OGH 13Os78/17w

OGH13Os78/17w6.9.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. September 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wetter als Schriftführer in der Strafsache gegen Mario S***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 12. April 2017, GZ 9 Hv 14/17f‑36, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0130OS00078.17W.0906.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Strafe sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mario S***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1, Abs 4 Z 3 SMG (A 1), mehrerer Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall, Abs 2 SMG (A 2) sowie jeweils eines Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (B 1) und der falschen Beweisaussage nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 288 Abs 1 StGB (B 2) schuldig erkannt.

Danach hat er in G*****

(A) von Anfang April 2016 bis zum 28. Juni 2016 vorschriftswidrig Suchtgift

(1) mit auf Tatbildverwirklichung in Teilmengen gerichtetem Vorsatz, der auch die kontinuierliche Tatbegehung über einen längeren Zeitraum und den daran geknüpften Additionseffekt umfasste, in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er in einer Vielzahl von Angriffen insgesamt 9.900 Gramm Cannabiskraut (enthaltend 1.287 Gramm Delta‑9‑THC) an verschiedene Abnehmer gewinnbringend verkaufte, wobei „er die Tat in der Absicht ausführte, sich durch die wiederkehrende Begehung solcher Suchtgiftgeschäfte längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen und er mehr als zwei solcher Taten begangen hat sowie schon einmal wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG (7 Hv 187/11y des Landesgerichtes für Strafsachen Graz) verurteilt worden war“;

(2) besessen, indem er (über die vom Schuldspruch A 1 umfassten Quantitäten hinaus) Delta‑9‑THC-hältiges Cannabiskraut teils bis zum Eigenkonsum, teils bis zur Sicherstellung innehatte, wobei er die Taten ausschließlich zum persönlichen Gebrauch beging;

(B) am 30. August 2016

(1) Katharina A***** durch die ihr gegenüber getätigte Äußerung: „Du ziagst die Aussoge z'ruck, sunst tua i da wos!“, sohin durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper, zu einer Handlung, nämlich zur Abänderung ihrer ihn belastenden Angaben, zu nötigen versucht;

(2) durch die vom Schuldspruch B 1 umfasste Tat dazu zu bestimmen versucht, vor Gericht als Zeugin bei ihrer förmlichen Vernehmung zur Sache, nämlich im gegen ihn wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1, Abs 4 Z 3 SMG geführten Strafverfahren, falsch auszusagen.

 

Rechtliche Beurteilung

Dagegen wendet sich die auf Z 5, 5a, „9a“ und 10 jeweils des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

 

Zu Schuldspruch A 1 ging das Erstgericht davon aus, dass der Angeklagte zusammen 10.000 Gramm Cannabiskraut (mit einem Wirkstoffgehalt von 13 % an Delta‑9‑THC) von Katharina A***** übernahm und insgesamt 9.900 Gramm (1.287 Gramm Delta‑9‑THC in Reinsubstanz) davon in Teilmengen sukzessive verschiedenen Abnehmern verkaufte (US 3).

Für die Subsumtion der Suchtgiftweitergaben durch den Angeklagten (Schuldspruch A 1) bedeutsam – somit entscheidend (zum Begriff Ratz , WK-StPO § 281 Rz 391, 399) – ist nicht erstere, sondern zweitere Suchtgiftquantität (vgl RIS-Justiz RS0126213 zur Subsidiarität von Vergehen nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG gegenüber nachfolgend in Bezug auf ein und dieselbe Substanz begangenen Verbrechen nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG). Allerdings erblickte das Schöffengericht in ersterer erkennbar eine notwendige Bedingung für seine Feststellungen zur Menge des vom Angeklagten sodann (weiter-)verkauften Suchtgifts im die rechtliche Annahme der Qualifikation nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG tragenden Umfang (US 5 f).

Aus diesem Grund kommt auch die – mit gegen den Schuldspruch A 1 gerichteter Mängelrüge deutlich und bestimmt beanstandete – Urteilsaussage, der Angeklagte habe (nicht im Sinn seiner Verantwortung bloß 1.000 Gramm, sondern) 10.000 Gramm Cannabiskraut (des unbekämpft konstatierten Reinheitsgrades) von Katharina A***** erhalten, als Bezugspunkt der unternommenen Anfechtung infrage ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 410).

Der Rüge zuwider lassen die diesbezüglichen Feststellungen jedoch an Deutlichkeit (Z 5 erster Fall) nichts vermissen.

Die Tatrichter erschlossen sie insbesondere aus Angaben der Zeugin A*****. Diese hatte in der polizeilichen Vernehmung zunächst geschildert, dem Angeklagten von Anfang April bis 28. Juni 2016 – hochgerechnet anhand der Häufigkeit der Angriffe („Der ist zwischendurch täglich gekommen“) und der dabei jeweils manipulierten Mengen („stets zwischen zwei und fünf Einhundert-Gramm-Pakete“) – „10 Kilogramm bis 12 Kilogramm Marihuana“ verkauft zu haben (ON 11 S 25). In derselben Vernehmung korrigierte sie ihre diesbezüglichen Mengenangaben „nach eingehender Überlegung“ auf „20 Kilogramm“ nach oben (ON 11 S 31), woran sie in der Hauptverhandlung festhielt (ON 33 S 17 f). Auf dieser Grundlage hielten die Tatrichter – unter Miteinbeziehung die (weitgehend) leugnende Verantwortung des Angeklagten infrage stellender weiterer Beweismittel sowie des Ergebnisses einer Rufdatenrückerfassung (US 4 f) – den von ihnen jedenfalls insoweit als überzeugend erachteten Angaben der Genannten folgend in dubio (nur) 10.000 Gramm für erwiesen (US 5).

Diese Schlussfolgerung ist – entgegen dem weiteren Einwand – unter dem Blickwinkel der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden.

Allein der Umstand, dass die Tatrichter einem Teil der Angaben der Zeugin Glauben schenkten, einem anderen aber nicht (US 5), stellt auch weder einen Widerspruch in der Bedeutung der Z 5 dritter Fall noch sonst einen Begründungsmangel dar (RIS-Justiz RS0098372 [insbesondere T11]).

Das gegen die Schuldsprüche B erstattete Vorbringen zur Mängelrüge bestreitet die dazu konstatierte Äußerung des Angeklagten (US 4).

Die Tatrichter stützten diese Feststellung auf von ihnen als glaubhaft erachtete Aussagen der Zeugin A***** im Zusammenhalt mit den zeugenschaftlichen Angaben einer beim betreffenden Vorfall anwesenden Polizeibeamtin (ON 33 S 15 iVm ON 18 S 11), während sie die (schon) den Wortlaut leugnende Einlassung des Angeklagten als unglaubwürdig verwarfen (US 6).

Entgegen dem Beschwerdevorwurf ist diese Ableitung weder undeutlich (Z 5 erster Fall) noch widersprüchlich (Z 5 dritter Fall) noch verstößt sie gegen Gesetze der Logik oder grundlegende Erfahrungssätze (Z 5 vierter Fall). Indem er die erwähnten Verfahrensergebnisse lediglich anders gewürdigt wissen will, bekämpft der Rechtsmittelwerber bloß die Beweiswerterwägungen des Schöffengerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld.

Soweit im Vorbringen zur Tatsachen- (Z 5a), zur Rechts- (Z 9 lit a) und zur Subsumtionsrüge (Z 10) jeweils auf (bereits) unter dem Aspekt anderer Nichtigkeitsgründe Vorgebrachtes verwiesen wird, verkennt der Beschwerdeführer die Verschiedenheit der Anfechtungskalküle (RIS-Justiz RS0115902).

Im Übrigen erschöpfen sich die Ausführungen zur Tatsachenrüge (Z 5a) darin, (teils unter Berufung auf den Zweifelsgrundsatz – siehe aber RIS-Justiz RS0102162) die Zeugenaussage A***** einer eigenständigen Bewertung zu unterziehen und daraus von jenen der Tatrichter abweichende Schlüsse einzufordern. Solcherart übt die Beschwerde abermals unzulässige Beweiswürdigungskritik.

Das weitere gegen den Schuldspruch A 1 erstattete Vorbringen (nominell auch Z 9 lit a, inhaltlich nur Z 10) strebt den Wegfall der Qualifikation nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG an.

Indem es dabei nicht von den (oben referierten) Feststellungen zur Menge des vom Angeklagten an Dritte überlassenen Suchtgifts ausgeht, sondern sie beweiswürdigend durch eigene Auffassungen ersetzt, verfehlt es den – im Urteilssachverhalt gelegenen – Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0099810).

Soweit der Beschwerdeführer – vom Erstgericht indes ohnehin getroffene (siehe oben) – Konstatierungen zu jener Menge an Suchtgift vermisst, die der Angeklagte von A***** bezogen hat, erklärt er außerdem nicht, weshalb solche zur rechtsrichtigen Subsumtion seines vom Schuldspruch A 1 erfassten Verhaltens erforderlich sein sollten (siehe aber RIS-Justiz RS0116565).

Die gegen den Schuldspruch B 1 gerichtete Rechtsrüge (Z 9 lit a) bestreitet den festgestellten Wortlaut der Äußerung des Angeklagten und bezweifelt deren begründete Besorgniseignung (§ 74 Abs 1 Z 5 StGB) sowie, dass A***** dadurch „tatsächlich in Furcht und Unruhe versetzt“ worden wäre. Auch sie entwickelt ihre Argumentation prozessordnungswidrig nicht auf Basis des diesbezüglichen Urteilssachverhalts (US 4), sondern aus davon abweichenden Beweiswerterwägungen. Sie macht überdies nicht deutlich,

- in welcher Hinsicht die Feststellungen zur inkriminierten Äußerung – deren Wortlaut und Bedeutungsinhalt das Erstgericht klar konstatierte (US 4; vgl Ratz , WK-StPO § 281 Rz 404) – „ergänzungsbedürftig“ sein sollten (siehe aber RIS-Justiz RS0118342),

- weshalb die konstatierte Äußerung (nicht aufgrund urteilsfremder Beschwerdeprämissen zur „körperliche[n] Konstitution des schmächtigen Angeklagten“ im Vergleich zur „doch weit massigeren Katharina A*****“, sondern) auf Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen (US 4; vgl US 6 [iVm ON 18 S 5, ON 33 S 19] zum „Zustand“ der tatbetroffenen Zeugin „unmittelbar nach diesem Zusammentreffen“) nicht geeignet gewesen sein sollte, dem Opfer begründete Besorgnisse einzuflößen (dazu Jerabek/Ropper in WK 2 StGB § 74 Rz 33) sowie,

- weshalb die (hier zudem ohnehin im Versuchsstadium verbliebene – US 4) Tatbestandsverwirklichung nach § 105 Abs 1 StGB – entgegen ständiger Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0092392 [T5, T7, T8, T9]) – voraussetzen sollte, dass das Opfer in Furcht und Unruhe versetzt wurde.

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – ebenso wie die angemeldete (ON 37) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (§ 283 Abs 1 StPO; RIS-Justiz RS0098904, RS0100080) – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

 

Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO bleibt anzumerken, dass die Subsumtion der vom Schuldspruch A 1 erfassten Taten unter § 28a Abs 2 Z 1 SMG rechtsfehlerhaft ist:

Zwar schlägt der – bei entsprechender Willensausrichtung – ab der dritten Tat nach § 28a Abs 1 SMG erfüllte Tatbestand des § 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB im Fall einer nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG zu bildenden Subsumtionseinheit sui generis (RIS-Justiz RS0117464 [insbesondere T14]; vgl RS0123912 zu § 28a Abs 2 Z 3 SMG) auf die rechtliche Beurteilung aller davon umfassten Taten durch (vgl 14 Os 131/16w; 17 Os 1/17a; RIS‑Justiz RS0130965 [T2]). Auch reicht zur Annahme gewerbsmäßiger Begehungsweise nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG – soll sich diese nicht just auf § 70 Abs 1 Z 3 zweiter Fall iVm Abs 3 StGB stützen (dazu RIS-Justiz RS0130966) – eine (wie hier) mehr als ein Jahr zurückliegende Verurteilung wegen einer Tat nach § 28a Abs 1 SMG aus.

Allerdings verlangt diese Qualifikationsnorm (ua) die Absicht des Täters, sich durch die wiederkehrende Begehung von (nicht „Suchtmittelverkäufen“ schlechthin [vgl US 3], sondern) Taten nach § 28a Abs 1 SMG, also solchen Taten längere Zeit hindurch ein den Voraussetzungen des § 70 Abs 2 StGB entsprechendes Einkommen zu verschaffen, die (nicht bloß insgesamt, sondern) jeweils in Bezug auf eine (allenfalls durch sukzessive Tatbestandsverwirklichung mit entsprechendem Additionsvorsatz – RIS‑Justiz RS0124018) die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigende Suchtgiftquantität begangen werden (RIS‑Justiz RS0123909, RS0112225 [T11]; Fabrizy , Suchtmittelrecht 6 § 28a Rz 10; jüngst 13 Os 138/16t). Eine derartige Intention des Angeklagten bringen die tatrichterlichen Feststellungen indes – auch mit Blick auf den bloß zu ihrer Verdeutlichung heranzuziehenden Urteilsspruch (RIS-Justiz RS0117119 [T1]; US 2: „solcher Suchtgiftgeschäfte“) – nicht zum Ausdruck (US 3 f: Inverkehrsetzen der festgestellten Gesamtmenge „im Zuge vieler Einzelverkäufe“ und Handeln „in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von Suchtgiftverkäufen über einen längeren Zeitraum hindurch ein nicht bloß geringfügiges […] fortlaufendes Einkommen zu verschaffen“).

Aufgrund der zutreffend nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG erfolgten Strafrahmenbildung sowie des Umstands, dass die fehlerhafte Subsumtion (Z 10) die vom Erstgericht angenommenen besonderen Erschwerungsgründe nicht tangiert (vgl US 7), blieb sie für den Angeklagten jedoch ohne Nachteil im Sinn des § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO, sodass kein Anlass zu amtswegiger Wahrnehmung bestand.

 

Die Entscheidung über die Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Strafe sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft kommt somit dem – dabei an die aufgezeigte Fehlsubsumtion nicht gebundenen (RIS‑Justiz RS0118870) – Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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