BVwG W226 1418381-6

BVwGW226 1418381-625.6.2018

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art.133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:W226.1418381.6.00

 

Spruch:

W226 1418381-6/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.01.2017, Zl. 820902902-161660840 nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 25.01.2018 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1.1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehörige der Russischen Föderation, reiste am 04.10.2010 illegal gemeinsam mit seiner Mutter (Beschwerdeführerin zu W226 1418348-6) und seiner Tante (Beschwerdeführerin zu W226 1418379-6) in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz.

Dieser wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 25.02.2011, Zl. 10 09.232-BAI bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, welche mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 13.02.2012 zu D18 418381-1/2011/7E als unbegründet abgewiesen wurde.

Gegen dieses Erkenntnis erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 27.06.2012 zu U 650/12-9, 651/12-9, U 652/12-9 wurde die Behandlung der Beschwerde gem. Art. 144a B-VG abgelehnt.

1.2. Mit Bescheid des Arbeitsmarktservice vom 22.09.2011 zu GZ: 08114 wurde für den Beschwerdeführer für die berufliche Tätigkeit als Abwäscher für die Zeit vom 22.09.2011 bis 31.10.2011 für einen festgelegten örtlichen Geltungsbereich eine Beschäftigungsbewilligung (Branchenkontingent) erteilt.

Mit Bescheid des Arbeitsmarktservice vom 21.12.2011 zu GZ 08114 wurde für den Beschwerdeführer für die berufliche Tätigkeit als Abwäscher für die Zeit vom 21.12.2011 bis 20.04.2012 für einen festgelegten örtlichen Geltungsbereich eine Beschäftigungsbewilligung (Branchenkontingent) erteilt.

1.3. Am 02.03.2012 stellte der Beschwerdeführer beim Asylgerichtshof einen Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 AVG, welchem mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 22.03.2012 nicht stattgegeben wurde.

Am selben Tag stellte der Beschwerdeführer beim Bundesasylamt einen Antrag auf Wiederaufnahme gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 AVG, welcher mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 28.03.2012 zu D18 418381-3/2012/2E abgewiesen wurde.

1.4. Am 18.07.2012 stellte der Beschwerdeführer, ebenso wie seine Mutter und seine Tante, einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesasylamtes, Zl. 12 09.029-EAST West gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen wurde.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, welche mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 25.10.2012 zu D18 418381-4/2012/2E als unbegründet abgewiesen wurde.

1.5. Am 13.02.2013 brachte der Beschwerdeführer bei der Bezirkshauptmannschaft XXXX einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot-Karte plus" gemäß § 41a Abs. 9 NAG ein Erst-Niederlassungsbewilligung gemäß § 43 Abs. 3 NAG ein.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom 08.08.2013 wurde der Antrag als unzulässig zurückgewiesen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 18.09.2013 Berufung, welche als Beschwerde vor dem Landesverwaltungsgericht galt.

Diese Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg vom 25.11.2014 zu LVwG-11/111/11-2014 als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis erhob der Beschwerdeführer außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof, welche mit Beschluss des VwGH vom 26.03.2015 zu Ra 2015/22/0036 zurückgewiesen wurde.

1.6. Am 27.06.2016 stellte der Beschwerdeführer beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gem. § 55 Abs. 1 AsylG 2005. Begründend gab er an, er lebe seit 04.10.2010 durchgängig in Österreich, sei von Dezember 2011 bis März 2012 beschäftigt gewesen, verfüge über eine Beschäftigungszusage und spreche Deutsch auf B1-Niveau. Auch die Mutter und die Tante des Beschwerdeführers stellten Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels.

Mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.12.2016 wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, einen Identitätsnachweis vorzulegen und zu den angeführten Punkten binnen 14 Tagen ab Zustellung eine Stellungnahme abzugeben.

In seiner Stellungnahme vom 18.12.2016 gab der Beschwerdeführer an, dass dem Amt alle ihm verfügbaren Identitätsdokumente vorliegen würden und beantwortete die ihm gestellten Fragen.

Mit gegenständlichem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.01.2017, Zl. 820902902-161660840 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gem. § 55 AsylG 2005 abgewiesen. Die Anträge der Mutter und der Tante des Beschwerdeführers wurden mit Bescheiden vom selben Tag ebenfalls abgewiesen.

Gegen den gegenständlichen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, ebenso wie seine Mutter und seine Tante, am 13.02.2017 fristgerecht Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften.

1.7. Mit Eingabe vom 15.01.2018 legte der Beschwerdeführer eine Bestätigung der Eheschließung nach islamischem Ritus am 04.11.2017, ausgestellt am 11.01.2018, vor.

1.8. Mit Mandatsbescheid vom 21. Dezember 2017 erhielt der Beschwerdeführer eine Anordnung zur Unterkunftsnahme in Fieberbrunn. Am 21.01.2017 wurde der Antragsteller in das PAZ Salzburg verbracht, von wo aus er am 22.01.2018 nach Wien überstellt wurde.

Am 22.01.2018 stellte der Beschwerdeführer eine Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach dem Unionsrecht auf Gewährung eines vorübergehenden Aufenthaltsrecht, in eventu die Hintanhaltung der Abschiebung zur Gewahrung prozessualer Rechte im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 25.01.2018 vor dem BVwG gemäß Art. 47 GRC.

Der Beschwerdeführer wurde am 23.01.2018 in die Russische Föderation abgeschoben.

1.9. Zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes im gegenständlichen Beschwerdeverfahren sowie in den Beschwerdeverfahren der Mutter und der Tante des Beschwerdeführers wurde für den 25.01.2018 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anberaumt. Es erschienen die Mutter und die Tante des Beschwerdeführers, der Zeuge XXXX sowie die Zeugin XXXX , die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers. In der Verhandlung wurden die persönlichen Umstände des Beschwerdeführers sowie seiner Mutter und seiner Tante in Österreich und im Herkunftsstaat erläutert und die Quellen der zur Entscheidungsfindung herangezogenen Länderinformationen dargetan.

1.7. Am 08.02.2018 langte seitens des vertretenen Beschwerdeführers eine Stellungnahme, in eventu ein Antrag auf Heilung gemäß § 4 Abs. 1 iVm § 8 AsylG-DV, beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Im gegenständlichen Verfahren legte die Beschwerdeführerin folgende Dokumente/Unterlagen vor:

* Kopie Taekwondo Ausweis;

* ÖIF Prüfungsbestätigung B1 vom 22.01.2015;

* Einstellungszusagen XXXX vom 25.04.2016 und vom 12.02.2017;

* Empfehlungsschreiben XXXX , 19.02.2012;

* Zeitungsberichte zu und Urkunden von Taekwondo-Veranstaltungen/Wettkämpfen;

* ÖSD Sprachdiplom A2 ("bestanden"), 06.06.2011;

* Empfehlungsschreiben XXXX , 10.02.2017;

* Einstellungszusage XXXX , 09.02.2017;

* Empfehlungsschreiben XXXX ;

* Ladung in Russischer Sprache (Übersetzung im Akt);

* Liste an Verwandten der Familie XXXX in Österreich und Russland;

* Empfehlungsschreiben XXXX , 24.12.2017;

* Empfehlungsschreiben XXXX , 23.12.2017;

* Empfehlungsschreiben XXXX , 16.01.2018;

* Führerschein in russischer Sprache (Übersetzung im Akt);

* Undatierte handschriftliche Unterstützungserklärungen;

* Mietanbot;

* Meldezettel.

2. Feststellungen:

Beweis wurde erhoben durch die Einsichtnahme in die vorliegenden Verwaltunsakten des Beschwerdeführers, seiner Mutter (Beschwerdeführer zu W226 1418379-6) und seiner Tante (Beschwerdeführerin zu W226 1418348-6); durch Einsichtnahme in die vorgelegten Dokumente, Urkunden und Stellungnahmen des Beschwerdeführers sowie seiner Vertretung; durch Einvernahme der Mutter und der Tante des Beschwerdeführers sowie der Zeugen XXXX und XXXX im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 25.01.2018; sowie durch Einsichtnahme in aktuelle Auszüge aus Strafregister, GVS, IZR und ZMR. Demnach steht folgender Sachverhalt fest:

2.1. Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , wurde am XXXX in Russland geboren, ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig.

2.2. Der Beschwerdeführer reiste am 04.10.2010 illegal gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Tante in das österreichische Bundesgebiet ein und hält sich seit diesem Zeitpunkt auf Basis zweier Verfahren über Anträge auf internationalen Schutz im österreichischen Bundesgebiet auf.

Der erste Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz in Österreich wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 13.02.2012 zu D18 418381-1/2011/3E rechtskräftig abgewiesen. Der zweite Antrag (Folgeantrag) auf internationalen Schutz wurde ebenfalls mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 25.10.2013 zu D18 418381-4/2012/2E rechtskräftig abgewiesen.

Der Beschwerdeführer verblieb trotz der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung(en) im österreichischen Bundesgebiet.

2.3. Der Beschwerdeführer heiratete seine Lebensgefährtin, XXXX , geb. XXXX , am XXXX nach islamischem Ritus. Eine standesamtliche Hochzeit fand nicht statt.

Der Beschwerdeführer lebte mit seiner Mutter, seiner Tante und seiner Lebensgefährtin bis Dezember 2017 in einem gemeinsamen Haushalt. Er bezog seit der Einreise mit Ausnahme der ersten Jahreshälfte 2012, jedenfalls jedoch seit 01.10.2012 bis zu seiner Abschiebung Leistungen aus der Grundversorgung. Er ging im Zeitraum von 28.12.2011 bis 24.03.2012 einer geregelten, legalen Arbeit nach.

Es liegen zwei Einstellungszusagen der XXXX vom 25.04.2016 und vom 12.02.2017 sowie eine Einstellungszusage der XXXX vom 09.02.2017 vor. Aus den Einstellungszusagen gehen weder Beschäftigungsausmaß noch Bezahlung hervor. Ein Arbeitsvorvertrag wurde nicht vorgelegt.

Der Beschwerdeführer verfügt über Sprachzertifikate A2 und B1. Bis auf die Teilnahme an den Deutschkursen hat sich der Beschwerdeführer während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet nicht aus-, fort- oder weitergebildet.

Der Beschwerdeführer war Mitglied der Austrian Taekwondo Federation und des Taekwondo Vereins in seinem Wohnort. Er nahm regelmäßig erfolgreich an Wettkämpfen teil.

2.4. Im Rahmen einer Zusammenarbeit mit XXXX vom Institut für Politikwissenschaft für Wien lieferte der Beschwerdeführer im Rahmen des XXXX Statements, welche für Workshops in Gruppen oder mit einzelnen Personen verwendet werden konnten. Der Beschwerdeführer selbst war bei diesen Workshops nicht anwesend. Das Projekt wurde nicht umgesetzt und das Netzwerk Anfang 2016 aufgelöst.

2.5. Der Beschwerdeführer ist gesund.

2.6. In Österreich leben derzeit die Mutter und die Tante des Beschwerdeführers, deren Anträge auf einen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen mit Erkenntnissen vom heutigen zu W226 1418379-6 (betreffend die Mutter des Beschwerdeführers) und W226 1418348-6 (betreffend die Tante des Beschwerdeführers) abgewiesen wurden. Zu diesen besteht ein enges Naheverhältnis.

Der Beschwerdeführer ist sein November 2017 traditionell verheiratet. Mit seiner Lebensgefährtin lebte er von November bis Dezember 2017 in einem gemeinsamen Haushalt. Der Beschwerdeführer und seine Lebensgefährtin haben sich im Mai 2017 kennengelernt. Der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers wurde mit Entscheidung des UBAS vom 16.04.2008 zu 249714/0-VII/43/04 Asyl durch Erstreckung nach ihrem Vater gewährt. Sie ist ebenfalls der Tschetschenischen Volksgruppe zugehörig und der Landessprache mächtig.

Im Bundesgebiet lebt weiters ein Onkel des Beschwerdeführers und dessen Familie. Zu diesen stand der Beschwerdeführer in regelmäßigem Kontakt. Ein gemeinsamer Haushalt bestand ebenso wenig wie ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis.

In Österreich leben außerdem noch weitere Verwandte des Beschwerdeführers, zu denen ebenfalls kein besonderes Naheverhältnis und keine finanzielle Abhängigkeit festgestellt werden kann.

2.7. Der Beschwerdeführer spricht fließend Russisch und Tschetschenisch. Er hat bis zu seiner Ausreise in Russland die Schule besucht.

Im Herkunftsstaat leben der ältere Bruder des Beschwerdeführers und dessen Familie sowie eine Tante und ein Onkel des Beschwerdeführers.

Seit seiner Abschiebung lebte der Beschwerdeführer bei einer Freundin der Familie. Diese Unterkunft wurde ihm durch seine in Tschetschenien lebende Tante vermittelt. Der Beschwerdeführer verfügt in der Russischen Föderation über ein soziales Netz, welches willens und in der Lage ist, ihn zu unterstützen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat zum Antritt des Militärdienstes geladen wurde.

2.8. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

2.9. Nicht festgestellt werden kann, dass eine ausgeprägte und verfestigte entscheidungserhebliche individuelle Integration des Beschwerdeführers in Österreich vorliegt.

2.10. Das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen konnte nicht festgestellt werden.

2.11. Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen werden folgende Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

(Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Russischen Föderation, Stand 21.06.2017; gekürzt und bereinigt):

2.11.1. Bewegungsfreiheit

In der Russischen Föderation herrscht Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes, als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung. Somit steht Tschetschenen, genauso wie allen russischen Staatsbürgern [auch Inguschen, Dagestaner etc.] das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Jedoch wird der legale Zuzug an vielen Orten durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort und ihren Wohnsitz melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen. Kaukasier haben jedoch größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, überhaupt einen Vermieter zu finden. Es ist grundsätzlich möglich, von und nach Tschetschenien ein- und auszureisen und sich innerhalb der Republik zu bewegen. An den Grenzen zu den russischen Nachbarrepubliken befinden sich jedoch nach wie vor Kontrollposten, die gewöhnlich eine nicht staatlich festgelegte "Ein- bzw. Ausreisegebühr" erheben (AA 24.1.2017, vgl. US DOS 3.3.2017, FH 2017).

Personen, die innerhalb des Landes reisen, müssen ihre Inlandspässe zeigen, wenn sie Tickets kaufen wollen für Reisen via Luft, Schienen, Wasser und Straßen. Dies gilt nicht für Pendler (US DOS 3.3.2017).

Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine administrative Strafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen. Der Inlandspass ermöglicht die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme, die Eröffnung eines Bankkontos, aber auch den Kauf von Bahn- und Flugtickets (AA 24.1.2017).

Nach Angaben des Leiters der Pass- und Visa-Abteilung im tschetschenischen Innenministerium haben alle 770.000 Bewohner Tschetscheniens, die noch die alten sowjetischen Inlandspässe hatten, neue russische Inlandspässe erhalten (AA 24.1.2017).

2.11.1.1. Meldewesen

Eine dauerhafte Registrierung wird durch einen Stempel im Inlandspass vermerkt, eine temporäre Registrierung durch einen in den Inlandspass eingelegten Zettel. Für einen Aufenthalt bis zu 90 Tage ist keine Registrierung verpflichtend, jedoch kann es notwendig werden bei einer Dokumentenkontrolle nachzuweisen, dass man sich noch nicht länger als 90 Tage in dem Gebiet aufhält, beispielsweise durch Vorweisen der Busfahrkarte. Wenn jemand ausreist, um im Ausland zu leben, so wird dies registriert und in seinem Reisepass vermerkt. Umgangssprachlich wird die Registrierung nach wie vor so genannt, wie das Meldesystem zu Sowjetzeiten: "Propiska" (Russisch:

?????¿???). Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und ein nachweisbarer Wohnraum (ggf. Bescheinigung des Vermieters). Eine Arbeitsstelle oder Einkommen müssen nicht nachgewiesen werden. 2010 kam es zu einer Vereinfachung des Registrierungsprozesses, insbesondere für temporäre Registrierungen. Für eine solche muss man nunmehr lediglich einen Brief an die zuständige lokale Behörde schicken. Eine Registrierung ist wie ausgeführt für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem, sowie zum legalen Arbeitsmarkt. Alle Staatsbürger der Russischen Föderation, auch Rückkehrer, werden am Aufenthaltsort registriert. Gesetzlich ist vorgesehen, dass die Registrierung ab Einlangen der Unterlagen bei der zuständigen Behörde drei Tage dauert. Staatsbürger können bei Verwandten unterkommen oder selbstständig einen Wohnraum organisieren. Die föderal-gesetzlichen Regeln für die Registrierung gelten in der gesamten Russischen Föderation einheitlich, werden jedoch regional unterschiedlich angewendet. Korruption soll auch im Bereich der Registrierung in nicht unbeträchtlichem Ausmaß vorkommen, insbesondere in der Hauptstadt Moskau (BAA 12 .2011). Gegen Jahresmitte 2016 wurde der FMS aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert (ÖB Moskau 12.2016). Die neue Behörde, die die Aufgaben des FMS übernommen hat, ist die Hauptverwaltung für Migrationsfragen (General Administration for Migration Issues - GAMI) (US DOS 3.3.2017).

Laut einer westlichen Botschaft ist eine Registrierung für alle Personen in Moskau und St. Petersburg im Vergleich zu anderen russischen Städten am schwierigsten zu erlangen. Auch die Korruptionszahlungen sind in Moskau höher. Ebenso ist es in Moskau schwieriger, eine Wohnung zu mieten, die Mieten sind zudem hoch. Auch UNHCR geht davon aus, dass die Registrierung in Moskau für jeden schwierig ist, nicht nur für Tschetschenen. In Mietanzeigen werden Zimmer oft nur für Slawen angeboten. Gemäß einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence ist es für Tschetschenen leichter, in kleineren Orten als Moskau und St. Petersburg zu leben, jedoch ist es in großen Städten leichter, unterzutauchen. Personen, die Kadyrow fürchten, würden ihren Aufenthalt nicht registrieren lassen. Auch in St. Petersburg werden in Mietanzeigen Wohnungen oft nur für Russen angeboten. Tschetschenen nutzen aber ihre Netzwerke, um Wohnungen zu finden. Einer internationalen Organisation zufolge ist es für jemanden, der einen Machtmissbrauch von lokalen Behörden in einem Föderationssubjekt fürchtet schwierig, einen sicheren Ort in einer anderen Region in Russland zu finden. Ist die Person registriert, ist es für die Behörden leichter, sie zu finden. Laut einem Vertreter des Committee Against Torture sind tschetschenische Familien, die in andere Regionen Russlands kommen, nicht automatisch schweren Rechtsverletzungen ausgesetzt. Öffentlich Bedienstete haben kein Recht, einem Tschetschenen die Registrierung zu verweigern, weshalb im Endeffekt jeder registriert wird. Tschetschenen könnten Diskriminierung durch die Behörden ausgesetzt sein, nicht aber Gewalt. Laut einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence und einer westlichen Botschaft zufolge könnten aber temporäre Registrierungen nur für drei Monate anstatt für ein Jahr ausgestellt werden, weshalb dann die betroffene Person öfter zum Amt kommen muss (DIS 8.2012). Im FFM Bericht des Danish Immigration Service vom Jänner 2015 wird berichtet, dass es keine größeren Änderungen in Bezug auf die Registrierung gibt. Es gibt eine Neuheit, nämlich dass eine Person in dem Apartment wohnen muss, wo sie registriert ist. Wenn die Person woanders wohnt, könnte der/die Eigentümer/in bestraft werden. Aufgrund dessen könnte es schwieriger sein, den Wohnort zu registrieren. Einige Vermieter möchten auch keine Mieter registrieren, da sie Steuerabgaben vermeiden wollen (DIS 1.2015).

2.11.1.2. Lage von Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb der Republik Tschetschenien

Was die Anzahl von Tschetschenen im Rest des Landes anbelangt, ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen. Laut Volkszählung 2010 lebten etwa in Moskau ca. 14.500 Tschetschenen (von insgesamt 1.4 Mio landesweit). Es ist anzunehmen, dass die tatsächliche Zahl größer ist, insbesondere wenn man sie mit den Angaben über andere, kleinere Nationalitäten vergleicht (ca. 11.400 Osseten, über 17.000 Mordwinen). Dabei ist auch zu bedenken, dass laut der Statistik fast 700.000 Personen keine Angaben über ihre nationale Zugehörigkeit machten. In den meisten Regionen Russlands lag die Anzahl der Tschetschenen bei der Volkszählung 2010 bei einigen Hundert, größere Gemeinschaften gab es in Dagestan (ca. 93.600), in Inguschetien (ca. 18.700), sowie in den südlichen Regionen Astrachan (ca. 7.200), Wolgograd (fast 10.000), Rostow (ca. 11.500), Stawropol (ca. 12.000), Saratow (ca. 5.700) und im westsibirischen Tjumen (ca. 10.500) (ÖB Moskau 12.2016).

Die Bevölkerung in Tschetschenien selbst wird auf etwa 1,3 Millionen geschätzt, wobei auch hier die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien in Frage gestellt werden. Laut Aussagen von Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in Russland, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Eine der derzeitigen Hauptmigrationsrouten aus dem Nordkaukasus nach Mitteleuropa führt über Belarus und Polen. Laut einer Analyse der Jamestown Foundation soll die tschetschenische Diaspora in Europa rund 150.000 Personen umfassen, die tschetschenische Diaspora in Österreich wird auf rund 30.000 Personen geschätzt. Das tschetschenische Oberhaupt hat verlautbart, die Bande zu den tschetschenischen Gemeinschaften außerhalb der Teilrepublik aufrecht halten zu wollen, wobei unabhängigen Medien zufolge auch Familienmitglieder in Tschetschenien für als ungebührlich empfundenes Verhalten Angehöriger gemaßregelt bzw. unter Druck gesetzt werden. Abgesehen davon sind auch vereinzelte Fälle gezielter Tötungen politischer Gegner im Ausland bekannt geworden. Prominentes Beispiel dafür sind die Brüder Jamadajew, von denen einer in Moskau erschossen und ein anderer in Dubai umgebracht wurde, während ein dritter sich mit Kadyrow ausgesöhnt haben soll. Insgesamt schwanken die mitunter ambivalenten Aussagen von Kadyrow zur Migration nach Westeuropa zwischen Toleranz und Kritik. Vor diesem Hintergrund herrscht aus menschenrechtlicher Perspektive die Einschätzung vor, dass die gemessen an der Größe der tschetschenischen Diaspora innerhalb und außerhalb Russlands quantitativ geringe Zahl an tatsächlich Verfolgten sowohl im Inland als auch im Ausland in Einzelfällen einer konkreten Gefährdung ausgesetzt sein können. Auf das Potential zur Instrumentalisierung dieser nur selten begründbaren Gefährdungslage wird meist dann zurückgegriffen, wenn sozio-ökonomische Motive hinter dem Versuch der Migration nach Westeuropa stehen, wie von menschenrechtlicher Seite eingeräumt wird. Analysten weisen überdies auf den dynamischen Wandel des politischen Machtgefüges in Tschetschenien sowie gegenüber dem Kreml hin. Prominentes Beispiel dafür ist der Kadyrow-Clan selbst, der im Zuge der Tschetschenienkriege vom Rebellen- zum Vasallentum wechselte. Laut einer aktuellen Analyse des Carnegie-Zentrums in Moskau sollen die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren, Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht erstrecke sich allerdings nicht über die Grenzen Tschetscheniens hinaus. Überdies wird hervorgehoben, dass das tschetschenische Vasallentum zum Kreml in gewisser Konkurrenz mit den föderalen Sicherheitskräften um das Machtmonopol in Tschetschenien selbst stehe. Andere Kommentatoren verweisen auf die Rivalität zwischen verschiedenen islamischen Strömungen in Tschetschenien, insbesondere zwischen dem traditionellen Sufismus und dem als wenig autochthon kritisierten Salafismus. Die Heterogenität und Dynamik des politischen und religiösen Machtgefüges in Tschetschenien prägen also auch die oppositionellen Strömungen. Überdies wirken sozio-ökonomische Motive als bedeutende ausschlaggebende Faktoren für die Migration aus dem Nordkaukasus. Trotz der Rhetorik des tschetschenischen Oberhauptes gilt dessen Machtentfaltung außerhalb der Grenzen der Teilrepublik als beschränkt, und zwar nicht nur formell im Lichte der geltenden russischen Rechtsordnung, sondern auch faktisch durch die offenkundige Konkurrenz zu den föderalen Sicherheitskräften. Allein daraus ist zu folgern, dass die umfangreiche tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands nicht unter der unmittelbaren Kontrolle von Kadyrow steht. Wie konkrete Einzelfälle aus der Vergangenheit zeigen, können kriminelle Akte gegen explizite Regimegegner im In- und Ausland allerdings nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Was die sozio-ökonomischen Grundlagen für die tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands betrifft, ist davon auszugehen, dass die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen in Russland trotz der derzeitigen Wirtschaftskrise bei vorhandener Arbeitswilligkeit auch entsprechende Chancen für russische Staatsangehörige aus der bislang eher strukturschwachen Region des Nordkaukasus bieten. Parallel dazu zeigt sich die russische Regierung bemüht, auch die wirtschaftliche Entwicklung des Nordkaukasus selbst voranzutreiben, unter anderem auch durch Ankurbelung ausländischer Investitionstätigkeit. Dazu führte etwa der für den Nordkaukasus zuständige Minister Ende Februar 2016 Arbeitsgespräche mit dem BMWFW in Wien, und Anfang April veranstaltete die WKÖ eine Marktsondierungsreise in die Region. Für 2017 prognostiziert die Weltbank ein moderates Wachstum der russischen Volkswirtschaft (ÖB Moskau 12.2016).

Gemäß Einschätzung verschiedener NGOs greifen Strafverfolgungsbehörden oft auf ein ethnisches "Profiling" zurück. Dieses richte sich besonders gegen Personen aus dem Kaukasus und Zentralasien. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina beschuldigen russische Behörden Personen aus dem Nordkaukasus oft willkürlich für Straftaten, die sie nicht begangen, die sich aber tatsächlich ereignet hätten. Die Ermittler würden eine Straftat so darstellen, dass die Mitschuld der betroffenen Person aus dem Nordkaukasus als erwiesen erscheine. Nach Angaben von Gannuschkina würden dabei auch Geständnisse mittels Folter (Schläge, Elektroschocks, Vergewaltigung oder die Androhung von Vergewaltigung) erpresst. Staatsanwälte unterstützten in der Regel diese Untersuchungen. Die Gerichte würden die Mängel der Untersuchung ignorieren und oft eine unbedingte Strafe verhängen. Laut Gannuschkina versuchen Polizeivertreter, die Zahl von aus dem Nordkaukasus stammenden Personen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsgebieten zu verringern. Die polizeilichen Führungskräfte würden diese Maßnahmen unterstützen. Nach Angaben einer westlichen Botschaft in Moskau aus dem Jahr 2012 kommen fingierte Strafverfahren vor, jedoch nicht in systematischer Weise. Es gebe Berichte, dass insbesondere junge muslimische Personen aus dem Nordkaukasus Opfer solcher Praktiken werden können. Auch die norwegische Landinfo kommt im März 2014 zum Schluss, dass es weiterhin fingierte Strafverfahren gegen Personen aus dem Nordkaukasus und Tschetschenien gebe (SFH 25.7.2014).

Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich problemlos in andere Teile der Russischen Föderation reisen. Ihr Aufenthalt wird aber durch antikaukasische Stimmungen erschwert. In großen Städten wird der Zuzug von Personen reguliert und ist erkennbar unerwünscht. Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen. Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor dem "langen Arm" des Regimes von Ramsan Kadyrow nicht sicher. Bewaffnete Kräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind etwa auch in Moskau präsent. Die tschetschenische Diaspora in allen russischen Großstädten ist in den letzten Jahren stark angewachsen (200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben) (AA 24.1.2017).

Laut UNHCR in Moskau gibt es in der gesamten Russischen Föderation tschetschenische Communities. Die größten befinden sich in Moskau, der Region Moskau und in St. Petersburg. Hauptsächlich arbeiten Tschetschenen im Baugewerbe und im Taxibusiness. In der Region Wolgograd leben ca. 20.000 Tschetschenen. Einige von ihnen leben dort schon seit 30 Jahren. Viele flohen aus Tschetschenien während der beiden Kriege. Mittlerweile sind die Zahlen von ankommenden Tschetschenen geringer geworden. 2013 kamen weniger als 500 Tschetschenen in die Region. Die meisten Tschetschenen verlassen die Republik aufgrund der sehr bescheidenen sozio-ökonomischen Aussichten in ihrer Heimatrepublik. Laut Memorial Wolgograd gibt es keine Beschwerden von Tschetschenen in der Region aufgrund von Rassismus oder Diskriminierung. Tschetschenen haben denselben Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem wie alle anderen russischen Staatsbürger. Heutzutage kommen Tschetschenen hauptsächlich zum Zwecke eines Studiums nach Wolgograd. Mittlerweile sind die Lebensbedingungen in Wolgograd nicht so gut wie in Tschetschenien. Dies liegt an den föderalen Fördermittel, die Tschetschenien erhält. Die Bevölkerung in Wolgograd sinkt, während jene in Tschetschenien steigt (DIS 1.2015).

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die tschetschenischen Behörden Unterstützer und Familienmitglieder einzelner Kämpfer auf dem gesamten Territorium der Russischen Föderation suchen und/oder finden würden, was aber bei einzelnen bekannten oder hochrangigen Kämpfern sehr wohl der Fall sein kann (BAA Staatendokumentation 20.4.2011).

2.11.1.3. Gefälschte Dokumente

In Russland kann man jegliche Art von Dokumenten kaufen. Auslandsreisepässe sind schwieriger zu bekommen, aber man kann auch diese kaufen. Es handelt sich bei den Dokumenten oft um echte Dokumente mit echten Stempeln und Unterschriften, aber mit falschem Inhalt. Die Art der Dokumente hierbei können z.B. medizinische Protokolle (medical journals), Führerscheine, Geburtsurkunden oder Identitätsdokumente sein. Ebenso ist es möglich, echte Dokumente mit echtem Inhalt zu kaufen, bei der die Transaktion der illegale Teil ist. Für viele Menschen ist es einfacher, schneller und angenehmer, ein Dokument zu kaufen, um einem zeitaufwändigem Kontakt mit der russischen Bürokratie zu vermeiden. Es soll auch gefälschte "Vorladungen" zur Polizei geben (DIS 1.2015).

Die von den staatlichen Behörden ausgestellten Dokumente sind in der Regel echt und inhaltlich richtig. Dokumente russischer Staatsangehöriger aus den russischen Kaukasusrepubliken (insbesondere Reisedokumente) enthalten hingegen nicht selten unrichtige Angaben. In Russland ist es darüber hinaus auch möglich, Personenstands und andere Urkunden zu kaufen, wie z.B. Staatsangehörigkeitsausweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle, Gerichtsurteile. Häufig sind Fälschungen primitiv und leicht zu identifizieren. Es gibt aber auch Fälschungen, die mit chemischen Mitteln auf Originalvordrucken professionell hergestellt wurden und nur mit speziellen Untersuchungen erkennbar sind (AA 24.1.2017).

2.11.2. Grundversorgung/Wirtschaft

2016 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland ca. 75,6 Millionen, somit ungefähr 53% der Gesamtbevölkerung. Der Frauenanteil an der erwerbstätigen Bevölkerung beträgt knapp 49%. Die Arbeitslosenrate liegt bei 5,7% (WKO 4.2017). Der Durchschnittslohn im Juni 2015 lag bei 31.100 RUB (EUR 425) (IOM 8.2015).

Russland ist einer der größten Energieproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der Weltgasreserven (25,2%), circa 6,3% der Weltölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19%) über bedeutende Ressourcen. Die mangelnde Diversifizierung der russischen Wirtschaft führt zu einer überproportional hohen Abhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung von den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Rohstoffe stehen für ca. 80% der Exporte und finanzieren zu rund 50% den Staatshaushalt. Seit der Jahrtausendwende war die russische Wirtschaft eine der am schnellsten wachsenden großen Volkswirtschaften der Welt, mit einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von fast 7%. Die volkswirtschaftliche Stabilisierung war die größte Errungenschaft der ersten Präsidentschaft Wladimir Putins. Entscheidend dafür war die Fähigkeit, die enorm angestiegenen Exporteinnahmen intelligent zu nutzen. Die Staatsverschuldung verschwand in Relation zum BIP fast vollständig:

Sie fiel von 51% auf 4%. Die Kreditwürdigkeit des Landes wurde damit erheblich gesteigert. Die Binnennachfrage wuchs aufgrund der Einnahmen aus den Rohstoffexporten. Der Staat akkumulierte die drittgrößten Devisenreserven weltweit, sowie zusätzlich einen Reservefonds und einen Fonds für den nationalen Wohlstand. In strategisch wichtigen Wirtschaftsbereichen (von der Weltraumtechnik und der Atomkraft, bis hin zu Schiffs- und Flugzeugbau) stärkte der Staat seine Position in dem er staatliche Kapitalgesellschaften gründete. Dabei spielten Holdings, die als Dachunternehmen die staatlichen Beteiligungen an einzelnen Betrieben einer Branche zusammenfassen, eine wichtige Rolle. Die im Herbst 2008 ausgebrochene internationale Finanzkrise traf Russland sehr stark. Die russische Regierung konnte in Reaktion darauf den russischen Finanzsektor mit staatlichen Geldern stabilisieren und anschließend ein umfangreiches Konjunkturpaket, das Steuervergünstigungen und staatliche Kreditgarantien umfasste, aus den Rücklagen finanzieren. Auf ein negatives Wirtschaftswachstum von 7,9% im Jahr 2009 folgten 2010-2012 wieder Zuwachsraten von über 4%: Getragen wurde das Wachstum von hohen Rohstoffpreisen, aber auch wachsender Beschäftigung und steigender Industrieproduktion. Die hohen internationalen Energiepreise sorgten 2012 für ein anhaltendes Wirtschaftswachstum. Die Industrieproduktion stieg, allerdings lag der Zuwachs unter den Vorjahreswerten. Die Arbeitslosenrate sank zwischen 2010 und 2012 von 7,2% auf 5,4% und die Durchschnittslöhne lagen 2011 und 2012 deutlich höher als vor der Finanzkrise 2008/9. Während 2012 für Russland insgesamt also zufriedenstellend verlief, war 2013 wegen der Konjunkturschwäche im Euro-Raum und der weltweit gesunkenen Rohstoffpreise schwach. Nach einem Plus von 3,4% im Jahr 2012, kam es für 2013 nur noch zu einem leichten Wachstum von 1,3%. Das Land ist in eine Phase anhaltender wirtschaftlicher Stagnation getreten. Gleichzeitig stieg Russland im Ranking von "Doing Business" von Platz 112 in 2012 über Platz 92 in 2013 und Platz 64 in 2014 auf Platz 40 in 2017. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund 10% des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland der VR China an. Im Index of Economic Freedom nimmt Russland 2017 den 114. Platz unter 180 Ländern ein. Das schlechte Investitionsklima schlägt sich in einer niedrigen Rate ausländischer Investitionen nieder. Bürokratie, Korruption und Rechtsunsicherheit bremsen die wirtschaftliche Entwicklung aus. Seit Anfang 2014 hat die Landeswährung mehr als ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Euro verloren, was unter anderem an den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise und dem fallenden Ölpreis liegt. Durch den Währungsverfall sind die Preise für Verbraucher erheblich gestiegen, die Inflationsrate betrug Ende 2015 ca. 15%. 2015 geriet die russische Wirtschaft in eine schwere Rezession. Nach dem BIP-Rückgang um 3% 2015 und dem weiteren BIP-Rückgang um 0,2% 2016 wird für 2017 eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um ca. 1,5% prognostiziert (GIZ 7.2017b).

Nach Jahren stetiger Verbesserung verschlechtert sich der allgemeine Lebensstandort seit 2012 wieder. Zwar stiegen das Durchschnittseinkommen und die Durchschnittsrente, bedingt durch die hohe Inflationsrate sanken jedoch die real verfügbaren Einkommen und die Armut wuchs an. Während 2012 noch 10,7 % der Bevölkerung unter die offizielle Armutsgrenze fielen, ist die Anzahl der Menschen mit einem Einkommen unterhalb des Existenzminimums weiter gestiegen und betrug im I. Quartal 2016 22,7 Millionen oder 15,7 % der gesamten Bevölkerung. Die staatliche Unterstützung reicht häufig nicht zur Deckung des Grundbedarfs. Problematisch bleibt die Situation der Rentner. In der jüngeren Vergangenheit hat sich die Lage nach einigen Rentenerhöhungen verbessert, die Mehrheit der Rentner lebt jedoch in armen Verhältnissen. Die Renten belaufen sich auf durchschnittlich 12.425 Rubel pro Monat (AA 24.1.2017).

Angesichts der Geschehnisse in der Ost-Ukraine hat die EU mit VO 833/2014 und mit Beschluss 2014/512/GASP am 31.7.2014 erstmals Wirtschaftssanktion gegen Russland verhängt und mit 1.8.2014 in Kraft gesetzt. Diese wurden mehrfach, zuletzt mit Beschluss (GASP) 2017/1148 bis zum 31.1.2018 verlängert (WKO 29.6.2017).

2.11.2.1. Nordkaukasus

Die nordkaukasischen Republiken ragen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden zu über 80% von Moskau finanziert (GIZ 4.2017a).

Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Die derzeitige Wirtschaftskrise und damit einhergehenden Einsparungen im Budget stellen eine potentielle Gefahr für die Subventionen an die Nordkaukasus-Republiken dar (ÖB Moskau 12.2016).

Der Kreml verfolgt seit einigen Jahren einen Ansatz, der auf regionale wirtschaftliche Entwicklung setzt und viele der Republiken im Nordkaukasus - allen voran Tschetschenien - haben durch zahlreiche Verwaltungs- und Finanzreformen heute mehr Unabhängigkeit als Anfang der 1990er Jahre jemals anzunehmen gewesen wäre. Auch der Tourismus soll in der landschaftlich attraktiven Region helfen, die Spirale aus Armut und Gewalt zu durchbrechen, wie insbesondere in der Entscheidung, die olympischen Winterspiele 2014 im unweit der Krisenregion gelegenen Sotschi auszutragen, deutlich wird. Zudem profitieren einige Teilrepubliken von Rohstoffvorkommen und so lassen sich auch einige sichtbare Zeichen von wirtschaftlichem Aufschwung und Wiederaufbau im Nordkaukasus ausmachen. Als beispielhaft dafür steht unter anderem die tschetschenische Hauptstadt Grosny, die nach ihrer fast völligen Zerstörung heute durchaus auflebt. Die schlechte Sicherheitslage und ein weit gestricktes Netzwerk aus Korruption, die zu einem wesentlichen Teil von den Geldern des russischen Zentralstaats lebt, blockieren aber eine umfassende und nachhaltige Entwicklung des Nordkaukasus. Das grundlegende Problem liegt in der russischen Strategie, den Konflikt durch die Übertragung der Verantwortung an lokale Machtpersonen mit zweifelhaftem Ruf zu entmilitarisieren. Deren Loyalität zu Moskau aber basiert fast ausschließlich auf erheblichen finanziellen Zuwendungen und dem Versprechen der russischen Behörden, angesichts massiver Verstrickungen in Strukturen organisierter Kriminalität beide Augen zuzudrücken. Ein wirksames Aufbrechen dieses Bereicherungssystems jedoch würde wiederum die relative Stabilität gefährden. Nachhaltige Entwicklungsfortschritte bleiben deshalb bislang weitgehend aus und insbesondere die hohe regionale Arbeitslosigkeit bildet einen Nährboden für neue Radikalisierung (Zenithonline 10.2.2014).

2.11.2.2. Tschetschenien

Die wirtschaftliche Situation in Tschetschenien hat sich aufgrund massiver Transferzahlungen aus dem föderalen Budget in den letzten Jahren stabilisiert. Laut der Zeitung RBK Daily wurden seit 2001 rund 464 Mrd. Rubel (ca. 14 Mrd. USD) in den Wiederaufbau der Republik investiert. Obwohl die föderalen Zielprogramme für die Region mittlerweile ausgelaufen sind, bestehen noch immer über 85% des Budgets der Republik aus Direktzahlungen aus Moskau. Die Arbeitslosenquote betrug laut offiziellen Statistiken der Republik im ersten Quartal 2016 rund 12%, was von Experten jedoch als zu niedrig angezweifelt wird. Der monatliche Durchschnittslohn in Tschetschenien lag im 1. Quartal 2016 bei 21.774 Rubel (landesweit: 34.000 Rubel), die durchschnittliche Pensionshöhe bei 10.759 Rubel (landesweit: 12.299 Rubel). Die Höhe des Existenzminimums für die erwerbsfähige Bevölkerung ist mit 9.317 Rubel pro Monat festgelegt (landesweit: 10.187 Rubel), für Pensionisten mit 8.102 Rubel (landesweit: 7.781 Rubel) und für Kinder mit 7.348 Rubel (landesweit: 9.197 Rubel). Korruption ist nach wie vor weit verbreitet und große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Laut einem rezenten Bericht der International Crisis Group gibt es glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrows Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Charity-Projekte, Kritiker werfen ihm jedoch vor, als Vehikel zur persönlichen Bereicherung Kadyrows und der ihm nahestehenden Gruppen zu dienen. Selbst die nicht als regierungskritisch geltende Tageszeitung "Kommersant" bezeichnete den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 12.2016).

Die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens, Grosny, ist wieder aufgebaut. Problematisch sind allerdings weiterhin die Arbeitslosigkeit und die daraus resultierende Armut und Perspektivlosigkeit von Teilen der Bevölkerung (AA 24.1.2017).

2.11.3. Wehrdienst

Alle männlichen russischen Staatsangehörigen zwischen 18 und 27 Jahre werden zum Pflichtdienst in der russischen Armee einberufen. Die Pflichtdienstzeit beträgt ein Jahr. 2016 hat das Verteidigungsministerium vor, bis Mitte Juli 155.000 Personen zum Militärdienst und 559 Menschen zum alternativen Zivildienst einzuberufen. Es gibt auch die Möglichkeit, freiwillig auf Basis eines Vertrags in der Armee zu dienen (dies steht auch weiblichen Staatsangehörigen offen). Staatsangehörige, die aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Wehrdienst geeignet sind, werden von der Dienstpflicht befreit. Darüber hinaus kann ein Antrag auf Aufschub des Wehrdienstes gestellt werden, etwa durch Personen, die ein Studium absolvieren, oder Väter, die mindestens zwei Kinder haben bzw. Personen, die einen nahen Verwandten pflegen müssen. Anstelle des Wehrdienstes kann ein alternativer Zivildienst abgeleistet werden, falls der Wehrdienst gegen die Überzeugung bzw. Glaubensvorschriften einer Person ist oder falls diese Person zu einem indigenen Volk gehört, dessen traditioneller Lebensweise der Wehrdienst widerspricht. Die Zivildienstzeit beträgt 18 Monate in den russischen Streitkräften bzw. 21 Monate in anderen staatlichen Einrichtungen. In der Regel soll der Zivildienst außerhalb der Region absolviert werden, in der der Staatsangehörige lebt (ÖB Moskau 12.2016). Jedes Jahr gibt es 2 Einberufungsperioden: eine im Frühjahr (1. April bis 15. Juli) und eine im Herbst (1. Oktober bis 31. Dezember). Es konnte von der ÖB Moskau keine Hinweise gefunden werden, dass aktuell einfache Rekruten im Rahmen ihres Wehrdienstes in aktuellen Konfliktregionen eingesetzt werden. Der "Allgemeine Rat beim Verteidigungsministerium" hat im November 2015 die Entscheidung der Behörde, Grundwehrdiener nicht in Konfliktgebiete zu entsenden, genehmigt. Diese Entscheidung bezieht sich auf Konfliktgebiete innerhalb wie außerhalb Russlands. Es werden nur Zeitsoldaten, die sich vertraglich verpflichtet haben, über den Grundwehrdienst hinaus Dienst in der Armee zu versehen, in Konfliktregionen entsandt (KA der ÖB Moskau 2.11.2016).

Wehrpflichtige erhalten zurzeit 2.000 Rubel Monatssold plus Standort- und Gefahrenzulagen. Die im Jahr 2013 eingeleiteten Maßnahmen zur "Humanisierung" und Attraktivitätssteigerung des Wehrdienstes wurden im Berichtszeitraum weiter umgesetzt. Diese Maßnahmen umfassen u. a. die Möglichkeit der heimatnahen Einberufung für Verheiratete, Wehrpflichtige mit Kindern oder Eltern im Rentenalter. Verbesserungen bei der Verpflegung, längere Ruhezeiten sowie die Erlaubnis zur Benutzung privater Mobiltelefone wurden ebenfalls eingeführt. Im Berichtszeitraum [2016] gab es keine offiziellen Verlautbarungen zu Menschenrechtsverletzungen in den Streitkräften der Russischen Föderation. Die NGOs "Komitee der Soldatenmütter" und "Armee.Bürger.Recht" berichten jedoch von Soldaten, die sich aus ganz Russland mit der Bitte um Unterstützung beim Schutz ihrer Rechte an die NGOs wenden. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Menschenrechtslage in den russischen Streitkräften weiterhin problematisch ist. Das "Komitee der Soldatenmütter" äußerte zudem die Befürchtung, dass das neu erlassene Gesetz zur Verlängerung für Auslandseinsätze missbraucht und Wehrpflichtige zur Unterschrift genötigt werden könnten. Es ist zu vermuten, dass es nach wie vor zu Misshandlungen von Soldaten durch Vorgesetzte aller Dienstgrade oder ältere Wehrpflichtige ("Dedowschtschina") kommt, jedoch nicht mehr in dem Ausmaß der Vergangenheit. Im Jahr 2015 wurde durch Staatspräsident Putin ein Dekret erlassen, dass die Aufgaben der Militärpolizei erheblich erweiterte und seitdem ausdrücklich die Bekämpfung der "Dedowschtschina" sowie von Diebstählen innerhalb der Streitkräfte umfasst. Eine Gesamtzahl von Todesfällen in den russischen Streitkräften wird nicht veröffentlicht. Mit einem Dekret des Präsidenten vom Mai 2015 wird die Zahl der in Friedenszeiten getöteten Angehörigen des Verteidigungsministeriums zum Staatsgeheimnis. Bei Verstößen drohen bis zu sieben Jahre Haft. Für Strafverfahren gegen Militärangehörige sind Militärgerichte zuständig, die seit 1999 formal in die zivile Gerichtsbarkeit eingegliedert sind. Freiheitsstrafen wegen Militärvergehen sind ebenso wie Freiheitsstrafen aufgrund anderer Delikte in Haftanstalten oder Arbeitskolonien zu verbüßen. Militärangehörige können jedoch auch zur Verbüßung von Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren in Strafbataillone, die in der Regel zu Schwerstarbeit eingesetzt werden, abkommandiert werden (AA 24.1.2017).

Es gibt in Russland verschiedene Möglichkeiten, sich dem Wehrdienst zu entziehen. Ein Großteil der Wehrpflichtigen macht von den Regelungen zur Aufschiebung des Wehrdienstes Gebrauch, die in der Praxis oftmals zu einer Annullierung der Wehrpflicht führen. Wehrpflichtige machen häufig von illegalen Praktiken (meist in Form von Zahlung von Bestechungsgeldern an Ärzte) Gebrauch, um sich von der Wehrpflicht zu befreien. Es kommt auch vor, dass sich Wehrpflichtige auf ihr Hochschulstudium berufen, um eine Aufschiebung des Wehrdienstes zu erlangen. Es ist auch möglich, mittels Zahlung von Bestechungsgeldern an gefälschte Dokumente zu kommen, aus denen hervorgeht, dass der Wehrpflichtige die Voraussetzungen für einen Aufschub oder eine Befreiung vom Wehrdienst erfüllt. Laut Verfassung der Russischen Föderation hat jeder Bürger, bei dem Gewissensgründe gegen eine Ableistung des Wehrdienstes vorliegen würden, das Recht auf einen Ersatzdienst von 21 Monaten. Jeder, der für einen Zivildienst in Betracht gezogen werden wolle, müsse dies mindestens sechs Monate vor Dienstantrittsdatum der zuständigen örtlichen Einberufungskommission mitteilen. Diese trifft die Entscheidung darüber, ob dem Antrag auf einen Zivildienst stattgegeben wird. Ein solcher Antrag könne abgewiesen werden, wenn die Kommission zum Schluss kommt, dass keine angemessenen Gewissensgründe vorliegen würden. Weitere Gründe für eine Ablehnung eines Antrags sind die Nichtbeachtung der Frist für die Einreichung des Antrags auf einen Zivildienst, das Vorlegen falscher bzw. gefälschter Dokumente beim Antrag oder das zweimalige Ignorieren einer Aufforderung, bei der Einberufungskommission vorstellig zu werden. Gegen die Abweisung eines Antrags kann gerichtlich Berufung eingelegt werden. Weniger als ein Tausendstel aller Wehrpflichtigen würden von der Möglichkeit Gebrauch machen, um einen Zivildienst anzusuchen (ACCORD 12.11.2014).

Auch in der russischen Armee gibt es regelmäßig Vorwürfe wegen der Misshandlung oder Folter von Rekruten. Das Verteidigungsministerium kooperiert mit dem Menschenrechts-Ombudsmann und mit relevanten NGOs, um dies zu verbessern. In den vergangenen Jahren konnten gewisse Fortschritte erzielt werden. So sank laut einem Bericht der Generalstaatsanwaltschaft im Jahr 2014 die Anzahl der gemeldeten Übergriffe von Armeeangehörigen gegenüber Untergebenen um 15%. NGOs wie das "Komitee der Soldatenmütter" betonen, dass trotz gewisser Fortschritte mehr Anstrengungen, insbesondere bei der Verurteilung von Schuldigen sowie bei der Prävention, notwendig seien (ÖB Moskau 12.2016).

Das Verteidigungskomitee der Staatsduma hat Abänderungen des Gesetzes über den Militärdienst zugestimmt. Die vom Verteidigungsministerium vorgeschlagenen Änderungen werden es dem Militärpersonal ermöglichen, Dienstverträge mit der russischen Armee für eine Zeitspanne von sechs Monaten bis zu einem Jahr einzugehen. Bis jetzt war die kürzeste Zeitspanne eines Vertrages drei Jahre. Diese Verträge sollen nicht nur mit Reservisten eingegangen werden können, sondern auch mit Wehrpflichtigen, die einen Monat vor Beendigung ihres Dienstes stehen. Laut Gesetzesentwurf gelten diese Kurzzeitverträge nur bei außergewöhnlichen Umständen wie Naturkatastrophen oder Notfällen, wenn zusätzliche Kräfte notwendig sind, um die konstitutionelle Ordnung wieder herzustellen oder den Frieden im Ausland zu erhalten oder wieder herzustellen. In der Erklärung zum Gesetz steht ausdrücklich, dass diese Kurzzeitverträge das durch die veränderte militärisch-politische Situation und durch die verstärkten Aktivitäten von internationalen Terroristen und extremistischen Organisationen entstandene Problem zu lösen. Es geht darum, Einheiten abseits des Standards zu schaffen, die schnell bewaffnet werden können. Die Einführung solcher Einheiten durch das Verteidigungsministerium scheint ein Versuch zu sein, jenen russischen Staatsbürgern, die schon in Syrien und vorher in der Ukraine kämpften, einen legalen Status zu verleihen. Diese Personen werden durch Mittelsmänner angeheuert, um Kampffunktionen auszuüben, jedoch sind ihre Kampfaktivitäten nicht durch momentanes russisches Recht abgedeckt. Es wird auch davon ausgegangen, dass durch diese Kurzzeitverträge der Mangel an Personal im russischen Militär ausgeglichen werden soll. Die russischen Behörden haben wiederholt versprochen, keine Wehrpflichtigen zu Kampfeinsätzen ins Ausland zu schicken. Wohingegen sich die Regierung scheinbar weniger verantwortlich für die Leben seiner Vertragssoldaten fühlt, die ja freiwillig das Leben eines Soldaten gewählt haben. Es scheint also, dass Russland nicht mehr die Verbesserung der Qualität ihres militärischen Personals den Vorrang einräumt, sondern dass einfach die Anzahl an Männern-unter-Waffen, die in den Kampf geschickt werden können, wichtig ist (Jamestown Foundation 9.11.2016).

2.11.3.1. Wehrdienstverweigerung

Für Wehrdienstverweigerer sind folgende Strafen vorgesehen:

Geldstrafen von bis zu 200.000 Rubel oder in der Höhe von 18 Monatslöhnen des Verurteilten sowie Freiheitsentzug von 6 Monaten bis zu zwei Jahren. Für die Weigerung, den alternativen Zivildienst zu absolvieren, ist eine Geldstrafe von bis zu 80.000 Rubel oder in der Höhe von 6 Monatslöhnen vorgesehen bzw. bis zu 6 Monate Haft (ÖB Moskau 12.2016, vgl. ACCORD 12.11.2014).

In der Praxis werde nur eine kleine Anzahl an Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, bestraft. Außerdem würden derzeit die Strafen für Wehrdienstverweigerung in der Praxis "sehr gering" ausfallen, auch wenn laut Gesetz eine Gefängnisstrafe von bis zu zwei Jahren verhängt werden könne. In der Praxis komme es nur bei einer kleinen Anzahl von Fällen zu Strafverfahren gegen Wehrdienstverweigerer (ACCORD 12.11.2014).

Weil der Freiheitsentzug in der RF nicht verhängt wird, falls ein nicht schweres Vergehen zum ersten Mal ohne erschwerende Umstände begangen wird, werden in der Praxis in der RF gemäß § 328 StGB nur Geldstrafen verhängt. 2014 wurden gemäß offizieller gerichtlicher Statistik in der ganzen RF von allen Gerichten 790 Personen gemäß § 328 StGB verurteilt. Eine Freiheitsstrafe wurde dabei über niemanden verhängt. 512 Personen erhielten Geldstrafen bis 25.000 Rubel, 248 Personen Geldstrafen zwischen 25.000 und 100.000 Rubel und nur fünf Personen Geldstrafen über 100.000 Rubel. Dass für Wehrdienstverweigerung keine Zwangsarbeit verhängt wird, wird auch durch den Erlass Nr. 3 der Vollversammlung des Obersten Gerichts der RF zur einheitlichen Auslegung des § 328 StGB durch die Gerichte vom 3. April 2008 gestützt, wonach die Verhängung von Zwangsarbeit der Verfassung der RF widerspricht und daher verboten ist. Gemäß § 31 Z 2 des "Föderalen Gesetzes N 53 FZ über die militärische Pflicht und den Wehrdienst" vom 28.03.1998 idFv 23.07.2016 sind Wehrpflichtige verpflichtet, Benachrichtigungen des Militärkommissariats gegen Unterschrift auf dem Rückschein anzunehmen. Ist eine Aushändigung nicht möglich, so hat ein Wehrpflichtiger grundsätzlich auch keine gerichtliche Strafe zu befürchten. Allerdings sind russische Staatsangehörige gemäß § 10 Z 1 des Gesetzes über den Wehrdienst verpflichtet, sich in die Wehrkartei aufnehmen zu lassen, wenn sie mehr als drei Monate an einem Ort aufhältig sind sowie binnen zwei Wochen Änderungen des Aufenthaltsortes bekannt zu geben, wenn der neue Ort außerhalb der Bezirksgrenzen liegt. Wird das Territorium der RF für mehr als sechs Monate verlassen, so ist das ebenfalls meldepflichtig. Die Nichtbefolgung dieser Verpflichtungen und das Nichterscheinen vor der Militärkommission führen zu verwaltungsstrafrechtlichen Sanktionen. Als solche sind im Kodex über Verwaltungsübertretungen gem. § 21.5 eine Verwarnung oder Geldstrafen von 100 bis 500 Rubel vorgesehen. Im Erlass Nr. 3 ist in der Z 6 zur Abgrenzung zwischen § 328 StGB und § 21.5 des Kodex der RF über Verwaltungsübertretungen festgehalten: Das Gericht hat festzustellen, mit welchem Ziel die Person die ihr auferlegten Verpflichtungen nicht erfüllt. Falls die Person mit der Absicht, sich dem Wehrdienst zu entziehen, an einen neuen Wohnort wegzieht oder ohne Löschung aus der Wehrkartei aus der RF ausreist, oder an den neuen Wohnort zieht oder ohne Aufnahme in die Wehrkartei in die RF zurückkehrt mit dem Ziel, sich der Aushändigung der von ihr persönlich zu unterschreibenden Benachrichtigung der Militärmeldungsstelle über das Erscheinen zum Treffpunkt in Verbindung mit der Einberufung zum Wehrdienst zu entziehen, ist die Tat gemäß § 328 Z 1 StGB zu qualifizieren (KA der ÖB Moskau 2.11.2016).

2.11.3.2. Wehrdienst im Nordkaukasus

Keine Region der Russischen Föderation hat eine größere Anzahl an jungen Männern, die den Wehrdienst ableisten könnten, als der Nordkaukasus. Grund dafür sind das schnelle demographische Wachstum und die Tatsache, dass in den letzten zwanzig Jahren so gut wie keine Grundwehrdiener aus dem Nordkaukasus eingezogen wurden. Grund hierfür war, dass man während der Tschetschenienkriege keine Kämpfer ausbilden wollte, die das Erlernte gegen die eigenen Truppen einsetzen. Der Ausschluss von nordkaukasischen Wehrpflichtigen war kontraproduktiv: Erstens, die Ausschluss-Richtlinie legte nahe, dass Moskau den Nordkaukasus als nicht gleichwertig wie alle anderen russischen Regionen ansah, was die Integration erschwerte. Zweitens, erzürnte diese Richtlinie viele ethnische Russen, da ihre Söhne dienen müssen und die Nordkaukasier nicht. Gleichzeitig verärgerte die Richtlinie aber auch die Nordkaukasier, da sie durch den Ausschluss von der Wehrpflicht von Jobs bei Sicherheitsdiensten ausgeschlossen waren, da diese einen militärischen Hintergrund als Voraussetzung haben. Drittens, für die Russische Föderation wurde es immer schwieriger, die Quoten für den Wehrdienst zu erfüllen, da die wehrdienstfähigen Kohorten bei den ethnischen Russen immer weniger werden. Laut tschetschenischen Beamten stehen 86.000 Tschetschenen zum Militärdienst bereit. Auch die Republiksoberhäupter von Tschetschenien, Dagestan und Inguschetien sind überzeugt davon, dass der Militärdienst für die jungen Männer gut wäre. Einerseits könnte damit die Arbeitslosigkeit reduziert werden, andererseits würde der Militärdienst bei der Integration in die Russische Föderation helfen. Nicht zuletzt können die Oberhäupter mit der Befürwortung des Wehrdienstes ihre Loyalität zum Kreml beweisen. 2014 wurde wieder begonnen, Nordkaukasier (Tschetschenen und Dagestani) in den Wehrdienst einzuberufen. Jedoch gibt es mittlerweile Widerstand in der Bevölkerung gegen die Einberufung und viele junge Nordkaukasier verstecken sich, oder schließen sich dem Widerstand an, um nicht einberufen zu werden. Gerüchten zufolge könnte die Einberufung zum Wehrdienst in Tschetschenien wieder beendet werden. Momentan sollen 500 Tschetschenen den Wehrdienst ableisten. In Dagestan wurden im Frühling 2016 1.800 junge Männer eingezogen. Ein Drittel mehr als letztes Jahr. Trotzdem sind mehr als 2.000 junge Männer nicht auffindbar, die eingezogen werden sollen (Jamestown 19.4.2016). Rund 500 Personen aus ganz Tschetschenien wurden in den aktiven Wehrdienst eingezogen. In die Truppenverbände traten die Rekruten erst im November 2014 ein. Bei der überwiegenden Mehrheit der Rekruten handelt es sich um Freiwillige, von denen viele eine militärische Karrierelaufbahn anstreben würden. Nach Angaben des Leiters für Einberufungsangelegenheiten des tschetschenischen Militärkommissariats habe es "sehr viele" Interessenten gegeben, weshalb die Freiwilligen nach den Kriterien Gesundheitszustand, hoher Bildungsgrad sowie danach ausgewählt worden seien, ob sie über Fachkenntnisse verfügten, die für den Dienst nützlich seien. Die derzeitige Zahl der Einberufenen sei weitaus niedriger als die Zahl derer, die in die Armee eintreten wollten. Aus Grosny seien 56 Personen ausgewählt worden, um direkt zum Dienst in der russischen Armee entsendet zu werden. Laut Aussage des Leiters der Einberufungskommission von Grosny hätten mehr als 200 Personen erklärt, aus eigenem Willen den aktiven Wehrdienst ableisten zu wollen. Wie er weiter ausführt, hätten insgesamt 1.000 junge Menschen aus Grosny das Auswahlverfahren bei der Einberufungskommission durchlaufen, obwohl (in Grosny) lediglich Bedarf an 56 Rekruten bestehe (Kavpolit.ru 20.10.2014). Die letzte größere Einberufungskampagne für Tschetschenen hat im Jahr 1992 stattgefunden. Danach habe man Tschetschenen faktisch nicht mehr zum Wehrdienst eingezogen. Nur eine kleine Zahl an Rekruten sei einberufen worden, um in Verbänden zu dienen, die in Tschetschenien stationiert und dem Verteidigungsministerium unterstellt waren bzw. der Inlandsarmee des russischen Innenministeriums angehörten (Caucasian Knot 1.11.2014).

Bis zur Einberufung 2014 gab es ein Verbot, tschetschenische Rekruten in die Armee der RF zu entsenden. Dieses Verbot wurde gemäß einer Vereinbarung zwischen Ramsan Kadyrow und Verteidigungsminister Schoigu aufgehoben. Laut einem Artikel vom 30.09.2014 war es noch nicht bekannt, ob die Rekruten in Tschetschenien Dienst versehen oder auf die Krim oder in eine andere Region Russlands geschickt werden. In einem Artikel vom 20.11.2015 heißt es, dass die Rekruten nicht weit von Zuhause im Süden Russlands den Wehrdienst leisten werden. Im Rahmen der Einberufungen im Herbst wurden 500 neu eingezogene Rekruten in die Armee entsandt. Dazu ist festzustellen, dass es jedes Jahr 2 Einberufungsperioden gibt: eine im Frühjahr (1. April bis 15. Juli) und eine im Herbst (1. Oktober bis 31. Dezember). Laut einem Artikel vom 11.4.2016 wurde die Einberufung von Tschetschenen in die Armee für den Frühjahrstermin vorübergehend ausgesetzt, weil der Wehrdienst der tschetschenischen Rekruten analysiert werden soll. Der ÖB Moskau liegen keine Informationen vor, ob es sich bei den Rekruten ausschließlich oder teilweise um Freiwillige handelt (KA der ÖB Moskau 2.11.2016).

2.11.4. Sozialbeihilfen

Russland hat ein grundlegendes Sozialsystem, welches Renten verwaltet und Hilfe für gefährdete Bürger gewährt (IOM 8.2015). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Rentenfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem Staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Rentenfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Altersrenten gezahlt. Das Rentenalter wird mit 60 Jahren bei Männern und bei 55 Jahren bei Frauen erreicht. Die Rentenreform sieht die Gründung der nichtstaatlichen Rentenfonds vor, die neben der Grundversicherung einen zusätzlichen privaten Teil der Rente ermöglichen. Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 7.2017c).

Das Ministerium für Gesundheit und Soziales setzt die staatliche Unterstützung für sozial bedürftige Gruppen in der Praxis um. Vor allem die soziale Fürsorge für Familien, alte Menschen, Invaliden und Waisen soll gefördert werden. Personen, die soziale Unterstützung erhalten können:

Es gibt weitere Kategorien, die auf verschiedenen Rechtsgrundlagen oder unter bestimmten Programmen, die von regionalen Behörden geleitet werden, anspruchsberechtigt sind. Personen der o.g. Kategorien erhalten eine monatliche Zahlung und soziale Beihilfe, einschließlich:

Invaliden zahlen nur die Hälfte der öffentlichen Nebenkosten und haben die Möglichkeit, in besonderen Ausbildungseinrichtungen zu lernen. Um die oben aufgeführten Leistungen erhalten zu können, müssen Personen, die den genannten Kategorien angehören, Dokumente vorlegen, die die Zugehörigkeit zur entsprechenden Gruppe offiziell bestätigen (IOM 6.2014).

MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, denen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:

Renten

[...]

Behinderung

Wohnungswesen

Bürger ohne Unterkunft oder mit unzumutbarer Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Apartments beantragen

Arbeitslosenhilfe

Im Nordkaukasus besteht die höchste Arbeitslosenquote des Landes. Arbeitslose (mit Ausnahme von Schülern, Studenten und Rentnern) können sich bei den Arbeitsagenturen arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Die Arbeitsagentur wird innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz anbieten. Lehnt der Bewerber die Stellen ab, wird er als arbeitslos eingetragen. Die Arbeitslosenhilfe basiert auf Durchschnittslohn der letzten Arbeit und ist auf ein Minimum und Maximum von der russischen Gesetzgebung begrenzt. Seit 2009 ist das Minimum RUB 850 (USD 15) pro Monat und das Maximum RUB 4.900 (USD 82). Die Förderung wird monatlich ausgezahlt, sofern der Begünstigte die notwendigen Verfahren der Neubewerbung (gewöhnlich zweimal im Monat) nach den Bedingungen der Arbeitsagentur durchläuft. Notwendige Unterlagen und Dokumente sind ein Reisepass oder ein gleichwertiges Dokument und ein Arbeitsbuch oder eine Kopie, die Lohnbescheinigung des letzten Jahres, die Steueridentifikationsnummer (INN certificate), der Rentenversicherungsausweis und Dokumente zum Nachweis der Ausbildung und Berufserfahrung (IOM 8.2015).

Unterbrechung der Arbeitslosenhilfe in folgenden Fällen:

2.11.4.1. Krankenversicherung

Seit dem 1. Januar 2011 gibt es ein neues Gesetz über die Krankenpflichtversicherung. Vor dem 1. Mai 2011 gab es in den verschiedenen Regionen unterschiedliche Krankenversicherungen, danach traten neue Regeln für den Abschluss einer universellen Krankenversicherung in Kraft. Die Änderung der Krankenversicherungen tritt nach und nach in den einzelnen Regionen in Kraft. Die versicherten Personen sollen medizinische Versorgung in Gesundheitszentren kostenfrei erhalten mit sowohl den alten als auch den neuen Krankenversicherungen. Die alten Krankenversicherungen bleiben so lange in Kraft, bis sie durch die neue Versicherung ersetzt werden, egal welche Gültigkeitsdauer auf der alten Krankenversicherung angegeben ist. Es gibt keine Richtlinie, die die Dauer des Austausches der Krankenversicherungen festlegt. Wenn jetzt ein Versicherungsnehmer seinen Job wechselt oder verlässt, bleibt die Versicherung gültig und es ist nicht notwendig, eine neue Versicherung abzuschließen. Im Rahmen der Krankenpflichtversicherung (OMS) können russische Staatsbürger eine kostenlose medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen, die durch staatliche Finanzmittel, Versicherungsbeiträge und andere Quellen finanziert wird (IOM 6.2014).

Kostenfreie Versorgung umfasst folgendes:

* Notfallbehandlung

* Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken

* Stationäre Behandlung

* Teilweise kostenfreie Medikamente (IOM 8.2015)

Jede OMS-registrierte Person hat eine Krankenversicherung mit einer individuellen Nummer, wodurch ihnen der Zugang zur kostenfreien medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation garantiert wird; unabhängig von ihrem Wohnort. Bei der Anmeldung in einer Klinik muss zunächst die Versicherungsbescheinigung vorgelegt werden, es sei denn, es handelt sich um einen Notfall. Die Notfallbehandlung kann von allen russischen Staatsbürgern kostenlos in Anspruch genommen werden, unabhängig davon ob sie krankenversichert sind oder nicht. Um eine Krankenversicherung zu erhalten, müssen die Bürger an eine der Krankenversicherungen einen Antrag stellen und die folgenden Dokumente vorlegen: Antrag, Identifikationsdokument (für Erwachsene über 14 Jahre ein Reisepass oder vorläufiger Ausweis, für Kinder die Geburtsurkunde und den Pass bzw. vorläufigen Ausweis des Erziehungsberechtigten) und u.U. die Versicherungspolice der Rentenpflichtversicherung. Die Aufnahme in die Krankenversicherung sowie die Erneuerung sind kostenfrei. Für Kinder bis einschließlich 14 Jahren existiert ein gesondertes System der kostenlosen medizinischen Versorgung, sofern eine Registrierung in der Krankenpflichtversicherung (OMS) vorliegt. Kinder, die älter als 14 sind werden in der Regel in medizinischen Einrichtungen für Erwachsene behandelt. Einige Kliniken (staatliche und private) bieten kostenlose medizinische Konsultationen über das Internet an. Ausländische Staatsbürger haben in Russland nur Zugang zur medizinischen Grundversorgung, d.h. zur notfallmedizinischen Behandlung. Darüber hinausgehende Behandlungen werden in Rechnung gestellt und sind entweder durch direkte Zahlung an die jeweilige Klinik oder gegebenenfalls über die Krankenversicherung des Ausländers zu begleichen. Medizinische Versorgung gegen Bezahlung wird von privaten Gesundheitseinrichtungen unabhängig von der jeweiligen Staatsangehörigkeit angeboten. Umfragen zufolge haben 35% der Bevölkerung eine medizinische Serviceleistung gegen Bezahlung bereits in Anspruch genommen. Aufgrund der hohen Kosten kann der Großteil der Bevölkerung von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch machen. Neben der geschilderten Krankenpflichtversicherung können sowohl russische Staatsbürger als auch Ausländer gegen Bezahlung eine Freiwillige Krankenversicherung (DMS) abschließen, die immer weiter verbreitet ist. Ein Netz von Versicherungsgesellschaften bietet die entsprechenden Dienstleistungen an, wobei die Kosten für eine Versicherung - je nach Ruf der Versicherung und des gebotenen Servicepakets - zwischen 400 und mehreren tausend USD liegen können. Die meisten Versicherungsgesellschaften bevorzugen die Zusammenarbeit mit juristischen Personen. In den vergangenen zehn Jahren sind jedoch zunehmend Versicherungsprogramme für Privatpersonen aufgelegt worden (IOM 6.2014).

Die Beiträge der Krankenversicherung zahlt der Arbeitgeber (5,1% des Gehalts), für die nichtarbeitende Bevölkerung kommt der Staat auf (Handelsblatt o.D.).

2.11.5. Medizinische Versorgung

Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger ist in der Verfassung verankert. Russland weist zwar im internationalen Vergleich eine vergleichsweise hohe Anzahl der Ärzte und der Krankenhäuser pro Kopf der Bevölkerung auf, das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt aber ineffektiv (GIZ 7.2017c). Die Einkommen des medizinischen Personals sind noch immer vergleichsweise niedrig. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist. Infektionskrankheiten wie Tuberkulose und insbesondere HIV/AIDS, breiten sich weiter aus. In den letzten Jahren wurden in die Modernisierung des Gesundheitswesens erhebliche Geldmittel investiert. Der aktuelle Kostendruck im Gesundheitswesen führt aber dazu, dass viele Krankenhäuser geschlossen werden (AA 3 .2017a, vgl. GIZ 7.2017c, vgl. AA 24.1.2017). In Moskau, St. Petersburg und einigen anderen Großstädten gibt es einige meist private Krankenhäuser, die hinsichtlich der Unterbringung und der technischen und fachlichen Ausstattung auch höheren Ansprüchen gerecht werden. Notfallbehandlungen in staatlichen Kliniken sind laut Gesetz grundsätzlich kostenlos. Die Apotheken in den großen Städten der Russischen Föderation haben ein gutes Sortiment, wichtige Standardmedikamente sind vorhanden. Medikamentenfälschungen mit unsicherem Inhalt kommen allerdings vor (AA 13.7.2017b, vgl. AA 24.1.2017).

Im Bereich der medizinischen Versorgung von Rückkehrern sind der Botschaft keine Abweichungen von der landesweit geltenden Rechtslage bekannt. Seit Jänner 2011 ist das "Föderale Gesetz Nr. 326-FZ über die medizinische Pflichtversicherung in der Russischen Föderation" vom November 2010 in Kraft und seit Jänner 2012 gilt das föderale Gesetz Nr. 323-FZ vom November 2011 über die "Grundlagen der medizinischen Versorgung der Bürger der Russischen Föderation". Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß "Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung" garantierten Umfang. Von diesem Programm sind alle Arten von medizinischer Versorgung (Notfallhilfe, ambulante Versorgung, stationäre Versorgung, spezialisierte Eingriffe) erfasst. Kostenpflichtig sind einerseits Serviceleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind). Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist. Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Anstalt und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken erwiesen wird, haben Personen das Recht die medizinische Anstalt nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. Das bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen, als dem "zuständigen" Krankenhaus, bzw. bei einem anderen, als dem "zuständigen" Arzt, kostenpflichtig ist. In der ausgewählten Organisation können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Anstalt durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbstständig, falls mehrere medizinische Anstalten zur Auswahl stehen. Abgesehen von den obenstehenden Ausnahmen sind Selbstbehalte nicht vorgesehen. Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung, sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise durchaus erwartet wird. Weiters wird berichtet, dass die Qualität der medizinischen Versorgung hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Ausstattung von Krankenhäusern und der Qualifizierung der Ärzte landesweit durchaus variieren kann (ÖB Moskau 12.2016).

Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der "Nationalen Projekte", die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit sieben föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und zwölf Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert (GIZ 7.2017c).

Medizinische Versorgung gibt es bei staatlichen und privaten Einrichtungen. Staatsbürger haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu kostenfreier medizinischer Versorgung. Vorausgesetzt für OMS (OMS-Karte) sind gültiger Pass, Geburtsurkunde für Kinder unter 14 Jahren; einzureichen bei der nächstliegenden Krankenversicherungsfirma. Sowohl an staatlichen, wie auch privaten Kliniken bezahlte medizinische Dienstleistungen verfügbar; direkte Zahlung an Klinik oder im Rahmen von freiwilliger Krankenversicherung (Voluntary Medical Insurance DMS) (IOM 8.2015).

Kostenfreie Versorgung umfasst folgendes:

* Notfallbehandlung

* Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken

* Stationäre Behandlung

* Teilweise kostenfreie Medikamente (IOM 8.2015)

Ausgaben für Gesundheitsleistungen in Russland sind immer noch niedriger als in entwickelten Ländern. Laut offiziellen Quellen stiegen die realen Ausgaben des russischen Staates für den Gesundheitssektor in den letzten zehn Jahren um 74% an. Nach der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jedoch betrugen diese 2014 nur 5,4% des BIP, und laut der Weltbank waren es sogar nur 3,7%. Selbst optimistische Einschätzungen weisen auf eine Unterfinanzierung der Gesundheitsbranche hin im Vergleich zu entwickelten Ländern, in denen dieser Index zwischen 4 und 8% des BIP liegt. Nach Angaben des russischen Finanzministeriums sind für 2016 keine weiteren Reduzierungen der Gesundheitsausgaben geplant. Es liegen aktuell allerdings noch keine offiziellen Angaben zur längerfristigen Haushaltsplanung vor, da seit dem Föderalen Gesetz Nr. 273 vom 30. September 2015 die Planungsfrist für den staatlichen Haushalt nun ein Jahr statt drei Jahre beträgt. In der mittleren Perspektive kann man erwarten, dass die existierende Lücke in der russischen Gesundheitsfinanzierung durch öffentliche Mittel nicht gedeckt werden kann. Das hängt sowohl mit der wirtschaftlichen Gesamtsituation und den Auswirkungen des niedrigen Ölpreises auf den russischen Haushalt zusammen als auch mit Regulierungstrends, vor allem der laufenden Gesundheitsreform inklusive der Implementierung des Ko-Finanzierungsmodells für Gesundheitsleistungen zwischen dem Staat und den Verbrauchern im Rahmen des Pilotprogramms für Krankenversicherung "OMS+" (AHK o.D.).

2.11.5.1. Tschetschenien

Zur aktuellen Lage der medizinischen Versorgung liegen unterschiedliche Einschätzungen vor. Nach Angaben des IKRK soll die Situation der Krankenhäuser für die medizinische Grundversorgung inzwischen das durchschnittliche Niveau in der Russischen Föderation erreicht haben. Problematisch bleibt laut IKRK die Personallage im Gesundheitswesen, da viele Ärzte und medizinische Fachkräfte Tschetschenien während der beiden Kriege verlassen haben (AA 5.1.2016). Das Gesundheitssystem in Tschetschenien wurde seit den zwei Kriegen großteils wieder aufgebaut. Die Krankenhäuser sind neu und die Ausrüstung ist modern, jedoch ist die Qualität der Leistungen nicht sehr hoch aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal (Landinfo 26.6.2012).

Es ist sowohl primäre als auch spezialisierte Gesundheitsversorgung verfügbar. Die Krankenhäuser sind in einem besseren Zustand als in den Nachbarrepubliken, da viele erst vor kurzem erbaut worden sind. Laut föderalem Gesetz werden bestimmte Medikamente kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes. Auch gibt es bestimmte Personengruppen, die bestimmte Medikamente kostenfrei erhalten. Dazu gehören Kinder unter drei Jahren, Kriegsveteranen, schwangere Frauen und Onkologie- und HIV-Patienten. Verschriebene Medikamente werden in staatlich lizensierten Apotheken kostenfrei gegen Vorlage des Rezeptes abgegeben (DIS 1.2015, vgl. hierzu auch Kapitel 24.7 Medikamente).

Wenn eine Behandlung in einer Region nicht verfügbar ist, gibt es die Möglichkeit, dass der Patient in eine andere Region, wo die Behandlung verfügbar ist, überwiesen wird (BDA 31.3.2015).

Die Einkommen des medizinischen Personals liegen unter dem Durchschnitt. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist (AA 3 .2017a). Falls z.B. innerhalb der Familie nicht genügend Geld für eine teure Operation vorhanden ist, kann man sich an eine in der Clanstruktur höher stehende Person wenden. Aufgrund bestehender Clanstrukturen sind die Familien in Tschetschenien finanziell besser abgesichert als in anderen Teilen Russlands (BAMF 10.2013).

Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land ist es - wie für alle Bürger der Russischen Föderation - auch für Tschetschenen möglich, bei Krankheiten, die in Tschetschenien [oder anderen Teilrepubliken] nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) (vgl. dazu Kapitel 21. Bewegungsfreiheit/Meldewesen). Krebsbehandlung wurde zum größten Teil außerhalb der Republik Tschetschenien gemacht, jedoch wurde kürzlich ein onkologisches Krankenhaus fertiggestellt mit dem man bald Chemotherapie, Strahlentherapie und Operationen durchführen möchte. Im letzten Jahr wurden insgesamt ca. 3.000 Patienten zu unterschiedlichen Behandlungen in Krankenhäuser in andere Republiken geschickt (DIS 1.2015).

2.11.5.2. Gesundheitseinrichtungen in Tschetschenien

Gesundheitseinrichtungen, die die ländlichen Gebiete Tschetscheniens abdecken sind "Achkhoy-Martan RCH" (regional central hospital), "Vedenskaya RCH", "Grozny RCH", "Staro-Yurt RH" (regional hospital), "Gudermessky RCH", "Itum-Kalynskaya RCH", "Kurchaloevskaja RCH", "Nadterechnaye RCH", "Znamenskaya RH", "Goragorsky RH", "Naurskaya RCH", "Nozhai-Yurt RCH", "Sunzhensk RCH", Urus-Martan RCH", "Sharoy RH", "Shatoïski RCH", "Shali RCH", "Chiri-Yurt RCH", "Shelkovskaya RCH", "Argun municipal hospital N° 1" und "Gvardeyskaya RH" (BDA CFS 31.3.2015).

Gesundheitseinrichtungen, die alle Gebiete Tschetscheniens abdecken, sind: "The Republican hospital of emergency care" (former Regional Central Clinic No. 9), "Republican Centre of prevention and fight against AIDS", "The National Centre of the Mother and Infant Aymani Kadyrova", "Republican Oncological Dispensary", "Republican Centre of blood transfusion", "National Centre for medical and psychological rehabilitation of children", "The Republican Hospital", "Republican Psychiatric Hospital", "National Drug Dispensary", "The Republican Hospital of War Veterans", "Republican TB Dispensary", "Clinic of pedodontics", "National Centre for Preventive Medicine", "Republican Centre for Infectious Diseases", "Republican Endocrinology Dispensary", "National Centre of purulent-septic surgery", "The Republican dental clinic", "Republican Dispensary of skin and venereal diseases", "Republican Association for medical diagnostics and rehabilitation", "Psychiatric Hospital 'Samashki', "Psychiatric Hospital 'Darbanhi'", "Regional Paediatric Clinic", "National Centre for Emergency Medicine", "The Republican Scientific Medical Centre", "Republican Office for forensic examination", "National Rehabilitation Centre", "Medical Centre of Research and Information", "National Centre for Family Planning", "Medical Commission for driving licenses" und "National Paediatric Sanatorium 'Chishki'" (BDA CFS 31.3.2015).

Städtische Gesundheitseinrichtungen in Grosny sind: "Clinical Hospital N° 1 Grozny", "Clinical Hospital for children N° 2 Grozny", "Clinical Hospital N° 3 Grozny", "Clinical Hospital N° 4 Grozny", "Hospital N° 5 Grozny", "Hospital N° 6 Grozny", "Hospital N° 7 Grozny", "Clinical Hospital N° 10 in Grozny", "Maternity N° 2 in Grozny", "Polyclinic N° 1 in Grozny", "Polyclinic N° 2 in Grozny",

"Polyclinic N° 3 in Grozny", "Polyclinic N° 4 in Grozny",

"Polyclinic N° 5 in Grozny", "Polyclinic N° 6 in Grozny",

"Polyclinic N° 7 in Grozny", "Polyclinic N° 8 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 1", "Paediatric polyclinic N° 3 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 4 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 5", "Dental complex in Grozny", "Dental Clinic N° 1 in Grozny", "Paediatric Psycho-Neurological Centre", "Dental Clinic N° 2 in Grozny" und "Paediatric Dental Clinic of Grozny" (BDA CFS 31.3.2015).

2.11.5.3. Dagestan

In Dagestan stehen der Bevölkerung 36 zentrale Bezirkskrankenhäuser (3979 Betten), drei Bezirkskrankenhäuser (215 Betten), 102 Lokalkrankenhäuser (1970 Betten), vier Dorfkrankenhäuser (180 Betten), fünf zentrale Bezirkspolykliniken, 175 ärztliche Ambulanzen und 1076 ambulante Versorgungspunkte zur Verfügung. Spezialisierte medizinische Hilfe erhält man in zehn städtischen und 48 republikanischen Prophylaxe- und Heileinrichtungen. Es gibt fünf Sanatorien für Kinder, zwei Kinderheime, drei Bluttransfusionseinrichtungen, sowie sieben selbstständige Notdienste und 50 Notdienste, die in andere medizinische Einrichtungen eingegliedert sind (IOM 6.2014).

Wie jedes Subjekt der Russischen Föderation hat auch Dagestan eine eigene Gesundheitsverwaltung, die die regionalen Gesundheitseinrichtungen (spezialisierte und zentrale Krankenhäuser, Tageseinrichtungen, diagnostische Zentren und spezialisierte Notfallambulanzen, etc.) managt. Auch in Dagestan gibt es sowohl öffentliche, als auch private Gesundheitseinrichtungen. Öffentliche Einrichtungen haben keine offiziellen Preislisten ihrer Behandlungen, da prinzipiell Untersuchungen, Behandlungen und Konsultationen gratis sind. Jedoch muss auf die informelle Zuzahlung hingewiesen werden (beispielweise um die Wartezeit zu verkürzen). Die Zahlungen sind jedoch geringer als in privaten Institutionen. Die Qualität der Behandlung ist aber in öffentlichen Einrichtungen nicht schlechter - viele Spezialisten arbeiten sowohl in öffentlichen, als auch privaten Einrichtungen. Die Ausstattung und die Geräte sind meist in privaten Einrichtungen besser (BDA CFS 25.3.2016).

Wenn eine Behandlung in einer Region nicht verfügbar ist, gibt es die Möglichkeit, dass der Patient in eine andere Region, wo die Behandlung verfügbar ist, überwiesen wird (BDA 31.3.2015).

2.11.5.4. Behandlungsmöglichkeiten von psychiatrischen Krankheiten (z.B. PTBS, Depressionen, etc.)

Psychiatrische Behandlungen für diverse psychische Behandlungen durch einen Psychologen/Psychiater sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar. Es gibt auch psychiatrische Krisenintervention bei Selbstmordgedanken z.B. im Psychiatric Clinical Hospital #1 in Moskau (BMA 7754).

Posttraumatische Belastungsstörung ist in der gesamten Russischen Föderation behandelbar. Z.B. im Alexeevskaya (Kacshenko) hospital, Zagorodnoye shosse 2, Moscow (BMA 6051). Dies gilt unter anderem auch für Tschetschenien z.B. im Republican Psychoneurological Dispenser, Verkhoyanskaya Str. 10, Grosny (BMA 6551, vgl. BMA 7979).

Wie in anderen Teilen Russlands werden auch in Tschetschenien mentale Krankheiten hauptsächlich mit Medikamenten behandelt, und es gibt nur selten eine Therapie. Die Möglichkeiten für psychosoziale Therapie oder Psychotherapie sind aufgrund des Mangels an notwendiger Ausrüstung, Ressourcen und qualifiziertem Personal in Tschetschenien stark eingeschränkt. Es gibt keine spezialisierten Institutionen für PTBS, jedoch sind Nachsorgeuntersuchungen und Psychotherapie möglich. Ambulante Konsultationen und Krankenhausaufenthalte sind im Republican Psychiatric Hospital of Grozny für alle in Tschetschenien lebende Personen kostenlos. Auf die informelle Zuzahlung wird hingewiesen. Üblicherweise zahlen Personen für einen Termin wegen psychischen Problemen zwischen 700-2000 Rubel. Bei diesem Krankenhaus ist die Medikation bei stationärer und ambulanter Behandlung kostenfrei (BDA 31.3.2015).

Während es in Moskau unterschiedliche Arten von Therapien gibt (kognitive Verhaltenstherapie, Desensibilisierung und Aufarbeitung durch Augenbewegungen (EMDR) und Narrative Expositionstherapie), um PTSD zu behandeln (BMA 7980), gibt es in Tschetschenien nur Psychotherapie und diese in eingeschränktem Maß (BMA 7979). Diverse Antidepressiva sind aber in der gesamten Russischen Föderation verfügbar (BMA 7754, BMA 7979).

Häufig angefragte und verfügbare Inhaltsstoffe von Antidepressiva sind (verfügbar auch in Tschetschenien!):

Mirtazapin, Sertralin, Citalopram, Amitriptylin, Trazodon, Fluoxetin, Paroxetin, Duloxetin (BMA 7754, BMA 7306, BMA 9701, BMA 7874, BMA 8169).

2.11.5.5. Behandlungsmöglichkeiten Nierenerkrankungen, Dialyse, Leberzirrhosen und -transplantationen

Nierenerkrankungen und (Hämo‑)Dialyse sind sowohl in der Russischen Föderation, als auch in Tschetschenien verfügbar (BMA 7878, BDA 31.3.2015). Es werden in Russland auch Transplantationen gemacht, jedoch muss man sich auf eine Warteliste setzen lassen (BDA 31.3.2015). Leberzirrhosen und Lebertransplantationen sind z.B. in Moskau im European Medical Center behandelbar (BMA 7788). In Tschetschenien kann keine Lebertransplantation durchgeführt werden (BMA 7789). Krankenhäuser und Spitäler haben bestimmte Quoten bezüglich Behandlungen für Personen (z.B. Lebertransplantation) von anderen Regionen oder Republiken der Russischen Föderation. Um solch eine Behandlung außerhalb der Region des permanenten Aufenthaltes zu erhalten, braucht die Person eine Garantie von der regionalen Gesundheitsbehörde, dass die Kosten für die Behandlung rückerstattet werden (DIS 10.2011, vgl. BDA 31.3.2015).

2.11.5.6. Medikamente

Ambulante Patienten und zu Hause Behandelte müssen Medikamente bezahlen; ausgenommen sind solche, die vom Staat gedeckt sind. In 24-Stunden- und Tageskliniken gibt es kostenfreie Medikamente für Bürger, die von der OMS [Krankenpflichtversicherung] profitieren. Bei Notfällen sind Medikamente kostenfrei. Gewöhnlich kaufen Russen ihre Medikamente auf eigene Kosten. Großfamilien mit Kindern unter sechs Jahren erhalten kostenlose, verschreibungspflichtige Medikamente, sowie Behandlung in Kliniken und Vorrang in Sanatorien/Gesundheitszentren. Bürger mit gewissen Krankheiten wird Unterstützung gewährt, u.a. kostenfreie Medikamente, Sanatorium Behandlung und Transport. Kosten für Medikamente variieren, feste Preise bestehen nicht (IOM 8.2015).

Im Allgemeinen gilt, dass alle russischen Staatsbürger - sowohl im Rahmen einer Krankenpflichtversicherung als auch anderweitig versicherte - für etwaige Medikamentenkosten selbst aufkommen. Ausnahmen von dieser Regelung gelten nur für besondere Personengruppen, die an bestimmten Erkrankungen leiden und denen staatliche Unterstützung zuerkannt worden ist (einschließlich kostenloser Medikation, Sanatoriumsbehandlung und Transport (Nahverkehr und regionale Züge). Die Behandlung und die Medikamente für einige Krankheiten werden auch aus regionalen Budgets bestritten. Die Liste von Erkrankungen, die Patienten berechtigen, Medikamente kostenlos zu erhalten, wird vom Ministerium für Gesundheit erstellt. Sie umfasst: Makrogenitosomie, multiple Sklerose, Myasthenie, Myopathie, zerebrale Ataxie, Parkinson, Glaukom, geistige Erkrankungen, adrenokortikale Insuffizienz, AIDS/HIV, Schizophrenie und Epilepsie, systemisch chronische Hauterkrankungen, Bronchialasthma, Rheumatismus, rheumatische Gicht, Lupus Erythematosus, Morbus Bechterew, Diabetes, Hypophysen-Syndrom, zerebral-spastische Kinderlähmung, fortschreitende zerebrale Pseudosklerose, Phenylketonurie, intermittierende Porphyrie, hämatologische Erkrankungen, Strahlenkrankheit, Lepra, Tuberkulose, akute Brucellose, chronisch-urologische Erkrankungen, Syphillis, Herzinfarktnachsorge (sechs Monate nach dem Infarkt), Aorten- und Mitralklappenersatz, Organtransplantationen, Mukoviszidose bei Kindern, Kinder unter drei Jahren, Kinder unter sechs Jahren aus sehr kinderreichen Familien, im Falle bettlägeriger Patienten erhält ein Angehöriger oder Sozialarbeiter die Medikamente gegen Verschreibung. Die Medikamentenpreise sind von Region zu Region und, teilweise auch in Abhängigkeit von der Lage einer Apotheke unterschiedlich, da es in der Russischen Föderation keine Fixpreise für Medikamente gibt (IOM 6.2014).

2.11.6. Behandlung nach Rückkehr

Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme (im Folgenden: Rückübernahmeabkommen). Der Rückübernahme geht, wenn die betroffene Person in Österreich über kein gültiges Reisedokument verfügt, ein Identifizierungsverfahren durch die russischen Behörden voraus. Wird dem Rücknahmeersuchen stattgegeben, wird für diese Person von der Russischen Botschaft in Wien ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Wenn die zu übernehmende Person im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, muss kein Rücknahmeersuchen gestellt werden. Bei Ankunft in der Russischen Föderation müssen sich alle Rückkehrer beim Föderalen Migrationsdienst (FMS) ihres beabsichtigten Wohnortes registrieren. Dies gilt generell für alle russische Staatsangehörige, wenn sie innerhalb von Russland ihren Wohnort wechseln. Gegen Jahresmitte wurde der FMS allerdings aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach dem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Überstellung informiert und, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden. Im November 2012 wurde etwa ein per Sammelflug aus Österreich rücküberstellter Tschetschene auf Grundlage eines Haftbefehls wegen KFZ-Diebstahls unmittelbar nach seiner Ankunft am Flughafen in Moskau verhaftet. Wenige Tage später wurde ein weiterer, mit demselben Flug rücküberstellte Tschetschene in Grozny in Haft genommen und zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt. Über beide Fälle wurde in den österreichischen Medien intensiv berichtet. Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft vor allem die im Vergleich zum Rest Russlands hohe Arbeitslosigkeit im Nordkaukasus, die landesweit hohe Inflation sowie das durch die Wirtschaftskrise ausgelöste Sinken der Realeinkommen. Hinzu kommen bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können (ÖB Moskau 12.2016).

Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen große Teile der russischen Bevölkerung und können somit laut Einschätzung der Botschaft nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich aufgrund der regionalen Spezifika insbesondere für Frauen. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf mögliche (politische) Verfolgung durch die russischen oder im speziellen die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt. Aus gut informierten Kreisen war jedoch zu erfahren, dass Rückkehrer gewöhnlich mit keiner Diskriminierung von Seiten der Behörden konfrontiert sind (ÖB Moskau 12.2016).

Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Solange die Konflikte im Nordkaukasus, einschließlich der Lage in Tschetschenien, nicht endgültig gelöst sind, ist davon auszugehen, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren. Dies gilt insbesondere für solche Personen, die sich gegen die gegenwärtigen Machthaber engagiert haben bzw. denen ein solches Engagement unterstellt wird, oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren. Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von häufig willkürlichem Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Kaukasisch aussehende Personen ständen unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden weiterhin statt. Tschetschenen steht wie allen russischen Staatsbürgern das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Jedoch wird der legale Zuzug an vielen Orten durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert (AA 24.1.2017).

3. Beweiswürdigung

3.1. Der unter Punkt 1. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie aus dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer trotz der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung(en) im österreichischen Bundesgebiet verblieb, ergibt sich aus den Akten sowie seinen eigenen Angaben.

3.2. Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aufgrund des im Akt einliegenden Heimreisezertifikats der Russischen Botschaft vom 08.06.2016, welches mit den vom Beschwerdeführer im Verfahren getätigten Angaben übereinstimmt.

3.3. Die Feststellung zur Eheschließung nach islamischem Ritus ergibt sich aufgrund der vorgelegten Bestätigung der Eheschließung vom 11.01.2018. Die Feststellung, dass eine standesamtliche Hochzeit nicht stattgefunden hat, wird aufgrund der diesbezüglichen Angaben des Zeugen XXXX in der mündlichen Beschwerdeverhandlung (Verhandlungsprotokoll 25.01.2018, 6) sowie aufgrund der Tatsache, dass eine entsprechende Heiratsurkunde nicht vorgelegt wurde, getroffen.

Die Feststellungen zur Wohnsituation des Beschwerdeführers in Österreich werden aufgrund der amtswegig eingeholten Auszüge aus dem Zentralen Melderegister getroffen. Aufgrund des amtswegig eingeholten Auszugs aus dem GVS sowie in den im Akt einliegenden Versicherungsdatenauszug können die Feststellungen zur Grundversorgung getroffen werden und kann festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum von November 2011 bis März 2012 einer legalen Arbeit im Bundesgebiet nachging. Dies ergibt sich weiters aus en im Verfahrenslauf angeführten Bescheiden des Arbeitsmarktservice.

Die Feststellungen zu den Einstellungszusagen gründen auf den vom Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren vorgelegten Unterlagen.

Aufgrund der vorgelegten Unterlagen kann weiters festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer über Sprachzertifikate Niveau A2 und B1 verfügt. Es konnte nicht festgestellt werden, dass sich der Beschwerdeführer bis auf die Teilnahme an den Deutschkursen während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet aus-, fort- oder weitergebildet hat, da diesbezüglich keine Unterlagen vorgelegt wurden und in diese Richtung auch nichts vorgebracht wurde.

Die Feststellungen zur Mitgliedschaft des Beschwerdeführers im Taekwondo Verein sowie seine Aktivitäten in diesem Verein kann aufgrund der vorgelegten Kopie des Mitgliedsausweises sowie aufgrund der vorgelegten Zeitungsberichte und Teilnahmebestätigungen/Urkunden getroffen werden.

3.4. Die Feststellungen zu den Tätigkeiten des Beschwerdeführers im Rahmen der Zusammenarbeit mit XXXX ergeben sich aufgrund des vorgelegten Schreibens sowie aufgrund der Aussage des Zeugen in der mündlichen Beschwerdeverhandlung (Verhandlungsprotokoll 25.01.2018, S 5 ff).

3.5. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer gesund ist, ergibt sich aufgrund der Tatsache, dass Gegenteiliges im gegenständlichen Verfahren nicht vorgebracht wurde und dass im Akt keine Befunde oder ähnliches einliegen, welche zur Annahme, dass der Beschwerdeführer nicht gesund sei, führen würden.

3.6. Nach Einsichtnahme in die jeweiligen Verwaltungsakten sowie in Auszüge aus dem Zentralen Melderegister konnte festgestellt werden, dass die Mutter und die Tante des Beschwerdeführers weiterhin im Bundesgebiet aufhältig sind. Aus den ZMR-Auszügen ergibt sich auch, dass der Beschwerdeführer bis Dezember 2017 mit seiner Mutter und seiner Tante in einem gemeinsamen Haushalt gewohnt hat. Aufgrund dieser Tatsache sowie der Aussagen der Mutter, der Tante und der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers im Verfahren kann festgestellt werden, dass zwischen dem Beschwerdeführer, seiner Mutter und seiner Tante ein enges Naheverhältnis besteht.

Zu den Feststellungen zur Lebensgefährtin siehe Punkt 3.3. Aufgrund der Auszüge aus dem ZMR kann festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer mit seiner Lebensgefährtin von November bis Dezember 2017 - also über einen vergleichsweise kurzen Zeitraum hinweg - in einem gemeinsamen Haushalt lebte. Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers gab in der mündlichen Beschwerdeverhandlung an, sie habe den Beschwerdeführer im Mai 2017 kennengelernt (Verhandlungsprotokoll 25.01.2018, S 12). Aufgrund der Tatsache, dass die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers in der mündlichen Beschwerdeverhandlung angab, sowohl mit der Mutter und der in Österreich lebenden Tante des Beschwerdeführers, als auch mit der in Russland lebenden Tante in Kontakt zu stehen bzw. zu kommunizieren, kann - in Zusammenschau mit den schlechten Deutschkenntnissen der Mutter und der in Österreich lebenden Tante - festgestellt werden, dass die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers der russischen und/oder tschetschenischen Sprache mächtig ist und sich im familiären Umfeld des Beschwerdeführers zurecht findet.

Die Feststellung zum Aufenthaltsstatus der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers ergibt sich aufgrund des im Akt einliegenden Bescheids des UBAS.

Die Feststellungen zum in Österreich lebenden Onkel des Beschwerdeführers ergeben sich aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren sowie aufgrund der Angaben der Mutter des Beschwerdeführers in der mündlichen Beschwerdeverhandlung. Es kann insbesondere festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer mit seinem Onkel, aber auch mit seinem Cousin in regelmäßigem Kontakt stand. Wie sich aus den vorgelegten Zeitungsausschnitten ergibt, trainierte der Beschwerdeführer mit seinem Cousin im selben Taekwondo Verein und nahmen beide auch gemeinsam an Wettkämpfen teil. Das Bestehen eines gemeinsamen Haushalts oder eines finanziellen Abhängigkeitsverhältnisses zu seinem Onkel oder seinem Cousin konnte weder festgestellt werden, noch wurde dies behauptet.

Die Feststellungen zu den weiteren Verwandten des Beschwerdeführers in Österreich basieren ebenfalls auf dessen eigenen Angaben sowie auf der im Verfahren vorgelegten Liste. Auch diesbezüglich konnte ein besonders Naheverhältnis oder gar Abhängigkeitsverhältnis weder festgestellt werden noch wurde das Bestehen eines solchen vorgebracht.

3.7. Aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers in der Stellungnahme vom 18.12.2016 konnte festgestellt werden, dass dieser fließend Russisch und Tschetschenisch spricht und bis zu seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat Schüler war.

Die Feststellung, dass im Herkunftsstaat der ältere Bruder des Beschwerdeführers sowie dessen Familie wohnhaft ist, basiert ebenfalls auf den Angaben des Beschwerdeführers in der Stellungnahme. Der Beschwerdeführer gab in der Stellungnahme an, in Tschetschenien lebe noch eine seiner Tanten. Mit seinen im Herkunftsstaat lebenden Verwandten würde er telefonieren und würden sie einander schreiben.

Die Mutter des Beschwerdeführers gab in der mündlichen Beschwerdeverhandlung an, der ältere Bruder des Beschwerdeführers habe bis 2017 mit seiner Familie in Tschetschenien gewohnt und zwar an dem Ort, an dem der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise gelebt habe. Zeitweise habe der Bruder auch bei seiner Schwiegermutter gelebt. Die Mutter des Beschwerdeführers gab auch an, sie denke, dass der Bruder des Beschwerdeführers, seine Frau und seine Schwiegermutter vor einem Jahr ausgereist seien (Verhandlungsprotokoll 25.01.2018, S 9 f).

Dieses Vorbringen der Mutter des Beschwerdeführers konnte den Feststellungen mangels Glaubwürdigkeit nicht zugrunde gelegt werden.

Hierzu ist zunächst auszuführen, dass der Beschwerdeführerin, seine Mutter und seine Tante bereits im Verfahren um den Wiederaufnahmeantrag (Antrag vom 02.03.2012, Erkenntnis AsylGH vom 28.03.2012 zu D18 418379-3/2012/2E) vorbrachten, der Bruder des Beschwerdeführers sei verschleppt und mit Lösegeld freigekauft worden und habe sich in Folge nicht getraut, seinem normalen Leben weiter nachzugehen. Er würde an verschiedenen Orten in Tschetschenien versteckt leben. Bereits im Erkenntnis des AsylGH vom 28.03.2012 wurde ausgesprochen, dass dieses Vorbringen als nicht glaubwürdig zu beurteilen war. Zunächst sei festzuhalten, dass diesem damaligen Vorbringen die Aussage der Mutter des Beschwerdeführers in der Beschwerdeverhandlung, der Bruder des Beschwerdeführers habe bis 2017 mit seiner Familie im Herkunftsort der Beschwerdeführerin gelebt, widerspricht. Auffallend ist weiters, dass die Mutter des Beschwerdeführers ein Verschwinden des Sohnes erneut zu einem Zeitpunkt behauptet, in dem ein Verfahren Österreich anhängig ist. Warum der ältere Sohn ausgereist sein soll und wohin, konnte die Mutter des Beschwerdeführers jedoch nicht erklären. Sie gab nur an, ihr Bruder in Österreich erzählte ihr nichts, da sie in einem schlechten Zustand sei und sich keine Sorgen machen solle (Verhandlungsprotokoll 25.01.2018, S 9). Diese Aussage der Mutter des Beschwerdeführers impliziert, dass der Onkel des Beschwerdeführers über den Aufenthalt ihres Sohnes Bescheid wissen soll, wobei die Mutter des Beschwerdeführers nicht ausführte, warum dies der Fall sein sollte. Es erscheint nicht nachvollziehbar, warum der Onkel dieses Wissen der Mutter des Beschwerdeführers oder dem Beschwerdeführer selbst vorenthalten sollte, zumal eine erneute Verfolgung des Bruders des Beschwerdeführers nicht vorgebracht wurde. Auch die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers konnte in der mündlichen Beschwerdeverhandlung über den Verbleib des Bruders des Beschwerdeführers keine Angaben machen (Verhandlungsprotokoll 25.01.2018, S 13).

Zusammengefasst ist nicht glaubwürdig, dass der ältere Bruder des Beschwerdeführers Tschetschenien verlassen hat und ist vielmehr davon auszugehen, dass er weiterhin im Herkunftsstaat wohnhaft ist.

Die Feststellung, dass ein weiterer Onkel des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat lebt, ergibt sich aufgrund der Angabe der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers in der mündlichen Beschwerdeverhandlung (Verhandlungsprotokoll 25.01.2018, S 13).

Sowohl die Mutter als auch die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers gaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung an, dieser sei nach seiner Abschiebung bei einer Freundin der Familie untergekommen. Die Unterkunft sei über seine Tante organisiert worden (Verhandlungsprotokoll 25.10.2018, S 5 f, 13). Aufgrund dieser Angaben kann festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in der Russischen Föderation über ein soziales Netz verfügt, welches in der Lage und willig ist, ihn zu unterstützen.

In der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurden zwei Ladungen eines Militärkommandos vorgelegt und gab die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers hierzu an, sie habe, als es mit seiner Abschiebung ernst wurde, ca. drei Wochen herumtelefoniert. Sie habe auch mit der Tante des Beschwerdeführers in Tschetschenien telefoniert und diese habe ihr gesagt, es sei eine Ladung für das Militär gekommen. Die Dokumente seien mit dem Autobus aus Tschetschenien nach Österreich gebracht worden. Der Ehemann der Cousine des Beschwerdeführers habe sie ihr gegeben. Sie wisse seit drei Wochen von der Ladung und habe das auch dem Vertreter mitgeteilt. In den Ladungen stehe, dass der Beschwerdeführer im November 2016 und auch 2017 zum Wehrkommando kommen hätte sollen. Sie wisse nicht genau, warum von einer Ladung aus November 2016 von der Tante erst im Jänner 2018 berichtet werde. Die Tante des Beschwerdeführers sei zum Wehrkommando gegangen und habe gefragt, ob es dort für den Beschwerdeführer Ladungen gäbe. Wie die Tante die Ladung bekommen habe, wisse sie nicht (Verhandlungsprotokoll 25.10.2018, S 14). Dieses Vorbringen konnte mangels Glaubwürdigkeit den Feststellungen nicht zugrunde gelegt werden:

Zunächst erweist sich das Vorbringen als wenig plausibel. Es ist beispielsweise nicht nachvollziehbar, warum die Tante des Beschwerdeführers extra zum Militärkommando gegangen sein soll, um nach einer Ladung zu fragen. Auffällig ist weiters der Zeitpunkt, zu dem die Ladungen aufgetaucht sind. Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers gab selbst an, sie habe im Zuge der Abschiebung herumtelefoniert und sei dabei von der Tante über die Ladungen informiert worden. Die Mutter des Beschwerdeführers gab an, ihr Sohn selbst habe ihr nach der Abschiebung nichts von Problemen erzählt und von den Ladungen habe sie erst am Tag vor der Verhandlung über die Schwiegertochter erfahren (Verhandlungsprotokoll 25.10.2018, S 12). Es scheint auch zumindest fragwürdig, dass just im Monat vor der Verhandlung der Mann der Cousine des Beschwerdeführers mit dem Bus von Tschetschenien nach Österreich gefahren ist um die Ladungen im Original der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers noch am Tag vor der Verhandlung zu übergeben. Aufgrund all dieser Auffälligkeiten bestehen nach Auffassung des erkennenden Richters erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Darstellung der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers im Verfahren und drängt sich vielmehr der Eindruck auf, dass die Ladungen extra für das laufende Verfahren "herbeigeschafft" wurden.

Die Ladungen selbst sind nicht geeignet, diese Zweifel zu zerstreuen. Es handelt sich jeweils um ein Formular, welches handschriftlich ausgefüllt wurde. Ins Auge sticht, dass die persönlichen Daten des Beschwerdeführers jeweils mit blauem Kugelschreiber ausgefüllt wurden und in beiden Ladungen dieselben Wörter mit blauem Kugelschreiber unterstrichen wurden, während die Unterschrift jeweils mit schwarzem Kugelschreiber getätigt wurde. Die handschriftlich ausgefüllten Teile der Ladungen sind einander sehr ähnlich. Bei der Ladung, in welcher als Antrittsdatum der XXXX angeführt ist, verschwimmt die gedruckte Schrift auf der handschriftlich ausgefüllten Seite, als ob es sich um eine Kopie handeln würde. Bei der anderen Ladung, in der als Antrittsdatum der 29. November 2016 angeführt wird, verschwimmt hingegen die gedruckte Schrift auf der Rückseite mit der Rechtsmittelbelehrung. Ein Ausstellungsdatum weisen beide Ladungen nicht aus.

Aufgrund des auffälligen zeitlichen Auftauchens der Ladungen, der unglaubwürdigen Ausführungen der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers dazu, wie sie von diesen Ladungen erfuhr, der auffallenden Ähnlichkeit beider Ladungen, der Tatsache, dass sie handschriftlich ausgefüllt wurden und der verschwimmenden Drucke kann - in Zusammenschau mit den unter 2.11.1.3. ausgeführten Länderfeststellungen zu gefälschten Dokumenten in Russland - nicht davon ausgegangen werden, dass es sich um echte Ladungen handelt und kann daher nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer zum Antritt des Militärdienstes geladen wurde.

3.8. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in Österreich strafgerichtlich unbescholten ist, kann aufgrund einer amtswegig eingeholten Auskunft aus dem Strafregister getroffen werden.

3.9. Es konnte nicht festgestellt werden, dass eine ausgeprägte und verfestigte entscheidungserhebliche individuelle Integration des Beschwerdeführers in Österreich vorliegt und zwar aufgrund folgender Überlegungen:

Zunächst ist zur beruflichen Integration des Beschwerdeführers auszuführen, dass es sich bei diesem grundsätzlich um einen arbeitsfähigen jungen Mann handelt und der Beschwerdeführer über Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 verfügt. Das erkennende Gericht verkennt auch nicht, dass der Beschwerdeführer in Österreich bereits einer legalen, geregelten Beschäftigung nachgegangen ist, wobei zu berücksichtigen ist, dass diese Beschäftigung bereits am 24.03.2012 geendet hat - zu einem Zeitpunkt, wo das erste Verfahren um seinen Antrag auf internationalen Schutz noch nicht rechtskräftig entschieden war - und er seitdem weder beruflich tätig war noch eine Aus-, Fort- oder Weiterbildung jedweder Art absolviert hat. Der Beschwerdeführer verfügt zwar über eine Schulbildung, jedoch über keine Berufsausbildung und kaum Berufserfahrung.

Allein aufgrund der Tatsache, dass der Beschwerdeführer nach seinem knapp siebenjährigen Aufenthalt über Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 verfügt und dass er knapp drei Monate berufstätig war, lässt sich keine verfestigte berufliche Integration ableiten. Die vorgelegten Einstellungszusagen lauten allesamt - dem Qualifikationsniveau des Bewerbers entsprechend - auf Hilfsarbeiterstellen, weisen jedoch, wie bereits ausgeführt, weder Beschäftigungsausmaß noch die in Aussicht gestellte Bezahlung auf. Ein verbindlicher Arbeitsvorvertrag wurde nicht vorgelegt.

Hinsichtlich der privaten Integration des Beschwerdeführers ist anzumerken, dass dieser - wie sich aus seinen Angaben sowie der Angaben seiner Tante und seiner Mutter im Verfahren ergibt - eng in den Familienverband eingebunden ist. In seiner Stellungnahme vom 18.12.2016 gab er an, seine Tante täglich und seinen Onkel und dessen Familie zwei bis drei Mal wöchentlich zu treffen. Der Beschwerdeführer war gemeinsam mit seinem Cousin im Taekwondo Verein aktiv. Dies ergibt sich aus den vorgelegten Zeitungsausschnitten.

Mit seiner Lebensgefährtin, welche er laut ihren Angaben im Mai 2017 kennen lernte und im November 2017 im Bewusstsein seines unsicheren Aufenthalts ("Ich wusste, dass es im Asylverfahren einige negative Bescheide gegeben hat und er keinen Asylstatus hat wie ich.", Verhandlungsprotokoll 25.01.2018, S 13) nach islamischem Ritus geheiratet hat, lebte er von November 2017 bis Ende Dezember 2017 - also etwas über eineinhalb Monate - in einem gemeinsamen Haushalt. Seine Lebensgefährtin ist ebenfalls Angehörige der Tschetschenischen Volksgruppe.

Im Verfahren wurde vorgebracht, dass im Bundesgebiet ein Halbbruder des Beschwerdeführers wohnhaft ist. Dass zu diesem ein engerer Kontakt besteht, konnte nicht festgestellt werden und wurde dies auch nicht vorgebracht. Der Beschwerdeführer erwähnte seinen Halbbruder auch in seiner Stellungnahme vom 18.12.2016 nicht.

Wie festgestellt, war der Beschwerdeführer Mitglied im lokalen Taekwondo Verein und nahm aktiv und erfolgreich an Wettkämpfen teil, wie aus den vorgelegten Zeitungsausschnitten ersichtlich ist.

Eine weitere tiefgreifende Integration des Beschwerdeführers in seiner Heimatgemeinde konnte nicht festgestellt werden. Es ist zweifellos so, dass der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Tätigkeit im Taekwondo Verein und auch im Rahmen seiner kurzen beruflichen Tätigkeit Bekanntschaften mit Österreichern gemacht hat. Es wird auch nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer sich in seinem Wohnort einen gewissen Bekanntenkreis aufgebaut hat. Dafür spricht auch die Tatsache, dass er laut Aussagen des Zeugen XXXX Leute aus der Gemeinde zu seiner Hochzeit eingeladen hat (Verhandlungsprotokoll 25.01.2018, S 6).

Dass daraus tiefgreifende Freundschaften oder ähnlich intensive Beziehungen entstanden sind, konnte nicht festgestellt werden. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, der Beschwerdeführer habe sich weiterhin hauptsächlich im Familienkreis bewegt.

Auch aufgrund der vorgelegten Empfehlungsschreiben konnte eine vertiefte soziale Integration des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden. Zu den Schreiben ist auszuführen, dass diese sehr allgemein gehalten sind. Ein Empfehlungsschreiben stammt bereits aus dem Jahr 2012 und bezieht sich maßgeblich auf die damalige berufliche Tätigkeit des Beschwerdeführers. Ein weiteres Empfehlungsschreiben beschreibt die sportlichen Aktivitäten des Beschwerdeführers. Dieser sei stets mit großem Engagement bei der Sache. Er sei immer sehr bemüht gewesen Arbeit zu finden, um für sich und seine Familie selbst sorgen zu können. Er hätte seine Freunde und akzeptiere den Ort als seine einzige reguläre Heimat. Aus zwei der Empfehlungsschreiben geht hervor, dass die Verfasser den Beschwerdeführer im Rahmen von Freiwilligenarbeit mit Flüchtlingen bzw. des Deutschunterrichts kennengelernt haben. Ein weiteres Empfehlungsschreiben führt an, der Verfasser habe den Beschwerdeführer über einen Mitarbeiter kennen gelernt und der Beschwerdeführer verfüge über ein freundliches und hilfsbereites Auftreten. Aus keinem der Empfehlungsschreiben lassen sich tiefgreifendere private Kontakte oder gar Freundschaften des Beschwerdeführers zu den Verfassern feststellen. In Summe sind die Empfehlungsschreiben zu generell gehalten, als dass auf ihrer Grundlage eine Integration des Beschwerdeführers festgestellt werden könnte.

Auch die vorgelegten handschriftlichen Unterstützungserklärungen (=Unterschriftenliste) sind nicht geeignet, eine vertiefende Integration des Beschwerdeführers in der Ortsgemeinde zu zeigen. Aufgrund dieser Listen lässt sich nicht feststellen, dass der Beschwerdeführer mit den Unterzeichnern tatsächlich in Kontakt steht oder gar ein persönliches Naheverhältnis pflegt.

In seiner Stellungnahme vom 18.12.2016 gab der Beschwerdeführer an, Reinigungsarbeiten in der Pfarrkirche durchzuführen und Hilfe im Begegnungscafe zu leisten, legte diesbezüglich jedoch keine Unterlagen oder Bestätigungen vor, sodass dieses Vorbringen den Feststellungen nicht zu Grunde gelegt werden kann.

Zur Zusammenarbeit des Beschwerdeführers mit XXXX im Rahmen des von diesem gegründeten XXXX und seiner Arbeit zur Deradikalisierung ist auszuführen, dass dieser ausschließlich Statements des Beschwerdeführers für seine Arbeit verwendet hat. Der Beschwerdeführer selbst war nie bei Veranstaltungen anwesend. Der Zeuge beschrieb den Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung als ruhig und zurückhaltend ("Er ist eher zurückhaltend, aber durchaus interessiert an vielen Dingen. Er ist ruhig, fast ein bisschen schüchtern, das ist auch ein Grund gewesen, dass wir von ihm primär Statements verwendet haben."

Verhandlungsprotokoll 25.01.2018, S 7). Aus dieser Aussage ist zu schließen, dass der Beschwerdeführer bei den Veranstaltungen weder persönlich anwesend war, noch seine persönliche Anwesenheit zur Durchführung der Veranstaltungen unmittelbar erforderlich ist/war. Der Zeuge gab auch an, dass das Projekt nicht umgesetzt wurde und das Netzwerk Anfang 2016 aufgelöst wurde.

Auch aus diesem Vorbringen lässt sich eine tiefgreifende Integration des Beschwerdeführers nicht ableiten und lässt es auch nicht auf die Notwendigkeit eines Verbleibs/einer Rückkehr des Beschwerdeführers in/nach Österreich schließen.

3.10. Es sind im gesamten Verfahren keine Hinweise hervorgekommen, die darauf schließen lassen würden, dass die Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen vorliegen und wurde dies auch seitens des Beschwerdeführers nicht vorgebracht.

3.11. Die diesem Erkenntnis zugrunde gelegten Länderfeststellungen (siehe oben Punkt 2.10.) gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes und schlüssiges Gesamtbild der Situation in der Russischen Föderation ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem BVwG von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation fallrelevant nicht wesentlich geändert haben. Der Beschwerdeführer konnte diesen Berichten nichts Substantiiertes entgegensetzen.

4. Rechtliche Beurteilung

Zu A)

§ 55 AsylG 2005 lautet:

"(1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen."

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iSd Art. 8 EMRK geboten ist.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- oder Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach ständiger Rechtsprechung des EGMR sowie der Höchstgerichte jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen. Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten umfasst, sondern auch entfernte verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterien hiefür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 190.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt. Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. VwGH 21.04.2011, 2011/01/0093).

Der Beschwerdeführer, seine Mutter und seine Tante lebten bis zuletzt in einem gemeinsamen Haushalt. Zu seiner Mutter und seiner Tante besteht zweifelsohne ein Naheverhältnis. Allerdings sind alle drei im selben Umfang von der aufenthaltsbeendenden Maßnahme betroffen. Eine Rückkehrentscheidung stellt demnach diesbezüglich keinen Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf Achtung des Familienlebens dar.

Seine Lebensgefährtin lernte der Beschwerdeführer erst im Mai 2017 kennen und lebte mit ihr nach ihrer Eheschließung nach islamischem Ritus knapp eineinhalb Monate in einem gemeinsamen Haushalt. Aufgrund der kurzen Beziehungsdauer und insbesondere aufgrund der kurzen Dauer des gemeinsamen Haushalts kann die oben angeführte Schwelle einer gewissen Beziehungsintensität nicht angenommen werden und fällt die Beziehung des Beschwerdeführers zu seiner Lebensgefährtin daher nicht in den Prüfungsumfang des Begriffs "Familienleben".

Zu den weiteren Verwandten in Österreich konnte - wie beweiswürdigend ausgeführt - kein Abhängigkeitsverhältnis festgestellt werden.

Bei der Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführer in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügt, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541), wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 EMRK, in ÖJZ 2007, 852 ff).

Allerdings ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0126, mwN).

Der Beschwerdeführer hält sich seit 04.10.2010 auf der Basis zweier unberechtigter Asylanträge in Österreich auf. Die erste rechtskräftig gewordene Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer stammt aus dem Jahr 2012. Schon seit dem ersten abweisenden Bescheid des BAA vom 25.01.2011 hätte sich der Beschwerdeführer seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein müssen. Der Beschwerdeführer lebt daher seit Jahren im Bundesgebiet in dem Wissen, dass er einzig wegen seines unglaubwürdigen Vorbringens zum Aufenthalt berechtigt war und versuchte wiederholt, durch unberechtigte Anträge seinen Aufenthalt zu verlängern. Er verblieb auch nach rechtskräftiger negativer Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung einer "Rot-Weiß-Rot Karte plus" ohne Grund - nunmehr insgesamt drei Jahre - weiterhin unrechtmäßig in Österreich (vgl. VwGH 23.03.2017, Ra 2016/21/0340).

Ein Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers ist jedenfalls insofern iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt, als dass öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegenüber dem Interesse der Beschwerdeführer an einem weiteren Verbleib in Österreich überwiegt:

Der Beschwerdeführer verfügte nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens. Er ist illegal nach Österreich eingereist. Die Dauer des vorliegenden Asylverfahrens übersteigt nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtsschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist, insbesondere angesichts der Tatsache, dass die Dauer des Verfahrens maßgeblich auf die wiederholte Antragstellung des Beschwerdeführers zurückzuführen ist.

Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (vgl. VfSlg 18.499/2008, 19.752/2013, EGMR 04.12.2012, 47.017/09, Fall Butt, Z 85 f).

Neben der Aufenthaltsdauer sind bei der Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK insbesondere das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht, Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, zu berücksichtigen (vgl. VfGH 29.09.2007, B 1150/07;

12.06.2007, B 2126/06; VwGH 26.06.2007, 2007/01/479; 26.01.2006, 2002/20/0423; 17.12.2007, 2006/01/0216; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2, 194;

Filzwieser/Frank/Kloiblmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 117 ff).

Bei der Beurteilung der Rechtskonformität von behördlichen Eingriffen ist nach ständiger Rechtsprechung des EGMR und VfGH auf die besonderen Umstände des Einzelfalls einzugehen. Die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme ist (nur) dann gegeben, wenn ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Betroffenen auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens im Inland einerseits und dem staatlichen Interesse an der Wahrung der öffentlichen Ordnung andererseits gefunden wird. Der Ermessensspielraum der zuständigen Behörde und die damit verbundene Verpflichtung, allenfalls von einer Aufenthaltsbeendigung Abstand zu nehmen, variiert nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei sind Beginn, Dauer und Rechtsmäßigkeit des Aufenthalts, wobei bezüglich der Dauer vom EGMR keine fixen zeitlichen Vorgaben gemacht werden, zu berücksichtigen; das Ausmaß der Integration im Aufenthaltsstaat, die sich in intensiven Bindungen zu Dritten, in der Selbsterhaltungsfähigkeit, Schul- und Berufsausbildung, in der Teilnahme am sozialen Leben und der tatsächlichen beruflichen Beschäftigung; Bindung zum Heimatstaat; die strafrechtliche Unbescholtenheit bzw. bei strafrechtlichen Verurteilungen auch die Schwere der Delikte und die Perspektive einer Besserung/Resozialisierung des Betroffenen bzw. die durch die Aufenthaltsbeendigung erzielbare Abwehr neuerlicher Tatbegehungen; Verstöße gegen das Einwanderungsrecht.

Im Fall Nnyanzi gegen Vereinigtes Königreich erachtete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Ausweisung einer ugandischen Asylwerberin aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK als zulässig, obwohl die Beschwerdeführerin, die erfolglos Asyl begehrt hatte, in der Zwischenzeit bereits fast 10 Jahre in Großbritannien aufhältig gewesen war: Ihrem Hinweis auf ihr zwischenzeitlich begründetes Privatleben, nämlich dass sie sich mittlerweile an einer Kirchengemeinschaft beteiligt habe, berufstätig geworden und eine Beziehung zu einem Mann entstanden sei, hielt der Gerichtshof entgegen, dass die Beschwerdeführerin keine niedergelassene Einwanderin und ihr vom belangten Staat nie ein Aufenthaltsrecht gewährt worden sei. Ihr Aufenthalt im Vereinigten Königreich während der Anhängigkeit ihrer verschiedenen Asylanträge und Menschenrechtsbeschwerden sei immer prekär gewesen, weshalb ihre Abschiebung nach Abweisung dieser Anträge durch eine behauptete Verzögerung ihrer Erledigung durch die Behörden nicht unverhältnismäßig werde (EGMR 08.04.2008, 21.878/06, Nnyanzi gg. Vereinigtes Königreich).

Im Fall Omoregie u.a. gegen Norwegen, der die Ausweisung eines ehemaligen (nigerianischen) Asylwerbers betraf, erkannte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ebenfalls keine Verletzung von Art. 8 EMRK, obwohl der Beschwerdeführer während seines Asylverfahrens eine Lebensgemeinschaft mit einer norwegischen Staatsangehörigen gegründet hatte und Vater einer gemeinsamen Tochter geworden war, da sich der Beschwerdeführer, der seine Lebensgefährtin (nach Abweisung des Asylantrages) geehelicht hatte, über die Unsicherheit seines fremdenrechtlichen Aufenthaltsstatus in Norwegen bereits zu Beginn der Beziehung im Klaren sein habe müssen (EGMR 31.07.2008, 265/07, Darren Omoregie u.a. gg. Norwegen). In derartigen Fällen könne die Ausweisung eines Fremden nach Ansicht des Gerichtshofes (wie er im Fall da Silva und Hoogkamer gegen die Niederlande hervorhob) nur unter außergewöhnlichen Umständen eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen (EGMR 31.1.2006, 50435/99, da Silva und Hoogkamer gg. Niederlande mwN).

Unter Berufung auf diese Judikatur hatte der Verfassungsgerichtshof etwa in VfSlg. 18.224/2007 keine Bedenken gegen die Ausweisung eines kosovarischen Staatsangehörigen trotz seines 11-jährigen Aufenthaltes, da sich der Aufenthalt (zunächst) auf ein für Studienzwecke beschränktes Aufenthaltsrecht gegründet hatte und vom Beschwerdeführer nach zwei Scheinehen schließlich durch offenkundig aussichtslose bzw. unzulässige Asylanträge verlängert wurde.

Keine Verletzung von Art. 8 EMRK erblickte auch der Verwaltungsgerichtshof in der Ausweisung eines ukrainischen (ehemaligen) Asylwerbers, der im Laufe seines rund sechseinhalbjährigen Aufenthaltes durch den Erwerb der deutschen Sprache, eines großen Freundeskreises sowie der Ausübung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungen (sowie mit seiner Unbescholtenheit) seine Integration unter Beweis gestellt hatte, da - wie der Verwaltungsgerichtshof u.a. ausführte - die integrationsbegründenden Umstände während eines Aufenthaltes erworben wurden, der "auf einem (von Anfang an) nicht berechtigten Asylantrag" gegründet gewesen sei (VwGH 08.07.2009, 2008/21/0533; vgl. auch VwGH 22.01.2009, 2008/21/0654). Auch die Ausweisung eines unbescholtenen nigerianischen (ehemaligen) Asylwerbers, der beinahe während seines gesamten und mehr als 9-jährigen Aufenthaltes in Österreich einer legalen sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen war, über sehr gute Deutschkenntnisse verfügte und nie öffentliche Unterstützungsleistungen in Anspruch genommen hatte, beanstandete der Verwaltungsgerichtshof vor dem Hintergrund des Art. 8 EMRK nicht, wobei er auch dem Argument des Beschwerdeführers, dass über seine Berufung in seinem Asylverfahren ohne sein Verschulden erst nach sieben Jahren entschieden worden war, keine entscheidende Bedeutung zugestand: Vielmehr vertrat er die Ansicht, dass der Fremde spätestens nach der erstinstanzlichen Abweisung seines Asylantrages - auch wenn er subjektiv berechtigte Hoffnungen auf ein positives Verfahrensende gehabt haben sollte - im Hinblick auf die negative behördliche Beurteilung des Antrages von einem nicht gesicherten Aufenthalt ausgehen habe müssen (VwGH 29.04.2010, 2010/21/0085). Keine außergewöhnlichen Umstände iSd Art. 8 EMRK, die es unzumutbar machen würden, für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Niederlassungsverfahrens auszureisen, erkannte der Verwaltungsgerichtshof auch bei der Ausweisung eines (ehemaligen) chinesischen Asylwerbers, der in den letzten sieben Jahren seines rund achteinhalb Jahre andauernden Aufenthaltes in Österreich einer legalen Beschäftigung nachgegangen war und über eine österreichische Lebensgefährtin verfügte (VwGH 29.06.2010, 2010/18/0209; vgl. ähnlich auch VwGH 13.04.2010, 2010/18/0087). Zum selben Ergebnis gelangte der Verwaltungsgerichtshof bei der Ausweisung eines georgischen (ehemaligen) Asylwerbers, der sich schon fast 8 Jahre im Bundesgebiet aufgehalten hatte, über gute Deutsch-Kenntnisse verfügte und selbständig erwerbstätig war: Der Verwaltungsgerichtshof wies darauf hin, dass eine Reintegration des Beschwerdeführers (nicht zuletzt auch aufgrund seines Schulbesuchs in seiner Heimat) trotz behaupteter Schwierigkeiten bei der Arbeitsplatzsuche in Georgien weder unmöglich noch unzumutbar erscheine (VwGH 06.07.2010, 2010/22/0081).

Unter Berücksichtigung der im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen ergibt sich Folgendes:

Der Beschwerdeführer verfügt weiterhin über starke Bindungen zum Herkunftsstaat. Er hat dort bis zu seinem XXXX Lebensjahr gelebt, ist dort aufgewachsen, in die Schule gegangen und sozialisiert worden. Er beherrscht die russische und die tschetschenische Sprache. Es ist davon auszugehen, dass er sich im Herkunftsstaat problemlos zu Recht finden würde und wieder in die dortige Gesellschaft eingliedern könnte. Angesichts der Tatsache, dass er in seinem Umfeld maßgeblich Kontakt mit Personen tschetschenischer Herkunft pflegte und auch seine Lebensgefährtin Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe ist, kann nicht gesagt werden, dass er seinem Kulturkreis völlig entrückt wäre und sich in seiner Heimat überhaupt nicht mehr zurechtfinden würde.

Im Gegensatz dazu ist der Beschwerdeführer - wie beweiswürdigend ausgeführt - in Österreich schwächer integriert. Er lebte in den letzten Jahren ausschließlich von der Grundversorgung und hat sich in seiner Zeit in Österreich weder aus-, fort- noch weitergebildet.

Aus den vorgelegten bedingten Einstellungszusagen potentieller zukünftiger Arbeitgeber lässt sich nicht ein bereits erreichter Grad an Integration in wirtschaftlicher Hinsicht ableiten, sondern bloß die noch ungewisse Möglichkeit deren künftigen Eintretens. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht hat, dass der Ausübung einer Beschäftigung sowie einer etwaigen Einstellungszusage oder Arbeitsplatzzusage eines Asylwerbers, der lediglich über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz und über keine Arbeitserlaubnis verfügt hat, keine wesentliche Bedeutung zukommt (VwGH 22.02.2011, 2010/18/0323, mit Hinweis auf VwGH 15.09.2010, 2007/18/0612, und 29.06.2010, 2010/18/0195, jeweils mwN). In diesem Zusammenhang kommt es auch nicht entscheidungswesentlich darauf an, ob dem Beschwerdeführer ein "Vorwurf" im Hinblick auf eine unterlassene Integration am Arbeitsmarkt zu machen ist, sondern darum, ob sie ihm objektiv gelungen ist oder nicht (vgl. VwGH 19.04.2012, 2010/21/0242).

Der Beschwerdeführer war zwar sportlich im lokalen XXXX Verein aktiv, jedoch konnte, wie beweiswürdigend ausgeführt, eine tiefergreifende soziale Integration außerhalb seines Familienumfeldes nicht festgestellt werden. Ein Naheverhältnis besteht nur zu seiner Mutter und seiner Tante, welche in gleichem Maße von einer Rückkehrentscheidung betroffen sind. Ein berücksichtigungswürdiges Interesse des Beschwerdeführers auf Fortführung seines Privat- und Familienlebens kann daher nur auf seine in Österreich lebenden Verwandten - insbesondere seinen Onkel und dessen Familie, seine Lebensgefährtin sowie seine Bekannte bestehen.

Das Interesse des Beschwerdeführers an der Aufrechterhaltung privater Kontakte in Österreich ist dadurch geschwächt, dass er sich bei allen Integrationsschritten spätestens seit der ersten rechtskräftig gewordenen Entscheidung 2012 seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. zuletzt VwGH 26.04.2018, Ra 2018/21/0062):

Der Beschwerdeführer durfte sich hier bisher nur aufgrund seiner Anträge auf internationalen Schutz aufhalten, die zu keinem Zeitpunkt berechtigt waren (vgl. VwGH 20.02.2004, 2003/18/0347; 26.02.2004, 2004/21/0027; 27.04.2004, 2000/18/0257; EGMR 08.04.2008, 21.878/06, Nnyanzi gg. Vereinigtes Königreich). Auch der Verfassungsgerichtshof misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine, über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013).

Dies gilt insbesondere für die Beziehung des Beschwerdeführers zu seiner Lebensgefährtin. Nach Angaben der Lebensgefährtin in der mündlichen Beschwerdeverhandlung war beiden bei der traditionellen Eheschließung bewusst, dass der Beschwerdeführer über keinen Aufenthaltstitel verfügte und sein Aufenthaltsstatus unsicher war.

Ein Aufenthalts- oder Einreiseverbot wurde über den Beschwerdeführer nicht verhängt. Es ist dem Beschwerdeführer daher nicht verwehrt, von seinem Herkunftsland aus ein geordnetes Verfahren zur Erlangung eines Aufenthaltstitels durchzuführen und bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen des Fremdenpolizei- bzw. Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes in das Bundesgebiet zurückzukehren.

In der Zwischenzeit kann der Kontakt nicht nur über elektronische Medien, sondern auch über Besuche aufrechterhalten werden: Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers ist russische Staatsbürgerin. Sie verfügt in Österreich zwar über Asylstatus, leitet diesen jedoch von ihrem Vater ab. Eine Gefährdung der Lebensgefährtin selbst wurde nicht festgestellt. Eine solche kann auch aktuell für den Fall der Rückkehr in die russische Föderation nicht erkannt werden. Sie gab als Zeugin in der mündlichen Beschwerdeverhandlung zwar an, sie befürchte, im Falle einer Rückkehr Probleme zu bekommen und könnte sich weder vorstellen, mit ihrem Mann in Russland, Tschetschenien, Dagestan oder Wolgograd zu leben. Die Leute von Kadyrow wüssten genau, dass sie XXXX ausgereist sei. Was das konkret an Problemen bedeuten würde, könne sie jetzt nicht sagen, sie fühle sich in Österreich viel sicherer. Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers konnte also keine konkrete asylrelevante Gefährdung ihrer Person vorbringen und konnte eine solche aus ihrem Vorbringen auch sonst nicht erkannt werden.

Es wäre der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers also zumutbar, zu diesem in die Russische Föderation zu ziehen, bis sein Niederlassungsverfahren durchgeführt ist. Sie stammt ebenfalls aus Tschetschenien, ist Angehörige der Tschetschenischen Volksgruppe und verbrachte die ersten zehn Jahre ihres Lebens dort. Es kann davon ausgegangen werden, dass sie mit der Landessprache sowie der Landeskultur vertraut ist. Unter anderem gab sie in der mündlichen Beschwerdeverhandlung auch an, mit der Tante des Beschwerdeführers in Tschetschenien telefoniert zu haben (vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0255).

Den schwach ausgeprägten privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251, u.v.a.). Es besteht ein hohes öffentliches Interesse an einem geordneten Fremdenwesen. Dieses verlangt von Fremden grundsätzlich, dass sie nach negativer Erledigung ihres Antrags auf internationalen Schutz das Bundesgebiet wieder verlassen (vgl. VwGH 26.06.2013, 2013/22/0138).

Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie die des Beschwerdeführers erfolgreich auf das Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen. Dies würde darüber hinaus dazu führen, dass Fremde, welche die unbegründete bzw. rechtsmissbräuchliche Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz (allenfalls in Verbindung mit einer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet) in Kenntnis der Unbegründetheit bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrages unterlassen, bzw. nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens ihrer Obliegenheit zum Verlassen des Bundesgebietes entsprechen, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, welche genau zu diesen Mitteln greifen um sich ohne jeden sonstigen Rechtsgrund den Aufenthalt in Österreich legalisieren, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (vgl. hierzu auch das Estoppel-Prinzip ["no one can profit from his own wrongdoing"], auch den allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen [VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007]).

In einer Gesamtabwägung kommt das erkennende Gericht damit zum Schluss, dass sich der Beschwerdeführer zwar eine geraume Zeit in Österreich aufhielt und zudem in dieser Zeit unstrittig Integrationsschritte setzte, die zu seinen Gunsten zu gewichten sind. Die Aufenthaltsdauer ist jedoch dadurch relativiert, dass er sich weitgehend unrechtmäßig in Österreich aufhielt. Wie bereits dargestellt, weigerte sich der Beschwerdeführer beharrlich, den gegen ihn ergangenen rechtskräftigen Rückkehrentscheidungen Folge zu leisten.

Nach Maßgabe einer Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG überwiegt daher das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und liegt daher eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vor, so dass eine Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK nicht geboten ist.

Gemäß § 10 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn u.a. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird und wenn der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen wird (Abs. 3).

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

"1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist."

Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner illegalen Einreise durchgehend im Bundesgebiet auf. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen oder Opfer von Gewalt geworden. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur behauptet wurde.

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Der Beschwerdeführer ist kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu.

Es ist auch - wie bereits ausgeführt - kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen erteilen und war dem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 nicht stattzugeben. Aus § 10 Abs. 3 AsylG 2005 ergibt sich, dass dann, wenn kein Fall des § 58 Abs. 9 AsylG 2005 vorliegt, auch eine Antragsabweisung mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden ist.

Hinsichtlich des Unterbleibens des Erlasses einer Rückkehrentscheidung infolge der Abweisung des Antrags auf einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 stützte sich das BFA auf § 59 Abs. 5 FPG.

Dieser lautet:

"Besteht gegen einen Drittstaatsangehörigen bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung, so bedarf es bei allen nachfolgenden Verfahrenshandlungen nach dem 7., 8. und 11. Hauptstück oder dem AsylG 2005 keiner neuerlichen Rückkehrentscheidung, es sei denn, es sind neue Tatsachen gemäß § 53 Abs. 2 und 3 hervorgekommen."

§ 75 Abs. 8 und Abs. 23 AsylG 2005 lauten:

"(8) § 10 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 ist auf alle am oder nach dem 1. Jänner 2010 anhängigen Verfahren nach dem Asylgesetz 1997 mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine Ausweisungsentscheidung nach dem Asylgesetz 1997, die vor dem 1. Jänner 2010 erlassen wurde, als eine Ausweisungsentscheidung nach § 10, die Zurückweisung eines Asylantrages nach dem Asylgesetz 1997 als Zurückweisung nach § 10 Abs. 1 Z 1 und die Abweisung eines Asylantrages nach dem Asylgesetz 1997, mit der festgestellt wurde, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist, als Abweisung nach § 10 Abs. 1 Z 2 gilt.

(23) Ausweisungen, die gemäß § 10 in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 87/2012 erlassen wurden, bleiben binnen 18 Monaten ab einer Ausreise des Fremden aufrecht. Diese Ausweisungen gelten als aufenthaltsbeendende Maßnahmen gemäß dem 1. Abschnitt des 8. Hauptstückes des FPG in der Fassung nach dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 87/2012."

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 25.02.2011, Zl. 10 09.229 BAT wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers abgewiesen und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 13.02.2012 wurde die dagegen erhobene Beschwerde abgewiesen. Die Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.

Diese Entscheidung gilt gemäß § 75 Abs. 8 AsylG 2005 als Abweisung nach § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG. Aufgrund der weiteren Übergangsbestimmung des § 75 Abs. 23 AsylG 2005 ist dies nunmehr als aufenthaltsbeendende Maßnahme gemäß dem 1. Abschnitt des 8. Hauptstücks des FPG anzusehen. Eine Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet ergibt sich nicht aus dem Akt.

Im gegebenen Fall ist daher eine rechtskräftige aufrechte Ausweisung hinsichtlich der Person des Beschwerdeführers existent. Es ist jedoch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu berücksichtigen, wonach durch den Verweis auf § 53 FPG, der die Erlassung eines Einreiseverbotes regelt und in Zusammenschau mit den Materialien hervorgeht, dass sich § 59 Abs. 5 FPG nur auf solche Rückkehrentscheidungen bezieht, die mit einem Einreiseverbot verbunden sind. Nur im Fall der Änderung des für die Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes relevanten Sachverhaltes bedarf es einer neuen Rückkehrentscheidung, um allenfalls die Dauer des mit ihr zu verbindenden Einreiseverbotes neu festlegen zu können. Ist die Rückkehrentscheidung allerdings, wie auch im vorliegenden Fall, von vornhinein nicht mit einem Einreiseverbot verbunden, fällt sie nicht unter den Anwendungsbereich dieser Norm (vgl. VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0082). Diese Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof jüngst bestätigt (vgl. VwGH 13.02.2018, Ra 2017/18/0332 sowie 22.03.2018, Ra 2017/01/0287).

Dies ändert freilich nichts daran, dass den Beschwerdeführer eine Ausreiseverpflichtung bereits aufgrund der mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.02.2012 rechtskräftig erlassenen Rückkehrentscheidung getroffen hat (vgl. § 52 Abs. 8 FPG; in diesem Sinne vgl. auch VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/002 ua.).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu

A) wiedergegeben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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