Normen
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
FrG 1993 §11 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
StGB §269 Abs1;
StGB §83 Abs1;
StGB §84 Abs2 Z4;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
FrG 1993 §11 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
StGB §269 Abs1;
StGB §83 Abs1;
StGB §84 Abs2 Z4;
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I
1. Mit Bescheid vom 8. Oktober 1993 erklärte die Bundespolizeidirektion Wien (die belangte Behörde) gemäß § 11 Abs. 1 iVm § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, den von ihr dem Beschwerdeführer, einem nigerianischen Staatsangehörigen, am 21. Dezember 1992 erteilten Sichtvermerk für ungültig.
Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, daß der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 16. Dezember 1992 (rechtskräftig seit 14. April 1993) wegen §§ 15, 269 Abs. 1 erster Fall, 83 Abs. 1 und 84 Abs. 2 Z. 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, bedingt auf drei Jahre, verurteilt worden sei. Mittlerweile sei gegen den Beschwerdeführer wegen derselben Delikte neuerlich ein Strafverfahren bei dem genannten Gericht anhängig. Der Beschwerdeführer habe nach der Heirat mit einer österreichischen Staatsbürgerin seinen Asylantrag zurückgezogen; er befinde sich in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis und studiere Bankwesen. Persönliche Bindungen und Beziehungen zum Bundesgebiet könnten dem Beschwerdeführer somit nicht abgesprochen werden. Der festgestellte Sachverhalt erfülle jedoch eindeutig den Tatbestand des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.
2. Die dagegen zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde wurde nach Ablehnung von deren Behandlung dem Verwaltungsgerichtshof (unter Anschluß der Verwaltungsakten) zur Entscheidung abgetreten (Beschluß vom 30. November 1993, B 1858/93).
Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren macht der Beschwerdeführer inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und begehrt, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.
II
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 11 Abs. 1 FrG ist ein Sichtvermerk ungültig zu erklären, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden oder eintreten, welche die Versagung des Sichtvermerkes (§ 10 Abs. 1 und 2) rechtfertigen würden.
Nach § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG ist die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.
2.1. Die Beschwerde wirft der belangten Behörde vor, sie habe es unterlassen, die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers gegen die maßgeblichen öffentlichen Interessen abzuwägen. Bei Vornahme der gebotenen Interessenabwägung hätte die belangte Behörde erkennen müssen, daß ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers nicht gerechtfertigt sei. Daß eine Verurteilung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten nicht die Annahme rechtfertige, es sei die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet, ergebe sich aus § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG.
2.2. Richtig ist, daß die Behörde bei Anwendung des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG auf die privaten und familiären Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen hat, und zwar derart, daß sie zu prüfen hat, ob ein Aufenthalt des Fremden im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit derart gefährden würde, daß die im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben rechtfertigen (vgl. aus der insoweit übereinstimmenden Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes etwa das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 30. Juni 1993, B 302/93, und das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Jänner 1994, Zl. 93/18/0317).
Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Meinung trug die belangte Behörde im vorliegenden Fall diesem Interessenabwägungs-Gebot Rechnung. Wie bereits der Verfassungsgerichtshof in seinem Ablehnungs-Beschluß vom 30. November 1993, B 1858/93, zum Ausdruck brachte, hat die belangte Behörde "eine, wenngleich sehr knappe, Auseinandersetzung mit der familiären Situation des Beschwerdeführers vorgenommen". Daß sie hiebei zu einem rechtswidrigen Ergebnis gelangt wäre, vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu erkennen: Die sich in den der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers zugrundeliegenden strafbaren Handlungen (Widerstand gegen die Staatsgewalt, Körperverletzung und schwere Körperverletzung) manifestierende Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen ist von solchem Gewicht, daß zur Wahrung der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung von strafbaren Handlungen und zum Schutz der Rechte anderer (Art. 8 Abs. 2 MRK) die durch die Ungültigerklärung des Sichtvermerkes tangierten privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers zurückzustehen haben.
Der Hinweis auf § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG geht in diesem Zusammenhang fehl, da die dort (u.a.) genannte Voraussetzung einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe "von mehr als sechs Monaten" ausschließlich für die Frage der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes von Bedeutung ist. Dafür hingegen, ob der Tatbestand des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG verwirklicht ist, ist nicht das Vorliegen einer rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilung (oder einer rechtskräftigen verwaltungsbehördlichen Bestrafung) wesentlich, sondern, ob das (gesamte) Verhalten des Fremden die in der genannten Bestimmung umschriebene Annahme rechtfertigt (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 30. September 1993, Zl. 93/18/0347). Dies ist - unter Zugrundelegung der den Gegenstand seiner gerichtlichen Verurteilung bildenden Straftaten - in bezug auf den Beschwerdeführer der Fall.
3.1. Einen groben Verstoß gegen Verfahrensvorschriften erblickt der Beschwerdeführer darin, daß seiner der Erlassung des angefochtenen Bescheides vorangegangenen Einvernahme kein Dolmetscher beigezogen worden sei (§ 39a AVG). Der Beschwerdeführer verfüge zwar über Deutschkenntnisse, sei jedoch nicht in der Lage, juristischen Ausführungen zu folgen und die daraus entstehenden Konsequenzen zu verstehen. Durch die Nichtbeiziehung eines Dolmetschers sei der Beschwerdeführer auch in seinem Recht auf Gehör verletzt worden, da ihm die Möglichkeit genommen worden sei, zur beabsichtigten Vorgangsweise der Behörde Stellung zu nehmen.
3.2. Selbst wenn ein Verfahrensmangel im Grunde des § 39a AVG unterlaufen sein sollte, führte dieser die Beschwerde nicht zum Erfolg, hat sie es doch unterlassen aufzuzeigen, inwieweit die Beiziehung eines Dolmetschers zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis geführt hätte. Denn zum einen wurde anläßlich der Vernehmung des Beschwerdeführers am 8. Oktober 1993 laut Niederschrift (deren Richtigkeit ausdrücklich gemäß § 14 Abs. 3 AVG bestätigt wurde) in sachverhaltsmäßiger Hinsicht allein die mehrfach erwähnte rechtskräftige gerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers (die zugrundeliegenden Straftaten) festgehalten, zum anderen seitens der Behörde dargelegt, welche rechtlichen Schritte sie nunmehr zu setzen beabsichtige. Der besagte maßgebliche Sachverhalt aber blieb auch in der Beschwerde unbestritten; die ins Auge gefaßte rechtliche Beurteilung dieses Sachverhaltes durch die Behörde indes ist nicht Gegenstand des Parteiengehörs (vgl. § 45 Abs. 3 AVG).
4. Auch mit dem bloß den Gesetzestext wiedergebenden Vorbringen, die belangte Behörde habe § 13a AVG nicht beachtet, verabsäumt es die Beschwerde, die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels darzutun.
5. Da nach dem Gesagten von der belangten Behörde zutreffend das Vorliegen der Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 iVm § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG bejaht wurde, somit die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht gegeben ist - was bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt -, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.
6. Bei diesem Ergebnis erübrigte sich ein gesonderter Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)