Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Text
Begründung
Der erwachsene Sohn der Kläger wurde zu Weihnachten 2005 in Österreich erstochen. Sein Schicksal war Eltern und Behörden zunächst nicht bekannt. Am 28. 12. 2005 erstattete die Erstklägerin eine Abgängigkeitsanzeige. Die zuständigen österreichischen Behörden (Polizei und Staatsanwaltschaft) führten Ermittlungen durch. Im Juni 2006 fanden Touristen die Leiche des Sohnes in einem Bachlauf. Der Zweitbeklagte und der Drittbeklagte erstatteten über Auftrag der zuständigen Staatsanwaltschaft ein gerichtsmedizinisches Sachverständigengutachten. Dessen Ergebnis war, dass die Todesursache nicht festgestellt werden konnte. Im September 2006 stellte die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren nach § 90 StPO ein. Ein im November 2008 in Deutschland erstattetes Obduktionsgutachten stellte Stichverletzungen am Skelett fest. Der Täter wurde mit Urteil eines deutschen Strafgerichts rechtskräftig zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.
Die Kläger erhoben in ihrer am 19. 5. 2011 eingebrachten Klage Amtshaftungsansprüche gegen den Bund, dessen Organen sie unterlassene und fehlerhafte Ermittlungen im Todesfall ihres Sohnes vorwerfen, sowie Schadenersatzansprüche gegen die beiden gerichtsmedizinischen Sachverständigen. Diese hätten insbesondere die Stichverletzungen am Körper offenbar übersehen und ein grob fehlerhaftes Gutachten erstattet.
Die Vorinstanzen wiesen die Klagebegehren ab.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision der Kläger ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.
Haftung der Erstbeklagten:
Die dreijährige Verjährungsfrist des § 6 Abs 1 AHG beginnt zu laufen, wenn dem Geschädigten außer dem Schadenseintritt auch der Umstand hinreichend bekannt geworden ist, dass das Verschulden irgendeines Organs schadenskausal gewesen sein soll (RIS‑Justiz RS0050394). Mit dem Wissen (oder Wissenmüssen), nun selbst aktiv werden zu müssen, weil weitere Klarheit in Bezug auf den Sachverhalt nicht mehr zu gewinnen ist, beginnt die Verjährungsfrist für einen Amtshaftungsanspruch jedenfalls zu laufen (RIS‑Justiz RS0050360 [T5]). Auch im Falle der kurzen Verjährungszeit nach § 6 Abs 1 erster Satz AHG genügt bei künftigen, aber voraussehbaren Schäden eine grundsätzliche Kenntnis des Schadens beschränkt auf die allgemeine Wahrnehmung, dass und in welcher Richtung ein Schaden überhaupt entstanden ist (RIS‑Justiz RS0034372).
Die von den Umständen des Einzelfalls abhängige (RIS‑Justiz RS0050394 [T2]) Frage, ab welchem Zeitpunkt die Kläger sich über ein Verschulden irgendeines Organs der Erstbeklagten klar waren oder hätten klar sein müssen, haben die Vorinstanzen vertretbar beantwortet. Bereits in ihrer Dienstaufsichtsbeschwerde vom 6. 9. 2006 klagten die Kläger über unzureichende Ermittlungen, sowohl was das Schicksal des vermissten Sohnes als auch die Todesursache betraf, und forderten eingehendere Untersuchungen. Im Juni 2007 behaupteten sie über ein TV‑Medium sowohl konkrete Ermittlungsfehler der Behörden als auch schon schwere seelische Beeinträchtigungen durch die Ungewissheit über die Todesursache ihres Sohnes und die Notwendigkeit eigener Ermittlungen. Ein Teil der eingeklagten Vermögensschäden (Fahrt‑, Aufenthalts‑ und Bewirtungskosten ab Dezember 2005, Kosten der Recherche) und die depressiven Störungen (als Grundlage für den Schmerzengeldanspruch) waren nach ihren Behauptungen zu diesem Zeitpunkt bereits eingetreten. Der Verjährung vorhersehbarer künftiger Schäden hätten sie mit der Einbringung einer Feststellungsklage begegnen müssen (RIS‑Justiz RS0050338; RS0087613).
Es ist daher ein nicht zu korrigierendes Ergebnis ihrer rechtlichen Beurteilung wenn die Vorinstanzen entschieden, dass die dreijährige Verjährungsfrist des § 6 Abs 1 AHG zum Zeitpunkt des Zugangs des Aufforderungschreibens (§ 8 Abs 1 AHG) im Februar 2011 bereits abgelaufen gewesen sei.
Haftung der gerichtlichen Sachverständigen:
Die Verjährungsfrist des § 1489 ABGB beginnt mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem dem Geschädigten der Schaden, die Person des Schädigers und die Schadensursache bekannt geworden ist (RIS‑Justiz RS0034951). Wenn der Geschädigte die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann, gilt die Kenntnisnahme schon als in dem Zeitpunkt erlangt, in welchem sie bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre. Dabei ist auf die Umstände des konkreten Falls abzustellen. Die Erkundigungspflicht des Geschädigten darf nicht überspannt werden (RIS‑Justiz RS0034327).
Der Zeitpunkt der (zumutbaren) Kenntnis der objektiven Unrichtigkeit des gerichtsmedizinischen Sachverständigengutachtens vom 7. 8. 2006 wäre wohl erst mit dem Vorliegen des Obduktionsgutachtens im November 2008 anzusetzen. Die Aussage der Mutter des Täters vom Februar 2008 widerlegte nämlich die These des natürlichen Todes des Sohnes der Kläger, nicht aber die Richtigkeit des ersten gerichtsmedizinischen Sachverständigengutachtens, das ja nicht etwa einen natürlichen Tod feststellte, sondern die Todesursache (angeblich) nicht klären konnte. Erst das zweite Obduktionsgutachten, das eindeutig die Fremdeinwirkung durch Messer anhand der Spuren am Skelett festhielt, war ein Beweismittel, das geeignet war, die Unrichtigkeit des ersten Gutachtens nachzuweisen und einer Schadenersatzklage gegen die beiden Sachverständigen zum Erfolg zu verhelfen (vgl RIS‑Justiz RS0034524).
Mit Zweifeln am Eintritt der Verjährung ist aber für den Standpunkt der Kläger nichts gewonnen, weil der Rechtswidrigkeitszusammenhang fehlt, wie schon das Erstgericht ausführlich darlegte.
Zunächst ist klarzustellen, dass den Klägern zum Zeitpunkt der Bestellung der Sachverständigen und der Erstattung des Gutachtens in dem in Österreich geführten, im Jahr 2006 eingestellten Strafverfahren nicht die Rechtsposition als Opfer im Sinne des § 65 Z 1 lit b StPO idgF zukam. Die Bestimmungen des vierten Hauptstücks über die Opfer und ihre Rechte (s dazu § 65 Z 1, § 66 und § 70 StPO) wurden mit dem StrafprozessreformG (StPRG), BGBl I 2004/19, eingeführt, das nach § 514 Abs 1 StPO erst am 1. Jänner 2008 in Kraft trat. Die Kläger waren demnach nicht Verfahrensbeteiligte, sondern Dritte.
Für die Folgen eines unrichtigen Gutachtens haften gerichtlich bestellte Sachverständige nach den allgemeinen Regeln persönlich und zwar nicht nur den Parteien, sondern auch Dritten, wenn deren Interessen vom Schutzzweck der gerichtlichen Bestellung erfasst werden (vgl RIS‑Justiz RS0026316 [T1]; 5 Ob 18/00h = RIS‑Justiz RS0017178 [T6]; 1 Ob 67/12b mwN).
Nicht alle Normen der StPO dienen auch dem Schutz des durch eine Straftat Geschädigten. Vielmehr ist bei jeder einzelnen Norm der StPO nach dem Normzweck zu fragen, der sich aus der wertenden Beurteilung des Sinns der Vorschrift ergibt (RIS‑Justiz RS0050078). Beispielsweise bezwecken die Bestimmungen über die Hausdurchsuchung und die Beschlagnahme jedenfalls nicht, einem durch ein Vermögensdelikt Geschädigten die Geldbeträge zu verschaffen, auf die er dann zur Durchsetzung seiner privatrechtlichen Ansprüche greifen könnte (1 Ob 22/92 = SZ 66/77; RIS‑Justiz RS0027491). Verneint wurde ein Recht des durch eine Straftat eines unbekannten Täters Geschädigten auf Beteiligung an der Ausforschung des Täters oder auf Durchführung von im strafrechtlichen Sinn „zwecklosen“ (weil wenig aussichtsreichen) Erhebungen bloß zur Erleichterung der Durchsetzung seiner zivilrechtlichen Ansprüche (1 Ob 143/07x mwN).
In dem nunmehr zu beurteilenden Fall war zu prüfen, ob Bestimmungen der StPO über die Untersuchung von Leichen die Kläger vor dem Eintritt der geltend gemachten Schäden schützen sollten.
§ 127 Abs 1 StPO in der hier relevanten Fassung vor dem StPRG ordnete die Vornahme von Leichenbeschau und Leichenöffnung an, wenn bei einem Todesfall zweifelhaft war, ob der Tod durch ein Verbrechen oder ein Vergehen verursacht worden sei. Leichenbeschau und Leichenöffnung waren iSd § 128 Abs 1 leg cit von einem oder falls notwendig von zwei Ärzten vorzunehmen. Das Gutachten hatte nach § 129 leg cit insbesondere festzuhalten, was die Ursache des Todes war und wodurch sie erzeugt wurde (Abs 1), und im Fall wahrgenommener Verletzungen (Abs 2), ob diese durch die Handlung eines anderen zugefügt wurden (Z 1), und ‑ wenn dies zutraf ‑ ob diese Handlung den Tod herbeiführte (Z 2 lit a ‑ d) und letztlich, ob der Tod durch rechtzeitige Hilfe hätte abgewendet werden können (Z 2 lit e).
Es dürfte unbestritten sein, dass diese Bestimmungen die Frage klären sollten, ob eine Straftat den Tod verursachte und welcher Art sie war. Das Interesse von (nunmehr in § 65 Z 1 lit b StPO idgF definierten) nahen Angehörigen eines Getöteten, Gewissheit zu haben, ob dieser Opfer einer Straftat war, ist ohne Zweifel legitim. Der vorrangige Zweck des Strafverfahrensrechts liegt aber in der Durchsetzung des (mit in diesem Fall nicht interessierenden Ausnahmen wie Privatanklagedelikten) dem Staat vorbehaltenen Strafverfolgungsanspruchs, dessen Organe im Ermittlungsverfahren von Amts wegen zur Aufklärung eines Verdachts einer (nicht nur auf Verlangen einer hiezu berechtigten Person zu verfolgenden) Straftat verpflichtet sind (vgl § 2 Abs 1 StPO), nicht aber darin, nahen Angehörigen (hier behauptete) Aufwendungen zu ersparen, die ihnen durch Privatermittlungen entstehen.
Die Kläger machen in diesem Fall nicht nur solche Vermögensschäden geltend; sie behaupten auch, wegen der andauernden Zweifel an einer natürlichen Ursache für den Tod ihres Sohnes depressive Störungen mit Krankheitswert erlitten zu haben. Auch bei diesen Schäden ist zu prüfen, ob der Rechtswidrigkeitszusammenhang zu bejahen ist (RIS‑Justiz RS0022933 [T2], 4 Ob 8/11x mwN). Dabei bietet es sich an, die in der Judikatur entwickelten Kriterien zur Haftung für „Schockschäden“ als Anhaltspunkt für die Eingrenzung des sachlichen Schutzzwecks heranzuziehen. Maßgebliches Kriterium für die Erfassung der Schadenersatzansprüche von Angehörigen für „Schockschäden“ ist nach der ständigen Rechtssprechung (RIS‑Justiz RS0116866; RS0116865), dass die Verletzungshandlung gegenüber dem Angehörigen typischerweise in hohem Maß geeignet scheint, einen „Schockschaden“ herbeizuführen. Dies wurde in Fällen bejaht, in denen die Nachricht vom (plötzlichen) Tod eines nahen Angehörigen (8 Ob 127/02p = SZ 2002/110 ua) oder von dessen schwerster Verletzung (2 Ob 163/06v) eine psychische Beeinträchtigung mit Krankheitswert zur Folge hatte. Anhaltende Zweifel der Eltern am Ergebnis eines Obduktionsgutachtens, das die Ursache des Todes ihres Kindes nicht klärte, sind bei objektiv‑typisierender Betrachtung (vgl 1 Ob 88/07h = SZ 2007/101) in ihrer Eignung, einen „Schockschaden“ herbeizuführen, mit diesen Fällen eines unerwarteten Todes‑/Verletzungsfalls nicht gleichzusetzen. Eine Haftung der gerichtsmedizinischen Sachverständigen ist somit wegen des fehlenden Rechtswidrigkeitszusammenhangs zu verneinen.
Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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