OGH 6Ob159/02d

OGH6Ob159/02d20.3.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Alexander M*****, und Martina M*****, beide in Obsorge der Mutter Ingrid M*****, über den ordentlichen Revisionsrekurs des Vaters Mag. Gerhard M*****, vertreten durch Dr. Günter Tews und Mag. Christian Fischer, Rechtsanwälte in Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Wels als Rekursgericht vom 30. Jänner 2002, GZ 21 R 25/02d-34, womit dem Rekurs des Vaters gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Bad Ischl vom 12. November 2001, GZ 1 P 1680/95i-31, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird, soweit er sich gegen die Zurückweisung des Unterhaltsherabsetzungsantrages wendet, nicht Folge gegeben. Insoweit sich der Revisionsrekurs gegen die Abweisung des Unterhaltsherabsetzungsantrages (betreffend die Unterhaltszeiträume 1. 6. bis 31. 8. 2001 hinsichtlich des Sohnes und August 2001 betreffend die Tochter) wendet, wird dem Revisionsrekurs Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden in diesem Umfang aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Ab 1. 8. 1994 war der Vater für seine beiden Kinder zu monatlichen Unterhaltsbeiträgen von je S 4.100 verpflichtet. Am 20. 2. 2001 begehrten die Kinder, vertreten durch ihre Mutter, die Erhöhung der vom Vater zu leistenden Unterhaltsbeiträge ab 1. 12. 1999 auf S 6.500,-- je Kind mit der Begründung, die Bedürfnisse der Kinder hätten sich erhöht und der Vater habe seit Oktober 1998 für die Mutter keinen Unterhalt mehr zu leisten. Der Vater sprach sich gegen eine rückwirkende Unterhaltserhöhung aus und erklärte sich bereit, ab 1. 3. 2001 Beiträge von S 4.600,-- für Alexander und S 4.500,-- für Martina zu leisten.

Mit Beschluss vom 15. 5. 2001 erhöhte das Erstgericht die vom Vater zu leistenden Unterhaltsbeiträge ab 1. 12. 1999 auf S 6.500,-- für Alexander und S 6.400,-- für Martina. Einem dagegen erhobenen Rekurs des Vaters wurde nur hinsichtlich der mj Martina und nur für den Zeitraum ab 1. 12. 2000 dahin Folge gegeben, dass der ab diesem Zeitpunkt zu leistende Unterhaltsbeitrag nur auf S 6.050,-- erhöht wurde. Diese Abänderung beruhte auf einer neuen Einkommensberechnung aufgrund vom Erstgericht nach Beschlussfassung eingeholter aktueller Gehaltsunterlagen.

Über Antrag des Vaters vom 7. 8. 2001 wurden schließlich mit Zustimmung der Mutter als Vertreterin der Kinder mit Beschluss vom 10. 9. 2001 die Unterhaltsbeiträge ab 1. 9. 2001 auf S 4.510,-- herabgesetzt. Grund dafür war eine am 10. 9. 2001 beginnende einjährige Karenzierung des Vaters unter Entfall der Bezüge. Am 19. 9. 2001 beantragte der Vater unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 27. 6. 2001, B 1285/00, eine rückwirkende Unterhaltsherabsetzung für Alexander auf S 5.600,-- für den Zeitraum 1. 12. 1999 bis 1. 8. 2001 und für Martina auf S 5.600,-- für den Zeitraum 1. 12. 1999 bis 1. 12. 2000 und auf S 5.200,-- vom 1. 12. 2000 bis 1. 8. 2001. Zur Begründung führte der Vater aus, bei der Bemessung des Unterhaltes seien entsprechend der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes auch die Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag zu berücksichtigen.

Das Erstgericht wies den Unterhaltsherabsetzungsantrag des Vaters mit der Begründung ab, dass ungeachtet des Verfassungsgerichtshofserkenntnises weiterhin davon auszugehen sei, dass die Familienbeihilfe nach § 12a FLAG nicht als Einkommen des Kindes gelte und dessen Unterhaltsanspruch nicht mindere. Das Rekursgericht bestätigte den erstinstanzlichen Beschluss mit der Maßgabe, dass der Unterhaltserhöhungsantrag (gemeint Unterhaltsherabsetzungsantrag) des Vaters betreffend den Sohn für den Zeitraum 1. 12. 1999 bis 31. 5. 2001 zurückgewiesen und nur für den Zeitraum 1. 6. bis 31. 8. 2001 abgewiesen wurde und dass der Unterhaltsherabsetzungsantrag betreffend die Tochter für den Zeitraum 1. 12. 1999 bis 31. 7. 2001 zurückgewiesen und nur für August 2001 abgewiesen wurde. Das Rekursgericht führte in rechtlicher Hinsicht Folgendes aus:

Bei einer Änderung der Verhältnisse oder auch bei einer tiefgreifenden Änderung der Rechtsprechung könnten Unterhaltsverpflichtungen auch rückwirkend aufgehoben oder eingeschränkt werden, soweit nicht die Rechtskraft einer Entscheidung die Abänderung verhindere. Das Rekursgericht schließe sich der Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofs nicht an, dass die Familienbeihilfe bei der Unterhaltsbemessung doch in gewissem Ausmaß zu berücksichtigen sei, um die Steuermehrbelastung des unterhaltspflichtigen Elternteils abzugelten. Es halte vielmehr an der bisherigen Rechtsprechung zur Nichtanrechnung der Familienbeihilfe fest. Im überwiegenden Umfang sei der Unterhaltsherabsetzungsantrag des Vaters jedoch wegen Rechtskraft der festgestellten vorangegangenen Unterhaltserhöhungsbeschlüsse zurückzuweisen. Beschlüssen im außerstreitigen Verfahren käme die materielle Rechtskraft zu, die eine nachträgliche Abänderung für einen bis zur Beschlussfassung verstrichenen Zeitraum verhindere. Künftige Entwicklungen seien von der materiellen Rechtskraft aber nicht erfasst. Endzeitpunkt für die Sachverhaltsermittlung im Unterhaltserhöhungsverfahren sei hinsichtlich des Sohnes der 15. 5. 2001 (Beschluss erster Instanz) und hinsichtlich der Tochter der 18. 7. 2001 (Entscheidungszeitpunkt des Rekursgerichtes) gewesen, weil bei der Tochter neue Lohnunterlagen zu einer Abänderung geführt hätten. Beim Sohn sei daher eine rückwirkende Unterhaltsherabsetzung frühestens ab 1. 6. 2001 und bei der Tochter frühestens ab 1. 8. 2001 möglich. Für die Zeit davor stehe einem Unterhaltsherabsetzungsantrag die Rechtskraft der Unterhaltserhöhungsbeschlüsse entgegen. Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil zur Frage, ob auf Grund des Erkenntnisses des VfGH vom 27. 6. 2001, B 1285/00, eine Berücksichtigung der Familienbeihilfe bei der Unterhaltsbemessung stattzufinden habe, eine oberstgerichtliche Rechtsprechung noch fehle. Überdies liege zur Frage der materiellen Rechtskraft eines im außerstreitigen Verfahren ergangenen Beschlusses allenfalls eine widersprüchliche oberstgerichtliche Judikatur vor (SZ 65/54 versus 1 Ob 122/97s). Mit seinem ordentlichen Revisionsrekurs beantragt der Vater primär die Aufhebung zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung durch das Erstgericht, hilfsweise die Abänderung dahin, dass dem Unterhaltsherabsetzungsantrag stattgegeben werde. Er regt überdies an, der Oberste Gerichtshof möge beim VfGH den Antrag stellen, § 12a FLAG als verfassungswidrig aufzuheben bzw das Revisionsrekursverfahren bis zu einer Entscheidung des VfGH zu unterbrechen.

Die zuletzt angeführten Anregungen sind überholt, weil der Verfassungsgerichtshof in der Zwischenzeit die hier maßgebliche Wortfolge im § 12a FLAG bereits als verfassungswidrig aufgehoben hat.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne des gestellten Aufhebungsantrages teilweise auch berechtigt.

Der Rekurswerber führt gegen die vom Rekursgericht angenommene Rechtskraftwirkung des Unterhaltsbeschlusses vom 15. 5. 2001 (bzw der Rekursentscheidung vom 18. 7. 2001) nur ins Treffen, dass zwar keine Änderung der unterhaltsrechtlichen materiellen Gesetzesbestimmungen, aber auf Grund des Erkenntnisses des VfGH eine tiefgreifende Änderung der Rechtsprechungsgrundsätze erfolgt sei, die nach der oberstgerichtlichen Rechtsprechung wie eine die materielle Rechtskraft durchbrechende Änderung der Gesetzeslage zu werten sei.

Dazu ist Folgendes auszuführen:

Seit der Entscheidung des verstärkten Senates vom 9. 6. 1988, 6 Ob 544/87 = SZ 61/143, können noch nicht verjährte Unterhaltsansprüche auch für die Vergangenheit geltend gemacht werden.

Eine rückwirkende Neufestsetzung der Unterhaltspflicht - (auch eine rückwirkende Unterhaltsherabsetzung oder eine Unterhaltseinstellung ist grundsätzlich zulässig: 8 Ob 596/93; RIS-Justiz RS0047398) - setzt eine Veränderung der Verhältnisse seit der letzten Unterhaltsentscheidung (oder einer vergleichsweisen Unterhaltsregelung) voraus. Unterhaltsentscheidungen, die ein Dauerschuldverhältnis regeln, unterliegen der sogenannten Umstandsklausel (clausula rebus sic stantibus). Der Entscheidung nachfolgende Ereignisse können berücksichtigt werden (RS0047202). Eine Änderung der Gesetzeslage ist einer geänderten Sachlage gleichzuhalten. Auch darauf kann ein Abänderungsantrag gestützt werden (8 Ob 663/92 mwN), ebenso darauf, dass - worauf sich der Rekurswerber beruft - eine tiefgreifende Änderung der bisherigen den Unterhaltstitel bestimmenden Rechtsprechungsgrundsätze stattgefunden habe (RS0047398).

Eine Änderung der Verhältnisse liegt aber nicht nur dann vor, wenn seit einer Entscheidung eines Gerichtes neue Tatsachen eingetreten sind, sondern auch dann, wenn Tatsachen, die zur Zeit der früheren Entscheidung bereits eingetreten sind, aber dem Gericht nicht bekannt waren, später zutage gekommen sind (RS0007148). Dieser Rechtssatz bedarf allerdings einer Erläuterung. Er bedeutet nicht, dass damit die in ständiger Rechtsprechung abgelehnte Zulässigkeit der Wiederaufnahme eines bereits abgeschlossenen außerstreitigen Verfahrens (RS0007194) doch zu bejahen wäre (vgl zur Frage der analogen Anwendung der Regeln über die Wiederaufnahmsklage in der ZPO: E der Obersten Rückstellungskommission beim OGH vom 30. 6. 1998, Rkv 1/98 = JBl 1998, 731). Dass später bekannt gewordene Tatsachen schon getroffene Verfügungen abänderbar machen, hängt nach der zitierten Entscheidungskette vielmehr davon ab, ob im Vorverfahren bloß über (explicit oder auch nur schlüssig gestellte) Teilbegehren entschieden wurde oder aber über einen gesamten Unterhaltsanspruch. Im ersten Fall ist eine Entscheidung über den Restanspruch zulässig, weil darüber im Vorverfahren gar nicht entschieden wurde (Reischauer, Unterhalt für die Vergangenheit und materielle Rechtskraft, JBl 2000, 421 [423] mwN aus der Rechtsprechung; RS0007165). Mit einem neuen Unterhaltsantrag wird in einem solchen Fall also ein Anspruch geltend gemacht, der noch nicht Verfahrensgegenstand war (4 Ob 2393/96g). Der Änderung einer Unterhaltsfestsetzung für die Vergangenheit kann die materielle Rechtskraft der vorangegangenen Unterhaltsentscheidung entgegenstehen. Auch im außerstreitigen Verfahren ergangene Unterhaltsbeschlüsse unterliegen der materiellen Rechtskraft (Reischauer aaO 422 mwN; RS0007171; 1 Ob 122/97s).

Ab welchem Stichtag die Bindungswirkung eintritt, hängt von den geltend gemachten neuen Umständen ab, ob also die nachfolgenden Ereignisse auf die Zeit vor der erfolgten Unterhaltsfestsetzung zurückwirken oder nicht (dazu Reischauer aaO). Im ersten Fall zeigt sich die Problematik der Zulässigkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens, im zweiten Fall verbietet sich eine rückwirkende Änderung für die Zeit vor der rechtskräftigen Entscheidung von vorneherein. Bei einer nur in die Zukunft wirkenden Änderung der Verhältnisse kann für die Zeit nach der Erlassung der Vorentscheidung auch rückwirkend eine Unterhaltserhöhung oder Unterhaltsherabsetzung oder Einstellung begehrt werden. Stichtag der Bindungswirkung ist im Zivilprozess der Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz (allenfalls der Tag der Berufungsentscheidung, wenn das Berufungsgericht eine Beweiswiederholung oder Beweisergänzung durchführte), im außerstreitigen Verfahren der Tag der Erlassung des erstinstanzlichen Beschlusses (SZ 65/54; 8 Ob 596/93) oder allenfalls auch der Rekursentscheidung, wenn damit unter Beachtung zulässiger Neuerungen die für die Rechtskraft entscheidenden Sachverhaltsgrundlagen fixiert wurden (vgl die zutreffenden Argumente Reischauers aaO 424; in der Entscheidung SZ 65/54 wurde mangels sachverhaltsändernder Feststellungen des Rekursgerichtes auf den Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Beschlusses abgestellt).

Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass mit dem erstinstanzlichen Beschluss vom 15. 5. 2001 der Unterhalt für die Kinder abschließend geregelt werden sollte. Eine mögliche Änderung der Rechtsprechung oder der Gesetzeslage zur allenfalls gebotenen steuerlichen Entlastung des geldunterhaltspflichtigen Elternteils über den Umweg der Unterhaltsfestsetzung wurde im Hinblick auf die bisherige Judikatur des Obersten Gerichtshofs zur Nichtanrechnung der Familienbeihilfe und dem noch nicht ergangenen ersten Erkenntnis des VfGH nicht bedacht. Damit können die nachfolgenden Ereignisse (die beiden Erkenntnisse des VfGH und die diese umsetzenden oberstgerichtlichen Entscheidungen) nur unter der Voraussetzung auf Zeiträume vor dem angeführten Entscheidungszeitpunkt der Unterhaltsfestsetzung des Erstgerichtes zurückwirken, dass die durch das zweite Erkenntnis des VfGH erfolgte Gesetzesänderung mit derart weitgehender Rückwirkung ausgestattet wurde, dass sogar rechtskräftige Individualentscheidungen rückwirkend geändert werden können oder aber eine tiefgreifende Rechtsprechungsänderung zu beurteilen wäre. Bei einer solchen vertritt der Oberste Gerichtshof die Ansicht, dass kein Rückwirkungsverbot bestehe (RS0109026; vgl für Gesetze das Rückwirkungsverbot des § 5 ABGB). Änderungen der Judikatur erfassen auch davor verwirklichte Sachverhalte (zuletzt 2 Ob 153/02t; 9 Ob 312/00y). Da hier aber - wie noch auszuführen sein wird - kein Fall einer durch Judikaturwechsel bewirkten Änderung der materiellen Rechtslage vorliegt, braucht auf die kontroversiellen Lehrmeinungen zum Rückwirkungsverbot, beispielsweise wegen des besonderen Interesses an einem Vertrauensschutz (Wilhelm, Rechtsprechungen wirken zurück, ecolex 1996, 1; F. Bydlinski, Gegen die "Zeitzündertheorien" bei der Rechtsprechungsänderung nach staatlichem und europäischem Recht, JBl 2001, 2) nicht näher eingegangen zu werden.

Bis zu den Erkenntnissen des VfGH vom 27. 6. 2001, B 1285/00 und vom 19. 6. 2002, G 7/02, ging die oberstgerichtliche Rechtsprechung entsprechend dem Wortlaut des § 12a FLAG davon aus, dass die Familienbeihilfe (und der Kinderabsetzbetrag) zur Gänze dem Haushalt zukommen soll, in dem das Kind betreut wird, um die Betreuungslast wenigstens teilweise abzudecken. Sie sei nicht dazu bestimmt, den nicht betreuenden geldunterhaltspflichtigen Elternteil zu entlasten. Die Familienbeihilfe sei nicht auf die Unterhaltspflicht anrechenbar (1 Ob 218/00s mwN). Im Erkenntnis vom 27. 6. 2001 vertrat der VfGH eine gegenteilige Ansicht. Es sei schon auf der Grundlage des geltenden Rechts eine steuerliche Entlastung der Unterhaltsleistungen an nicht haushaltszugehörige Kinder durch Anrechnung eines Teils der gesetzlichen Leistungen (Unterhaltsabsetzbetrag gemäß § 33 Abs 4 Z 3 lit b EStG; Kinderabsetzbetrag gemäß § 33 Abs 4 Z 3 lit a EStG und Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs 2 FLAG) verfassungsrechtlich geboten. Der Oberste Gerichtshof beantragte gemäß Art 89 Abs 2 B-VG (Art 140 B-VG) aus Anlass bei ihm anhängiger Revisionsrekurse beim Verfassungsgerichtshof, § 12a FLAG 1967 idF BGBl 1977/646 als verfassungswidrig aufzuheben. Mit seinem Erkenntnis vom 19. Juni 2002, G 7/02, hat der Verfassungsgerichtshof im § 12a FLAG die Wortfolge "und mindert nicht dessen Unterhaltsanspruch" als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass die aufgehobene Wortfolge nicht mehr anzuwenden ist und frühere gesetzliche Bestimmungnen nicht wieder in Wirksamkeit treten. Der VfGH wiederholte seine schon im vorher ergangenen Erkenntnis erläuterte Auffassung, dass nicht nur die Absetzbeträge, sondern auch die Familienbeihilfe der steuerlichen Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen zu dienen habe. Weil der Gesetzgeber die indirekte steuerliche Entlastung von Geldunterhaltsschuldnern auf dem Weg über "(erhöhte) Transferleistungen" spätestens seit dem BudgetbegleitG 1998, BGBl I 1998/79 bevorzuge, habe er "in Kauf genommen, dass ein Teil dieser Transferleistungen in bestimmten Situationen und in unterschiedlicher Höhe nunmehr nicht für die Kinder bestimmt" sei, "sondern der steuerlichen Entlastung der Unterhaltsverpflichteten" diene.

Der Oberste Gerichtshof hat seither in zahlreichen Entscheidungen die nach Aufhebung der Wortfolge im § 12a FLAG eingetretene neue Rechtslage bei der Unterhaltsfestsetzung berücksichtigt (RS0117015), allerdings nicht im Wege einer Judikaturänderung bei gleichbleibender Gesetzeslage, sondern im Sinne seiner Anträge auf Gesetzesaufhebung ausschließlich auf Grund der nun durch den Verfassungsgerichtshof geänderten Gesetzeslage. Die Frage der Rückwirkung hängt damit nicht von einer Änderung der Unterhaltsjudikatur des Obersten Gerichtshofs, sondern von einer Gesetzesänderung wie bei einer Änderung durch den Gesetzgeber selbst ab, also von den Übergangsbestimmungen, die der Gesetzgeber bzw der VfGH verfügt hat, hier im Besonderen in seinem zweiten Erkenntnis. In seinem Antrag an den VfGH vertrat der Senat (6 Ob 243/01f) die Auffassung, dass die Rechtsansicht des VfGH in seinem ersten Erkenntnis mit der klaren und eindeutigen Formulierung im § 12a FLAG und den Gesetzesmaterialien nicht in Einklang stehe und eine teleologische Reduktion des normativen Gehalts des § 12a FLAG mit den zivilrechtlichen Auslegungsgrundsätzen nicht in Übereinstimmung gebracht werden könne. Der für eine teleologische Reduktion erforderliche klare Nachweis des Gesetzeszwecks, an dem sich eine korrigierende Auslegung orientieren müsse, läge nicht vor. An dieser Auffassung ist festzuhalten und im Folgenden davon auszugehen, dass der Unterhaltsherabsetzungsantrag des Vaters sich nur auf eine geänderte Gesetzeslage und nicht auf eine geänderte oberstgerichtliche Rechtsprechung stützen kann.

Der VfGH hat im Erkenntnis vom 19. 6. 2002 keine rückwirkende Aufhebung des Teilsatzes im § 12a FLAG angeordnet, sondern nur ausgesprochen, dass (mit Wirkung ab Kundmachung) die aufgehobene Wortfolge nicht mehr anzuwenden ist und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten. Daraus folgt, dass eine rückwirkende Abänderung bereits ergangener rechtskräftiger Unterhaltsentscheidungen, die ausschließlich auf Grund der geänderten Gesetzeslage beantragt wird, keinesfalls in Frage kommen kann, für die Zeit ab dem Entscheidungszeitpunkt im Vorverfahren wegen geänderter Verhältnisse aber jedenfalls dann, wenn der Unterhaltsabänderungsantrag - wie hier - schon vor der Kundmachung des Erkenntnisses des VfGH anhängig gemacht worden war, sodass bei der Gerichtsentscheidung darüber schon die neue Rechtslage anzuwenden ist (in diesem Sinn die schon zitierte oberstgerichtliche Judikatur auf der Basis des zweiten Erkenntnisses des VfGH; Gitschthaler, Familienbeihilfe und deren Anrechnung auf Kinderunterhaltsansprüche, JBl 2003, 9 [13]). Die vom VfGH verwendete Formulierung ist wie eine Übergangsbestimmung des Gesetzgebers zu beurteilen. Gemäß § 5 ABGB gilt für Gesetze grundsätzlich ein Rückwirkungsverbot. Die Rückwirkung eines Gesetzes bezieht sich nur auf jene Tatbestände, für die die Rückwirkung ausdrücklich ausgesprochen wird (RS0008694). Es gilt der allgemeine Grundsatz, dass bei Dauerrechtsverhältnissen im Fall einer Gesetzesänderung mangels abweichender Übergangsregelung der in den zeitlichen Geltungsbereich reichende Teil des Dauertatbestandes nach dem neuen Gesetz zu beurteilen ist. Eine Rückwirkung auf Sachverhalte, die sich abschließend vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung verwirklicht haben, ist im Zweifel nicht anzunehmen (5 Ob 78/00g; 6 Ob 16/01y; RS0008715). Ob eine Gesetzesänderung für ein laufendes Verfahen zu beachten ist, hängt also von den Übergangsbestimmungen ab. Soferne die Rückwirkung nicht besonders verfügt wird (für schon gerichtsanhängige Unterhaltsverfahren kann dies hier infolge der sofortigen Aufhebung der Wortfolge im § 12a FLAG durch den VfGH angenommen werden) oder sich aus dem zwingenden Charakter der neuen Norm ergibt, ist die neue Rechtslage auf schon vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung abgeschlossene Teile des Dauerrechtsverhältnisses nicht anzuwenden (6 Ob 16/01y). Ein zwingender Charakter der steuerlichen Entlastung des Unterhaltsschuldners ist nicht ersichtlich. Die Entlastung hängt von seiner Disposition ab. Der Untersuchungsgrundsatz im außerstreitigen Verfahren geht nicht so weit, dass von Amts wegen eine vom Unterhaltsschuldner gar nicht begehrte Steuerentlastung vorgenommen werden müsste, der Partei also ein verzichtbarer Rechtsanspruch (Rechtsgrund) geradezu aufgedrängt werden müsste (in diesem Sinne Gitschthaler aaO 14).

Aus den dargelegten Gründen erfasst die Rückwirkungsanordnung des VfGH jedenfalls nicht die schon rechtskräftig erledigten Zeiträume bis zu den vom Rekursgericht richtigerweise herangezogenen Entscheidungszeitpunkten erster Instanz (betreffend den Sohn) und zweiter Instanz (betreffend die Tochter). In diesem Umfang steht dem Unterhaltsherabsetzungsantrag des Vaters die materielle Rechtskraft der Unterhaltsentscheidung entgegen. Dies hat das Rekursgericht im Einklang mit der oberstgerichtlichen Rechtsprechung zutreffend erkannt. Die Entscheidung 1 Ob 122/97s steht mit der Entscheidung SZ 65/54 nicht im Widerspruch. Auch dort wurde mit einer rückwirkenden Änderung der Unterhaltsverpflichtung nicht in die materielle Rechtskraft einer Vorentscheidung eingegriffen.

Für die Zeiträume nach dem Entscheidungszeitpunkt der Vorentscheidung ist eine rückwirkende Änderung der Unterhaltsregelung auf Grund der Änderung der Verhältnisse infolge der neuen Rechtslage zulässig:

Der Oberste Gerichtshof hat sich nach dem zweiten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs bereits in zahlreichen Entscheidungen der Meinung angeschlossen, dass nicht nur die Absetzbeträge (Unterhaltsabsetzbetrag und Kinderabsetzbetrag), sondern auch die Familienbeihilfe der steuerlichen Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen zu dienen habe.

Bei verfassungskonformer Auslegung ist damit bei der Unterhaltsbemessung für Kinder bei getrennter Haushaltsführung darauf Bedacht zu nehmen, dass die Familienbeihilfe nicht (nur) der Abgeltung von Betreuungsleistungen dient, sondern, soweit notwendig, die steuerliche Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen bewirken soll. Nach den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs muss der Geldunterhaltspflichtige für die Hälfte des von ihm gezahlten Unterhalts steuerlich entlastet werden. Dabei ist der jeweilige Grenzsteuersatz maßgebend, der jedoch jeweils um etwa 20 % abzusenken ist, weil das Einkommen typischerweise auch steuerlich begünstigte oder steuerfreie Einkünfte umfasst und die steuerliche Entlastung die Leistungsfähigkeit des Geldunterhaltspflichtigen erhöht. Bei einem Grenzsteuersatz von 50 % gelangt man damit zu einem Steuersatz von 40 %; bei einem Grenzsteuersatz von 41 % - wenn die vom Verfassungsgerichtshof vorgegebene Absenkung proportional fortgeschrieben wird - zu einem Steuersatz von 33 % und bei einem Grenzsteuersatz von 31 % zu einem Steuersatz von 25 %. Der nach diesen Vorgaben abgesenkte Steuersatz ist mit dem halben Unterhaltsbetrag zu multiplizieren. Um den sich daraus ergebenden Betrag ist der Geldunterhaltspflichtige steuerlich zu entlasten. Bei der Berechnung der notwendigen steuerlichen Entlastung ist darauf Bedacht zu nehmen, ob der zu entlastende Unterhaltsbetrag zur Gänze im höchsten Einkommensteil Deckung findet oder ob für einen (ins Gewicht fallenden) Teilbetrag der nächstniedrigere Grenzsteuersatz maßgebend ist. Die Entlastung wird einerseits durch den beim Geldunterhaltspflichtigen berücksichtigten Unterhaltsabsetzbetrag (§ 33 Abs 4 Z 3 lit b EStG) bewirkt, andererseits sind dazu, soweit der Unterhaltsabsetzbetrag nicht ausreicht, die dem das Kind betreuenden Elternteil zufließenden Transferleistungen - Kinderabsetzbetrag (§ 33 Abs 4 Z 3 lit a EStG) und Familienbeihilfe - heranzuziehen, indem der Unterhaltsbeitrag entsprechend gekürzt wird (vgl 4 Ob 52/02d; 1 Ob 79/02b mwN und die dort angeführten Berechnungsbeispiele). Eine meritorische Erledigung des Antrags auf Unterhaltsherabsetzung setzt Feststellungen über das zu versteuernde Jahresbruttoeinkommen des Vaters (ohne 13. und 14. Bezug) voraus, damit unter Heranziehung des Steuersatzes die steuerliche Entlastung berechnet werden kann. Das Erstgericht wird daher das Verfahren zu ergänzen und die angeführte Rechenoperation - hier für zwei Kinder und allenfalls unter Anwendung unterschiedlicher Grenzsteuersätze - vorzunehmen haben.

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