BVwG W226 2160474-2

BVwGW226 2160474-27.3.2019

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W226.2160474.2.00

 

Spruch:

W226 2160474-2/2E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA.:

Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.01.2019, Zl., 67180509-150445395, zu Recht erkannt:

 

A)

 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Verfahren über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten:

 

1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste am 20. April 2003 gemeinsam mit seiner Familie in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt schilderte der BF, dass er Anfang XXXX von russischen Soldaten verschleppt und nach einem Tag von Verwandten freigekauft worden sei. Im April 2003 sei er dann mit seiner Familie aus Tschetschenien nach Inguschetien gefahren und sei von dort auf nicht näher beschreibbaren Wegen illegal bis Österreich gekommen.

 

Nach der Verschleppung für einen Tag durch russische Soldaten habe er sich in den Bergen versteckt gehalten und habe bei der Rückkehr nach Hause von den Eltern erfahren, dass er "weiterhin von den russischen Soldaten gesucht" werde. Sein Onkel, mit dem er zusammen festgenommen worden sei, sei tot aufgefunden worden.

 

In einer weiteren niederschriftlichen Einvernahme schilderte der BF damals ausführlich, dass er im XXXX bei einer Autofahrt von russischen Soldaten angehalten worden sei, er sei von den russischen Soldaten dann geschlagen und an einen nicht näher beschreibbaren Ort gebracht worden. Dabei sei der BF nach drei Onkeln befragt worden, einer der Onkel habe während des ersten Krieges an Kampfhandlungen teilgenommen. Zu diesem Onkel sei der BF gefragt worden, außerdem sei er gefragt worden, wer sonst noch im Dorf gegen die Russen kämpfe.

 

Der BF schilderte, dass bei dieser Festnahme durch russische Soldaten der einvernehmende Soldat offensichtlich einen Freund im Kampf gegen Tschetschenen verloren habe und dieser Mann sich jetzt dafür rächen wollte. Der BF sei misshandelt worden, am nächsten Tag habe er dem einvernehmenden Beamten falsche Informationen gegeben.

 

Auf Grund dieser Angaben - Verschleppung und Misshandlung durch russische Soldaten im Jahr 2002 - wurde dem BF mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.07.2003 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

 

2. Verfahren über die Aberkennung des Status des Asylberechtigten:

 

Der BF wurde in weiterer Folge im Bundesgebiet mehrfach straffällig und wie folgt verurteilt:

 

1) LG XXXX , XXXX , vom XXXX , wegen §§ 83/1, 84/1 StGB, Freiheitsstrafe fünf Monate bedingt

 

2) LG XXXX , XXXX , vom XXXX , wegen § 107 Absatz 1 StGB, Freiheitsstrafe: 5 Monate bedingt

 

3) LG XXXX , XXXX , vom XXXX wegen §§ 146, 147 Absatz 2, 148 1. Fall StGB, § 15 StGB, Freiheitsstrafe 10 Monate bedingt

 

4) BG XXXX , XXXX , vom XXXX wegen § 83 Absatz 1 StGB, Freiheitsstrafe 4 Monate bedingt

 

5) LG XXXX , XXXX , vom XXXX wegen § 114 Absatz 1, 114 Absatz 3 Ziffer 1 FPG, §§ 27(1) Ziffer 1, 1. Fall, 27 (1) Ziffer 1 2. Fall, 27 Absatz 2 SMG, § 28a Absatz 1, 5. Fall SMG, §§ 50 (Absatz 1, Ziffer 1), 50 Absatz 1, Ziffer 2 WaffG, Freiheitsstrafe 2 Jahre

 

6) LG XXXX , XXXX , vom XXXX , wegen §§ 83 Absatz 1 StGB, 105 Absatz 1 StGB, 125 StGB, Freiheitsstrafe: 6 Monate.

 

Am 16.10.2018 leitete die belangte Behörde ein Aberkennungsverfahren gemäß § 7 Asylgesetz ein. Mit Schreiben vom 16.10.2018 wurde der BF davon verständigt, dass auf Grund der von ihm begangenen Straftaten die Aberkennung des Asylstatus beabsichtigt sei.

 

Mit Eingabe vom 30.10.2018 nahm der rechtsfreundlich vertretene BF dazu dahingehend Stellung, dass er derzeit seine restliche Strafhaft verbüße, seine Frau sei Hausfrau und kümmere sich um die insgesamt sieben Kinder. Dies falle ihr sehr schwer, der BF könne sie ja nicht unterstützen, die Frau habe zudem stressbedingt ein Kind verloren und sei wegen des damit einhergehenden massiven Blutverlustes seither krank. Die gesamte Familie würde in Österreich leben und habe keinen Bezug mehr zum Herkunftsland. Mit Tschetschenien setze er sich nur mehr aus der Entfernung auseinander und habe er sich in Österreich hinreißen lassen, im Internet den derzeitigen Präsidenten von Tschetschenien zu kritisieren. Daher hätte er für den Fall der Rückkehr nach Russland sein "eigenes Todesurteil unterschrieben". Nach näheren Schilderungen, warum sich der BF zu einer solchen Äußerung im Internet habe hinreißen lassen, führte der BF aus, dass dieses Posting vom XXXX auf Anraten und Drängen der Familie wieder gelöscht worden sei, es habe jedoch von einigen Personen gesehen werden können und müsse davon ausgegangen werden, dass "auch der tschetschenische Präsident nunmehr Kenntnis davon erlangt" habe. Er wisse von einem gewissen Mithäftling in XXXX , dass dieser ebenfalls den tschetschenischen Präsidenten kritisiert habe, nach seiner Abschiebung sei dieser Bekannte aus dem Gefängnis verschwunden. Seine Familie gehe davon aus, dass dieser Mithäftling "sofort nach seiner Rückkehr nach Russland getötet wurde." Es sei deshalb mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass auch der BF auf Grund seines Postings - sollte er abgeschoben werden, in Russland "sofort getötet" würde. Er habe lediglich zwei Verurteilungen, eine davon befinde sich im Akt, die andere habe sich während der Haft ereignet. Davor und seither habe er "sich wohlverhalten und würde dies auch in Zukunft tun, sollte von einer Abschiebung Abstand genommen werden." Die Kinder würden in die Schule und in den Kindergarten gehen, seine Frau sei wegen des Blutverlustes sehr krank und er selbst habe auf Grund seiner Kriegserlebnisse in Tschetschenien eine posttraumatische Belastungsstörung.

 

Am 27.11.2018 wurde der BF durch die belangte Behörde niederschriftlich einvernommen. Bei der Einvernahme - der BF sprach nur gebrochen Deutsch - war eine Dolmetscherin für die russische Sprache beigezogen. Der BF schilderte, dass ihn seine Frau in der Justizanstalt einmal im Monat besuchen komme, es sei sehr teuer, vorher in XXXX sei er öfters besucht worden. Er habe insgesamt sieben Kinder, der BF gab dazu drei Vornamen und drei Geburtsdaten an, die anderen Daten habe er nach eigener Angabe vergessen. Es würden immer zwei bis drei Kinder mit der Mutter mitkommen, wenn diese ihn einmal im Monat in der Justizhaft besuche. Er befinde sich seit April 2003 in Österreich, in Russland sei er damals abgeholt worden und hätten "sie wollen, dass ich für sie arbeite." Die russische Regierung habe damals seine beiden Onkel umgebracht. Er meine damit den russischen Geheimdienst. Auf die Frage, wann er sich das letzte Mal in der Russischen Föderation aufgehalten habe, schilderte der BF, dass er den Jahreswechsel 2013 dort verbracht habe. Er sei meistens bei einem Freund in einem namentlich genannten Dorf gewesen, in einem anderen Dorf sei er bei der Oma und einem Onkel gewesen. Er sei mit fünf Bekannten nach Tschetschenien gereist, von denen er nur mehr die Vornamen kenne. Danach sei er nicht mehr in der Russischen Föderation gewesen. In Österreich habe er noch seine Eltern, die Großmutter und Geschwister, alle seien nach ihm nach Österreich gekommen. In Tschetschenien habe er noch diverse Onkel väterlicher- und mütterlicherseits und entfernte Verwandte. Mit den Angehörigen in Tschetschenien habe er zuletzt im August 2018 von der Justizanstalt aus über WhatsApp Kontakt gehabt. In Österreich habe er von eigener Arbeit gelebt, in den Pausen habe er Arbeitslosengeld und Mindestsicherung bezogen. Sonst habe er Sport gemacht und mit der Familie Zeit verbracht, auch mit Österreichern und Russen habe er etwas in der Freizeit unternommen. Nach Tschetschenien würde er zurückkehren, wenn das Regime, das mit dem russischen Präsidenten Putin zusammenarbeite, weg sei. Sein Traum wäre der eines freien Tschetscheniens, dort könnte er mit seiner großen Familie leben. An eine Rückkehr in andere Landesteile der Russischen Föderation habe er nicht gedacht, denn Tschetschenien gehöre offiziell zu Russland, aber "wir wollen das nicht." Die Tschetschenen würden eigenständig sein wollen.

 

Zum erwähnten Posting im Internet führte der BF aus, dass er das Anfang August 2018 gemacht habe, genauer könne er sich nicht mehr erinnern. Er sei schon länger böse auf Kadyrow gewesen und habe seine Meinung äußern wollen. Er habe das auf seiner Instagram-Seite geschrieben, er habe sich zurückgehalten beim Posten. Kadyrow aber würde alle Seiten überprüfen und "wahrscheinlich habe er das gesehen". Er habe vier oder fünf Tage nach dem Tod eines Tschetschenen, über den sich Kadyrow geäußert habe, gepostet. Das sei aber ein unüberlegter Schritt gewesen, denn es sei besser, mit dem tschetschenischen Präsidenten keine Scherze zu machen.

 

Er sei nach diesem Posting nicht bedroht worden, aber er wolle darauf hinweisen, dass eine Journalistin über Kadyrow geschrieben habe. Sie sei dann von diesem beleidigt worden. In Österreich habe er ein paar Deutschkurse besucht, er habe den Beruf des Schweißers erlernt und die diesbezügliche Ausbildung abgeschlossen.

 

Sonst sei er nicht Mitglied in einem Verein, in einer religiösen Gruppe oder in einer Organisation.

 

3. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.01.2019 wurde der dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.10.2003 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen. Weiters wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf 8 Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

 

Begründend führte das Bundesamt zusammengefasst aus, dass vor dem Hintergrund der Verurteilungen des Beschwerdeführers der Aberkennungsgrund gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 vorliege.

 

Es könne nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in der Russischen Föderation Verfolgung drohen würde, er habe dort Verwandte, sei gesund und nicht in medizinischer Behandlung.

 

Die belangte Behörde verwies insbesonders auf das Urteil des LG XXXX vom XXXX , wonach der BF wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Absatz 1, 5. Fall SMG, sowie wegen des Verbrechens der Schlepperei und wegen des Vergehens nach § 50 Absatz 1 Ziffer 1 und 2 WaffG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren verurteilt wurde. Die Palette der vom BF begangenen Straftaten würden in Summe schwere Körperverletzung, gefährliche Drohung, gewerbsmäßigen Betrug, wiederholte Körperverletzung, Suchtgifthandel, unerlaubten Umgang mit Suchtgiften, Schlepperei und unbefugten Besitz von Schusswaffen und verbotener Munition, sowie Nötigung und Sachbeschädigung aufzeigen. Gegen den BF seien insgesamt 54 Monate Freiheitsstrafe ausgesprochen worden, er befinde sich aktuell in einer Justizanstalt. Der BF sei aus näher dargestellten Gründen als gemeingefährlich einzustufen, er sei immer wieder binnen kurzer Zeit straffällig geworden. Selbst in der Haft habe er das Vergehen der Körperverletzung zusätzlich begangen und die Haftzeit somit verlängert. Selbst der Umstand der sechsfachen Vaterschaft habe den BF nicht von der Begehung von Straftaten abhalten können und könne nicht ausgeschlossen werden, dass der BF nach der Entlassung aus der Strafhaft wieder rückfällig werde und stelle dieser offensichtlich eine Gefährdung dar.

 

Betreffend Rückkehrgefährdung führte die belangte Behörde in der Beweiswürdigung aus, dass das primäre Vorbringen - ein kritisches Posting über den tschetschenischen Präsidenten auf der mittlerweile gelöschten Instagram-Seite - angezweifelt werde. Es sei zudem nicht glaubhaft, dass die eigene Schwester um XXXX Uhr in der Nacht einen Screen-Shot dieses Postings angefertigt habe, nach seinen eigenen Angaben wäre dieses Posting zudem nur wenige Stunden auf der Seite gewesen und habe der BF selbst angegeben, dass er seit dem Posting in keinster Weise bedroht worden sei.

 

Die belangte Behörde verwies auch darauf, dass der BF selbst eingestanden habe, den Jahreswechsel 2013 wieder in der Russischen Föderation verbracht zu haben, weshalb davon auszugehen sei, dass der BF keinerlei Probleme bei einer Rückkehr in die Russische Föderation haben würde. Der BF habe die ersten 22 Lebensjahre im Herkunftsstaat verbracht, er spreche Russisch und Tschetschenisch und verfüge über Angehörige. Den in Österreich lebenden Angehörigen sei es im Bedarfsfall möglich, den BF auch bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat finanziell zu unterstützen.

 

Die belangte Behörde konnte somit keine Gründe erkennen, die die Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden. Außergewöhnliche Umstände würden nicht vorliegen. Die Rückkehrentscheidung und das im Anschluss daran erlassene Einreiseverbot wurde von der belangten Behörde unter Hinweis auf die sechs strafrechtlichen Verurteilungen begründet. Das kontinuierlich straffällige Verhalten und die Missachtung der österreichischen Rechtsordnung würden die privaten und familiären Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet verdrängen. Eine Verhaltensprognose könne nicht positiv ausfallen, der BF habe die österreichische Rechtsordnung wiederholt missachtet. Das auf § 53 Absatz 3 Ziffer 1 FPG gestützte Einreiseverbot wurde von der belangten Behörde dahingehend begründet, dass das Fehlverhalten des BF schwer wiege. Bei einer Abwägungsentscheidung habe sich ergeben, dass die Erlassung des Einreiseverbotes trotz der familiären und privaten Anknüpfungspunkte dringend geboten sei.

 

4. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Die Bedrohung, auf Grund welcher dem BF der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei, würde nach wie vor bestehen, andererseits habe sich der BF hinreißen lassen, den tschetschenischen Präsidenten öffentlich zu kritisieren. Aufständische und Kritiker seien repressiven Maßnahmen und Gewalt, bis hin zum Tod, ausgesetzt. Der BF vermeint in der Beschwerde, dass die Voraussetzungen für die Aberkennung des Asyls nicht vorliegen würden, die Tatsache, dass die gesamte Familie des BF in Österreich lebe, sei "ebenfalls als Integration zu werten." Seine Kernfamilie lebe in Österreich, die meisten der in Österreich geborenen Kinder seien noch minderjährig und "sohin nicht in der Lage, eine Kommunikation mit dem Vater aufrecht zu erhalten." Zudem sei das Kindeswohl zu berücksichtigen und mit den öffentlichen Interessen aufzuwiegen. Ein Besuch des BF sei - wie der belangten Behörde hoffentlich bewusst sein werde - aus zahlreichen Gründen unmöglich. Der BF verweist somit erneut auf sein vorgetragenes Posting, die Löschung des Postings würde darlegen, dass mit der Kritik eine konkrete Gefährdung verbunden sei. Die tschetschenische Community sei weit vernetzt und würden sich derartige Nachrichten "wie ein Lauffeuer verbreiten." Es sei davon auszugehen, dass nicht nur die Schwester des BF einen Screenshot gemacht habe, sondern auch andere. Die 2003 vorgebrachten Fluchtgründe hätten keinerlei Erwähnung oder Berücksichtigung gefunden und sei darüber hinaus der gesamte Bescheid mangelhaft begründet.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

Auf Grundlage der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungs- und Gerichtsakten des Beschwerdeführers, der Einsichtnahmen in das zentrale Melderegister, in das Grundversorgungs-Informationssystem und in das Strafregister werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

 

1.1. Zum wesentlichen Verfahrensgang:

 

Der Beschwerdeführer kam im April 2003 gemeinsam mit seiner Familie nach Österreich, wo er am 20.04.2003 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Dem Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.10.2003 der Status des Asylberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 7 AsylG 1997 zuerkannt.

 

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.01.2019, wurde der dem Beschwerdeführer zuerkannte Status des Asylberechtigten aberkannt und ihm weder der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt noch ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt. Weiters wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist. Gegen den Beschwerdeführer wurde zudem ein mit 8 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.

 

1.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

 

1.2.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, sowie muslimischen Glaubens. Seine Identität steht fest und ist aus dem Spruchkopf der vorliegenden Entscheidung ersichtlich.

 

Der Beschwerdeführer verließ die Russische Föderation im Frühjahr 2003; bis dahin lebte er in Tschetschenien, wo er geboren wurde. Er hielt sich nach seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet zunächst aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz und anschließend aufgrund seines Status als Asylberechtigter durchgängig rechtmäßig in Österreich auf. Der Beschwerdeführer beherrscht die Tschetschenische und die Russische Sprache.

 

Der Beschwerdeführer ist gesund, arbeitsfähig und verheiratet, er hat 6 Kinder.

 

1.2.2. Für den Beschwerdeführer scheinen im österreichischen Strafregister folgende Verurteilungen auf:

 

1) LG XXXX , XXXX , vom XXXX , wegen §§ 83/1, 84/1 StGB, Freiheitsstrafe fünf Monate bedingt

 

2) LG XXXX , XXXX , vom XXXX , wegen § 107 Absatz 1 StGB, Freiheitsstrafe: 5 Monate bedingt

 

3) LG XXXX , XXXX , vom XXXX wegen §§ 146, 147 Absatz 2, 148 1. Fall StGB, § 15 StGB, Freiheitsstrafe: 10 Monate bedingt

 

4) BG XXXX , XXXX , vom XXXX wegen § 83 Absatz 1 StGB, Freiheitsstrafe: 4 Monate bedingt

 

5) LG XXXX , XXXX , vom XXXX wegen § 114 Absatz 1, 114 Absatz 3 Ziffer 1 FPG, §§ 27(1) Ziffer 1, 1. Fall, 27 Absatz 1 Ziffer 1 2. Fall, 27 Absatz 2 SMG, § 28a Absatz 1, 5. Fall SMG, §§ 50 (Absatz 1, Ziffer 1), 50 Absatz 1, Ziffer 2 WaffG, Freiheitsstrafe 2 Jahre

 

6) LG XXXX , XXXX , vom XXXX , wegen §§ 83 Absatz 1 StGB, 105 Absatz 1 StGB, 125 StGB, Freiheitsstrafe: 6 Monate.

 

Festgestellt wird, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt.

 

Ein Abhängigkeitsverhältnis zu den in Österreich aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen des Beschwerdeführers aus gesundheitlichen oder anderen Gründen besteht nicht. Die Beziehung, die im Wesentlichen seit 2 Jahren aufgrund der Haftaufenthalte des Beschwerdeführers nur durch fallweise Besuche in der Haft gelebt wurde, kann auch von der Russischen Föderation aus über elektronische Medien und Internet aufrechterhalten werden.

 

Im Herkunftsstaat verfügt der Beschwerdeführer noch über entfernte Verwandte (Onkel und Cousins).

 

1.3. Zur Situation im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation:

 

Beim BF wurde im Februar XXXX im Zuge polizeilicher Ermittlungen ein Russischer Auslandspass sichergestellt, gültig vom XXXX bis XXXX . Mit diesem hat der BF die von ihm eingestandene Reise nach Tschetschenien unternommen.

 

Festgestellt wird, dass dem Beschwerdeführer in der gesamten Russischen Föderation keine asylrelevante Verfolgung droht.

 

Dem Beschwerdeführer droht in der Russischen Föderation, jedenfalls außerhalb des Nordkaukasus, insbesondere außerhalb von Tschetschenien keine Verfolgung. Dem Beschwerdeführer droht im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation, jedenfalls auch außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus keine Folter oder unmenschliche Behandlung. Dem Beschwerdeführer droht auch keine Verfolgung wegen seines Aussehens oder seiner ethnischen Volksgruppenzugehörigkeit. Ihm droht im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation außerhalb des Nordkaukasus, insbesondere außerhalb Tschetscheniens, keine Verfolgung wegen der Asylantragstellung in Österreich und wegen des langjährigen Aufenthaltes außerhalb der Russischen Föderation.

 

Es ist dem Beschwerdeführer möglich und zumutbar, sich in der Russischen Föderation, etwa auch außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus niederzulassen und anzumelden. Die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen in Russland bieten trotz der derzeitigen Wirtschaftskrise bei vorhandener Arbeitswilligkeit entsprechende Chancen auch für russische Staatsangehörige aus den Kaukasusrepubliken. Der Beschwerdeführer hat auch Zugang zu Sozialbeihilfen, Krankenversicherung und medizinischer Versorgung. Es besteht keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer in anderen Teilen der Russischen Föderation Opfer fingierter Strafverfahren würde. Dem Beschwerdeführer droht auch keine Verfolgung bei der Wiedereinreise in die Russische Föderation außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus.

 

1.4. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation:

 

Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich auf folgende Quellen:

 

? Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 21.07.2017 (letzte Kurzinformation eingefügt am 07.05.2018);

 

? Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 31.08.2018;

 

? Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 29.06.2017, Russische Föderation, Menschenrechtsverletzungen von im Ausland verurteilten Personen wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation;

 

? ACCORD Anfragebeantwortung vom 31.05.2016, Russische Föderation, Lage von Personen, die nach negativem Asylbescheid zurückgekehrt sind;

 

? Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 24.05.2016 (Auszug), Russische Föderation, Lage von aus Syrien zurückkehrenden Kämpfern;

 

Aus diesen Länderberichten werden folgende Feststellungen getroffen:

 

1.4.1. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 31.08.2018:

 

1.4.1.1. Politische Lage im Allgemeinen

 

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

 

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5 .2018b).

 

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5 .2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

 

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

 

Quellen:

 

-AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederation/201534 , Zugriff 1.8.2018

 

-CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html , Zugriff 1.8.2018

 

-EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf , Zugriff 1.8.2018

 

-FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html , Zugriff 1.8.2018

 

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 1.8.2018

 

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/ , Zugriff 1.8.2018

 

-OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report,

https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true , Zugriff 29.8.2018

 

-Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen , Zugriff 1.8.2018

 

-Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident , Zugriff 1.8.2018

 

-Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html , Zugriff 1.8.2018

 

1.4.1.1.a. Politische Lage in Tschetschenien im Besonderen

 

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

 

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

 

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

 

Quellen:

 

-AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

-GKS - Staatliches Statistikamt (25.1.2018): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018,

http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx , Zugriff 1.8.2018

 

-ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

-Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/ , Zugriff 1.8.2018

 

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf , Zugriff 1.8.2018

 

1.4.1.2. Sicherheitslage im Allgemeinen

 

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

 

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

 

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

 

Quellen:

 

-AA - Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0 , Zugriff 28.8.2018

 

-BmeiA (28.8.2018): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/ , Zugriff 28.8.2018

 

-Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden,

https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824 , Zugriff 29.8.2018

 

-EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.8.2018): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html , Zugriff 28.8.2018

 

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018d): Russland, Alltag,

https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170 , Zugriff 28.8.2018

 

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf , Zugriff 28.8.2018

 

1.4.1.2.a. Sicherheitslage im Nordkaukasus im Allgemeinen

 

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 21.5.2018). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben (SWP 4.2017).

 

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sogenannten IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaya Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2017). Offiziell kämpfen bis zu 800 erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW 25.1.2018).

 

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine konsequente Politik der Repression radikaler Elemente (ÖB Moskau 12.2017).

 

Im gesamten Jahr 2017 gab es im ganzen Nordkaukasus 175 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 134 Todesopfer (82 Aufständische, 30 Zivilisten, 22 Exekutivkräfte) und 41 Verwundete (31 Exekutivkräfte, neun Zivilisten, ein Aufständischer) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es im gesamten Nordkaukasus 27 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 20 Todesopfer (12 Aufständische, sechs Zivilisten, 2 Exekutivkräfte) und sieben Verwundete (fünf Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 21.6.2018).

 

Quellen:

 

-AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

-Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/ , Zugriff 28.8.2018

 

-Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/ , Zugriff 28.8.2018

 

-DW - Deutsche Welle (25.1.2018): Tschetschenien: "Wir sind beim IS beliebt",

https://www.dw.com/de/tschetschenien-wir-sind-beim-is-beliebt/a-42302520 , Zugriff 28.8.2018

 

-ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den "Islamischen Staat" (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf , Zugriff 28.8.2018

 

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf , Zugriff 28.8.2018

 

1.4.1.2.b. Sicherheitslage in Tschetschenien im Besonderen

 

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, auch in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

 

Im gesamten Jahr 2017 gab es in Tschetschenien 75 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 59 Todesopfer (20 Aufständische, 26 Zivilisten, 13 Exekutivkräfte) und 16 Verwundete (14 Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es in Tschetschenien acht Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon sieben Todesopfer (sechs Aufständische, eine Exekutivkraft) und ein Verwundeter (eine Exekutivkraft) (Caucasian Knot 21.6.2018).

 

Quellen:

 

-Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/ , Zugriff 28.8.2018

 

-Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/ , Zugriff 28.8.2018

 

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf , Zugriff 28.8.2018

 

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf , Zugriff 28.8.2018

 

1.4.1.3. Rechtsschutz / Justizwesen im Allgemeinen

 

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Administrativ- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2017). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kreml gebunden (FH 1.2018).

 

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2017). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen: So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexei Ulyukayev im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, FH 1.2018).

 

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2017). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung im Einklang stehen. Das Gesetz wurde bereits einmal im Fall der Verurteilung Russlands durch den EGMR in Bezug auf das Wahlrecht von Häftlingen 61 angewendet (zugunsten der russischen Position) und ist auch für den YUKOS-Fall von Relevanz. Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings um grundsätzlichen Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, US DOS 20.4.2018).

 

Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu

Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer "nichtgenehmigten" friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22. Februar überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der "Absicht" angenommen haben, die "Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen". NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018).

 

Bemerkenswert ist die extrem hohe Verurteilungsquote bei Strafprozessen. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet dabei nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Für zu lebenslanger Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25 Jahren. Eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Auch unabhängig von politisch oder ökonomisch motivierten Strafprozessen begünstigt ein Wetteifern zwischen Strafverfolgungsbehörden um hohe Verurteilungsquoten die Anwendung illegaler Methoden zum Erhalt von "Geständnissen" (AA 21.5.2018).

 

Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die von Seiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

-AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

-AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html , Zugriff 2.8.2018

 

-EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf , Zugriff 2.8.2018

 

-FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html , Zugriff 1.8.2018

 

-ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

-US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html , Zugriff 2.8.2018

 

1.4.1.3.a. Rechtsschutz / Justizwesen in Tschetschenien im Besonderen

 

Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation, einschließlich Tschetscheniens. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Republiksoberhaupt Ramzan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islams und der tschetschenischen Tradition. Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Das Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [für Informationen bezüglich Sufismus vgl.: ÖIF Monographien (2013):

Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält u. a. auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia, doch sind sowohl das Adat als auch die Scharia in Tschetschenien genauso wichtig wie die russischen Rechtsvorschriften. Iwona Kaliszewska, Assistenzprofessorin am Institut für Ethnologie und Anthropologie der Universität Warschau, führt an, dass sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems bewegt, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen, und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechte einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt (EASO 9.2014). Scharia-Gerichtsbarkeit bildet am Südrand der Russischen Föderation eine Art "alternativer Justiz". Sie steht zwar in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands, wird aber, mit Einverständnis der involvierten Parteien, für Rechtsprechung auf lokaler Ebene eingesetzt (SWP 4.2015).

 

In Einklang mit den Prinzipien des Föderalismus ist das tschetschenische Parlament autorisiert, Gesetze innerhalb der Zuständigkeit eines Subjektes der Russischen Föderation zu erlassen. Laut Artikel 6 der tschetschenischen Verfassung überwiegt das föderale Gesetz das tschetschenische im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Föderalen Regierung, wie beispielsweise Gerichtswesen und auswärtige Angelegenheiten, aber auch bei geteilten Zuständigkeiten wie Minderheitenrechte und Familiengesetzgebung. Bei Themen im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Republik überwiegt das tschetschenische Gesetz. Die tschetschenische Gesetzgebung besteht aus einem Höchstgericht und 15 Distrikt- oder Stadtgerichten, sowie Friedensgerichte, einem Militärgericht und einem Schiedsgericht. Die formale Qualität der Arbeit der Judikative ist vergleichbar mit anderen Teilen der Russischen Föderation, jedoch wird ihre Unabhängigkeit stärker angegriffen als anderswo, da Kadyrow und andere lokale Beamte Druck auf Richter ausüben (EASO 3.2017).

 

Menschenrechtsorganisationen berichten glaubwürdig über Strafprozesse auf der Grundlage fingierten Materials gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus, insbesondere Tschetschenien und Dagestan, die aufgrund von z.T. unter Folter erlangten Geständnissen oder gefälschten Beweisen zu hohen Haftstrafen verurteilt worden seien (AA 21.5.2018). Der Konflikt im Nordkaukasus zwischen Regierungskräften, Aufständischen, Islamisten und Kriminellen führt zu vielen Menschenrechtsverletzungen, wie Verschwindenlassen, rechtswidrige Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen sowie außergerichtliche Hinrichtungen und daher auch zu einem generellen Abbau der Rechtsstaatlichkeit. In Tschetschenien werden Menschenrechtsverletzungen seitens der Sicherheitsbehörden mit Straffreiheit begangen (US DOS 20.4.2018, vgl. HRW 7.2018, AI 22.2.2018).

 

In Bezug auf Vorladungen von der Polizei in Tschetschenien ist zu sagen, dass solche nicht an Personen verschickt werden, die man verdächtigt, Kontakt mit dem islamistischen Widerstand zu haben. Solche Verdächtige würden ohne Vorwarnung von der Polizei mitgenommen, ansonsten wären sie gewarnt und hätten Zeit zu verschwinden (DIS 1.2015).

 

Quellen:

 

-AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

-AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html , Zugriff 2.8.2018

 

-EASO - European Asylum Support Office (9.2014): Bericht zu Frauen, Ehe, Scheidung und Sorgerecht in Tschetschenien (Islamisierung; häusliche Gewalt; Vergewaltigung; Brautentführung; Waisenhäuser), http://www.ecoi.net/file_upload/1830_1421055069_bz0414843den-pdf-web.pdf , S. 9, Zugriff 2.8.2018

 

-EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf , Zugriff 2.8.2018

 

-DIS - Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 2.8.2018

 

-HRW - Human Rights Watch (7.2018): Human Rights Watch Submission to the United Nations Committee Against Torture on Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/1439255/1930_1532600687_int-cat-css-rus-31648-e.docx , Zugriff 2.8.2018

 

-ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam [vergriffen; liegt in der Staatendokumentation auf]

 

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf , Zugriff 2.8.2018

 

-US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html , Zugriff 2.8.2018

 

1.4.1.4. Sicherheitsbehörden

 

Das Innenministerium (MVD), der Föderale Sicherheitsdienst FSB, das Untersuchungskomittee und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und der Terrorismusbekämpfung betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist in föderale, regionale und lokale Einheiten geteilt. 2016 wurde die Föderale Nationalgarde gegründet. Diese neue Exekutivbehörde steht unter der Kontrolle des Präsidenten, der ihr Oberbefehlshaber ist. Ihre Aufgaben sind die Sicherung der Grenzen gemeinsam mit der Grenzwache und dem FSB, Administrierung von Waffenbesitz, Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, Schutz der Öffentlichen Sicherheit und Schutz von wichtigen staatlichen Einrichtungen. Weiters nimmt die Nationalgarde an der bewaffneten Verteidigung des Landes gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium teil (US DOS 20.4.2018).

 

Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, wenn sie am Schauplatz eines Verbrechens verhaftet werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus (US DOS 20.4.2018).

 

Nach überzeugenden Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen "fremdländischen" Aussehens Opfer von Misshandlungen durch die Polizei und Untersuchungsbehörden. Nur ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt. Die im Februar 2011 in Kraft getretene Polizeireform hat bislang nicht zu spürbaren Verbesserungen in diesem Bereich geführt (AA 21.5.2018).

 

Die im Nordkaukasus agierenden Sicherheitskräfte sind in der Regel maskiert (BAMF 10.2013). Der Großteil der Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus wird Sicherheitskräften zugeschrieben. In Tschetschenien sind sowohl föderale russische als auch lokale tschetschenische Sicherheitskräfte tätig. Letztere werden bezeichnenderweise oft Kadyrowzy genannt, nicht zuletzt, da in der Praxis fast alle tschetschenischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle Ramzan Kadyrows stehen (Rüdisser 11.2012). Ramzan Kadyrows Macht gründet sich hauptsächlich auf die ihm loyalen Kadyrowzy. Diese wurden von Kadyrows Familie in der Kriegszeit gegründet und ihre Mitglieder bestehen hauptsächlich aus früheren Kämpfern der Rebellen (EASO 3.2017). Vor allem tschetschenische Sicherheitsbehörden können Menschenrechtsverletzungen straffrei begehen (HRW 7.2018). Die Angaben zur zahlenmäßigen Stärke tschetschenischer Sicherheitskräfte fallen unterschiedlich aus. Von Seiten des tschetschenischen MVD [Innenministerium] sollen in der Tschetschenischen Republik rund 17.000 Mitarbeiter tätig sein. Diese Zahl dürfte jedoch nach der Einrichtung der Nationalgarde der Föderation im Oktober 2016 auf 11.000 gesunken sein. Die Polizei hatte angeblich 9.000 Angehörige. Die überwiegende Mehrheit von ihnen sind ethnische Tschetschenen. Nach Angaben des Carnegie Moscow Center wurden die Reihen von Polizei und anderen Sicherheitskräften mit ehemaligen tschetschenischen Separatisten aufgefüllt, die nach der Machtübernahme von Ramzan Kadyrow und dem Ende des Krieges in die Sicherheitskräfte integriert wurden. Bei der tschetschenischen Polizei grassieren Korruption und Missbrauch, weshalb die Menschen bei ihr nicht um Schutz ersuchen. Die Mitarbeiter des Untersuchungskomitees (SK) sind auch überwiegend Tschetschenen und stammen aus einem Pool von Bewerbern, die höher gebildet sind als die der Polizei. Einige Angehörige des Untersuchungskomitees versuchen, Beschwerden über tschetschenische Strafverfolgungsbeamte zu untersuchen, sind jedoch "ohnmächtig, wenn sie es mit der tschetschenischen OMON [Spezialeinheit der Polizei] oder anderen, Kadyrow nahestehenden "unantastbaren Polizeieinheiten" zu tun haben" (EASO 3.2017).

 

Quellen:

 

-AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

-BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013): Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg

 

-EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf , Zugriff 2.8.2018

 

-HRW - Human Rights Watch (7.2018): Human Rights Watch Submission to the United Nations Committee Against Torture on Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/1439255/1930_1532600687_int-cat-css-rus-31648-e.docx , Zugriff 2.8.2018

 

-Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/ , Zugriff 2.8.2018

 

-US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html , Zugriff 2.8.2018

 

1.4.1.5. Folter und unmenschliche Behandlung

 

Im Einklang mit der EMRK sind Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafen in Russland auf Basis von

Artikel 21.2 der Verfassung und Art. 117 des Strafgesetzbuchs verboten. Die dort festgeschriebene Definition von Folter entspricht jener des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Russland ist Teil dieser Konvention, hat jedoch das Zusatzprotokoll (CAT-OP) nicht unterzeichnet. Trotz des gesetzlichen Rahmens werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamten gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der internen Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten stützen, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Polizei- und Justizvollzugbeamte werden laut russischen NGO-Vertretern oft nicht untersucht (ÖB Moskau 12.2017, vgl. EASO 3.2017).

 

Auch 2017 gab es Berichte über Folter und andere Misshandlungen in Gefängnissen und Hafteinrichtungen im gesamten Land. Die Art und Weise, wie Gefangene transportiert wurden, kam Folter und anderen Misshandlungen gleich und erfüllte in vielen Fällen den Tatbestand des Verschwindenlassens. Die Verlegung in weit entfernte Gefängniskolonien konnte monatelang dauern. Auf dem Weg dorthin wurden die Gefangenen in überfüllte Bahnwaggons und Lastwagen gesperrt und verbrachten bei Zwischenstopps Wochen in Transitzellen. Weder ihre Rechtsbeistände noch ihre Familien erhielten Informationen über den Verbleib der Gefangenen (AI 22.2.2018). Laut Amnesty International und dem russischen "Komitee gegen Folter" kommt es vor allem in Polizeigewahrsam und in den Strafkolonien zu Folter und grausamer oder erniedrigender Behandlung. Momentan etabliert sich eine Tendenz, Betroffene, die vor Gericht Foltervorwürfe erheben, unter Druck zu setzen, z.B. durch Verleumdungsvorwürfe. Die Dauer von Gerichtsverfahren zur Überprüfung von Foltervorwürfen ist zwar kürzer (früher fünf bis sechs Jahre) geworden, Qualität und Aufklärungsquote sind jedoch nach wie vor niedrig. Untersuchungen von Foltervorwürfen bleiben fast immer folgenlos. Unter Folter erzwungene "Geständnisse" werden vor Gericht als Beweismittel anerkannt (AA 21.5.2018).

 

Der Folter verdächtigte Polizisten werden meist nur aufgrund von Machtmissbrauch oder einfacher Körperverletzung angeklagt. Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Stunden oder Tagen nach der Inhaftierung. Im Nordkaukasus wird von Folterungen sowohl durch lokale Sicherheitsorganisationen als auch durch Föderale Sicherheitsdienste berichtet. Das Gesetz verlangt von Verwandten von Terroristen, dass sie die Kosten, die durch einen Angriff entstehen übernehmen. Menschenrechtsverteidiger kritisieren dies als Kollektivbestrafung (USDOS 20.4.2018).

 

Vor allem der Nordkaukasus ist von Gewalt betroffen, wie z.B. außergerichtlichen Tötungen, Folter und anderen Menschenrechtsverletzungen (FH 1.2018). In der ersten Hälfte des Jahres 2017 wurden die Inhaftierungen und Folterungen von Homosexuellen in Tschetschenien publik (HRW 18.1.2018). Der Umfang der Homosexuellenverfolgung in Tschetschenien ist bis heute unklar. Bis zu 100 Opfer, darunter auch mehrere Tote, werden genannt. Viele der Verfolgten sind aus Tschetschenien geflohen [vgl. hierzu Kapitel19.4 Homosexuelle] (Standard.at 3.11.2017).

 

Ein zehnminütiges Video der Körperkamera eines Wächters in der Strafkolonie Nr. 1 in Jaroslawl, zeigt einen Insassen, wie er von Wächtern gefoltert wird. Das Video vom Juni 2017 wurde am 20.07.18 von der unabhängigen russischen Zeitung "Novaya Gazeta" veröffentlicht. Das Ermittlungskomitee leitete ein Strafverfahren wegen Amtsmissbrauch mit Gewaltanwendung ein. Verschiedenen Medienberichten zufolge sollen fünf bis sieben an der Folter beteiligte Personen festgenommen und 17 Mitarbeiter der Strafkolonie suspendiert worden sein. Das Video hatte in der russischen Öffentlichkeit große Empörung ausgelöst. Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von Misshandlungen und Folter im russischen Strafvollzug (NZZ 23.7.2018).

 

Quellen:

 

-AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

-AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html , Zugriff 2.8.2018

 

-EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf , Zugriff 2.8.2018

 

-FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html , Zugriff 3.8.2018

 

-HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422501.html , Zugriff 3.8.2018

 

-ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

-NZZ - Neue Zürcher Zeitung (23.7.2018): Ein Foltervideo setzt Ermittlungen gegen Russlands Strafvollzug in Gang, https://www.nzz.ch/international/foltervideo-setzt-ermittlungen-gegen-russlands-strafvollzug-in-gang-ld.1405939 , Zugriff 2.8.2018

 

-Standard.at (3.11.2017): Putins Beauftragte will Folter in Tschetschenien aufklären,

https://derstandard.at/2000067068023/Putins-Beauftragte-will-Folter-in-Tschetschenien-aufklaeren , Zugriff 3.8.2018

 

-US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html , Zugriff 2.8.2018

 

1.4.1.6. Allgemeine Menschenrechtslage

 

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs (GIZ 7.2018a). Die Verfassung der Russischen Föderation vom Dezember 1993 postuliert, dass die Russische Föderation ein "demokratischer, föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform" ist. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach "sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems." Russland ist an folgende VN-Übereinkommen gebunden:

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Europarat äußerte sich mehrmals kritisch zur Menschenrechtslage in der Russischen Föderation. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) waren 2016 knapp 10% der anhängigen Fälle Russland zuzurechnen (77.821 Einzelfälle). Der EGMR hat 2016 228 Urteile in Klagen gegen Russland gesprochen. Damit führte Russland die Liste der verhängten Urteile mit großem Abstand an (an zweiter Stelle Türkei mit 88 Urteilen). Die EGMR-Entscheidungen fielen fast ausschließlich zugunsten der Kläger aus (222 von 228 Fällen) und konstatierten mehr oder wenige gravierende Menschenrechtsverletzungen. Zwei Drittel der Fälle betreffen eine Verletzung des Rechts auf Freiheit und Sicherheit. [Zur mangelhaften Anwendung von EGMR-Urteilen durch Russland vgl. Kapitel 4. Rechtsschutz/Justizwesen] (AA 21.5.2018).

 

Die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wurden 2017 weiter eingeschränkt. Menschenrechtsverteidiger und unabhängige NGOs sahen sich nach wie vor mit Schikanen und Einschüchterungsversuchen konfrontiert (AI 22.2.2018). Auch Journalisten und Aktivisten riskieren Opfer von Gewalt zu werden (FH 1.2018). Staatliche Repressalien, aber auch Selbstzensur, führten zur Einschränkung der kulturellen Rechte. Angehörige religiöser Minderheiten mussten mit Schikanen und Verfolgung rechnen. Das Recht auf ein faires Verfahren wurde häufig verletzt. Folter und andere Misshandlungen waren nach wie vor weit verbreitet. Die Arbeit unabhängiger Organe zur Überprüfung von Haftanstalten wurde weiter erschwert. Im Nordkaukasus kam es auch 2017 zu schweren Menschenrechtsverletzungen (AI 22.2.2018).

 

Die allgemeine Menschenrechtslage in Russland ist weiterhin durch nachhaltige Einschränkungen der Grundrechte sowie einer unabhängigen Zivilgesellschaft gekennzeichnet. Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden. Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in der Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausüben. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt und erfahren in manchen Fällen sogar reale Bedrohungen für Leib und Leben (ÖB Moskau 12.2017, vgl. FH 1.2018, AA 21.5.2018). Im Zuge der illegalen Annexion der Krim im März 2014 und der Krise in der Ostukraine wurde die Gesellschaft v.a. durch staatliche Propaganda nicht nur gegen den Westen mobilisiert, sondern auch gegen die sog. "fünfte Kolonne" innerhalb Russlands. Der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland ist derzeit aufgrund prozeduraler Unstimmigkeiten ausgesetzt. Laut einer Umfrage zum Stand der Menschenrechte in Russland durch das Meinungsforschungsinstitut FOM glauben 42% der Befragten nicht, dass die Menschenrechte in Russland eingehalten werden, während 36% der Meinung sind, dass sie sehr wohl eingehalten werden. Die Umfrage ergab, dass die russische Bevölkerung v.a. auf folgende Rechte Wert legt: Recht auf freie medizinische Versorgung (74%), Recht auf Arbeit und gerechte Bezahlung (54%), Recht auf kostenlose Ausbildung (53%), Recht auf Sozialleistungen (43%), Recht auf Eigentum (31%), Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (31%), Recht auf eine gesunde Umwelt (19%), Recht auf Privatsphäre (16%), Rede- und Meinungsfreiheit (16%). Der Jahresbericht der föderalen Menschenrechtsbeauftragten Tatjana Moskalkowa für das Jahr 2017 bestätigt die Tendenz der russischen Bevölkerung zur Priorisierung der sozialen vor den politischen Rechten. Unter Druck steht auch die Freiheit der Kunst, wie etwa die jüngsten Kontroversen um zeitgenössisch inszenierte Produktionen von Film, Ballett und Theater zeigen (ÖB Moskau 12.2017).

 

Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Hintergrund sind die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten in der Republik Dagestan, daneben auch in Tschetschenien, Inguschetien und Kabardino-Balkarien. Der westliche Nordkaukasus ist hiervon praktisch nicht mehr betroffen. (AA 21.5.2018). Auch 2017 wurden aus dem Nordkaukasus schwere Menschenrechtsverletzungen gemeldet, wie Verschwindenlassen, rechtswidrige Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen sowie außergerichtliche Hinrichtungen (AI 22.2.2018). Die Menschenrechtslage im Nordkaukasus wird von internationalen Experten weiterhin genau beobachtet. Im Februar 2016 führte das Komitee gegen Folter des Europarats eine Mission in die Republiken Dagestan und Kabardino-Balkarien durch. Auch Vertreter des russischen präsidentiellen Menschenrechtrats bereisten im Juni 2016 den Nordkaukasus und trafen sich mit den einzelnen Republiksoberhäuptern, wobei ein Treffen mit Ramzan Kadyrow abgesagt wurde, nachdem die tschetschenischen Behörden gegen die Teilnahme des Leiters des Komitees gegen Folter Igor Kaljapin protestiert hatten (ÖB Moskau 12.2017).

 

Der konsultative "Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte" beim russischen Präsidenten unter dem Vorsitz von M. Fedotow übt auch öffentlich Kritik an Menschenrechtsproblemen und setzt sich für Einzelfälle ein. Der Einfluss des Rats ist allerdings begrenzt (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

-AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

-AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html , Zugriff 8.8.2018

 

-FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html , Zugriff 8.8.2018

 

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 8.8.2018

 

-ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

1.4.1.6.a. Menschenrechtslage in Tschetschenien im Besonderen

 

NGOs beklagen weiterhin schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen zumeist Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten. Die unabhängige Novaya Gazeta berichtete im Sommer 2017 über die angebliche außergerichtliche Tötung von über zwei Dutzend Personen zu Beginn des Jahres im Zuge von Massenfestnahmen nach dem Tod eines Polizisten. Seitens Amnesty International wurde eine umfassende Untersuchung der Vorwürfe durch die russischen Behörden gefordert. Im Herbst 2017 besuchte das Komitee gegen Folter des Europarates neuerlich Tschetschenien und konsultierte dabei auch die russische Ombudsfrau für Menschenrechte. Ihre nachfolgende Aussage gegenüber den Medien, dass das Komitee keine Bestätigung außergerichtlicher Tötungen oder Folter gefunden habe, wurde vom Komitee unter Hinweis auf die Vertraulichkeit der mit den russischen Behörden geführten Gespräche zurückgewiesen (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend. Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich; Regimeopfer müssen mitsamt ihren Familien aus Tschetschenien herausgebracht werden. Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht sowie die Diskriminierung von Frauen haben in den letzten Jahren zugenommen. Ende 2015 wurden nach Angaben von Memorial mehrere hundert Menschen aufgrund oberflächlicher "Verdachtsmerkmale" wie zu kurzer Bärte tagelang in Behördengewahrsam genommen, ohne dass den Angehörigen hierzu Auskunft erteilt wurde (AA 21.5.2018). 2017 kam es zur gezielten Verfolgung von Homosexuellen durch staatliche Sicherheitskräfte (AA 21.5.2018, vgl. HRW 18.1.2018), wo die Betroffenen gefoltert und einige sogar getötet wurden [vgl. Kapitel 19.4. Homosexuelle] (HRW 18.1.2018).

 

Gewaltsame Angriffe, die in den vergangenen Jahren auf Menschenrechtsverteidiger in Tschetschenien verübt worden waren, blieben nach wie vor straffrei. Im Januar 2017 nutzte der Sprecher des tschetschenischen Parlaments, Magomed Daudow, seinen Instagram-Account, um unverhohlen eine Drohung gegen Grigori Schwedow, den Chefredakteur des unabhängigen Nachrichtenportals Kaukasischer Knoten, auszusprechen. Im April erhielten Journalisten von Novaya Gazeta Drohungen aus Tschetschenien, nachdem sie über die dortige Kampagne gegen Schwule berichtet hatten. Auch Mitarbeiter des Radiosenders Echo Moskwy, die sich mit den Kollegen von Novaya Gazeta solidarisch erklärten, wurden bedroht. Die Tageszeitung Novaya Gazeta berichtete über die rechtswidrige Inhaftierung zahlreicher Personen seit Dezember 2016 und die heimliche Hinrichtung von mindestens 27 Gefangenen durch Sicherheitskräfte am 26. Januar 2017 in Tschetschenien (AI 22.2.2018).

 

In den vergangenen Jahren häufen sich Berichte von Personen, die nicht aufgrund irgendwelcher politischer Aktivitäten, sondern aufgrund einfacher Kritik an der sozio-ökonomischen Lage in der Republik unter Druck geraten. So musste ein Mann, der sich im April 2016 in einem Videoaufruf an Präsident Putin über die Misswirtschaft und Korruption lokaler Beamter beschwerte, nach Dagestan flüchten, nachdem sein Haus von Unbekannten in Brand gesteckt worden war. Einen Monat später entschuldigte sich der Mann in einem regionalen Fernsehsender. Im Mai 2016 wandte sich Kadyrow in einem TV-Beitrag mit einer deutlichen Warnung vor Kritik an die in Europa lebende tschetschenische Diaspora: Diese werde für jedes ihrer Worte ihm gegenüber verantwortlich sein, man wisse, wer sie seien und wo sie leben, sie alle seien in seinen Händen, so Kadyrow. Gegenüber der Nachrichtenagentur Interfax behauptete Kadyrow am 21. November 2017, dass der Terrorismus in Tschetschenien komplett besiegt sei, es gebe aber Versuche zur Rekrutierung junger Menschen, für welche er die subversive Arbeit westlicher Geheimdienste im Internet verantwortlich machte (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind. Verschiedene Menschenrechtsorganisationen, darunter Memorial und Human Rights Watch, prangern die seitens der regionalen Behörden praktizierte Sippenhaft von Familienangehörigen in Tschetschenien an. Im Fall des Menschenrechtsaktivisten und Leiter des Memorial-Büros in Tschetschenien Ojub Titijew wurde seitens Memorial bekannt, dass Familienangehörige Tschetschenien verlassen mussten (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

-AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

-AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html , Zugriff 8.8.2018

 

-HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422501.html , Zugriff 8.8.2018

 

-ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

1.4.1.6.b. Dschihadistische Kämpfer und ihre Unterstützer

 

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen (ÖB Moskau 12.2017). Über Jahre sind die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte, die unter Kadyrows de-facto-Kontrolle stehen, mit illegalen Methoden gegen mutmaßliche Rebellen und ihre Unterstützer/innen vorgegangen, mit der Zeit sind sie jedoch dazu übergegangen, diese Methoden gegenüber Gruppen anzuwenden, die von den tschetschenischen Behörden als "unerwünscht" erachtet werden, beispielsweise lokale Dissidenten, unabhängige Journalisten oder auch salafistische Muslime. In den letzten zehn Jahren gab es andauernde, glaubhafte Anschuldigungen, dass die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte in ihrem Kampf gegen den aggressiven islamistischen Aufstand an Entführungen, Fällen von Verschwindenlassen, Folter, außergerichtlichen Hinrichtungen und kollektiven Bestrafungen beteiligt gewesen seien. Insbesondere Aufständische, ihre Verwandten und mutmaßliche Unterstützer/innen seien ins Visier geraten. Kadyrow setzte lokale salafistische Muslime und Aufständische oder deren Unterstützer/innen weitgehend gleich. Er habe die Polizei und lokale Gemeinschaften angewiesen, genau zu überwachen, wie Personen beten und sich kleidenwürden, und die zu bestrafen, die vom Sufismus abkommen würden (HRW 26.5.2017).

 

Familienmitglieder von "Foreign Fighters" dürften weniger schweren Reaktionen seitens der Behörden ausgesetzt sein, als Familienmitglieder von lokalen Militanten. Wenn Foreign Fighters in die Russische Föderation zurückkehren, müssen sie mit Strafverfolgung rechnen. Die Schwere der Strafe hängt davon ab, ob sie sich den Behörden stellen und kooperieren. Jene, die sich nicht stellen, laufen Gefahr, in sogenannten Spezialoperationen liquidiert zu werden (Landinfo 8.8.2016).

 

Die Tageszeitung Novaya Gazeta berichtete über die rechtswidrige Inhaftierung zahlreicher Personen im Dezember 2016 und die heimliche Hinrichtung von mindestens 27 Gefangenen durch Sicherheitskräfte am 26. Januar 2017 in Tschetschenien (AI 22.2.2018). Demnach wollte die tschetschenische Führung damit den Mord an einem Polizisten rächen. Der Polizist wurde vermutlich von islamistischen Kämpfern ermordet. Tschetschenische Regierungsvertreter bestreiten die Vorfälle aufs schärfste (ORF.at 9.7.2017, vgl. Standard.at 10.7.2017). Caucasian Knot berichtet, das im Jänner 2017 Ramzan Kadyrow bei einem Auftritt in Grozny, der im Fernsehen übertragen worden sei, die Sicherheitskräfte angewiesen habe, ohne Vorwarnung auf Rebellen zu schießen, um Verluste in den Reihen der Sicherheitskräfte zu vermeiden, und auch denen gegenüber keine Nachsicht zu zeigen, die von den Rebellen in die Irre geführt worden seien (Caucasian Knot 25.1.2017).

 

Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren. Schätzungen gehen von einem Dutzend bis ca. 120 Personen aus. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand seinen Hotspot hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens. Sie bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Kidnapping wird von tschetschenischen Sicherheitskräften begangen. In Tschetschenien selbst ist also der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan und auch in Inguschetien. Die Kämpfer würden auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung im Allgemeinen bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015).

 

Im November 2013 wurden in Russland Gesetze verabschiedet, welche die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen vorsehen. Sie legalisieren Kollektivbestrafungen, welche bereits in mehreren Republiken des Nordkaukasus als Form des Kampfs gegen den Aufstand praktiziert werden. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, welche durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Das Gesetzsieht vor, dass Familienangehörige und Verwandte von Terrorverdächtigen belegen müssen, dass ihre Vermögenswerte, Immobilien und weitere Besitztümer nicht durch "terroristische Aktivitäten" erworben wurden. Wenn nicht bewiesen werden kann, dass die Vermögenswerte legal erworben wurden, kann der Staat sie beschlagnahmen. Auch Personen, welche Terrorverdächtigen nahestehen, können mit dem Gesetz belangt werden (SFH 25.7.2014). Angehörigen von Aufständischen bleiben, laut Tanja Lokshina von Human Rights Watch in Russland, nicht viele Möglichkeiten um Kontrollen oder Druckausübung durch Behörden zu entkommen. Eine ist die Republik Tschetschenien zu verlassen, aber das kann sich nicht jeder leisten, oder man sagt sich öffentlich vom aufständischen Familienmitglied los. Vertreibungen von Familien von Aufständischen haben zugenommen (Meduza 31.10.2017).

 

Nach der Terrorattacke auf Grozny am 4.12.2014 hat Tschetscheniens Oberhaupt Ramzan Kadyrow die Verwandten der Attentäter in Sippenhaft genommen. Kadyrow verlautbarte auf Instagram kurz nach der Tat, dass, wenn ein Kämpfer in Tschetschenien einen Mitarbeiter der Polizei oder einen anderen Menschen töte, die Familie des Kämpfers sofort ohne Rückkehrrecht aus Tschetschenien ausgewiesen werde. Ihr Haus werde zugleich bis auf das Fundament abgerissen. Tatsächlich beklagte einige Tage später der Leiter der tschetschenischen Filiale des"Komitees gegen Folter", dass den Angehörigen der mutmaßlichen Täter die Häuser niedergebrannt worden seien (Standard.at 14.12.2014, vgl. Meduza 31.10.2017). Es handelte sich um 15 Häuser, die niedergebrannt wurden (The Telegraph 17.1.2015, vgl. Meduza 31.10.2017). Ein weiterer Fall, wo ein Haus niedergebrannt wurde, ist jener von Ramazan Dschalaldinow aus dem Jahr 2016. Er hat sich in einem Internetvideo bei Präsident Putin über die behördliche Korruption und Bestechungsgelder beschwert (RFE/RFL 18.5.2016). Ebenso im Jahr 2016 wurden nach einer Attacke von zwei Aufständischen auf einen Checkpoint in der Nähe von Grozny die Häuser ihrer Familien niedergebrannt (US DOS 3.3.2017). Auch Human Rights Watch berichtet im Jahresbericht 2016, dass Häuser niedergebrannt wurden [damit sind wohl die eben angeführten Fälle gemeint] (HRW 12.1.2017). Die Jahresberichte für das Jahr 2014 von Amnesty International (AI), US DOS, Human Rights Watch (HRW) und Freedom House (FH) berichten vom Niederbrennen von Häusern, als Vergeltung für die oben genannte Terrorattacke auf Grozny vom Dezember 2014. In allen rezenten Jahresberichten dieser Organisationen (AI, US DOS, HRW und FH) mit Berichtszeitraum 2017 kamen keine Informationen zum Niederbrennen von Häusern vor (AI 22.2.2018, US DOS 20.4.2018, HRW 18.1.2018, FH 1.2018).

 

In Bezug auf Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges, erging von der Konsularabteilung der ÖB Moskau die Information, dass sich auf youtube unter https://www.youtube.com/watch?v=0viIlHc51bU ein Link zu einem Nachrichtenbeitrag, der am 23.4.2014 veröffentlicht wurde, findet. Diesem Beitrag zufolge haben tschetschenische Ermittlungsbehörden Anfragen an die Archivbehörden des Verteidigungsministeriums in Moskau gerichtet, um Daten zu erfahren, die ein militärisches Geheimnis darstellen: Nummern militärischer Einheiten, Namen von Kommandeuren und Offizieren, die der Begehung von Kriegsverbrechen verdächtig sind, Fotos dieser Personen; Familienname und Rang von Teilnehmern an Spezialoperationen, in deren Verlauf Zivilisten verschwunden sind. Unbekannt ist laut Bericht, ob die tschetschenischen Behörden die angefragten Informationen erhalten haben. Im Interview betont der Pressesekretär des tschetschenischen Präsidenten, Alvi Karimov, dass an den Anfragen nichts Besonderes dran sei; es gehe um die Aufklärung von Verbrechen, die an bestimmten Orten begangen wurden, als sich dort russisches Militär aufgehalten habe, und die Anfragen seien zur Identifizierung der Militärangehörigen gestellt worden, die sich zu dieser Zeit dort aufgehalten haben, aber nicht zur Identifizierung aller Teilnehmer an militärischen Handlungen. Diese Anfragen beziehen sich offenbar auf Kampfhandlungen des 1. und 2. Tschetschenienkrieges. Aus den Briefköpfen der Anfragen ist allerdings ersichtlich, dass diese schon aus dem Jahr 2011 stammen. Hinweise auf neuere Anfragen oder Verfolgungshandlungen tschetschenischer Behörden konntenho. nicht gefunden werden, ebenso wenig wie Hinweise darauf, dass russische Behörden tschetschenische Kämpfer der beiden Kriege suchen würden. Hinweise darauf, dass Verwandte von Tschetschenien-Kämpfern durch russische oder tschetschenische Behörden zu deren Aufenthaltsort befragt wurden, konnten nicht gefunden werden (ÖB Moskau 12.7.2017).

 

Nach Ansicht der Österreichischen Botschaft kann aus folgenden Gründen davon ausgegangen werden, dass sich die russischen und tschetschenischen Behörden bei der Strafverfolgung mittlerweile auf IS-Kämpfer/Unterstützer bzw. auf Personen konzentrieren, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen:

 

1. Es konnten keine Hinweise auf Verfolgung von Veteranen der Tschetschenien-Kriege nach 2011 gefunden werden. Es gibt im Internet jedoch zahlreiche Berichte neueren Datums über anti-terroristische Spezialoperationen im Nordkaukasus.

 

2. Zahlreichen Personen, nach denen seitens russischer Behörden gefahndet wird (z.B. Fahndungen via Interpol), werden Delikte gemäß § 208 Z 2 1. (Teilnahme an einer illegalen bewaffneten Formation) oder gemäß § 208 Z 2 2. (Teilnahme an einer bewaffneten Formation auf dem Gebiet eines anderen Staates, der diese Formation nicht anerkennt, zu Zwecken, die den Interessen der RF widersprechen) des russischen StGB zur Last gelegt. In der Praxis zielen diese Gesetzesbestimmungen auf Personen ab, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen bzw. auf Personen, die ins Ausland gehen, um aktiv für den sog. IS zu kämpfen (ÖB Moskau 12.7.2017).

 

Ein zunehmendes Sicherheitsrisiko stellt für Russland die mögliche Rückkehr terroristischer Kämpfer nordkaukasischer Provenienz aus Syrien und dem Irak dar. Laut INTERFAX warnte FSB-Leiter Bortnikov bei einem Treffen des Nationalen Anti-Terrorismus-Komitees am 12. Dezember 2017 vor der Rückkehr militanter Kämpfer nach der territorialen Niederlage des sog. IS in Syrien, der bei dieser Gelegenheit auch konkrete Zahlen zur Terrorismusbekämpfung in Russland nannte: Im Jahresverlauf 2017 seien über 60 terroristische Verbrechen, darunter 18 Terroranschläge, verhindert worden, die Sicherheitskräfte hätten über 1.000 militante Kämpfer festgenommen, knapp 80 Personen seien neutralisiert worden. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen ist davon auszugehen, dass die Präsenz militanter Kämpfer aus Russland in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasste. Eine aktuelle Studie des renommierten Soufan-Instituts nennt Russland noch vor Saudi-Arabien als das wichtigste Herkunftsland ausländischer Kämpfer: So sollen rund 3.500 aus Russland stammen, wobei die Anzahl der Rückkehrer mit 400 beziffert wird. Anderen Analysen zufolge sollen bis zu 10% der IS-Kämpfer aus dem Kaukasus stammen, deren Radikalisierung teilweise auch in russischen Großstädten außerhalb ihrer Herkunftsregion erfolgte. Laut Präsident Putin sollen rund 9.000 Kämpfer aus dem postsowjetischen Raum stammen. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten im Nahen Osten zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2. Dezember 2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27. Juli 2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB kommuniziert, dass 220 zurückgekehrte Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen stünden. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet. In Syrien sollen über 2.000 militante Kämpfer aus Russland bzw. dem GUS-Raum getötet worden sein. Nachdem der sog. IS im Nahen Osten weitgehend bezwungen werden konnte, ist zu vermuten, dass überlebenden IS-Kämpfer nordkaukasischer Provenienz abgesehen von einer Rückkehr nach Russland entweder in andere Konfliktgebiete weiterziehen oder sich der Diaspora in Drittländern anschließen könnten. Daraus könnte sich auch ein entsprechendes Sicherheitsrisiko für Länder mit umfangreichen tschetschenischen Bevölkerungsanteilen ergeben. Prominentestes Beispiel für die terroristischen Umtriebe zwischen dem Nordkaukasus, der Diaspora in Mitteleuropa und den Kampfgebieten des sog. IS im Nahen Osten war wohl der Austro-Dschihadist tschetschenischer Provenienz namens Akhmed Chatayev, der vom Al-Qaida-Sanktionskomitee des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen wegen der Rekrutierung russischsprachiger IS-Kämpfer gelistet wurde, als Drahtzieher hinter dem verheerenden Anschlag auf den Istanbuler Flughafen vom Juni 2016 gilt und bei einer Anti-Terror-Operation in Tiflis in Georgien getötet worden ist. Deutsche Medien berichteten im Jahr 2017 über Verdachtsmomente, dass Russland die Migration von Tschetschenen nach Mitteleuropa fördern könnte, unter denen auch radikale Islamisten zu befürchten seien, um so die durch die Migrationskrise angespannte Lage weiter zu destabilisieren. Anderen Berichten zufolge könnte der russische Geheimdienst FSB mitunter als Migranten getarnte Agenten nach Mitteleuropa schleusen. Trotz des insignifikanten touristischen bzw. ökonomischen Potentials Tschetscheniens bietet die Fluglinie UTair seit Mitte 2017 wöchentliche Linienflüge zwischen München und Grozny an. Auch in der tschetschenischen Diaspora in Österreich scheint mitunter ein gewisses Naheverhältnis zum Kadyrow-Regime fortzubestehen, wie sich etwa in der Kampfsportszene zeigt (ÖB Moskau 12.2017).

 

Quellen:

 

-AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html , Zugriff .8.2018

 

-Caucasian Knot (25.1.2017): ??????? ???????? ????????? ????????? ???????? ??? ?????????????? [Kadyrow hat den tschetschenischen Sicherheitskräften erlaubt, ohne Vorwarnung zu schießen], zitiert nach: ACCORD (7.7.2017): a-10223, https://www.ecoi.net/de/dokument/1406510.html , Zugriff 9.8.2018

 

-DIS - Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 9.8.2018

 

-FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html , Zugriff 10.8.2018

 

-HRW - Human Rights Watch: Russia (26.5.2017): Anti-Gay Purge in Chechnya,

http://www.ecoi.net/file_upload/5228_1496394209_chechnya0517-web.pdf , Zugriff 9.8.2018

 

-HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/334746/476500_de.html , Zugriff 10.8.2018

 

-HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422501.html , Zugriff 10.8.2018

 

-Landinfo (8.8.2016): Temanotat Tsjetsjenia: Fremmedkrigere i Syria og Irak, http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1474548512_3394-1.pdf , Zugriff 9.8.2018

 

-Meduza (31.1.0.2017): Guilty by blood, https://meduza.io/en/feature/2017/10/31/guilty-by-blood , Zugriff 31.8.2018

 

-ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

-ÖB Moskau (12.7.2017): Information an die Staatendokumentation, Moskau-KA/ENTW/0014/2017, per Email

 

-ORF.at (9.7.2017): Tschetschenien: Polizei soll 27 Menschen hingerichtet haben, http://orf.at/stories/2398632 , Zugriff 9.8.2018

 

-RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (18.5.2016): Fearing Reprisals, Chechnya Whistle-Blower Keeps Family's Location Secret, https://www.rferl.org/a/russia-chechnya-whistle-blower-keeps-location-family-secret/27743431.html , Zugriff 9.8.2018SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (25.7.2014):

Russland: Verfolgung von Verwandten dagestanischer Terrorverdächtiger außerhalb Dagestans, http://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/europa/russland/russland-verfolgung-von-verwandten-dagestanischer-terrorverdaechtiger-ausserhalb-dagestans.pdf , Zugriff 9.8.2018

 

-Der Standard.at (14.12.2014): Tschetschenien: NGO-Büro in Grosny angezündet,

http://derstandard.at/2000009372041/Tschetschenien-NGO-Buero-in-Grosny-abgefackelt , Zugriff 9.8.2018

 

-Der Standard.at (10.7.2017): Tschetschenien: Keine Anzeige, kein Verbrechen,

http://derstandard.at/2000061093127/Keine-Anzeige-kein-Verbrechen , Zugriff 9.8.2018

 

-SWP (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf , Zugriff 9.8.2018

 

-The Telegraph (17.1.2015): Chechen leader targets families as insurgents swear loyalty to leader of Islamic State, https://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/europe/russia/11352849/Chechen-leader-targets-families-as-insurgents-swear-loyalty-to-leader-of-Islamic-State.html , Zugriff 9.8.2018

 

-US DOS - United States Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices for 2016 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/337201/479965_de.html , Zugriff 10.8.2018

 

-US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html , Zugriff 10.8.2018

 

1.4.1.7. Haftbedingungen

 

Die Bedingungen in den Haftanstalten haben sich seit Ende der 90er Jahre langsam aber kontinuierlich verbessert. Die Haftbedingungen entsprechen aber zum Teil noch immer nicht den allgemein anerkannten Mindeststandards. In dem Piloturteil-Verfahren des EGMR zum Fall Ananyev und andere v. Russland hat das Gericht festgestellt, dass die Bedingungen in den Untersuchungsgefängnissen (russ. SIZO) einer unmenschlichen und erniedrigen Behandlung gemäß Art. 3 EMRK entsprechen, und das Problem systemischer Natur ist (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). 2012 legte Russland einen Aktionsplan zur Bekämpfung der Probleme im Strafvollzug vor, der vom Ministerkomitee des Europarates positiv aufgenommen wurde. Konkrete Schritte zur Verbesserung der Situation, insbesondere in den Untersuchungsgefängnissen, werden jedoch nur schleppend umgesetzt. Im März 2017 veröffentlichte die Föderale Strafvollzugsbehörde (FSIN) einen Bericht, laut welchem die Zahl der Selbstmorde und der Erkrankungen mit direkter Todesfolge auf Grund verbesserter Bedingungen im Jahr 2016 um 12 bzw. 13% gesunken ist, Menschenrechtsverteidiger äußerten jedoch Zweifel an diesen Zahlen (ÖB Moskau 12.2017). Die häufigsten Vorwürfe betrafen die schlechten hygienischen Zustände, den Mangel an medizinischer Betreuung, den akuten Platzmangel (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, FH 1.2018) und Misshandlungen durch Aufsichtspersonen (FH 1.2018, vgl. US DOS 20.4.2018). Amnesty International übte Kritik an der häufig vorkommenden Verbringung von Häftlingen in weit entfernte Strafkolonien unter dürftigen Transportbedingungen (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AI 22.2.2018). Zum Jahresende 2017 waren laut offiziellen Daten etwas über 600.000 Personen in Haft. Die Anzahl an inhaftierten Personen erreichte bereits im Jänner 2017 einen historischen Tiefstand. Derzeit nimmt Russland weltweit den vierten Platz der größten Häftlingspopulationen ein (nach den USA, China und Brasilien). Dies entspricht einer Quote von 420 pro 100.000 Einwohner (Platz 15 weltweit) (ÖB Moskau 12.2017). Die Regierung ist bestrebt, die Zahl der Gefängnisinsassen noch weiter zu verringern. So gibt es Ansätze, vermehrt alternative Sanktionen (wie beispielsweise im Bereich der Drogendelikte ein Gesetzentwurf zu freiwilliger Entziehungstherapie oder Arbeitseinsatz statt Freiheitsstrafe) zu verhängen, um die Anzahl der Strafgefangenen zu verringern. Die Lage in den Strafkolonien ist sehr unterschiedlich; sie reicht von Strafkolonien mit annehmbaren Haftbedingungen bis zu solchen, die laut NGOs als "Folterkolonien" berüchtigt seien. Hauptprobleme sind Überbelegung (in Moskau, weniger in den Regionen), qualitativ schlechtes Essen und veraltete Anlagen mit den einhergehenden hygienischen Problemen. Bausubstanz und sanitäre Bedingungen in den russischen Haftanstalten entsprechen nicht westeuropäischen Standards. Die Unterbringung der Häftlinge erfolgt oft in Schlafsälen von über 40 Personen und ist häufig sehr schlecht. Duschen ist in der Regel nur einmal wöchentlich möglich. In den Strafkolonien schützt die Unterbringung in Gruppen den einzelnen Häftling am ehesten vor schikanöser Behandlung durch das Gefängnispersonal. Laut Menschenrechtsorganisationen kann jedoch in allen Strafkolonien gegen Häftlinge, denen Verstöße gegen die Anstaltsregeln vorgeworfen werden, sogenannte Strafisolierhaft (Schiso) angeordnet werden. Häftlinge sind in dieser Isolationshaft oft besonders üblen Haftbedingungen und unmenschlicher Behandlung. Die medizinische Versorgung ist ebenfalls unbefriedigend. Ein Großteil der Häftlinge bedarf medizinischer Versorgung. Sowohl von TBC- als auch HIV-Infektionen in bemerkenswertem Umfang wird berichtet. Problematisch ist ebenso die Zahl der drogenabhängigen oder psychisch kranken Inhaftierten. Todesfälle wegen unterlassener medizinischer Hilfeleistung sollen vorkommen. Die Haftbedingungen in den Untersuchungshaftanstalten sind laut NGOs deutlich besser als in den Strafkolonien (qualitativ besseres Essen, frische Luft, wenig Foltervorwürfe). Hauptproblem ist u.a. die Überbelegung. Trotz rechtlich vorgesehener Höchstdauer stellten die Gerichte Notwendigkeit und Dauer der U-Haft nicht in Frage und verlängerten die Haft in Einzelfällen über Jahre (AA 21.5.2018).

 

Im Allgemeinen sind die Haftbedingungen von Frauengefängnissen besser als in Männergefängnissen, aber auch diese sind unzulänglich. Es gibt 13 Einrichtungen, in denen auch Kleinkinder von Insassinnen leben können (US DOS 20.4.2018).

 

Russland erweiterte Anfang 2017 seinen Strafkatalog: Künftig können Richter bei einigen Vergehen statt einer Haftstrafe Zwangsarbeit anordnen. Die russische Gefängnisbehörde FSIN eröffnet im Januar vier "Besserungszentren" - in Sibirien, Russlands Fernost, im Kaukasus und im Wolgagebiet - und sieben Aufnahmepunkte für Zwangsarbeiter. Insgesamt bieten sie zunächst einmal 900 Verurteilten Platz. Im Gegensatz zur Haftstrafe seien die Täter "nicht von der Gesellschaft isoliert", betonte der Vizedirektor der FSIN Waleri Maximenko. Sie könnten Telefon und Internet benutzen, einen Teil des verdienten Geldes behalten, einen normalen Arzt aufsuchen und nach Verbüßung von einem Drittel der Strafe auch außerhalb der Zentren mit ihren Familien zusammenleben - vorausgesetzt, sie verstoßen weder gegen ihre Arbeitspflicht noch gegen andere Auflagen: Der Konsum von Alkohol und Drogen zieht die Umwandlung der Zwangsarbeit in Haft nach sich (Handelsblatt 2.1.2017; vgl. auch Standard.at 10.1.2017).

 

Laut Berichten einzelner NGOs müssen Nordkaukasier in Haftanstalten außerhalb des Nordkaukasus mit Diskriminierung rechnen, was sich zum einen aus einer grundsätzlich negativen Einstellung gegenüber Nordkaukasiern speist, zum anderen darin begründet ist, dass russische Veteranen des Tschetschenienkrieges überproportional im Strafvollzug beschäftigt sind. In den Fällen, in denen die Strafverfolgung nicht sachfremd motiviert ist, oder die Sicherheitsbehörden kein besonderes Interesse haben, d.h. im Bereich "normaler" Kriminalität, kann davon ausgegangen werden, dass Strafverfahren in nordkaukasischen Regionen mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung (Karatschai-Tscherkessien, Kabardino-Balkarien, Inguschetien, Tschetschenien, Dagestan) ähnlich wie im Rest der Republik verlaufen. Für muslimische Inhaftierte gestalten sich die Haftbedingungen besser als im Durchschnitt Russlands, die Möglichkeit zur freien Religionsausübung ist für Muslime im Gegensatz zum (christlichen) Rest der Russischen Föderation gewährleistet. Zudem gelten die materiellen Bedingungen in den offiziellen Haftanstalten in Tschetschenien i. d. R. als besser als in vielen sonstigen russischen Haftanstalten. Für tschetschenische Straftäter, an denen die Sicherheitsbehörden kein besonderes "sachfremdes" Interesse haben, dürften sich ein Gerichtsstand und eine Haftverbüßung in Tschetschenien i.d.R. eher günstig auswirken, da sie neben den besseren materiellen Bedingungen auch auf den Schutz der in Tschetschenien prägenden Clanstrukturen setzen können. Dementsprechend haben tschetschenische Straftäter in der Vergangenheit wiederholt ihre Überstellung nach Tschetschenien betrieben (AA 21.5.2018).

 

Die öffentlichen Aufsichtskommissionen, die der unabhängigen Überwachung der Haftanstalten dienten, verloren weiter an Bedeutung und erzielten kaum Wirkung, nicht zuletzt wegen ihrer chronischen Unterfinanzierung. Die Mitglieder der Kommissionen wurden von öffentlichen Kammern ernannt, bei denen es sich um beratende Gremien handelte, die sich aus staatlich ausgewählten Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen zusammensetzten. Eine Änderung der Ernennungsregeln führte dazu, dass einige Aufsichtskommissionen weniger Mitglieder umfassten. Dies wirkte sich zum Teil auf die Unabhängigkeit der Kommissionen aus, weil bestimmte Menschenrechtsverteidiger faktisch von einer Mitwirkung ausgeschlossen waren. Es gab Berichte, wonach Mitgliedern der öffentlichen Aufsichtskommissionen und des Menschenrechtsrats des Präsidenten sowie anderen unabhängigen Beobachtern der Zugang zu Strafkolonien von der jeweiligen Gefängnisverwaltung willkürlich verweigert wurde (AI 22.2.2018).

 

Quellen:

 

-AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

-AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html , Zugriff 21.8.2018

 

-FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html , Zugriff 21.8.2018

 

-Handelsblatt (2.1.2017): Zwangsarbeit statt Knast, http://www.handelsblatt.com/politik/international/russlands-neuer-strafenkatalog-zwangsarbeit-statt-knast/19195230.html , Zugriff 4.7.2017

 

-ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

-Standard.at (10.1.2017): Zwangsarbeit statt Haft in Russland, http://derstandard.at/2000050437057/Zwangsarbeit-statt-Knast-in-Russland , Zugriff 4.7.2017

 

-US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html , Zugriff 17.8.2018

 

1.4.1.8. Religionsfreiheit

 

Art. 28 der Verfassung garantiert Gewissens- und Glaubensfreiheit. Christentum, Islam, Buddhismus und Judentum haben dabei eine herausgehobene Stellung. Art. 14 der Verfassung schreibt die Trennung von Staat und Kirche fest. Die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) erhebt Anspruch auf einen Vorrang unter den Religionsgemeinschaften und auf "Symphonie" mit der Staatsführung. Sie propagiert ihren Wertekanon als Basis einer neuen "nationalen Idee". Faktisch wird sie vom Staat bevorzugt behandelt. Der Islam ist eine der traditionellen Hauptreligionen Russlands. In der Russischen Föderation leben rund 20 Millionen Muslime. Der Islam in Russland ist grundsätzlich von Toleranz gegenüber anderen Religionen geprägt. Radikalere, aus dem Nahen und Mittleren Osten beeinflusste Gruppen stehen insbesondere im Nordkaukasus unter scharfer Beobachtung der Behörden (AA 21.5.2018). Auch andere Religionsgemeinschaften können in Russland legal bestehen, müssen sich aber registrieren lassen. Seit Ende der Achtziger Jahre hat der Anteil der Gläubigen im Zuge einer "religiösen Renaissance" bedeutend zugenommen. Allerdings bezeichnen sich laut Meinungsumfragen rund 50% der Bevölkerung als ungläubig. Zwar gibt es in Russland einen hohen Grad der Wertschätzung von Kirche und Religiosität, dies bedeutet aber nicht, dass die Menschen ihr Leben nach kirchlichen Vorschriften führen. Offizielle Statistiken zur Zahl der Gläubigen verschiedener Konfessionen gibt es nicht, und die Zahlen in den meisten Quellen unterscheiden sich erheblich. Die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) ist heute die mit Abstand größte und einflussreichste Religionsgemeinschaft in Russland. Seit der Unabhängigkeit der Russischen Föderation ist sie zu einer äußerst gewichtigen gesellschaftlichen Einrichtung geworden. Die Verluste an Gläubigen und Einrichtungen, die sie in der Sowjetzeit erlitt, konnte sie zu einem großen Teil wieder ausgleichen. Die ROK hat ein besonderes Verhältnis zum russischen Staat, z.B. ist der Patriarch bei wichtigen staatlichen Anlässen stets anwesend. Die ROK versteht sich als multinationale Kirche, die über ein "kanonisches Territorium" verfügt. Es erstreckt sich über die GUS-Staaten mit der Ausnahme von Armenien, wo es eine eigene orthodoxe Kirche gibt. Über die Zahl der Angehörigen der ROK gibt es nur Schätzungen, die zwischen 50 und 135 Millionen Gläubigen schwanken. Wer heute in Russland seine Zugehörigkeit zur orthodoxen Kirche herausstellt, macht damit deutlich, dass er zur russischen Tradition steht. Das Wiedererwachen des religiösen Lebens in Russland gibt regelmäßig Anlass zu Diskussionen um die Rolle der Russisch-Orthodoxen Kirche in der Gesellschaft und ihr Verhältnis zum Staat. Bei den traditionell religiös orientierten ethnischen Minderheiten Russlands findet man Anhänger des Islam und des Buddhismus, des Schamanismus und Judaismus, des protestantischen und katholischen Glaubens. Der Islam ist die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft in Russland. Die Muslime sind in der Regel Baschkiren, Tataren, Tschuwaschen, Tschetschenen und Angehörige anderer Kaukasusvölker. Sie werden durch die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Europäischen Teils Russlands und Sibiriens sowie die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Nordkaukasus vertreten. Die Zahl der russischen Muslime wird offiziell mit 14,5 Millionen angegeben. Die Vertreter der islamischen Gemeinde sprechen von mehr als 20 Millionen Mitgliedern. Alle anderen Religionen, wie Buddhismus (ca. 600.000 Gläubige) - zu dem sich Burjaten, Kalmyken, Tuwa und andere Bevölkerungsgruppen in den Gebieten Irkutsk und Tschita bekennen - und Judentum (ca. 200.000 Gläubige), haben nur geringe Bedeutung. Von den christlichen Kirchen sind die katholische Kirche, die evangelisch-lutherische Kirche sowie eine Reihe von Freikirchen (vor allem Baptisten) in Russland vertreten. Sie sind im europäischen Russland und in Sibirien präsent (GIZ 7.2018c, vgl. SWP 4.2013).

 

Bestimmte religiöse Gruppen wie die Zeugen Jehovas, Scientology oder Falun Gong sind aufgrund ihres Glaubens zur Zielscheibe der russischen Behörden geworden. Auch hier stützt man sich vor allem auf das Extremismusgesetz [das sogenannte Yarovaya-Gesetz] (ÖB Moskau 12.2017). Im Zuge dieser Extremismusgesetzgebung wurden unter anderem auch private religiöse Reden kriminalisierten (USCIRF 4.2018) und es wird benutzt, um religiöse Gruppen zu unterdrücken und wegen Extremismus zu bekämpfen (FH 1.2018). Die NGO Sova sieht als Hauptgründe der exzessiven Implementierung des Gesetzes einerseits die schlechte Schulung von Polizeibeamten, andererseits den Missbrauch der Rechtsvorschrift zum Vorgehen gegen oppositionelle bzw. unabhängige Aktivisten (ÖB Moskau 12.2017). Seit Juli 2016 wurden über 100 religiöse Aktivisten mit Bußgeldern belegt, weil sie entweder ohne Genehmigung gepredigt hatten, oder religiöse Literatur ohne Anführen des Namens des Vertreibers verteilten (HRW 18.1.2018).

 

Besonders Muslime, die in Verdacht stehen, extremistisch zu sein, sind von strengen Strafen betroffen (USCIRF 4.2018), aber auch moderate muslimische Organisationen sehen sich stärkeren Kontrollen ausgesetzt. Im Jahr 2015 wurde in der Staatsduma ein Gesetz angenommen, der dieKontrolle des Justizministeriums über die Finanzflüsse religiöser Organisationen erhöhen soll. Gruppen, die aus dem Ausland Gelder oder sonstige Vermögenswerte erhalten, werden in Zukunft den Behörden mehr Informationen vorlegen müssen. Im Zuge der Verschärfung der anti-extremistischen Gesetzgebung im Juni 2016 wurden auch die Auflagen für Missionstätigkeiten außerhalb religiöser Institutionen präzisiert (ÖB Moskau 12.2017).

 

Am 20.4.2017 billigte das Oberste Gericht Russlands einen Antrag des Justizministeriums, in dem die russische Zentrale der Zeugen Jehovas als extremistische Gruppe eingestuft wurde, die die Bürgerrechte sowie die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedrohe. Von dem Verbot sind alle 395 Regionalverbände des Landes betroffen. Ihr Besitz wird beschlagnahmt. Die Zeugen Jehovas können somit für die Ausübung ihres Glaubens strafrechtlich verfolgt werden (AA 21.5.2018, vgl. AI 22.2.2018, HRW 18.1.2018).

 

Quellen:

 

-AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

-AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html , Zugriff 21.8.2018

 

-FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html , Zugriff 21.8.2018

 

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 21.8.2018

 

-HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422501.html , Zugriff 21.8.2018

 

-ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2013): Muslime in der Russischen Föderation,

http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2013A24_hlb.pdf , Zugriff 21.8.2018

 

-USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom(4.2018): 2018 Annual Report., Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/1435641/1226_1529394241_tier1-russia.pdf , Zugriff 21.8.2018

 

1.4.1.9. Ethnische Minderheiten

 

Russland ist ein multinationaler Staat, in dem Vertreter von mehr als hundert Völkern leben. Die Russen stellen mit 79,8% die Mehrheit der Bevölkerung. Größere Minderheiten sind die Tataren (4,0%), die Ukrainer (2,2%), die Armenier (1,9%), die Tschuwaschen (1,5%), die Baschkiren (1,4%), die Tschetschenen (0,9%), die Deutschen (0,8%), die Weißrussen und Mordwinen (je 0,6%), Burjaten (0,3%) und andere. Vielfach ist die Verflechtung zwischen den nichtrussischen und russischen Bevölkerungsteilen durch gemischte Ehen und interethnische Kommunikation recht hoch, ebenso der Russifizierungsgrad der nichtrussischen Bevölkerungsteile. Nur wenige nationale Gebietseinheiten, wie Tschetschenien, Dagestan, Tschuwaschien und Tuwa, sind stärker vom namensgebenden Ethnos geprägt. Russisch ist die einzige überall geltende Amtssprache. Parallel dazu wird in den einzelnen autonomen Republiken die jeweilige Volkssprache als zweite Amtssprache verwendet (GIZ 7.2018c).

 

Die Verfassung garantiert gleiche Rechte und Freiheiten unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache und Herkunft. Entsprechend bemüht sich die Zentralregierung zumindest in programmatischen Äußerungen um eine ausgleichende Nationalitäten- und Minderheitenpolitik, inklusive der Förderung von Minderheitensprachen im Bildungssystem. Fremdenfeindliche und rassistische Ressentiments sind in der Bevölkerung und in den Behörden weit verbreitet. Sie richten sich insbesondere gegen Kaukasier und Zentralasiaten. Die Menschenrechtsorganisation Sova verzeichnete für Januar - Oktober 2016 fünf Tote und 47 Verletzte aufgrund rassistisch motivierter Gewalttaten (AA 21.5.2018).

 

Im Nordkaukasus ist die ethnische, kulturelle und sprachliche Vielfalt beeindruckend groß. Deshalb, sowie hinsichtlich der räumlichen Gliederung und der politischen, kulturellen und religiösen Geschichte seiner Volksgruppen stellt der Nordkaukasus die ethnisch am stärksten differenzierte Region der Russischen Föderation dar. Gerne wird sie als "ethnischer Flickenteppich" bezeichnet (Rüdisser 11.2012).

 

Quellen:

 

-AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 24.8.2018

 

-Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds

 

1.4.1.10. Bewegungsfreiheit

 

In der Russischen Föderation herrscht Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes, als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung (US DOS 20.4.2018). Somit steht Tschetschenen, genauso wie allen russischen Staatsbürgern [auch Inguschen, Dagestaner etc.] das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort [temporäre Registrierung] und ihren Wohnsitz [permanente Registrierung] melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen (AA 21.5.2018). Einige regionale Behörden schränken die Registrierung von vor allem ethnischen Minderheiten und Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien ein (FH 1.2018, vgl. US DOS 20.4.2018) [bez. Registrierung vgl. Kapitel 19.1 Meldewesen].

 

Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich problemlos in andere Teile der Russischen Föderation reisen. Sie treffen allerdings immer noch auf anti-kaukasische Stimmungen (AA 21.5.2018, vgl. ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH 2017).

 

Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses oder anerkannten Passersatzdokuments wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine administrative Strafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 21.5.2018).

 

Personen, die innerhalb des Landes reisen, müssen ihre Inlandspässe zeigen, wenn sie Tickets kaufen wollen für Reisen via Luft, Schienen, Wasser und Straßen. Dies gilt nicht für Pendler (US DOS 20.4.2018, vgl. FH 1.2018). Der Inlandspass ermöglicht auch die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme und die Eröffnung eines Bankkontos (AA 21.5.2018, vgl. FH 1.2018).

 

Nach Angaben des Leiters der Pass- und Visa-Abteilung im tschetschenischen Innenministerium haben alle 770.000 Bewohner Tschetscheniens, die noch die alten sowjetischen Inlandspässe hatten, neue russische Inlandspässe erhalten (AA 24.1.2017).

 

Quellen:

 

-AA - Auswärtiges Amt (24.1.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

-AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

-ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH (International Federation for Human Rights) (2017): Racism, Discrimination and Fight Against "Extremism" in Contemporary Russia and its Controlled Territories. Alternative Report on the Implementation of the UN Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination by the Russian Federation, https://www.fidh.org/IMG/pdf/cerdengen.pdf , Zugriff 30.8.2018

 

-FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html , Zugriff 22.8.2018

 

-US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html , Zugriff 22.8.2018

 

1.4.1.10.a. Meldewesen

 

Gegen Jahresmitte 2016 wurde der Föderale Migrationsdienst (FMS), der für die Registrierung verantwortlich war, aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert (ÖB Moskau 12.2016). Die neue Behörde, die die Aufgaben des FMS übernommen hat, ist die Hauptverwaltung für Migrationsfragen (General Administration for Migration Issues - GAMI) (US DOS 3.3.2017).

 

Laut Gesetz müssen sich Bürger der Russischen Föderation an ihrem permanenten und temporären Wohnort registrieren (EASO 8.2018). Die Registrierung ist nichts anderes als eine Benachrichtigung für die Behörde wo eine Person wohnt und funktioniert relativ problemlos (DIS 1.2015, vgl. EASO 8.2018). Die Registrierung des Wohnsitzes erfolgt entweder in einer lokalen Niederlassung des Innenministeriums (MVD), über das Onlineportal für öffentliche Dienstleistungen "Gosuslugi" oder per Email (nur für die temporäre Registrierung). Man kann neben einer permanenten Registrierung auch eine temporäre Registrierung haben, z.B. in einem Hotel, in einer medizinischen Einrichtung, in einem Gefängnis, in einer Wohnung etc. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit den Hauptwohnsitz zu ändern. Hierzu muss man die permanente Registrierung innerhalb von sieben Tagen ändern. Um sich zu registrieren braucht man einen Pass, einen Antrag für die Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man berechtigt ist, sich an einer bestimmten Adresse zu registrieren, wie z.B. einen Mietvertrag. Die permanente Registrierung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt. Die Beendigung einer permanenten Registrierung muss von der jeweiligen Person veranlasst werden. Dies muss aber nicht bei den Behörden an der alten Adresse geschehen, sondern kann von der neuen Adresse beantragt werden. Auch die Beendigung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt (EASO 8.2018).

 

Wenn eine Person vorübergehend an einer anderen Adresse als dem Hauptwohnsitz (permanente Registrierung) wohnt, muss eine temporäre Registrierung gemacht werden, wenn der Aufenthalt länger als 90 Tagen dauert. Die Registrierung einer temporären Adresse beeinflusst die permanente Registrierung nicht. Für die temporäre Registrierung braucht man einen Pass, einen Antrag für temporäre Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man zur Registrierung berechtigt ist. Nach der Registrierung bekommt man ein Dokument, das die temporäre Registrierung bestätigt. Die temporäre Registrierung endet automatisch mit dem Datum, das man bei der Registrierung angegeben hat. Eine temporäre Registrierung in Hotels, auf Camping-Plätzen und in medizinischen Einrichtungen endet automatisch, wenn die Person die Einrichtung verlässt. Wenn eine Person früher als geplant den temporären Wohnsitz verlässt, sollten die Behörden darüber in Kenntnis gesetzt werden (EASO 8.2018).

 

Eine Registrierung ist für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt (BAA 12 .2011, vgl. US DOS 20.4.2018).

 

Es kann für alle Bürger der Russischen Föderation zu Problemen beim Registrierungsprozess kommen. Es ist möglich, dass Migranten aus dem Kaukasus zusätzlich kontrolliert werden (ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH 2017). In der Regel ist die Registrierung für Tschetschenen aber kein Problem, auch wenn es möglicherweise zu Diskriminierung oder korrupten Verhalten seitens der Beamten kommen kann. Im Endeffekt bekommen sie die Registrierung (DIS 1.2015, vgl. EASO 8.2018).

 

Quellen:

 

-ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH (International Federation for Human Rights) (2017): Racism, Discrimination and Fight Against "Extremism" in Contemporary Russia and its Controlled Territories. Alternative Report on the Implementation of the UN Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination by the Russian Federation, https://www.fidh.org/IMG/pdf/cerdengen.pdf , Zugriff 30.8.2018

 

-BAA Staatendokumentation (12.2011): Forschungsaufenthalt der Staatendokumentation. Bericht zum Forschungsaufenthalt Russische Föderation - Republik Tschetschenien

 

-DIS - Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 29.8.2018

 

-EASO - European Asylum Support Office (8.2018): Country of Origin Information Report Russian Federation. The situation for Chechens in Russia,

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/Plib/Chechens_in_RF.pdf , Zugriff 30.8.2018

 

-ÖB Moskau (12.2016): Asylländerbericht Russische Föderation

 

-US DOS - United States Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices for 2016 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/337201/479965_de.html , Zugriff 22.8.2017

 

1.4.1.10.b. Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens

 

Die Bevölkerung Tschetscheniens schrumpft seit einigen Jahren, vor allem durch Abwanderung. Zwischen 2008 und 2015 haben laut offiziellen Zahlen 150.000 Tschetschenen die Republik verlassen. Sie ziehen sowohl in andere Regionen in der Russischen Föderation als auch ins Ausland. Als Gründe für die Abwanderung werden ökonomische, menschenrechtliche und gesundheitliche Gründe genannt. In Tschetschenien arbeiten viele Personen im informellen Sektor und gehen daher zum Arbeiten in andere Regionen, um Geld nach Hause schicken zu können. Tschetschenen leben überall in der Russischen Föderation. Laut der letzten Volkszählung von 2010 leben die meisten Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens z.B. in Moskau (über 14.000 Personen), in Inguschetien (knapp 19.000 Personen) in der Rostow Region (über 11.000 Personen), in Stawropol Krai (knapp 12.000 Personen), in Dagestan (über 9.000 Personen), in der Wolgograd Region (knapp 10.000 Personen) und in der Astrachan Region (über 7.000 Personen). Die Zahlen sind aber nicht sehr verlässlich, da bei der Volkszählung ein großer Teil der Bevölkerung nicht ihre Nationalität angab. Beispielsweise soll die tschetschenische Bevölkerung in der Wolgograd Region um das doppelte höher sein, als die offiziellen Zahlen belegen. Viele Tschetschenen leben dort seit 30 Jahren und sind in unterschiedlichsten Bereichen tätig. In St. Petersburg beispielsweise sollen laut Volkszählung knapp 1.500 Tschetschenen leben, aber allein während des zweiten Tschetschenienkrieges (1999-2009) kamen 10.000 Tschetschenen, um in St. Petersburg zu leben und zu arbeiten, da es in Tschetschenien einen Mangel an Arbeitsplätzen gibt. Die soziale Zusammensetzung der tschetschenischen Bevölkerung dort ist unterschiedlich, aber die meisten sprechen ihre Landessprache und halten die nationalen Traditionen hoch. Unter den Tschetschenen in St. Petersburg gibt es Geschäftsmänner, Sicherheitsbeamte, Rechtsanwälte, McDonald's Franchisenehmer, aber auch Ärzte, Universitätsprofessoren und Maler. Viele arbeiten im Baugewerbe und im Ölgeschäft, zumeist in mittleren Betrieben, oder besitzen ein eigenes Geschäft oder eine Firma. Tschetschenen in St. Petersburg sehen sich selbst nicht unbedingt als eine engmaschige Diaspora. Sie werden eher durch kulturelle Aktivitäten, die beispielsweise durch die offizielle Vertretung der tschetschenischen Republik oder den sogenannten "Vaynakh-Kongress" (eine Organisation, die oft auch als "tschetschenische Diaspora" bezeichnet wird) veranstaltet wird, zusammengebracht. Auch in Moskau ist die Zahl der Tschetschenen um einiges höher, als die offiziellen Zahlen zeigen. Gründe hierfür sind, dass viele Tschetschenen nicht an Volkszählungen teilnehmen wollen, oder auch, dass viele Tschetschenen zwar in Moskau leben, aber in Tschetschenien ihren Hauptwohnsitz registriert haben [vgl. hierzu Kapitel 19. Bewegungsfreiheit, bzw. 19.1. Meldewesen] (EASO 8.2018). Außerdem ist es schwieriger eine Registrierung in Moskau oder beispielsweise in St. Petersburg zu erlangen, als in anderen Regionen. Dies gilt aber nicht nur für Tschetschenen (DIS 8.2012). Tschetschenen in Moskau arbeiten oft in der Automobil-, Hotel-, und Restaurantbranche. Viele besitzen auch Tankstellen, oder arbeiten im Baugewerbe und im Taxigeschäft (EASO 8.2018).

 

Die Heterogenität und Dynamik des politischen und religiösen Machtgefüges in Tschetschenien prägen die oppositionellen Strömungen in Inland sowie die Diaspora im Ausland. Überdies wirken sozio-ökonomische Motive als bedeutende ausschlaggebende Faktoren für die Migration aus dem Nordkaukasus. Trotz der Rhetorik des tschetschenischen Oberhauptes gilt dessen Machtentfaltung außerhalb der Grenzen der Teilrepublik als beschränkt, und zwar nicht nur formell im Lichte der geltenden russischen Rechtsordnung, sondern auch faktisch durch die offenkundige Konkurrenz zu den föderalen Sicherheitskräften (ÖB Moskau 12.2017). Viele Personen innerhalb der Elite, einschließlich der meisten Leiter des Sicherheitsapparates misstrauen und verachten Kadyrow (Al Jazeera 28.11.2017). Allein daraus ist zu folgern, dass die umfangreiche tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands nicht unter der unmittelbaren Kontrolle von Kadyrow steht. Wie konkrete Einzelfälle aus der Vergangenheit zeigen, können kriminelle Akte gegen explizite Regimegegner im In- und Ausland allerdings nicht gänzlich ausgeschlossen werden (ÖB Moskau 12.2017).

 

In vielen Regionen gibt es offizielle Vertretungen der tschetschenischen Republik, die kulturelle und sprachliche Programme organisieren und auch die Rechte von einzelnen Personen schützen. Es wird berichtet, dass Kadyrow in Moskau jederzeit auf 1.000 bis 2.000 bewaffnete Männer zurückgreifen und weitere 20.000 relativ einfach hinzuziehen können soll (Telegraph 24.2.2016). Auch soll es einige hundert tschetschenische Sicherheitsbeamte in Moskau geben, die illegale Aktivitäten ausüben (New York Times 17.8.2017). In Moskau soll es außerdem einen bewaffneten Trupp von ca. 30 tschetschenischen Bodyguards geben. Gegen den Anführer dieses Trupps soll es Strafverfahren wegen eines bewaffneten Vorfalls, Kidnapping und Folter gegeben haben, es wurden jedoch alle Ermittlungen eingestellt, da er Beziehungen zur Regierung haben soll (EASO 8.2018). Es scheint, als hätten die föderalen Exekutivkräfte wenig Handhabe gegen Kadyrow bzw. seine Leute (EASO 8.2018).

 

Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen (AA 21.5.2018). Es kann sein, dass die tschetschenischen Behörden nicht auf diese offiziellen Kanäle zurückgreifen, da diese häufig lang dauern und so ein Fall muss auch schlüssig begründet sein (DIS 1.2015). Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor Ramzan Kadyrow nicht sicher. Bewaffnete Kräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind etwa auch in Moskau präsent (AA 21.5.2018).

 

Was die sozio-ökonomischen Grundlagen für die tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands betrifft, ist davon auszugehen, dass die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen in der Russischen Föderation trotz der vergangenen Wirtschaftskrise bei vorhandener Arbeitswilligkeit auch entsprechende Chancen für russische Staatsangehörige aus der eher strukturschwachen Region des Nordkaukasus bieten. Parallel dazu zeigt sich die russische Regierung bemüht, auch die wirtschaftliche Entwicklung des Nordkaukasus selbst voranzutreiben, unter anderem auch durch Ankurbelung ausländischer Investitionstätigkeit (ÖB Moskau 12.2017).

 

Quellen:

 

-AA - Auswärtiges Amt (24.1.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

-Al Jazeera (28.11.2017): Is Chechnya's Kadyrov really 'dreaming' of quitting?

https://www.aljazeera.com/indepth/opinion/chechnya-kadyrov-dreaming-quitting-171128063011120.html , Zugriff 31.8.2018

 

-EASO - European Asylum Support Office (8.2018): Country of Origin Information Report Russian Federation. The situation for Chechens in Russia,

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/Plib/Chechens_in_RF.pdf , Zugriff 30.8.2018

 

-DIS - Danish Immigration Office (8.2012): Chechens in the Russian Federation - residence registration, racially motivated violence and fabricated criminal cases,

https://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/01750EB0-C5B1-425C-90A7-3CE3B580EEAA/0/chechens_in_the_russian_federation.pdf , Zugriff 30.8.2018

 

-DIS - Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 31.8.2018

 

-New York Times (17.8.2017): Is Chechnya Taking Over Russia? https://www.nytimes.com/2017/08/17/opinion/chechnya-ramzan-kadyrov-russia.html?ref=opinion , Zugriff 31.8.2018

 

-ÖB Moskau (12.2016): Asylländerbericht Russische Föderation

 

-Telegraph (24.2.2016): Ramzan Kadyrov: Putin's 'sniper' in Chechnya,

http://s.telegraph.co.uk/graphics/projects/Putin-Ramzan-Kadyrov-Boris-Nemtsov-Chechnya-opposition-Kremlin/index.html , Zugriff 31.8.2018

 

1.4.1.11. Grundversorgung

 

2016 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland ca. 75,5 Millionen, somit ungefähr 64% der Gesamtbevölkerung. Der Frauenanteil an der erwerbstätigen Bevölkerung beträgt knapp 49%. Die Arbeitslosenrate liegt bei 5,3% (WKO 4.2017), diese ist jedoch abhängig von der jeweiligen Region (IOM 2017).

 

Russland ist einer der größten Rohstoffproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der Weltgasreserven (25,2%), circa 6,3% der Weltölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19%) über bedeutende Ressourcen. Die mangelnde Diversifizierung der russischen Wirtschaft führt zu einer überproportional hohen Abhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung von den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Rohstoffe stehen für ca. 80% der Exporte und finanzieren zu rund 50% den Staatshaushalt. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund 10% des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland der VR China an. Im Index of Economic Freedom nimmt Russland 2018 den 107. Platz unter 180 Ländern ein. Das schlechte Investitionsklima schlägt sich in einer niedrigen Rate ausländischer Investitionen nieder. Bürokratie, Korruption und Rechtsunsicherheit bremsen die wirtschaftliche Entwicklung aus. Seit Anfang 2014 hat die Landeswährung mehr als ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Euro verloren, was unter anderem an den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise und dem fallenden Ölpreis liegt. Durch den Währungsverfall sind die Preise für Verbraucher erheblich gestiegen, die Inflationsrate betrug Ende 2015 ca. 15%. 2015 geriet die russische Wirtschaft in eine schwere Rezession. Nach dem BIP-Rückgang um 3% 2015 und dem weiteren BIP-Rückgang um 0,2% 2016 wurde für 2017 eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um ca. 2% prognostiziert (GIZ 6.2018b).

 

Nach zwei Jahren in der Rezession ist die russische Konjunktur auf einem Pfad der langsamen Erholung. Zwar stiegen das Durchschnittseinkommen (38.040 Rubel im August 2017) und die Durchschnittsrente (12.934 RUB im August 2017). Bedingt durch die hohe Inflationsrate und die Erhöhung der kommunalen Abgaben sanken jedoch die real verfügbaren Einkommen (6% im 2016) und die Armutsrate bleibt hoch. Die soziale Lage in Russland ist weiterhin angespannt. Mehr als 15% der russischen Bevölkerung leben unterhalb der absoluten Armutsgrenze. Das per Verordnung bestimmte monatliche Existenzminimum liegt mit 10.329 Rubel (2. Quartal 2017) weit unter dem Wert, der faktisch zum Überleben notwendig ist. Auffällig ist, dass der Mindestlohn mit 7.800 Rubel sogar die Grenze des Existenzminimums unterschreitet. Lediglich 7% der Bevölkerung verfügen über ein monatliches Einkommen von mehr als 60.000 Rubel. 39% des russischen BIP entstehen in der Schattenwirtschaft. Im 1. Quartal 2017 waren bis zu 63% der Bevölkerung armutsgefährdet. Dies kann nur teilweise durch die Systeme der sozialen Absicherung aufgefangen werden. Diese Verarmungsentwicklung ist vorwiegend durch extrem niedrige Löhne verursacht. Ungünstig ist die Arbeitsmarktstruktur. Der größte Teil der Beschäftigten arbeitet im öffentlichen Dienst oder in Unternehmen, die ganz oder teilweise dem Staat gehören. Nur 26% aller Beschäftigten arbeiten in privaten Unternehmen. Ein weiteres Spezifikum der russischen Lohnpolitik ist der durchschnittliche Lohnverlust von 15-20% für Arbeitnehmer ab dem 45. Lebensjahr. Sie gelten in den Augen von Arbeitgebern aufgrund fehlender Fortbildung als unqualifiziert und werden bei den Sonderzahlungen und Lohnanpassungen nicht berücksichtigt. Dieser Effekt wird durch eine hohe Arbeitslosenquote (21%) bei den über 50-Jährigen verstärkt. Folglich müssen Arbeitnehmer bis zum 44. Lebensjahr jede Chance zum Vermögensaufbau nutzen, um sich vor Altersarmut zu schützen. Auch bei Migranten wird beim Lohn gespart. Sie verdienen öfters nur den Mindestlohn (AA 21.5.2018).

 

Die Lage der Rentner (29,5 % der russischen Bevölkerung) ist stabil, aber prekär (Rentenniveau: 30% des letzten Einkommens). In den ersten fünf Monaten 2017 waren die Altersrenten zwar um 7,6% höher als 2016, dies war aber die kumulierte Auswirkung von inflationsausgleichenden Indexierungen und einer einmaligen Sonderzahlung von 5.000 Rubel im Jänner 2017. Durch letztere stiegen die Renten einmalig um 37,3% und das Vermögen der Rentner um 33%. Die Stärke dieses Effekts zeigt letztlich vor allem, wie niedrig das Ausgangsniveau der Renten und Ersparnisse war. Gemessen am Existenzminimum ist das durchschnittliche Niveau der Rente zwischen 2012 und Ende 2016 um 19% gesunken. Damit führen die Rentner ein Leben an der Grenze des Existenzminimums und sind stark von den Lebensmittelpreisen abhängig. Dennoch gehören die Rentner nicht zu den Verlierern der Politik. Weil die Rente die verlässlichste staatliche Transferleistung ist, sind die Rentner vielmehr ein Stabilisierungsfaktor in vielen Haushalten geworden. Statistisch ist das Armutsrisiko von Haushalten ohne Rentner dreimal höher als das von Haushalten mit Rentnern. Die spezifischen Interessen der Rentner übertragen sich damit auch auf die Familien, die sie mitfinanzieren. Verlierer der aktuellen Politik sind v.a. ältere Arbeitnehmer, Familien mit Kindern und Arbeitsmigranten. An der Höhe des Existenzminimums gemessen sank das Lohnniveau zwischen 2012 und 2016 um 54% (AA 21.5.2018).

 

Angesichts der Geschehnisse in der Ost-Ukraine hat die EU mit VO 833/2014 und mit Beschluss 2014/512/GASP am 31.7.2014 erstmals Wirtschaftssanktion gegen Russland verhängt und mit 1.8.2014 in Kraft gesetzt. Diese wurden mehrfach, zuletzt mit Beschluss (GASP) 2018/964 bis zum 31.1.2019 verlängert (WKO 22.8.2018).

 

Quellen:

 

-AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018b): Russland, Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/russland/wirtschaft-entwicklung/ , Zugriff 24.8.2018

 

-IOM - International Organisation of Migration (2017):

Länderinformationsblatt Russische Föderation

 

-WKO - Wirtschaftskammer Österreich (22.8.2018): Aktueller Stand der Sanktionen gegen Russland und die Ukraine, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/Aktueller_Stand_der_Sanktionen_gegen_Russland_und_die_Ukrai.html , Zugriff 24.8.2018

 

-WKO - Wirtschaftskammer Österreich (4.2018): Länderprofil Russland, https://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-russland.pdf , Zugriff 24.8.2018

 

1.4.1.11.a. Nordkaukasus

 

Die nordkaukasischen Republiken ragen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden noch immer zu über 80% von Moskau finanziert (GIZ 7.2018a, vgl. ÖB Moskau 12.2017), obwohl die föderalen Zielprogramme für die Region mittlerweile ausgelaufen sind. Aufgrund der Transferzahlungen aus dem föderalen Budget hat sich die wirtschaftliche Situation Tschetscheniens in den letzten Jahren einigermaßen stabilisiert. Trotz der Versuche Moskaus, die sozio-ökonomische Situation im gesamten Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen abhängig. Die Wirtschaftskrise während der vergangenen Jahre und damit einhergehenden budgetären Einsparungen stellen eine potentielle Gefahr für die Nachhaltigkeit der Subventionen an die Nordkaukasus-Republiken dar (ÖB Moskau 12.2017).

 

Der Kreml verfolgt seit einigen Jahren einen Ansatz, der auf regionale wirtschaftliche Entwicklung setzt, und viele der Republiken im Nordkaukasus - allen voran Tschetschenien - haben durch zahlreiche Verwaltungs- und Finanzreformen heute mehr Unabhängigkeit als Anfang der 1990er Jahre jemals anzunehmen gewesen wäre. Auch der Tourismus soll in der landschaftlich attraktiven Region helfen, die Spirale aus Armut und Gewalt zu durchbrechen, wie insbesondere in der Entscheidung, die olympischen Winterspiele 2014 im unweit der Krisenregion gelegenen Sotschi auszutragen, deutlich wird. Zudem profitieren einige Teilrepubliken von Rohstoffvorkommen, und so lassen sich auch einige sichtbare Zeichen von wirtschaftlichem Aufschwung und Wiederaufbau im Nordkaukasus ausmachen. Als beispielhaft dafür steht unter anderem die tschetschenische Hauptstadt Grozny, die nach ihrer fast völligen Zerstörung heute durchaus auflebt. Die volatile Sicherheitslage und ein weit gestricktes Netzwerk aus Korruption, die zu einem wesentlichen Teil von den Geldern des russischen Zentralstaats lebt, blockieren aber eine umfassende und nachhaltige Entwicklung des Nordkaukasus. Das grundlegende Problem liegt in der russischen Strategie, den Konflikt durch die Übertragung der Verantwortung an lokale Machtpersonen mit zweifelhaftem Ruf zu entmilitarisieren. Deren Loyalität zu Moskau aber basiert fast ausschließlich auf erheblichen finanziellen Zuwendungen und dem Versprechen der russischen Behörden, angesichts massiver Verstrickungen in Strukturen organisierter Kriminalität beide Augen zuzudrücken. Ein wirksames Aufbrechen dieses Bereicherungssystems jedoch würde wiederum die relative Stabilität gefährden. Nachhaltige Entwicklungsfortschritte bleiben deshalb bislang weitgehend aus, und insbesondere die hohe regionale Arbeitslosigkeit bildet einen Nährboden für neue Radikalisierung (Zenithonline 10.2.2014).

 

Die Arbeitslosenquote betrug laut offiziellen Statistiken der Republik im ersten Quartal 2016 rund 12%, was von Experten jedoch als zu niedrig angezweifelt wird. Der monatliche Durchschnittslohn in Tschetschenien lag im 1. Quartal 2016 bei 21.774 Rubel (landesweit: 34.000 Rubel), die durchschnittliche Pensionshöhe bei

10.759 Rubel (landesweit: 12.299 Rubel). Die Höhe des Existenzminimums für die erwerbsfähige Bevölkerung ist mit 9.317 Rubel pro Monat festgelegt (landesweit: 10.187 Rubel), für Pensionisten mit 8.102 Rubel (landesweit: 7.781 Rubel) und für Kinder mit 7.348 Rubel (landesweit: 9.197 Rubel). Korruption ist nach wie vor weit verbreitet und große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Es gibt glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrows Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Wohltätigkeitsprojekte. Kritiker meinen jedoch, dass der Fonds auch der persönlichen Bereicherung Kadyrows und der ihm nahestehenden Gruppen diene. So bezeichnete die russische Tageszeitung "Kommersant" den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 12.2017). Die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens, Grozny, ist wieder aufgebaut. Problematisch sind allerdings weiterhin die Arbeitslosigkeit und die daraus resultierende Armut und Perspektivlosigkeit von Teilen der Bevölkerung (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

-AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 24.8.2018

 

-ÖB Moskau (12.2016): Asylländerbericht Russische Föderation

 

-Zenithonline (10.2.2014): Speznaz, Spiele und Korruption, Link nicht mehr aktiv, Originaldokument liegt bei der Staatendokumentation auf, Zugriff 24.8.2018

 

1.4.1.11.b. Sozialbeihilfen

 

Die Russische Föderation hat ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Rentensystem. Leistungen hängen von der spezifischen Situation der Personen ab (IOM 2017). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Rentenfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Rentenfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Altersrenten gezahlt. Das Rentenalter wird mit 60 Jahren bei Männern und bei 55 Jahren bei Frauen erreicht. Da dieses Modell aktuell die Renten nicht vollständig finanzieren kann, steigen die Zuschüsse des staatlichen Pensionsfonds an. Eine erneute Rentenreform wurde seit 2012 immer wieder diskutiert. Am Tag der Eröffnung der Fußball-Weltmeisterschaft [14. Juni 2018] hat die Regierung einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, womit das Renteneintrittsalter für Frauen bis zum Jahr 2034 schrittweise auf 63 Jahre und für Männer auf 65 angehoben werden soll. Die Pläne der Regierung stießen auf Protest: Mehr als 2,5 Millionen Menschen unterzeichneten eine Petition dagegen, in zahlreichen Städten finden Demonstrationen gegen die geplante Rentenreform statt (GIZ 7.2018c).

 

Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 7.2018c).

 

Personen im Rentenalter mit mindestens fünfjährigen Versicherungszahlungen haben das Recht auf eine Altersrente. Begünstigte müssen sich bei der lokalen Pensionskasse melden und erhalten dort, nach einer ersten Beratung, weitere Informationen zu den Verfahrensschritten. Informationen zu den erforderlichen Dokumenten erhält man ebenfalls bei der ersten Beratung. Eine finanzielle Beteiligung ist nicht erforderlich. Zu erhaltende Leistungen werden ebenfalls in der Erstberatung diskutiert (IOM 2017).

 

Zu dem Kreis der schutzbedürftigen Personen zählen Familien mit mehr als drei Kindern, Menschen mit Beeinträchtigungen sowie alte Menschen. Staatliche Zuschüsse werden durch die Pensionskasse bestimmt (IOM 2017).

 

Familienhilfe:

 

Monatliche Zahlungen im Falle von einem Kind liegen bei 3.120 Rubel (ca. 44 Euro). Bei einem zweiten Kind sowie weiteren Kindern liegt der Betrag bei 6.131 Rubel (ca. 87 Euro). Der maximale Betrag liegt bei 22.120 Rubel (ca. 313 Euro) (IOM 2017).

 

Mutterschaft:

 

Mutterschaftsurlaub kann man bis zu 140 Tage beantragen und erhält weiterin 100% Lohn (70 Tage vor der Geburt, 70 Tage danach). Im Falle von Mehrlingsgeburten kann dieser auf 194 Tage erhöht werden. Das Minimum der Mutterschaftshilfe liegt bei 100% des gesetzlichen Mindestlohns bis zu einem Maximum im Vergleich zu einem 40-Stunden Vollzeitjob. Der Maximalbetrag der Mutterschutzhilfe liegt bei

35.901 Rubel (ca. 513 Euro) (IOM 2017).

 

Mutterschaftskapital:

 

Zu den bedeutendsten Positionen der staatlichen Beihilfe zählt das Mutterschaftskapital, in dessen Genuss Mütter mit der Geburt ihres zweiten Kindes kommen. Dieses Programm wurde 2007 aufgelegt und wird russlandweit umgesetzt. Der Umfang der Leistungen ist beträchtlich - innerhalb von zehn Jahren stiegen sie inflationsbereinigt von 250.000 auf 453.026 Rubel, also von 4.152 auf mehr als 7.500 Euro. Man bekommt das Geld allerdings erst drei Jahre nach der Geburt ausgezahlt und die Zuwendungen sind an bestimmte Zwecke gebunden. So etwa kann man von den Geldern Hypothekendarlehen tilgen, weil das zur Verbesserung der Wohnsituation beiträgt. In einigen Regionen darf der gesamte Umfang des Mutterkapitals bis zu 70% der Wohnkosten decken. Das Programm wurde nun für weitere zwei Jahre verlängert, wobei eine weitere inflationsbedingte Anpassung nicht vorgesehen ist. Aufgestockt werden die Leistungen durch Beihilfen in den Regionen (RBTH 22.4.2017).

 

Behinderung:

 

ArbeitnehmerInnen mit einem Behindertenstatus haben das Recht auf eine Behindertenrente. Dies gilt unabhängig von der Schwere der Behinderung, der Beitragsdauer und Arbeitsstatus. Diese wird für die Dauer der Behinderung gewährt oder bis zum Erreichen des normalen Rentenalters (IOM 2017).

 

Arbeitslosenunterstützung:

 

Eine Person kann sich bei den Arbeitsagenturen der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Daraufhin wird die Arbeitsagentur innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz anbieten. Sollte der/die BewerberIn diesen zurückweisen, wird er/sie als arbeitslos registriert. Arbeitszentren gibt es überall im Land. Arbeitslosengeld wird auf Grundlage des durchschnittlichen Gehalts des letzten Beschäftigungsverhältnisses kalkuliert. Ebenfalls wird dieses durch eine maximale und minimale festgelegte Höhe der russischen Rechtslage determiniert. Seit 2009 beträgt die Mindestlohnhöhe pro Monat 850 Rubel (12 Euro) und der Maximallohn

4.900 Rubel (71 Euro). Gelder werden monatlich ausgezahlt. Die Voraussetzung ist jedoch die notwendige Neubewertung (normalerweise zwei Mal im Monat) der Bedingungen durch die Arbeitsagenturen. Die Leistungen können unter verschiedenen Umständen auch beendet werden (IOM 2017).

 

Wohnmöglichkeiten und Sozialwohnungen:

 

BürgerInnen ohne Unterkunft oder mit einer unzumutbarer Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Wohnungen beantragen. Dennoch ist dabei mit Wartezeiten von einigen Jahren zu rechnen. Es gibt in der Russischen Föderation keine Zuschüsse für Wohnungen. Einige Banken bieten jedoch für einen Wohnungskauf niedrige Kredite an (min. 12%). Junge Familien mit vielen Kindern können bundesstaatliche Zuschüsse (Mutterschaftszulagen) für wohnungswirtschaftliche Zwecke beantragen. Im Jahr 2017 lag dieser Zuschuss bei 453.026 Rubel (ca 6.618 Euro) (IOM 2017).

 

Das europäische Projekt MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, denen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:

 

 

 

 

 

Quellen:

 

-BDA - Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI

 

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 24.8.2018

 

-IOM - International Organisation of Migration (2017):

Länderinformationsblatt Russische Föderation

 

-RBTH - Russia beyond the Headlines (22.4.2017): Gratis-Studium und Steuerbefreiung: Russlands Wege aus der Geburtenkrise, https://de.rbth.com/gesellschaft/2017/04/22/gratis-studium-und-steuerbefreiung-russlands-wege-aus-der-geburtenkrise_747881 , Zugriff 27.8.2018

 

1.4.1.12. Rückkehr

 

Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme. Der Rückübernahme geht, wenn die betroffene Person in Österreich über kein gültiges Reisedokument verfügt, ein Identifizierungsverfahren durch die russischen Behörden voraus. Wird dem Rücknahmeersuchen stattgegeben, wird für diese Person von der Russischen Botschaft in Wien ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Wenn die zu übernehmende Person im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, muss kein Rücknahmeersuchen gestellt werden. Bei Ankunft in der Russischen Föderation mussten sich bislang alle Rückkehrer beim Föderalen Migrationsdienst (FMS) ihres beabsichtigten Wohnortes registrieren. Dies gilt generell für alle russische Staatsangehörige, wenn sie innerhalb von Russland ihren Wohnort wechseln. 2016 wurde der FMS allerdings aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach dem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Überstellung informiert und, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden (ÖB Moskau 12.2017).

 

Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft vor allem die im Vergleich zum Rest Russlands hohe Arbeitslosigkeit im Nordkaukasus. Hinzu kommen bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können somit nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich für Frauen aus dem Nordkaukasus, zu deren Bewältigung zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützend tätig sind. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf mögliche politische Verfolgung durch die russischen bzw. die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt. Aus gut informierten Kreisen war jedoch zu erfahren, dass Rückkehrer gewöhnlich mit keinerlei Diskriminierung seitens der Behörden konfrontiert sind (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die Stellung eines Asylantrags im Ausland führt nicht prinzipiell zu einer Verfolgung. Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von häufig willkürlichem Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Kaukasisch aussehende Personen ständen unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden weiterhin statt (AA 21.5.2018).

 

Rückkehrende zählen nicht automatisch zu den schutzbedürftigen Personenkreisen. Wie alle russischen Staatsangehörige können sie ebenfalls durch das Wohlfahrtssystem Leistungen erhalten. Mikrokredite für Kleinunternehmen können bei Banken beantragt werden (der Zinsatz liegt bei mindestens 10,6%). Einige Regionen bieten über ein Auswahlverfahren spezielle Zuschüsse zur Förderung von Unternehmensgründung an (IOM 2017).

 

Quellen:

 

-AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

-IOM - International Organisation of Migration (2017):

Länderinformationsblatt Russische Föderation

 

-ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

1.4.1.13. Dokumente

 

In Russland ist es möglich, Personenstands- und andere Urkunden zu kaufen, wie z.B. Staatsangehörigkeitsnachweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle, Gerichtsurteile. Es gibt auch Fälschungen, die auf Originalvordrucken professionell hergestellt wurden (AA 21.5.2018). Auslandsreisepässe sind schwieriger zu bekommen, aber man kann auch diese kaufen. Es handelt sich bei den Dokumenten oft um echte Dokumente mit echten Stempeln und Unterschriften, aber mit falschem Inhalt. Die Art der Dokumente hierbei können z.B. medizinische Protokolle (medical journals), Führerscheine, Geburtsurkunden oder Identitätsdokumente sein. Ebenso ist es möglich, echte Dokumente mit echtem Inhalt zu kaufen, bei der die Transaktion der illegale Teil ist. Für viele Menschen ist es einfacher, schneller und angenehmer, ein Dokument zu kaufen, um einem zeitaufwändigem Kontakt mit der russischen Bürokratie zu vermeiden. Es soll auch gefälschte "Vorladungen" zur Polizei geben (DIS 1.2015).

 

Quellen:

 

-AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

-DIS - Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 22.8.2018

 

1.4.2. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 29.06.2017, Russische Föderation, Menschenrechtsverletzungen von im Ausland verurteilten Personen wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation:

 

1. Gibt es Berichte darüber oder Hinweise darauf, dass eine Person, die im Ausland wegen einer Mitgliedschaft in der Terrororganisation "Islamischer Staat" strafgerichtlich verurteilt wurde und eine Haftstrafe bereits verbüßt hat, in der Russischen Föderation abseits einer eigentlichen Strafverfolgung Opfer von Menschenrechtsverletzungen wurde bzw. werden kann, wie in relevanten Berichten erwähnte "politische Gegner" oder "Extremisten", so zB von rechtswidriger Inhaftierung, Verschwindenlassen, Folter, Misshandlungen?

 

2. Unterfrage a): Wenn ja, gibt es Hinweise darauf, wer diese Menschenrechtsverletzungen durchführt?

 

3. Unterfrage b): Wenn ja, finden solche Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien und auch im Rest der RF [Russischen Föderation] statt?

 

4. Unterfrage c): Wenn ja, gibt es Berichte darüber oder Hinweise darauf, dass die russischen Sicherheitsbehörden Schutz gegen solche extralegalen Übergriffe außerhalb der eigentlichen Strafverfolgung bieten?

 

Zusammenfassung:

 

Der nachfolgend zitierten Quelle ist zu entnehmen, dass keine Informationen gefunden werden konnten, die belegen würden, dass im Ausland verurteilte Personen wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation abseits der Strafverfolgung Opfer von Menschenrechtsverletzungen gewesen wären.

 

Einzelquellen:

 

Die Konsularabteilung der ÖB Moskau berichtet folgendes:

 

Trotz umfassender und detaillierter Recherchen der Konsularabteilung der Botschaft konnten - auch in regierungskritischen russischen Medien bzw. Websites von NRO - keine Informationen mit Hinweisen darauf gefunden werden, dass Personen, die im Ausland wegen einer Mitgliedschaft in der Terrororganisation "Islamischer Staat" strafgerichtlich verurteilt wurden und eine Haftstrafe bereits verbüßt haben, in der RF abseits einer eigentlichen Strafverfolgung Opfer von Menschenrechtsverletzungen wurden. Ebenso wenig liegen Berichte über Menschenrechtsverletzungen an entlassenen Straftätern vor, die in der RF wegen terroristischer Verbrechen verurteilt worden sind.

 

Den russischen Behörden ist durchaus bewusst, dass der Gefahr des Terrorismus, insbesondere auch jener, die von rückkehrenden Kämpfern des IS und anderer in der RF verbotenen terroristischen Organisationen droht, mit repressiven Mitteln allein nicht begegnet werden kann. Die zunehmende Betonung von präventiven Maßnahmen und der Notwendigkeit der Einbeziehung der Zivilgesellschaft in der russischen Anti-Terrorismus-Politik kam zuletzt bei den Gesprächen des OSZE-Sonderbeauftragten zur Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus, Prof. Peter Neumann, am 19./20. Juni d.J. in Moskau deutlich zum Ausdruck. Seitens der für die Terrorismusbekämpfung zuständigen russischen Behörden wurde in diesem Kontext auch die Bedeutung eines entsprechenden Menschenrechtsschutzes thematisiert.

 

KA der ÖB Moskau (29.6.2017): Information per Email

 

1.4.3. ACCORD Anfragenbeantwortung vom 28.09.2017, Russische Föderation, Menschenrechtsverletzungen von ihm Ausland verurteilten Personen wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation:

 

Gibt es Berichte darüber, dass eine Person, die im Ausland wegen einer Mitgliedschaft in der Terrororganisation "Islamischer Staat" verurteilt wurde und eine Haftstrafe bereits verbüßt hat, in der Russischen Föderation abseits einer eigentlichen Strafverfolgung Opfer von Menschenrechtsverletzungen wurde bzw. werden kann? Wenn ja, gibt es Hinweise darauf, wer diese Menschenrechtsverletzungen durchführt? Wenn ja, finden solche Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien und auch im Rest der RF [Russischen Föderation] statt? Wenn ja, gibt es Berichte darüber oder Hinweise darauf, dass die russischen Sicherheitsbehörden Schutz gegen solche extralegalen Übergriffe außerhalb der eigentlichen Strafverfolgung bieten? [a-10336]

 

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie gegebenenfalls auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt. [...]

 

Swetlana Gannuschkina, die für die russischen Menschenrechtsorganisationen Memorial und Komitee Bürgerbeteiligung tätig ist und der zusammen mit der Anfrage der Fallhintergrund mitgeschickt wurde, schrieb in einer E-Mail-Auskunft vom 22. September 2017, dass diese Person keinesfalls nach Russland zurückgeschickt werden dürfe. Es seien ihr keine vergleichbaren Fälle bekannt. Sie könne nur sagen, dass RückkehrerInnen ein schweres Schicksal erwarte. Auf die Frage, was die beschriebene Person bei einer Rückkehr erwarte und ob sie mit extralegalen Aktionen konfrontiert sein werde, antwortete Swetlana Gannuschkina, dass die Person mit ständigen Unannehmlichkeiten zu rechnen habe. Sie werde verdächtigt, Verbindungen zu illegalen bewaffneten Gruppierungen zu haben, sei mit ständigen Durchsuchungen konfrontiert und es sei sehr wahrscheinlich, dass ein Strafverfahren gegen sie konstruiert werde, das zu einer langen Haftstrafe führe. Die Möglichkeit einer Ansiedlung der Person außerhalb Tschetscheniens bestehe nicht, so Gannuschkina. (Gannuschkina, 22. September 2017)

 

Einem Historiker und Tschetschenienexperten, der mehrere Male für Forschungsaufenthalte in Tschetschenien war und dem ebenfalls der Fallhintergrund mitgeschickt wurde, waren ebenfalls keine vergleichbaren Fälle bekannt. (Historiker und Tschetschenienexperte, 26. September 2017)

 

Es konnten keine weiteren Informationen zu dieser Frage gefunden werden.

 

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 28. September 2017)

 

 

 

1.4.4. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 24.05.2016 (Auszug), Russische Föderation, Lage von aus Syrien zurückkehrenden Kämpfern:

 

"Droht Personen, die in Österreich ZEHN Jahre lang asylberechtigt waren, im Falle der Rückkehr aus diesem Grund Verfolgung?

 

[...]

 

Aus dem Rechercheergebnis lässt sich die Frage, ob Personen, die in Österreich ZEHN Jahre lang asylberechtigt waren, aus diesem Grunde im Falle der Rückkehr Verfolgung droht, nicht beantworten. Bezüglich dieser Frage konnten von der ÖB MOSKAU keine Berichte und Informationen gefunden werden.

 

[...]

 

Ergebnis: Bezüglich dieser Frage konnten ha. keine Berichte und Informationen gefunden werden. Es konnte somit nicht festgestellt werden, dass Personen, die in Österreich asylberechtigt waren, aufgrund der ehemaligen Asylgewährung in Österreich in der RF staatlicher Verfolgung iSd Asylrechts ausgesetzt sind.

 

[...]

 

Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf mögliche (politische) Verfolgung durch die russischen oder im speziellen die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt. Aus gut informierten Kreisen war jedoch zu erfahren, dass Rückkehrer gewöhnlich mit keiner Diskriminierung von Seiten der Behörden konfrontiert sind. Die Reintegration von Rückkehrern soll sich laut Migrationsexperten v. a. in wirtschaftlicher aber auch sozialer Hinsicht (Sozialleistungen, medizinische Versorgung etc.) in den letzten Jahren verbessert hat. [...]"

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Zu den Feststellungen zum Verfahrensgang:

 

Die Feststellungen zum Verfahren des Beschwerdeführers sowie der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergeben sich aus den unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalten des vorgelegten Verwaltungsakts des Bundesasylamtes, des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des Gerichtsakts des Bundesverwaltungsgerichtes.

 

2.2. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

 

2.2.1. Die Feststellungen zur Identität, der Volksgruppen-, der Staats- und Religionsangehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf das bereits dem Bundesasylamt im Asylverfahren vorgelegte russische Dokument des Beschwerdeführers, welches wie dargestellt belegt, dass der BF sich einen Reisepass hat ausstellen lassen und mit diesem auch in die Russische Föderation gereist ist.

 

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer die Russische Föderation im Frühjahr XXXX verließ, bis zu diesem Zeitpunkt in Tschetschenien lebte, gründet auf den Angaben des BF in dessen Einvernahme vor dem Bundesasylamt. Die Feststellung, dass er die Tschetschenische Sprache und die Russische Sprache beherrscht, gründet auf den Angaben des Beschwerdeführers vor den Asylbehörden.

 

Die Feststellung zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers, seiner Arbeitsfähigkeit und jene, dass er verheiratet ist, gründen sich auf seine Angaben vor der Behörde und auf den Umstand, dass Gegenteiliges im Verfahren nicht hervorgekommen ist.

 

2.2.2. Die Feststellungen zu der strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers in Österreich stützen sich auf einen aktuellen Strafregisterauszug und die Inhalte der im Verwaltungsakt aufliegenden Strafurteile.

 

Die Feststellung zu den Haftaufenthalten des Beschwerdeführers ergeben sich einerseits aus der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister andererseits aus der aktuell eingeholten Haftauskunft.

 

Hinsichtlich der Feststellung, dass der Beschwerdeführer eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt, ist auf die im Akt einliegenden Urteile des Landesgerichtes XXXX zu verweisen, aus denen sich wie dargestellt ergibt, dass der BF wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Absatz 1, 5. Fall SMG, das Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Absatz 1 und 3 Ziffer 1 FPG, sowie das Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtmittel und des Vergehens nach § 50 Absatz 1 Ziffer 1 und 2 WaffG verurteilt wurde. Die belangte Behörde hat umfangreich dargestellt, dass es sich gerade auch beim Urteilsspruch zu § 28a Absatz 1 SMG um eine besonders schwere Straftat handelt, welche eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren vorsieht. Diesem genannten Urteil des LG XXXX ist zu entnehmen, dass der BF vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Kokain, durch gewinnbringenden Verkauf überlassen und zum Teil zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen hat. Dem Urteil ist weiters zu entnehmen, dass der BF in mehreren Fällen im April XXXX gewerbsmäßige Schlepperei begangen hat, dabei die Schlepperfahrzeuge und die Fahrer organisierte und je nach Destination der Fremden zwischen Euro 250 und Euro 650 pro geschleppter Person erhielt. In diesem Zeitrahmen führte der BF zudem eine Schusswaffe der Kategorie B, und zwar eine Faustfeuerwaffe XXXX , Kaliber 9 mm und die dazu passende Munition bei sich, weiters eine verbotene Waffe, nämlich eine Stahlrute, woraus sich die Verurteilung nach dem Waffengesetz ergab.

 

Vor dem Hintergrund der einschlägigen strafrechtlichen Verurteilungen des BF, auf welche das LG XXXX verwies, kann die mehrfache schwere Straffälligkeit des BF nur dazu führen, dass es eine vertretbare Annahme ist, die vom BF verwirklichten und zu verantwortenden Delikte insgesamt als "besonders schweres Verbrechen" zu qualifizieren (vgl. dazu auch VwGH vom 18.07.2018, Ra 2017/19/0109). Der BF muss auch gegen sich gelten lassen, dass er bereits vor der Verurteilung durch das LG XXXX am XXXX vier Vorstrafen aufzuweisen hatte und ist der BF - wie von ihm eingestanden - sogar danach nochmals straffällig geworden (Urteil des LG XXXX vom XXXX wegen §§ 83, 105 und 125 StGB).

 

Daraus ist ableitbar, dass der BF offensichtlich den Unrechtsgehalt seiner Tathandlungen überhaupt nicht erkennt oder einsehen will, weshalb unzweifelhaft davon auszugehen ist, dass der BF auch in Zukunft nach der Haftentlassung zu keinem rechtskonformen Verhalten zu bewegen sein wird und er sein bisheriges Verhalten fortsetzen wird. Damit ist jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der BF in einem vergleichbaren sozialen Umfeld sich fortbewegen wird und ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer angesichts der sich steigernden kriminellen Energie erneut in eine Situation kommen wird, die ihn in Kontakt mit Personen bringen wird, die eine Fortsetzung der bisherigen kriminellen Aktivitäten für sehr wahrscheinlich erscheinen lassen.

 

Damit kann nicht nachhaltig dargelegt werden, dass der BF die österreichische Rechtsordnung in Zukunft achten und sich wohlverhalten wird. Dass der BF somit eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt, ergibt sich somit unzweifelhaft aus den vorliegenden Strafurteilen und seiner doch fehlenden Selbstverantwortung, die sich darin zeigt, dass der BF trotz drohendem Haftübels seit 2013 praktisch jährlich zu verurteilen war.

 

Die Feststellungen zu den familiären Verhältnissen des BF in Österreich ergeben sich aus den Angaben des BF vor der belangten Behörde, an denen nicht zu zweifeln waren. Dass der BF seit Anfang 2017, somit seiner Inhaftierung, sich nur mehr in Justizanstalten aufhält, ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister (seit Jänner 2017 JA XXXX , seit März 2017 JA XXXX , seit September 2018 JA XXXX ).

 

Aufgrund des Vollzugs der Freiheitsstrafen seit Jänner 2017 konnte die Feststellung ergehen, dass der Beschwerdeführer in keinem Abhängigkeitsverhältnis zu seinen Familienangehörigen in Österreich steht. Vor dem Hintergrund dieser sporadischen persönlichen Kontakte in den letzten Jahren erscheint es aus Sicht des zuständigen Richters zumutbar, dass der Beschwerdeführer seine familiären Beziehungen in Österreich aus der Russischen Föderation via elektronische Medien und Internet aufrechterhält, weswegen eine entsprechende Feststellung erging. Da die Familie des Beschwerdeführers zudem asylberechtigt und daher in der Lage ist, den Beschwerdeführer etwa in anderen Staaten, wie Weißrussland, etc. zu besuchen, kann die Beziehung auch durch derartige Besuche weiter aufrechterhalten werden. Zuletzt ist festzuhalten, dass den Angehörigen angesichts der nicht feststellbaren Gefährdung des BF in Landesteilen außerhalb Tschetscheniens auch zumutbar erscheint, diesen selbst in der Russischen Föderation zu besuchen bzw. mit ihm dorthin zurückzukehren.

 

Die Feststellung zu den familiären Anknüpfungspunkten des Beschwerdeführers in Tschetschenien und der Russischen Föderation gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben vor der Behörde.

 

Im Ergebnis ist auch die Beweiswürdigung der belangten Behörde bezüglich des vom BF primär vorgetragenen "Instagram-Postings", welches er Anfang XXXX verfasst und kurz darauf wieder gelöscht haben will, nicht zu beanstanden. Tatsächlich sind die Angaben des BF bezüglich der Hintergründe des Verhaltens des tschetschenischen Präsidenten höchst allgemein, es erscheint auch dem erkennenden Gericht höchst dubios, dass der BF ein kritisches Posting über den tschetschenischen Präsidenten verfasst haben will, welches von der eigenen Schwester "zufällig" in den Nachtstunden des selben Tages festgehalten worden sei, worauf das Posting angeblich kurz darauf bereits wieder gelöscht wurde. Es bedarf keinen weitwendigen Überlegungen, dass dem BF zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Postings bewusst gewesen sein muss, dass angesichts der neuerlichen massiven strafrechtlichen Delinquenz die belangte Behörde ein Aberkennungsverfahren gegen ihn führen wird, weshalb die Überlegung der belangten Behörde, dass der BF dieses Posting wohl nur zum Schein verfasst hat, damit es von der eigenen Schwester bezeugt werden kann, um es kurz darauf sofort wieder zu löschen, nicht abwegig. Der BF hat darüber hinaus selbst nicht ausgeführt, dass er im Zusammenhang mit diesem Posting von irgendeiner Seite angesprochen oder gar bedroht worden wäre, es erscheint dem erkennenden Gericht auch völlig unglaubwürdig, dass in der höchst kurzen Zeit einer angeblichen Existenz dieses Postings dieses von tschetschenischen oder russischen Behörden oder Sicherheitskräften gelesen oder gar gesucht worden wäre, die gesamten diesbezüglichen Angaben sind offensichtlich höchst spekulativ und im Ergebnis erkennbar im Bemühen, einen Nachfluchtgrund zu erzeugen.

 

Der BF muss gegen sich gelten lassen, dass er, wie dargestellt, wenige Jahre nach Asylzuerkennung im Bundesgebiet sich einen russischen Reisepass hat ausstellen lassen, mit diesem erkennbar auch in die Russische Föderation gereist ist, sodass dem BF bekannt gewesen ist, dass angesichts der ursprünglichen Ausreisegründe erkennbar keine Gefährdung seiner Person mehr feststellbar ist. All dies spricht dafür, dass der BF wohl das angebliche Instagram-Posting nur deshalb fabriziert hat, um nach Aufnahme desselben durch die eigene Schwester einen Nachfluchtgrund erzeugen zu können.

 

Sofern die Beschwerde ausführt, dass die belangte Behörde sich mit den ursprünglichen Angaben aus dem Jahr 2003 nicht näher auseinandergesetzt hätte, ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer selbst auf diese seinerzeitigen Ausreisegründe in seiner Einvernahme auch nicht zu sprechen gekommen ist. Der BF hat, wie dargestellt, damals Probleme geschildert, die im Wesentlichen mit der Verschleppung durch russische Sicherheitskräfte im Jahr XXXX zusammenhängen, weil man damals seitens der Russischen Sicherheitskräfte vom BF diverse Informationen haben wollte. Dass annähernd XXXX Jahre nach diesen Vorfällen es immer noch ein Bedürfnis danach geben könnte, vom BF Kenntnis davon zu erlangen, wer sich möglicherweise in seinem Heimatdorf am bewaffneten Widerstand im ersten Tschetschenien-Krieg (weitere Jahre davorliegend) beteiligt hätte, dies ist vollkommen unnachvollziehbar und scheint auch der BF den seinerzeitigen Gründen keine besondere Bedeutung mehr beigemessen zu haben, andernfalls die problemlose Beantragung und Ausstellung eines Reisepasses und anschließende Reise in die Russische Föderation nach Erhalt eines Reisepasses im Jahr XXXX wohl kaum erklärbar wäre.

 

2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation:

 

2.3.1. Dem Beschwerdeführer droht zudem jedenfalls in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens und des Nordkaukasus auch keine Verfolgung wegen seiner strafgerichtlichen Verurteilungen und allfälligen Instagram-Postings.

 

Diesbezüglich ist zunächst auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (im Folgenden als LIB bezeichnet), S 44, zu verweisen, aus welchem sich ergibt, dass selbst bei sogenannten "Foreign Fighters" (damit gemeint sind terroristische Kämpfer vorwiegend nordkaukasischer Provenienz aus Syrien oder dem Irak), die in die Russische Föderation zurückkehren, ohne bereits in einem anderen Land hiefür verurteilt worden zu sein, bei der Strafverfolgung nach der Rückkehr die Höhe der Strafe davon abhängt, ob sie sich den Behörden stellen und kooperieren. Wenn sogar zurückkehrenden Kämpfern aus Syrien, die in noch keinem anderen Staat dieser Welt wegen dieser Kampfteilnahme verurteilt wurden, in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens bzw. des Nordkaukasus laut LIB bei Kooperation mit den Behörden keine unverhältnismäßige Strafverfolgung droht, so kann dies für den Beschwerdeführer nur umso eher gelten, ist dieser doch völlig unbescholten und ohne jegliches Interesse für Russische Sicherheitsbehörden.

 

Wie sich aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 29.06.2017 ergibt, konnte zudem nicht einmal Verfolgung von Personen festgestellt werden, die wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation verurteilt wurden und die ihre Haftstrafe bereits verbüßt haben, aus diesem Grund. Aus der Anfragebeantwortung von ACCORD vom 28.09.2017 ergibt sich, dass auch dem dort zitierten Tschetschenienexperten keine vergleichbaren Fälle bekannt waren. Die Angaben der Menschenrechtsorganisation MEMORIAL in dieser Anfragebeantwortung beziehen sich wiederum nur auf Tschetschenien. Soweit MEMORIAL ausführt, dass solche Personen sich nicht außerhalb von Tschetschenien ansiedeln können, wird diese Angabe der Entscheidung nicht zugrunde gelegt, da sie den übrigen Länderberichten widerspricht und nicht sachlich fundiert ist, sondern nur apodiktisch in den Raum gestellt wurde. Warum somit ein unbescholtener Bürger, wie der BF, in anderen Landesteilen der Russischen Föderation "sofort getötet" werden sollte, dies alles bleibt unbelegte Spekulation des BF.

 

Dem Beschwerdeführer droht im Falle der Rückkehr auch keine Gefahr als ehemals Asylberechtigter: Aus der Anfragebeantwortung von ACCORD vom 31.05.2016 ergibt sich, dass im gesamten Jahr 2015 eine einzige Person tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit nach ihrer Abschiebung außerhalb von Tschetschenien verschwunden war, in der Republik Tschetschenien wurden drei Fälle gefunden, wobei zumindest einer der betroffenen aktiver Exilpolitiker in Norwegen war. Aus diesem Bericht kann vor dem Hintergrund, dass die tschetschenische Diaspora ausweislich der Länderberichte in Europa rund 150.000 Personen, in Österreich rund 30.000 Personen umfasst, und sich der Beschwerdeführer in keiner Weise exilpolitisch bestätigte, keine Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden, der Beschwerdeführer sei im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation außerhalb Tschetscheniens und des Föderationskreises Nordkaukasus einer Bedrohung ausgesetzt. Eine Gefährdung auf Grund der langen asylbedingten Abwesenheit des Beschwerdeführers in Russland außerhalb Tschetscheniens konnte auch durch die Staatendokumentation in der Anfragebeantwortung vom 24.05.2016 nicht festgestellt werden.

 

Hinzuweisen ist zudem darauf, dass dem Beschwerdeführer eine solche innerstaatliche Fluchtalternative auch zumutbar ist. Aus den Länderberichten geht hervor, dass das Recht der freien Wahl des Wohnsitzes auch Tschetschenen - wie allen russischen Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen - zusteht. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandsreisepasses und nachweisbarer Wohnraum. Da der Beschwerdeführer über einen russischen Auslandsreisepass verfügt, den er sich XXXX ausstellen ließ, erscheint eine solche Registrierung möglich. Eine Registrierung ist für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem, sowie zum legalen Arbeitsmarkt.

 

Dass eine solche Wohnsitznahme für Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens möglich ist, geht bereits aus dem Faktum hervor, dass etwas 14.000 Tschetschenen alleine in Moskau, 11.000 allein in der Rostow Region und 12.000 in Stawropol Krai leben. Soweit die Beschwerde nur höchst allgemein in den Raum stellt, dass der BF ein "Gegner Kadyrows" ist, ist dem entgegen zu halten, dass sich aus den Ausführungen im LIB ergibt, dass die Machtentfaltung des tschetschenischen Oberhauptes außerhalb der Grenzen der Teilrepublik als beschränkt gilt und zwar nicht nur formell im Lichte der geltenden russischen Rechtsordnung, sondern auch faktisch durch die offenkundige Konkurrenz zu den föderalen Sicherheitskräften. Die umfangreiche tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands steht jedenfalls nicht unter der unmittelbaren Kontrolle von Kadyrow (vgl. S 78 LIB). Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des EGMR vom 07.11.2017, Nr. 54646/17, X./Deutschland, und die entsprechende Entscheidung des deutschen Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.07.2017, Zl. BVerwG 1 VR 3.17, zu verweisen: Befürchtungen von Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens auch in russischen Großstädten vor dem "langen Arm" Kadyrows nicht sicher zu sein, wurden in der Entscheidung des dt. BverwG vom 13.07.2017 derart eingestuft, dass diese allgemeine Berichtslage eine konkrete Betroffenheit des dortigen Beschwerdeführers mit einer solchen Situation nicht hinreichend belegen würde. Das Risiko, dass (ad casu) dagestanische Behörden den aus Deutschland ausgewiesenen Beschwerdeführer außerhalb Dagestans suchen und misshandeln oder nach Dagestan bringen würden, hielt der zuständige Senat ebenfalls für gering. Diese Einschätzung wurde schließlich durch die zurückweisende Entscheidung des EGMR vom 07.11.2017 bestätigt.

 

Ebenfalls in gerade genannter Entscheidung thematisiert wurde die Haltung des russischen Staates, gegen islamistischen Terrorismus konsequent vorzugehen, sowie das Faktum, dass abgeschobene Kaukasier besondere Aufmerksamkeit russischer Behörden erfahren würden. Doch auch diese Informationen würden die Annahme nicht erlauben, dass der dt. Beschwerdeführer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter oder ähnliches erwarten würde, wobei das dt. BVerwG dabei Bezug auf eine Auskunft des russischen "Komitee zur Verhinderung von Folter" nimmt, wonach es nahezu ausgeschlossen erscheine, dass der (dt.) Beschwerdeführer "präventiv" gefoltert oder einer anderen Art. 3 EMRK-widrigen Behandlung ausgesetzt würde, selbst wenn er im Falle seiner Abschiebung mit einer Befragung und Überwachung zu rechnen haben würde. Es würden keine Hinweise vorliegen, dass sich ein Fokus der russischen Strafverfolgungsbehörden im Zusammenhang mit Strafverfahren, die wegen Beteiligung in einer illegalen bewaffneten Gruppierung im Ausland eröffnet worden seien, auch auf Personen richten würde, die nicht aus Syrien, dem Irak oder der Türkei, sondern aus Westeuropa zurückkehren würden. Gegen Tschetschenen, die sich in Moskau oder in anderen Bereichen der Russischen Föderation niedergelassen hätten, würden Strafverfahren aufgrund falscher Anschuldigungen heute kaum noch vorkommen. Auch diese Einschätzung wurde durch die zurückweisende Entscheidung des EGMR vom 07.11.2017 bestätigt, sodass für den in Russland unbescholtenen BF überhaupt keine Gefährdung erkennbar ist.

 

Darüber hinaus ist der Beschwerdeführer gesund und arbeitsfähig. Er beherrscht die Russische Sprache und verfügt über Verwandte in Tschetschenien, die ihn - ebenso wie seine Angehörigen aus Österreich - zumindest anfänglich finanziell unterstützen können. Es ist dem Beschwerdeführer jedenfalls zumutbar, in der tschetschenischen Diaspora in Moskau, Rostow oder Stawropol Fuß zu fassen, einen Arbeitsplatz zu finden.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu A)

 

3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Aberkennung des Status des Asylberechtigten):

 

3.1.1. Gemäß § 75 Abs. 5 AsylG 2005, gilt einem Fremden dem am oder nach dem 31.12.2005 die Flüchtlingseigenschaft nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 oder früheren asylrechtlichen Vorschriften zugekommen ist oder zuerkannt wurde, soweit es zu keiner Aberkennung oder keinem Verlust der Flüchtlingseigenschaft gekommen ist, der Status des Asylberechtigten als zuerkannt.

 

Der mit "Aberkennung des Status des Asylberechtigten" betitelte § 7 AsylG 2005 lautet wie folgt:

 

"§ 7 (1) Der Status des Asylberechtigten ist einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

 

1. ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt;

 

2. einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder

 

3. der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat.

 

(2) In den Fällen des § 27 Abs. 3 Z 1 bis 4 und bei Vorliegen konkreter Hinweise, dass ein in Art. 1 Abschnitt C Z 1, 2 oder 4 der Genfer Flüchtlingskonvention angeführter Endigungsgrund eingetreten ist, ist ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten jedenfalls einzuleiten, sofern das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 wahrscheinlich ist. Ein Verfahren gemäß Satz 1 ist, wenn es auf Grund des § 27 Abs. 3 Z 1 eingeleitet wurde, längstens binnen einem Monat nach Einlangen der Verständigung über den Eintritt der Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung gemäß § 30 Abs. 5 BFA-VG, in den übrigen Fällen schnellstmöglich, längstens jedoch binnen einem Monat ab seiner Einleitung zu entscheiden, sofern bis zum Ablauf dieser Frist jeweils der entscheidungsrelevante Sachverhalt feststeht. Eine Überschreitung der Frist gemäß Satz 2 steht einer späteren Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht entgegen. Als Hinweise gemäß Satz 1 gelten insbesondere die Einreise des Asylberechtigten in seinen Herkunftsstaat oder die Beantragung und Ausfolgung eines Reisepasses seines Herkunftsstaates.

 

(2a) Ungeachtet der in § 3 Abs. 4 genannten Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung ist ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten jedenfalls einzuleiten, wenn sich aus der Analyse gemäß § 3 Abs. 4a ergibt, dass es im Herkunftsstaat des Asylberechtigten zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen ist. Das Bundesamt hat von Amts wegen dem Asylberechtigten die Einleitung des Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten formlos mitzuteilen.

 

(3) Das Bundesamt kann einem Fremden, der nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3), den Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 nicht aberkennen, wenn die Aberkennung durch das Bundesamt - wenn auch nicht rechtskräftig - nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt und der Fremde seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat. Kann nach dem ersten Satz nicht aberkannt werden, hat das Bundesamt die nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, zuständige Aufenthaltsbehörde vom Sachverhalt zu verständigen. Teilt diese dem Bundesamt mit, dass sie dem Fremden einen Aufenthaltstitel rechtskräftig erteilt hat, kann auch einem solchen Fremden der Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 aberkannt werden.

 

(4) Die Aberkennung nach Abs. 1 Z 1 und 2 ist mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Betroffenen die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt. Dieser hat nach Rechtskraft der Aberkennung der Behörde Ausweise und Karten, die den Status des Asylberechtigten oder die Flüchtlingseigenschaft bestätigen, zurückzustellen."

 

Der mit "Ausschluss von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten" betitelte § 6 AsylG 2005 lautet wie folgt:

 

"§ 6 (1) Ein Fremder ist von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn

 

1. und so lange er Schutz gemäß Art. 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt;

 

2. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Ausschlussgründe vorliegt;

 

3. aus stichhaltigen Gründen angenommen werden kann, dass der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, oder

 

4. er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

 

(2) Wenn ein Ausschlussgrund nach Abs. 1 vorliegt, kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden. § 8 gilt."

 

Gemäß § 2 Abs. 3 AsylG ist ein Fremder im Sinne dieses Bundesgesetzes straffällig geworden, wenn er wegen einer vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die in die Zuständigkeit des Landesgerichtes fällt (Z 1), oder mehr als einmal wegen einer sonstigen vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die von Amts wegen zu verfolgen ist rechtskräftig verurteilt worden ist (Z 2).

 

Gemäß Art. 33 Z 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) darf kein vertragsschließender Staat einen Flüchtling in irgendeiner Form in ein Gebiet ausweisen oder zurückweisen, wo sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre.

 

Nach Art. 33 Z 2 GFK kann der Vorteil dieser Bestimmung jedoch von einem Flüchtling dann nicht in Anspruch genommen werden, wenn der Flüchtling aus gewichtigen Gründen eine Gefahr für die Sicherheit seines Aufenthaltslandes darstellt oder der Flüchtling, wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt, eine Gefahr für die Gemeinschaft des betreffenden Landes bedeutet.

 

3.1.2. Die belangte Behörde stützte im gegenständlichen Fall die Aberkennung des dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 13.10.2003 zuerkannten Status des Asylberechtigten auf die Bestimmung des § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 - sohin auf die Bestimmung, dass der Status des Asylberechtigten einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen ist, wenn ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt. Konkret stützt sich das Bundesamt auf § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 und darauf, dass der Beschwerdeführer wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt wurde und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeute.

 

3.1.2.1. Für den vom Bundesamt bei der Sachverhaltsfeststellung zu Spruchpunkt I. angenommenen Fall einer Entscheidung gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 müssen wegen der wörtlich gleichen Voraussetzungen die gleichen Maßstäbe gelten, auf die sich die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes in den bisherigen Vorerkenntnissen zu § 13 Abs. 2 zweiter Fall AsylG 1997 bezogen haben (vgl. dazu VwGH 01.03.2016, Zl. Ra 2015/18/0247, und insbesondere VwGH 21.09.2015, Zl. Ra 2015/19/0130: "vgl. allgemein zu den Kriterien des Asylausschlussgrundes - zu vergleichbarer Rechtslage - die Erkenntnisse vom 6. Oktober 1999, 99/01/0288, vom 3. Dezember 2002, 99/01/0449 und vom 23.September 2009, 2006/01/0626; zum Begriff des "besonders schweren Verbrechens" im Sinne dieser Bestimmung die bereits zitierten Erkenntnisse vom 3. Dezember 2002 und vom 23. September 2009; sowie zum Tatbestandsmerkmal der "Gefahr für die Gemeinschaft" des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 die zur "Gemeingefährlichkeit" ergangene hg. Judikatur, etwa die hg. Erkenntnisse vom 18. Jänner 1995, 94/01/0746, vom 10. Oktober 1996, 95/20/0247 sowie vom 27. September 2005, 2003/01/0517").

 

Wie der Verwaltungsgerichtshof - erstmals - in seinem Erkenntnis vom 06.10.1999, Zl. 99/01/0288, unter Hinweis auf Art. 33 Z 2 GFK ausgeführt hat, müssen nach "internationaler Literatur und Judikatur" kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Heimat- oder Herkunftsstaat verbracht werden darf. Er muss

 

? ein besonders schweres Verbrechen verübt haben,

 

? dafür rechtskräftig verurteilt worden,

 

? sowie gemeingefährlich sein und

 

? es müssen die öffentlichen Interessen an der Rückschiebung die Interessen des Flüchtlings am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen (Güterabwägung).

 

Zur nunmehr anzunehmenden Bedeutung des Begriffs "besonders schweres Verbrechen" verwies der Verwaltungsgerichtshof in dem genannten Erkenntnis auf einschlägige Literatur (Kälin, Grundriss des Asylverfahrens, [1990] S 227 ff. und Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, [1999] Rz 455), wonach "typischerweise schwere Verbrechen" "etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen" seien. Es müsse sich um Straftaten handeln, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Allerdings genüge es nicht, wenn ein abstrakt als "schwer" einzustufendes Delikt verübt worden sei. Die Tat müsse sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen. Unter anderem sei auf Milderungsgründe Bedacht zu nehmen und der Entscheidung eine Zukunftsprognose zugrunde zu legen (so auch die Judikatur des VwGH zu § 13 Abs. 2 AsylG 1997, der Vorgängerregelung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005, VwGH 03.12.2002, 99/01/0449; 27.04.2006, 2003/20/0050; 05.10.2007, 2007/20/0416). Andererseits setze die Entscheidung eine Güterabwägung, ob die Interessen des Zufluchtsstaates jene des Flüchtlings überwiegen, voraus (VwGH 15.12.2006, 2006/19/0299; 05.10.2007, 2007/20/0416).

 

Im Erkenntnis vom 03.12.2002, 99/01/0449, führte der Verwaltungsgerichtshof zur Frage, wann ein "typischerweise schweres Verbrechen" ausreichend sei, um "besonders schwer" zu sein, "illustrativ" an, dass in der Bundesrepublik Deutschland etwa für den auf Art. 33 Abs. 2 zweiter Fall GFK bezogenen Tatbestand in § 51 Abs. 3 dAuslG das Erfordernis einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren normiert worden sei.

 

In der Regierungsvorlage zu § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 (RV 952 BlgNR 22. GP , 36), auf welchen § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 verweist, wurde erläuternd Folgendes ausgeführt:

 

"Die Z 3 und 4 des Abs. 1 entsprechen inhaltlich dem bisherigen § 13 Abs. 2 AsylG. Unter den Begriff ‚besonders schweres Verbrechen' fallen nach Kälin, Grundriss des Asylverfahrens (1990), S 182 und 228 (ua. mit Hinweis auf den UNHCR) und Rohrböck, (Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (1999) Rz 455, mit weiteren Hinweisen auf die internationale Lehre), nach herrschender Lehre des Völkerrechts nur Straftaten, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Typischerweise schwere Verbrechen sind etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen (vgl. VwGH 10.06.1999, 99/01/0288). Zu denken wäre aber auch - auf Grund der Gefährlichkeit und Verwerflichkeit - an besondere Formen der Schlepperei, bei der es zu einer erheblichen Gefährdung, nicht unbedeutenden Verletzung oder gar Tötung oder während der es zu erheblichen mit Folter vergleichbaren Eingriffen in die Rechte der Geschleppten kommt. Die aktuelle Judikatur in Österreich, wie in anderen Mitgliedstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention, verdeutlicht, dass der aus dem Jahre 1951 stammende Begriff des ‚besonders schweren Verbrechens' des Art. 33 Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention einer Anpassung an sich ändernde gesellschaftliche Normenvorstellungen zugänglich ist."; vgl. dazu zuletzt insbesondere VwGH vom 18.10.2018, Zl. Ra 2017/19/0109-8.

 

3.1.2.2. Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer mit Urteil des zuständigen Landesgerichts XXXX vom XXXX (rechtskräftig mit 18.10.2016 gemäß "§§ 114 (1), 114 (3) Z1, FPG und §28a (1) 5. Fall SMG) zu verurteilen war.

 

Zusätzlich zur Freiheitsstrafe von 2 Jahren wurden auch zu den Urteilen des BG XXXX vom XXXX und des LG XXXX vom XXXX zuzüglich die bedingte Strafnachsicht von 4 bzw. 10 Monaten widerrufen.

 

Die vom Beschwerdeführer begangenen Verbrechen der Schlepperei und des Suchtgifthandels erweisen sich vor dem Hintergrund der oben zitierten ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und der genannten erläuternden Bemerkungen als besonders schwere Verbrechen. Sie erweisen sich einerseits angesichts des Strafrahmens als objektiv besonders schwerwiegend. Auch subjektiv erweisen sich die Verbrechen des Beschwerdeführers als besonders schwerwiegend. Auf Grund der strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers für diese Taten und den dort getroffenen Feststellungen zu subjektiven Tatseite ist dem vom Asylgesetz verlangten Beweismaßstab (VwGH 21.04.2015, Ra 2014/01/0154; 17.02.2015, Ra 2014/01/0172) im Übrigen Rechnung getragen.

 

3.1.2.3. Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 06.10.1999, Zl. 99/01/0288, zu den weiteren Voraussetzungen ausgeführt hat, dürfen nur gemeingefährliche Straftäter in den Heimat- oder Herkunftsstaat verbracht werden. Bestehe für das zukünftige Verhalten des Täters eine günstige Prognose, dürfe § 13 Abs. 2 AsylG (im gegenständlichen Fall § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005) im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GFK nicht angewendet werden. Für diese zu erstellende Zukunftsprognose (zur Beurteilung der Gemeingefährlichkeit des Straftäters) kommt es auf "das gesamte Verhalten des Antragstellers" an. Demgemäß seien seine Einstellung während der Dauer seines Aufenthaltes gegenüber dem Staat bzw. der Gemeinschaft der in diesem Staat lebenden Bürger und seine in diesem Zeitraum gesetzten Handlungen maßgeblich, welche geeignet wären, das ordentliche und sichere Zusammenleben der Gemeinschaft zu gefährden.

 

Wie bereits oben in der Beweiswürdigung ausgeführt, ergibt sich die Gemeingefährlichkeit des Beschwerdeführers nicht nur aus den seinen Verurteilungen zugrundeliegenden Taten, sondern auch aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer insgesamt 6 Vorstrafen aufweist, sogar in Justizhaft straffällig wurde. Auch dieses Verhalten zeigt, dass der Beschwerdeführer offensichtlich nicht gewillt ist, sich an Regeln oder die österreichische Rechtsordnung zu halten. Auch die mangelnde Selbstverantwortung des Beschwerdeführers für seine begangenen Straftaten lässt nicht darauf schließen, dass der Beschwerdeführer nunmehr gewillt ist, sich zukünftig wohl zu verhalten. Die Gemeingefährlichkeit des Beschwerdeführers ergibt sich sohin vor allem aus der Schwere seiner Straffälligkeit und seiner teilweise fehlenden Selbstverantwortung, insbesonders aus der sich massiv steigernden kriminellen Energie seit 2013.

 

Unter Zugrundelegung dieser Erwägungen sind die vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten daher auch als subjektiv besonders schwerwiegend im Sinne der obigen Ausführungen anzusehen. Das Bundesverwaltungsgericht kann daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht von einer positiven Zukunftsprognose ausgehen. Die vom Beschwerdeführer gesetzten Handlungen während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet waren daher jedenfalls geeignet, das ordentliche und sichere Zusammenleben der Gemeinschaft zu gefährden, weshalb der Beschwerdeführer in Gesamtbetrachtung der vorliegenden Umstände als gemeingefährlich anzusehen ist.

 

3.1.2.4. Die Aberkennung des Status des Asylberechtigten aufgrund des Ausschlussgrundes nach § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 bedarf nach der oben dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes weiters einer Güterabwägung, wobei die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung gegenüber den Interessen des (anerkannten) Flüchtlings am (Weiter‑)Bestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat abzuwägen sind. Im Rahmen dieser Güterabwägung sind die Verwerflichkeit des Verbrechens und die potentielle Gefahr für die Allgemeinheit den Schutzinteressen des anerkannten Flüchtlings - beinhaltend das Ausmaß und die Art der ihm im Heimatland drohenden Maßnahmen und Verfolgungen - gegenüberzustellen.

 

Aus den in den in der Beweiswürdigung dargelegten Gründen kann im Falle der Rückkehr des Beschwerdeführers in die Russische Föderation außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus, zB in Moskau, keine asylrelevante Gefährdung festgestellt werden (selbst die Gefährdung in Tschetschenien selbst erscheint dem erkennenden Gericht wie dargestellt nicht gegeben, hat der BF doch offensichtlich sein Posting nur getätigt, um einen Nachfluchtgrund zu konstruieren).

 

Dem Beschwerdeführer droht jedenfalls weder auf Grund seines Geschlechts, noch seiner Religionszugehörigkeit oder Volksgruppenzugehörigkeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung außerhalb des Föderationskreises Nordkaukasus. Dem Beschwerdeführer droht auch wegen seines Aussehens keine Gefahr der Verfolgung wegen unterstellter politischer Gesinnung. Dem Beschwerdeführer droht keine Verfolgung aus politischen Gründen oder aus dem Grund der Familienangehörigkeit. Dem Beschwerdeführer droht weder wegen der Asylantragstellung in Österreich noch wegen der Abwesenheit aus der Russischen Föderation Verfolgung.

 

Andere Umstände, auf Grund derer ein Interesse der Russischen Strafverfolgungsbehörden am Beschwerdeführer bestehen könnte, kamen nicht hervor.

 

3.1.2.5. Dem Beschwerdeführer droht in der Russischen Föderation jedenfalls außerhalb des Föderationskreises Nordkaukasus, insb. außerhalb Tschetscheniens, zB in Moskau, keine Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK:

 

Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden. Letzteres wurde wiederum durch das Protokoll Nr. 6 beziehungsweise Nr. 13 zur Abschaffung der Todesstrafe hinfällig. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

 

Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. etwa VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus. Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582; 31.05.2005, 2005/20/0095).

 

Es obliegt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (VwGH 20.09.2017, Ra 2017/19/0276; EGMR 09.01.2018, Fall X, Appl. 36.417/16, Z 50).

 

Der Beschwerdeführer machte hinsichtlich seiner Rückkehrgefährdung im Wesentlichen geltend, dass ihn im Falle der Abschiebung in die Russische Föderation kein faires Verfahren erwarte und Rückkehrer in Tschetschenien vielfältige Gefahren zu befürchten hätten.

 

Hinsichtlich dieser Rückkehrbefürchtungen ist, wie bereits in der Beweiswürdigung ausgeführt, zwischen der Lage in der Teilrepublik Tschetschenien und im Föderationskreis Nordkaukasus einerseits und der Russischen Föderation im Übrigen andererseits zu unterscheiden (vgl. EGMR 27.02.2014, Fall Zarmayev, Appl. 35/10; vgl. auch 25.03.2014, Fall M.G., Appl. 59.297/12, sowie 04.09.2014, Fall M.V. und M.T., Appl. 17.897/09, betreffend Inguschetien sowie 30.11.2017, Fall X, Appl. 54.646/17, betreffend Dagestan; VwGH 20.09.2017, Ra 2017/19/0276, betreffend Tschetschenien). Wie bereits in der Beweiswürdigung ausführlich ausgeführt, droht dem Beschwerdeführer im Falle der Abschiebung nach Moskau kein reales Risiko der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (EGMR, 30.11.2017, Fall X, Appl. 54.646/17).

 

Selbst eine Verurteilung wegen bereits in Österreich abgeurteilter Sachverhalte wegen terroristischer Straftaten ist in der Russischen Föderation wegen des Doppelverfolgungs- und - bestrafungsverbotes nicht zu befürchten (s. VwGH 26.04.2017, Ra 2017/19/0016).

 

Es ergeben sich somit keine Hinweise darauf, dass der konkrete Beschwerdeführer in anderen Landesteilen entweder durch tschetschenische Sicherheitskräfte gefunden und misshandelt, noch von russischen Sicherheitskräften präventiv misshandelt würde (vgl. BVwG 31.01.2018, W211 1428789-2). Es droht dem Beschwerdeführer folglich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit keine Art. 2, 3 EMRK-widrige Behandlung im Herkunftsstaat außerhalb des Föderationskreises Nordkaukausus.

 

Betreffend das 6. und 13. ZPEMRK ist bereits aus dem Grund keine Verletzung des Beschwerdeführers in Rechten zu erwarten, dass den Länderberichten zufolge die Todesstrafe in der Russischen Föderation auf Grund des Moratoriums des Verfassungsgerichts de facto abgeschafft ist.

 

Es sind auch keine Umstände amtsbekannt, dass in der Russischen Föderation aktuell eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung iSd Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre. Wie sich aus den Feststellungen ergibt, ist die Situation in der Russischen Föderation auch nicht dergestalt, dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers für diesen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde; in der Russischen Föderation ist aktuell eine Zivilperson nicht alleine aufgrund ihrer Anwesenheit einer solchen Bedrohung ausgesetzt.

 

Es ist dem Beschwerdeführer jedenfalls möglich und zumutbar, sich in einem anderen Teil der Russischen Föderation, zB in Moskau, Rostow oder Stawropol anzusiedeln, etwa um dort den Beruf als "Sicherheitsdienstmitarbeiter" auszuüben, den der BF beim LG XXXX in der Verhandlung zur Zl. XXXX , genannt hat.

 

Da der Beschwerdeführer einen Auslandsreisepass (wenn auch abgelaufen) verfügt, kann er den Länderberichten zufolge in der gesamten Russischen Föderation eine Anmeldung erlangen. Mit der Anmeldung hat der Beschwerdeführer Zugang zum russischen Sozialsystem. Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig, spricht neben Tschetschenisch auch Russisch und Deutsch. Er kann daher seinen Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit bestreiten. Es kann folglich nicht festgestellt werden, dass ihm im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

 

Die Güterabwägung führt sohin zum Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich im Verhältnis zu seinen privaten Interessen am weiteren Aufenthalt in Österreich.

 

3.1.3. Dem Beschwerdeführer steht aus denselben Gründen eine innerstaatliche Fluchtalternative iSd § 11 AsylG 2005 offen.

 

3.1.4. Somit war in der Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aberkennung des Status des Asylberechtigten, welches aus den oben getroffenen Ausführungen zum strafbaren Verhalten des Beschwerdeführers, der besonderen Schwere und Vorwerfbarkeit desselben und der fehlenden positiven Zukunftsprognose resultiert, gegenüber einem allfälligen individuellen Schutzinteresse des Beschwerdeführers mangels drohender Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr vom Zutreffen der Voraussetzungen insgesamt für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 auszugehen. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ist daher abzuweisen.

 

3.2. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides (Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten):

 

3.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 mit der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 AsylG 2005 zu verbinden.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich jüngst mit der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung zum realen Risiko einer drohenden Verletzung der Art. 2 und 3 EMRK und zur ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im innerstaatlichen Konflikt auseinandergesetzt und diese wie folgt zusammengefasst (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137):

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0053 mwN).

 

Um von der realen Gefahr ("real risk") einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüber hinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (vgl. etwa VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479 und 23.09.2009, 2007/01/0515 mwN).

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass ein "real risk" (reales Risiko) vorliegt, wenn stichhaltige Gründe ("substantial grounds") dafür sprechen, dass die betroffene Person im Falle der Rückkehr in die Heimat das reale Risiko (insbesondere) einer Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte zu gewärtigen hätte. Dafür spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob dieses reale Risiko in der allgemeinen Sicherheitslage im Herkunftsstaat, in individuellen Risikofaktoren des Einzelnen oder in der Kombination beider Umstände begründet ist. Allerdings betont der EGMR in seiner Rechtsprechung auch, dass nicht jede prekäre allgemeine Sicherheitslage ein reales Risiko iSd Art. 3 EMRK hervorruft. Im Gegenteil lässt sich seiner Judikatur entnehmen, dass eine Situation genereller Gewalt nur in sehr extremen Fällen ("in the most extreme cases") diese Voraussetzung erfüllt (vgl. etwa EGMR 28.11.2011, Nr. 8319/07 und 11449/07, Sufi und Elmi gg. Vereinigtes Königreich, RNr. 218 mit Hinweis auf EGMR 17.07.2008, Nr. 25904/07, NA gg. Vereinigtes Königreich). In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen ("special distinguishing features"), aufgrund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (vgl. etwa EGMR Sufi und Elmi, RNr. 217).

 

Thurin (Der Schutz des Fremden vor rechtswidriger Abschiebung2 [2012] 203) fasst die bezughabenden Aussagen in der Rechtsprechung des EGMR dahingehend zusammen, dass der maßgebliche Unterschied zwischen einem "realen Risiko" und einer "bloßen Möglichkeit" prinzipiell im Vorliegen oder Nichtvorliegen von "special distinguishing features" zu erblicken ist, die auf ein "persönliches" ("personal") und "vorhersehbares" ("foreseeable") Risiko schließen lassen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bestehe nur in sehr extremen Fällen ("most extreme cases"), wenn die allgemeine Lage im Herkunftsstaat so ernst sei, dass praktisch jeder, der dorthin abgeschoben wird, einem realen und unmittelbar drohenden ("real and imminent") Risiko einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sei. Diesfalls sei das reale Risiko bereits durch die extreme allgemeine Gefahrenlage im Zielstaat indiziert.

 

Auch im jüngst ergangenen Urteil der Großen Kammer vom 23.08.2016, Nr. 59166/12, J.K. u.a. gegen Schweden, beschäftigte sich der EGMR mit seiner einschlägigen Rechtsprechung und führte u.a. aus, dass die Beweislast für das Vorliegen eines realen Risikos in Bezug auf individuelle Gefährdungsmomente für eine Person grundsätzlich bei dieser liege (v.a. RNr. 91 und 96), gleichzeitig aber die Schwierigkeiten, mit denen ein Asylwerber bei der Beschaffung von Beweismitteln konfrontiert sei, in Betracht zu ziehen seien und bei einem entsprechend substantiierten Vorbringen des Asylwerbers, weshalb sich seine Lage von jener anderer Personen im Herkunftsstaat unterscheide (vgl. RNr. 94), im Zweifel zu seinen Gunsten zu entscheiden sei (RNr. 97). Soweit es um die allgemeine Lage im Herkunftsstaat gehe, sei jedoch ein anderer Ansatz heranzuziehen. Diesbezüglich hätten die Asylbehörden vollen Zugang zu den relevanten Informationen und es liege an ihnen, die allgemeine Lage im betreffenden Staat (einschließlich der Schutzfähigkeit der Behörden im Herkunftsstaat) von Amts wegen festzustellen und nachzuweisen (RNr. 98).

 

Der Tatbestand einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 orientiert sich an Art. 15 lit. c der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EG ) und umfasst - wie der Gerichtshof der Europäischen Union erkannt hat - eine Schadensgefahr allgemeiner Art, die sich als "willkürlich" erweist, also sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann. Entscheidend für die Annahme einer solchen Gefährdung ist nach den Ausführgen des EuGH, dass der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dabei ist zu beachtend, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH 17.02.2009, C-465/07 , Elgafaji, und vom 30.01.2014, C-285/12 , Diakité).

 

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl. VwGH vom 08.09.2016, Ra 2016/20/0063).

 

Darüber hinaus ist auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte zu verweisen, wonach es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 05.10.2016, Ra 2016/19/0158 mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 05.09.2013, I gegen Schweden, Nr. 61204/09 und mwH).

 

3.2.2. Dies ist dem Beschwerdeführer im vorliegenden Fall nicht gelungen:

 

Dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. diesbezüglich auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.07.2003, 2003/01/0059, zur dargestellten "Schwelle" des Art. 3 EMRK), kann im Beschwerdefall nicht angenommen werden. Wie bereits oben ausgeführt, droht dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus mit der in diesem Zusammenhang maßgeblichen Wahrscheinlichkeit weder eine Gefährdungssituation im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005, noch stehen "außergewöhnliche Umstände" der Rückkehr des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat außerhalb des Föderationskreises Nordkaukasus, insb. Tschetscheniens, entgegen, noch droht ihm dort eine Verfolgung iSd § 3 AsylG 2005.

 

Irgendein besonderes "real risk", dass es durch die Rückführung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus zu einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen würde, kann nicht erkannt werden, außergewöhnliche Umstände im Sinne der Judikatur des EGMR, die gegen eine Abschiebung in die Russische Föderation außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus sprechen würden, sind nicht erkennbar. Der Beschwerdeführer verfügt jedenfalls außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus, zB in Moskau, Rostow oder Stawropol, über eine innerstaatliche Fluchtalternative iSd § 11 Abs. 1 AsylG 2005.

 

Darüber hinaus ist der Beschwerdeführer gesund und arbeitsfähig. Er beherrscht die Russische Sprache und verfügt über Verwandte in Tschetschenien, die ihn - ebenso wie seine Angehörigen aus Österreich - zumindest anfänglich finanziell unterstützen können. Es ist dem Beschwerdeführer jedenfalls zumutbar, in der tschetschenischen Diaspora etwa in Moskau, Rostow oder Stawropol Fuß zu fassen und einen Arbeitsplatz zu finden.

 

Im Hinblick auf die gegebenen Umstände kann daher ein "reales Risiko" einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erkannt werden und ist daher die Beschwerde hinsichtlich des Spruchpunkts II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 abzuweisen.

 

3.3. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt III. - V. des angefochtenen Bescheides (Nichterteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz, Rückkehrentscheidung, Zulässigkeit der Abschiebung in die Russische Föderation):

 

3.3.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt und kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt wird.

 

Gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige. Gemäß § 52 Abs. 9 AsylG 2005 hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

 

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt. Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn die Rückkehrentscheidung aufgrund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

 

3.3.2. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des Beschwerdeführers weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist noch der Beschwerdeführer ein Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 FPG wurde. Weder hat der Beschwerdeführer das Vorliegen eines der Gründe des § 57 FPG behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.

 

3.3.3. Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iSd Art. 8 EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 überhaupt in Betracht (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

 

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

 

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - folgende Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423):

 

? die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

? das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

? die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

? der Grad der Integration,

 

? die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

? die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

? Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

? die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

? die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern zB auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

 

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff.). Eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration ist erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, davon aus, dass "der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte". Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 ua. mwH).

 

Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner langjährigen Rechtsprechung zu Ausweisungen Fremder wiederholt ausgesprochen, dass die EMRK Fremden nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Land garantiert und die Konventionsstaaten im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, die Wahl des Aufenthaltslandes durch Einwanderer zu respektieren und auf ihrem Territorium die Familienzusammenführung zu gestatten. Dennoch kann in einem Fall, der sowohl die Achtung des Familienlebens, als auch Fragen der Einwanderung betrifft, der Umfang der staatlichen Verpflichtung, Familienangehörigen von im Staat ansässigen Personen Aufenthalt zu gewähren, - je nach der Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse - variieren (vgl. z.B. EGMR 05.09.2000, Solomon v. Niederlande, Appl. 44328/98; EGMR 09.10.2003, Slivenko v. Lettland, Appl. 48321/99; EGMR 22.04.2004, Radovanovic v. Österreich, Appl. 42703/98; EGMR 31.01.2006, da Silva und Hoogkamer

  1. v. Niederlande, Appl. 50435/99; EGMR 31.07.2008, Darren Omoregie ua
  2. v. Norwegen, Appl. 265/07).

 

3.3.3.1. Was einen allfälligen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers betrifft, ist Folgendes festzuhalten:

 

Im vorliegenden Fall ist - nicht zuletzt wegen der Aufenthaltsdauer und dem Vorhandensein von Kindern und des Ehepartners von einem bestehenden Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich auszugehen. Die gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung fällt nach Ansicht des zuständigen Richters des Bundesverwaltungsgerichts in Übereinstimmung mit dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, das die Interessenabwägung mängelfrei vorgenommen hat, jedoch zu Lasten des Beschwerdeführers aus und stellt die Rückkehrentscheidung jedenfalls keinen unzulässigen Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK dar.

 

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über seine Kinder und seine Frau. Grundsätzlich ist das Familienleben des Beschwerdeführers zu seiner Kernfamilie in Österreich als sehr eingeschränkt zu beurteilen. Der Beschwerdeführer befindet sich seit Jahren durchgehend in Strafhaft. In Anbetracht des Umstandes, dass der Beschwerdeführer die Beziehung zu seiner Kernfamilie in den letzten mehr als 2 Jahren nur über Besuche, Telefonate und Briefe aufrechterhalten konnte, erscheint dessen Familienleben als erheblich herabgesetzt. Auch ist weder die Familie des Beschwerdeführers von diesem abhängig, noch steht der Beschwerdeführer zu seiner Familie in einem Abhängigkeitsverhältnis. Ein ungerechtfertigter Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers kann unter diesen Umständen nicht erkannt werden.

 

Darüber hinaus steht es den - asylberechtigten - Angehörigen des Beschwerdeführers frei, diesen etwa in Drittländern (Weißrussland) zu besuchen. Da der Kontakt zu seiner Familie während der Haft seit 2 Jahren durch Besuche gelebt wurde, erscheint es dem Beschwerdeführer zumutbar, den Kontakt - abgesehen von Besuchen seitens seiner Familie in Drittländern- durch elektronische Medien, Briefe und Telefon aufrecht zu erhalten.

 

Der Beschwerdeführer war bisher infolge seines Status als Asylberechtigter legal in Österreich aufhältig; er hält sich durchgehend seit 2003, sohin über 15 Jahre, in Österreich auf, weswegen er über ein Privatleben in Österreich iSd Art. 8 EMRK verfügt. Der Eingriff in sein Privatleben ist jedoch gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK iVm § 9 BFA-VG verhältnismäßig, hat der BF doch seine Ausbildung im Herkunftsstaat erfahren, er kennt unverändert die dortigen Lebensgewohnheiten, spricht die Landessprache und verkehrt wohl auch im Bundesgebiet mit Personen aus dem Tschetschenischen/kaukasischen Kulturkreis, was sich daraus ergibt, dass der BF regelmäßig mit Mittätern aus Tschetschenien vor Gericht stand.

 

All dies wird zudem durch die schwere Straffälligkeit des Bescherdeführers in Österreich relativiert. Die Fortsetzung seines Aufenthaltes stellt nicht zuletzt mit der Verurteilung wegen des Verbrechens der Schlepperei und des Suchtgifthandels nunmehr eine besondere Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich dar. Wie bereits oben ausgeführt, bildet das vom Beschwerdeführer begangene Delikt unter den oben dargelegten vorliegenden Umständen des Einzelfalles eine besonders schwere Straftat und ist davon auszugehen, dass seitens des Beschwerdeführers nach wie vor eine Gefahr für die Gemeinschaft ausgeht und er dadurch eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit darstellt.

 

Der zuständige Richter übersieht nicht, dass der Beschwerdeführer die Russische Föderation bereits vor 15 Jahren verlassen hat und einen großen Teil seines Lebens in Österreich verbrachte. Dennoch steht all dies vor dem Hintergrund der massiven Straffälligkeit des Beschwerdeführers einer Rückkehrentscheidung nicht entgegen. Diesbezüglich ist insbesondere auf die Entscheidung des EGMR zu verweisen, in welcher dieser keine Verletzung der in Art. 8 EMRK geschützten Rechte durch die Ausweisung eines Fremden erblickt hat, der sich seit seiner Geburt im Aufenthaltsstaat aufgehalten hatte, in weiterer Folge aber wegen schwerer Gewaltverbrechen (die er zum Teil vor, zum Teil nach Erreichung der Volljährigkeit begangen hat) verurteilt wurde. Dass er nach der letzten Verurteilung nicht wieder straffällig geworden ist, sei darauf zurückzuführen, dass er sich zum Teil in Haft befunden, zum Teil aber auch in seinem Heimatstaat aufgehalten hatte. Zudem beherrsche er auch die Sprache seines Heimatstaates, wo auch Verwandte von ihm leben (Mutlag gg. Deutschland, 25.03.2010, 40.601/05, Rz 55 ff.). Wenn sogar die Ausweisung eines wiederholt straffällig gewordenen Fremden, der sich seit seiner Geburt im Aufenthaltsstaat aufgehalten hat, iSd Art. 8 EMRK gerechtfertigt ist, so muss dies umso mehr für den Fall des Beschwerdeführers gelten, der mehr als 2 Jahrzehnte in seinem Herkunftsstaat verbracht hat und mit der Russischen Sprache vertraut ist.

 

In diesem Zusammenhang wird auch auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 23.03.1995, Zl. 95/18/0061, verwiesen, in welchen der VwGH ausdrücklich ausgeführt hat, dass das wiederholte Fehlverhalten des Fremden (im damals vom VwGH beurteilten Verfahren waren dies die Delikte des Einbruchsdiebstahles und der Hehlerei) eine erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit bewirkt und derart schwerwiegend ist, dass auch die stark ausgeprägten privaten und familiären Interessen des Fremden, der mit seiner Familie, Gattin und Kindern, seit fünfzehn Jahren in Österreich lebte, zurücktreten müssen (vgl. auch VwGH 08.02.1996, 95/18/0009).

 

Auch wenn der Beschwerdeführer somit bereits 15 Jahre in Österreich verbracht hat, ist nicht davon auszugehen, dass er seinem Herkunftsstaat und den dort herrschenden Gepflogenheiten und Lebensumständen derart entrückt und entfremdet wäre, dass ihm eine Rückkehr und Wiedereingliederung in die russische Gesellschaft unzumutbar und unmöglich wäre. Vielmehr ist davon auszugehen, dass dem gesunden und arbeitsfähigen Beschwerdeführer, der auch Staatsangehöriger der Russischen Föderation ist, mit Hilfe der im Herkunftsstaat nach wie vor bestehenden oder wieder aufnehmbaren Kontakte eine Reintegration in seinen Herkunftsstaat möglich sein wird.

 

Es überwiegen daher - trotz Vorliegens eines Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers - aufgrund der genannten Umstände in einer Gesamtabwägung eindeutig die öffentlichen Interessen an der Verhinderung von strafbaren Handlungen sowie auch der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung und an einer Aufenthaltsbeendigung gegenüber jenen des Beschwerdeführers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet, zumal die weitgehende Unbescholtenheit als wichtiges Element für die Annahme sozialer Integration gilt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 859).

 

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde somit zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet seinen persönlichen Interessen am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

 

Die Erlassung der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist daher ebenfalls nicht geboten.

 

3.3.4. Die Voraussetzungen des § 10 AsylG 2005 liegen vor: Da dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt, ist die Rückkehrentscheidungen gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 zu erlassen. Es ist auch - wie bereits ausgeführt - kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen.

 

§ 52 Abs. 2 Z 3 FPG setzt weiters voraus, dass kein Fall der § 8 Abs. 3a oder § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Wie oben bereits ausgeführt, liegen keine Umstände vor, die die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erfordern würden, weswegen weder Fälle des § 8 Abs. 3a noch des § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegen.

 

3.3.5. Mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in einen bestimmten Staat zulässig ist.

 

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre.

 

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 2 FPG unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative.

 

Die Abschiebung ist schließlich nach § 50 Abs. 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht gegenständlich nicht.

 

Die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat ist gegeben, da den dieser Entscheidung zugrundeliegenden Feststellungen zufolge keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde.

 

Da somit alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung vorliegen, ist die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des o.a. Bescheides als unbegründet abzuweisen.

 

3.4. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides (Einreiseverbot):

 

3.4.1. Gemäß § 53 Abs. 1 FPG kann mit einer Rückkehrentscheidung vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

 

Gemäß § 53 Abs. 3 FPG ist ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 8 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist (Z 1).

 

Gemäß § 53 Abs. 4 FPG beginnt die Frist des Einreiseverbotes mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.

 

3.4.2. Bei der für ein Einreiseverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289; 24.03.2015, Ra 2014/21/0049).

 

Bei der Entscheidung betreffend die Verhängung eines Einreiseverbots ist - abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des Fremden - darauf abzustellen, wie lange die vom Fremden ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist (VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237).

 

Weiters ist bei der Entscheidung über die Dauer des Einreiseverbots auch auf die privaten und familiären Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen (VwGH 30.06.2015, Ra 2015/21/0002; vgl. auch Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 53 FPG, K12).

 

Schließlich darf bei der Verhängung eines Einreiseverbots das Ausschöpfen der vorgesehenen Höchstfristen nicht regelmäßig schon dann erfolgen, wenn einer der Fälle des § 53 Abs. 2 Z 1 bis 9 bzw. des § 53 Abs. 3 Z 1 bis 8 FPG vorliegt (vgl. etwa VwGH 30.6.2015, Ra 2015/21/0002 mwH).

 

3.4.3. Die Tatbestände gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPGsind infolge der mehrfachen strafrechtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers zu Freiheitsstrafen von mehr als 6 Monaten, zuletzt wegen der Verbrechen der Schlepperei und des Suchtgifthandels unbestrittenermaßen erfüllt. Die Erfüllung dieser Tatbestände indiziert bereits gemäß § 53 Abs. 3 FPG das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit.

 

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich auch in diesem Zusammenhang den Ausführungen der belangten Behörde an.

 

Wie bereits oben ausführlich dargelegt, wiegt das vom Beschwerdeführer gesetzte Fehlverhalten schwer, da sich aus seinem Verhalten eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich manifestiert. Für den Beschwerdeführer scheinen im österreichischen Strafregister die genannten Verurteilungen wegen schwerer Verbrechen auf.

 

Aufgrund der besonderen Schwere des Fehlverhaltens ist unter Bedachtnahme auf das Gesamtverhalten, davon auszugehen, dass die im Gesetz umschriebene Annahme, dass der Beschwerdeführer eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt, gerechtfertigt ist.

 

Bei der Bemessung des Einreiseverbotes, kann sich die Behörde nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen zurückziehen, sondern ist insbesondere auch die Intensität der privaten und familiären Bindungen zu Österreich einzubeziehen (VwgH 7.11.2012, 2012/18/0057).

 

Wie bereits zur Frage der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ausführlich geprüft und festgestellt, sind die familiären und privaten Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers in Österreich nicht dergestalt, dass sie jedenfalls einen Verbleib in Österreich rechtfertigen würden. Die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ist im Sinne des Eingriffsverhaltens gemäß Art. 8 EMRK gerechtfertigt. Es muss daher unter Berücksichtigung des in § 53 Abs. 3 FPG genannten Tatbestandes ebenso davon ausgegangen werden, dass das öffentliche Interesse an Ordnung und Sicherheit dem persönlichen Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich überwiegt, ist doch angesichts der beschriebenen Uneinsichtigkeit von einer Tatwiederholung realistischerweise auszugehen.

 

Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Landesgericht XXXX in seiner Entscheidung vom XXXX auch die in der Vergangenheit bedingt gewährten Strafnachsichten zu den Urteilen des LG XXXX vom XXXX und des BG XXXX vom XXXX widerrufen hat.

 

In diesem Urteil hat das Landesgericht XXXX zudem die Gefährlichkeit von Suchtmittel- und Schlepperdelikten im Allgemeinen und der Gefährlichkeit des Beschwerdeführers in Bezug auf sein durch mehrere einschlägige Vorstrafen getrübtes Vorleben im Besonderen, sowie aus der Tatsache, dass er sich schon mehrmals der Rechtswohltat bedingter Strafnachsichten nicht würdig gezeigt hat, berücksichtigt, weshalb eine empfindliche unbedingte Freiheitsstrafe zu verhängen war. Auch der Widerruf der den BF gewährten bedingten Strafnachsichten war demzufolge geboten, um ihm das massive Unrecht seiner Taten einträglich vor Augen führen zu können. Das LG XXXX führt aus, dass der BF sich trotz mehrmaliger bedingter Strafnachsichten in der Vergangenheit kein Verhalten angeeignet hätte, aus dem sein Bemühen, sich wieder sozial zu intregrieren, geschlossen werden könne. Die Steigerung krimineller Energie gegen fremdes Vermögen bzw. die Sicherheit von Personen wurde ausdrücklich erwähnt und kann auch das erkennende Gericht diesen Eindruck nur bestätigen, dass angesichts auch der nachfolgenden Verurteilungen durch das LG XXXX vom XXXX keine Besserung beim BF erkennbar ist. Es bedarf somit offenkundig auch der Erlassung eines Einreiseverbotes, um die Öffentlichkeit vor weiteren schwerwiegenden Straftaten des BF zu schützen.

 

Es kann daher der belangten Behörde nicht vorgeworfen werden, wenn sie im vorliegenden Fall von einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausging, welche die Anordnung eines Einreiseverbotes erforderlich macht.

 

Das von der belangten Behörde angeordnete Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG erweist sich somit dem Grunde nach als gerechtfertigt, weshalb eine gänzliche Aufhebung, aber auch eine Reduzierung des Einreiseverbotes nicht in Betracht kommt.

 

Im gegenständlichen Fall erweist sich allerdings die von der belangten Behörde verhängte, mit 8 Jahren befristete Dauer des Einreiseverbotes als angemessen. Dies aus folgenden Erwägungen:

 

Wie oben bereits zitiert, verlangt die Judikatur bei der Verhängung eines Einreiseverbots - abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des Fremden - eine Abwägung, wie lange die vom Fremden ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist (VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237).

 

Diesbezüglich ist auszuführen, dass der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung mit einem nur geringer befristeten Einreiseverbot nicht Genüge getan zu sein scheint. Es wird von dem zuständigen Richter vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen zur nach wie vor bestehenden Gefährdung für die Gemeinschaft sowie die Sicherheit und Ordnung in Österreich nicht übersehen, dass für den Beschwerdeführer zum momentanen Zeitpunkt überhaupt keine positive Zukunftsprognose abgegeben werden kann. Dies nicht zuletzt, da für die Annahme eines Wegfalls der sich durch das bisherige Fehlverhalten manifestierenden Gefährlichkeit des Fremden in erster Linie das Verhalten in Freiheit maßgeblich ist, sich der Beschwerdeführer jedoch seit Jahren in Justizhaft befindet und seine Aussageverhalten von der Behörde nicht darauf hindeutete, die Einhaltung von Regeln wäre seine oberste Priorität.

 

Demzufolge kann auch keinesfalls angenommen werden, dass der BF in Zukunft seinen Lebenswandel völlig umstellt bzw. dass seine Einstellung eine Wandlung erfahren hätte.

 

Somit kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt keine positive Zukunftsprognose für den BF abgegeben werden und ist überhaupt nicht ersichtlich, dass etwa nach einem gewissen Zeitraum der BF seine grundsätzliche Haltung geändert hätte. Der BF kann auch nicht für sich ins Treffen führen, dass er die Straftaten im jugendlichen Leichtsinn begangen hätte.

 

Unter diesen Prämissen ist die von der belangten Behörde verhängte befristete Dauer des Einreiseverbotes nicht zu hoch angesetzt.

 

Entfall einer mündlichen Verhandlung:

 

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

 

Gemäß § 24 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

 

Nach Abs. 4 leg. Cit. kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetze nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteienantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtslage nicht erwarten lässt, und einem Entfall der mündlichen Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der EMRK noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010, S 389, (2010, C 83/02 ) entgegensteht.

 

Gemäß Art. 47 Abs. 1 GRC hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Zufolge des Abs. 2 leg. cit. hat jede Person das Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.

 

Nach Art. 25 Abs. 1 GRC muss jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie notwendig sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

 

Zur Frage der Verhandlungspflicht brachte der Verfassungsgerichtshof etwa in seinem Erkenntnis vom 14.03.2012, U 466/11, u.a. zum Ausdruck, er hege vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung weder Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 41 Abs. 7 AsylG, noch könne er finden, dass der Asylgerichtshof der Bestimmung durch das Absehen von der Verhandlung einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt habe. Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergebe, dass das Vorbringen tatsachenwidrig sei, steht im Einklang mit Art. 47. Abs. 2 GRC, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden habe, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt worden sei.

 

Übertragen auf den vorliegenden Beschwerdefall erfordert ein Unterbleiben einer Verhandlung vor dem BVwG somit, dass aus dem Akteninhalt der belangten Behörde die Grundlage des bekämpften Bescheides unzweifelhaft nachvollziehbar ist.

 

Der VwGH hat zur Frage der Verhandlungspflicht mit Erkenntnis vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 ausgesprochen, dass sich die bisher zu § 67d AVG ergangene Rechtsprechung auf das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten weitgehend übertragen lässt. Für den Anwendungsbereich der vom BFA-VG 2014 erfassten Verfahren ist primär § 21 Abs. 1 und subsidiär § 24 Abs. 4 VwGVG als maßgeblich heranzuziehen. Für die Auslegung der Wendung in § 21 Abs. 7 BFA-VG 2014 "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde erklärt scheint", sind nunmehr folgende Kriterien beachtlich: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die, die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende, Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf keine dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, dass gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.

 

Im gegenständlichen Fall ist dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch die belangte Behörde vorausgegangen. Der Sachverhalt wurde nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung der belangten Behörde festgestellt. Insbesondere ist die belangte Behörde ihrer Ermittlungspflicht durch die die Einsicht in die Strafurteile und detaillierte Befragung des Beschwerdeführers nachgekommen. Es wurde in der Beschwerde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüberhinausgehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet. Vielmehr finden sich dort im Wesentlichen Wiederholungen des bisherigen Vorbringens sowie Kritik an der rechtlichen Beurteilung, der nicht gefolgt werden konnte.

 

Auch wurde den Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid nichts Substantiiertes entgegengehalten und hat auch ein Abgleich mit den aktuellsten Länderinformationen zum Herkunftsstaat nicht ergeben, dass sich die dortige Situation entscheidungswesentlich verändert hätte.

 

Mit der Beschwerde wurde daher auf Sachverhaltsebene nichts Entscheidungsrelevantes mehr vorgebracht und wurden auch keine weiteren Dokumente oder Unterlagen vorgelegt.

 

Dem BVwG liegt sohin kein Beschwerdevorbringen vor, das mit dem Beschwerdeführer mündlich zu erörtern gewesen wäre.

 

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

 

Soweit die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist sie ist jedoch nach Ansicht der zuständigen Richterin auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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