OGH 4Ob49/23v

OGH4Ob49/23v25.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, *, vertreten durch Mag. Matthias Strohmayer, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei * Aktiengesellschaft, *, vertreten durch Dr. Wolfgang W. Richter, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 20. Jänner 2023, GZ 5 R 155/22h‑21, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00049.23V.0425.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Gewerblicher Rechtsschutz

Entscheidungsart: Zurückweisung aus anderen Gründen

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] 1.1. Beim Irreführungstatbestand ist zu prüfen,  wie ein durchschnittlich informierter und verständiger Interessent für das Produkt, der eine dem Erwerb solcher Produkte angemessene Aufmerksamkeit aufwendet, die strittige Ankündigung versteht, ob dieses Verständnis den Tatsachen entspricht, und ob eine nach diesem Kriterium unrichtige Angabe geeignet ist, den Kaufinteressenten zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte (vgl 4 Ob 29/13p mwN). Für die Irreführung durch Unterlassen kommt es – abgesehen von den allgemeinen Kriterien – darauf an, ob wesentliche Umstände verschwiegen werden, die der Durchschnittsverbraucher zu einer informierten geschäftlichen Entscheidung benötigt, und ob sich dies auf sein geschäftliches Verhalten auszuwirken vermag; dabei ist den allenfalls beschränkten Möglichkeiten zur Informationsvermittlung Rechnung zu tragen (RS0124472).

[2] 1.2. Im Rahmen der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung richtet sich der Bedeutungsinhalt einer Äußerung nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck, den ein aufmerksamer Durchschnittsadressat gewinnt (RS0078352 [T24]; RS0078470 [T39]). Der Gesamteindruck ist aber nicht gleichbedeutend mit dem Gesamtinhalt der Ankündigung, weil der Gesamteindruck durch einzelne Teile der Ankündigung, die als Blickfang besonders herausgestellt sind, entscheidend geprägt werden kann (vgl RS0078535). Blickfangartig herausgestellte Angaben dürfen für sich allein genommen nicht zur Irreführung geeignet sein (4 Ob 112/11s mwN; 4 Ob 68/13y; RS0078535; RS0078542). 

[3] 1.3. Bei einer blickfangartigen Aussage bedarf es zur Vermeidung eines irreführenden Gesamteindrucks daher eines deutlich wahrnehmbaren Hinweises, mit dem über die einschränkenden Voraussetzungen, unter denen die Aussage gilt, ausreichend aufgeklärt wird. Maßgebend ist dabei, ob ein aufmerksamer Durchschnittsadressat den aufklärenden Hinweis wahrnimmt, wenn er mit der Werbeaussage konfrontiert wird (RS0118488; 4 Ob 68/13y). Ein aufklärender Hinweis kann als Text oder als grafische oder bildliche Darstellung gestaltet sein. In einem solchen Fall sind der Beurteilung der Textinhalt und die optisch gestalteten Teile der nach dem Gesamteindruck in die Augen fallenden Veröffentlichung zugrunde zu legen (vgl 4 Ob 120/19d mwN). § 2 Abs 4 UWG erfasst auch Geschäftspraktiken, die bloß einen durch Irreführung verursachten Anlockeffekt entfalten und bei denen der beim Verbraucher zunächst veranlasste Irrtum durch eine nachträgliche Ergänzung und/oder Richtigstellung der Produktinformation noch vor dem Zeitpunkt seiner endgültigen geschäftlichen Entscheidung aufgeklärt wird. Das Fehlen solcher wesentlichen Informationen in blickfangartigen Ankündigungen ist dann nicht durch für das verwendete Kommunikationsmedium typische Beschränkungen bedingt, wenn die gebotene Information von Durchschnittsverbrauchern über die für sie wesentlichen Punkte eines Angebots im Fall einer Werbung mit Zeitungsinseraten, Plakaten und Foldern ohne einen ins Gewicht fallenden erhöhten Platzbedarf oder im Fall einer Werbung im Hörfunk oder Fernsehen ohne eine wesentlich höhere Sendezeit möglich ist (RS0124471).

[4] 1.4. Der Frage, wie der aufmerksame Durchschnittsadressat ausgehend vom Gesamteindruck eine Werbeaussage versteht und ob sie demnach zur Irreführung geeignet ist, kommt keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu, weshalb sie in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage begründet (RS0107771; RS0053112).

[5] 2. Das beklagte Telekommunikationsunternehmen warb damit, dass bei ihr hochwertige Mobiltelefone „um € 0,-“ zu haben seien. Auf Werbepostern nächst ihren Geschäftslokalen warb sie damit, dies gelte in allen ihren Tarifen, und wies dabei nicht auf weitere Vertragsbedingungen hin. In Werbung der Beklagten im Internet über Google-Ads war zwischen firmenbezogenem Werbespruch und Firmenlogo ein klein gestaltetes „“-Feld angebracht, das, angeklickt, ein maximal 20 % der Werbefläche großes Textfeld öffnete; in diesem war in deutlich kleinerer Schrift als in der Werbefläche zu lesen, dass Gerätepreise und unlimitiertes Datenvolumen bei Neuanmeldung zu einem bestimmten Tarif bis auf Widerruf und solange der Vorrat reiche gälten, und in dem auf „24 Monate Vertragsbindung Monatliches Tarifgrundentgelt € 89,90 Mobile Servicepauschale € 29,90/Jahr Speichermedienvergütung € 3 Smartphone Aktivierungsentgelt € 49,90 Details auf [...].net“ hingewiesen wurde:

 

In anderen Google-Ads-Werbeeinschaltungen für denselben Vertrag fand sich neben dem großen „um € 0,-“ ein Asterisk „*“, der jedoch weder einen Weiterverweis enthielt noch sonst zu weiterer Aufklärung führte; das „“-Feld befand sich ebenfalls nächst demselben firmenbezogenen Werbespruch:

[6] 3.1. Die Vorinstanzen erkannten übereinstimmend diese Werbung als irreführend gemäß § 2 Abs 4 UWG und untersagten der Beklagten, bei Koppelungsangeboten (Mobiltelefon samt Tarif) den Preis des Mobiltelefones mit „€ 0“ oder sinngleich zu bewerben, ohne auf sonstige belastende Bedingungen und Preisbestandteile klar zugeordnet und ähnlich deutlich hinzuweisen, insbesondere auf die monatliche Grundgebühr, die Länge der Mindestvertragslaufzeit, die jährliche Servicepauschale und die einmalige Aktivierungsgebühr (jeweils den Betrag).

[7] 3.2. Das Berufungsgericht teilte die Auffassung des Erstgerichts, für den Interessenten seien das Entgelt für das Endgerät und das laufende Entgelt für die Dienstleistungen der Beklagten gleichermaßen wesentlich. § 2 Abs 4 UWG erfasse auch irreführende Anlockeffekte, selbst wenn ein Irrtum durch nachträgliche Ergänzung oder Richtigstellung noch vor der geschäftlichen Entscheidung des Verbrauchers aufgeklärt würde. Die Beurteilung, ob ein günstiges Anbot vorliege, ergebe sich auch im Wissen, dass Gratishandys nicht ohne Kommunikationsvertrag zu haben seien, erst bei Kenntnis der gesamten Kostenbelastung. Dass ein Gratishandy nicht bei jedem, sondern nur einem bestimmten – hochpreisigen – Tarif zu erhalten wäre, ergebe sich aus der Werbung und ihrer gesamten Aufmachung nicht. Das in den Hintergrund gerückte Informationszeichen („“) werde, wenn es überhaupt wahrgenommen werde, eher als Hinweis zum Netz der Beklagten aufgefasst. Die Angabe der wesentlichen Angebotsbedingungen wäre trotz medienbedingter Platzbeschränkung möglich gewesen, objektiv technische Umstände, die dies verhindert hätten, seien nicht erkennbar.

[8] 3.3. Die Urteile der Vorinstanzen halten sich im Rahmen der dargelegten Rechtsprechung sowie des den Gerichten im Einzelfall zukommenden Beurteilungsspielraums und bedürfen somit keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof.

[9] 4. Die Revision der Beklagten zeigt keine Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf:

Rechtliche Beurteilung

[10] 4.1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, dass eine irreführende Angabe schon dann gegen § 2 UWG verstößt, wenn sie geeignet ist, den Entschluss eines nicht unerheblichen Teils der angesprochenen Verkehrskreise, sich mit dem Angebot näher zu befassen, irgendwie zugunsten dieses Angebots zu beeinflussen (vgl RS0078411; RS0078396; 4 Ob 76/11x).

[11] Warum eine dem Erwerb oder Nichterwerb eines Produkts vorgelagerte Handlung anders beurteilt werden sollte, wenn sie nicht im physischen Betreten eines Geschäftslokals besteht (vgl EuGH C-281/12 , Trento Sviluppo, Rn 36 ff), sondern der Verbraucher durch irreführende Angaben in einen Webshop oder hier zu den Angeboten auf der Website der Beklagten gelockt wird (und nicht nur zur näheren Befassung mit der Werbung veranlasst wird, wie die Revision mit ihrem Hinweis auf den insofern nicht vergleichbaren Sachverhalt zu BGH I ZR 129/13 anscheinend vermeint), ist nicht nachvollziehbar.

[12] Die als Begründung der Zulässigkeit weiters angeführte Entscheidung des Senats 4 Ob 220/12z betraf keinen „Sternchenverweis“; der Sachverhalt zu 4 Ob 108/16k – einem Werbeprospekt zum Ausschneiden angeschlossener Vorteilsgutschein – ist mit der vorliegenden Internetwerbung und ihrer Gestaltung nicht konkret vergleichbar. Dass nicht einsichtig ist, warum der Beklagten aufklärende Hinweise in anderer, leicht auffindbarer und auffälliger Form nicht möglich gewesen sein sollten, hat schon das Berufungsgericht aufgezeigt.

[13] 4.2. In Ansehung der Leistungsfrist wird keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt. Warum das der Beklagten aufgetragene Unterlassen der inkriminierten Werbung drei Monate Umsetzungszeit in Anspruch nehmen und welche „gerichtsnotorisch enormen Anstrengungen“ dies erfordern sollte, wurde weder in erster Instanz noch im Rechtsmittelverfahren nachvollziehbar erläutert.

[14] 4.3. Im Übrigen sind bloße Verweise der Revision auf frühere Schriftsätze wie die Berufung unzulässig und unbeachtlich (vgl RS0043616; RS0043579; RS0007029; RS0043579 [insb T16]).

[15] 5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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