OGH 13Os88/17s

OGH13Os88/17s11.10.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Oktober 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wetter als Schriftführer in der Finanzstrafsache gegen Dragisa S***** und eine Angeklagte wegen Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 FinStrG sowie weiterer strafbarer Handlungen, AZ 12 Hv 3/16w des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil und den Beschluss des Gerichts vom 23. November 2016, GZ 12 Hv 3/16w‑79, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Verteidigers Mag. Wolm sowie des Vertreters der Generalprokuratur, Dr. Ulrich, zu Recht erkannt:

 

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0130OS00088.17S.1011.000

 

Spruch:

In der Strafsache AZ 12 Hv 3/16w des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzt

A) das in gekürzter Form ausgefertigte Urteil vom 23. November 2016 (ON 79)

1) in der Subsumtion der vom Schuldspruch I/A/1 und I/B/1 erfassten Taten als jeweils (nur) ein Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG § 21 Abs 1 FinStrG;

2) in der Subsumtion der von den Schuldsprüchen I/A/1, I/A/2, I/B/1 und I/B/2 erfassten Taten nach § 38 FinStrG idF BGBl I 2010/104 § 4 Abs 2 FinStrG;

3) in der Wertung des Zusammentreffens von Finanzvergehen mit gerichtlich strafbaren Handlungen bei der Strafbemessung als erschwerend § 22 Abs 1 FinStrG;

4) in den Verfallsaussprüchen hinsichtlich der Schuldsprüche nach dem FinStrG § 17 Abs 1 FinStrG, bezüglich jener nach dem StGB § 61 StGB;

5) in der Verweisung der Privatbeteiligten Wiener Gebietskrankenkasse auf den Zivilrechtsweg § 67 Abs 4 Z 1 StPO;

B) der gleichzeitig mit dem Urteil gefasste Widerrufsbeschluss § 55 Abs 1 StGB.

Das Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in den Schuldsprüchen I/A/1 und I/B/1 (zur Gänze), in der Subsumtion der von den Schuldsprüchen I/A/2 und I/B/2 erfassten Taten nach § 38 FinStrG, demzufolge auch in den Strafaussprüchen nach dem Finanzstrafgesetz, im Verfallserkenntnis sowie aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde im Strafausspruch nach dem StGB (einschließlich der Dragisa S***** betreffenden Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Das die Wiener Gebietskrankenkasse betreffende Adhäsionserkenntnis wird aufgehoben und die Erklärung der Wiener Gebietskrankenkasse, sich dem Verfahren als Privatbeteiligte anzuschließen, zurückgewiesen.

Der auf § 55 Abs 1 StGB gestützte Widerrufsbeschluss wird ersatzlos aufgehoben.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

 

Gründe:

Mit in gekürzter Form ausgefertigtem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 23. November 2016, GZ 12 Hv 3/16w‑79, wurden Dragisa S***** und Sladjana St***** jeweils eines Finanzvergehens der Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 FinStrG (I/A/1 und I/B/1), eines Finanzvergehens der Abgabenhinterziehung §§ 33 Abs 2 lit a erster Fall, 38 FinStrG (I/A/2 und I/B/2) und eines Finanzvergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit b FinStrG („II/A/3“ [gemeint I/A/3] und I/B/3) sowie des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und 2 StGB (II) schuldig erkannt.

Danach haben in W***** – soweit hier von Bedeutung –

(I) im Amtsbereich des Finanzamts W*****

A) Dragisa S***** „als abgabenrechtlich Verantwortlicher“ der S***** KEG in der Absicht, „sich durch die fortlaufende Begehung wiederkehrende Einnahmen zu verschaffen“,

1. unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten durch Abgabe unrichtiger Jahressteuererklärungen und durch Nichtabgabe von Jahressteuererklärungen vorsätzlich eine Verkürzung von Abgaben bewirkt, und zwar an

a) Einkommensteuer für  2006 in Höhe von 101.613,48 Euro;

b) Einkommensteuer für  2007 in Höhe von 136.629,40 Euro;

c) Einkommensteuer für  2008 in Höhe von 127.224,02 Euro;

d) Einkommensteuer für 2009 in Höhe von 21.555,87 Euro;

e) Umsatzsteuer für 2006 in Höhe von 50.583,67 Euro;

f) Umsatzsteuer für 2007 in Höhe von 75.146,42 Euro;

g) Umsatzsteuer für 2008 in Höhe von 79.807,67 Euro;

2. „im Zeitraum von März bis Mai 2009 an den jeweiligen gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten vorsätzlich unter Verletzung der Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Abgabe von dem § 21 des UStG 1994 entsprechenden Voranmeldungen durch die Nichterfassung von Umsätzen in der Umsatzsteuervoranmeldung bei gleichzeitiger Nichtentrichtung der diesbezüglich darauf entfallenden Umsatzsteuervorauszahlung für die Voranmeldungszeiträume von Jänner bis März 2009 eine Verkürzung an Umsatzsteuervorauszahlungen in Höhe von insgesamt € 18.990,30 bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten“;

3. „im Zeitraum Februar 2006 bis April 2009 an den jeweiligen gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten vorsätzlich unter Verletzung der Verpflichtung zur Führung von dem § 76 des EStG 1988 entsprechenden Lohnkonten infolge Unterlassung der Führung derselben durch die vollständige Nichterfassung der ausbezahlten Lohnzahlungen (bzw durch die Nichterfassung von lohnsteuerpflichtigen Lohnbestandteilen) und die Nichtabfuhr der diesbezüglichen Lohnabgaben für die Monate Jänner 2006 bis März 2009 eine Verkürzung an Lohnabgaben (Lohnsteuer- und Dienstgeberbeiträge zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen) in Höhe von € 75.827,23 bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten“;

B) Sladjana St***** als für die abgabenrechtlichen Belange verantwortliche Geschäftsführerin der A***** GmbH

1. „im Zeitraum 2009 bis 2010 vorsätzlich unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Offenlegungs‑ und Wahrheitspflicht, nämlich durch die Nichterfassung von Umsätzen und Erlösen im buchhalterischen Rechenwerk und in der Folge durch Nichtabgabe von Erklärungen und Bilanzen, wodurch Abgaben, die bescheidmäßig festzusetzen sind, zu niedrig festgesetzt wurden, und zwar

a./ Umsatzsteuer 2008 in Höhe von € 76.791,17;

b./ Körperschaftssteuer 2009 in Höhe von € 39.119,08;

c./ Kapitalertragsteuer hinsichtlich Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 27 Abs 2 Z 1 lit a EStG) durch die Nichtabführung binnen einer Woche ab dem Zufließen verdeckter Gewinnausschüttungen unter Verletzung der diesbezüglichen Anmeldungspflicht durch die Unterlassung der Führung eines Geschäftskontos und Überweisung sämtlicher Umsätze der A***** GmbH auf ihr Privatkonto und undeklarierte Barabhebungen von diesem

aa./ für 2009 in 15 Angriffen in Höhe von € 40.250;

bb./ für den Zeitraum 1 bis 8/2010 in 5 Angriffen in Höhe von € 13.750“;

2. „im Zeitraum von März bis Oktober 2010 bzw Jänner bis August 2010 an den jeweiligen gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten vorsätzlich unter Verletzung der Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Abgabe von § 21 des UStG 1994 entsprechenden Voranmeldungen durch die Nichterfassung von Umsätzen in der Umsatzsteuer-voranmeldung bei gleichzeitiger Nichtentrichtung der diesbezüglich darauf entfallenden Umsatzsteuer-vorauszahlungen für die Voranmeldungszeiträume von Jänner bis März 2010 eine Verkürzung an Umsatzsteuer-vorauszahlungen in Höhe von insgesamt € 38.631,24 bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten“;

3. „im Zeitraum Mai 2009 bis Jänner 2011 an den jeweiligen gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten vorsätzlich unter Verletzung der Verpflichtung zur Führung von dem § 76 des EStG 1988 entsprechenden Lohnkonten infolge Unterlassung der Führung derselben durch die vollständige Nichterfassung der ausbezahlten Lohnzahlungen (bzw durch die Nichterfassung von lohnsteuerpflichtigen Lohnbestandteilen) und die Nichtabfuhr der diesbezüglichen Lohnabgaben für die Monate April 2009 bis Dezember 2010 eine Verkürzung an Lohnabgaben (Lohnsteuer‑ und Dienstgeberbeiträge zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen) in Höhe von € 50.348,03 bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten.

Der strafbestimmende Wertbetrag beträgt zu A./ € 687.378,06 und zu B./ € 258.889,52.“

Nach den als erwiesen angenommenen Tatsachen (§ 270 Abs 4 Z 2 StPO) haben beide Angeklagten „die Abgabenhinterziehung gewollt und in der Absicht begangen, sich durch diese Tat eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen“ (US 9).

„Hinsichtlich des § 156 Abs 1 und 2 StGB“ wurde Dragisa S***** „unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf das Urteil des Amtsgerichts München zu 851 Ls 263 Js 205753/2014 vom 19. Juni 2015 nach dem Strafsatz des § 156 Abs 2 StGB“ zu einer Zusatzstrafe in der Dauer von vierzehn Monaten und Sladjana St***** zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von vierundzwanzig Monaten verurteilt.

Für die Finanzvergehen wurde Dragisa S***** „unter Anwendung des § 21 Abs 1 FinStrG nach dem zweiten Strafsatz des § 38 FinStrG idF BGBl I 104/2010 (Günstigkeitsvergleich)“ zu einer Geldstrafe in der Höhe von 400.000 Euro verurteilt und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten festgesetzt (US 6 f).

Sladjana St***** wurde für das „soeben erwähnte Finanzdelikt nach dem Strafsatz des § 38 FinStrG“ zu einer Geldstrafe in Höhe von 150.000 Euro verurteilt und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten festgesetzt.

Unter einem wurde der Beschluss gefasst:

„Gemäß § 55 Abs 1 StGB wird die bei S***** bedingt verhängte Freiheitsstrafe des Amtsgerichts München zu 851 Ls 263 Js 205753/2014 vom 19. 06. 2015 im Ausmaß von 24 Monaten widerrufen. Die Gesamtfreiheitsstrafe beträgt daher 38 (achtunddreißig) Monate“ (US 7).

Weiters wurde – entgegen § 443 Abs 1 StPO – in Beschlussform (US 7) folgende Anordnung getroffen:

„Gemäß § 20 Abs 1 StGB wird bei beiden Angeklagten zur ungeteilten Hand ein Betrag von EUR 656.115,-, weiters beim Erstangeklagten S***** ein Betrag von EUR 687.378,06 und bei der Zweitangeklagten St***** ein Betrag EUR 258.889,52 für verfallen erklärt.“

Zur Begründung führte das Gericht aus:

„Die beiden Angeklagten sind in den Genuss der hinterzogenen bzw den Gläubiger vorbehaltenen Gelder gekommen, weshalb hier eine unzulässige Bereicherung eingetreten ist. Diese Bereicherung ist durch den Verfall wieder rückgängig zu machen.“

Bei der Strafbemessung wurde bei den Angeklagten – soweit hier von Bedeutung – das Zusammentreffen von Finanzvergehen mit Verbrechen als erschwerend gewertet.

Bei St***** wurde die „teilweise Schadensgutmachung zu 851 Ls 263 Js 205753/2014 vom 19. Juni 2015“ als mildernd gewertet.

Die Privatbeteiligte Wiener Gebietskrankenkasse wurde mit ihren Ansprüchen „nach § 366 Abs 1 StPO auf den Zivilrechtsweg verwiesen“.

 

Rechtliche Beurteilung

Zum berechtigten Teil der Nichtigkeitsbeschwerde:

Wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes – im Ergebnis – zutreffend ausführt, verletzen das Urteil und der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 23. November 2016, GZ 12 Hv 3/16w‑79, das Gesetz in mehrfacher Hinsicht:

1. Zu I/A/1 und I/B/1:

Nach ständiger Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0086590 und RS0124712; Lässig in WK2 Vor FinStrG Rz 7 ff) wird hinsichtlich zu veranlagender Abgaben– bezogen auf ein Steuersubjekt – mit Abgabe einer unrichtigen Jahressteuererklärung je Steuerart (unabhängig von der Höhe des Hinterziehungsbetrags) ein Finanzvergehen (§ 21 Abs 1 FinStrG) der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG begründet (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO). Mit Abgabe unrichtiger Jahreserklärungen betreffend mehrere Veranlagungsjahre werden echt konkurrierende Vergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG begründet. Mit Abgabe inhaltlich unrichtiger Jahreserklärungen zu unterschiedlichen Steuerarten wird für jedes Jahr und jede Abgabenart ebenfalls je ein Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG begründet. Entsprechendes gilt für das Unterlassen der Abgabe.

Selbständige Tat im Bereich der KESt ist jeweils das Unterlassen der auf einen bestimmen Ertragszufluss bezogenen Kapitalertragsteuerabfuhr unter Verletzung korrespondierender Anmeldungspflicht (RIS‑Justiz RS0124712 [T1]).

Davon ausgehend erweist sich die Subsumtion der von den Schuldsprüchen I/A/1 und I/B/1 erfassten, mehrere Steuerjahre und verschiedene Abgabenarten betreffenden Taten unter jeweils (nur) ein Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG (auf die Unterstellung unter § 38 FinStrG wird noch eingegangen) als verfehlt.

Eine verdeckte Gewinnausschüttung liegt im Übrigen – soweit hier von Interesse – dann vor, wenn Umsätze einer GmbH verschwiegen und die lukrierten Gewinne an einen Gesellschafter geleistet werden. Der gebotene Hinweis auf die Gesellschafterstellung der Angeklagten St***** (vgl ON 11 S 3) ist der gekürzten Urteilsausfertigung zum Schuldspruch I/B/1/c nicht zu entnehmen.

 

2. Zur Unterstellung der von den Schuldsprüchen I/A/1, I/A/2, I/B/1 und I/B/2 umfassten Taten unter die Qualifikationsnorm des § 38 FinStrG idF BGBl I 2010/104 (US 5 f):

Das Erstgericht zog die Qualifikationsnorm des „§ 38 Abs 1 FinStrG idF BGBl I 2010/104“ erkennbar (US 6) deshalb heran, weil es das zur Zeit seiner Entscheidung geltende Recht in seiner Gesamtauswirkung für die Angeklagten nicht günstiger erachtete als das zur Zeit der Taten geltende Recht (§ 4 Abs 2 FinStrG).

Dabei übersah es zunächst, dass im Tatzeitraum jeweils § 38 FinStrG in der Fassung BGBl I 2005/103 in Geltung stand.

Gewerbsmäßigkeit verlangte früher jedenfalls die Absicht des Täters, sich durch die wiederkehrende Begehung der in Rede stehenden strafbaren Handlung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Die nach dem

AbgÄG 2015 BGBl I 2015/163 geltende Fassung des § 38 FinStrG verlangt dagegen (in Abs 2) die Absicht des Täters, sich durch die wiederkehrende Begehung des in Rede stehenden Finanzvergehens einen nicht bloß geringfügigen fortlaufenden abgabenrechtlichen Vorteil zu verschaffen, und setzt zudem voraus, dass der Täter entweder unter Einsatz besonderer Fähigkeiten oder Mittel gehandelt hat, die eine wiederkehrende Begehung nahelegen, oder dass dieser zwei weitere solche Taten schon im Einzelnen geplant hat oder bereits zwei solche Taten begangen hat oder einmal wegen einer solchen Tat bestraft worden ist.

Eine den Günstigkeitsvergleich tragende Subsumtionsbasis ist dem Urteil nicht zu entnehmen.

Dabei sind folgende Erwägungen anzustellen:

Den von § 38 Abs 2 FinStrG idF BGBl I 2015/163 verlangten abgabenrechtlichen Vorteil kann sich nur das Steuersubjekt verschaffen (vgl dazu auch 13 Os 73/17k, 13 Os 46/17i, 13 Os 13/17m, 13 Os 127/16z; Kert/Leitner, ZWF 2017, 170; Fellner, FinStrG § 38 Rz 14).

Durch die Absicht, (bloß) einem Dritten – also beispielsweise dem vom Täter vertretenen Unternehmen – den vom Gesetz verlangten Vorteil zu verschaffen, wird der Qualifikationstatbestand des § 38 FinStrG idF

BGBl I 2015/163 nicht erfüllt (vgl 13 Os 34/01, EvBl 2002/39, 155; RIS‑Justiz RS0092444 [T2]; Lässig in WK² FinStrG § 38 Rz 2). Die Absicht, sich mittelbar über die Beteiligung an dem von der Abgabenverkürzung profitierenden Unternehmen einen Vermögensvorteil zu verschaffen (vgl zur früheren Rechtslage RIS‑Justiz RS0086571, RS0086573 und RS0086909), scheidet als qualifikationsbegründend im Sinn des § 38 FinStrG idF

BGBl I 2015/163 nunmehr aus (RIS‑Justiz RS0131593; vgl auch Fellner, FinStrG § 38 Rz 14).

Da auch allfällige Feststellungen zur Absicht, sich selbst einen (nicht bloß geringfügigen fortlaufenden) abgabenrechtlichen Vorteil zu verschaffen, unter dem Aspekt der Subsumtionstauglichkeit einen entsprechenden Sachverhaltsbezug verlangen (vgl RIS‑Justiz RS0119090), sei hinzugefügt:

Personengesellschaften sind in ertragsteuerlicher Hinsicht nicht Steuersubjekt. Deren Einkommen wird den Gesellschaftern anteilig zugerechnet und bei diesen der Einkommens‑ oder Körperschaftsbesteuerung unterworfen (vgl Wiesner/Grabner/Wanke, EStG § 1 Anm 3; Bergmann in Bergmann/Ratka, Handbuch Personengesellschaften2 Rz 13/1). Dass sich der persönlich haftende Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft als solcher durch Verkürzung von Einkommensteuer selbst einen abgabenrechtlichen Vorteil verschafft, ist somit rechtlich denkbar.

Kapitalgesellschaften unterliegen als selbständige Steuersubjekte der Körperschaftsteuer. Der Geschäftsführer einer GmbH kann sich allein durch Verkürzung der von der GmbH geschuldeten Körperschaftsteuer selbst keinen abgabenrechtlichen Vorteil verschaffen.

Anderes gilt für den Gesellschafter-Geschäftsführer und die Verkürzung von Kapitalertragsteuer, die auf verdeckten Gewinnausschüttungen beruht. Die Kapitalertragsteuer ist eine (durch Steuerabzug erhobene) besondere Form der Einkommensteuer. Schuldner der Kapitalertragsteuer ist der Empfänger der Kapitalerträge (§ 95 Abs 1 erster Satz EStG). Kommen die Einkünfte aus dem Kapitalvermögen dem zum Steuerabzug verpflichteten (vgl dazu § 95 Abs 2 EStG) Anteilseigner zu, kann sich dieser durch Unterlassen des Abzugs selbst einen abgabenrechtlichen Vorteil verschaffen.

Schuldner der Umsatzsteuer ist – abgesehen von den in § 19 Abs 1 UStG genannten Ausnahmen – der

Unternehmer (§ 19 Abs 1 erster Satz UStG). Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt (§ 2 Abs 1 UStG). Insofern können auch Personengesellschaften Unternehmer sein (vgl Mayr/Ungericht, UStG4 § 2 Anm 2; Doralt/Ruppe, Steuerrecht II7 Rz 218).

Feststellungen, die eine Subsumtion der von den Schuldsprüchen I/A/2 und I/B/2 umfassten Taten nach § 38 FinStrG idF

BGBl I 2015/163 tragen würden, sind dem Urteil nicht zu entnehmen, womit auch dem vom Erstgericht angestellten Günstigkeitsvergleich (§ 4 Abs 2 FinStrG) die Sachverhaltsbasis fehlt.

Gleiches gilt für die zu I/A/1/e/f/g und I/B/1/a/b genannten, Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer betreffenden Sachverhalte.

 

3.   Zur Strafbemessung:

Soweit die Generalprokuratur von der irrigen Prämisse ausgeht, das Erstgericht habe auch beim Strafausspruch nach dem FinStrG auf eine ausländische Verurteilung Bedacht genommen (vgl dagegen US 6), ist auf die Einwände nicht weiter einzugehen.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch (§§ 290 Abs 1 zweiter Satz, 292 StPO), dass dem Erstgericht bei der Strafbemessung ein anderer – von der Generalprokuratur nicht geltend gemachter – Rechtsfehler unterlaufen ist, der darin besteht, dass das „Zusammentreffen von Finanzvergehen mit Verbrechen“ – entgegen § 22 Abs 1 FinStrG – bei den Strafaussprüchen als erschwerend gewertet wurde (US 8). Die Anordnung der separaten Sanktionierung von Finanzvergehen und anderen strafbaren Handlungen (§ 22 Abs 1 FinStrG) ist– zufolge des Doppelverwertungsverbots (vgl dazu Lässig in WK² FinStrG § 22 Rz 2) – auch in Bezug auf die Strafbemessung zu beachten (RIS‑Justiz RS0086070 und RS0086221). Die darin begründete materielle Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 11 StPO) gereicht den Verurteilten zum Nachteil. Zufolge dessen sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst (RIS‑Justiz RS0096667; § 290 Abs 1 zweiter Fall iVm § 281 Abs 1 Z 11 StPO), auch die Strafaussprüche der Angeklagten nach dem StGB aufzuheben.

Hinzugefügt sei, dass die bei St***** als mildernd gewertete Schadensgutmachung in einem S***** betreffenden Strafverfahren im Gesetz keine Deckung findet.

 

4. Zum Verfallserkenntnis:

Das Erkenntnis ist verfehlt in Beschlussform ergangen. Über den Verfall und andere vermögensrechtliche Anordnungen ist im Urteil zu entscheiden (§ 443 Abs 1 StPO).

Nach § 17 Abs 1 FinStrG darf auf die Strafe des Verfalls nur in den im II. Hauptstück des FinStrG vorgesehenen Fällen (§§ 33 Abs 6, 35 Abs 4 letzter Satz, 37 Abs 2 letzter Satz, 43 Abs 3 zweiter Satz, 44 Abs 3, 46 Abs 2 zweiter Satz und 52 Abs 2 zweiter Satz FinStrG; vgl dazu auch Lässig in WK² FinStrG § 17 Rz 2) erkannt werden. Soweit beim Erstangeklagten S***** ein Betrag von 687.378,06 Euro und bei der Zweitangeklagten ein Betrag von 258.889,52 Euro für verfallen erklärt wurde, entbehrt die vermögensrechtliche Anordnung daher der gesetzlichen Grundlage.

Im Übrigen wurde vom Erstgericht nicht beachtet, dass auch vermögensrechtliche Anordnungen dem Günstigkeitsvergleich unterliegen (§ 61 StGB). Dieser ist bei Realkonkurrenz (auch bei Subsumtionseinheiten nach § 29 StGB) für jede Tat gesondert vorzunehmen (RIS‑Justiz RS0119545 [insbesonders T10]). Verfall in der Fassung des strafrechtlichen Kompetenzpakets (kurz: sKp [BGBl I 2010/108]) gibt es seit dem 1. Jänner 2011. Für den Zeitraum davor sah das Gesetz als vergleichbare vermögensrechtliche Maßnahme die Abschöpfung der – nach dem Nettoprinzip zu ermittelnden – (unrechtmäßigen) Bereicherung vor, die zudem nach § 20a Abs 2 Z 3 StGB (idF BGBl I 2004/136) zu unterbleiben hatte, wenn sie das Fortkommen des Bereicherten unverhältnismäßig erschwert oder ihn unbillig hart getroffen hätte. Weshalb die im Urteilszeitpunkt geltende Rechtslage für die Angeklagten günstiger sein sollte als das zur Tatzeit geltende Recht, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Demzufolge fehlt einem Verfallsausspruch nach der zum Urteilszeitpunkt geltenden Rechtslage das Sachverhaltssubstrat.

Der Ausspruch einer Solidarhaftung ist zudem– sowohl nach altem als auch nach neuem Recht – unzulässig (RIS‑Justiz RS0129964; § 20 Abs 6 StGB idF BGBl I 2002/134; Leukauf/Steininger/Stricker StGB 4 § 20a Rz 2).

Soweit der Verfallsausspruch den zu II angeführten Gläubigerschaden übersteigt, lässt er – entgegen § 20 Abs 1 StGB – keinen Bezug zu einem für oder durch mit Strafe bedrohte Handlungen erlangten Vermögenswert erkennen.

 

5. Zur Verweisung der Privatbeteiligten „Wiener Gebietskrankenkasse nach § 366 Abs 1 StPO“ auf den Zivilrechtsweg:

Angelegenheiten der Beiträge der Versicherten und ihrer Dienstgeber sind gemäß § 355 Z 3 ASVG Verwaltungssachen. Rückständige Beiträge sind gemäß § 64 Abs 1 und 2 ASVG vom Sozialversicherungsträger im Verwaltungsverfahren einzutreiben. Die im Zusammenhang mit Beitragsrückständen erfolgte Anschlusserklärung (ON 66 S 4 iVm ON 31 S 11) wäre somit in jeder Lage des erstinstanzlichen Verfahrens – und zwar möglichstfrühzeitig – als offensichtlich unberechtigt gemäß § 67 Abs 4 Z 1 und Abs 5 StPO zurückzuweisen gewesen (RIS‑Justiz RS0124921 und RS0118868).

 

6. Zum Widerrufsbeschluss:

Nach § 55 Abs 1 StGB ist die bedingte Nachsicht einer Strafe, eines Strafteils und der Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher zu widerrufen, wenn eine nachträgliche Verurteilung gemäß § 31 StGB erfolgt und die bedingte Nachsicht bei gemeinsamer Aburteilung nicht gewährt worden wäre. Die Entscheidung über den Widerruf einer von einem ausländischen Gericht gewährten bedingten Nachsicht fällt ausschließlich in die Kompetenz des Urteilsstaats (RIS‑Justiz RS0107406 [T1]). Der Beschluss, die vom ausländischen Gericht gewährte bedingte Strafnachsicht zu widerrufen, verletzt daher das Gesetz.

 

Soweit eine nachteilige Wirkung des Ausspruchs des Gerichts auf die Angeklagten nicht auszuschließen ist, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, die Feststellung der Gesetzesverletzung gemäß § 292 letzter Satz StPO auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen.

 

Im Übrigen war die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu verwerfen:

Zu I/A/2 und I/B/2:

Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG werden durch dort pönalisiertes Verhalten in Bezug auf Voranmeldungzeiträume verwirklicht, sodass sachverhaltsmäßig hinsichtlich jedes solchen Zeitraums (unabhängig von der Höhe der Hinterziehungsbeträge) eine selbständige Tat im Sinn des § 21 Abs 1 FinStrG vorliegt (RIS‑Justiz RS0124712, RS0118311; Lässig in WK2 Vor FinStrG Rz 10).

Vom Urteilssachverhalt ausgehend, lässt sich mit der erforderlichen Bestimmtheit nur sagen, dass der strafbestimmende Wertbetrag jeweils in zumindest einem der zu I/A/2 und I/B/2 genannten Voranmeldungszeiträume mehr als Null betrug (RIS‑Justiz RS0124713). Demzufolge ist die Subsumtion der von den Schuldsprüchen I/A/2 und I/B/2 umfassten Taten unter jeweils nur ein Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG nicht zu beanstanden.

Zu I/A/3 und I/B/3:

Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit b FinStrG werden durch dort pönalisiertes Verhalten bezogen auf Lohnzahlungszeiträume verwirklicht, sodass sachverhaltsmäßig hinsichtlich jedes solchen Zeitraums und jeder Abgabenart unabhängig von der Höhe der Hinterziehungsbeträge eine selbständige Tat und damit ein Finanzvergehen verwirklicht wird (vgl RIS‑Justiz RS0124712).

Vom zwischen Lohnsteuer und Dienstgeberbeiträgen zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfe nicht unterscheidenden Urteil ausgehend, der einen mehrere Jahre umfassenden Tatzeitraum bezeichnet, aber keinen Hinweis auf eine Zusammenrechnung erkennen lässt, ist die Subsumtion der von den Schuldsprüchen I/A/3 und I/B/3 umfassten Taten unter jeweils nur ein Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit b FinStrG nicht zu beanstanden.

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