VwGH Ra 2017/19/0109

VwGHRa 2017/19/010918.10.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, in der Revisionssache des M T, vertreten durch Mag. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Jänner 2017, W196 2129965-1/15E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 1997 §13 Abs2;
AsylG 2005 §6 Abs1 Z4;
AsylG 2005 §6 Abs1;
AsylG 2005 §6 Abs2;
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1;
AsylG 2005 §8 Abs1;
AsylG 2005 §8;
FlKonv Art33 Z2;
MRK Art2;
MRK Art3;
MRK Art8;
StGB §201 Abs1;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017190109.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein der Volksgruppe der Tschetschenen zugehöriger russischer Staatsangehöriger, stellte - vertreten durch seine Mutter - am 14. Oktober 2004 einen Asylantrag nach dem Asylgesetz 1997 (AsylG 1997). Mit Bescheid vom 3. Juni 2005 gab das Bundesasylamt diesem Antrag im Familienverfahren statt, gewährte dem Revisionswerber Asyl und stellte fest, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

2 Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 6. August 2009 wurde der Revisionswerber rechtskräftig zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Monaten wegen des Verbrechens des Raubes gemäß § 142 Abs. 1 StGB sowie der Verbrechen der versuchten und der vollendeten schweren Nötigung gemäß §§ 105, 106 Abs. 1 Z 1 und 15 StGB als Jugendstraftaten (§ 5 Z 4 JGG) verurteilt.

Mit Urteil vom 12. Februar 2010 verurteilte das Landesgericht für Strafsachen Wien den Revisionswerber rechtskräftig zu einer Zusatzfreiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten unter Bedachtnahme auf seine Verurteilung vom 6. August 2009 wegen der Verbrechen des schweren Raubes gemäß §§ 142 Abs. 1 und 143 erster Fall StGB sowie der schweren Nötigung gemäß §§ 105, 106 Abs. 1 Z 1 StGB als Jugendstraftaten (§ 5 Z 4 JGG).

Weiters wurde der Revisionswerber mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 21. September 2011 rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren und sechs Monaten wegen der Verbrechen des Raubes gemäß § 142 Abs. 1 StGB sowie der versuchten Erpressung gemäß §§ 15 und 144 Abs. 1 StGB als Jugendstraftaten (§ 5 Z 4 JGG) verurteilt.

Schließlich erfolgte am 10. März 2016 eine Verurteilung durch das Landesgericht für Strafsachen Wien zu einer Freiheitstrafe in der Dauer von sieben Monaten wegen der Vergehen des versuchten Diebstahls gemäß §§ 15 und 127 StGB, der Urkundenunterdrückung gemäß § 229 Abs. 1 StGB sowie des unbefugten Waffenbesitzes gemäß § 50 Abs. 1 Z 2 und 3 Waffengesetz.

3 Mit Bescheid vom 22. April 2016 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem Revisionswerber den Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ab und stellte fest, dass ihm gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme. Es erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Russische Föderation zulässig sei, und legte ein Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise des Revisionswerbers fest.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 24. Jänner 2017 wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab und erklärte die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

6 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit ausgeführt, dem Bundesverwaltungsgericht seien hinsichtlich der Frage, ob im vorliegenden Fall ein "besonders schweres Verbrechen" vorliege, in Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Begründungsmängel unterlaufen.

7 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müssen für die Anwendung des § 13 Abs. 2 zweiter Fall AsylG 1997 (entspricht § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005) kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Herkunftsstaat verbracht werden darf: Er muss erstens ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür zweitens rechtskräftig verurteilt worden und drittens gemeingefährlich sein, und schließlich müssen die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung seine Interessen am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen. Es genügt nicht, wenn ein abstrakt als "schwer" einzustufendes Delikt verübt worden ist. Die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen. In gravierenden Fällen schwerer Verbrechen ist bereits ohne umfassende Prüfung der einzelnen Tatumstände eine eindeutige Wertung als schweres Verbrechen mit negativer Zukunftsprognose zulässig (vgl. zu alldem VwGH 23.9.2009, 2006/01/0626, mwN, sowie zuletzt etwa VwGH 14.2.2018, Ra 2017/18/0419).

8 Ausgehend davon ist es nicht zu beanstanden, wenn das Bundesverwaltungsgericht in Hinblick auf die Vielzahl der einschlägigen rechtskräftigen Verurteilungen und der deshalb verhängten, überwiegend unbedingten Freiheitsstrafen die vom Revisionswerber verwirklichten Delikte insgesamt als "besonders schweres Verbrechen" qualifiziert hat (vgl. hiezu noch einmal VwGH 2006/01/0626). Die vom Revisionswerber in diesem Zusammenhang aufgezeigten subjektiven Umstände vermögen an dieser Beurteilung nichts zu ändern.

Soweit der Revisionswerber in Zusammenhang mit der Auslegung des Begriffs "besonders schweres Verbrechen" auf das Erkenntnis VwGH 3.12.2002, 99/01/0449, verweist, ist ihm entgegenzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof in dieser Entscheidung von einer demonstrativen und daher keineswegs abschließenden Aufzählung von Delikten in Zusammenhang mit Art. 33 Abs. 2 GFK ausgegangen ist (arg: "Typischerweise schwere Verbrechen seien demnach (...) etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen").

9 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit weiters vor, das Bundesverwaltungsgericht habe die im Rahmen der Asylaberkennung verpflichtende Güterabwägung "überhaupt nicht vorgenommen". Hätte es die potentielle Gefahr des Revisionswerbers für die Allgemeinheit gegen die Gefahr der Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK in der Russischen Föderation abgewogen, wäre nicht ausgeschlossen, dass die individuellen Schutzinteressen des Revisionswerbers die öffentlichen Interessen an der Nichtasylgewährung überwiegen würden. Selbst wenn die Auffassung vertreten werde, dass im vorliegenden Fall ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliege und deshalb der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen gewesen sei, hätte das Bundesverwaltungsgericht zumindest die Feststellung treffen müssen, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in die russische Föderation gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 unzulässig sei.

10 § 6 Abs. 2 AsylG 2005 spricht zwar davon, dass der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden kann, wenn ein Ausschlussgrund nach Abs. 1 vorliegt, normiert jedoch auch in diesem Fall die Anwendung des § 8 AsylG 2005 (arg.: "§ 8 gilt."). Das Vorliegen eines Asylausschlusstatbestandes bedeutet nicht zwangsläufig, dass auch eine Abschiebung, Zurückschiebung oder Zurückweisung zulässig wäre, da etwa Art. 3 EMRK Vorrang gegenüber Art. 33 Z 2 GFK habe (vgl. RV 952 BlgNR 22. GP , 36 sowie das bereits zitierte Erkenntnis VwGH 2006/01/0626).

11 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Um von der realen Gefahr ("real risk") einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüber hinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (vgl. VwGH 26.4.2017, Ra 2017/19/0016, mwN).

12 Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 12.10.2016, Ra 2016/18/0039, mwN).

13 Das Bundesverwaltungsgericht gelangte im vorliegenden Fall zum Ergebnis, dass sich kein reales Risiko einer Verletzung von Art. 2 und Art. 3 EMRK ergebe und das Vorbringen des Revisionswerbers nicht geeignet sei, ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen. Der Revisionswerber legt nicht dar, inwiefern durch eine nähere Auseinandersetzung mit der Situation von Rückkehrern nach Tschetschenien eine über die bloße Möglichkeit hinausgehende Wahrscheinlichkeit der Verletzung seiner durch die EMRK geschützten Rechte aufgezeigt werden könne. Der bloße Verweis auf die dem Erkenntnis ohnehin zu Grunde gelegten Länderfeststellungen reicht dazu nicht aus.

14 Schließlich wendet sich der Revisionswerber gegen die Rückkehrentscheidung und bringt dazu vor, das Bundesverwaltungsgericht habe nicht alle relevanten Aspekte in die Abwägung nach Art. 8 EMRK einbezogen. Diese sei nicht auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt.

15 Auch bei der Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK handelt es sich im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt ist und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - um eine Einzelfallentscheidung, die grundsätzlich nicht revisibel ist (vgl. VwGH 22.2.2017, Ra 2017/19/0001, mwN).

Bei der Beurteilung der Frage, ob die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zulässig ist, kann auch ein langjähriger Aufenthalt des Fremden in Österreich ua. durch sein massives strafrechtliches Fehlverhalten relativiert sein (vgl. VwGH 1.3.2016, Ra 2015/18/0247, mwN).

16 Im vorliegenden Fall hat das Bundesverwaltungsgericht in einer Gesamtbetrachtung sowohl positive als auch negative Integrationsmerkmale des Revisionswerbers herangezogen, gegeneinander abgewogen und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die zahlreichen strafgerichtlichen Verurteilungen einen Eingriff in sein Privatleben durch die Rückkehrentscheidung rechtfertigen würden. Der Revisionswerber vermag mit seinen Ausführungen nicht aufzuzeigen, dass die Interessenabwägung des Bundesverwaltungsgerichts unter Beachtung der obigen Rechtsgrundsätze unvertretbar erfolgt wäre.

17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 18. Oktober 2018

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