BVwG W182 2118350-2

BVwGW182 2118350-216.10.2017

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AVG 1950 §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2017:W182.2118350.2.00

 

Spruch:

W182 2118348-2/3E

 

W182 2118350-2/2E

 

W182 2118349-2/2E

 

W182 2128770-2/2E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER als Einzelrichter über die Beschwerden 1.) des XXXX , geb. XXXX 2.) der XXXX , geb. XXXX , 3.) der XXXX , geb. XXXX , sowie 4.) der XXXX , geb. XXXX , alle StA. Russische Föderation, alle vertreten durch:

XXXX ., gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 19.09.2017, 1.) Zl. 1052195104-IFA, 161607485-VZ – EASt-Ost, 2.) Zl. 1052195006-IFA, 161607507-VZ – EASt-Ost, 3.) Zl. 1052194902-IFA, 161607604-VZ EASt-Ost und 4.) Zl. 1116845604-IFA, 161607612-VZ – EASt-Ost, nach § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I. Nr. 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

 

A) Die Beschwerden werden gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines

Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. I Nr. 51/1991 idgF, sowie §§ 10 Abs. 1 Z 3, 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, und §§ 52 Abs. 2 Z 2, 52 Abs. 9, 46 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen.

 

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1.1. Die Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe, stammen aus Dagestan und sind der muslimischen Religion zugehörig. Der Erstbeschwerdeführer (im Folgenden: BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF2), ein traditionell verheiratetes Paar, reisten zusammen mit ihrer (nunmehr) fast 5-jährigen Tochter (im Folgenden: BF3) im Februar 2015 illegal in das Bundesgebiet ein und stellten am 19.02.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Anlässlich seiner niederschriftlichen Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 21.02.2015 gab der BF1 zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er im Jänner 2015 von Polizeibeamten von zu Hause zu einer Polizeistation nach XXXX gebracht worden sei, wo er zu drei Männern befragt worden sei. Seine Antwort, dass er die Männer mit seinem Auto nach XXXX gefahren habe, jedoch über keine nähere Auskunft verfüge, da er sie zuvor noch nie gesehen hätte, habe den Polizeibeamten nicht gefallen und hätten sie ihn daraufhin bedroht. Sie hätten ihm gedroht, dass er entweder für sie arbeite oder ins Gefängnis gehe. Sonstige Fluchtgründe habe er nicht. Bei einer Rückkehr in sein Heimatland befürchte er verhaftet zu werden. Die BF2 brachte am 21.02.2015 zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen vor, "wegen der Probleme" ihres Mannes ausgereist zu sein. Sie habe keine persönlichen Fluchtgründe, sondern ihr Mann.

 

In einer Einvernahme am 17.08.2015 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) brachte der BF1 zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen wie bisher vor, im Jänner 2015 von einer Polizeieinheit von zu Hause mitgenommen und in weiterer Folge zu drei Burschen befragt worden zu sein, wobei er unter Androhung, dass er andernfalls für einen Mittäter gehalten werde, aufgefordert worden sei, für die Polizei zu arbeiten. Zwei Tage später hätte er der Polizei Informationen über von ihm am selben Tag beförderte Fahrgäste weitergeleitet. Zwei Tage später habe er erfahren, dass die Fahrgäste festgenommen worden seien, und Drohanrufe erhalten, wonach man sich für den Verrat an den Brüdern an ihm und seiner Frau rächen werde. Daraufhin hätte der BF1 seine Gattin von der Arbeit abgeholt, ihr aber nichts erzählt. Am nächsten Tag sei er zur Polizei gegangen, diese habe ihm jedoch nur helfen wollen, wenn er vorab über die anderen berichte. Daraufhin sei der BF1 mit seiner Frau und dem Kind nach XXXX zu seiner Schwiegermutter geflüchtet. Am 13.02.2015 sei seiner Frau telefonisch von einer Arbeitskollegin mitgeteilt worden, dass Männer mit Bärten in der Arbeit nach ihr gesucht und sich nach ihrer Wohnadresse erkundigt hätten. Bei den Leuten würde es sich um Mujaheddin handeln.

 

Zu seinem Leben im Heimatland führte der BF1 aus, dass er bis zu seiner Ausreise gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern in der Ortschaft XXXX in Dagestan gewohnt habe. Er besitze im Herkunftsland ein Grundstück sowie ein Haus. Weiters hätte er als Taxifahrer gearbeitet und Verputzarbeiten geleistet. Probleme wegen seinen Verwandten oder seiner Religion bzw. Volksgruppenzugehörigkeit hätte er nie gehabt. Der BF1 gab weiters an, an einem Hautausschlag zu leiden und deshalb in Behandlung zu sein. Seine Tochter, die BF3, leide an einer Kopfzyste. Sie könne jedoch nicht operiert werden, da eine Narkose für ein Kleinkind gefährlich wäre. In Österreich würden sich keine Verwandten aufhalten.

 

Die BF2 brachte in der Einvernahme am 17.08.2015 im Wesentlichen wie bisher vor, dass sie selbst keine Probleme habe und wegen der Probleme ihres Mannes hier sei. Ihr Mann wäre im Juni 2015 von Polizisten mitgenommen worden. Genauere Angaben könne sie dazu nicht machen, da ihr Mann mit ihr nicht über diese Probleme rede. Die BF2 habe am 13.02.2015 von einer Arbeitskollegin erfahren, dass nach ihr gesucht werde.

 

Vorgelegt wurden hinsichtlich des BF1 diverse Ambulanzbriefe eines Universitätsklinikums, ein Befundbericht einer Landesklinik vom 05.08.2015 sowie ein Führerschein.

 

Mit Bescheiden des Bundesamtes vom 16.11.2015, Zlen. 1052195104-150190660, 1052195006-150190651 und 1052194902-150190678 wurden die Anträge auf internationalen Schutz der BF1 - BF3 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den BF1 – BF3 gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG), wurde gegen die BF1 – BF3 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF1 – BF3 gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist zur freiwilligen Rückkehr mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

 

Begründend wurde im Wesentlichen das Fluchtvorbringen des BF1 aufgrund von Widersprüchen als nicht glaubhaft angesehen.

 

Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.03.2016 mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.06.2016, Zlen. W147 2118348-1/8E, W147 2118350-1/8E und W147 2118349-1/5E, in allen Spruchpunkten als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF1 auch in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht im Stande gewesen sei, Widersprüche aufzuklären, ein asylrelevantes Fluchtvorbringen zu erstatten und eine Verfolgungssituation in seinem Herkunftsstaat in glaubhafter Weise darzustellen. Auch das Vorbringen der BF2 sei für sich genommen in weiten Teilen äußert vage gehalten und von Unstimmigkeiten in Zusammenschau mit den Angaben ihres Gatten geprägt gewesen und hätte sie dessen Schilderungen hinsichtlich der Ausreisegründe nicht zu stützen vermocht.

 

Zum Herkunftsland wurde ua. festgestellt:

 

"[ ]

 

Behandlungsmöglichkeiten PTBS

 

Posttraumatische Belastungsstörung ist in der Russischen Föderation behandelbar. Z.B. im Alexeevskaya (Kacshenko) hospital, Zagorodnoye shosse 2, Moscow (International SOS 7.11.2014). Dies gilt unter anderem auch für Tschetschenien z.B. im Republican Psychoneurological Dispenser, Verkhoyanskaya Str. 10, Grosny (International SOS 11.3.2015) und Dagestan z.B. im Republican Psychiatric Dispancery, Shota Rustaveli Str. 57B, Machatschkala (International SOS 12.1.2012).

 

In der Republik Inguschetien gibt es keine psychiatrischen Kliniken (mit Betten). Es gibt aber eine psychoneurologische Poliklinik in Nazran, wo die Registrierung von Patienten mit psychischen Erkrankungen begrenzt ist. In der Regel gibt es an den örtlichen Polikliniken nur wenige Psychologen / Psychiater. Die Qualität der Dienstleistungen wird als zweifelhaft beschrieben. Junge qualifizierte Ärzte wollen in der Psychiatrie aufgrund der niedrigen Löhne nicht praktizieren und wählen deshalb besser bezahlte Arbeitsplätze. Aufgrund dessen werden die Patienten von älteren Ärzten mit veraltetem, bzw. überholtem Wissen behandelt (Landinfo 26.6.2012).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

[ ]"

 

Die Erkenntnisse wurden laut Rückscheinen vom BF1 und der BF2 persönlich am 27.06.2016 übernommen bzw. der Rechtsvertretung am 23.06.2016 zugestellt und rechtskräftig.

 

1.2. Im XXXX 2016 wurde die Viertbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF4) als Tochter des BF1 und BF2 im Bundesgebiet geboren. Für sie wurde durch ihre gesetzliche Vertretung am 31.05.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren im Sinne des § 34 AsylG 2005 gestellt.

 

Am selben Tag wurden die Eltern der BF4 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes befragt und brachten vor, dass ihr gesundes Kind keine eigenen Verfolgungsgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen habe.

 

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 07.06.2016, Zl. 1116845604-160758922, wurde der Antrag der BF4 auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, wurde gegen die B4 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der BF4 in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der beschwerdeführenden Partei vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass für die BF4 keine eigenen bzw. sie persönlich treffenden Fluchtgründe oder Rückkehrbefürchtungen vorgebracht worden seien.

 

Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.09.2016, Zl. W111 2128770-1/2E, in allen Spruchpunkten abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Bundesamt im bekämpften Bescheid in einer vom Bundesverwaltungsgericht nicht zu beanstandenden Weise zum Ergebnis gelangt sei, dass aufgrund der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens ihrer Eltern auch nicht glaubhaft gewesen sei, dass die angegebenen Gründe Auswirkungen auf die BF4 haben könnten.

 

Das Erkenntnis wurde dem BF1 als gesetzlicher Vertreter laut Bericht einer Polizeiinspektion am 15.09.2016 sowie laut Rückschein der Rechtsvertretung am 13.09.2016 zugestellt und rechtskräftig.

 

2.1. Am 29.11.2016 stellten die BF den (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz.

 

In einer Erstbefragung am 29.11.2016 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF1 dazu befragt, warum er neuerlich einen Asylantrag stelle, im Wesentlichen an, dass ihre Anträge leider abgelehnt worden seien, weil ihr Anwalt sie nicht richtig informiert habe. Es gebe Beweismittel, die für sein Verfahren relevant seien, die der BF1 aber nicht vorgelegt habe, weil ihr Anwalt gesagt habe, dass dies überflüssig sei. Als ihre Anträge in erster Instanz abgewiesen worden seien, habe ihr Anwalt es verabsäumt, sie darüber zu informieren. Die BF hätten keine Gelegenheit gehabt, ihre Beweise vorzulegen, und die Entscheidungen seien daher in zweiter Instanz bestätigt worden. Die bisher genannten Fluchtgründe des BF1 im Zusammenhang mit der "IGIL (IS)" seien immer noch aktuell. Bei einer Rückkehr befürchte der BF1, von diesen Leuten getötet zu werden, weil er sie an die Polizei verraten habe. Die Beweismittel würden sich noch in seiner Heimat befinden, er werde veranlassen, dass sie ihm geschickt werden. Es handle sich dabei um eidesstattliche Erklärungen seiner Nachbarn in der Heimat, die bestätigen, dass er von den Leuten der IGIL gesucht werde. Dazu befragt, seit wann ihm die Änderungen der Situation bzw. seiner Fluchtgründe bekannt seien, gab er an, erst vor einer Woche von der Abweisung seines Antrages in zweiter Instanz erfahren zu haben, daher wolle er infolge die Beweismittel nachliefern. Der Anwalt habe ihn hingehalten und nichts für ihn getan.

 

Die BF2 gab in der Erstbefragung am 29.11.2016 auf die Frage, warum Sie den neuerlichen Asylantrag stelle, an, dass "diese Leute (von der IDIL)" sie nach wie vor suchen würden. Sie habe mit ihrer Schwiegermutter am 24.11.2016 telefoniert und von ihr erfahren, dass diese Leute immer wieder zu ihnen nach Hause kommen würden. Am 07.11.2016 sei die Familie ihres Mannes nach XXXX auf Besuch gefahren, als sie zurückgekommen seien, hätten sie das Haus komplett zerstört vorgefunden. Unbekannte seien im Haus gewesen. Bei einer Rückkehr befürchte sie, dass "sie" sie und vielleicht auch ihre Kinder töten würden. Die Nachbarn in ihrer Heimat könnten den Vorfall bestätigen.

 

Für die BF2 wurde in weiterer Folge ein Befund einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie vom 15.11.2016 vorgelegt, wonach sie an einer posttraumatischen Belastungsstörung und einem agitiert depressiven Zustandsbild leide. Sie bedürfe laut Befund einer muttersprachlichen Psychotherapie, weiters wurde die Medikation " XXXX " vorgeschlagen. Zudem legte sie einen Befund eines Facharztes für Orthopädie vom 10.11.2016 mit der Diagnose "Lumboischialgie bds., Knick-Senk-Spreizfuß bds., mäßige Coxarthrosis bds" und dem Therapievorschlag "konservative multimodale Schmerztherapie" vor.

 

Mit Schreiben eines rechtsfreundlichen Vertreters der BF samt Vollmachtsbekanntgabe vom 28.12.2016 wurden in Kopie zwei Schreiben in russischer Druckschrift sowie entsprechende Übersetzungen vorgelegt. Das erste Schreiben stammt dem Inhalt zufolge von der Mutter der BF2, in dem diese im Wesentlichen ausführt, dass sie mehrmals Hausdurchsuchungen unterzogen und der Androhungen physischer Repressalien an ihre sowie die Adresse der BF2 und Verwandter seitens Mitglieder ungesetzlicher bewaffneter Formationen ausgesetzt worden sei. Dies aufgrund dessen, weil die BF2 mit ihrer Familie das Land verlassen habe sowie der BF1 eine Information an die Polizei weitergegeben habe über Personen, die Anhänger einer extremistischen Strömung bzw. in die Reihen der ungesetzlichen bewaffneten Formationen eingetreten seien. Diese Leute hätten versprochen, sich an der ganzen Familie mit physischen Repressalien zu rächen. Das Schreiben ist von einer Person handschriftlich unterfertigt. Das zweite Schreiben stammt dem Inhalt zufolge von der Mutter des BF1, worin sie im Wesentlichen darum ersucht, ihrem Sohn und seiner ganzen Familie Sicherheit zu gewähren, da sie der Gefahr der physischen Repressalien ausgesetzt seien. Über sie würden ständig unbekannte Menschen nachforschen bzw. ständige Hausdurchsuchungen durchführen. Am 07.11. sei Ihre Familie erneut der Gefahr seitens Menschen, die Anhänger einer extremistischen Strömung seien, ausgesetzt gewesen. In der letzten Zeit würden sich diese Durchsuchungen häufen. Dies würden auch ihre Nachbarn bestätigen, wobei im Schreiben diesbezüglich vier Vornamen aufgelistet wurden, zu denen handschriftlich Unterschriften hinzugefügt wurden. Eine Unterschrift der Mutter fehlt.

 

Am 11.07.2011 langte ein Schreiben für die BF ein, in dem ersucht wurde, die Einvernahmen einige Wochen zu verschieben, da sich der BF1 am XXXX einer Nasenoperation unterziehen müsse und es ihm danach gesundheitlich nicht so gut gehen werde. Dem Schreiben beigefügt war die Aufnahmevormerkung eines Krankenhauses auf eine HNO Station für die geplante Therapie " XXXX .".

 

In einer Einvernahme beim Bundesamt am 07.08.2017 brachte der BF1 zu den Gründen, warum sie neuerlich einen Asylantrag gestellt haben, vor, dass er nicht nach Hause zurückkehren könne, da er gesucht werde. Die Leute, die nach ihm suchen würden, würden dauernd zu ihnen nach Hause kommen und sich nach ihm erkundigen. Zu den Leuten befragt, gab der BF1 an: "Diese Leute, Terroristen, die ISIS-Leute. Die Leute aus dem Wald. Die wohnen irgendwo in den Wäldern, oder Feldern." Dazu befragt, warum in diese Leute verfolgen würden, wiederholte er im Wesentlichen seine bisherigen Fluchtgründe. Auf Vorhalt, dass dies das Vorbringen sei, das er im Erstverfahren vorgebracht habe, welchem kein Glauben geschenkt worden sei, gab der BF1 an: "Ich weiß nicht, was ich tun soll, damit Sie mir glauben. Ich kann doch keine Beweise bringen. Ich kann ja nicht zurückfahren und mir von den ISIS-Männern aus dem Wald Beweise holen." Dazu befragt, von wem genau er etwas bei einer Rückkehr befürchten würde, gab der BF an: "Eben von denen habe ich Angst. Ich wohnte in einem Ort, in dem Rache ausgeübt wird." Erneut nachgefragt, um welche Männer es sich handle, gab er an: "Woher soll ich das wissen? Nicht einmal die Polizei findet die, die wohnen in irgendwelchen Bunkern im Wald. Die töten nicht nur Zivilisten, auch Polizisten. Sie können sich auf YouTube alles anschauen. Die töten Menschen wie Hasen." Auf den Vorhalt, dass er ursprünglich angegeben habe, mit der Polizei Probleme gehabt zu haben, dann mit der Polizei und islamistischen Kämpfern, und jetzt nur die "ISIS" Leute nenne, gab der BF an, dass beide Seiten, die Polizei und diese Leute eine Rolle in dem Fall spielen würden. Er habe vor beiden Angst. Wenn er zurückkehre, wisse er nicht, was die Leute mit ihm anstellen würden. Er sei ja in Österreich und telefoniere nicht "mit denen". Die könnten alles Mögliche mit ihm machen. Zu den von ihm vorgelegten Erklärungen seiner Mutter und Schwiegermutter befragt, gab der BF an, dass er nicht mehr genau wisse, wann er diese Erklärungen erhalten habe, es sei aber nicht lange her, etwa vor fünf oder sechs Monaten. Er telefoniere ein- bis zweimal in der Woche mit seinen Angehörigen in der Heimat. Im Herkunftsland würden sich seine Eltern, ein Bruder sowie eine Schwester aufhalten. Die in den vorgelegten Erklärungen angesprochenen Durchsuchungen hätten einmal voriges Jahr, glaublich im November stattgefunden. Danach erst vor kurzer Zeit. Sie hätten seinen Vater geschlagen. Der BF1 wisse nicht, wer diese Leute gewesen seien. Sie würden einfach kommen und nicht sagen, wer sie seien. Zu seinem Gesundheitszustand befragt, gab der BF1 an, vor kurzem operiert worden zu sein, wobei jetzt alles normal sei bzw. nach der Operation alles in Ordnung sei. Er habe eine Hautkrankheit namens " XXXX ). Er bekomme Salben und Quarzbestrahlungen. Der BF1 spreche ein bisschen Deutsch, einen Deutschkurs habe er nicht besucht. Er lebe mit seiner Familie von der Grundversorgung. Verwandte würden sich in Österreich nicht aufhalten Sie hätten Bekannte. Er sei in keinen Vereinen oder sonstigen Organisationen aktiv.

 

Die BF2 brachte in der Einvernahme beim Bundesamt am 07.08.2017 zu den Gründen, warum sie neuerlich einen Asylantrag gestellt habe, vor: "Dass man uns negatives Asyl gegeben hat, wussten wir nicht. Die BH hat uns nicht davon informiert. Aber wir haben zu Hause angerufen und sie haben uns erzählt, dass die immer noch nach ihm suchen." Nachgefragt, wer nach ihm suchen würde, gab die BF2 an:

"Das wissen wir nicht, wir haben sofort das Land verlassen, wir vermuten, dass sie irgendeiner Organisation angehören. Ich weiß es nicht." Nachgefragt, erklärte die BF2, keine eigenen Fluchtgründe zu haben. Es gehe nur um die Gründe ihres Gatten. Zur Gesundheit ihrer Kinder befragt, gab sie an, dass es diesen allgemein gut gehe, wobei die BF3 manchmal krank sei. Nachgefragt, ob die BF3 in medizinischer Behandlung sei, gab die BF2 an, dass sie im Moment keine Therapie oder Medikamente habe, allerdings benötige sie jährliche Kontrollen. Sie leide an " XXXX ". Jetzt gehe es ihr gut. Zu ihren Angehörigen im Herkunftsland befragt, gab die BF2 an, dass sich dort ihre Eltern, ein Bruder, eine Schwester, ein Halbbruder mütterlicherseits sowie zwei Halbbrüder väterlicherseits aufhalten würden. Sie seien in regelmäßigen Kontakt, mit ihrer Mutter würde die BF2 zwei bis dreimal in der Woche telefonieren. Die BF2 bestätigte, dass sie ihren Lebensunterhalt durch Unterstützungsleistungen bestreite. Einen Deutschkurs habe sie aufgrund der Geburt ihrer jüngsten Tochter abgebrochen. Sie spreche ein bisschen deutsch. Angehörige würden sich in Österreich nicht aufhalten. Sie sei auch nicht Mitglied in Vereinen oder sonstigen Organisationen. Dazu, wie es ihr gesundheitlich gehe, gab die BF2 an: "Danke, gut." Sie bestätigte zudem ausdrücklich, sich geistig und körperlich in der Lage zu fühlen, die Einvernahme durchzuführen.

 

Vorgelegt wurde unter anderem ein Mietvertrag, Mietzinsbestätigungen und ein Unterstützungsschreiben von einer Inländerin.

 

2.2. Mit den nunmehr angefochtenen, oben im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes wurden die Anträge auf internationalen Schutz der BF vom 29.11.2016 gemäß § 68 Abs. 1 AVG idgF wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurden den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 idgF nicht erteilt, gegen sie gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG idgF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG idgF erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.), wobei gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt III.).

 

Dazu wurde begründend im Wesentlichen ausgeführt, dass ein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt nicht festgestellt werden habe können. So sei der verfahrensgegenständliche Folgeantrag ausschließlich mit dem Weiterbestehen jener Fluchtgründe, die die BF bereits im Erstverfahren geltend gemacht haben, begründet worden. Eine nach dem rechtskräftigen Abschluss des Erstverfahrens eingetretene Änderung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes - die Voraussetzung, um neuerlich über den Antrag inhaltlich abzusprechen - sei also nicht einmal behauptet worden. Eine Detailänderung im Vorbringen sei lediglich insofern eingetreten, als die BF - in Kopie - Schreiben der Mutter und Schwiegermutter des BF1 vorgelegt haben, welche die behauptete Verfolgung bestätigen sollten. Diesen komme jedoch vor allem deshalb keine relevante Beweiskraft zu, da diese ebenso vage wie die BF selbst im Erstverfahren von Verfolgungshandlungen sprechen würden, die letztendlich ihre Ursache in der fraglichen Festnahme im Jänner 2015 haben sollten. Vor allem aufgrund der Tatsache, dass der BF1 im Erstverfahren noch angegeben habe, seine Verwandten hätten in der Heimat keine Probleme (Niederschrift der Einvernahme vom 17.08.2015, Seite 6), der Brief der Mutter des BF1 aber von einer Hausdurchsuchung durch Anhänger einer extremistischen Strömung am 07.11.2016 und davon, dass diese Durchsuchungen sich in der letzten Zeit häufen würden, spreche, sei davon auszugehen, dass es sich bei den vorgelegten Schreiben um Gefälligkeitsleistungen der Angehörigen handle, die dem BF lediglich zum weiteren Aufenthalt in Österreich verhelfen wollten. Bei Wahrunterstellung des Inhalts der Schreiben und der Angaben des BF1 bezüglich von Durchsuchungen, die bei dessen Verwandten zuhause stattgefunden hätten, wäre schließlich schwer nachvollziehbar, weshalb erst Jahre nach der Ausreise der BF aus der Heimat die Verfolger des BF1 sich an deren Familie wenden sollten - dies zumal es den Verfolgern angeblich ohne weiteres möglich gewesen wäre, sofort nach der Zusammenarbeit des BF1 mit der Polizei dessen Telefonnummer, Adresse und Familienverhältnisse herauszufinden (Niederschrift der Einvernahme vom 17.08.2015, Seite 8). Insgesamt hätten die BF also die unglaubhafte Verfolgungsbehauptung aus dem Erstverfahren aufrechterhalten und auch keine Beweismittel vorgelegt, die die Annahme rechtfertigen könnten, dass sie nunmehr doch im Falle einer Rückkehr asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätten. Auch die amtswegig berücksichtigte Ländersituation habe ebenfalls keinen entscheidungsrelevanten neuen Sachverhalt hervorgebracht. Vom Bundesamt wurden aktuelle Feststellungen zur Situation in der Russischen Föderation sowie in Dagestan getroffen. Die BF würden sich darüber hinaus gegenwärtig nicht in in einem lebensbedrohlichen Zustand befinden. Die Einnahme der für die Behandlung der XXXX notwendigen Medikamente bzw. auch eine Behandlung sei im Heimatstaat möglich. Die gesundheitlichen Probleme würden nicht jene erforderliche Schwere aufweisen, um das gegenständliche Verfahren als ganz außergewöhnlichen Fall nach dem Maßstab der Rechtsprechung des EGMR zu bewerten. Da zudem im gegenständlichen Familienverfahren die gesamte Familie von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme betroffen sei, und sich sonst keine Familienangehörigen der BF im Bundesgebiet aufhalten, würden die Rückkehrentscheidungen lediglich in das Privatleben der BF eingreifen. In einer Interessensabwägung komme den privaten Interessen der BF, die bisher keinen Deutschkurs besucht haben bzw. die deutsche Sprache bestenfalls rudimentär beherrschen, nicht erwerbstätig seien, ihren Lebensunterhalt durch öffentliche Zuwendungen im Rahmen der Grundversorgung bestreiten und auch nicht in Vereinen oder sonstigen Organisationen engagiert seien, gegenüber den öffentlichen Interessen kein ausreichendes Gewicht zu.

 

Zum Herkunftsland wurde u.a. festgestellt:

 

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"2. Sicherheitslage

 

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 3.4.2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 21.7.2017b). Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3.4.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Qaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Qaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.4.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Qaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4.000 Russen und 5.000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2.000 Banditen" aus Russland, unter ihnen 17 Feldkommandeure getötet worden (FAZ 26.4.2017).

 

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der IS Russland den Jihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an internationale Kooperation (SWP 4.2017).

 

Russland hat den sog. IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind – wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

 

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz‘, eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen‘ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat – also Teufelsstaat – übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen (SWP 10.2015).

 

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens‘, bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

 

Innerhalb der extremistischen Gruppierungen ist ein Ansteigen der Sympathien für den IS – v.a. auch auf Kosten des sog. Kaukasus-Emirats – festzustellen. Nicht nur die bislang auf Propaganda und Rekrutierung fokussierte Aktivität des IS im Nordkaukasus erregt die Besorgnis der russischen Sicherheitskräfte. Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen kann man davon ausgehen, dass die Präsenz russischer Kämpfer in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasst. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2.12.2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27.7.2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB erläutert, das im Vorjahr geschätzte 3.000 Kämpfer nach Russland aus den Kriegsgebieten in Syrien, Irak oder Afghanistan zurückkehrt seien, wobei 220 dieser Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen ständen. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet, in Syrien sollen über 2.000 militante Kämpfer aus Russland bzw. dem GUS-Raum getötet worden sein (ÖB Moskau 12.2016).

 

Der russische Präsident Wladimir Putin setzt tschetschenische und inguschetische Kommandotruppen in Syrien ein. Bis vor kurzem wurden reguläre russische Truppen in Syrien überwiegend als Begleitcrew für die Flugzeuge eingesetzt, die im Land Luftangriffe fliegen. Von wenigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen – der Einsatz von Artillerie und Spezialtruppen in der Provinz Hama sowie von Militärberatern bei den syrischen Streitkräften in Latakia – hat Moskau seine Bodeneinsätze bislang auf ein Minimum beschränkt. Somit repräsentiert der anhaltende Einsatz von tschetschenischen und inguschetischen Brigaden einen strategischen Umschwung seitens des Kremls. Russland hat nun in ganz Syrien seine eigenen, der sunnitischen Bevölkerung entstammenden Elitetruppen auf dem Boden. Diese verstärkte Präsenz erlaubt es dem sich dort langfristig eingrabenden Kreml, einen stärkeren Einfluss auf die Ereignisse im Land auszuüben. Diese Streitkräfte könnten eine entscheidende Rolle spielen, sollte es notwendig werden, gegen Handlungen des Assad-Regimes vorzugehen, die die weitergehenden Interessen Moskaus im Nahen Osten unterlaufen würden. Zugleich erlauben sie es dem Kreml, zu einem reduzierten politischen Preis seine Macht in der Region zu auszubauen (Mena Watch 10.5.2017). Welche Rolle diese Brigaden spielen sollen, und ihre Anzahl sind noch nicht sicher. Es wird geschätzt, dass zwischen 300 und 500 Tschetschenen und um die 300 Inguscheten in Syrien stationiert sind. Obwohl sie offiziell als "Militärpolizei" bezeichnet werden, dürften sie von der Eliteeinheit Speznas innerhalb der tschetschenischen Streitkräfte rekrutiert worden sein (FP 4.5.2017).

 

Für den Kreml hat der Einsatz der nordkaukasischen Brigaden mehrere Vorteile. Zum einen reagiert die russische Bevölkerung sehr sensibel auf Verluste der russischen Armee in Syrien. Verluste von Personen aus dem Nordkaukasus würden wohl weniger Kritik hervorrufen. Zum anderen ist der wohl noch größere Vorteil jener, dass sowohl Tschetschenen, als auch Inguscheten fast alle sunnitische Muslime sind und somit derselben islamischen Richtung angehören, wie ein Großteil der syrischen Bevölkerung. Die mehrheitlich sunnitischen Brigaden könnten bei der Bevölkerung besser ankommen, als ethnisch russische Soldaten. Außerdem ist nicht zu vernachlässigen, dass diese Einsatzkräfte schon über Erfahrung am Schlachtfeld verfügen, beispielsweise vom Kampf in der Ukraine (FP 4.5.2017).

 

Bis jetzt war der Einsatz der tschetschenischen und inguschetischen Bodentruppen auf Gebiete beschränkt, die für den Kreml von entscheidender Bedeutung waren. Obwohl es momentan eher unwahrscheinlich scheint, dass die Rolle der nordkaukasischen Einsatzkräfte bald ausgeweitet wird, agieren diese wohl weiterhin als die Speerspitze in Moskaus Strategie, seinen Einfluss in Syrien zu vergrößern (FP 4.5.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2.1. Nordkaukasus allgemein

 

Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Aus dieser Region kommen in den letzten drei Jahren zwiespältige Nachrichten. Einerseits heißt es, der bewaffnete Untergrund sei deutlich geschwächt und zersplittert. Andererseits verlagerte sich der regionale Jihad, der sich als Kaukasus-Emirat manifestiert hatte, auf die globale Ebene, weil Kämpfer aus der Region sich islamistischen Milizen in Syrien und Irak anschlossen. Von dauerhafter Stabilität ist der Nordkaukasus wohl noch entfernt. Das zeigte zuletzt eine Serie von Anschlägen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien im Dezember 2016 und im März 2017. Zudem stellt sich für Russland, seine Nachbarn im Kaukasus und in Zentralasien wie auch für Europa die Frage, wie viele Jihadisten aus dem nun schrumpfenden IS-Territorium in ihre Heimatregionen zurückkehren werden. Für den Rückgang der Gewalt im Nordkaukasus werden unterschiedliche Gründe angeführt. Russische Sicherheitsorgane verweisen auf gesteigerte Effizienz bei der Bekämpfung des bewaffneten Untergrunds. In den letzten Jahren wurden dessen militärische und ideologische Führer in hoher Zahl bei gezielten Einsätzen von Eliteeinheiten getötet. Das Kaukasus-Emirat wurde innerlich gespalten, da viele seiner Führer sich von al-Qaida abwandten und dem sogenannten Islamischen Staat (IS) oder anderen Milizen in Syrien Treue schworen. Außerdem hieß es, russische Sicherheitsorgane hätten die Abwanderung von Kämpfern in den Mittleren Osten vorübergehend geduldet, wenn nicht sogar gefördert, um im eigenen Revier für Entlastung zu sorgen – besonders vor der Winterolympiade in Sotschi 2014. Seit 2016 sinkt die Jihad-Migration in den Mittleren Osten, da die Ressourcen des IS schrumpfen. Seine Anziehungskraft auf die nun zersplitternde Untergrundbewegung des Nordkaukasus hatte der IS in erster Linie seiner Territorialherrschaft zu verdanken, die in seinem Kerngebiet aber inzwischen zurückgedrängt wird. Auf seinem Staatsgebiet im Nordkaukasus favorisiert Russland militärische Einsätze, wenngleich in präzisierter, selektiver und gezielterer Form im Vergleich zur unverhältnismäßigen Gewalt in den beiden Tschetschenienkriegen, die nahezu in jeder tschetschenischen Familie Todesopfer gefordert hatte. Im Jahr 2009 eingeleitete Reformmaßnahmen, die auf sozioökonomische und politische Krisenursachen zielten, sind zugunsten der Agenda der "siloviki" (Sicherheitskräfte) wieder in den Hintergrund gerückt (SWP 4.2017).

 

In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben. Seit gut zehn Jahren liegt das Epizentrum von Gewalt nicht mehr in Tschetschenien. Dort konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

 

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 24.1.2017).

 

Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Die derzeitige Wirtschaftskrise und damit einhergehenden Einsparungen im Budget stellen eine potentielle Gefahr für die Subventionen an die Nordkaukasus-Republiken dar. Ein weiteres Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine harte Politik der Einschüchterung und Repression extremistischer Elemente. Das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer nach Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den letzten zwei Jahren deutlich zurückgegangen ist (ÖB Moskau 12.2016).

 

Im ersten Quartal des Jahres 2017 gab es im Nordkaukasus 45 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 36 Todesopfer (25 Aufständische, 11 Exekutivkräfte) und neun Verwundete (sieben Exekutivkräfte, zwei Zivilisten). In Tschetschenien wurden im selben Zeitraum elf Exekutivkräfte und 17 Aufständische getötet, zwei Zivilisten und sechs Exekutivkräfte wurden verletzt. In Dagestan wurden im selben Zeitraum acht Aufständische getötet und ein Polizist verletzt. In Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Karatschay-Tscherkessien, Nordossetien-Alania und im Stavropol Gebiet gab es im selben Zeitraum keine Opfer (Caucasian Knot 15.5.2017).

 

Im Jahr 2016 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 287 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2015: 258; 2014: 525 Opfer). 202 davon wurden getötet (2015: 209; 2014: 341), 85 verwundet (2015: 49; 2014: 184) (Caucasian Knot 2.2.2017). Im ersten Quartal 2016 gab es im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 48 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 20 davon getötet, 28 davon verwundet (Caucasian Knot 10.5.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

2.2. Dagestan

 

Die Sicherheitslage in Dagestan bleibt instabil. Den russischen Sicherheitskräften werden schwere Menschrechtsverletzungen bei der Durchführung der Anti-Terror-Operationen in Dagestan vorgeworfen. Diese reichen von der internen Vertreibung von Personen, der Zerstörung von Häusern von Zivilisten, über exzessive Gewaltanwendung bis hin zu Folter und dem Verschwindenlassen von Personen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste gekoppelt mit der noch immer instabilen sozialwirtschaftlichen Lage in Dagestan schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der Bevölkerung. Russische Sicherheitskräfte haben in Dagestan bis zum zweiten Quartal 2016 bereits fünf Imame verhaftet, die dem Salafismus anhängen sollen. Laut Sichtweise der Sicherheitsdienste sollen ihre Moscheen als Rekrutierungsstätten für IS-Anhänger dienen, ein Großteil der gläubigen Muslime sieht darin Schikanen der föderalen Strukturen. Fast täglich kommt es zu Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Extremisten. Letztere gehörten bis vor kurzem primär zum 2007 gegründeten sogenannten Kaukasus-Emirat, bekunden jedoch vermehrt ihre Loyalität gegenüber dem IS. Die Anhänger des Emirats beanspruchen, den "wahren Islam" in der Region zu vertreten. Die Vertreter des sog. "traditionellen" Islam werden als korrupt angesehen und stehen im Verdacht, der Regierung in Moskau bzw. ihren Repräsentanten in der Region untertan zu sein. Die Erfolge des IS in Syrien und im Irak haben eine starke Anziehungskraft auf die Anhänger des Kaukasus-Emirats – einerseits wandern sie vermehrt in den Nahen Osten ab, um an der Seite des IS zu kämpfen, andererseits haben seit Jahresbeginn 2015 mehrere Kommandeure des Emirats ihre Loyalität gegenüber dem IS in Videos proklamiert. Im Juni 2015 gab der IS die Gründung des sog. Vilayat Kavkaz bekannt. Operativ ist der IS im Nordkaukasus bislang in eher geringem Umfang in Erscheinung getreten. Einige Angriffe auf Polizisten bzw. Polizeieinrichtungen wurden unter dem Deckmantel des IS ausgeführt; im Dezember 2015 bekannte sich der IS zu einem Anschlag auf eine historische Festung in Derbent. Es bleibt abzuwarten, ob der IS tatsächlich militärische und finanzielle Ressourcen verschieben wird, um im Nordkaukasus operativ tätig zu werden, oder ob der IS das "Vilayat Kavkaz" v.a. zu Propagandazwecken nutzen wird, um seinen globalen Einfluss zu unterstreichen. Die russischen Behörden zeigen sich jedenfalls alarmiert aufgrund dieser Entwicklung (ÖB Moskau 12.2016).

 

Angesteckt durch die Konflikte in Tschetschenien, hat sich die Sicherheitslage im multiethnischen Dagestan in den letzten Jahren deutlich verschlechtert und bleibt sehr angespannt. Islamistischer Extremismus, Auseinandersetzungen zwischen Ethnien und Clans, Korruption und organisierte Kriminalität führen zu anhaltender Gewalt und Gegengewalt. Die beinahe täglichen Anschläge von Rebellen richten sich gezielt gegen Sicherheits- und Verwaltungsstrukturen, politische Führungskader, Polizeipatrouillen, Bahnlinien, Gas- und Stromleitungen und öffentliche Gebäude. Die Behörden gehen mit harter Repression gegen Rebellen und deren vermeintliche Anhänger in der Bevölkerung vor (AA 5.1.2016).

 

Gemäß verschiedenen Quellen ist Dagestan aktuell das Zentrum der Gewalt im Nordkaukasus. Sicherheitskräfte werden für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht, darunter illegale Inhaftierungen, gewaltsame Entführungen, außergerichtliche Tötungen, manipulierte Strafprozesse und Folter (SFH 25.7.2014).

 

2016 gab es in Dagestan 204 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2015:

153; 2014: 293), davon 140 Tote und 64 Verwundete (Caucasian Knot 2.2.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

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15. Medizinische Versorgung

 

Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger ist in der Verfassung verankert. Russland weist zwar im internationalen Vergleich eine vergleichsweise hohe Anzahl der Ärzte und der Krankenhäuser pro Kopf der Bevölkerung auf, das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt aber ineffektiv (GIZ 7.2017c). Die Einkommen des medizinischen Personals sind noch immer vergleichsweise niedrig. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist. Infektionskrankheiten wie Tuberkulose und insbesondere HIV/AIDS, breiten sich weiter aus. In den letzten Jahren wurden in die Modernisierung des Gesundheitswesens erhebliche Geldmittel investiert. Der aktuelle Kostendruck im Gesundheitswesen führt aber dazu, dass viele Krankenhäuser geschlossen werden (AA 3 .2017a, vgl. GIZ 7.2017c, vgl. AA 24.1.2017). In Moskau, St. Petersburg und einigen anderen Großstädten gibt es einige meist private Krankenhäuser, die hinsichtlich der Unterbringung und der technischen und fachlichen Ausstattung auch höheren Ansprüchen gerecht werden. Notfallbehandlungen in staatlichen Kliniken sind laut Gesetz grundsätzlich kostenlos. Die Apotheken in den großen Städten der Russischen Föderation haben ein gutes Sortiment, wichtige Standardmedikamente sind vorhanden. Medikamentenfälschungen mit unsicherem Inhalt kommen allerdings vor (AA 13.7.2017b, vgl. AA 24.1.2017).

 

Im Bereich der medizinischen Versorgung von Rückkehrern sind der Botschaft keine Abweichungen von der landesweit geltenden Rechtslage bekannt. Seit Jänner 2011 ist das "Föderale Gesetz Nr. 326-FZ über die medizinische Pflichtversicherung in der Russischen Föderation" vom November 2010 in Kraft und seit Jänner 2012 gilt das föderale Gesetz Nr. 323-FZ vom November 2011 über die "Grundlagen der medizinischen Versorgung der Bürger der Russischen Föderation". Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß "Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung" garantierten Umfang. Von diesem Programm sind alle Arten von medizinischer Versorgung (Notfallhilfe, ambulante Versorgung, stationäre Versorgung, spezialisierte Eingriffe) erfasst. Kostenpflichtig sind einerseits Serviceleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind). Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist. Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Anstalt und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken erwiesen wird, haben Personen das Recht die medizinische Anstalt nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. Das bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen, als dem "zuständigen" Krankenhaus, bzw. bei einem anderen, als dem "zuständigen" Arzt, kostenpflichtig ist. In der ausgewählten Organisation können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Anstalt durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbstständig, falls mehrere medizinische Anstalten zur Auswahl stehen. Abgesehen von den obenstehenden Ausnahmen sind Selbstbehalte nicht vorgesehen. Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung, sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise durchaus erwartet wird. Weiters wird berichtet, dass die Qualität der medizinischen Versorgung hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Ausstattung von Krankenhäusern und der Qualifizierung der Ärzte landesweit durchaus variieren kann (ÖB Moskau 12.2016).

 

Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der "Nationalen Projekte", die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit sieben föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und zwölf Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert (GIZ 7.2017c).

 

Medizinische Versorgung gibt es bei staatlichen und privaten Einrichtungen. Staatsbürger haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu kostenfreier medizinischer Versorgung. Vorausgesetzt für OMS (OMS-Karte) sind gültiger Pass, Geburtsurkunde für Kinder unter 14 Jahren; einzureichen bei der nächstliegenden Krankenversicherungsfirma. Sowohl an staatlichen, wie auch privaten Kliniken bezahlte medizinische Dienstleistungen verfügbar; direkte Zahlung an Klinik oder im Rahmen von freiwilliger Krankenversicherung (Voluntary Medical Insurance DMS) (IOM 8.2015).

 

Kostenfreie Versorgung umfasst folgendes:

 

* Notfallbehandlung

 

* Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken

 

* Stationäre Behandlung

 

* Teilweise kostenfreie Medikamente (IOM 8.2015)

 

Ausgaben für Gesundheitsleistungen in Russland sind immer noch niedriger als in entwickelten Ländern. Laut offiziellen Quellen stiegen die realen Ausgaben des russischen Staates für den Gesundheitssektor in den letzten zehn Jahren um 74% an. Nach der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jedoch betrugen diese 2014 nur 5,4% des BIP, und laut der Weltbank waren es sogar nur 3,7%. Selbst optimistische Einschätzungen weisen auf eine Unterfinanzierung der Gesundheitsbranche hin im Vergleich zu entwickelten Ländern, in denen dieser Index zwischen 4 und 8% des BIP liegt. Nach Angaben des russischen Finanzministeriums sind für 2016 keine weiteren Reduzierungen der Gesundheitsausgaben geplant. Es liegen aktuell allerdings noch keine offiziellen Angaben zur längerfristigen Haushaltsplanung vor, da seit dem Föderalen Gesetz Nr. 273 vom 30. September 2015 die Planungsfrist für den staatlichen Haushalt nun ein Jahr statt drei Jahre beträgt. In der mittleren Perspektive kann man erwarten, dass die existierende Lücke in der russischen Gesundheitsfinanzierung durch öffentliche Mittel nicht gedeckt werden kann. Das hängt sowohl mit der wirtschaftlichen Gesamtsituation und den Auswirkungen des niedrigen Ölpreises auf den russischen Haushalt zusammen als auch mit Regulierungstrends, vor allem der laufenden Gesundheitsreform inklusive der Implementierung des Ko-Finanzierungsmodells für Gesundheitsleistungen zwischen dem Staat und den Verbrauchern im Rahmen des Pilotprogramms für Krankenversicherung "OMS+" (AHK o.D.).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In Dagestan stehen der Bevölkerung 36 zentrale Bezirkskrankenhäuser (3979 Betten), drei Bezirkskrankenhäuser (215 Betten), 102 Lokalkrankenhäuser (1970 Betten), vier Dorfkrankenhäuser (180 Betten), fünf zentrale Bezirkspolykliniken, 175 ärztliche Ambulanzen und 1076 ambulante Versorgungspunkte zur Verfügung. Spezialisierte medizinische Hilfe erhält man in zehn städtischen und 48 republikanischen Prophylaxe- und Heileinrichtungen. Es gibt fünf Sanatorien für Kinder, zwei Kinderheime, drei Bluttransfusionseinrichtungen, sowie sieben selbstständige Notdienste und 50 Notdienste, die in andere medizinische Einrichtungen eingegliedert sind (IOM 6.2014).

 

Wie jedes Subjekt der Russischen Föderation hat auch Dagestan eine eigene Gesundheitsverwaltung, die die regionalen Gesundheitseinrichtungen (spezialisierte und zentrale Krankenhäuser, Tageseinrichtungen, diagnostische Zentren und spezialisierte Notfallambulanzen, etc.) managt. Auch in Dagestan gibt es sowohl öffentliche, als auch private Gesundheitseinrichtungen. Öffentliche Einrichtungen haben keine offiziellen Preislisten ihrer Behandlungen, da prinzipiell Untersuchungen, Behandlungen und Konsultationen gratis sind. Jedoch muss auf die informelle Zuzahlung hingewiesen werden (beispielweise um die Wartezeit zu verkürzen). Die Zahlungen sind jedoch geringer als in privaten Institutionen. Die Qualität der Behandlung ist aber in öffentlichen Einrichtungen nicht schlechter – viele Spezialisten arbeiten sowohl in öffentlichen, als auch privaten Einrichtungen. Die Ausstattung und die Geräte sind meist in privaten Einrichtungen besser (BDA CFS 25.3.2016).

 

Wenn eine Behandlung in einer Region nicht verfügbar ist, gibt es die Möglichkeit, dass der Patient in eine andere Region, wo die Behandlung verfügbar ist, überwiesen wird (BDA 31.3.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

15.2. Medikamente

 

Ambulante Patienten und zu Hause Behandelte müssen Medikamente bezahlen; ausgenommen sind solche, die vom Staat gedeckt sind. In 24-Stunden- und Tageskliniken gibt es kostenfreie Medikamente für Bürger, die von der OMS [Krankenpflichtversicherung] profitieren. Bei Notfällen sind Medikamente kostenfrei. Gewöhnlich kaufen Russen ihre Medikamente auf eigene Kosten. Großfamilien mit Kindern unter sechs Jahren erhalten kostenlose, verschreibungspflichtige Medikamente, sowie Behandlung in Kliniken und Vorrang in Sanatorien/Gesundheitszentren. Bürger mit gewissen Krankheiten wird Unterstützung gewährt, u.a. kostenfreie Medikamente, Sanatorium Behandlung und Transport. Kosten für Medikamente variieren, feste Preise bestehen nicht (IOM 8.2015).

 

Im Allgemeinen gilt, dass alle russischen Staatsbürger - sowohl im Rahmen einer Krankenpflichtversicherung als auch anderweitig versicherte - für etwaige Medikamentenkosten selbst aufkommen. Ausnahmen von dieser Regelung gelten nur für besondere Personengruppen, die an bestimmten Erkrankungen leiden und denen staatliche Unterstützung zuerkannt worden ist (einschließlich kostenloser Medikation, Sanatoriumsbehandlung und Transport (Nahverkehr und regionale Züge). Die Behandlung und die Medikamente für einige Krankheiten werden auch aus regionalen Budgets bestritten. Die Liste von Erkrankungen, die Patienten berechtigen, Medikamente kostenlos zu erhalten, wird vom Ministerium für Gesundheit erstellt. Sie umfasst: Makrogenitosomie, multiple Sklerose, Myasthenie, Myopathie, zerebrale Ataxie, Parkinson, Glaukom, geistige Erkrankungen, adrenokortikale Insuffizienz, AIDS/HIV, Schizophrenie und Epilepsie, systemisch chronische Hauterkrankungen, Bronchialasthma, Rheumatismus, rheumatische Gicht, Lupus Erythematosus, Morbus Bechterew, Diabetes, Hypophysen-Syndrom, zerebral-spastische Kinderlähmung, fortschreitende zerebrale Pseudosklerose, Phenylketonurie, intermittierende Porphyrie, hämatologische Erkrankungen, Strahlenkrankheit, Lepra, Tuberkulose, akute Brucellose, chronisch-urologische Erkrankungen, Syphillis, Herzinfarktnachsorge (sechs Monate nach dem Infarkt), Aorten- und Mitralklappenersatz, Organtransplantationen, Mukoviszidose bei Kindern, Kinder unter drei Jahren, Kinder unter sechs Jahren aus sehr kinderreichen Familien, im Falle bettlägeriger Patienten erhält ein Angehöriger oder Sozialarbeiter die Medikamente gegen Verschreibung. Die Medikamentenpreise sind von Region zu Region und, teilweise auch in Abhängigkeit von der Lage einer Apotheke unterschiedlich, da es in der Russischen Föderation keine Fixpreise für Medikamente gibt (IOM 6.2014).

 

Quellen:

 

 

 

[ ]"

 

Mit Verfahrensanordnung vom 19.09.2017 wurde den BF ein Rechtsberater zugewiesen.

 

1.5. Dagegen wurde binnen offener Frist in vollem Umfang Beschwerde erhoben, "unrichtige Feststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung" geltend gemacht und u.a. der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gestellt. Darin wurde vorweg ausgeführt, dass die BF als Begründung des neuen Asylantrages angeführt haben, dass die allgemeine Situation in ihrer Heimat weiterhin eine Rückkehr nicht zulasse und neue Bedrohungsmomente angeführt haben, die vom Vorverfahren nicht umfasst gewesen seien, sowie dass die BF weiterhin einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt seien, zumal die heimatlichen Sicherheitsbehörden in Fällen wie den ihren schutzunwillig bzw. schutzunfähig seien. Daher hätten die BF neuerlich in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz stellen müssen. Das Bundesamt behaupte, es liege eine entschiedene Sache vor und habe kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden können. Das Bundesamt habe aber in seiner Beweiswürdigung tatsächlich die Prüfung, ob ein solcher Sachverhalt vorliege, ob im konkreten Fall eine Ausweisung gegen Art. 2 und 3 EMRK verstoße und so eine ordnungsgemäße Beurteilung der Situation der BF im Sinne von Art. 8 EMRK, versäumt. Wenn eine tatsächliche Prüfung der vorgebrachten Sachverhaltsänderungen stattgefunden hätte, hätte das Bundesamt angesichts seiner eigenen Länderberichte angesichts der Situation in der Russischen Föderation sowie der persönlichen Situation der BF feststellen müssen, dass ein solcher maßgeblich geänderter Sachverhalt sehr wohl vorliege und dass eine inhaltliche Prüfung des Asylantrages nicht unterlassen werden könne. Hinsichtlich der Länderberichte wurde dem Bundesamt vorgeworfen, dass eine aktuelle Beurteilung nicht stattgefunden habe, sondern nur darauf verwiesen werde, dass sich nichts geändert habe, obwohl die eigenen Berichte selber deutlich zeigen würden, dass die Lage von Personen wie den BF, die nach Europa geflüchtet seien, keine Zukunftsperspektive in der Russische Föderation aufweise und eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zur Verfügung stehe. Vom Bundesamt seien keine Recherchen zu den vorgebrachten Fluchtgründen getätigt worden, weshalb der Bescheid des Bundesamtes mangels aktueller Recherchen im Heimatstaat eine Verletzung des Willkürverbotes nach Art. 7 B-VG darstelle. Die Befürchtungen der BF zu der ihr drohenden Verfolgungsgefahr stimme auch mit den Länderberichten überein. Dazu wurde in der Beschwerdeschrift "beispielsweise" aus einem Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe vom Mai 2016 ein Auszug mit dem Titel "Personen, die kritische Informationen ins Ausland kommunizieren" zitiert. Der Auszug beschäftigt sich erkennbar ausschließlich mit den Verhältnissen in der autonomen Republik Tschetschenien. Ein weiterer zitierter Auszug aus den genannten Bericht bezieht sich auf die allgemeine Menschenrechtslage in Tschetschenien, wobei auch allgemein auf inoffizielle Gefängnisse und systematische Folter im Nordkaukasus verwiesen wird. Dazu wurde in der Beschwerdeschrift weiters ausgeführt, dass "auch ansonsten" aus den Länderberichten hervorgehe, "dass von einer Verbesserung der Situation in Tschetschenien nichts zu erkennen ist, im Gegenteil sind wesentliche Verschlechterungen zu erblicken." Dazu folgen weitere Ausführungen zur Situation in Tschetschenien. Resümierend wurde in der Beschwerdeschrift dann dazu ausgeführt, dass das Bundesamt in Anbetracht der von den BF vorgebrachten Neuerungen hinsichtlich ihrer Rückkehrbefürchtungen und Neuerungen hinsichtlich der allgemeinen Situation in der Russische Föderation verpflichtet gewesen wäre, ein inhaltliches Verfahren zu führen. Weiters wurde ausgeführt, dass auch die Abwägung des Bundesamtes zwischen den öffentlichen Interessen Österreichs und den Privat- und Familienleben der BF unrichtig sei. Die BF seien schon seit vielen Jahren hier aufhältig, integrations- und arbeitswillig. Diesbezüglich habe jedoch keinerlei Beurteilung seitens des Bundesamtes stattgefunden, obwohl einerseits jedenfalls hinsichtlich des Gesundheitszustandes der BF, andererseits auch hinsichtlich ihres umfangreichen Familienlebens und hinsichtlich der Integrationsanstrengungen der BF sich zweifellos Änderungen ergeben haben, die eine Neubeurteilung erforderlich gemacht hätten. Zusammenfassend sei festzustellen, dass es dem Bundesamt aus den genannten Gründen in keiner nachvollziehbaren Weise gelungen sei, die Glaubwürdigkeit der BF zu widerlegen und dass die von den BF vorgebrachten Sachverhaltsänderungen sowie die Veränderungen in der Sicherheitslage in Tschetschenien seit der Rechtskraft des Vorverfahrens nicht in die Beweiswürdigung eingeflossen seien. Das Vorbringen der BF entspreche der Wahrheit, sei glaubwürdig und gründlich substantiiert. Allenfalls wäre aufgrund der katastrophalen Sicherheitslage in Tschetschenien und aufgrund der Unmöglichkeit aus Tschetschenien in andere Landesteile der Russischen Föderation auszuweichen, subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen. Allenfalls wäre aufgrund der tiefen Integration der BF in Österreich eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären gewesen.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen (Sachverhalt):

 

Die BF, ein Paar und ihre beiden minderjährigen Kinder im Alter von fast 5 Jahren bzw. einem Jahr, sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, gehören der tschetschenischen Volksgruppe an und haben sich im Herkunftsland in Dagestan aufgehalten. Ihre Identität steht nicht fest.

 

Die BF1 – BF3 reisten im Februar 2015 illegal in das Bundesgebiet ein und stellten am 19.02.2015 Anträge auf internationalen Schutz. Die Anträge wurden im Wesentlichen mit dem Vorbringen des BF1 begründet, von islamistischen Kämpfern bedroht zu werden, weil er Informationen an die Polizei weitergeleitet habe, bzw. bei der Rückkehr von der Polizei verhaftet zu werden. Die Asylverfahren wurden nach einer Beschwerdeverhandlung mit Erkenntnissen des Bundeverwaltungsgerichtes vom 20.06.2016, Zlen. W147 2118348-1/8E, W147 2118350-1/8E und W147 2118349-1/5E, rechtskräftig abgeschlossen, indem die erstinstanzlichen Bescheide, mit denen die Anträge bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und Rückkehrentscheidungen ausgesprochen wurden, bestätigt und die dagegen erhobenen Beschwerden abgewiesen wurde. Die Entscheidungen wurden mit der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens der BF aufgrund von Widersprüchen und Unstimmigkeiten begründet. Die Erkenntnisse wurden im Juni 2016 rechtskräftig.

 

Ein Antrag auf internationalen Schutz für die im Bundegebiet nachgeborene BF4 wurde mit Bescheid des Bundesamtes abgewiesen und gegen sie eine Rückkehrentscheidung ausgesprochen. Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.09.2016, Zl. W111 2128770-1/2E, in allen Spruchpunkten abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass aufgrund der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens der gesetzlichen Vertreter der BF4 auch nicht glaubhaft gewesen sei, dass die angegebenen Gründe Auswirkungen auf die BF4 haben könnten. Das Erkenntnis wurde im September 2016 rechtskräftig.

 

Am 29.11.2016 stellten die BF den (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründeten sie im Wesentlichen damit, dass sie von ihren Familienangehörigen telefonisch erfahren hätten, dass die islamistischen Kämpfer nach wie vor nach ihnen suchen und ihre Familienangehörigen in Dagestan deswegen bedrohen würden. Dazu wurden schriftliche Bestätigungen von den Müttern des BF1 und der BF2 sowie eine darin angeführte Auflistung von vier angeblichen Nachbarn, die dies mit ihrer Unterschrift bestätigen würden, vorgelegt.

 

Das neuerliche Vorbringen hat sich bereits im Kern als unglaubwürdig erwiesen.

 

Der BF1 und die BF2 sind arbeitsfähig. Die BF gehen in Österreich keiner legalen Erwerbstätigkeit nach und leben von der Grundversorgung. Sie konnte keine Nachweise über absolvierte Deutschkurse nachweisen und verfügen über Grundkenntnisse der deutschen Sprache. Sie sind auch nicht gemeinnützig aktiv. In Österreich halten sich außer der Kernfamilie keine Familienangehörigen auf.

 

Nicht festgestellt werden kann, dass in der Zwischenzeit Umstände eingetreten sind, wonach den BF allein aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage ohne Hinzutreten individueller Faktoren in der Russischen Föderation bzw. Dagestan aktuell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ihrer Person drohen würde oder dass ihnen im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Die BF leiden an keinen zwischenzeitlich aufgetretenen lebensbedrohlichen oder im Herkunftsland nicht behandelbaren Krankheiten.

 

Der BF1 leidet an einer Schuppenflechte-Erkrankung, für die BF2 wurden Befunde über eine posttraumatische Belastungsstörung, die medikamentös behandelt, sowie orthopädische Gesundheitsprobleme, die mit einer konservativen multimodalen Schmerztherapie behandelt werden, vorgelegt. Die BF3 leidet an einem behandelten " XXXX ", wobei diesbezüglich jährliche Kontrollen erforderlich sind.

 

In der Beschwerde wurde kein neuer Sachverhalt dargetan.

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Die Feststellungen zur Person der BF, den Gang der ersten Asylverfahren sowie der gegenständlichen Asylverfahren und der darin vorgebrachten Fluchtvorbringen wurden auf Grundlage der entsprechenden Akten des Bundesamtes zu den Zlen.

1052195104-150190660, 1052195006-150190651, 1052194902-150190678 und 1116845604-160758922 sowie des Inhaltes der im Verfahrensgang zitierten Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.06.2016, Zlen. W147 2118348-1/8E, W147 2118350-1/8E und W147 2118349-1/5E sowie vom 06.09.2016, Zl. W111 2128770-1/2E, getroffen.

 

Die Feststellungen zum Fluchtvorbringen, zur persönlichen Situation, zum familiären Hintergrund und dem Gesundheitszustand der BF im gegenständlichen Verfahren gründen sich insbesondere auf die Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 29.11.2016 sowie der Einvernahme des BF1 und der BF2 durch Organe der belangten Behörde am 08.09.2015, den von den BF vorgelegten Beweismitteln und der Beschwerdeschrift.

 

Zur Situation im Herkunftsland wird von den zutreffenden, und im Verfahrensgang hinsichtlich der entscheidungswesentlichen Aspekte wiedergegebenen (vgl. dazu jüngst VwGH 19.09.2017, Zl. Ra 2017/20/0059) Feststellungen des Bundesamtes in den angefochtenen Bescheiden sowie in den rechtskräftigen Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes ausgegangen. Die vom Bundesamt zur Lage in der Russischen Föderation bzw. Dagestan getroffenen Feststellungen basieren auf aktuellen Berichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen und stellen angesichts des bereits Ausgeführten im konkreten Fall eine hinreichende Basis zur Beurteilung des Vorbringens des BF dar.

 

2.2. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Herkunft der BF ergeben sich aus deren diesbezüglich glaubwürdigen Vorbringen. Bereits in den vorhergehenden Verfahren wurde eine russische Staatsangehörigkeit, tschetschenische Volksgruppenzugehörigkeit sowie die Herkunft der BF aus Dagestan festgestellt, und sind auch im gegenständlichen Verfahren – weder seitens des Bundesamtes noch des Bundesverwaltungsgerichtes – diesbezüglich Zweifel aufgetreten. Hinsichtlich der Identität der BF konnten mangels überprüfbarer Identitätsdokumente aus dem Herkunftsstaat keine Feststellungen getroffen werden.

 

Wie das Bundesamt im bekämpften Bescheid nachvollziehbar aufzeigen konnte, beruht die "neu" vorgebrachte Bedrohung der BF und deren Familienangehörigen auf den bereits in den ersten Verfahren vom BF1 behaupteten Vorfällen in Zusammenhang mit islamistischen Kämpfern und der Polizei, die sowohl vom Bundesamt als auch vom Bundesverwaltungsgericht nach einer Beschwerdeverhandlung aufgrund erheblicher Widersprüche und Unstimmigkeiten in den Angaben der BF für unglaubwürdig erachtet wurden. Bereits der Umstand, dass es sich bei den nunmehr aufgrund von Telefongesprächen mit Familienangehörigen in Erfahrung gebrachten fortgesetzten Verfolgungshandlungen, wonach angeblich (immer noch) nach den BF gesucht werden würde und deren Familienangehörige bedroht werden würden, lediglich um ein Fortwirken des ursprünglich geltend gemachten, rechtskräftig als unglaubwürdig bewerteten Fluchtvorbringens handelt, weist auf die völlige Unglaubwürdigkeit dieser Behauptungen hin. Auch die seitens des Bundesamtes dazu in der Beweiswürdigung oben wiedergegeben Ausführungen, wonach der BF1 noch in der Einvernahme im ersten Verfahren am 17.08.2015 diesbezüglich ausdrücklich ausführte, dass seine Angehörigen keine Probleme gehabt hätten, und es völlig unwahrscheinlich erscheine, dass die Verfolger sich erst Jahre nach der Ausreise der BF an deren Familie wenden sollten, erscheint plausibel und nachvollziehbar. Auch die vorgelegten Beweismittel, die laut zutreffender Beurteilung des Bundesamtes ebenso vage die Verfolgungshandlungen beschreiben würden, wie die BF in ihren Verfahren, vermögen daran nichts zu ändern. Hierbei ist ergänzend festzuhalten, dass der Beweiswürdigung des Bundesamtes in der Beschwerdeschrift auch nicht erkennbar mit konkreten Argumenten entgegengetreten wurde. Zudem setzt der Umstand, dass die Beweismittel aus dem engsten familiären Umkreis der BF stammen (Mütter des BF1 und der BF2) zudem deren Beweiskraft deutlich herab. Die zusätzlich angegebenen Unterschriften sind zudem nicht überprüfbar. Letztlich ist noch darauf hinzuweisen, dass der BF1 in der Erstbefragung überhaupt noch ausdrücklich behauptete, dass er die "neuen" Beweismittel bereits im vorhergehenden Verfahren vorlegen hätte können, und dies nur wegen Falschinformationen seines Rechtsanwaltes unterlassen hätte (vgl. Erstbefragungsprotokoll des BF1 vom 29.11.2016, S. 7).

 

Weiters ist anzumerken, dass unter Zugrundelegung der vom Bundesamt getroffenen Feststellungen auch kein Grund erkannt werden kann, wonach die arbeitsfähigen BF1 und BF2, die über ein dichtes familiäres und verwandtschaftliches Netz im Herkunftsstaat verfügen, mit ihren Kindern bei einer Rückkehr ins Herkunftsland in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse in eine ausweglose Situation geraten würde. Derartiges wurde aber auch nicht vorgebracht.

 

2.3. Wie bereits ausgeführt wurde es in der Beschwerde völlig unterlassen, der im Wesentlichen nachvollziehbaren Beweiswürdigung des Bundesamtes konkrete Argumente entgegenzusetzten, wobei die Beschwerde auch kein neues Vorbringen enthält. Auch die Ausführungen zu den getroffenen Länderfeststellungen vermochten bereits insofern nicht zu überzeugen, als die in der Beschwerde zitierten Berichte sich vorallem auf Tschetschenien und das Regime Kadyrow beziehen, die BF jedoch aus Dagestan stammen und sohin von den Verhältnissen in Tschetschenien kaum berührt sind. Der Antrag auf Beauftragung eines landeskundigen Sachverständigen zur aktuellen Situation in der Russischen Föderation als auch der Antrag auf Untersuchung der gesundheitlichen Lage der BF enthalten keinerlei erkennbare Begründung für die Notwendigkeit derartiger (zusätzlicher) Ermittlungen. Auch sonst liegen keine Anhaltspunkte für die Erforderlichkeit zusätzlicher Ermittlungen vor.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

3.1. Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

 

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn (Z 1) der der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder (Z 2) die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Letztere Variante traf unter Berücksichtigung der in ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG vertretenen Ansicht über den prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auf die gegenständliche Konstellation zu (vgl. dazu etwa VwGH 28.07.2016, Zl. Ra 2015/01/0123).

 

Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs.1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: "Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein."

 

Zu Spruchteil A):

 

3.2. Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache

 

3.2.1. Nach § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, welche die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, (außer in den Fällen der §§ 69 und 71 AVG) wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

 

Gemäß § 75 Abs. 4 AsylG 2005 begründen ab- oder zurückweisende Bescheide auf Grund des Asylgesetzes, BGBl. Nr. 126/1968, des Asylgesetzes 1991, BGBl. Nr. 8/1992, sowie des Asylgesetzes 1997 in derselben Sache in Verfahren nach diesem Bundesgesetz den Zurückweisungstatbestand der entschiedenen Sache (§ 68 AVG).

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist als Vergleichsbescheid derjenige Bescheid heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (vgl. VwGH vom 15.11.2000, Zl. 2000/01/0184; VwGH vom 16.07.2003, Zl. 2000/01/0440; VwGH vom 26.07.2005, Zl. 2005/20/0226; vgl. weiters Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), E 104 zu § 68 AVG).

 

Im vorliegenden Fall sind daher als Vergleichsentscheidungen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.06.2016, Zlen. W147 2118348-1/8E, W147 2118350-1/8E und W147 2118349-1/5E, sowie das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.09.2016, Zl. W111 2128770-1/2E, heranzuziehen.

 

3.2.2. Im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG liegen verschiedene "Sachen" vor, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweicht. Eine Modifizierung, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern. Es kann nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung – nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen nach § 28 AsylG – berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben - nochmals - zu überprüfen; die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf. Eine neue Sachentscheidung ist, wie sich aus § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ergibt, auch im Fall desselben Begehrens aufgrund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des vorangegangenen Verfahrens bestanden haben, ausgeschlossen, sodass einem Asylfolgeantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, die Rechtskraft des über den Erstantrag absprechenden Bescheides entgegensteht. Darüber hinaus muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den die positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann. Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Asylwerbers und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (vgl. VwGH vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, in dem weitere von der Rechtsprechung entwickelte Rechtssätze zu § 68 AVG, insbesondere mit Beziehung auf das Asylverfahren, wiedergegebenen werden, und daran anschließend VwGH vom 20.03.2003, Zl. 99/20/0480 mwN; vgl. auch VwGH vom 25.04.2002, 2000/07/0235; VwGH vom 04.11.2004, Zl. 2002/20/0391, VwGH vom 15.03.2006, Zl. 2006/18/0020; VwGH vom 25.04.2007, Zl. 2005/20/0300 und 2004/20/0100).

 

3.2.3. Für das Bundesverwaltungsgericht ist demnach Sache des gegenständlichen Verfahrens ausschließlich die Frage, ob sich die maßgebliche Sach- und Rechtslage seit der Stellung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz geändert hat.

 

Wie aus den Ausführungen des Bundesamtes zutreffend hervorgeht und auch in der gegenständlichen Beweiswürdigung dargelegt wurde, bezogen sich die BF zur individuellen Begründung ihres (zweiten) Antrages auf internationalen Schutz fast ausschließlich auf Umstände, die bereits zum Zeitpunkt der ersten Asylantragsstellung bestanden haben. Was das behauptete - auch aktuelle - Fortwirken der ursprünglichen Verfolgungsgründe betrifft, wonach die BF im Herkunftsland weiter von ihren Verfolgern gesucht bzw. ihre Familienangehörigen von diesen bedroht werden würden, ist diesem – wie schon in der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt wurde – bereits im Kern keine Glaubwürdigkeit zugekommen. Das gleiche gilt für die vorgelegten Beweismittel. Sohin war diesbezüglich eine neue Sachentscheidung ausgeschlossen (vgl. VwGH 21.09.2000, Zl. 98/20/0564; VwGH 24.08.2004, Zl. 2003/01/0431).

 

Insoweit die neuerlichen Anträge der BF unter dem Blickwinkel des Refoulementschutzes (§ 8 AsylG 2005) zu betrachten sind, ist auszuführen, dass auch im Hinblick auf Art. 3 EMRK keine Anhaltspunkte erkennbar sind, wonach die Rückführung der BF in die Russische Föderation respektive Dagestan zu einer Situation führen würde, die eine Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK mit sich brächte.

 

Aus den Länderfeststellungen zur Russischen Föderation respektive Dagestan ergeben sich keine Gründe für die Annahme, dass jeder zurückkehrende Staatsbürger der reellen Gefahr einer Gefährdung gemäß Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, sodass nicht von einem Rückführungshindernis im Lichte der Art. 2 und 3 EMRK auszugehen ist. Dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist aufgrund der Länderberichte darin beizupflichten, dass sich die Lage im Herkunftsstaat seit der Entscheidung im ersten Asylverfahren nicht entscheidungswesentlich verändert hat.

 

Was die Gesundheit der BF betrifft, ist vorweg auf die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder suizidgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland (einer Abschiebung oder Überstellung) nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. VwGH 21.02.2017, Zl. Ra 2017/18/0008, Rz 7-8 mit Verweis auf EGMR, 13.12.2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz 189 ff).

 

Ihren Gesundheitszustand betreffend haben die BF zwar Krankheiten geltend gemacht, doch wiesen diese keinen erheblichen Gefährdungsgrad (Schuppenflechte, orthopädischen Beschwerden) vor, bzw. keine aktuelle Behandlungsbedürftigkeit (" XXXX "). Auch hinsichtlich der posttraumatischen Belastungsstörung finden sich keine Anhaltspunkte auf eine suizidale Einengung. Überdies stehen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte das Vorliegen – auch schwerer – posttraumatischer Belastungsstörungen (EGMR 22.09.2005, Fall Kaldik, Appl. 28526) und schwerer Depressionen (EGMR 31.05.2005, Fall Ovidenko, Appl. 1383/04) sowie damit jeweils in Zusammenhang stehende Suizidgefährdungen einer Abschiebung nicht im Wege. Unabhängig davon handelt es sich um keine schwerwiegenden Erkrankungen, die im Hinblick auf ihre Behandlung über den gewöhnlichen medizinischen Standard hinaus außergewöhnlicher Eingriffe bzw Maßnahmen von besonderer Intensität bedürfen. Schließlich ist, wie den Länderfeststellungen entnommen werden kann, die medizinische Versorgung – auch für psychische Krankheitsbilder – im Herkunftsstaat grundsätzlich gewährleistet. Vor diesem Hintergrund war eine maßgebliche Änderung des in den Personen der BF liegenden (Refoulement‑)Sachverhalts nicht auszumachen.

 

Angesichts der vom Bundesamt herangezogenen Länderberichte liegen auch keine Hinweise vor, wonach seit dem rechtskräftigen Abschluss des ersten Asylverfahrens im Hinblick auf die BF eine derartige erhebliche Lageänderung im vorliegenden Herkunftsland eingetreten wäre, wonach ihnen nach Verlassen des Herkunftslandes und einer Asylantragstellung im Ausland im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation bzw. nach Dagestan Gefahr für Leib und Leben in einem Maße drohen würde, dass die Ausweisung im Lichte des Art. 3 EMRK unzulässig wäre.

 

Vor dem Hintergrund der vom Bundesamt getroffenen Feststellungen zu den Verhältnissen im Herkunftsstaat kann auch nicht angenommen werden, dass in der Zwischenzeit Umstände eingetreten wären, wonach die BF nach einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wären.

 

3.2.4. Da sohin keine Anhaltspunkte für eine entscheidungswesentliche Änderung des Sachverhalts im Hinblick auf das individuelle Vorbringen bzw. Umstände der BF oder allgemein bekannte Tatsachen, die vom Bundesamt von Amts wegen zu berücksichtigen wären, vorliegen, und auch die Rechtslage sich in der Zwischenzeit nicht entscheidungswesentlich geändert hat, ist das Bundesamt im Ergebnis daher zu Recht davon ausgegangen, dass der Behandlung der gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache entgegensteht.

 

Somit waren die Beschwerden gegen die zurückweisende Entscheidung des Bundesamtes abzuweisen.

 

3.3. Entscheidung nach §§ 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA- VG idgF und § 46 FPG idgF

 

3.3.1. Zwar sehen weder § 10 AsylG idgF noch der mit "Rückkehrentscheidung" betitelte § 52 FPG idgF eine zwingende Verbindung einer Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wird, mit einer Rückkehrentscheidung vor, doch ergibt sich durch Auslegung der Materialien zum Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz (BGBl. I Nr. 87/2012) dass § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 Z 2 FPG auch für den Fall der Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache nach § 68 AVG in einer Konstellation wie der vorliegenden die Rechtsgrundlage für die Verbindung dieser Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung darstellt (vgl. VwGH 19.11.2015, Zl. Ra 2015/20/0082). Es ist daher - mangels anderer gesetzlicher Anordnung - die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Erforderlichkeit der Verbindung einer ab- oder zurückweisenden Entscheidung der Asylbehörden mit einer Ausweisung, unabhängig davon, ob zum Entscheidungszeitpunkt bereits eine rechtskräftige Ausweisung vorliegt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 07.05.2008, Zl. 2007/19/0466, und vom 19.02.2009, Zl. 2008/01/0344) auf die ab 01.01.2014 geltende Rechtslage übertragbar (VwGH 19.11.2015, Zl. Ra 2015/20/0082).

 

Gemäß § 10. Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird sowie kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt.

 

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

Der BF ist als Staatsangehöriger der Russischen Föderation kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu. Im vorliegenden Verfahren liegt auch kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vor.

 

3.3.2. Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

Die BF befinden sich seit Februar 2015 im Bundesgebiet und ihr Aufenthalt ist nicht geduldet. Sie sind nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor.

 

3.3.3. Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl I Nr 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

 

Gemäß § 9 Abs. 4 BFA-VG darf gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn

 

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes von mehr als fünf Jahren gemäß § 53 Abs. 3 Z 6, 7 oder 8 FPG liegt vor, oder

 

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

 

Gemäß § 9 Abs. 5 BFA-VG darf gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

 

Gemäß § 9 Abs. 6 BFA-VG darf gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl Nr 60/1974 gilt.

 

3.3.4. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Art. 8 Abs. 2 EMRK erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen. In diesem Sinne wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

 

Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. VfGH 29.09.2007, B 1150/07-9; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423).

 

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem auch, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer "Familie" voraussetzt.

 

In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen neben den zwischen Ehegatten und ihren minderjährigen Kindern ipso iure zu bejahenden Familienleben bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.6.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 7.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 5.7.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Als Kriterien hiefür kommen in einer Gesamtbetrachtung etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Intensität und die Dauer des Zusammenlebens bzw. die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Sich bei der Prüfung allein auf das Kriterium der Abhängigkeit zu beschränken, greift jedenfalls zu kurz (vgl. VwGH vom 26.1.2006, Zl. 2002/20/0423).

 

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Für den Aspekt des Privatlebens spielt auch die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung grundsätzlich keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852ff.). Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zukommt (vgl. dazu VwGH 30.07.2015, Zl. 2014/22/0055; VwGH 23.06.2015, Zl. 2015/22/0026; VwGH 10.11.2010, Zl. 2008/22/0777, VwGH 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479). Andererseits kann aber auch nicht gesagt werden, dass eine in drei Jahren erlangte Integration keine außergewöhnliche, die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation begründen kann. Die Annahme eines "Automatismus", wonach ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bei Vorliegen einer Aufenthaltsdauer von nur drei Jahren "jedenfalls" abzuweisen wäre, ist verfehlt (vgl. dazu insbesondere VwGH 30.07.2015, Zl. 014/22/0055, VwGH B 28.01.2016, Zl. Ra 2015/21/0191-6, VfGH 06.06.2014, Zl. U45/2014).

 

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit (vgl. § 66 Abs. 2 Z. 6 FrPolG 2005) vermag die persönlichen Interessen des Fremden nicht entscheidend zu stärken (VwGH 25.02.2010, Zl. 2010/18/0029). Vom Verwaltungsgerichtshof wurde im Ergebnis auch nicht beanstandet, dass in Sprachkenntnissen und einer Einstellungszusage keine solche maßgebliche Änderung des Sachverhalts gesehen wurde, die eine Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 EMRK erfordert hätte (vgl. VwGH 19.11.2014, Zl. 2012/22/0056; VwGH 19.11.2014, Zl. 2013/22/0017, VwGH 12.10.2015, Zl. Ra 2015/22/0074).

 

Es ist aber auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal etwa das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt rechtswidrig oder lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VfGH 12.06.2007, B 2126/06; VfGH vom 29.09.2007, Zl. B 1150/07-9; VwGH 24.04.2007, 2007/18/0173; VwGH 15.05.2007, 2006/18/0107, und 2007/18/0226).

 

Nach ständiger Rechtssprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art 8 Abs 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).

 

3.3.5. Die BF sind zum Aufenthalt in Österreich nur auf Grund von wiederholten Anträgen auf internationalen Schutz, die sich letztlich als nicht begründet erwiesen haben, berechtigt. Anhaltspunkte dafür, dass ihnen ein nicht auf asylrechtliche Bestimmungen gestütztes Aufenthaltsrecht zukäme, sind nicht ersichtlich. Es liegen keine Hinweise für eine ausreichend intensive Beziehung der BF außerhalb der Kernfamilie zu allfälligen in Österreich aufhältigen Familienangehörigen oder ihnen sonst besonders nahestehenden Personen vor. Auch liegen keine Anhaltspunkte für eine außergewöhnliche berufliche und/oder soziale Integration vor. Die BF leben von der Grundversorgung, gehen keiner legalen Erwerbstätigkeit nach, haben nur geringfügige Kenntnisse der deutschen Sprache und sind auch nicht in Vereinen oder gemeinnützig aktiv. Die BF3 und BF4 sind in einem anpassungsfähigen Alter. Der Bezug zum Herkunftsland der BF überwiegt deutlich. Sie sind unbescholten. Im Hinblick auf die Zeitspanne, seit der sich die im Februar 2015 eingereisten BF in Österreich aufhalten, könnte aber selbst unter Miteinbeziehung integrativer Merkmale eine von Art. 8 EMRK geschützte "Aufenthaltsverfestigung" unter den gegebenen Umständen noch nicht angenommen werden (vgl. etwa VwGH 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479, wonach ein dreijähriger Aufenthalt ohne familiären Bezug "jedenfalls" nicht ausreichte, um daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abzuleiten; VwGH 20.12.2007, Zl. 2007/21/0437, VwGH 25.02.2010, Zl. 2010/18/0026; VwGH 30.04.2009, Zl. 2009/21/0086; VwGH 08.07.2009, Zkl. 2008/21/0533; VwGH 8.3.2005, 2004/18/0354). Somit kann nicht festgestellt werden, dass dem subjektiven Interesse der BF am Verbleib im Inland Vorzug gegenüber dem maßgeblichen öffentliche Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. VwGH 22.01.2013, Zl. 2011/18/0036; VwGH 10.05.2011, Zl. 2011/18/0100; VwGH 22.03.2011, Zl. 2007/18/0628; VwGH 26.11.2009, Zl. 2007/18/0305), zu geben ist.

 

3.3.6. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

 

Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

Nach § 50 Abs. 2 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

Nach § 50 Abs. 3 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

Unter Zugrundelegung des bisher Ausgeführten können keine Gründe erkannt werden, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde. Die Zulässigkeit der Abschiebung der BF in den Herkunftsstaat ist gegeben.

 

3.3.7. Dass eine Frist für die freiwillige Ausreise in den Fällen einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG nicht besteht, ergibt sich schon unmittelbar aus § 55 Abs. 1a FPG 2005, sodass der Beschwerdeführer auch nicht in seinen Rechten verletzt sein kann.

 

Die Beschwerde war daher im Hinblick auf Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abzuweisen.

 

3.3.8. Angesichts des Verfahrensergebnisses erübrigte sich auch eine Behandlung des Antrages auf aufschiebende Wirkung.

 

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 12.11.2015, Zl. Ra 2015/21/0101, dargelegt hat, bietet das Gesetz keine Grundlage dafür, in Fällen, in denen - wie hier - eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 FPG erlassen wird, darüber hinaus noch von Amts wegen negativ über eine Titelerteilung nach § 55 AsylG 2005 abzusprechen. Sohin war - unter Auslassung von § 55 AsylG 2005 - spruchgemäß zu entscheiden.

 

3.4.1. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

 

§ 21 Abs. 7 erster Satz BFA-VG entspricht zur Gänze dem Wortlaut der Bestimmung des durch das Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz (FNG) BGBl. I Nr. 87/2012 aufgehobenen § 41 Abs. 7 erster Satz AsylG 2005. In der Regierungsvorlage (2144 BlgNR XXIV. GP ) wurde zu § 21 BFA-VG idF BGBl. I Nr. 64/2013 ausgeführt: "§ 21 entspricht dem geltenden § 41 AsylG 2005 und legt Sondernomen für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in Beschwerdeverfahren gegen Entscheidungen des Bundesamtes fest." Zu § 21 Abs. 7 hält die RV fest: "Abs. 7 stellt klar, dass eine mündliche Verhandlung auch dann unterbleiben kann, wenn sich aus den bisherigen Ermittlungsergebnissen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen des BFs nicht den Tatsachen entspricht. Neben dieser Bestimmung ist § 24 VwGVG anzuwenden."

 

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

 

Der VfGH äußerte vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EGMR (zur Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung) keine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 41 Abs. 7 AsylG 2005 und stellte dazu klar: "Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen tatsachenwidrig ist, steht im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde" (VfGH 14.03.2012, Zl. U 466/11).

 

In seinem Erkenntnis vom 28.05.2014, Zl. 2014/20/0017, ging der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" nunmehr folgende Kriterien beachtlich sind: "Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen." (VwGH 28.05.2014, Zl. 2014/20/0017)

 

3.4.2. In der Beschwerde wurde ein Antrag auf Abhaltung einer mündlichen Verhandlung gestellt.

 

3.4.3. Was das Vorbringen der BF in der Beschwerde betrifft, so findet sich in dieser – wie unter Punkt II.2.3. ausgeführt - kein begründetes neues Tatsachenvorbringen hinsichtlich allfälliger neuer Fluchtgründe. Auch treten die BF in der Beschwerde den seitens der Behörde erster Instanz getätigten beweiswürdigenden Ausführungen nicht in ausreichend konkreter Weise entgegen. Somit ist diesbezüglich der maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt anzusehen. Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben (vgl. dazu insbesondere die unter den Punkten II.3.2.1. f., II.3.3.4. f. und II.3.4.1. zitierte Judikatur)

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