauen auch in Gefängnisse gebracht, um sie gegen weitere Missbräuche zu schützen. Auch arrangiert das Ministerium für Frauenangelegenheiten Ehen für Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können (Punkt 13 LIB).

 

Gem. Punkt 14 LIB droht die Todesstrafe nicht nur bei Delikten wie Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Angriff gegen den Staat, Mord und Zündung von Sprengladungen, Entführungen bzw. Straßenraub mit tödlicher Folge, Gruppenvergewaltigung von Frauen usw., sondern auch unter dem Einfluss der Scharia bei anderen Delikten (z.B. Blasphemie, Apostasie, Ehebruch).

 

Punkt 15 des LIB hält zur Religion in Afghanistan das Folgende fest:

 

"15. Religionsfreiheit

 

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5 .2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017). [...]"

 

Lt. Punkt 19 des LIB garantiert das Gesetz interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Die Regierung schränkt die Bewegung der Bürger/innen gelegentlich aus Sicherheitsgründen ein [Anm.: siehe dazu auch Artikel 39 der afghanischen Verfassung] In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren. Gesellschaftliche Sitten schränken die Bewegungsfreiheit von Frauen ohne männliche Begleitung ein. Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, ebenso wenig "gelbe Seiten" oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen. Dennoch gibt es Mittel und Wege, um Familienmitglieder ausfindig zu machen. Das Dorf, aus dem jemand stammt, ist der naheliegende Ort, um eine Suche zu starten. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (BFA/EASO 1.2018; vgl. EASO 2.2018).

 

Die Mobiltelefonie ist weit verbreitet, Internet und soziale Medien vor allem in den städtischen Zentren verfügbar (LIB, 10).

 

Zur VERSORGUNGSLAGE wird in Punkt 21 und 22 des LIB ausgeführt

 

"21. Grundversorgung und Wirtschaft

 

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188 (UNDP 2016). Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist (IWF 8.12.2017; vgl. WB 10.4.2018). Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden (SCA 22.5.2018). Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (WB 10.4.2018).

 

Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich 6% prognostiziert (IWF 8.12.2017). Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1.4% aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3.4% bzw. 1.8%. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3% zurückgingen und die Importe um 8% stiegen (UN GASC 27.2.2018).

 

Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit

 

Schätzungen zufolge leben 74,8% der Bevölkerung in ländlichen und 25,2% in städtischen Gebieten (CSO 4.2017). Für ungefähr ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle (SCA 22.5.2018; vgl. AF 14.11.2017).

 

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet (WB 10.4.2018). Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt (SCA 22.5.2018). Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. SCA 22.5.2018). Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80% davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner) (SCA 22.5.2018).

 

Ungefähr 47,3% der afghanischen Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, 60% unter 24 Jahre. Daher muss die Versorgung der jungen Bevölkerungsschichten seitens einer viel geringeren Zahl von Erwachsenen gewährleistet werden; eine Herausforderung, die durch den schwachen Arbeitsmarkt verschlimmert wird. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden. Gemäß einer Umfrage von Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 wird von 70,6% der Befragten die Arbeitslosigkeit als eines der größten Probleme junger Menschen in Afghanistan zwischen 15 und 24 Jahren gesehen (AF 14.11.2017).

 

Projekte der afghanischen Regierung

 

Im Laufe des Jahres 2017 hat die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen unternommen, um die Rechenschaftspflicht bei der Umsetzung ihrer Entwicklungsprioritäten durch die hohen Entwicklungsräte zu fördern (UN GASC 27.2.2018). Darunter fällt u.

a. der fünfjährige (2017 - 2020) Nationale Rahmen für Frieden und Entwicklung in Afghanistan (The Afghanistan National Peace and Development Framework, ANPDF) zur Erreichung der Selbständigkeit. Ziele dieses strategischen Plans sind u. a. der Aufbau von Institutionen, die Förderung von privaten Investitionen, Wirtschaftswachstum, die Korruptionsbekämpfung, Personalentwicklung usw. (WP 10.4.2018.; vgl. GEC 29.1.2017). Im Rahmen der Umsetzung dieses Projekts hat die Regierung die zehn prioritären nationalen Programme mithilfe der Beratung durch die hohen Entwicklungsräte weiterentwickelt. Die Implementierung zweier dieser Projekte, des "Citizens' Charter National Priority Program" und des "Women's Economic Empowerment National Priority Program" ist vorangekommen. Die restlichen acht befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien (UN GASC 27.2.2018).

 

Das "Citizens' Charter National Priority Program" z. B. hat die Armutsreduktion und die Erhöhung des Lebensstandards zum Ziel, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden sollen. Die erste Phase des Projektes sollte ein Drittel der 34 Provinzen erfassen und konzentrierte sich auf Balkh, Herat, Kandahar und Nangarhar. Ziel des Projekts ist es, 3,4 Mio. Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser zu verschaffen, die Gesundheitsdienstleistungen, das Bildungswesen, das Straßennetz und die Stromversorgung zu verbessern, sowie die Zufriedenheit und das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu steigern. Des Weiteren zielt das Projekt darauf ab, Binnenvertriebene, Behinderte, Arme und Frauen besser zu integrieren (WB 10.10.2016).

 

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

22. Medizinische Versorgung

 

Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten; gleichzeitig sind im Grundgesetz die Förderung und der Schutz privater Gesundheitseinrichtungen vorgesehen (MPI 27.1.2004; Casolino 2011). Allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Berichten zufolge haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Behandlung stark einkommensabhängig. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung (AA 5 .2018).

 

[...]"

 

Zur Rückkehr nach Afghanistan, wird in Punkt 23 des LIB ausgeführt:

 

"23. Rückkehr

 

Als Rückkehrer/innen werden jene afghanische Staatsbürger/innen bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghan/innen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012-2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt. Die Anzahl der Rückkehrer/innen hat sich zunächst im Jahr 2016 im Vergleich zum Zeitraum 2012-2015, um 24% erhöht, und ist im Jahr 2017 um 52% zurückgegangen. In allen drei Zeiträumen war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer/innen zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145) (IOM/DTM 26.3.2018). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig, als auch zwangsweise) (IOM 2.2018). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (IOM 7.7.2017).

 

Im Rahmen des Tripartite Agreement (Drei-Parteien-Abkommen) unterstützt UNHCR die freiwillige Repatriierung von registrierten afghanischen Flüchtlingen aus Pakistan und Iran. Insgesamt erleichterte UNHCR im Jahr 2017 die freiwillige Rückkehr von 58.817 Personen (98% aus Pakistan sowie 2% aus Iran und anderen Ländern) (UNHCR 3.2018).

 

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen (USDOS 20.4.2018). Nichtsdestotrotz versucht die afghanische Regierung die gebildete Jugend, die aus Pakistan zurückkehrt, aufzunehmen (BTI 2018). Von den 2.1 Millionen Personen, die in informellen Siedlungen leben, sind 44% Rückkehrer/innen. In den informellen Siedlungen von Nangarhar lebt eine Million Menschen, wovon 69% Rückkehrer/innen sind. Die Zustände in diesen Siedlungen sind unterdurchschnittlich und sind besonders wegen der Gesundheits- und Sicherheitsverhältnisse besorgniserregend. 81% der Menschen in informellen Siedlungen sind Ernährungsunsicherheit ausgesetzt, 26% haben keinen Zugang zu adäquatem Trinkwasser und 24% leben in überfüllten Haushalten (UN OCHA 12.2017).

 

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Hierfür stand bislang das Jangalak-Aufnahmezentrum zur Verfügung, das sich direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand und wo Rückkehrende für die Dauer von bis zu zwei Wochen untergebracht werden konnten. Im Jangalak Aufnahmezentrum befanden sich 24 Zimmer, mit jeweils 2-3 Betten. Jedes Zimmer war mit einem Kühlschrank, Fernseher, einer Klimaanlage und einem Kleiderschrank ausgestattet. Seit September 2017 nutzt IOM nicht mehr das Jangalak-Aufnahmezentrum, sondern das Spinzar Hotel in Kabul als temporäre Unterbringungsmöglichkeit. Auch hier können Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig:

 

IOM (internationale Organisation für Migration) bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an (Assisted Voluntary Return and Reintegration - AVRR). In Österreich wird das Projekt Restart II seit 1.1.2017 vom österreichischen IOM-Landesbüro implementiert, welches vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und AMIF (dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU) mitfinanziert wird. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und in den Iran, nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. Das Projekt läuft mit 31.12.2019 aus und sieht eine Teilnahme von 490 Personen vor. IOM setzt im Zuge von Restart II unterschiedliche Maßnahmen um, darunter Rückkehr - und Reintegrationsunterstützung. In Kooperation mit Partnerninstitutionen des European Reintegration Network (ERIN) wird im Rahmen des ERIN Specific Action Program, nachhaltige Rückkehr und Reintegration freiwillig bzw. zwangsweise rückgeführter Drittstaatangehöriger in ihr Herkunftsland implementiert. IRARA (International Returns & Reintegration Assistance) eine gemeinnützige Organisation bietet durch Reintegrationsdienste nachhaltige Rückkehr an. ACE (Afghanistan Centre for Excellence) ist eine afghanische Organisation, die Schulungen und Arbeitsplatzvermittlung anbietet. AKAH (Aga Khan Agency for Habitat) ist in mehreren Bereichen tätig, zu denen auch die Unterstützung von Rückkehrer/innen zählt. Sowohl ACE als auch AKAH sind Organisationen, die im Rahmen von ERIN Specific Action Program in Afghanistan tätig sind. AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation) bietet zwangsweise zurückgekehrten Personen aus Europa und Australien Beratung und Unterstützung an. Unter anderem betreibt AMASO ein Schutzhaus, welches von privaten Spendern finanziert wird (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

NRC (Norwegian Refugee Council) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an. Auch hilft NRC Rückkehrer/innen bei Grundstücksstreitigkeiten. Kinder von Binnenvertriebenen und speziell von Rückkehrer/innen aus Pakistan sollen auch die Möglichkeit haben die Schule zu besuchen. NRC arbeitet mit dem afghanischen Bildungsministerium zusammen, um Schulen mit Unterrichtsmaterialien zu unterstützen und die Kapazitäten in diesen Institutionen zu erweitern. IDPs werden im Rahmen von Notfallprogrammen von NRC mit Sachleistungen, Nahrungsmitteln und Unterkunft versorgt; nach etwa zwei Monaten soll eine permanente Lösung für IDPs gefunden sein. Auch wird IDPs finanzielle Unterstützung geboten: pro Familie werden zwischen 5.000 und 14.000 Afghani Förderung ausbezahlt. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission). UNHCR und die Weltbank haben im November 2017 ein Abkommen zur gemeinsamen Datennutzung unterzeichnet, um die Reintegration afghanischer Rückkehrer/innen zu stärken. UNHCR leitet Initiativen, um nachhaltige Lösungen in den Provinzen Herat und Nangarhar zu erzielen, indem mit nationalen Behörden/Ministerien und internationalen Organisationen (UNICEF, WHO, IOM, UNDP, UN Habitat, WFP und FAO) zusammengearbeitet wird. Diese Initiativen setzen nationale Pläne in gemeinsame Programme in jenen Regionen um, die eine hohe Anzahl an Rückkehrer/innen und Binnenvertriebenen vorzuweisen haben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung

 

Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (wenngleich sich das Jangalak-Aufnahmezentrum bis September 2017 direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand, wurde dieses dennoch von IOM betrieben und finanziert). Seit 2016 erhalten die Rückkehr/innen nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (siehe Jangalak-Aufnahmezentrum). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Ausführliche Informationen zu den Programmen und Maßnahmen der erwähnten Organisationen sowie weitere Unterstützungsmaßnahmen können dem FFM-Bericht Afghanistan 4.2018 entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

 

Die Rolle unterschiedlicher Netzwerke für Rückkehrer/innen

 

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (BFA Staatendokumentation 4.2018). [...]"

 

1.4.2. Auszug aus den "EASO - Country Guidance Afghanistan, Juni 2018"

 

V. Innerstaatliche Schutzalternative

 

[...]

 

Im gegenständlichen Kapitel wird die Anwendbarkeit der innerstaatlichen Schutzalternative in Teilen von Afghanistan und insbesondere in den folgenden drei Städten bewertet und Leitlinien hierzu vorgegeben: Stadt Kabul, Stadt Herat sowie Mazar-e Sharif.

 

[...]

 

Erreichbarkeit: Die genannten Städte verfügen über funktionierende Flughäfen mit Inlands- und Auslandsflugverbindungen;

 

Sicherheitslage: Das Ausmaß willkürlicher Gewalt erreicht in diesen Städten nicht ein derart hohes Niveau, dass wesentliche Gründe zur Annahme vorliegen, wonach ein Zivilist - bloß aufgrund seiner Anwesenheit - ein tatsächliches Risiko zu gewärtigen hätte, ernsthaften Schaden zu nehmen. Abhängig von der jeweiligen Einzelfallprüfung könnte die innerstaatliche Schutzalternative dementsprechend auf die genannten Städte angewendet werden. [...]

 

Feststellungen zur Zumutbarkeit: Spezielle Personenprofile, welche in der Praxis anzutreffen sind

 

[...] Zusammenfassend könnte festgehalten werden, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif für alleinstehende erwachsene Männer und verheiratete kinderlose Paare, welche über sonst keinerlei schutzwürdige Merkmale verfügen, durchaus zumutbar sein könnte (selbst wenn die Betroffenen dort über keinerlei Unterstützungsnetzwerk verfügen). Bei Antragstellern mit anderen Personenprofilen wird zur Sicherung deren Grundbedürfnisse ein Unterstützungsnetzwerk innerhalb jenes Gebiets, das möglicherweise eine innerstaatliche Fluchtalternative bietet, im Allgemeinen wohl vonnöten sein. Allerdings kann bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative eine Bedachtnahme auf noch weitere persönliche Umstände ebenfalls maßgeblich sein. [...]"

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Die Feststellungen hinsichtlich der Person des BF, seiner familiären Verhältnisse im Herkunftsstaat, seinen Bindungen in die Heimat, sowie seines bisherigen in Österreich verbrachten Lebens (Knüpfen sozialer Kontakte, Setzen von Integrationsschritten und bisherige Berufsausübung etc.) beruhen zum einen auf dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes und zum anderen auf den diesbezüglich (glaubhaften) Angaben des BF im Laufe des Verfahrens sowie den hierfür vorgelegten (und insoweit unbedenklichen) Urkunden.

 

Die Herkunftsprovinz ist nicht wie im Bescheid angeführt PAKTIA, sondern PAKTIKA. Bereits in der Ersteinvernahme am 12.07.2011 hat der BF diese Provinz angeführt (Seite, 3). Allerdings sodann in der Befragung am 19.07.2011 PAKTIA angegeben (Seite, 3). Näher dazu befragt, konnte er keine schlüssigen Angaben machen, sondern nannte die Namen von Dörfern und Städten in diversen Provinzen (GHAZNI, KHANDAHAR, KHOST, KABUL) und unter anderem auch WAZIRISTAN (eine pakistanische Grenzprovinz zu Afghanistan, die an PAKTIKA grenzt). Warum sich das BFA dazu entschied PAKTIA (das eine Binnenprovinz ist) als Herkunftsprovinz anzunehmen, ist aus dem Bescheid nicht nachvollziehbar. Der BF wurde auch, obwohl der AsylGH mangelnde Feststellungen zur Heimatprovinz feststellte, in der Folge vom Bundesasylamt nicht mehr zur Herkunftsprovinz befragt, sondern ihm bzw. seinem Anwalt Länderfeststellungen zu PAKTIA übermittelt, die dieser in der Folge dem Grunde nach nicht mehr hinterfragte (AS 569) und wurde ihm auf dieser Grundlage subsidiärer Schutz erteilt.

 

Beim der Befragung beim BFA am 31.01.2019, sprach der BF dann mehrfach von PAKTIKA als seine Heimatprovinz (Seite 4, 7, 8). Beim BVwG führte der BF zuerst wieder an, dass es stimme, dass er aus PAKTIA stamme (VHS, 4) in der Folge gab er aber zu Fragen die sich auf seinen Schul- und Wohnort bezogen (VHS, 7, 10) PAKTIKA an. Aufgrund dieser Aussagen und seinen vielen Verbindungen zu PAKISTAN, geht das BVwG davon aus, dass das Heimatdorf in der Provinz PAKTIKA liegt, welche eine lange gemeinsame Grenze zu PAKISTAN an. Letztlich spielt der Heimatort nur mehr eine untergeordnete Rolle, weil die Sicherheitslage auch in PAKTIA "unruhig" ist (Staatendoku 3.27.) und sich die Kernfamilie (Eltern, Bruder) mittlerweile in GHAZNI befinden.

 

Die Feststellungen, dass der BF sich 2006-2008 in Griechenland aufgehalten hat, ergibt sich aus seinem vorgelegten Lebenslauf und den dazu getätigten Aussagen in der Verhandlung vor dem BVwG (VHS, 5, 8). Diesen wird Glauben geschenkt, obwohl sie den Angaben des BF in der Ersteinvernahme 2011 widersprechen, wo er noch angeführt hat, vor ca. einem Jahr Afghanistan verlassen zu haben und nur 10 Monate in Griechenland gewesen zu sein.

 

Die Feststellung zu den persönlichen Kontakten und Freundschaften beruhen vornehmlich auf seinen Aussagen in der mündlichen Verhandlung und dem dort gewonnenen Eindruck.

 

Soweit der BF in der Verhandlung das Verhältnis zu einer in PAKISTAN aufhältigen afghanischen Frau - die er bei der Befragung durch das BFA am 31.01.2019 noch als seine Verlobte bezeichnete nunmehr als Ehefrau bezeichnete - ist dies nicht vereinbar mit dem Inhalt der Aussagen bei der Einvernahme durch das BFA (BFA, 5; 9), wo er noch davon sprach, dass er sie 2016 kennengelernt, 2018 heiraten hätte wollen und subsidiären Schutz brauche, damit er sie nach Österreich bringen und heiraten könne. Die Erklärungsversuche (Missverständnisse) dazu überzeugen nicht (VHS, 13).

 

Der Umstand, dass sich der BF eine afghanische Frau aus PAKISTAN holen will (die ihn nur ca. 1 Monat kennt) zeigt aber, dass die Bindungen zu den afghanischen Traditionen noch stark ausgeprägt sind und er - trotz seines achtjährigen Aufenthalts in Österreich und gegenteiliger Beteuerungen, sie wäre ja gefragt worden und würde ihn freiwillig heiraten wollen (VHS, 13,14) - nicht verstanden hat, was die Grundrechte einer Frau in Österreich wirklich bedeuten.

 

2.2. Die Feststellung betreffend die strafgerichtliche Verurteilung des BF ergibt sich aus dem dem BVwG vorliegenden rechtskräftigen strafgerichtlichen Urteil, das in der mündlichen Verhandlung auch erörtert wurde (vorne I. 10. Und VHS, 12). Zwar hat der BF seit der Verurteilung zwar angeführt sein Leben geändert und sich von seinen falschen Freunden zurückgezogen zu haben, doch überzeugt dies nicht, weil er immer noch an derselben Adresse wohnt und er schon damals (Ende 2016 bis Mitte Juli 2017) nach dem ersten Verfahren (August 2016) über die schädigende Wirkung von Drogen und deren Verbot in Österreich wusste und dennoch als Übersetzer für einen Drogendealer tätig geworden ist. Wobei auch nicht verkannt wird, dass der BF noch vor dem Strafurteil vom 17.07.2018, am 09.04.2018 eine Vollzeit-Anstellung als Kommissionierer gefunden und seitdem weniger Freizeit hat.

 

2.3. Die Feststellungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan beruhen auf einem aktuellen Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 mit Aktualisierungen durch Kurzinformationen) sowie den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das BVwG kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zu Grunde gelegt werden konnten.

 

Dass es dem BF möglich sein wird, im Fall eines Aufenthaltes HERAT oder MAZAR-E SHARIF ein Leben aufzubauen, und sei es auch unter Anwendung entsprechender Anstrengung und bei zunächst sehr schwierigen Bedingungen, kann das Gericht aus einer Gesamtschau des Beweismaterials schließen. Bei dieser Gesamtschau zu berücksichtigen ist zunächst auch der Umstand, dass bereits die mit Indizwirkung ausgestatteten UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 zwar grundsätzlich davon ausgehen, dass Rückkehrer dann eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative vorfinden, wenn sie im "voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft" haben, dass diese Richtlinien aber gerade für den Fall von "alleinstehende[n], leistungsfähige[n] Männer[n] [...] im erwerbsfähigen Alter ohne [...] besondere Gefährdungsfaktoren" eine Ausnahme von dieser Grundannahme festhalten und ausführen, dass diese Personengruppe "unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in städtischen und halbstädtischen Gebieten leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Lebensgrundlagen zur Sicherung der Grundversorgung bieten und die unter der tatsächlichen Kontrolle des Staates stehen" (UNCHR, 30.08.2018, deutsche Fassung S. 125, vgl https://www.ecoi.net/en/file/local/1449845/90_1542006632_unhcr-2018-08-30-afg-richtlinien.pdf ).

 

Der EASO - Country Guidance: Afghanistan; Guidance note and common analysis (Juni 2018) und nunmehr mit nur unwesentlichen Änderungen das Update vom Juni 2019 (vgl https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/Country_Guidance_Afghanistan_2019.pdf und die dort zitierten EASO-Dokumente älteren Datums) bestätigen diese Einschätzung.

 

Soweit vom BF Ausschnitte aus einem 413 Seiten starken Gutachten von Friederike STAHLMANN vom 28.03.2018, 7 K 1757/16.WI.A zur Gesamtlage in AFGHANISTAN für das Verwaltungsgericht WIESBADEN zitiert bzw darauf verwiesen wurde, das im Ergebnis zum Schluss kommt, dass alleine aufgrund der Anwesenheit in AFGHANISTAN die Gefahr eines ernsthaften Schadens hinsichtlich des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit bestünde, ist darauf hinzuweisen, dass es sich hier um eine - einzelne - Gutachterin handelt, die selbst im Dezember 2014 zuletzt in Afghanistan war, eine subjektive Quellenauswahl (unter Heranziehung von teilweise auch veraltete Quellen) und Quelleninterpretation vorgenommen hat und dieses Gutachten für das erkennende Gericht nicht denselben Beweiswert aufweist wie die zitierten aktuellen länderkundliche Informationen (LIB, UNHCR-Richtlinien, EASO-Berichte oder Landinfo-Berichte), die einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage in Herkunftsstaat durchliefen.

 

Das Gutachten der Sachverständigen Mag. Karl MAHRINGER wurde - entgegen den Ausführungen des Rechtsanwaltes des BF - von der belangten Behörde nicht herangezogen und wird auch der Beurteilung des BVwG nicht zugrunde gelegt. Diesbezügliche Ausführungen erübrigen sich daher.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu Spruchteil A)

 

3.1. Zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten

 

3.1.1. § 8 AsylG 2005 normiert auszugsweise:

 

"Status des subsidiär Schutzberechtigten

 

§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

 

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

 

2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

 

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

(2) [...]

 

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.

 

(3a) [...]

 

(4) Einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, ist vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

 

[...]"

 

3.1.2. § 9 Abs 1 AsylG 2005 bestimmt auszugsweise:

 

"§ 9. (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

 

1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;

 

2. - 3. [....]

 

[...]"

 

3.1.3. Die bescheidmäßige Zuerkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigter entfaltet Rechtskraftwirkungen. Dasselbe gilt für zeitlich darauf folgende "im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen" zu erlassende Bescheide über die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung (vgl VwGH 30.08.2017, Ra 2017/17/0155).

 

3.1.4. Im vorliegenden Fall wurde dem BF mit Bescheid vom 05.02.2015 (vgl vorne I.4.) subsidiärer Schutz zusammengefasst deswegen gewährt, weil die belangte Behörde von einer realen Gefahr für die körperliche Unversehrtheit und für das Leben in der Provinz PAKTIA und einer Verletzung des Art 2 EMRK oder zumindest eine ernsthafte Bedrohung des Lebens infolge willkürlicher Gewalt in Folge des innerstaatlichen Konfliktes mit Terroristen, ausging. Dem BF, der nur den Beruf eines Ziegenhirten ausgeübt habe, sei es ohne sein familiäres Netzwerk nicht zumutbar in einer anderen Provinz zu leben, weil er dort mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in eine existenzielle Notlage geraten würde.

 

3.1.5. Der Tatbestand des § 9 Abs 1 Z 1 zweiter Fall AsylG stellt darauf ab, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs 1 AsylG 2005) nicht mehr vorliegen. In diesem Fall ist der Status von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen.

 

Dieser Tatbestand zielt daher auf den Fall einer Änderung des maßgeblichen Sachverhalts ab und steht im Einklang mit der entsprechenden EU-Richtlinie.

 

Nach Art 16 Abs 1 StatusRL (2011/95/EU ) hat ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser keinen Anspruch auf subsidiären Schutz mehr, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, nicht mehr bestehen oder sich in einem Maße verändert haben, dass ein solcher Schutz nicht mehr erforderlich ist. Gemäß Art. 16 Abs. 2 StatusRL haben die Mitgliedstaaten bei Anwendung des Art. 16 Abs. 1 StatusRL zu berücksichtigen, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.

 

Bei der Prüfung, ob sich ein dem rechtskräftig entschiedenen Bescheid zugrunde gelegter Sachverhalt maßgeblich geändert hat, ist vom Vorbescheid auszugehen, ohne dabei dessen sachliche Richtigkeit (nochmals) zu ergründen (Hengstschläger/Leeb, AVG § 68 Rz 25 mwN).

 

3.1.6. Im vorliegenden Fall wurde die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten - entgegen der Ansicht des Rechtsvertreters in der Beschwerde, der vermeint die Aberkennung stütze sich ausschließlich auf die strafrechtliche Verurteilung und damit offensichtlich auf § 9 Abs 2 AsylG 2005 nicht erfüllt sieht - auf den zweiten Fall des § 9 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 gestützt.

 

Davon, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiären Schutzberechtigten schon in jenem Zeitpunkt nicht vorhanden gewesen wären, in dem der diesbezügliche Bescheid in Rechtskraft erwachsen ist, ging das BFA erkennbar, nicht aus, weil ihr die zweijährige Tätigkeit des BF als Maler in Griechenland und der Irrtum bei der Annahme der Herkunftsprovinz, nicht aufgefallen ist.

 

Da es nicht um eine Aberkennung nach § 9 Abs 2 AsylG 2005 geht, sind das vom Rechtsvertreter zitierte Urteil EuGH 13.09.2018, Ahmed, C-369/20 17 und das Erkenntnis des VwGH 06.11.2018, Ra 2018/18/0295 hier nicht einschlägig.

 

Der Beschwerde ist zuzugestehen, dass die Annahme einer IFA in KABUL mangels Netzwerk des BF, der dortigen Sicherheits- und Versorgungslage und unter Berücksichtigung der UNHCR-RL vom 30.08.2018 nicht zumutbar ist. Von einer Wiederansiedelungsmöglichkeit/Rückkehr nach PAKTIA (bzw richtigerweise PAKTIKA) ging das BFA von vornherein nicht aus.

 

Das BVwG geht aber davon aus, dass sich die individuellen Umstände des BF, die auf eine Mehrzahl von Faktoren abstellen, zu denen nicht nur die Volljährigkeit, sondern auch das Geschlecht, das Vorhandensein von Familienbeziehungen, die Berufserfahrung und Selbsterhaltungsfähigkeit, die Volksgruppenzugehörigkeit, das Vorhandensein von Kontakten vor Ort etc. zählen, wesentlich und nachhaltig geändert haben.

 

Ausgehend davon, dass sich diese Faktoren untereinander beeinflussen, kommt einem Zugewinn an Lebenserfahrung, an Berufserfahrung (aber etwa auch an Ersparnissen oder hilfreichen Kontakten) gefährdungsmindernde Wirkung zu. Der Vorgang, mit dem eine Person älter, erfahrener und selbständiger wird, ist kontinuierlich und eine fortschreitende Entwicklung. Aus diesem Grund entfaltet der Bescheid, mit denen die Behörde dem BF die Aufenthaltsberechtigung verlängert hat - unter Berücksichtigung der Erkenntnisse des VwGH vom 30.08.2017, Ra 2017/18/0155 und 27.05.2019, Ra 2019/14/0153 -, wegen der Relevanz der inzwischen beim BF eingetretenen Entwicklungen keine Rechtskraftwirkung in dem Sinn, dass die nachfolgende persönliche Entwicklung des BF nicht mehr zum Entfall der Voraussetzungen des ihm zuerkannten Schutzes führen könnte. Dabei können auch vor der Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung begangenen Straftaten oder eine Änderung des Kenntnisstands hinsichtlich der persönlichen Situation der betroffenen Person im Rahmen einer Gesamtbeurteilung einfließen, sofern diese hinreichend bedeutsam und endgültig sind (vgl auch EuGH 23.5.2019, Bilali, C-720/17 , Rn 49 und 50).

 

Eine Entwicklung hin zu persönlicher Selbständigkeit ist beim BF festzustellen. Damit einher ging ein kontinuierlicher Zugewinn an Lebens- und Berufserfahrung während der Flucht (den der BF bei der Einvernahme vor der Zuerkennung des subsidiären Schutzes verschwiegen hat) und während seines Aufenthaltes in Österreich. Kontakte hat der BF in dieser Zeit ebenfalls geschlossen, und zwar sowohl mit einer in Österreich aufhältigen afghanischen Freunden, mit Arbeitgebern, Kollegen und österreichischen Bekannten.

 

3.1.7. Vor dem Hintergrund der so eingetretenen Änderungen in den für die Vorbescheide wesentlichen Annahmen ist zu beurteilen, ob der BF angesichts seiner hinzugewonnenen Lebens- und Berufserfahrung, aber auch angesichts der gewonnenen Kontakte zu anderen afghanischen Staatsangehörigen und der bisherigen Beziehung zu seiner Familie (und dadurch bedingt: weiteren Kontaktmöglichkeiten) nicht mehr in der Situation ist, die in den Vorbescheiden für ihn angenommen wurde, nämlich dass er im Fall der Rückkehr in andere Provinzen als seiner Herkunftsprovinz, in eine mit unmenschlicher Behandlung im Sinne von Art 3 EMRK gleichzusetzende Lage geriete.

 

3.1.8. Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH ist bei dieser Beurteilung eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 29.04.2019, Ra 2019/20/0175; VwGH 31.01.2019, Ra 2018/14/0404; 12.06.2018, Ra 2018/20/0284, jeweils mwN).

 

Nur wenn im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine derart prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, weil die Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird, liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat vor. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art 2 oder Art 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (vgl. VwGH 31.1.2019, Ra 2018/14/0196, mwN).

 

3.1.9. Unabhängig vom Vorgesagten ist die Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative (§ 11 AsylG) zu beachten.

 

§ 11 AsylG normiert unter dem Titel "Innerstaatliche Fluchtalternative", dass der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen ist, wenn "Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden [kann], und ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden [kann]". Schutz ist nach dieser Bestimmung gewährleistet, "wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind". Bei dieser Prüfung ist "auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen".

 

Zur Beurteilung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, hat der VwGH festgehalten, dass die Frage der Sicherheit des Asylwerbers in dem als innerstaatliche Fluchtalternative geprüften Gebiet des Herkunftsstaates wesentliche Bedeutung hat. Es muss mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden können, dass der Asylwerber in diesem Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs 1 AsylG die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, findet. Sind diese Voraussetzungen zu bejahen, so wird dem Asylwerber unter dem Aspekt der Sicherheit regelmäßig auch die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative zuzumuten sein (vgl VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001).

 

Auch wenn in manchen Provinzen Afghanistans (darunter PAKTIKA und PAKTIA) die Sicherheits- und Versorgungslage nicht ausreichend ist, lässt sich festhalten, dass dem BF eine Rückkehr in die Städte HERAT oder MAZAR-E SHARIF zugemutet werden kann. Die Städte die sich unter Regierungskontrolle befinden, können - ungeachtet des Umstandes, dass dort unbestrittenermaßen Anschläge, in erster Linie auf Einrichtungen mit Symbolcharakter oder Bezug zum Staat oder internationalen Akteuren, stattfinden, die immer auch Zivilisten zum Opfer haben - nicht als Orte angesehen werden, in denen eine derartige Gefährdung herrscht, dass der BF dort auf Grund der Sicherheitslage mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verletzung von Art 2 oder 3 EMRK ausgesetzt wäre. Diese Orte sind für den BF im Fall einer Abschiebung nach Afghanistan auch erreichbar. Bei diesen Orten liegt keine Sicherheitslage der Art vor, dass jeder dorthin Zurückkehrende, oder auch nur jeder Zurückkehrende der idR sunnitisch-gläubigen Paschtunen-Volksgruppe, der realen Gefahr unterläge, mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit einer Verletzung seiner durch Art 2 oder 3 MRK garantierten Rechte ausgesetzt zu sein oder die ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt zu erwarten wäre. Allein der Umstand, dass der BF etwa in einen Stadtteil zurückkehren würde, für den die Möglichkeit besteht, dass an einem öffentlichen Platz ein Bombenanschlag terroristischer Gruppierungen erfolgen könnte, begründet noch keine stichhaltigen Gründe für ein reales Risiko der Verletzung seiner durch Art 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte (vgl zum rechtlichen Prüfungsmaßstab auch das Erkenntnis des VwGH vom 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, mwN, - dort bezogen auf die Sicherheitslage bei Rückkehr in die von Terroranschlägen betroffene Stadt Bagdad; zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung unter dem Blickwinkel von Art 3 EMRK im Fall eines Hazara-Angehörigen nach Kabul vgl auch VfGH 12.12.2017, E 2068/2017).

 

Die Sicherheitslage ist freilich nicht der einzige relevante Gesichtspunkt für die Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative ohne Verletzung von Art 3 (und 2) EMRK in Frage kommt. Neben der politischen Lage bzw. Sicherheitslage im Herkunftsland kann auch das Vorhandensein einer Unterkunft und die Möglichkeit einer Versorgung im Zielstaat unter dem Gesichtspunkt des Art 3 EMRK relevant sein (vgl VfSlg 19.602/2011 mwN). Nach der Rechtsprechung des EGMR ist Voraussetzung einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Lichte von Art 3 EMRK, dass der Betroffene nicht nur sicher in das angesprochene Gebiet reisen und sich dort sicher aufhalten kann, sondern auch, dass er dort "aufgenommen wird und sich niederlassen kann" (EGMR im Urteil vom 29.06.2011, Sufi u Elmi gg. Vereinigtes Königreich, Beschw. Nr. 8319/07 und 11.449/07, § 266), ohne dass er in eine mit Art 3 EMRK unvereinbare Lage gerät. Eine solche Lage kann also in dem als Alternative zu prüfenden Gebiet nicht nur durch Angriffe auf die körperliche Sicherheit durch staatliche Organe oder Dritte entstehen, sondern auch durch zahlreiche andere Faktoren, wie etwa eine besonders prekäre humanitäre Versorgungslage, Kriminalität etc. (siehe die Ausführungen des EGMR in Rz. 291 und 292 des zitierten Urteils). Relevant ist, ob der Betroffene im angebotenen Zufluchtsgebiet voraussichtlich in der Lage sein wird, für seine grundlegendsten Bedürfnisse, wie Nahrung, Hygiene und Obdach zu sorgen, weiters, ob er verletzlich ist und ob Aussicht auf Besserung seiner Lage in angemessener Zeit besteht (wörtlich verlangt der anzuwendende Maßstab nach dem EGMR-Urteil im Fall Sufi u. Elmi, § 283 "to have regard to an applicant's ability to cater for his most basic needs, such as food, hygiene and shelter, his vulnerability to ill-treatment and the prospect of his situation improving within a reasonable time-frame"). Auf einfachgesetzlicher Ebene hat der Gesetzgeber dieses durch Art 3 EMRK und die einschlägige Rechtsprechung geforderte Kriterium in Form der gemäß § 11 AsylG normierten Voraussetzung der "Zumutbarkeit" geregelt. Dabei handelt es sich um eine Umsetzung von Art 8 der StatusRL ("dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt").

 

Mit diesen Prinzipien in Einklang geht auch die Rechtsprechung des VwGH davon aus, dass es, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, nicht ausreicht, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat, sondern es muss ihm möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, mit Hinweisen ua auf das bereits zitierte Erkenntnis VfGH 12.12.2017, E 2068/2017).

 

Speziell bezogen auf Afghanistan gehen sowohl der EGMR und der VfGH zur Beurteilung einer innerstaatlichen Flucht- bzw. Schutzalternative in Afghanistan auf Grundlage der einschlägigen Passage der UNHCR-Richtlinien (insofern den Vorversionen entsprechend: UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, letzter Stand 30. 08. 2018, davon aus, dass die Übersiedlung in einen anderen Teil Afghanistans möglich sei, wenn Schutz durch die eigene Großfamilie, Gemeinschaft oder Stamm am Zielort verfügbar sei;

"alleinstehende[n], leistungsfähige[n] Männer und verheiratete[n]

Paare[n] im erwerbsfähigen Alter ohne ... besondere

Gefährdungsfaktoren" sei es unter bestimmten Umständen auch möglich, ohne Unterstützung durch Familie und Gemeinschaft in städtischen oder halbstädtischen Gebieten mit existenter Infrastruktur und unter effektiver staatlicher Kontrolle zu überleben (S. 125). Wegen des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Zusammenhalts in Afghanistan, der durch jahrzehntelange Kriege, massive Flüchtlingsströme und Landflucht verursacht worden sei, sei aber eine Prüfung jedes einzelnen Falles notwendig (EGMR 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Beschw.Nr. 10.611/09, Rz. 96; 09.04.2013, H. und B. gg. Vereinigtes Königreich, Beschw.Nr. 70.073/10 und 44.539/11, Rz. 45 und 114; darauf Bezug nehmend zB VfGH 13.09.2013, U 1513/2012; 06.06.2014, U 2643/2013; zur Indizwirkung von UNHCR-RL VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0103).

 

Eine entsprechende Unterscheidung zwischen "alleinstehenden leistungsfähigen Männern [...] im berufsfähigen Alter" und anderen Personen findet sich somit nicht nur in den aktuellsten UNHCR-Richtlinien (2018), sondern auch entsprechend der Zeit des ursprünglichen Bescheides maßgeblichen Version sowie der im Zeitpunkt der Erlassung der Verlängerungsbescheide noch in Geltung stehenden Vorgängerbestimmungen aus dem Jahr 2016.

 

Diesen Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH besondere Beachtung zu schenken (siehe VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118, mit Verweis auf VwGH 22.11.2016, Ra 2016/20/0259, mwN).

 

In den aktuellen UNHCR-RL vom 30.08.2018 (deren Bedeutung der VfGH jüngst im Erkenntnis vom 30.11.2018, E 3870/2018, erneut hervorgehoben hat) wird nunmehr auch die Auffassung vertreten, dass angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage eine interne Schutzalternative in der Stadt Kabul grundsätzlich nicht verfügbar ist. Für die anderen Städte (hier: HERAT und MAZAR-E SHARIF) ist eine derartige Aussage in den UNHCR-Richtlinien jedenfalls nicht enthalten, sie unterliegen freilich einer Einzelfallprüfung.

 

3.1.10. Die gebotene Einzelfallprüfung ergibt hier, dass der BF auch im Lichte der Beurteilung der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in einer (im Vergleich zum Zeitpunkt der Erlassung der früheren Bescheide) anderen Situation ist, als er im Lichte der oben zitierten UNHCR-Richtlinien in die Kategorie der "alleinstehenden Männer im arbeitsfähigen Alter" einzuordnen ist, der an Berufs- und Lebenserfahrung sowie Kontakten hinzugewonnen hat. Eine Rückkehr nach Afghanistan und dort eine Aufenthaltsnahme in den Städten HERAT und MAZAR-E SHARIF ist ihm zumutbar.

 

Auch wenn der BF über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt, konnte er während seines Aufenthalts in Griechenland eine zweijährige Malerausbildung machen und insbesondere während seines Aufenthaltes in Österreich in der Gastronomie und Lagerlogistik als Kommissionierer Arbeitserfahrung sammeln; er kann auf seine Ersparnisse zurückgreifen, darüber hinaus bestehen entsprechende Angebote der Rückkehrhilfe. Insgesamt erscheint es möglich und zumutbar, dass er bei einer Neuansiedelung mittelfristig Fuß fasst. Der VwGH hat bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass die Lage in Afghanistan sowohl hinsichtlich der Sicherheitslage in einzelnen Landesteilen als auch der wirtschaftlichen Situation angespannt ist, dass aber das Prüfungskalkül des Art 3 EMRK, das für die Annahme einer solchen Menschenrechtsverletzung das Vorhandensein einer die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz bedrohenden Lebenssituation unter exzeptionellen Umständen fordert, davon zu unterscheiden ist (VwGH 20.09.2017, Ra 2017/19/0205, 18.10.2017, Ra 2017/19/0420). Eine schwierige Lebenssituation bei einer Rückkehr nach Afghanistan bedeutet für sich genommen keine reale Gefahr einer Verletzung des Art 3 EMRK (VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118; 18.10.2017, Ra 2017/19/0157, mwN). Der Vollständigkeit halber wird an dieser Stelle festgehalten, dass auch der Umstand, dass ein Rückkehrer nicht über ausreichende Kenntnisse der örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten verfügt, für den Fall der Annahme der Unzumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht ausreichend wäre (VwGH 25.05.2016, Ra 2016/19/0036; 08.09.2016, Ra 2016/20/0063). Im konkreten Fall kann davon ausgegangen werden, dass der BF aufgrund des Beherrschens der Landessprachen und dem Eindruck den er in der Verhandlung hinterlassen hat, in kürzester Zeit in der Lage sein wird, sich entsprechend zu vernetzen und mit der Lage vertraut zu machen.

 

Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kann daher nicht als rechtswidrig erkannt werden.

 

3.1.11. Als Rechtsfolge daraus ist auch die im Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides verfügte Entziehung der befristet erteilten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter und die Abweisung des Antrages auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung im Spruchpunkt VIII. nicht zu beanstanden.

 

3.2. Zu Spruchpunkt III. bis IV. des angefochtenen Bescheides

 

3.2.1. Gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird und kein Fall der §§ 8 Abs 3a oder 9 Abs 2 AsylG vorliegt (Feststellung der Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung aus dem Titel der Art 2 oder 3 EMRK bzw. 6. oder 13. ZPEMRK in Fällen des Vorliegens von Aberkennungsgründen) vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

 

3.2.2. Zum Ausspruch gemäß § 57 AsylG ist im Wesentlichen auf die Ausführungen des angefochtenen Bescheides zu verweisen, die in der Beschwerde nicht bestritten wurden.

 

Gemäß § 57 Abs 1 AsylG hat das Bundesamt im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

"1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist."

 

Anhaltspunkte dafür, dass der BF diese Voraussetzungen verwirklicht, sind weder geltend gemacht worden noch im Verfahren sonst wie hervorgekommen, weshalb das BVwG der im Bescheid ausgesprochenen Nichtzuerkennung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" nicht entgegentreten kann.

 

3.2.3. Rückkehrentscheidung - Rechtslage

 

Gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Gemäß § 52 Abs 2 Z 4 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

 

§ 9 Abs 1 BFA-VG normiert, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, einer Ausweisung gemäß § 66 FPG oder eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig ist, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs 2 Z 1-9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

 

Gemäß § 9 Abs 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet abzusprechen, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.

 

Gemäß § 52 Abs 9 FPG ist mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

 

3.2.4. Rückkehrentscheidung - Rechtsprechung

 

Stellt die Maßnahme der Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art 8 EMRK geschützten Rechte dar, ist zu unterscheiden, ob daraus gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG die Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung auf Dauer resultiert (wovon dann aus-zugehen ist, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- oder Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind) oder ob dabei Umstände vorliegen, welche die Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung wegen einer drohenden Verletzung des Privat- und Familienlebens nach Art 8 EMRK nur vorübergehend befürchten lassen, in welchem Fall die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorübergehend für unzulässig zu erklären ist, wodurch der Aufenthalt des Fremden im Bundesgebiet "geduldet" (§ 46a Abs. 1c FPG) wird (vgl. VwGH 28.04.2015, Ra 2014/18/0146).

 

Stellt eine aufenthaltsbeendende Maßnahme keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art 8 EMRK geschützten Rechte dar, dann folgt daraus nicht nur deren Zulässigkeit im Grunde des § 9 BFA-VG, sondern auch, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels (oder die Duldung) zur Aufrechterhaltung des Privat- und/oder Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK nicht geboten ist (VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101 mit Hinweis auf die zur früheren Rechtslage ergangenen Erkenntnisse VwGH 22.10.2009, 2009/21/0293 und VwGH 27.05.2010, 2010/21/0142).

 

Der VwGH erkennt in seiner ständigen Rechtsprechung, dass bei der Beurteilung, ob im Falle der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in das durch Art 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben des oder der Fremden eingegriffen wird, eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt (VwGH 28.04.2014, Ra 2014/18/0146-0149, mwN). Maßgeblich sind dabei etwa die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, weiters der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert sowie die Bindungen zum Heimatstaat (VwGH 22.07.2011, 2009/22/0183).

 

Das persönliche Interesse nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl VwGH 22.01.2013, 2011/18/0036; VwGH 10.11.2015, Ro 2015/19/0001, mwN; zur Übertragbarkeit der zu früher geltenden Rechtslagen des FPG ergangenen Rechtsprechung zur Interessenabwägung bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen auf die seit 01.01.2014 geltende Rechtslage nach dem BFA-VG, VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

 

Der VwGH hat schon wiederholt darauf hingewiesen, dass die Aufenthaltsdauer nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien darstellt, weshalb auch nicht gesagt werden kann, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthalts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen ist (zB VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 bis 0058).

 

Zu prüfen ist daher, ob eine Rückkehrentscheidung mit Art 8 EMRK vereinbar ist, weil sie nur dann zulässig ist und nur im verneinenden Fall ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG überhaupt in Betracht käme.

 

3.2.5. Dass die hier zu beurteilende Rückkehrentscheidung unter Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels nicht als rechtswidrig angesehen werden kann, ergibt sich aus den folgenden Überlegungen:

 

Die Erlassung der Rückkehrentscheidung liegt zur Durchsetzung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften im öffentlichen Interesse, das im Lichte von Art 8 Abs 2 EMRK als Interesse "an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung" und am "wirtschaftlichen Wohl des Landes" eingestuft werden kann. Gegen die genannten Regeln verstoßen Fremde, die nach dem negativen Ausgang des Asylverfahrens über kein weiteres (vorläufiges) Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügen und unrechtmäßig in diesem verbleiben. Dem genannten öffentlichen Interesse kommt ein hoher Stellenwert zu (vgl VwGH 15.12.2015, Ra 2015/19/0247 mwN; zur Gewichtung des öffentlichen Interesses an der nach Abschluss eines Asylverfahrens zu verfügenden Ausweisung bzw. Rückkehrentscheidung und zur Zuordenbarkeit auch zum Eingriffstatbestand des "Schutzes der öffentlichen Ordnung" iSv. Art. 8 Abs. 2 EMRK s auch VfSlg. 19.086/2010 und VfSlg. 19.752/2012).

 

Der BF war zunächst (beginnend mit 12.07.2011) als Asylwerber und dann (beginnend mit 05.02.2015) als subsidiär Schutzberechtigter in Österreich aufhältig. Zunächst ist hierbei zu beachten, dass er in der Phase seines Asylverfahrens nicht von einem gesicherten Aufenthalt in Österreich ausgehen durfte (§ 9 Abs 2 Z 8 BFA-VG). Unter dem Gesichtspunkt der "Art des Aufenthaltes" (§ 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG) und der Frage, ob der BF auf die Dauerhaftigkeit seiner Berechtigung zum Aufenthalt vertrauen durfte (vgl den Regelungsgedanken des § 9 Abs 2 Z 9 BFA-VG), ist weiters von Bedeutung, dass der BF seit Februar 2015 bis dato als subsidiär Schutzberechtigter aufhältig war. Im Gegensatz zu Asylberechtigten erhalten subsidiär Schutzberechtigte nur ein vorübergehendes (aber jeweils befristet verlängerbares) Aufenthaltsrecht. Dies entspricht der Überlegung, dass jene Umstände, die typischerweise subsidiären Schutz rechtfertigen, jedenfalls in der Tendenz eher vorübergehenden Charakter haben (vgl VfSlg. 20.177/2017). Während dieser Zeiten war der BF daher zwar aufgrund von Aufenthaltsberechtigungen aufhältig, musste sich aber, vor allem in der des Umstands bewusst sein, dass diese Berechtigungen im Wandel der Zeit einer Überprüfung unterliegen und keinen Anspruch zur dauerhaften Aufenthaltsverfestigung vermitteln.

 

Seit dem Zeitpunkt der Begehung der festgestellten Straftat, und umso mehr seit dem ab Jänner 2018 offenen Verfahren über den Verlängerungsantrag, durfte er auch nicht mehr gesichert von der Wahrscheinlichkeit einer Verlängerung seiner Aufenthaltsberechtigung ausgehen.

 

Der BF verfügt auch über keine nahen Familienangehörigen oder sonstigen engeren Bezugspersonen in Österreich oder im sonstigen Europa. In Afghanistan leben demgegenüber nicht nur seine (Kern‑)Familie, sondern auch einige weitere Großfamilienangehörige (vgl § 9 Abs 2 Z 2 BFA-VG). Ein Teil seiner Familie lebt auch in Afghanistan nahegelegenen Pakistan, wo auch seine Verlobte wohnhaft ist.

 

Der Kontakt zu Freunden in Österreich, kann nicht als Familienleben im genannten Sinn eingestuft werden, auch wenn es unter dem Titel des "Privatlebens" bei der Abwägung ins Kalkül zu ziehen ist. Beim BF, der in Afghanistan aufgewachsen ist, sind nach wie vor entsprechende Bindungen zur Herkunftsgesellschaft erkennbar, die sich nicht nur durch seine evidente frühere Prägung, sondern beispielsweise auch durch den regelmäßigen Kontakt zur Familie und den Umstand manifestieren, dass er in Österreich Kontakte zu einem afghanischen Freundeskreis pflegt, die Mutter in der Heimat finanziell fallweise unterstützt und sich eine afghanische Verlobte aus Pakistan ausgesucht hat. Dies relativiert die Intensität des mit der Rückkehrentscheidung verbundenen Eingriffs in das Recht auf Achtung des Privatlebens.

 

Der BF hat während seines Aufenthaltes in Österreich einige Bekanntschaften und Freundschaften geschlossen, Schulungsmaßnahmen absolviert, konnte bereits Arbeitserfahrung in der Gastronomie und Lagerlogistik sammeln und befindet sich in einem Arbeitsverhältnis. Bei seinen beruflichen Tätigkeiten handelte es sich vornehmlich um Beschäftigungen als Kommissionierer in einem Lebensmittelkonzern. Diese Tätigkeit indiziert zwar einen Bezug zum Dienstgeber und stellt auch einen positiven Beitrag und eine legale Teilhabe am wirtschaftlichen Leben dar, sie ist für sich genommen in der Regel aber darüber hinaus nicht mit besonderem Kontakt, Austausch und Bindungen zur österreichischen Aufnahmegesellschaft verbunden (vgl zur Bedachtnahme auf die Art einer während des Aufenthalts ausgeübten Berufstätigkeit bei Beurteilung des Grads der Integration

s. zB VwGH 29.06.2010, 2010/18/0233; 17.04.2013, 2013/22/0042; 07.05.2014, 2013/22/0030; dort jeweils im Zusammenhang mit Tätigkeiten als Zeitungszusteller).

 

Darüber hinaus ist festzuhalten, dass der BF während seines Aufenthaltes als subsidiär Schutzberechtigter keine durchgehenden Arbeitstätigkeiten vorweisen konnte und phasenweise (mehrmals, jeweils mehrmonatig) auf Sozialleistungen zurückgreifen musste. Die in Österreich entfalteten Tätigkeiten weisen zwar auf Bemühungen hin - wobei insbesondere die Deutschkenntnisse und die seit April 2018 regelmäßige Berufstätigkeit zu erwähnen ist - eine besonders erhebliche Verdichtung der Integration in Österreich bzw des hier entfalteten Privatlebens kann darin und in den Freundschaften und Beschäftigungen aber nicht gesehen werden (§ 9 Abs 2 Z 3 BFA-VG).

 

Der BF ist nicht unbescholten (§ 9 Abs 2 Z 6 BFA-VG) und es fällt eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung zu seinen Lasten ins Gewicht. Bei der zwischen Ende 2016 und Mitte Juli 2017 begangenen Straftat handelt sich um eine Beitragstäterschaft zum Suchtgifthandel, in dem er sich als Dolmetscher für den Dealer zur Verfügung stellte und hatte er auch davor (August 2016 - Tatzeitraum Mai 2013 bis Mai 2016) bereits ein Verfahren wegen unerlaubten Umgang mit Suchtmittel (vgl. dazu auch hinten 3.3. zum Einreiseverbot). Der seit Tatbegehung vergangene Zeitraum des Wohlverhaltens ist zwar zu berücksichtigen, ebenso wie das bereits vom Strafgericht als mildernd veranschlagte Tatsachengeständnis und seine Unbescholtenheit bis dorthin. Dennoch war sich der BF zum Zeitpunkt der Dolmetschleistung für den Suchtmitteldealer der schädlichen Wirkung und des strafrechtlichen Verbotes bewusst. Es ist seither noch kein langer Zeitraum vergangen und es kam durch diese Taten (insbesondere bei der letzten, wo er auch verurteilt wurde) beim BF ein Potential der Missachtung der Rechtsordnung (in concreto: des Suchtmittelgesetzes) zum Ausdruck, so dass das öffentliche Interesse an der Berücksichtigung dieser Straftat nach wie vor entsprechend wirkt.

 

Das Gericht sieht im Beschwerdefall - trotz des Aufenthaltes von über 8 Jahren in Österreich - keinen Sachverhalt verwirklicht, bei dem ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung aus dem Titel von Art 8 EMRK geboten wäre. Vor dem Hintergrund der vorstehend dargestellten Aspekte ist bei einer Gesamtschau davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes des BF im Bundesgebiet sein persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher eine Rückkehrentscheidung im Lichte des Rechts auf Achtung des Privatlebens des BF jedenfalls als iSd Art 8 Abs 2 EMRK verhältnismäßig angesehen werden kann. Auch sind sonst keine Anhaltspunkte dafür hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung unzulässig wäre.

 

Im Rahmen einer Interessenabwägung kommt den persönlichen Interessen des BF bei gesamthafter Betrachtung des Falles geringeres Gewicht zu, so dass auch die Rückkehrentscheidung zu bestätigen war.

 

3.2.6. Zur Beurteilung im Lichte des § 52 Abs 9 FPG kann - zumal dazu auch nichts gesondert vorgebracht wurde und auch (iSd § 50 Abs 3 FPG) keine Empfehlung des EGMR vorliegt - auf die Ausführungen iZm. mit der Beurteilung des subsidiären Schutzes, insbesondere zur (der Annahme einer einschlägigen Grundrechtsverletzung entgegenstehenden) innerstaatlichen Fluchtalternative verwiesen werden (vgl. auch VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119). Der auf § 52 Abs. 9 FPG 2005 gestützte Ausspruch der belangten Behörde erfolgte daher zu Recht.

 

3.2.7. Auch die gesetzte Frist zur freiwilligen Ausreise begegnet keinen Bedenken.

 

3.3. Zur Verhängung des Einreiseverbotes (Spruchpunkt VII.)

 

3.3.1. Der mit "Einreiseverbot" betitelte § 53 FPG lautet auszugsweise:

 

"§ 53. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

 

(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn

 

1. wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl. Nr. 159, iVm § 26 Abs. 3 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997, gemäß § 99 Abs. 1, 1 a, 1 b oder 2 StVO, gemäß § 37 Abs. 3 oder 4 FSG, gemäß § 366 Abs. 1 Z 1 der Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl. Nr. 194, in Bezug auf ein bewilligungspflichtiges, gebundenes Gewerbe, gemäß den §§ 81 oder 82 des SPG, gemäß den §§ 9 oder 14 iVm § 19 des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl. Nr. 98, oder wegen einer Übertretung des Grenzkontrollgesetzes, des Meldegesetzes, des Gefahrengutbeförderungsgesetzes oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist;

 

2. wegen einer Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von mindestens 1 000 Euro oder primären Freiheitsstrafe rechtskräftig bestraft wurde;

 

3. wegen einer Übertretung dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist, sofern es sich dabei nicht um eine in Abs. 3 genannte Übertretung handelt;

 

4. wegen vorsätzlich begangener Finanzvergehen oder wegen vorsätzlich begangener Zuwiderhandlungen gegen devisenrechtliche Vorschriften rechtskräftig bestraft worden ist;

 

5. wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, rechtskräftig bestraft worden ist;

 

6. den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag;

 

7. bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige hätte nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes für denselben Dienstgeber eine andere Beschäftigung ausüben dürfen und für die Beschäftigung, bei der der Drittstaatsangehörige betreten wurde, wäre keine Zweckänderung erforderlich oder eine Zweckänderung zulässig gewesen;

 

8. eine Ehe geschlossen oder eine eingetragene Partnerschaft begründet hat und sich für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, zwecks Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen, aber mit dem Ehegatten oder eingetragenen Partner ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht geführt hat oder

 

9. an Kindes statt angenommen wurde und die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, der Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, der Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt oder die Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausschließlicher oder vorwiegender Grund für die Annahme an Kindes statt war, er jedoch das Gericht über die wahren Verhältnisse zu den Wahleltern getäuscht hat.

 

(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn

 

1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten [...] rechtskräftig verurteilt worden ist; [...]"

 

Bei der Beurteilung der Zulässigkeit und Verhältnismäßigkeit eines Einreiseverbotes kommt es nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung beziehungsweise Bestrafung des Fremden an, sondern auf das dieser zugrundeliegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an (VwGH 19.02.2013, 2012/18/0230). Das festgestellte Fehlverhalten kann auch zur Beurteilung der für das Aufenthaltsverbot erforderlichen Gefährdungsprognose herangezogen werden, obwohl es (noch) nicht zu einer gerichtlichen Bestrafung geführt hat (VwGH 23.03.2017, Ra 2016/21/0349).

 

Die belangte Behörde hat die verhängte Dauer des ausgesprochenen Einreiseverbots nicht (nur) auf die Tatsache der Verurteilungen beziehungsweise der daraus resultierenden Strafhöhen, abzustützen, sondern unter Berücksichtigung des Systems der abgestuften Gefährdungsprognosen, das dem FPG inhärent ist (VwGH 20.11.2008, 2008/21/0603; VwGH 22.11.2012, 2012/23/0030) sowie unter Würdigung des individuellen, vom BF durch sein persönliches Verhalten im Bundesgebiet gezeichneten Charakterbildes eine Gefährdungsprognose zu treffen.

 

3.3.2. Das BFA hat die Erlassung des Einreiseverbotes auf § 53 Abs 1 iVm Abs 2 FPG gestützt und eine Gefährlichkeitsprognose des BF aufgrund der Ausführungen im Strafgerichtsurteil (vorne I.10.) vorgenommen.

 

Es hat sinngemäß argumentiert, dass aufgrund der demonstrativen Natur der Aufzählung im Abs 2 (verdeutlicht durch den Begriff "insbesondere") und der dortigen Anführung sogar von Verwaltungsstrafdelikten die mit einer Geldstrafe von mindestens €

1.000,-- bestraft würden, es auch gerechtfertigt sei, bei gerichtlichen Strafen von wie hier € 1.800,-- wegen eines Vergehens nach dem Suchmittelgesetz (§ 27 Abs 1 Z 1 8. Fall) ein Einreiseverbot zur Gewährleistung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhängen.

 

Der BF habe mit seiner Dolmetschertätigkeit, im Wissen, dass es sich dabei um die Durchführungen eines verbotenen Suchtmittelverkaufes (Verhandlungen über Menge und Preis) gehandelt habe, Ende 2016 bis Mitte Juli 2017 als Wiederholungstäter (aufgrund der vorläufigen Einstellung, wegen des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgift im August 2016 - Tatzeitraum Mai 2013 bis Mai 2016) und noch in der Probezeit gehandelt. Gemäß der Rechtsprechung des VwGH berühre die aus der Begehung von Suchtmitteldelikten abzuleitende Gefahr die öffentliche Ordnung und Sicherheit (insbesondere die Gesundheit Dritter), wegen der besonderen Gefährlichkeit der Suchtmittelkriminalität, ein Grundinteresse der Gesellschaft (VwGH 22.05.2007, 2006/21/0115). Suchtmitteldelikte seien ein besonders verpöntes Verhalten, bei denen erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr vorliege und an deren Verhinderung ein besonderes öffentliches Interesse bestehe (VwGH 20.08.2013, 2013/22/0082). Der BF sei daher offensichtlich nicht bereit die österr. Rechtsordnung zu beachten und könne nur eine negative Zukunftsprognose getroffen werden. Humanitäre Gründe stünden der Verhängung eines Einreiseverbotes - unter Berücksichtigung der Abwägungen zur Rückkehrentscheidung - nicht entgegen.

 

3.3.3. Das BVwG schließt sich diesen Erwägungen an (vgl dazu auch vorne 3.2.5.)

 

Der VwGH hat bereits mehrfach ausgeführt, dass es sich bei den in § 53 Abs 2 und Abs 3 FPG aufgezählten Tatbeständen um eine demonstrative Aufzählung handelt (VwGH 24.05.2018, Ra 2018/19/0125, 26.06.2014, Ro 2014/21/0026). Es sind daher auch andere Verhaltensweisen, die die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden, im Rahmen der beabsichtigten Erlassung eines Einreiseverbotes zu prüfen.

 

Für den gegenständlichen Fall bedeutet dies, dass unter Berücksichtigung aller genannten Umstände und in Ansehung des bisherigen Fehlverhaltens und des sich daraus ergebenden Persönlichkeitsbildes des BF eine Gefährdung von öffentlichen Interessen, insbesondere zur Wahrung des gesundheitlichen und wirtschaftlichen Wohls Österreichs, an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt regelnden Vorschriften sowie an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, als gegeben angenommen werden kann (VwGH 19.05.2004, 2001/18/0074).

 

Den persönlichen Interessen des BF an einem weiteren Aufenthalt in Österreich steht das öffentliche Interesse an der Verhinderung der Suchtmittelkriminalität und das öffentliche Interesse an der Wahrung der öffentlichen Ordnung sowie das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens gegenüber; diesen gewichtigen öffentlichen Interessen kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art 8 Abs 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu, da erfahrungsgemäß eine erhöhte Wiederholungsgefahr gegeben ist (VwGH 07.07.2009, AW 2009/18/0219; 20.03.1996, 95/21/0643; 03.03.1994;

94/18/0021; 12.03.2002, 98/18/0260; 18.01.2005, 2004/18/0365;

29.03.2012, 2011/23/0662; 20.08.2013, 2013/ 22/0082).

 

Die Gesamtbeurteilung des Verhaltens, der Lebensumstände sowie der familiären und privaten Anknüpfungspunkte des BF hat im Zuge der vorgenommenen Abwägungsentscheidung ergeben, dass die Erlassung des Einreiseverbotes gerechtfertigt und notwendig ist, um die vom BF ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern. Die Verhängung eines Einreiseverbotes im genannten, im mittleren Bereich (3 Jahre) liegenden Ausmaß, erscheint in Anbetracht der Tatsache, dass von § 53 FPG auch bloße Verwaltungsübertretungen mit geringerem Unrechtsgehalt und kriminelle Handlungen von höherem Unrechtsgehalt erfasst sind, zur Erreichung der in Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele als angemessen und verhältnismäßig.

 

Wenn der BF in der Verhandlung anführt, er habe sich mehrfach wegen der Straftaten entschuldigt und tue dies erneut (VHS, 12) ist das Vorbringen vor dem Hintergrund der Taten des BF und den Feststellungen nicht geeignet, eine andere Beurteilung herbeizuführen.

 

Zu Spruchteil B):

 

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Auf die oa Judikatur der Höchstgerichte wird hingewiesen.

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