BVwG L521 2148278-1

BVwGL521 2148278-124.9.2018

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:L521.2148278.1.00

 

Spruch:

L521 2148278-1/34E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, 1090 Wien, Alser Straße 20, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.01.2017, Zl. 1066731204-150446141, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 04.12.2017 zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner schlepperunterstützten unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 30.04.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Traiskirchen EASt am 01.05.2015 gab der Beschwerdeführer an, den Namen XXXX zu führen und Staatsangehöriger des Irak zu sein. Er sei am XXXX in Bagdad geboren und habe dort zuletzt auch im Bezirk

 

XXXX gelebt, Angehöriger der arabischen Volksgruppe, Moslem der schiitischen Glaubensrichtung und ledig.

 

Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, den Irak im Januar 2015 von Bagdad ausgehend auf dem Landweg mit einem Personenkraftwagen in die Türkei verlassen zu haben. Nach einem kurzen Aufenthalt in Istanbul sei er schlepperunterstützt auf dem Seeweg nach Griechenland gelangt und dort nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung mit anderen Arabern nach Belgrad gelangt. Im Anschluss sei er gemeinsam mit mehreren Personen in einem Lastkraftwagen nach Wien verbracht worden.

 

Zu den Gründen seiner Ausreise befragt, führte der Beschwerdeführer aus, er habe im Irak ein Kaffeehaus betrieben und dort Alkohol serviert. Im Dezember 2014 habe ihn ein Mann gewarnt, dies weiter zu tun. Eines Tages habe er auf dem Heimweg einen Anruf erhalten, wonach Milizen dein Geschäft angezündet und auf einen Freud geschossen hätten. Er sei daraufhin geflohen und fürchte im Fall einer Rückkehr den Tod.

 

2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 24.10.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers in arabischer Sprache niederschriftlich einvernommen.

 

Eingangs bestätigte der Beschwerdeführer, einvernahmefähig zu sein und die arabische Sprache zu verstehen. Zur Person und seinen Lebensumständen befragt gab der Beschwerdeführer an, er bekenne sich zum Islam der schiitischen Glaubensrichtung, sei ledig und habe keine Kinder. Im Irak habe er die Schule besucht und Fußball gespielt. Im Alter von 18 Jahren sei er in das Erwerbsleben eingetreten und habe als Maler und als Verkäufer von Möbeln und Kinderspielzeug in einem Einkaufszentrum gearbeitet. Von 2009 bis zum 19.01.2015 habe er als selbständiger Gastwirt gearbeitet. Sein Vater sei verstorben, seine Mutter sowie seine vier Schwestern und vier Brüder würden nach wie vor in Bagdad leben, ein Cousin lebe in den Vereinigten Staaten.

 

Den Irak habe er verlassen, da er in seinem Kaffeeahaus am 01.01.2015 Alkohol in das Angebot aufgenommen habe. Am 19.01.2015 sei er auf dem Weg von einem Freund angerufen worden. Dieser habe ihm mitgeteilt, dass Milizen sein Kaffeehaus in Brand gesteckt und nach ihm gefragt hätten. In weiterer Folge habe ihn seine Schwester angerufen, dass Kämpfer von Asa'ib Ahl al-Haqq ihn zuhause gesucht und die Schwester geschlagen hätten. Er sei in der Folge zu einem Onkel mütterlicherseits geflüchtet. Am nächsten Tag habe ihm sein Bruder mitgeteilt, dass überall nach dem Beschwerdeführer gesucht werde und die Milizen ihn umbringen wollten. Nach weiteren acht oder neun Tagen habe er am 27.01.2015 den Irak verlassen. Auch in der Türkei habe er nicht bleiben können, da seine Mutter ihm mitgeteilt habe, dass er nicht in den Irak zurückkehren könne und die Milizen ihn umbringen wollen würden. Er solle die Reise fortsetzen.

 

3. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.01.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 unter einem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

 

Begründend führte die belangte Behörde nach der Wiedergabe der Einvernahme des Beschwerdeführers und den Feststellungen zu dessen Person aus, der Beschwerdeführer sei keiner Verfolgung durch staatliche Organe ausgesetzt gewesen. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in einem Geschäftslokal Alkohol verkauft habe sowie dass dieses Geschäftslokal abgebrannt sei. Der Beschwerdeführer sei niemals persönlich bedroht worden, er sei nicht mit schiitischen Milizen in Kontakt gekommen und es könne seine Kernfamilie nach wie vor unbehelligt in Bagdad leben. Der Beschwerdeführer verfüge über familiäre Anknüpfungspunkte im Irak und sei ihm eine Rückkehr zumutbar und möglich.

 

In der Beweiswürdigung wird diesbezüglich dargelegt, das Verfolgungsvorbringen des Beschwerdeführers beruhe weitgehend auf eine Gefährdung vom Hörensagen, ferner habe er sich in Wiedersprüche verwickelt und habe sich das Vorbringen des Beschwerdeführers als nicht detailreich erwiesen. Nicht nachvollziehbar sei schließlich, dass der Beschwerdeführer von Drohungen gegenüber Familienangehörigen berichtet habe, diese jedoch nach wie vor unbehelligt in Bagdad leben würden.

 

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewärtigen, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. Dem Beschwerdeführer sei der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, da er im Irak über genügend Anknüpfungspunkte verfüge und keine reale Gefahr einer Verletzung in elementaren Rechte sowie keine Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts drohe. Dem Beschwerdeführer sei schließlich kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 zu erteilen.

 

4. Mit Verfahrensanordnungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.02.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt und der Beschwerdeführer ferner gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG darüber informiert, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.

 

5. Gegen den dem Beschwerdeführer am 07.02.2017 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die im Wege der beigegebenen Rechtsberatungsorganisation fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

 

In dieser wird inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und beantragt, den angefochtenen Bescheid abzuändern und dem Antrag auf internationalen Schutz Folge zu geben und dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen oder hilfsweise den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen und die Rückkehrentscheidung aufzuheben und einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen.

 

In der Sache bringt der Beschwerdeführer nach Wiederholung seiner bereits vorgebrachten Ausreisegründe im Wesentlichen vor, er habe die telefonischen Schilderungen seines Freundes und seiner Familienangehörigen geglaubt und sei deshalb geflüchtet. Eine Kontaktaufnahme mit Sicherheitskräften sei ihm nicht erfolgversprechend erschienen, da die Polizei mit Milizen zusammenarbeiten würde und diesen auch unterlegen sei. Seine Familie werde nicht verfolgt, weil nur er Alkohol verabreicht habe und dies aus religiösen Gründen von Milizen geahndet wurde.

 

6. Die Beschwerdevorlage langte am 23.02.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

 

7. Am 04.12.2017 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner rechtsfreundlichen Vertretung und eines Dolmetschers für die arabische Sprache durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung im Irak anhand aktueller Länderdokumentationsunterlagen und einer Anfragebeantwortung zu den Aktivitäten der Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq sowie eines Auszuges aus dem Bericht des Auswärtigen Amtes aus dem Jahr 2017 zur Lage im Irak erörtert, welche dem Beschwerdeführer ausgefolgt und eine Stellungnahme hiezu freigestellt wurde. Seitens der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers wurden Erhebungen im Herkunftsstaat zum Vorbringen des Beschwerdeführers angeregt. Schließlich wurde eine vom Beschwerdeführer stellig gemachte Zeugin einvernommen.

 

8. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.01.2018 wurde dem Beschwerdeführer Parteiengehör zu beabsichtigten Bestellung des XXXX zum Sachverständigen zur Durchführung einer Befundaufnahme im Herkunftsstaat eingeräumt. Der Beschwerdeführer gab hiezu im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung am 18.01.2018 bekannt, dass gegen die Bestellung der Genannten kein Einwand erhoben wird.

 

9. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.01.2018 wurde

XXXX zum Sachverständigen bestellt und mit der Erstellung eines Befundes in der Sache des Beschwerdeführers im Wege von Recherchen im Herkunftsstaat beauftragt. Der Befund langte am 20.02.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

 

10. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte dem Beschwerdeführer zu Handen dessen rechtsfreundlicher Vertretung mit Note vom 20.02.2018 den Befund des XXXX zur Abgabe einer Stellungnahme. Die Stellungnahme des Beschwerdeführers langte am 08.03.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein. In der Stellungnahme wird insbesondere vorgebracht, dass der Beschwerdeführer nach Erörterung des Befundes mit seiner Rechtsvertretung neue Telefonnummern seiner Mutter und von Geschwistern bekannt gegeben habe. Der Beschwerdeführer könne auch die Lage seines Kaffeehauses näher konkretisieren, damit dieser Ort vom bestellten Sachverständigen gefunden werden könne.

 

11. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.04.2018 wurde der bestellte Sachverständige mit der Ergänzung seines Befundes beauftragt und lange diese am 07.05.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

 

12. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte dem Beschwerdeführer zu Handen dessen rechtsfreundlicher Vertretung mit Note vom 08.05.2018 den ergänzten Befund des XXXX sowie mit Note vom 11.09.2018 aktualisierte länderkundliche Informationen zur Situation im Herkunftsstaat sowie zu Aktivitäten der Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq zur Abgabe einer Stellungnahme. Die Stellungnahmen des Beschwerdeführers langten am 23.05.2018 bzw. am 19.09.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

1.1. Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX, ist Staatsangehöriger des Irak und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Der Beschwerdeführer wurde am XXXX in Bagdad geboren und lebte dort zuletzt im überwiegend schiitischen Bezirk

 

XXXX gemeinsam mit seiner Familie in einem Haus im Eigentum seiner Mutter. Der Beschwerdeführer bekennt sich zum Islam der schiitischen Glaubensrichtung, er ist ledig und hat keine Kinder. Der Beschwerdeführer ist gesund und steht nicht in medizinischer Behandlung.

 

Der Beschwerdeführer besuchte in Bagdad die Grundschule, verließ diese jedoch bereits nach fünf Jahren. Bis zum 18. Lebensjahr widmete sich der Beschwerdeführer vorwiegend Freizeitaktivitäten, wie etwa dem Fußballspiel. Mit der Vollendung des 18. Lebensjahres trat er in das Berufsleben ein und war als Maler und Verkäufer in einem Einkaufszentrum erwerbstätig. Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer ein Kaffeehaus auf eigene Rechnung und Gefahr führte.

 

Der Vater des Beschwerdeführers ist verstorben und war vor seinem Tod als Transportunternehmer tätig. Seine Mutter lebt in Bagdad und wird von den Geschwistern des Beschwerdeführers unterstützt. In Bagdad leben außerdem die vier Schwestern des Beschwerdeführers, sie sind verheiratet und leben bei ihren Familien. Der Beschwerdeführer hat außerdem vier Brüder, die ebenfalls in Bagdad leben und als Baumeister, als Taxiunternehmer, als Chauffeur und als EDV-Unternehmer erwerbstätig sind.

 

Am 27.01.2015 verließ der Beschwerdeführer den Irak legal von Bagdad ausgehend zunächst mit dem Reisebus in die Türkei. In weiterer Folge gelangte er schlepperunterstützt auf dem Seeweg nach Griechenland und von dort aus schlepperunterstützt über Serbien mit einem Lastkraftwagen nach Österreich, wo er am 30.04.2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

 

1.2. Der Beschwerdeführer gehört keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatte in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit und seines schiitischen Religionsbekenntnisses zu gewärtigen. Der Beschwerdeführer hatte außerdem vor seiner Ausreise keine Schwierigkeiten mit Behörden, Gerichten oder Sicherheitskräften seines Herkunftsstaates zu gewärtigen.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt in seinem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat vor der Ausreise Drohungen oder Übergriffen der Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq oder eines ihrer Mitglieder ausgesetzt war bzw. er der Gefahr von Übergriffen dieser oder anderer extremistischer Gruppierungen im Falle einer Rückkehr in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

 

1.3. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.

 

Der Beschwerdeführer ist ein gesunder, arbeits- und anpassungsfähiger Mensch mit grundlegender Ausbildung in der Schule und mehrjähriger Berufserfahrung als Maler und Verkäufer in einem Supermarkt sowie als Sportler. Der Beschwerdeführer verfügt über eine - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherte Existenzgrundlage in seinem Herkunftsstaat sowie über familiäre Anknüpfungspunkte und eine hinreichende Versorgung mit Nahrung und Unterkunft. Dem Beschwerdeführer ist darüber hinaus die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens möglich und zumutbar.

 

Der Beschwerdeführer verfügt über irakischen Ausweisdokumente im Original (Staatsbürgerschaftsnachweis, Personalausweis).

 

1.4. Der Beschwerdeführer hält sich seit dem 30.04.2015 in Österreich auf. Er reiste rechtswidrig in Österreich ein, ist seither Asylwerber und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel. Er ist strafgerichtlich unbescholten.

 

Der Beschwerdeführer bezieht seit der Antragstellung bis dato Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber. Er lebt seit dem 06.05.2015 in der Stadtgemeinde XXXX. Der Beschwerdeführer ist nicht legal erwerbstätig und es wurde ihm auch keine bestimmte Erwerbstätigkeit am regulären Arbeitsmarkt in verbindlicher Weise zugesichert. Dem Beschwerdeführer wurde eigenen Angaben zufolge eine nicht näher konkretisierte Tätigkeit in einem Kaffeehaus bzw. eine nicht näher konkretisierte handwerkliche Tätigkeit von nicht näher bezeichneten Freunden in Aussicht gestellt.

 

Der Beschwerdeführer erbrachte Reinigungsleistungen in seiner Unterkunft und gemeinnützige Tätigkeiten für Gebietskörperschaften in den Monaten Juni, Juli und August 2017.

 

Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Verwandten und pflegt im Übrigen normale soziale Kontakte. Er ist für keine Person im Bundesgebiet sorgepflichtig. Seit dem Monat Februar 2017 unterhält er eine Beziehung mit der österreichischen XXXX XXXX, geb. XXXX, lebt mit dieser jedoch nicht im gemeinsamen Haushalt. Der Beschwerdeführer trifft seine Freundin für gemeinsame Freizeitaktivitäten. XXXX ist Studentin und studiert derzeit in der Stadt Graz. An Wochentagen besteht telefonischer Kontakt bzw. Kontakt über Videotelefonie, an Wochenenden persönlicher Kontakt in XXXX. XXXX wünscht, mit dem Beschwerdeführer in der Stadt Graz zusammenleben zu können, dieser unternahm jedoch keine dahingehenden Schritte und lebt auch gegenwärtig in der Betreuungseinrichtung in XXXX.

 

Der XXXX in XXXX attestiert dem Beschwerdeführer Respekt für die Werte der Gesellschaft im Bundesgebiet und eine friedliebende Einstellung. Der Beschwerdeführer ist dem Fußballverein Rapid XXXX im Mai 2015 beigetreten und trainiert dort. Sein Verein attestiert ihm Pünktlichkeit und eine offene Art.

 

Der Beschwerdeführer besuchte Deutschkurse um Jahr 2015 auf dem Niveau Alphabetisierung und A1, ein weitergehender Kursbesuch kann nicht festgestellt werden. Er legte keine Prüfungen über Kenntnisse der deutschen Sprache ab, verfügt jedoch über geringe Deutschkenntnisse infolge des Kontaktes mit seiner Freundin und österreichischen Staatsangehörigen. Er besuchte einen Werte- und Orientierungskurs am 11.04.2017.

 

1.5. Zu den Aktivitäten von Asa'ib Ahl al-Haqq werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der angeführten Quelle getroffen:

 

Die Liga der Rechtschaffenen (Asa'ib Ahl al-Haqq) wurde 2006 von Qais al-Khaz'ali gegründet und bekämpfte in erster Linie die US-Truppen im Irak. Nach dem Abzug der US-Truppen im Dezember 2011 fand die Miliz im Kampf gegen den Islamischen Staat eine neue Raison d'être. Unter den Milizen gilt die Asa'ib Ahl al- Haqq als besonders gewalttätig und teils kriminell motiviert. Qais al-Khaz'ali ist einer der prominentesten Anführer der Volksmobilisierungseinheiten und für seine Brutalität berüchtigt. Er und seine Organisation berufen sich Er und seine Organisation berufen sich zwar immer noch auf Muhammad Sadiq as-Sadr, den Begründer der Sadr-Bewegung, doch ist Khaz'alis Nationalismus einer starken Abhängigkeit von den iranischen Revolutionsgarden gewichen, ohne die er den bewaffneten Kampf gegen die USA nicht hätte führen können. Darum bekennt sich die Asa'ib Ahl al-Haqq neben Sadr auch zu Khomeini, Khamenei und der Herrschaft des Rechtsgelehrten. Die iranische Führung dankt es mit großzügiger Unterstützung.

 

Nach dem amerikanischen Abzug versuchte sich die Organisation als politische Kraft in Konkurrenz zur Sadr-Bewegung zu etablieren, gewann bei den Parlamentswahlen 2014 aber nur ein einziges Mandat und blieb eine Splittergruppe. Trotzdem wuchs ihre Miliz bis 2015 auf mindestens 3000 Mann an. Sie hat ihre politischen Aktivitäten ausgeweitet und eine Reihe von politischen Büros in Bagdad, Basra, Nadschaf, Hilla, al-Chalis und Tal Afar eröffnet habe. Darüber hinaus habe die Organisation politische Vertreter in die südlichen Provinzen Dhi Qar, al-Muthanna und Maysan gesandt, um Vertreter von Minderheiten und Stammesführer zu treffen. Trotz Berichten über religiös motivierte Verbrechen und Kriegsverbrechen wurde Asa'ib Ahl al-Haqq im November 2016 formell vom irakischen Parlament als Teil der Volksmobilisierungseinheiten anerkannt.

 

Das Institute for the Study of War (ISW), veröffentlicht im Dezember 2012 einen Bericht über das Wiedererstarken der Gruppe Asa'ib Ahl al-Haqq nach dem Abzug der US-Truppen 2003, sowohl als militärische, als auch als politische und religiöse Organisation. Laut dem Bericht habe die Miliz seit 2010 in Bagdad eine große politische Präsenz aufgebaut. Derzeit unterhalte die Organisation zwei politische Büros in der Hauptstadt, eines in Kadhimiya und eines in Rusafa. Asa'ib Ahl al-Haqq habe eine Reihe öffentlicher Veranstaltungen organisiert, an denen die zentralen Führungspersönlichkeiten der Organisation sowie Vertreter der irakischen Regierung teilgenommen hätten. Die Miliz nutze die politischen Aktivitäten in Bagdad, um ihr neues öffentliches Erscheinungsbild einer nationalistischen, islamischen Widerstandsgruppe zu fördern. Darüber hinaus seien politische Delegationen zu Treffen mit Anführen von Stämmen und Minderheiten in die Provinzen Dhi Qar, Muthanna und Maysan entsandt worden. Die politische Expansion der Organisation in ganz Irak verdeutliche die Fähigkeit von Asa'ib Ahl al-Haqq, in Gebiete, in der die Sadr-Bewegung Rückhalt habe, vorzudringen.

 

In Hinblick auf den bewaffneten Arm der Organisation erwähnt der Bericht, dass Asa'ib Ahl al-Haqq während des Irakkriegs [gegen die USA] die Miliz in Bataillone eingeteilt habe, von denen jedes einer bestimmten Region zugeteilt worden sei, das Imam Askari-Bataillon in Samarra, das Musa al-Kazim-Battaillon in Bagdad, das Imam Ali-Bataillon in Nadschaf und das Abu Fadl Abbas-Bataillon in Maysan. Im Dezember 2011 habe sich Qais al-Khazali mit den mutmaßlichen Anführern der Kata'ib Hezbollah (KH), der am besten ausgebildeten und geheimsten der vom Iran unterstützen Milizen, getroffen. Trotz der Verschwiegenheit der Miliz würden die Verbindungen zwischen führenden Mitgliedern von Asa'ib Ahl al-Haqq und Kata'ib Hezbollah darauf hindeuten, dass die Organisation Asa'ib Ahl al-Haqq ihren bewaffneten Arm neu geordnet und ihre Macht als Schirmorganisation für schiitische Milizen im Irak gefestigt habe.

 

Das britische Innenministerium (UK Home Office) gibt in seinem Bericht zu Herkunftsländerinformationen und Handlungsempfehlungen für britische Asylentscheider vom August 2016 Informationen von Jane-s, einem in den USA ansässigen Unternehmen, das unter anderem Analysen zum Thema Sicherheit erstellt, wieder, dass Asa'ib Ahl al-Haqq an einer Reihe von Angriffen auf die US-Truppen bis zu deren Abzug 2011 beteiligt gewesen. Zu diesem Zeitpunkt habe Asa'ib Ahl al-Haqq ihre Absicht bekannt gegeben, dem politischen Prozess beizutreten. Die Miliz unterhalte mehrere politische Büros im Land, sei aber auch bewaffnet und werde verdächtigt, an mehreren Angriffen mit selbstgebauten Spreng- und Brandvorrichtungen und gezielten Tötungen von Sunniten beteiligt zu sein. Militärische Ausbildung erfolge durch die libanesische Hisbollah und die iranische Quds-Einheit, was Asa'ib Ahl al-Haqq zu einer de facto-Stellvertretermiliz des Iran im Irak mache. Kämpfer der Asa'ib Ahl al-Haqq hätten die irakische Armee in der Provinz al-Anbar beim Kampf gegen den Islamischen Staat unterstützt.

 

Das an der Stanford University angesiedelte Mapping Militants Project, das die Herausbildung militanter Organisationen und deren Zusammenspiel in Konfliktzonen beobachtet und visuell darstellt, schreibt in einem zuletzt im Jänner 2017 aktualisierten Überblick zur Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq, dass es 2013 Berichte gegeben habe, laut denen die Regierung unter Premierminister al-Maliki statt der irakischen Polizei Kämpfer von Asa'ib Ahl al-Haqq in der Provinz al-Anbar und als Bereitschaftspolizei in Bagdad eingesetzt habe.

 

Al Araby Al Jadeed, ein 2014 in London gegründetes Medienunternehmen, berichtet in einem Artikel vom Juni 2014 über die Situation in Bagdad, wo Bewaffnete in Zivilkleidung zusammen mit dem Militär das Straßenbild bestimmen würden. Die Regierung habe eine Ausgangssperre verhängt und gleichzeitig die Präsenz der Sicherheitskräfte erhöht. Dabei greife sie auf Milizen zurück, um die eigene mangelnde Truppenstärke zu kompensieren. Das Straßenbild gleiche einer Kaserne. Freiwillige Milizkämpfer von Asa'ib Ahl al-Haqq würden in den Gegenden, die sie beschützen würden, Kontrollen durchführen. Insbesondere in der Nähe sunnitischer Wohngebiete habe Asa'ib Ahl al-Haqq "falsche Checkpoints" eingerichtet und eine Waffenparade in der Palästina-Straße abgehalten.

 

CEDOCA, die Herkunftsländerinformationsstelle des belgischen Generalkommissariats für Flüchtlinge und Staatenlose (CGRA) schreibt in einem Bericht zur Sicherheitslage in der Provinz Diyala vom Juli 2015, dass Berichten zufolge Mitglieder von Asa'ib Ahl al-Haqq Angriffe auf die Dörfer Bulour, Matar, Aruba, Hurriya, Sudur und Harouniya im Distrikt Muqdadiya durchgeführt hätten, wo ungefähr tausend sunnitische Familien leben würden. Die Miliz habe im Winter bis zu 50 Häuser niedergebrannt und weitere Wohnhäuser mit Mörsern und Raketen beschossen habe. Die lokale Bevölkerung habe berichtet, dass Kämpfer der Asa'ib Ahl al-Haqq zusammen mit freiwilligen schiitischen Milizkämpfern und irakischen Antiterror-Einheiten begonnen hätten, im Juni 2014 die Einwohner von Dörfern nahe Muqdadiya zu schikanieren. Im Oktober 2014 hätten die geflohenen Dorfbewohner gehört, dass die Milizen die Gegend verlassen hätten und seien daraufhin zurückgekehrt. Jedoch hätten sich kurz darauf die Milizen wieder gezeigt und damit begonnen, Personen zu entführen, in den Straßen um sich zu schießen und auf Wohnhäuser zu zielen. In einigen Fällen seien Personen hingerichtet worden. Human Rights Watch berichtet im Juli 2014, dass sie zwischen dem 1. Juni und dem 9. Juli 2014 die Tötung von 61 sunnitischen Männern, sowie im März und April die Tötung von mindestens 48 weiteren sunnitischen Männern in Dörfern und Kleinstädten um Bagdad dokumentiert habe. Laut Angaben von nicht näher genannten Zeugen, medizinischem Personal und Regierungsquellen seien in allen Fällen Milizen für die Tötungen verantwortlich gewesen. In vielen, jedoch von der Quelle nicht exakt quantifizierten Fällen hätten Zeugen Asa'ib Ahl al-Haqq als Täter identifiziert. Zeugen hätten außerdem bemerkt, dass Asa'ib Ahl al-Haqq illegale Festnahmen in vielen Gegenden der Provinzen Bagdad und Diyala vornehme.

 

Reuters berichtet in einem weiteren Artikel vom Jänner 2016, dass die in diesem Monat vorgefallenen Entführungen und Tötungen zahlreicher sunnitischer Zivilisten im Osten des Irak, sowie Angriffe auf deren Besitztümer durch vom Iran gestützte Milizen Menschenrechtsverletzungen darstellen könnten. Schiitische Milizkämpfer seien diesen Monat nach Muqdadiya entsandt worden, nachdem zwei Bombenexplosionen nahe einem Café, in dem sich oft Milizen aufgehalten hätten, 23 Menschen getötet hätten. Zu dem Anschlag habe sich der Islamische Staat bekannt und erklärt, dass Schiiten das Ziel gewesen seien. Mitglieder der Milizorganisationen Badr und Asa'ib Ahl al-Haqq hätten Vergeltungsangriffe durchgeführt.

 

Asa'ib Ahl al-Haqq wird außerdem beschuldigt, für ein Massaker in einem mutmaßlichen Bordell in Bagdad im Juli 2014 verantwortlich gewesen sei, bei dem 29 mutmaßliche Prostituierte erschossen wurden.

 

Die International Crisis Group (ICG) erwähnt in einer Fußnote zu einem Bericht über die konfessionell gespaltene, junge irakische Generation und deren Mobilisierung für Milizen, die Aussage eines Asa'ib Ahl al-Haqq-Mitglieds in Basra aus einem Interview im September 2015 zu den Zielen der Organisation. Das Mitglied erläutert, dass Asa'ib Ahl al-Haqq nicht bloß eine militärische Organisation sei. Sie habe das Ziel, einen Staat aufzubauen. Man plane, die staatlichen Institutionen zu reformieren und die Volksmobilisierungseinheiten in eine zivile Organisation umzuformen. Die Regierungsführung politischer Parteien sei in Basra und im gesamten Irak gescheitert. Asa'ib Ahl al-Haqq habe militärische Siege errungen und in Demonstrationen für Veränderungen eingetreten, nun sei die Organisation bereit, ein Teil der politischen Führung der Provinz und des gesamten Staates zu werden.

 

Human Rights Watch berichtet im November 2016, dass Mitglieder einer Miliz der von der Regierung gestützten Volksmobilisierungseinheiten in einem Dorf nahe der Stadt Mossul Hirten, darunter einen Jungen, festgenommen und geprügelt hätten, da man ihnen unterstellt habe, Verbindungen zum IS zu haben. Opfer und Zeugen hätten berichtet, dass es Mitglieder von Asa'ib Ahl al-Haqq gewesen seien, die zehn Hirten festgehalten und mindestens fünf von ihnen, darunter auch den Jungen verprügelt hätten. Die Hirten, die aus dem Dorf Aadaya geflohen seien, seien festgenommen und mehrere Stunden lang festgehalten worden. Die Milizkämpfer hätten sie schließlich freigelassen, aber 300 Schafe gestohlen.

 

Amnesty International schreibt in einem Bericht zur Verbreitung von Waffen innerhalb der Volksmobilisierungseinheiten und deren Menschenrechtsverletzungen vom Jänner 2017, dass es in der Provinz Diyala weiterhin verbreitet zu Vorfällen von Verschwindenlassen, Entführungen, Folter und Tötungen komme, die mit Straflosigkeit auf sunnitische Männer und Jungen abzielen würden. In Diyala würden die von der Regierung gestützten Milizen, darunter insbesondere die Badr-Organisation und Asa'ib Ahl al-Haqq, eine strenge Kontrolle ausüben, es gebe konfessionelle Spannungen und sunnitische Binnenvertriebene würden daran gehindert, in ihre angestammten Gebiete zurückzukehren. Der Bruder eines jungen Mannes, der im Jänner 2016 in Muqdadiya von Milizkämpfern entführt und tot auf der Straße aufgefunden worden sei, habe erwähnt, dass Asa'ib Ahl al-Haqq, die in Muqdadiya aktiv sei, alle Sunniten als Unterstützer des ehemaligen Präsidenten Saddam Hussein ansehe, und viele Sunniten auf der Straße oder in ihren Häusern aufgegriffen und getötet worden seien. In den ersten Wochen dieser Vorfälle seien Milizen mit Lautsprechern herumgefahren und hätten Sunniten dazu aufgefordert, aus ihren Häusern zu kommen. Am 13. Jänner 2016 seien mehr als hundert Männer entführt worden, deren Verbleib seither unbekannt sei.

 

Das US-Außenministerium schreibt in seinem im März 2017 veröffentlichten Jahresbericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum: 2016), dass ethnisch motivierte Kämpfe in ethnisch gemischten Gebieten nach den Befreiungsoperationen eskaliert seien. Es bestünden viele Berichte darüber, dass schiitische Volksmobilisierungseinheiten Sunniten nach der Befreiung von Gebieten vom Islamischen Staat verhaftet hätten. Milizen, darunter die Asa'ib Ahl al-Haqq, hielten bis zu 3.000 Gefangene illegal fest. Unter den Gefangenen seien Sunniten gewesen sowie weitere Personen, die verdächtigt worden seien, mit dem Islamischen Staat zusammengearbeitet zu haben. Die Gefangenen seien in provisorischen Gefängnissen festgehalten worden, einige wegen Verbrechen, die man ihnen vorgeworfen habe, andere, um Lösegeld zu erhalten, die bei der Finanzierung der Aktivitäten der Milizen helfen sollten.

 

Laut Angaben des Sprechers der Volksmobilisierungseinheiten habe das Justizministerium einen Richter ernannt, der Ende des Jahres 2016 die 300 Fälle bearbeitet habe, die mit Verstößen von Milizen-Mitgliedern zu tun gehabt hätten, wobei es um mutmaßliche Misshandlungen von Gefangenen bis hin zu summarischen Hinrichtungen gegangen sei. Laut dem Sprecher habe es sich nur bei einem Viertel derer, die beschuldigt worden seien, um "echte" Mitglieder von Milizen gehandelt, bei den anderen habe es sich um Mitglieder von Freiwilligengruppen gehandelt.

 

Einem Medienbericht vom Mai 2017 zufolge wurde bei Auseinandersetzungen zwischen der nationalen Polizei und Mitgliedern der Asa'ib Ahl al-Haqq in der Palästina-Straße in Bagdad ein Polizist getötet. Die Ursache der Auseinandersetzungen sei nicht bekannt.

 

Sot al-Iraq, berichtet im Juli 2017, dass laut einer in der Provinz Suleimaniya in der Region Kurdistan ansässigen Organisation der Faili-Kurden Mitglieder ihrer Gemeinschaft in Bagdad schikaniert würden, seitdem der Termin für das Referendum über die Unabhängigkeit Kurdistans angekündigt worden sei. Laut Angaben eines Mitglieds der Organisation seien Faili-Kurden in Bagdad Drohungen und Schikanen ausgesetzt. Asa'ib Ahl al-Haqq sei laut der Organisation für die Tötung von drei Faili-Kurden in der letzten Zeit verantwortlich, weitere seien direkt von der Miliz bedroht worden. Asa'ib Ahl al-Haqq habe auch kurdische Unternehmen in diesem Zusammenhang bedroht.

 

Quelle:

 

 

 

 

 

1.6. Zur aktuellen Lage im Irak werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber dem Beschwerdeführer offengelegten Quellen getroffen:

 

1. Politische Lage

 

Im März 2003 kam es zum Einmarsch von Truppen einer Koalition, die von den USA angeführt wurde (BBC 12.7.2017). Als Grund hierfür wurden Massenvernichtungswaffen angegeben, deren Existenz jedoch nie bestätigt werden konnte. Nach dem im März 2003 erfolgten Sturz von Saddam Hussein, einem Angehörigen der sunnitischen Minderheit, wurden die Regierungen von Vertretern der schiitischen Mehrheitsbevölkerung geführt (BPB 9.11.2015). Mit 2003 begann der Aufstieg von [vorwiegend] irantreuen bzw. dem Iran nahestehenden schiitischen Parteien/Milizen, denen die amerikanischen Invasoren erlaubten, aus dem iranischen Exil in ihre Heimat zurückzukehren (SWP 8.2016; vgl. Hiltermann 26.4.2017). Es konnte nach der Entmachtung Husseins weder eine umfassende Demokratisierung noch eine Stabilisierung erreicht werden, da die Strukturen des neuen politischen Systems das Land entlang ethnisch-konfessioneller Linien fragmentierten (BPB 9.11.2015). Die von der US-Besatzung beschlossene Auflösung der irakischen Armee sowie das Verbot der Baath-Partei ließen viele Sunniten, darunter erfahrene Militärs, radikalen islamistischen Gruppen zuströmen (Spiegel 18.4.2015). Die sunnitische Minderheit fühlte sich zunehmend diskriminiert und radikale Anführer konnten immer mehr Anhänger gewinnen (AI 28.5.2008). Zudem hatte die Demontage der irakischen Armee und irakischen Sicherheitskräfte durch die US-geführte Koalition ein Sicherheitsvakuum hinterlassen, das die schiitischen Milizen zu füllen versuchten, wodurch es zu einem sunnitischen Aufstand kam (Hiltermann 26.4.2017). Die US-Regierung (sowohl die Bush-, als auch die Obama-Regierung) arbeitete zum Teil mit diesen Kräften (Badr-Miliz) zusammen, und verschloss vor den Gewaltexzessen der schiitischen Milizen gegenüber der sunnitischen Bevölkerung die Augen (Reuters 14.12.2015). Während die Revolte der Sunniten gegen die US-Präsenz seit 2003 eher eine nationalistisch als eine religiös geprägte Bewegung war, entwickelte die Revolte zunehmend einen dominanten radikal-sunnitisch-islamistischen Zug. Der in der Folge entstehende konfessionelle Bürgerkrieg (ca. 2005 bis 2007) führte zu einer Änderung der US-Politik im Irak, die wiederum die Niederlage von Al-Qaida im Irak (AQI) herbeiführte. Doch dadurch, dass das Problem der Ausgrenzung der Sunniten weiter bestehen blieb, kam es zu weiteren Protesten in den sunnitischen Gebieten in den Jahren 2013 und 2014, daraufhin zu einer gewaltsamen Antwort von Seiten des Staates und danach zur Übernahme sunnitischer Gebiete durch eine noch radikalere Version von Al-Qaida - durch die Organisation "Islamischer Staat" [IS, auch ISIS oder ISIL, vormals ISI, arabisch Daesh] (Hiltermann 26.4.2017). Diese konnte in große Teile der sunnitischen Gebiete im Westen des Irak, in kurdische Gebiete im Norden des Irak und in Teile Syriens vordringen (ACCORD 12.2016). Als die nach der Entmachtung Saddam Husseins neu aufgestellte Armee vorübergehend "kollabierte", mobilisierten schiitische Führer in Notwehr ihre Gefolgschaft, wodurch die schiitischen Milizen (allen voran die Badr Organisation, Asaib Ahl al-Haq und Kataeb Hezbollah, mit Unterstützung des Irans) verstärkt auf den Plan traten und sich nordwärts in die sunnitischen Gebiete bewegten (Hiltermann 26.4.2017).

 

Das politische Geschehen ist trotz großer Erfolge bei der Rückeroberung von IS weiterhin vom Kampf gegen den IS geprägt (ÖB 12.2016). Seit Ende 2015 wird der IS mit einem Bündnis auf Zeit aus irakischem Militär, kurdischen Peschmerga, schiitischen Milizen und Luftschlägen der internationalen US-geführten Anti-IS-Koalition bekämpft (AA 7.2.2017).

 

Nach dem Referendum über die Lossagung Irakisch-Kurdistans vom Irak am 25.9.2017 erklärte der Kurdenführer Mas?ud Barzani am Tag darauf (noch vor der offiziellen Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses), dass die Mehrheit der Kurden, die ihre Stimme abgaben, die Unabhängigkeit unterstützen würden. Die Beteiligung lag in etwa bei 72 Prozent (Al-Jazeera 27.9.2017). Wahlberechtigt waren ca. fünf Millionen Einwohner, darunter mehrheitlich Kurden verschiedenen Glaubens, aber auch Christen und die meist sunnitischen Araber und Turkmenen der Region (Tagesspiegel 25.9.2017). Nach vorläufigen Zahlen von Barzanis KDP (Kurdische Demokratische Partei) stimmten beim Referendum knapp 92 Prozent für die Unabhängigkeit. Trotz internationaler Kritik und Warnungen hatte die kurdische Autonomieregierung die Bürger am Montag abstimmen lassen (Standard 27.9.2017). Die Zentralregierung hält das Referendum für verfassungswidrig. Auch die Türkei und der Iran sind strikt gegen einen unabhängigen Kurdenstaat. Bereits kurz nach der Abstimmung hatten die türkische und die irakische Armee ein gemeinsames Militärmanöver begonnen. Laut dem irakischen Generalstabschef Uthman al-Ghanami finde die Übung in der Gegend des Grenzübergangs Habur statt, des Übergangs zwischen der Türkei und der Kurdenregion im Nordirak. Die türkische Armee hatte das Manöver bereits eine Woche zuvor begonnen (Standard 27.9.2017). Die Türkei reagierte auch mit der Ankündigung von wirtschaftlichen Sanktionen. Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte am Folgetag des Referendums, dass die "irakischen Kurden hungern würden, wenn sein Land keine Lastwagen mehr in die Region ließe." Er drohte darüber zudem mit einem Stopp des kurdischen Ölexports und einer militärischen Intervention im Nordirak nach dem Vorbild des türkischen Einmarschs in Syrien. Das Referendum nannte er "null und nichtig" (Al-Jazeera 27.9.2017; vgl. Standard 26.9.2017). Der Nachbarstaat Iran schloss als Reaktion auf das Referendum nach dem Luftraum laut offiziellen Angaben auch die Landgrenze zu den Kurdengebieten. Allerdings gab es unterschiedliche Berichte darüber, ob ein Grenzübergang weiterhin geöffnet blieb. Parlamentspräsident Ali Larijani kündigte am Dienstag zudem an, dass das Parlament "alles, was zu einer Desintegration der Region führen könnte", nicht anerkennen werde. Medienangaben zufolge gab es wegen des Referendums am Montag spontane Straßenfeiern in mehreren kurdischen Städten im Iran (Standard 26.9.2017). Der Iran und die von ihm finanzierten schiitischen Milizen im Irak. sehen die Unabhängigkeitsbestrebungen der irakischen Kurden als Bedrohung einer iranisch dominierten Neuordnung der Region, die über den Irak und Syrien bis in den Libanon reicht. Dazu braucht die iranische Führung einen Irak in seinen jetzigen Grenzen und mit seinen Ölquellen in Kirkuk. Iranische Militärs und Revolutionsgardisten mahnten zunächst in eher blumigen Worten, inzwischen melden sie das Recht auf militärische Aktionen auf kurdischem Territorium an, sollte Erbil die Unabhängigkeit vorantreiben. Sie wittern hinter dem Referendum auch eine amerikanisch-israelische Strategie zur Unterminierung iranischer Interessen. Was in diesem Fall nur zur Hälfte stimmt. Israel ist in der Tat der einzige Staat im Nahen Osten, der das Referendum befürwortet, Kurden und Israelis haben eine lange Geschichte gegenseitiger Unterstützung (Zeit 24.9.2017). Die Türkei und der Iran befürchten darüber hinaus Auswirkungen auf die Autonomiebestrebungen ihrer eigenen kurdischen Minderheiten. Die USA als wichtiger Verbündeter der Kurden hatten sich ebenfalls gegen das Referendum ausgesprochen, weil sie den Kampf gegen den IS gefährdet sehen (Standard 26.9.2017).

 

Die irakische Regierung beantwortete den Aufruf Barzanis, mit den Kurden nun in Verhandlungen zu treten, ebenfalls mit einer Drohung. Premierminister Haider al-Abadi forderte die Kurden auf, binnen drei Tagen die Kontrolle der Flughäfen im Norden des Landes an die Zentralregierung zu übergeben. Sollte dies nicht geschehen, werde die irakische Regierung den Luftraum sperren und keine Flüge mehr aus oder in den Nordirak zulassen. Inlandsflüge seien davon jedoch nicht betroffen und internationale Flüge in und aus der Kurdenregion könnten [nach derzeitigem Stand] über Bagdad stattfinden (Al-Jazeera 27.9.2017; vgl. Standard 26.9.2017). Darüber hinaus stimmte das irakische Parlament bereits am Montag dafür, die irakische Armee in jene Gebiete zu schicken, in denen das Referendum abgehalten wurde, die jedoch laut irakischer Verfassung von 2005 als "umstrittenen" gelten - insbesondere Kirkuk und Umgebung, wo die Kurden die völlige Kontrolle übernahmen, nachdem 2014 die irakische Armee vor dem "Islamischen Staat" (IS) geflohen war (Harrer 26.9.2017).

 

Der Armeeeinsatz in den umstrittenen Gebieten, insbesondere in Kirkuk und Umgebung, führte zum Zusammenbruch der irakisch-kurdischen Peschmerga unter dem gemeinsamen Druck von Irak und Iran kurz nach dem Referendum über die Unabhängigkeit der Kurden am 25. September 2017 und könnte den Nordirak letztlich eher destabilisieren. Die Peshmerga zogen sich am 16. und 17. Oktober 2017 aus den umkämpften Gebieten im Nordirak im Wesentlichen zurück (siehe hiezu die untenstehende Karte). Details dazu siehe Punkte

1.1. und 2.4.

 

Staatsform & Parteien

 

Der Irak ist formal-konstitutionell eine republikanische, demokratische, föderal organisierte und parlamentarische Republik. So sieht es die gültige Verfassung von 2005 vor. Sitz von Regierung und Parlament ist Bagdad. Staatspräsident ist seit dem 24.07.2014 der Kurde Fuad Massum, Angehöriger der irakisch-kurdischen Partei Patriotic Union of Kurdistan - PUK. Ein Teil des föderalen Staates ist auch das kurdische Autonomiegebiet, das im Nordosten des Iraks angesiedelt ist. Diese Föderale Region Kurdistan hat weitgehende Souveränität. Sie verfügt über eigene exekutive, legislative und judikative Organe und besitzt seit 2009 eine eigene Verfassung, sowie gesonderte Militäreinheiten, die Peschmerga (LIP 6.2015). Im Irak gibt es eine Vielzahl von Parteien (zu einer Anerkennung genügen laut Parteiengesetz 500 Unterschriften).

 

Wahlen & Premierminister

 

Die nationalen Wahlen, die im April 2014 stattfanden, hatte zwar abermals der zuvor amtierende Premierminister Nouri al-Maliki gewonnen, da es jedoch auf Grund seines autoritären und pro-schiitischen Regierungsstils massive Widerstände gegen ihn gab, trat er im August 2014 auf kurdischen, internationalen, aber auch auf innerparteilichen Druck hin zurück (GIZ 6.2015). Maliki wird unter anderem vorgeworfen, mit seiner sunnitenfeindlichen Politik (Ausgrenzung von sunnitischen Politikern, Niederschlagung sunnitischer Demonstrationen, etc.) deutlich zur Entstehung radikaler sunnitischer Gruppen, wie dem IS, beigetragen zu haben (Qantara 17.8.2015; vgl. auch Abschnitt "Sicherheitslage"). Infolge dessen wurde die schiitisch dominierte Regierung des Premierministers Nuri al-Maliki von einer nationalen Einheitsregierung mit Beteiligung von Sunniten und Kurden unter dem gemäßigteren Premierminister Haidar al-Abadi abgelöst (HRW 29.1.2015). Abadi ist ebenfalls Schiite und ein Parteikollege Malikis in der Da'wa-Partei. Er ist mit dem Versprechen angetreten, das ethno-religiöse Spektrum der irakischen Bevölkerung wieder stärker abzudecken (GIZ 6.2015), und zunächst konnten durch seine Ernennung zum irakischen Premierminister tatsächlich einige gesellschaftliche Gräben geschmälert werden. Von einer tatsächlichen Versöhnung zwischen den ethnischen und religiösen Gruppierungen ist jedoch nichts zu bemerken (ÖB 12.2016). Die Besetzung aller politischen Führungspositionen, so auch der Kabinettsposten, folgt seit Jahren einem Kalkül ethnisch/religiöser Balance. Die sunnitischen Regierungs- und Parlamentsmitglieder stehen unter Druck, da ihre Kooperation in Bagdad bislang kaum dazu beitrug, ihre Klientel zu schützen (ÖB 12.2016). Das irakische Parlament wählte den moderaten sunnitischen Politiker Salim al-Jabouri zum Parlamentspräsidenten (Al Arabiya 15.7.2014).

 

Abadis Reformen waren nur oberflächlicher Natur oder harren noch ihrer Umsetzung. Unterstützt werden die Reformpläne der Regierung bislang immerhin durch die höchste geistliche Autorität der Schiiten, Großajatollah Al-Sistani (AA 7.2.2017). Insgesamt ist die Zentralregierung aber schwach, Premierminister Abadi kann gegen die internen Rivalitäten der schiitischen Parteien nicht viel ausrichten. Er ist von zahlreichen Herausforderern umgeben: Dem Ex-Premierminister Nouri al-Maliki, dem Oppositionsführer und populärer Priester Muqtada al-Sadr, sowie den anderen Anführern schiitischer Milizen (Stansfield 26.4.2017).

 

Das irakische Parlament hat am 29.01.2017 die neuen Minister für Verteidigung und Inneres bestätigt. Der Armeegeneral Erfan al-Hiyali von der sunnitischen Minderheit im Land wird künftig das Verteidigungsministerium führen. Kasim al-Aradschi von der schiitischen Badr-Organisation leitet das Ressort Inneres. Ministerpräsident Haider al-Abadi lobte die Entscheidung des Parlaments als "guten Fortschritt zu einer entscheidenden Zeit". Beide Posten waren monatelang unbesetzt (ORF, 30.01.2017).

 

Am 12.5.2018 wurden im Irak neuerlich Parlamentswahlen abgehalten. Die Wahlbeteilung lag bei 44,5 Prozent - die niedrigste Beteiligung seit dem Sturz Saddam Husseins 2003 (Die Presse 13.5.2018). Als Sieger geht das Wahlbündnis Sa'irun des schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadrs hervor, das nicht mehr vom ersten Platz zu verdrängen ist und 54 Sitze erreichte. Auf zweitem Platz liegt mit 47 Sitzen das Fatah Bündnis des Milizenführers Hadi al-Ameri, der eng mit den iranischen Revolutionsgarden verbunden ist (Die Presse 13.5.2018). Die Nasr Allianz des amtierenden Ministerpräsidenten Haider al-Abadi kommt mit 42 Sitzen nur auf den dritten Platz (NZZ 15.5.2018). Die Sitzverteilung stellt sich wie Folgt dar:

 

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Anschuldigungen von Wahlbetrug in der zwischen Kurden und irakischer Zentralregierung umstrittenen Stadt Kirkuk verzögern die Veröffentlichung der Endergebnisse (The Washington Post 17.5.2018). Laut Wahlkommission belagerten Bewaffnete am Mittwoch, den 16.5.2018, etliche Wahllokale in der Stadt und hielten Mitarbeiter der Wahlkommission in Geiselhaft (Reuters 16.5.2018). Der Gouverneur von Kirkuk sowie der Leiter der Exekutivorgane, Generalmajor Maan al-Saadi, bestritten dies und erklärten, dass die Lage stabil sei und es sich um friedliche und unbewaffnete Proteste um die Wahllokale herumhandle (The Washington Post 17.5.2018; Reuters 16.5.2018).

 

Eine neue Regierung wurde bislang noch nicht gebildet, da keiner der Wahlblöcke eine Mehrheit erreichte und deshalb Koalitionsverhandlungen geführt werden müssen.

 

Schiitische Milizen, Rolle des Ex-Premierminister Maliki und Einfluss des Iran

 

Der noch amtierende Ministerpräsident Abadi hat mit dem Iran-freundlichen Ex-Premierminister Maliki (nunmehr Vize-Premierminister und Vorsitzender der State of Law Coalition, sowie Da'wa-Parteiführer) einen starken Widersacher innerhalb seiner Partei. Ein Problem Abadis ist auch die Macht der schiitischen Milizen - einerseits unverzichtbar für Abadi im Kampf gegen den "Islamischen Staat" (Standard 5.11.2015), gleichzeitig wird deren Einsatz aber von der sunnitischen Bevölkerung als das "Austreiben des Teufels mit dem Beelzebub" gesehen. Das Vertrauen der sunnitischen Bevölkerung in die schiitisch dominierte Zentralregierung bleibt weiterhin minimal. Der Einsatz dieser Milizen im Kampf gegen den IS wird von Sunniten meist abgelehnt, sie fürchten ein ruchloses Vorgehen der Milizen und dulden daher oft die sunnitischen Extremisten in ihren Gebieten. Berichte zu Übergriffen der schiitischen Milizen konterkarieren die Versuche von Premierminister Haidar al-Abadi, den arabischen Sunniten wieder Vertrauen in den irakischen Staat einzuflößen (ÖB 12.2016). Bezüglich der schiitischen Milizen spielt auch der schiitisch dominierte Iran eine große Rolle, der insgesamt einen großen Einfluss auf den Irak ausübt. An den Schalthebeln der Macht in Bagdad werden selbst hochrangige irakische Kabinettsmitglieder von der iranischen Führung abgesegnet oder "hinauskomplementiert". Dadurch kommt es auch dazu, dass Gesetze verabschiedet werden, wie z. B. jenes vom November 2016, das die schiitischen Milizen effektiv zu einem permanenten Fixum der irakischen Sicherheitskräfte macht (NYTimes 15.7.2017), und sie im Rahmen der Dachorganisation PMF (auch PMU, Popular Mobilisation Forces/Units, Volksmobilisierung, arabisch Al-Hashd al-Shaabi) der irakischen Armee gleichstellt (Harrer 9.12.2016). Diese Integration der schiitischen Milizen in die Regierungskräfte, die von vielen sunnitischen Politikern bekämpft wurde (HRW 16.2.2017), ist mehr formeller Natur, um den äußeren Schein zu wahren. In der Realität gibt es im Irak keine offizielle Instanz (auch nicht die Regierung), die die Fähigkeit hat, die Milizen zu kontrollieren (Hiltermann 26.4.2017). Die Eingliederung der Milizen in die irakische Sicherheitsstruktur sichert ihnen einerseits eine Finanzierung durch den Irak, während die [effektive] Kontrolle über einige der mächtigsten Einheiten weiterhin dem Iran obliegt. Dem Iran geht es dabei nicht nur um die weitere Ausbreitung der Kontrolle über irakisches Gebiet, sondern auch darum, einen Korridor zu den Stellvertreterkräften in Syrien und im Libanon zu bilden. Was im März 2017 passierte, nämlich, dass Iran-gestützte schiitische Milizen zum ersten Mal den gesamten Weg westwärts bis zur syrisch-irakischen Grenze vorstoßen konnten, quer durch irakisches, vorwiegend sunnitisches Gebiet, veranschaulicht dieses Vorhaben (ICG 31.5.2017; vgl. NY Times 15.7.2017). Der ehemalige Premierminister Maliki, der sich bereits zu seiner Amtszeit stark in Richtung Iran gelehnt hatte, und der nach Ende seiner Amtszeit weiterhin massiv von der Zusammenarbeit mit dem Iran profitierte, spielt heute auf politischer Ebene in Bezug auf die PMF eine zentrale Rolle. Unter anderem aufgrund der Schwäche des Irakischen Staates, der Dominanz des Irans, sowie ganz besonders aufgrund der Hilfe, die der reguläre irakische Sicherheitsapparat für das Zurückschlagen des IS benötigt(e), blieb Abadi keine andere Wahl, als den PMF-Milizen zu noch weiterem Einfluss zu verhelfen - in Fortsetzung der bezüglich der Milizen vorangetriebenen Legitimierungspolitik Malikis. Die PMF sind somit einerseits eine vom Staat mittlerweile legitimierte und der Armee gleichgestellte Dachorganisation von - fast ausschließlich - schiitischen Milizen, gleichzeitig werden sie aber von nicht-staatlichen Anführern befehligt (Carnegie 28.4.2017). Maliki versucht, an die Spitze der irakischen Politik zurückzukehren, und hat als Verbündete dabei den Iran und "seine" neue Hausmacht, die schiitischen Milizen (Harrer 13.2.2017). Gegen dieses Vorhaben regt sich insbesondere auch im Süden verstärkter Widerstand: Die Anhänger der Sadr-Bewegung [Muqtada al-Sadr: Führer der Sadr-Bewegung, einer politischen Partei, sowie Führer der Saraya al-Salam] wollen mittels Demonstrationen die Hoffnung Malikis auf eine Rückkehr verhindern. Ein innerschiitischer Konflikt zwischen Sadristen und Maliki-Anhängern ist spürbar, auch wenn diesbezügliche militärische Auseinandersetzungen unwahrscheinlich sind (Al Monitor 26.1.2017). Zu solchen Auseinandersetzungen war es zwischen diesen beiden Lagern im Jahr 2008 in Basra gekommen (BBC 12.7.2017).

 

Die Sadr-Bewegung ist aber auch gegenüber Abadis Regierung kritisch eingestellt. Muqtada al-Sadr stilisiert sich als irakischer Nationalist, der gegen den konfessionell-ethnischen Proporz in der irakischen Politik ankämpft, der jedoch andererseits Abadis Reformen zum Teil sogar blockiert, wie z.B. Abadis Versuch, eine Technokratenregierung aufzustellen. Darüber hinaus führt die Sadr-Bewegung regierungskritische Demonstrationen durch, die - trotz Aufrufs Sadrs, friedlich zu protestieren - außer Kontrolle geraten können und zuletzt im Februar 2017 in Bagdad zur wiederholten Erstürmung der Grünen Zone führten. Die Proteste der Sadr-Bewegung spielen Maliki in die Hände und schwächen Abadi zusätzlich, der in der Schusslinie zwischen Sadr und Maliki steht (Harrer 13.2.2017). In Hinblick auf die Parlamentswahl im Jahr 2018 und einen möglichen Erfolg des pro-iranischen Maliki, näherte sich Premierminister Abadi einer Koalition einflussreicher schiitischer religiöser und politischer Führer (darunter auch besagter Muqtada al-Sadr) an, mit dem Ziel Maliki zu isolieren (IFK 9.6.2017).

 

Der gemeinsame Gegner IS schweißte 2014 das Land und teilweise auch die Bevölkerung etwas zusammen, doch die Bruchlinien bleiben insbesondere mit zunehmenden Erfolgen gegen den IS akut: Nicht nur zwischen Schiiten und Sunniten oder innerhalb der schiitischen Kräfte, sondern auch zwischen der KRI (Kurdische Region im Irak) und der Zentralregierung, innerhalb der kurdischen Gruppierungen sowie zwischen de facto allen Mehrheitsbevölkerungen und Religionen und den Minderheiten in ihrem Bereich. Mit zunehmenden Erfolgen gegen den IS gehen auch ein verstärkter Terrorismus, neue humanitäre Herausforderungen und wiederaufflammende Spannungen einher. Eine ethnisch-religiöse Aussöhnung hat nicht stattgefunden. Die Gefahr eines weiteren Zerfalls des Staates, samt bewaffneten Auseinandersetzungen ist nach wie vor nicht gebannt (ÖB 12.2016). Insbesondere ist auch unklar, ob die vom IS zurückeroberten sunnitischen Gebiete auf eine Weise verwaltet werden, die nicht erneuten Unfrieden und eine erneute Rebellion (unter dem Banner des IS oder einer anderen Organisation) provozieren wird (OA/EASO 2.2017). Die Islamisten genießen im Irak in der Bevölkerung nach wie vor Unterstützung, da sie sich als Beschützer der sunnitischen Gemeinschaft präsentieren. Der IS ist ja ursprünglich vorrangig eine irakische Organisation mit starken lokalen Wurzeln (Stansfield 26.4.2017), und selbst das Zurückschlagen des IS in Mossul vermag es nicht, die schiitisch-sunnitischen Spannungen zu lösen, die das Ergebnis einer mangelnden politischen Übereinkunft sind (USCIRF 26.4.2017). Die Gewalt, der die Sunniten seit der US-geführten Invasion im Irak von Seiten Iran-gestützter Regierungen und Milizen ausgesetzt waren [und sind], hat in der sunnitisch-arabischen Bevölkerung ein tiefgreifendes und gefährliches Gefühl der Viktimisierung bewirkt, das Rekrutierungsbemühungen von Jihadisten in die Hände spielt (ICG 22.3.2017). Die Rolle der internationalen Koalition gegen den IS ist zwiespältig. Während diese sich selbst als unparteiischen Akteur sehen mag (abgesehen vom Kampf gegen den IS), sehen das die irakischen Akteure anders, die die Koalition alleine schon auf Grund der Wahl ihrer Verbündeten als völlig parteiisch ansehen (ICG 31.5.2017).

 

2. Sicherheitslage

 

Hintergrund

 

Nachdem die irakische Armee im Sommer 2014 vorübergehend Auflösungserscheinungen zeigte und dem IS kampflos große Gebiete des Landes überließ (Spiegel 15.6.2014), veröffentlichte der schiitische Religionsführer im Irak, Großayatollah Ali al-Sistani einen Aufruf zur Mobilisierung gegen den IS, infolge dessen sich zahlreiche schiitische Milizen gründeten. Auch ältere schiitische Milizen aus der Zeit der religiös motivierten Gewalt von 2006 gewannen wieder an Einfluss. Mit Unterstützung des Irans konnten diese einen Angriff des IS auf die Hauptstadt verhindern und die Terrororganisation weiter nach Norden zurückdrängen. Seit Ende 2015 forciert Bagdad eine Regierungsoffensive gegen den IS, bei der mit Einsatz von schiitischen Milizen, sunnitischen Stammeskämpfern und Luftunterstützung der USA vorige IS-Hochburgen wie Ramadi und Fallujah zurückerobert werden konnten (ACCORD 12.2016). In den Jahren 2015 und 2016 wurden auch die Städte Tikrit, Hit, Rutba, sowie die Gegend um Sinjar, die sich unter der Kontrolle des IS befunden hatten, zurückerobert (ÖB 12.2016). Der bewaffnete Konflikt ging somit im Jahr 2016 unvermindert weiter (AI 31.12.2016), und mit Stand Dezember 2016 waren bereits 60 Prozent des Gebietes, das im Irak unter Kontrolle des IS stand, zurückerobert (ÖB 12.2016). Laut dem Irakexperten des "Institute for the Study of War", Patrick Martin, hat der IS im Irak mit Stand Juli 2017 nur noch etwa sieben Prozent des ursprünglichen IS-Gebietes unter seiner Kontrolle, gleichzeitig warnt er jedoch davor, den IS zu früh als mögliche weitere Bedrohung abzuschreiben (Daily Star 10.7.2017). Im Zuge der Rückeroberungen werden im Irak immer wieder zahlreiche Massengräber gefunden (Standard 11.5.2017; USDOS 3.3.2017, HRW 16.11.2016). Die Offensive zur Rückeroberung Mossuls startete im Oktober 2016 und am 9. Juli 2017 verkündete Premierminister Abadi (nach fast neun Monaten schwerer Kämpfe und fast einer Million Vertriebener) den erfolgreichen Abschluss derselben (OCHA 13.7.2017).

 

Im Irak leben ca. 36 Millionen Einwohner, wobei die diesbezüglichen Schätzungen unterschiedlich sind. Die letzte Volkszählung wurde 1997 durchgeführt. Im Gouvernement Bagdad leben ca. 7,6 Millionen Einwohner. Geschätzte 99% der Einwohner sind Moslems, wovon ca. 60%-65% der schiitischen und ca. 32%-37% der sunnitischen Glaubensrichtung angehören (CIA World Factbook 2014-2015, AA 10.5.2016).

 

Aktuelle Sicherheitslage

 

Nachdem Premierminister Abadi am 31. August 2017 die gesamte Provinz Ninewah für vom IS zurückerobert erklärt hatte (Rudaw 31.8.2017), liegt der Focus nun auf den Provinzen Anbar und Kirkuk. Am 21. September 2017 startete die Operation zur Rückeroberung der in der Provinz Kirkuk/Tameem liegenden Stadt Hawija und deren Umgebung (BAMF 25.9.2017). Bei der Operation nehmen irakische Truppen, sowie schiitische Milizen teil, die kurdischen Peschmerga sind derzeit nicht beteiligt (Al-Jazeera 23.9.2017). Das Gebiet liegt jedoch im von den Kurden für sich beanspruchten Gebiet (Al-Jazeera 27.9.2017). Gleichzeitig findet eine Offensive zur Rückeroberung der Provinz Anbar statt, an der die irakischen Sicherheitskräfte, einschließlich Polizeieinheiten und schiitischer PMF-Milizen (PMF: Popular Mobilization Forces) teilnehmen (Al-Monitor 26.9.2017).

 

In der Provinz Anbar haben sich irakische Regierungstruppen westlich von Bagdad heftige Gefechte mit dem IS geliefert. Laut Angaben eines irakischen Generals vom 27.9.2017 waren IS-Kämpfer in die Ortschaft al-Tach südlich der Stadt Ramadi sowie in das "Kilometer Sieben" genannte Gebiet westlich davon vorgedrungen (Standard 27.9.2017).

 

Ab dem 3.11.2017 mit Stand 17.11.2017 wurden die drei letzten irakischen Städte, die sich noch unter der Kontrolle des IS befanden, Al-Qaim, Ana und Rawa (alle drei im Westen des Landes) von den irakischen Streitkräften zurückerobert. Laut der US-geführten Koalition zur Bekämpfung des IS hat dieser nun 95 Prozent jener irakischen und syrischen Territorien verloren, welches er im Jahr 2014 als Kalifat ausgerufen hatte (Telegraph 17.11.2017; IFK 6.11.2017). Das Wüstengebiet nördlich der drei Städte bleibt vorerst weiterhin IS-Terrain. Die Gebiete rund um Kirkuk und Hawija gehören zu jenen Gebieten, bei denen das Halten des Terrains eine große Herausforderung darstellt. (MEE 16.11.2017; Reuters 5.11.2017; BI 13.11.2017). Es stellt sich auch die Frage, wo sich jene IS-Kämpfer aufhalten, die, nicht getötet wurden oder die nicht in Gefängnissen sitzen (Alleine in Mossul gab es vor der Rückeroberung 40.000 IS-Kämpfer). Viele sind in die Wüste geflohen oder in der Zivilbevölkerung untergetaucht. Es gab es auch umstrittene Arrangements, die den Abzug von IS-Kämpfern und ihren Familien erlaubten. Der IS ist somit nicht verschwunden, nur sein Territorium [mit Einschränkungen s.u.] (Harrer 24.11.2017).

 

Die folgende Grafik zeigt die massiven Gebietsverluste des IS seit Jänner 2015 (Stand 30.10.2017). Der Wüstenbereich nördlich von Al-Qaim wird je nach Quelle als Wüstengebiet oder als IS-Gebiet eingezeichnet (s. untere Karte) eingezeichnet.

 

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(BBC 3.11.2017)

 

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(Liveuamap 17.11.2017, Stand 17.11.2017)

 

Seit der IS Offensive im Jahr 2014 ist die Zahl der Opfer im Irak nach wie vor nicht auf den Wert der Zeit zwischen 2008 - 2014 zurückgegangen, in der im Anschluss an den konfessionellen Bürgerkrieg 2006-2007 eine Phase relativer Stabilität einsetzte (MRG 10.2017; vgl. IBC 23.11.2017). Von dem Höchstwert von 4.000 zivilen Todesopfern im Juni 2014 ist die Zahl 2016 [nach den Zahlen von Iraq Body Count] auf 1.500 Opfer pro Monat gesunken; dieser sinkende Trend setzt sich im Jahr 2017 fort (MRG 10.2017). Nach den von Joel Wing dokumentierten Vorfällen, wurden in den Monaten August, September und Oktober 2017 im Irak 2.988 Zivilisten getötet (MOI 9.-11.2017). Zu diesen Zahlen gelten die im Länderinformationsblatt Irak in Abschnitt 3.1 erwähnten Einschränkungen und Anmerkungen - kriminelle Gewalt wurde in dieser Statistik nur zum Teil berücksichtigt, Stammesgewalt gar nicht .

 

Im Global Peace Index (GPI)-Bericht wurde der Irak als das "dritt-unfriedlichste" Land der Welt eingestuft. Laut GPI-Bericht bleibt trotz der Zurückdrängung des IS die Stabilität und Sicherheit der Staaten Syrien und Irak weiterhin bedroht (K24 8.8.2017; vgl. Iraqinews 15.11.2017).

 

Die Sicherheitslage im Irak hat sich nach der dramatischen Verschlechterung (vor allem durch den Vormarsch des IS ab Mitte 2014) in den Jahren 2015 und 2016 (mit Ausnahme von einigen vom IS zurückeroberten Gebieten) nicht verbessert (AA 7.2.2017). Es herrschen weiterhin Langzeit-Instabilität und Gewalt an mehreren Fronten gleichzeitig (OA/EASO 2.2017). Die territoriale Zurückdrängung des IS im Laufe des Jahres 2016 hat die Zahl der terroristischen Anschläge in den genannten Provinzen nicht wesentlich verringert, in manchen Fällen hat sie sogar eine asymmetrische Kriegführung des IS mit verstärkten terroristischen Aktivitäten provoziert (AA 7.2.2017; vgl. ÖB 12.2016). Schwerpunkte terroristischer Aktivitäten bleiben Bagdad sowie die Provinzen Anbar, Ninewah, ?ala? ad-Din und Diyala im Norden und Westen des Landes (AA 7.2.2017). Teile dieser Provinzen sind weiterhin nicht vollständig unter der Kontrolle der Zentralregierung. Systematische, grausamste Verbrechen des IS an tausenden Menschen bis hin zu Versuchen, ganze Bevölkerungsgruppen zu vernichten, prägen hier das Bild. Rund 17 Millionen Menschen (53 Prozent der Bevölkerung Iraks) sind von Gewalt betroffen (AA 7.2.2017). Zuletzt griff der IS am 4. Juli 2017 das Dorf Imam Gharbi, südlich von Qayyarah, an. Dabei gab es 170 Opfer, einige davon Zivilisten (OCHA 13.7.2017). Dem IS wird auch immer wieder vorgeworfen, Chemiewaffen einzusetzen (Zeit 16.4.2017). Laut World Health Organization (WHO) sind mögliche Fälle von Einsätzen von Chemiewaffen im Irak seit 2016 stark angestiegen, insbesondere in Mossul gibt es regelmäßig solche Berichte. Die WHO bezog jedoch nicht Stellung, ob die Chemiewaffeneinsätze auf das Konto des IS oder das von anderen Gruppen, die in die Kämpfe um Mossul verwickelt sind, gehen (New Arab 26.6.2017).

 

Neben den sicherheitsrelevanten Handlungen des IS wird auch von Gewalttaten gegen Zivilisten von Seiten der irakischen Sicherheitskräfte und Milizen berichtet (AA 7.2.2017). Die Milizen sind ein wichtiger Teil der Offensiven gegen den IS, gleichzeitig sind sie jedoch stark religiös/konfessionell motiviert, und es gibt zahlreiche Berichte über Racheakte insbesondere an der sunnitischen Bevölkerung (s. dazu ausführlich die Abschnitte zur Menschenrechtslage sowie den Abschnitt zu IDPs). Allgemein ergeben sich zunehmende Spannungen dadurch, dass die (vorwiegend) schiitischen Milizen der PMF zunehmend an Macht und Terrain gewinnen. Im Norden Iraks nimmt das Gebiet, das die Milizen im Zuge der Mossul-Rückeroberungsoffensive unter ihrer Kontrolle haben, stark zu. (BBC 3.12.2016). Im Nordwesten des Irak eroberten pro-iranische schiitische Milizen beispielsweise die Stadt Baadsch im irakisch-syrischen Grenzgebiet vom IS zurück. Weitere Vorstöße erfolgten in Richtung der Stadt Al-Qaim. Der Sprecher der Volksmobilisierungseinheiten, Karim al-Nuri, betonte zudem, dass in Koordination mit dem syrischen Regime der IS auch auf syrischem Boden bekämpft wird. Die neue Dominanz der pro-iranischen Milizen im Grenzgebiet stößt auf heftige Kritik der kurdisch dominierten SDF (Syrian Democratic Forces) in Syrien, die davor warnen syrisches Territorium zu betreten. Ein Einmarsch der schiitischen Milizen würde neue Spannungen zwischen den von den USA unterstützten Kurden und den vom Iran unterstützten schiitischen Milizen schaffen. Premierminister Abadi kritisierte die Aussage des Kommandanten der Volksmobilisierungseinheiten und betonte, dass es gemäß Verfassung Irakern nicht gestattet ist, über die Grenzen des Landes hinaus zu kämpfen (IFK 9.6.2017).

 

Gewaltmonopol des Staates

 

Staatlichen Stellen ist es derzeit nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen sowie der IS handeln eigenmächtig. Dadurch sind die irakischen Sicherheitskräfte nicht in der Lage, den Schutz der Bürger sicherzustellen (AA 7.2.2017). Insbesondere über den Nordwesten des Irak kann die Regierung nicht die Kontrolle behalten und muss sich auf die [vorwiegend] schiitischen Milizen der PMF verlassen. Die zwei wichtigsten davon sind Asaïb Ahl al-Haq (AAH) und die Badr-Brigaden, die beide [effektiv] unter dem Kommando des Iran stehen (Stansfield 26.4.2017). Durch die staatliche Legitimierung der Milizen verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren. Staatliche Ordnungskräfte können sich teilweise nicht mehr gegen die mächtigen Milizen durchsetzen (AA 7.2.2017).

 

Anschläge

 

Der IS verübte im gesamten Land Selbstmordattentate und andere Anschläge, bei denen Zivilpersonen verletzt oder getötet wurden. Die Anschläge richteten sich wahllos und teils gezielt gegen Zivilpersonen auf belebten Märkten und öffentlichen Plätzen oder beim Besuch schiitischer Schreine (AI 22.2.2017). VBIEDs (vehicle-borne improvised explosive devices - Autobomben) und Sprengsätze von Selbstmordattentätern wurden auf öffentlichen Märkten, Sicherheitskontrollpunkten und in vorwiegend schiitischen Umgebungen zur Explosion gebracht (USDOS 3.3.2017). V.a. Städte waren im Fokus des IS. Bagdad war dabei am stärksten betroffen und war der Ort, an dem mehr als die Hälfte der gesamten Todesfälle passierten (USDOS 3.3.2017). Der IS stellt trotz der massiven Rückschläge, die er erlitten hat, im Irak weiterhin eine ernstzunehmende Gefahr dar, und seine Transformation zu einer Organisation, die ihre Ressourcen zunehmend für Aufstände, Guerilla-Angriffe und terroristische Anschläge benutzt, hat bereits begonnen (Daily Star 10.7.2017). Im Zusammenhang mit der Zurückdrängung des Kontrollgebietes des IS sieht das Institute for the Study of War (ISW) bereits jetzt ein (Wieder)-Erwachen von anderen aufständischen sunnitischen Gruppen, die durch die Schwächung des IS und den dadurch entstehenden Freiraum wieder Fuß fassen können. Regierungsfeindliche Gruppen formieren sich einerseits, weil die Sunniten im konfessionell geprägten Konflikt von der schiitisch dominierten Regierung weiterhin zunehmend marginalisiert werden, und sie Angst vor den an Bedeutung gewinnenden, vom Iran aus gelenkten schiitischen Milizen haben. Andererseits werden diese Probleme von Seiten radikaler Gruppen wie Al Qaeda und ex-/neo-baathistischen Gruppen wie Jaysh al-Rijal al-Tariqa al-Naqshbandiya (JRTN) benutzt, um sunnitische Bürger für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Diese Gruppen sind - Annahmen des Institutes for the Study of War zufolge - bereits jetzt zunehmend für Anschläge im Irak verantwortlich (ISW 7.2.2017). Terroristische Organisationen sind im gesamten Irak weiterhin imstande tödliche Anschläge durchzuführen. Heimische Terrororganisationen sind dabei für den Großteil der Anschläge verantwortlich und sind in den meisten Fällen religiösen oder politischen Organisationen zuordenbar. Zu diesen Gruppen gehören neben dem (sunnitischen) IS auch die Peace Brigades von Muqtada al Sadr (schiitisch), sowie die ebenfalls schiitischen Gruppen Asa'ib Ahl al-Haq (AAH) und Kata'ib Hizballah (OSAC 1.3.2017).

 

2.1. Statistiken und Grafiken zur Sicherheitslage im Irak

 

Die irakische Regierung veröffentlicht selbst keine Zahlen zu den Opfern des bewaffneten Konfliktes mehr und ist im Gegenteil bemüht, das Ausmaß von Gewalttaten herunterzuspielen (Harrer 10.8.2017; vgl. Wing 20.7.2017).

 

UNAMI (United Nations Assistance Mission for Iraq) dokumentierte für das Jahr 2017 3298 getötete Zivilisten. Für das Jahr 2016 wurden noch 6.878 Zivilisten dokumentiert, die durch "Terrorismus, Gewalt und bewaffnete Konflikte" getötet wurden. Dies sind geringfügig weniger als im Jahr 2015 mit 7.515 getöteten Zivilisten. Zu beachten ist, dass UNAMI bis November 2016 auch Bundespolizisten in die Statistik einbezog, und ab Dezember 2016 diese nicht mehr einbezog (UNAMI 2016/2017). Im Folgenden findet sich eine Statistik, die die Zahlen der von UNAMI dokumentierten monatlich getöteten Zivilisten darstellt:

 

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(Quelle: UNAMI 2016/2017; Darstellung: Staatendokumentation)

 

Laut UNAMI selbst wurde die Organisation bei der Erfassung der Opferzahlen behindert, die Zahlen sollten laut dieser als absolute Mindestangaben und nicht als vollständig angesehen werden. Die Organisation hat auch Berichte von großen Zahlen von Opfern erhalten, bezüglich welcher sie nicht die Möglichkeit hatte, diese zu verifizieren. Darüber hinaus hat UNAMI Berichte über große Zahlen von Menschen erhalten, die durch sekundäre Folgen der Gewalt ums Leben gekommen sind (Mangel an Wasser, Nahrung und medizinischer Versorgung), gestorben sind, die ebenfalls nicht in den Zahlen enthalten sind. Bei jenen Monaten mit Stern sind die Zahlen aus der Provinz Anbar zudem jeweils nicht enthalten (UNAMI 2016/2017). In jedem monatlichen Bericht UNAMI's werden jeweils die Zahlen zu den am stärksten betroffenen Provinzen angegeben. Im Monat Juni 2017 sind das beispielsweise die Provinzen Ninewa, Bagdad, Salahuddin und Babil. In den meisten der monatlichen Berichte der letzten Jahre war Bagdad jene Provinz mit den meisten zivilen Opfern, zuletzt trat diesbezüglich Ninewah in den Vordergrund. Zahlen zu den in geringerem Ausmaß betroffenen Provinzen werden nicht veröffentlicht (UNAMI 2016/2017).

 

Die folgende Tabelle zeigt eine Aufgliederung ziviler Opfer in den sechs am intensivsten von Gewalt betroffenen Provinzen im Zeitraum Juni 2014 bis November 2016 auf Basis von Daten von UNAMI:

 

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(UK Home Office 3.2017)

 

Iraqi Body Count (eine Datenbank, die von der in London ansässigen Firma Conflict Casualties Monitor betrieben wird) dokumentierte im Jahr 2016 16.393 Zivilisten, die durch Gewalt ums Leben kamen (also rund 2,4 mal so viele, wie UNAMI). Im Jahr davor wurden von Iraqi Body Count ca. 17.578 getötete Zivilisten dokumentiert. Die vorläufigen Zahlen des ersten Halbjahres 2017 (10.672) zeigen, dass diese Zahlen höher sind, als die der vier Halbjahre davor. Im Folgenden findet sich eine Grafik, die die von Iraqi Body Count dokumentierten monatlich durch Gewalt getöteten Zivilisten darstellt (die grauen Balken zeigen vorläufige Zahlen):

 

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(Iraqi Body Count 7.2017; Iraqi Body Count selbst weist darauf hin, dass auf Grund von Lücken bei Berichterstattung und Aufzeichnungen selbst die höchsten von Iraqi Body Count veröffentlichten Zahlen viele Fälle von durch Gewalt getöteten Zivilisten nicht enthalten).

 

Joel Wing, der unter anderem von BBC und CNN als Experte eingeladen wird, für die Jamestown Foundation geschrieben hat, immer wieder in einschlägigen Berichten (z.B. UK Home Office-Bericht zum Irak oder von der österreichischen Nahost-Expertin Gudrun Harrer) zitiert wird (LATimes 20.1.2017), veröffentlicht in seinem Blog "Musings of Iraq" ebenfalls Zahlen zu den Opfern von Gewalt im Irak. Die Statistiken von Joel Wing enthalten genaue Angaben zur Anzahl der Getöteten / getöteten Zivilisten / Verwundeten, etc. - und dies jeweils in Kombination mit der Art des Angriffes/Anschlages. Hier ein exemplarischer Ausschnitt aus einer solchen Auflistung:

 

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(MOI - Musings on Iraq 2016/2017)

 

Diese Auflistungen wurden von Seiten der Staatendokumentation im Folgenden zu Grafiken verdichtet. Laut Joel Wing handelt es sich bei diesen Zahlen der Vorfälle um keine Schätzungen, die versuchen das Gesamtausmaß zu erfassen, sondern um einzeln dokumentierte Fälle. Sie seien daher keinesfalls als erschöpfend anzusehen. Zudem würde die irakische Regierung aus Propagandagründen immer wieder aktiv Informationen über einige Vorfälle unterdrücken (Wing 20.7.2017).

 

Joel Wing dokumentierte im letzten Jahr (Zeitraum Juli 2016 - Juni 2017) im Irak 22.322 im Rahmen des bewaffneten Konflikts getötete Zivilisten. Insgesamt wurden von dieser Quelle im Irak im selben Zeitraum 7.083 Vorfälle dokumentiert, bei denen 26.545 Personen (Zivilisten und Nicht-Zivilisten zusammen) getötet und 36.582 verwundet wurden. Die folgende Grafik zeigt die von Joel Wing dokumentierten monatlichen Zahlen (Anm.: Im Zuge von Stammeskonflikten Getötete sind nicht inkludiert, im Zuge von "gewöhnlichen" kriminellen Handlungen Getötete (Raubüberfälle, Kidnapping, etc.), sind nur in manchen Provinzen inkludiert, s.u.):

 

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(Quelle: MOI - Musings on Iraq 2016/2017; Darstellung:

Staatendokumentation)

 

Eine Gegenüberstellung der drei Quellen (UNAMI, Iraqi Body Count und Joel Wing) bezüglich der Zahlen zu den getöteten Zivilisten zeigt folgende gravierenden Unterschiede (Zum Teil zeigen die Quellen Iraqi Body Count und Musings on Iraq drei bis sechs Mal so hohe Zahlen wie UNAMI an):

 

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(Quellen: UNAMI 2.7.2017, Iraqi Body Count 7.2017 und Musings on Iraq 2016/2017, Darstellung: Staatendokumentation)

 

Die detaillierte Aufschlüsselung der Zahlen von Joel Wing ermöglicht eine weitere Grafik, die die Zahlen der getöteten Personen (Zivilisten und Nicht-Zivilisten) zu den einzelnen Provinzen zeigen (Zeitraum Juli 2016 bis Juni 2017):

 

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(Quelle: MOI - Musings on Iraq 2016/2017; Darstellung:

Staatendokumentation)

 

Anm.: Die Provinz Ninewah ist auf Grund der extrem hohen Zahl von

18.369 getöteten Personen in dieser Grafik nicht enthalten. Die Grafik zeigt die laut dieser Quelle am stärksten betroffen Provinzen (ausgenommen Ninewa).

 

Anhand der von Joel Wing veröffentlichten Statistik lässt sich auch die folgende Grafik erstellen, die die dokumentierten Todesfälle von Zivilisten durch Gewalt/Terrorismus (Todesfälle durch Stammeskonflikte sind wiederum nicht inkludiert) in den letzten vier Monaten aufgeschlüsselt nach den meist betroffenen Provinzen zeigt (Ninewah wird auf Grund der enorm hohen Zahlen gesondert angezeigt):

 

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(Quelle: MOI 2016/2017; Darstellung Staatendokumentation)

 

Im Country Policy and Information Note des UK Home Office findet sich eine ebenfalls auf Joel Wing's Zahlen beruhende Grafik zur Art der gewaltsamen Angriffe und Anschläge in den sechs am meisten betroffenen Provinzen des Irak zwischen Juni 2014 und Jänner 2017:

 

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(Quelle: UK Home Office 3.2017, Grafik anhand der Zahlen von Joel Wing)

 

Im Folgenden findet sich eine Tabelle mit Schätzungen der Bevölkerungszahlen der irakischen Provinzen (herausgegeben von der Republik Irak, mit Stand 2009):

 

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(Quelle: Republik Irak, zitiert bei UK HO 3.2017)

 

2.2. Sicherheitsbehörden und die wichtigsten im Irak operierenden militärischen Akteure und Milizen

 

Irakische Sicherheitskräfte (ISF)

 

Die ISF bestehen aus den Sicherheitskräften, die vom Innenministerium verwaltet werden, aus jenen, die vom Verteidigungsministerium verwaltet werden, aus den [vorrangig schiitischen] Milizen, die unter der Dachorganisation der Volksmobilisierung (PMF) zusammengefasst wurden (Anm.: diese werden auf Grund ihrer besonderen Rolle und Stellung in einem gesonderten Abschnitt behandelt) und dem Counterterrorism Service (CTS). Die Aufgaben des Innenministeriums umfassen nationale Gesetzesvollstreckung und Aufrechterhaltung der Ordnung, gestützt auf die staatliche Polizei, die regionale Polizei, die Abteilung zum Schutz von Gebäuden/Einrichtungen, die Bürgerwehr sowie die Abteilung für Grenzschutz. Die dem Ölministerium unterstehende Energie-Polizei ist für den Schutz von kritischer Infrastruktur verantwortlich. Herkömmliche, dem Verteidigungsministerium unterstehende Militärkräfte sind für die Verteidigung des Landes verantwortlich, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch häufig Anti-Terror-Einsätze sowie interne Sicherheitseinsätze durch (USDOS 3.3.2017).

 

Die irakischen Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 Armee-Angehörige und über 100.000 Polizisten umfassen. Die ISF sind nicht in der Lage, landesweit den Schutz der Bürger zu gewährleisten. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert, darüber hinaus existiert kein Polizeigesetz. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung. In einem Urteil des EGMR (EGMR 264 (2016) vom 23.08.2016) hinsichtlich der Rückführung in den Irak wird bemerkt, dass weite Gebiete des Landes sich außerhalb der effektiven Kontrolle der Regierung befinden und die Schutzfunktion des Staates als vermindert anzusehen ist. Die Menschenrechtslage ist, vor allem in Hinblick auf die mangelhafte staatliche Kontrolle und des wenig ausgeprägten Gewaltmonopols samt verbreiteter Straflosigkeit desolat, in der KRI vergleichsweise etwas besser (ÖB 12.2017).

 

Die irakische Armee verfügt nicht über ausreichende Fähigkeiten oder Ausrüstung, um ihrem Auftrag gerecht zu werden. Die Schmach des weitgehend kampflosen Rückzugs gegenüber den IS-Kräften bei deren Vormarsch 2014 sitzt jedoch tief und führte in der Zwischenzeit in Teilen der Truppe zu einer hohen Motivation bei der Rückeroberung besetzter Gebiete. [Zehntausende irakische Soldaten verließen im Juni 2014 ihre Posten und flüchteten; viele aus Angst vor dem IS, viele meinten, sie hätten den Befehl dazu bekommen - Global Security

o. D] Die Professionalisierung der Armee und vor allem auch der Bundes- und lokalen Polizei wird im Rahmen der internationalen Anti-IS-Koalition mit Hilfe internationaler Militär- und Polizeiausbildung unterstützt (AA 7.2.2017).

 

Bei militärischen Einsätzen (insb. gegen den IS) spielt auch die Polizei eine wichtige Rolle. Die Bundespolizei ist diesbezüglich einer der Hauptakteure, die lokale Polizei - sofern noch vorhanden - nimmt ebenfalls an den Operationen Teil (IISS 15.5.2017).

 

Durch die staatliche Akzeptanz, teilweise Führung und Bezahlung der Milizen (s. PMF) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren. In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur organisierten Kriminalität durchsetzen (AA 7.2.2017). Insgesamt konnten zivile Behörden nicht immer die Kontrolle über alle Sicherheitskräfte bewahren. Dies betrifft neben den PMF auch die regulären bewaffneten Kräfte, sowie heimische Sicherheitsdienste (USDOS 3.3.2017).

 

Schiitische Milizen - Popular Mobilization Forces

 

Genese und Entwicklung seit 2014

 

Der Name "Volksmobilisierungseinheiten" bzw. Al-Hashd al-Shaabi, englisch: Popular Mobilization Units (PMU) oder Popular Mobilization Forces bzw. Front (PMF)) bezeichnet eine Dachorganisation für etwa vierzig bis siebzig fast ausschließlich schiitische Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen. Schätzungen zufolge haben die Volksmobilisierungseinheiten zwischen 60.000 und 140.000 Mann unter Waffen. Die Entstehung des Milizenbündnisses kann als Reaktion auf die irakische Offensive des sog. "Islamischen Staates" (IS) verstanden werden und ist somit eng mit dessen militärischen Erfolgen und territorialen Gewinnen verquickt: Im Sommer 2014 drang die Terrororganisation in den Irak ein und nahm am 10. Juni erst Mossul und danach weite Teile der Provinzen Ninewah, Salahuddin, Anbar, Diyala und Kirkuk ein; wenig später waren auch die Städte Erbil und Bagdad in Gefahr (Süß 21.8.2017).

 

Die reguläre irakische Armee war dem IS nicht gewachsen, weshalb der damalige Ministerpräsident Nuri al-Maliki am 11. Juni zur Mobilisierung einer "Reservearmee" aufrief. Außerdem ließ der führende irakische schiitische Gelehrte Ayatollah Ali Sistani am 13. Juni ein islamisches Rechtsgutachten (fatwa) verlautbaren, in dem er alle jungen Männer dazu aufrief, sich den Sicherheitskräften zum Schutz von Land, Volk und heiligen Stätten des Irak anzuschließen. Infolge der Fatwa schrieben sich tausende junge schiitische Männer auf Freiwilligenlisten ein, schlossen sich jedoch nicht Armee oder Polizei, sondern bereits existierenden oder neu formierten schiitischen Milizen an. Zwei Tage später bildete die irakische Regierung ein Komitee der Volksmobilisierung, das dem Ministerpräsident Haidar al-Abadi untersteht und vom Nationalen Sicherheitsberater Falih al-Fayyad geleitet wird. Die wahren Kräfteverhältnisse sind allerdings schon daran abzusehen, dass die Gründung durch das irakische Innenministerium verkündet wurde:

Dieses unterstand bis Juli 2016 der Führung des "Badr-Politikers" Muhammad al-Ghabban, die dominante Kraft im Innenministerium und damit der eigentliche irakische Führer des Milizenbündnisses ist jedoch Hadi al-Amiri. Mehrere Milizen stehen außerdem politischen Parteien nahe. Innerhalb der zahlreichen, meist lokal organisierten Gruppen innerhalb der Volksmobilisierungseinheiten können im Wesentlichen drei Gruppen ausgemacht werden: Erstens schon länger aktive Milizen, die infolge der Fatwa tausende neue Rekruten hinzugewannen (Badr-Organisation, Asa'ib Ahl al-Haqq, Kata'ib Hizbullah und Saraya as-Salam). Zweitens gibt es solche schiitischen Formationen, die ab Juni 2014 entstanden (bspw. Kata'ib al-Imam Ali) und drittens einige kleinere sunnitische Milizen (Süß 21.8.2017).

 

Die wichtigsten Milizen innerhalb der PMF

 

Die Badr-Organisation ist die älteste schiitische Miliz im Irak und gleichermaßen die mit den längsten und engsten Beziehungen zum Iran. Sie orientiert sich an der Tradition Khomeinis und der Staatsdoktrin Irans. Hervorgegangen ist sie aus dem Badr-Korps, das 1983/84 als bewaffneter Arm des "Hohen Rates für die Islamische Revolution im Irak" gegründet wurde und von Beginn an den iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran) unterstellt war. Mit der Namensänderung in Badr-Organisation wurde das Korps zum politischen Akteur. Als sich der Rat in "Irakischer Islamischer Hoher Rat" umbenannte und sich gleichzeitig vom Iran distanzierte, gelang es Badr, sich als wichtigster Verbündeter Irans im Irak zu etablieren und trennte sich 2009 schließlich vom Hohen Rat. Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt und gilt heute als die bedeutendste Teilorganisation und dominierende Kraft des Milizenbündnisses. Sie ist besonders mächtig, weil sie Kontrolle über das irakische Innenministerium und damit auch über die Polizeikräfte besitzt; ein Großteil der bewaffneten Kräfte der Organisation wurde ab 2005 in die irakische Polizei aufgenommen. Sie soll über etwa 20.000 bis 50.000 Mann verfügen und arbeitet mit Kata'ib Hizbullah zusammen. Unklar ist jedoch, ob die genannten Zahlen ausschließlich Kämpfer oder auch sonstiges Personal umfassen, denn die Badr-Organisation ist Miliz und politische Partei in einem. Badr war bisher an allen wichtigen militärischen Auseinandersetzungen in den Provinzen Diyala, Salah ad-Din, Anbar und Ninewah beteiligt; ihr militärisches Hauptquartier befindet sich im Militärlager Camp Ashraf nördlich von Bagdad. In Diyala verfügt Badr außerdem über ein Territorium, das sich zu einer eigenständigen Machtbasis im Sinne eines "Staates im Staate" ausbauen lässt (Süß 21.8.2017).

 

Die Kata'ib Hizbullah (Bataillone der Partei Gottes, Hizbullah Brigades) entstanden im Zuge der Umbenennung des Badr-Korps in Badr-Organisation und bekämpften im Gegensatz zu diesem die US-Truppen. Sie wurden 2007 von Abu Mahdi al-Muhandis gegründet und werden auch von diesem angeführt. Die Miliz kann als Eliteeinheit begriffen werden, die häufig die gefährlichsten Operationen übernimmt und vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv ist. Ihre Personalstärke ist umstritten, teilweise ist die Rede von bis zu 30.000 Mann. Die Ausrüstung und militärische Ausbildung ihrer Mitglieder sind besser als die der anderen Milizen innerhalb der Volksmobilisierungseinheiten. Kata'ib Hizbullah arbeiten intensiv mit Badr und der libanesischen Hizbullah zusammen und gelten als Instrument der iranischen Politik im Irak. Die Miliz wird von den USA seit 2009 als Terrororganisation geführt (Süß 21.8.2017).

 

Die Asa'ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen oder Khaz'ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz'ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US-amerikanischen Truppen im Irak. Asa'ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern. Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata'ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierung, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Khaz'ali ist einer der bekanntesten Anführer der Volksmobilisierungseinheiten (Süß 21.8.2017).

 

Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) wurden im Juni 2014 nach der Fatwa Sistanis auf Anweisung von Muqtada as-Sadr gegründet und sollten möglichst viele der Freiwilligen vereinigen. Die Gruppierung kann de facto als eine Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee bezeichnet werden. Diese ist zwar 2008 offiziell aufgelöst worden, viele ihrer Kader und Netzwerke blieben jedoch aktiv und konnten 2014 leicht wieder mobilisiert werden. Quellen sprechen von einer Gruppengröße von 50.000, teilweise sogar 100.000 Mann, ihre Schlagkraft ist jedoch mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt. Dies liegt darin begründet, dass Sadr politische Distanz zu Teheran wahren will, was in einer nicht ganz so großzügigen Unterstützung Irans resultiert. Das Haupteinsatzgebiet der Miliz liegt im südlichen Zentrum des Irak, wo sie vorgibt, die schiitischen heiligen Stätten zu schützen. Ebenso waren Saraya as-Salam aber auch mehrfach an Kämpfen nördlich von Bagdad beteiligt (Süß 21.8.2017).

 

Auch Kata'ib al-Imam Ali (Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions) ist eine der Milizen, die im Juni 2014 neu gebildet wurden. Sie sticht hervor, weil sie sich rasant zu einer schlagkräftigen Gruppe entwickelte, die an den meisten wichtigen Auseinandersetzungen im Kampf gegen den IS beteiligt war. Dies lässt auf eine beträchtliche Kämpferzahl schließen. Die Funktion des Generalsekretärs hat Shibl az-Zaidi inne, ein früherer Angehöriger der Sadr-Bewegung. Zaidi steht in engem Kontakt zu Muhandis und den Pasdaran, weshalb die Miliz intensive Beziehungen zur Badr-Organisation, Kata'ib Hizbullah und den iranischen Revolutionsgarden unterhält. Die Miliz betreibt außerdem wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit, wodurch ihr Bekanntheitsgrad schnell gestiegen ist. Vor allem der Feld-kommandeur Abu Azrael erlangte durch Videos mit äußerst brutalen Inhalten zweifelhafte Berühmtheit. Die Gruppe scheint Gefangene routinemäßig zu foltern und hinzurichten (Süß 21.8.2017).

 

Überblick über die wichtigsten PMF:

 

 

 

Name *Gründung

Anführer und Gruppengröße

Verbindungen, Zusammenarbeit

Bekannte regionale Aktivität

1

Badr-Organisation (????? ???) *1983/84

Hadi al-Amiri 20.000 - 50.000

Kata'ib Hizbullah

stark in Kirkuk, Tuzkhurmato, Amerli, Salah ad-Din, Diyala; milit. Hauptquartier im Militärlager Camp Ashraf nördlich von Bagdad

2

Kata'ib Hizbullah (????? ??? ????, Bataillone der Partei Gottes, Hizbullah Brigades) *2007

Abu Mahdi al-Muhandis ca. 30.000

Badr, Kata'ib Sayyid Shuhada, Kata'ib al-Imam Ali, Haraqat al-Nujaba

vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv

3

Asa'ib Ahl al-Haqq (????? ??? ????, Liga der Rechtschaffenen oder Khaz'ali-Netzwerk, League of the Righteous) *2006

Qaiz al-Khaz'ali mind. 3.000

unbekannt

Einfluss in neun Provinzen, u.a. Bagdad, Siyala, Tuzkhurmato, Südirak; einflussreichste Gruppe in Basra, Najaf, Kerbela, Muthanna

4

Saraya as-Salam (????? ??????, Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) *2014

Muqtada as-Sadr mind. 50.000

unbekannt

Haupteinsatzgebiet im südlichen Zentrum des Irak

5

Kata'ib al-Imam Ali (????? ?????? ???, Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions) *2014

Shibl az-Zaidi

Badr, Kata'ib Hizbullah

bedeutend um Tuzkhurmato

     

 

(Süß 21.8.2017)

 

Führung und Rechtsstellung der PMF

 

Generell kann innerhalb der Volksmobilisierung eine Dominanz der älteren Milizen und ihrer Anführer Amiri, Muhandis und Khaz'ali ausgemacht werden. Die personelle Führung des Milizenbündnisses übernimmt dabei eine Trias: Anführer ist Abu Mahdi al-Muhandis, Kommandeur der Kata'ib Hizbullah und enger Verbündeter Badrs und der iranischen Revolutionsgarden. Als eigentlicher starker Mann hinter Muhandis gilt allerdings Hadi al-Amiri, Anführer der Badr-Organisation. Einfluss übt außerdem Qasim Suleimani aus, umstrittener Kommandeur der zu den iranischen Revolutionsgarden gehörigen Quds-Brigaden. Der Iran versorgt die irakischen Milizen mit Geld und Waffen und bildet ihre Kämpfer gemeinsam mit der libanesischen Hizbullah im Iran, im Irak und im Libanon aus. Viele der Milizen vertreten deshalb folgerichtig eine islamistische Ideologie, die sich an jener des Irans orientiert. Der Iran nutzte die Gründung der Volksmobilisierung 2014 auf diese Weise dafür, ihren Einfluss im Irak erheblich zu steigern. Die größten Milizen innerhalb der Volksmobilisierung hängen dabei so stark vom Iran bzw. den iranischen Revolutionsgarden ab, dass sie als Instrument des Nachbarstaates bezeichnet werden können. Auch eine personelle Verbundenheit ist vorhanden: Muhandis und Amiri haben ihre engen Beziehungen zum Iran mehrmals selbst bestätigt. Allerdings gibt es neben besonders eng an den Iran angebundenen Milizen (Badr-Organisation und Kata'ib Hizbullah) auch solche, die zwar ressourcenmäßig vom Iran abhängig sind, aber eine gewisse Distanz zum Iran aufweisen (Saraya as-Salam).

 

Obwohl das Milizenbündnis unter der Aufsicht des 2014 gegründeten Volksmobilisierungskomitees steht und Ende 2016 ein Gesetz in Kraft trat, das die Volksmobilisierung dem regulären irakischen Militär in allen Belangen gleichstellt und somit der Weisung des Ministerpräsidenten als Oberkommandierendem unterstellt, hat der irakische Staat nur mäßige Kontrolle über die Milizen. In diesem Zusammenhang kommt vor allem Badr eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von Badr dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann. Die einzelnen Teilorganisationen agieren größtenteils eigenständig und weisen eigene Kommandostrukturen auf, was zu Koordinationsproblemen führt und letztendlich eine institutionelle Integrität verhindert (Süß 21.8.2017). In der Tat scheint es sich so zu verhalten, dass innerhalb der PMF die radikal-schiitischen Gruppen mit Bindungen zum Iran die dominierenden Kräfte sind (Posch 8.2017).

 

Konfessionelle Zusammensetzung der PMF

 

Der absolute Großteil der PMF- Milizen besteht aus Schiiten, es gibt jedoch durchaus auch Sunniten, Christen oder sogar Jesiden in den Reihen der schiitischen Milizen [abhängig von der jeweiligen Miliz], bzw. gibt es auch gemischte Milizen, oder auch eigene Sunniten- oder Christen-Milizen (Lattimer 26.4.2017; Al-Monitor 21.8.2017).

 

PMF-Milizen und organisierte Kriminalität

 

Neben der Finanzierung durch den irakischen, sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf - mit Hilfe der organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die 2003/4 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem dermaßen hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen - oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat. Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem Ölschmuggel im großen Stil, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen waren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker waren. So lassen sich politische Streitigkeiten innerhalb der schiitischen Milizen ebenso gut als Allokations- und Revierkämpfe von Mafiabanden interpretieren, die sich auch auf parlamentarischer Ebene wiederfinden (Posch 8.2017).

 

2.3. Sicherheitslage in Bagdad

 

Die terroristischen Aktivitäten der letzten Jahre setzten sich im Jahr 2016 fort, eine besondere Rolle spielten dabei die Anschläge des IS, insbesondere auf Städte. Bagdad war dabei am meisten betroffen, indem dort mehr als der Hälfte der aller Todesfälle verzeichnet wurden. UNAMI berichtet von nahezu täglichen Attacken mit improvisierten Sprengfallen (IEDs) von Jänner bis Oktober. Der IS führte insbesondere Angriffe auf Zivilisten in jenen Vierteln Bagdads aus, die mehrheitlich schiitisch sind. Der diesbezüglich größte Angriff des Jahres 2016 fand am 3. Juli statt. Dabei wurden im schiitisch dominierten Viertel Karrada 292 Zivilisten getötet und hunderte verletzt (USDOS 3.3.2017). Eine gewisse Sicherheit ist in Bagdad lediglich in der "grünen" internationalen Zone (Green Zone) im Zentrum der Stadt gewährleistet (ÖB 12.2016). Die Anschläge des IS finden dabei zunehmend auf Märkten und in Wohngegenden statt, der IS zielt dabei vorwiegend auf Zivilisten ab (UNAMI 1.2.2017).

 

Obwohl der IS Bagdad [kontrollgebietsmäßig] nie erreicht hat, verzeichnete die Hauptstadt laut Angaben der UN jeweils entweder die höchste oder die zweithöchste - nach der Provinz Ninewa - Anzahl an zivilen Todesopfern. Um ein Beispiel zu nennen: UNAMI berichtet, dass im Februar 2017 120 Zivilisten getötet und 300 verletzt wurden. In demselben Monat im Jahr 2016 war Bagdad der am stärksten betroffene Bezirk, UNAMI berichtete von 277 Todesopfern und 838 Verletzten. (Update: Für den Monat Oktober 2017 berichtet UNAMI 177 zivile Opfer (38 Tote, 139 Verletzte). Wichtig ist, anzumerken, dass diese Zahlen ausschließlich verifizierte Opfer inkludieren und als das absolute Minimum gesehen werden müssen [Anm.: Es gelten die in Abschnitt 3.1 des LIB Irak getätigten Aussagen und Anmerkungen]. Zum Beispiel beinhalten sie auch nicht jene Opfer, die in manchen Teilen der Stadt regelmäßig tot aufgefunden und geborgen werden (MRG 10.2017; UNAMI 1.11.2017). Nach wie vor kommt es in Bagdad täglich zu sicherheitsrelevanten Vorfällen mit zivilen Opfern (Wing 9.-11.2017; vgl. IBC 28.2.2017). Laut Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes ist in Bagdad weiterhin mit schweren Anschlägen insbesondere auf irakische Sicherheitsinstitutionen und deren Angehörige, auf Ministerien, Hotels, öffentliche Plätze und religiöse Einrichtungen zu rechnen (AA 23.11.2017). Für die fragile Sicherheitssituation in der Hauptstadt gibt es zahlreiche Gründe. Abgesehen davon, dass es ein attraktives Ziel für Anschläge ist, beherbergten und beherbergen die Gebiete rund um Bagdad historisch entstandene Terrorzellen, u.a. von Al-Qaeda und dem IS. Dies ist insbesondere in der Nachbarprovinz Anbar im Westen, sowie im Bezirk Jurf al-Sakhar in der Provinz Babil der Fall. Dazu kommen die äußeren Bezirke Bagdads, dem sogenannten "Bagdad-Belt", der aus spärlich besiedelten ländlichen Gegenden besteht, in denen sich bewaffnete Gruppen leicht verstecken können.

 

Die Acht-Millionenmetropole Bagdad hat eine höhere Kriminalitätsrate als jede andere Stadt des Landes. Hauptverantwortlich dafür ist der schwache staatliche Sicherheitsapparat sowie die schwache Exekutive. Seit dem Krieg gegen den IS verblieb in Bagdad aufgrund von Militäreinsätzen in anderen Teilen des Landes phasenweise nur eine geringe Zahl an Sicherheitspersonal. Da große Teile der Armee im Sommer 2014 abtrünnig wurden, sind zum Wiederaufbau der Armee mehrere Jahre nötig. Gleichzeitig erschienen bewaffnete Gruppen, vor allem Milizen mit Verbindungen zu den 'Popular Mobilization Forces' (PMF), auf der Bildfläche, mit divergierenden Einflüssen auf die Stabilität der Stadt. Der Zusammenbruch der Armee führte zusätzlich zu einem verstärkten Zugang und zu einer größeren Verfügbarkeit von Waffen und Munition. Dazu kommt die Korruption, die in allen Einrichtungen des Sicherheitsapparates und der Exekutive herrscht. Trotz dieser Probleme gibt es aktuell eine Verbesserung der Situation, die sich auch auf die Meinung der Bewohner über den irakischen Gesetzesvollstreckungsapparat auswirkt. Obwohl konfessionell bedingte Gewalt in Bagdad existiert, ist die Stadt nicht in gleichem Ausmaß in die Spirale der konfessionellen Gewalt des Bürgerkriegs der Jahre 2006-2007 geraten. Stattdessen kommt es zu einem Anstieg der Banden-bedingten Gewalt (Bandenkriege), die meist finanziell motiviert sind, in Kombination mit Rivalitäten zwischen Sicherheitskräften/-akteuren (MRG 10.2017).

 

Terrorattacken werden meist mit verschiedenen Arten von IEDs (Improvised Explosive Devices) ausgeführt, inklusive am Körper getragene ('body-born' oder BBIEDs, in Fahrzeugen transportierte ('vehicle-borne' oder S/VBIEDs) und unter Fahrzeugen befestigte Sprengfallen ('under-vehicle-borne' oder UVBTs). Dabei handelt es sich um typische Taktiken des IS. Sie zielen dabei auf große Menschenansammlungen wie z.B. auf Märkten, in Einkaufszentren und Moscheen ab, wo der Kollateralschaden maximiert werden kann. Auch wenn diese Attacken alle Teile der Stadt treffen können, sind [ethno-religiös] gemischte Gebiete besonders gefährdet. Auch werden Kontrollpunkte regelmäßig angegriffen mit dem Ziel Sicherheitskräfte zu schwächen. Wegen des hohen Verkehrsaufkommens werden an den Kontrollpunkten selten sorgfältige Fahrzeugdurchsuchungen durchgeführt, weshalb das Problem schwer einzudämmen ist (MRG 10.2017).

 

Es sollte auch erwähnt werden, dass UVBTs besonders häufig verwendet werden, um Individuen zu attackieren. Diese Attentate können durch persönliche oder stammesbezogene Auseinandersetzungen motiviert sein, in spezifischen Fällen sind sie politisch motiviert. Kidnappings und Entführungen kommen überall in Bagdad vor, unterscheiden sich aber in Häufigkeit und Art der Opfer. Man kann generell zwischen finanziell motivierten Entführungen und denen, die politisch oder persönlich motiviert sind, unterscheiden. Während erstere von kriminellen Gangs begangen werden, werden die politisch oder persönlich motivierten von bewaffneten Gruppen oder Individuen ausgeführt. Geschätzte 65-75 Prozent können als kriminelle Akte kategorisiert werden, während zwischen einem Viertel und einem Drittel als politisch oder als Folge von persönlichen Auseinandersetzungen gesehen werden können. Die zentralen und relativ wohlhabenden Bezirke Karkh und Rusafa zeigen die höchsten Zahlen an Kidnappings und sind für etwa die Hälfte der dokumentierten Fälle des gesamten Gouvernements verantwortlich (MRG 10.2017). Obwohl die offiziellen Daten nicht veröffentlicht wurden zeigt eine Aufzeichnung des Innenministeriums, dass in den ersten neun Monaten des Jahres 2016 in Bagdad zumindest 700 Kidnappings stattgefunden haben (MRG 10.2017).

 

Allerdings können sich diese in vielen Fällen überschneiden. Es wurde zum Beispiel berichtet, dass schiitische Milizen Kidnappings und Erpressungen als einkommensgenerierende Aktivitäten einsetzen. Während es sich dabei um einen kriminellen Akt handelt, kann zusätzlich auch ein politisches oder religiöses Motiv dahinter stehen. Milizen haben z.B. Mitglieder anderer Gruppen entführt und verschleppt. Opfer der von den Gruppen durchgeführten Kidnappings sind tendentiell eher Sunniten als Schiiten. Es ist auch häufig, dass Milizen Kidnappings in Gegenden, die nicht unter ihrer eigenen Kontrolle stehen, ausführen, etwa um ihre Reputation in den von ihnen kontrollierten Gebieten nicht aufs Spiel zu setzen (MRG 10.2017).

 

Da es zu Protesten in der Bevölkerung kam, und zu Forderungen an den Staat, Maßnahmen zu ergreifen, wurde in den letzten zwei Jahren das Thema Kidnappings in der Öffentlichkeit diskutiert. Immer wieder kam es zu Wellen von Entführungen, die gegen bestimmte Professionen und Gruppen der Gesellschaft gerichtet waren. Anfang 2017 tauchten Berichte auf, dass Sicherheitskräfte eine kriminelle Gruppe zu identifizieren suchten, die auf die Entführung von Kindern in der Gegend um Bagdad al-Jadida spezialisiert war. Im August 2017 veröffentlichte Niqash einen Artikel über eine vor Kurzem vorgefallene Serie an Kidnappings, die gegen Ärzte und medizinisches Personal gerichtet waren. Diese wurden von kriminellen Banden durchgeführt, aber auch von Stämmen, die Wiedergutmachung für Verwandte forderten, die nicht behandelt werden konnten oder die im Spital verstorben waren. Im Mai 2017 wurde eine Gruppe von Studenten und Anti-Korruptions-Aktivisten gekidnappt, angeblich von einer Miliz. Dennoch war einer der meist diskutierten Fällen die Entführung von Afrah Shawqi, einem Journalisten, der nur wenige Tage davor einen Artikel im Al-Sharq al-Awsat über die Straffreiheit von schiitischen Milizen im Irak veröffentlicht hatte. In beiden Fällen wurden die Opfer freigelassen, nachdem großer öffentlicher Druck auf den Premierminister selbst, sowie auf das Innenministerium ausgeübt worden war. Regierungsbeamte und andere politische Führungskräfte wurden ebenso ins Visier genommen wie z.B. bei jenem Fall eines hohen Beamten des Justizministeriums, der im September 2015 gekidnappt wurde, oder jenem Fall eines sunnitischen Stammesführers, dessen Entführung und Ermordung Anlass zu einer Kampagne von Amnesty International wurde (MRG 10.2017).

 

All diese Fälle haben Regierung und Sicherheitsdienste gezwungen, sich aktiver diesem Problem zu widmen. In vergangenen Jahren, sowie auch in den Jahren 2006-2007, war die Exekutive beinahe gänzlich außerstande, mit dieser Art der Gewalt umzugehen. Heute spricht Premierminister Abadi, der sich manchmal persönlich in Fälle involviert, lautstark über die Bedenken der Bevölkerung, und unternimmt Schritte, um die Kapazitäten der Gesetzesvollstreckung auszuweiten. Dennoch werden Milizen in erfolgreichen Fällen - wenn es Sicherheitskräften gelingt, Banden zur Anklage bringen - selten erwähnt. Es ist praktisch unmöglich einzuschätzen, wie oft die von den Sicherheitskräften Verhaftungen Mitglieder von Milizen einschließen, da Fälle von Kidnappings mit Lösegeldforderungen einfach als kriminelle Akte kategorisiert werden. Dies kann nur durch anekdotische Hinweise und durch Zeugenaussagen belegt werden. Allerdings besteht das Problem, dass die Opfer oft selber nicht wissen woher die Bedrohung kommt oder wer der Empfänger des geforderten Lösegeldes ist (MRG 10.2017).

 

Schießereien mit Handfeuerwaffen:

 

Was die Verwendung von Handfeuerwaffen betrifft, können generelle Muster zwischen dem zentralen Gebiet und der Peripherie der Provinz Bagdad unterschieden werden. Morde und Anschläge auf Zivilisten sind innerhalb der Stadt Bagdad weiter verbreitet, die Bezirke Karkh, Rusafa und Adhamiya sind diesbezüglich überrepräsentiert. Diese Anschläge richten sich z.B. gegen Geschäftsbesitzer, Anwälte sowie Angestellte der Regierung. Schießereien kommen auch in Verbindung mit Raubüberfällen vor. Zusätzlich stehen viele Tötungen in Verbindung mit Kidnappings, bei denen das Lösegeld nicht gezahlt wurde.

 

Im Gegensatz dazu sind Vorfälle mit Handfeuerwaffen im 'Bagdad Belt' üblicherweise gegen Sicherheitsdienste wie die Iraqi Security Forces (ISF) und Mitglieder von sunnitischen und schiitischen Milizen gerichtet, und finden meistens bei Kontrollpunkten statt. Dies kann man in Abu Ghraib, Mahmudiya und Tarmiya beobachten. Diese Gebiete verzeichnen auch eine große Anzahl an Schießereien in Verbindung mit stammesbezogenen Auseinandersetzungen (MRG 10.2017).

 

Konfessionalismus und Diskriminierung:

 

Konfessionalismus und Diskriminierung sind weiterhin ein weit verbreitetes Phänomen in Bagdad, wenn sie auch nicht dasselbe Ausmaß an Gewalt erreicht haben, der während des konfessionellen Krieges in den Jahren 2006-2007 dokumentiert wurde. Dies anzumerken, ist von wichtig, weil von vielen angenommen wurde, dass durch das Ausbreiten des IS ab 2014 frühere Muster an Gewalt nach Bagdad zurückkehren würde. Das hat er auch, allerdings in einem geringeren Ausmaß. Wie diverse Menschenrechtsberichte gezeigt haben, fachen Terrorattacken des IS in Bagdad viele Arten an Vergeltungsmaßnahmen gegen sunnitische Zivilisten an, die vorwiegend von schiitischen Milizen begangen werden. Diese beinhalten Kidnappings, Ermordungen sowie ungesetzlichen Freiheitsentzug. Dennoch ist der offensichtlichere Konfessionalismus - bei dem sunnitische Bewohner Kontrollpunkte nicht passieren konnten ohne namentlich aufgerufen zu werden und manchmal schikaniert oder festgenommen wurden - heute relativ selten. Dies trifft allerdings nicht auf sunnitische Internvertriebene (IDPs) zu, die in der Provinz Bagdad regelmäßig diskriminiert werden. Nachdem der IS in großen Teilen von Anbar und Salah al-Din die Macht ergriffen hatte, flohen Tausende nach Bagdad. In vielen Fällen war es ihnen von vorne herein nie gestattet, in die Provinz einzureisen. Die, die es dennoch geschafft haben, berichten von extrem eingeschränkter Reisefreiheit (da Personalausweise aufzeigen in welchem Gouvernement sie ausgestellt wurden), von Schwierigkeiten, als Gebietsfremde des Gouvernements an wesentliche Dokumente zu gelangen, sowie von Schikanen aufgrund des Pauschalverdachts der IS-Zugehörigkeit. Für Internvertriebene besteht, aufgrund fehlender Netzwerke für persönliche Unterstützung, auch ein größeres Risiko, entführt zu werden. Eine weitere Seite des Konfessionalismus sind Verhaftungen, oft willkürlich, welche meist in Verbindung mit einer Anklage wegen Terrorismus nach Artikel 4 vollzogen werden und beinahe ohne Ausnahme Sunniten betreffen. Diese Festnahmen sind nach Terroranschlägen häufig, wenn Sicherheitsdienste Durchsuchungsaktionen durchführen, um Mitglieder oder Unterstützer des IS ausfindig zu machen (MRG 10.2017). Kleinere Gemeinschaften, inklusive Minderheiten und solche, die sich ineiner Minderheitssituation wiederfinden, stehen unter signifikantem Risiko. Die Anzahl an Christen in Bagdad nimmt unter dieser Bedrohungssituation weiterhin ab, wenn auch kleine christliche Gemeinden in gemischten Bezirken bestehen bleiben; so auch in Karkh und in Karrada und Palästina. Faili-Kurden (schiitische Kurden), einschließlich jener, die in Sadirya und im südlichen Teil Bagdads leben, haben unter Bombenangriffen gelitten und berichten von erhöhten Spannungen, die in Zusammenhang mit dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum stehen. Palästinenser, die vorwiegend in al-Baladiyat leben, sind diesen gezielten Attacken ebenso ausgesetzt und bleiben weiterhin besonders gefährdet (MRG 10.2017).

 

Sicherheitskräfte in der Provinz Bagdad:

 

Irakische Sicherheitskräfte (ISF):

 

Die ISF werden in Bagdad vom 'Baghdad Operations Command' (BOC) repräsentiert, Geheimdienste und irakische Polizeieinheiten, die im Bagdad Gouvernement agieren, sind dem Verteidigungsministerium unterstellt. Der BOC besteht aus mehreren Brigaden, die der 6., 11. und 17. Abteilung der irakischen Armee angehören, sowie aus spezialisierten Militär- und Polizei-Einheiten, inklusive Bereitschaftspolizei und Schutzeinheiten für Diplomaten. Die irakische Armee ist gemeinsam mit staatlichen und lokalen Polizeieinheiten für die Sicherheit verantwortlich. Zusätzlich zu regulären Sicherheitsfunktionen, sind die ISF gemeinsam mit Einheiten, die in Verbindung zum Innenministerium stehen, für die Überprüfung von Internvertriebenen und Rückkehrern und damit in Zusammenhang stehende Regulierungen zuständig (MRG 10.2017).

 

Polizeikräfte werden oft als Erweiterung der Badr-Partei gesehen. Darüber hinaus wird das Polizeikorps, abgesehen von Teilen der Staatspolizei, als schwer korrupt erachtet. In wenigen Ausnahmen sind Offiziere der Staatspolizei ehemalige Offiziere der Armee und werden als weniger korrupt und konfessionalistisch gesehen. Die meisten sind allerdings durch politische Einflussnahme und Vereinbarungen verschiedener Parteien an ihre Position gelangt (MRG 10.2017).

 

Im Allgemeinen vertraut die Bevölkerung eher der Armee als der Polizei. Die Mehrheit der Bewohner Bagdads, die in einer Umfrage einer NGO befragt wurden, ob sie in einer Notsituation die Polizei kontaktieren würden, sagten sie würden erst versuchen, das Problem selbst zu beheben. Knapp unter 50 Prozent meinten, sie würden der Polizei unter keinen Umständen Bericht erstatten. Im Vergleich dazu:

über 70 Prozent derer, die in Gebieten leben, in denen die Armee für die Sicherheit verantwortlich ist, gaben an, sie würden, wenn nötig, ihre lokalen Sicherheitskräfte kontaktieren. In derselben Umfrage wurden Bewohner gefragt, ob sie jemals Bestechungsgeld gezahlt hätten, um Unterstützung von offiziellen Sicherheitskräften zu erhalten, was 30 Prozent der Befragten bejahten. Zuletzt wurden Bewohner gefragt ob sich die Sicherheits-Situation in Bagdad verbessern oder verschlechtern würde, worauf beinahe 70 Prozent antworteten, das sie sich verbessere (MRG 10.2017).

 

Islamischer Staat (IS):

 

Der IS konnte Mitte 2014 Gebiete im Provinz Bagdad nicht unter seine Kontrolle bringen. Allerdings hat sich IS-Aktivität mehrmals vom angrenzenden Provinz Anbar in den westlichen Bezirk Abu Ghraib ausgeweitet. Teile des 'Bagdad-Belt' sind historisch gesehen Unterstützungsgebiete des IS, welche IS-Attacken in zentraler gelegenen Gebieten Bagdads ermöglichen (MRG 10.2017).

 

In der Provinz Bagdad beschränken sich die Aktivitäten des IS vor allem auf "unkonventionelle Attacken" gegen Zivilisten und hochrangige Opfer - in erster Linie durch die Verwendung von IEDs (MRG 10.2017).

 

Popular Mobilization Forces (PMF):

 

Während die PMF generell auf Schlachtfeldern quer durch das Land eingesetzt wurden, bewahren einige eine signifikante Präsenz in Bagdad. Die älteren und größeren [überwiegend schiitischen] Milizen sind jene, die vorwiegend als aktive Gruppen einen Teil der Sicherheitskräfte der Stadt repräsentieren. [...] Sunnitische Milizen kommen in der Stadt Bagdad nicht vor, aber sehr wohl in manchen Teilen des 'Bagdad-Belt', besonders in den Bezirken, die an Anbar und das Gouvernement Salah al-Din grenzen, inklusive Taji, Tarmiya und Abu Ghraib. Auf lokaler Ebene agieren PMF-Einheiten parallel und oft im Konflikt mit den ISF. Bewaffnete Konflikte zwischen ISF und PMUs, wenn auch selten, wurden im Gouvernement Bagdad beobachtet. Während die PMF weitläufig von der schiitischen Bevölkerung unterstützt werden, wurden sie beschuldigt, Menschenrechtsverletzungen gegen sunnitische Zivilisten in Gebieten begangen zu haben, die vom IS zurückerobert wurden, - wie von diversen Organisationen wie z.B. Human Rights Watch, Amnesty International und Minority Rights Group dokumentiert wurde. Berichterstattung dieser Art tendiert dazu, sich auf die Gouvernements zu konzentrieren, in denen in den letzten zwei Jahren Militäreinsätze stattgefunden haben - wie in etwa in Anbar, Ninewa und Salah al-Din - sowie auf Gebiete, in denen außer Frage steht, dass Milizen ungestraft agierten. Aufgrund dessen werden Menschenrechtsverletzungen innerhalb des Gouvernements Bagdad nicht so eingehend verfolgt (MRG 10.2017).

 

Milizen und konfessioneller Konflikt

 

Die Vorstöße des IS im Nord- und Zentralirak 2014 und Anfang 2015 sowie das damit verbundene Sicherheitsvakuum in anderen Landesteilen haben dazu geführt, dass Milizen und Stammesführer in vielen Gegenden die Macht an sich gerissen haben, die Kriminalität zugenommen hat und insgesamt das staatliche Machtmonopol und die Rechtsstaatlichkeit aufgeweicht wurden, einschließlich in der Hauptstadt Bagdad (UNHCR 14.11.2016). Die PMF-Milizen, die ursprünglich entstanden sind, um den IS zu bekämpfen [andere gab es allerdings auch schon vor dem IS], verrichten nun in den Stadtvierteln von Bagdad Polizeiarbeit. Dadurch konkurrieren sie mit der regulären Polizei, missachten die Gesetze und verhalten sich oft eher wie mafiöse Gruppen. Im September 2016 kam es im Zafaraniyah-Viertel sogar zu einem Kampf zwischen schiitischen Milizen und der örtlichen Polizei. Die Milizen erschweren zunehmend die Arbeit der lokalen Polizeikräfte. Führungskräfte der Polizei sind gezwungen, mit den führenden Vertretern der Milizen, die in ihrem Stadtteil operieren, zu kooperieren, gesetzt den Fall, die Viertel befänden sich überhaupt unter Polizeikontrolle. Die meisten Stadtviertel von Bagdad haben einen Stützpunkt, zumeist in Form eines Büros, der zu der jeweiligen Miliz gehört, die in dem Teil der Stadt präsent ist (manchmal sind auch mehrere Milizen in einem Viertel präsent). Laut Angaben eines Bagdader Polizisten könne man die mutmaßlichen Rechtsverletzungen der Milizen nicht ahnden. Es käme auch zu Straßenkämpfen zwischen den Milizen und die Polizei müsse neutral bleiben und würde daher nicht in die Kämpfe eingreifen (Niqash 19.1.2017).

 

Offiziell ist nach wie vor das sogenannte "Baghdad Operations Command" (BOC) für die Sicherheit in der Stadt zuständig. Es umfasst etwa 70.000 Mitglieder, die aus Soldaten der regulären Armee, der Militärpolizei und der normalen Polizei sowie aus Geheimdiensten bestehen. Viele Bewohner haben jedoch den Eindruck, dass das BOC nicht in der Lage ist, seine Aufgabe zu erfüllen (Niqash 19.1.2017). Daher gibt es den Ruf danach, dass die PMF-Milizen auch offiziell für die Sicherheit zuständig sein sollen, bzw. den Druck, auch von Seiten verschiedener Parlamentsmitglieder, die Milizen stärker in Bagdads Sicherheitskonzept einzubinden, oder ihnen sogar die Sicherheitsagenden komplett zu übergeben und das BOC aufzulösen (IFK 25.7.2017; vgl. Niqash 19.1.2017). Problematisch werden diese Entwicklungen v.a. auch auf Grund der Tatsache gesehen, dass die PMF-Milizen konfessionell sehr einseitig (schiitisch) aufgestellt sind, und einige von ihnen direkt mit dem iranischen Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei affiliiert sind [sowie auf Grund der von ihnen im Irak begangenen Menschenrechtsverletzungen -

s. Abschnitt Menschenrechtslage] (Al-Monitor 9.6.2017).

 

Die zielgerichtete Gewalt gegen sunnitische Araber hat in Bagdad ebenso wie in anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten des Irak seit 2014 zugenommen (UNHCR 14.11.2016). In Bagdad wurde gemeldet, dass sunnitische Binnenvertriebene gedrängt wurden, aus schiitischen und gemischt sunnitisch-schiitischen Wohngebieten auszuziehen (UNHCR 14.11.2016). Auch gewaltsame Vertreibungen von Sunniten aus mehrheitlich von Schiiten bewohnten Vierteln Bagdads kamen laut dem Leiter des Sicherheitskomitees des Provinzrates Bagdad vor. Zum Teil würde es dabei weniger um konfessionell motivierten Hass gehen, sondern darum, die Grundstücke der vertriebenen Familien übernehmen zu können (IC 1.11.2016). Laut Berichten begehen die PMF-Milizen in Bagdad immer wieder Kidnappings und Morde an der sunnitischen Bevölkerung (die nicht untersucht werden), oder sie sprechen Drohungen dieser gegenüber aus (HRW 27.1.2016; Al-Araby 17.5.2017). Laut dem Parlamentsmitglied Abdul Karim Abtan langen bezüglich der Welle von konfessionell motivierten Entführungen und Morden fast täglich Berichte ein; er beschuldigt die Polizei, die Vorfälle zu ignorieren und den Milizen zu erlauben, straffrei zu agieren (Al-Araby 17.5.2017). Viele Familien waren in Bagdad durch den konfessionellen Konflikt dazu gezwungen, ihre Häuser zu verlassen und sie siedelten sich zunehmend entlang konfessioneller Grenzen wieder an (IOM 31.1.2017). Somit sind separate sunnitische und schiitische Viertel entstanden. Bagdad ist weiterhin entlang konfessioneller Linien gespalten (IOM 31.1.2017). Dies geht auch aus den folgenden Grafiken hervor, die die zunehmende konfessionelle Gliederung der Stadt in den Jahren 2003, 2010 und 2016 zeigen:

 

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Quelle: National Geographic (o.D.)

 

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Quelle: Izady 2016

 

Schätzungen des Jahres 2009 zufolge sind ca. 80 - 85% der Einwohner Bagdads der schiitischen Glaubensrichtung zugehörig (FIS 29.4.2015).

 

Insbesondere in den Stadtvierteln Ghazaliya, Mansur und Dawudi wurde auch von sunnitischen Moscheen berichtet, die Schikanen von Seiten der PMF-Milizen und der irakischen Sicherheitskräfte ausgesetzt sind. Diese haben Checkpoints vor den Moscheen eingerichtet, an denen sie Kontrollen durchführen. Laut einem Imam käme es fast täglich zu Verhaftungen; meistens erfolge eine Freilassung nach kurzer Zeit, nach der Entrichtung eines Betrages von 2.000 bis 10.000 Dollar (AQAA 14.4.2016).

 

Proteste

 

Darüber hinaus kommt es immer wieder zu Protesten in Bagdad, die v. a. mit der regierungskritischen Sadr-Bewegung in Zusammenhang stehen. Bei den im Jahr 2016 stattfindenden Protesten mit tausenden Demonstranten kam es sogar zweimal zur Durchbrechung der Barrieren zur stark befestigten Grünen Zone. Dabei kam es auch zu gewaltsamen Reaktionen der Sicherheitskräfte, bei denen letztere auf Demonstranten schossen, Dutzende wurden verletzt. Am 11. Februar 2017 kam es in Bagdad erneut zu Zusammenstößen, bei denen Sicherheitskräfte der schiitisch dominierten Regierung auf schiitische Demonstranten der Sadr-Bewegung schossen, und bei denen es abermals zur Durchbrechung der Green-Zone-Barrieren kam. Dabei wurden mindestens sechs Personen getötet, weitere hunderte wurden verletzt, außerdem wurden dabei Raketen vom Typ Katyusha in die Green Zone geschossen. Gerichtet war die Demonstration v.a. gegen den konfessionell-ethnischen Proporz in der irakischen Politik (MEE 12.2.2017, vgl. Standard 13.2.2017; Al-Jazeera 12.2.2017).

 

Statistiken

 

Die folgende Grafik zeigt die von UNAMI dokumentierten Zahlen der in der Provinz Bagdad in den Monaten Jänner 2015 bis Juni 2017 getöteten Zivilisten. Diese Zahlen sind laut Stellungnahme von UNAMI als absolute Mindestzahlen und nicht als vollständig anzusehen. UNAMI sei bei der Dokumentation der Vorfälle behindert worden und es könne laut UNAMI sein, dass diese Zahlen das Ausmaß der Folgen der Gewalt und der terroristischen Handlungen herunterspielen. Bundespolizisten wurden in diesen Zahlen bis November 2017 inkludiert, danach nicht mehr:

 

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(Quelle UNAMI 2016/2017; Darstellung Staatendokumentation)

 

Die folgende Grafik veranschaulicht die von Iraqi Body Count dokumentierten monatlichen Zahlen an getöteten Zivilisten in der Provinz Bagdad:

 

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(IBC 7.2017)

 

Die folgende Grafik zeigt die monatlichen Zahlen der von Joel Wing auf "Musings on Iraq" dokumentierten sicherheitsrelevanten Vorfälle in der Provinz Bagdad (in blau), sowie die im Zuge derer getöteten Zivilisten (in rot) im letzten Jahr (Zeitraum Jänner bis Juni 2017).

 

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(Quelle Musings on Iraq 2016/2017; Darstellung Staatendokumentation)

 

Die folgenden Auszüge aus Statistiken von Joel Wing (Musings on Iraq) zeigt exemplarisch die in der Provinz Bagdad stattfindenden Anschläge.

 

 

 

Feb 1-7

Feb 8-14

Feb 15-21

Feb 22-28

Baghdad

26 Incidents 13 Killed 1 Hashd 4 ISF 8 Civilians 44 Wounded 1 ISF 2 Hashd 41 Civilians 5 Shootings 15 IEDs 1 Sound Bomb 1 Grenade 1 Suicide Bomber Killed

21 Incidents 14 Killed 1 ISF 13 Civilians 31 Wounded 2 Hashd 29 Civilians 5 Shootings 12 IEDs 1 Sticky Bomb 1 Car Bomb Dismantled

21 Incidents 6 Killed 6 Civilians 27 Wounded 27 Civilians 4 Shootings 13 IEDs 1 Stick Bomb

20 Incidents 16 Killed 1 Sahwa 15 Civilians 44 Wounded 3 Sahwa 41 Civilians 6 Shootings 10 IEDs 1 Sticky Bomb

     

 

(MOI 03.04.2018)

 

Aus einer Gesamtstatistik der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Irak ist ablesbar, dass diese im Sinken begriffen sind:

 

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(MOI 02.06.2018)

 

Die Entwicklung in Bagdad zeigt ein ähnliches Bild:

 

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(MOI 02.06.2018)

 

Lifos, das Zentrum für Länderinformationen der schwedischen Einwanderungsbehörde (Migrationsverket), bemerkt in einem Bericht zur Sicherheitslage im Irak (Berichtszeitraum Juli 2016 bis November 2017) unter Berufung unter anderem auf Informationen des US-amerikanischen Institute for the Study of War (ISW), dass die Gruppe IS am 31. Dezember 2016 einen Selbstmordanschlag in Bagdad verübt habe, der mehr als 20 Todesopfer gefordert habe. Diesem Anschlag seien am 2. und 5. Jänner 2017 zwei weitere Attentate gefolgt, bei denen jeweils 35 und 14 Personen getötet worden seien. Die Attentate hätten verschiedenen schiitische Viertel der Stadt sowie Polizeikontrollpunkte ins Visier genommen. Danach sei die Gewalt zur Zeit der Mossul- Offensive wieder ein wenig abgeebbt und mit dem Sieg über den IS im Juli 2017 noch weiter gesunken. Es habe jedoch weiterhin sporadische Selbstmordanschläge gegeben, die sich vornehmlich auf schiitische Viertel (Beispielsweise Sadr City, Schula und Hay al Amel) und auf Polizeikontrollpunkte konzentriert hätten. In Bagdad sei die Anzahl der Anschläge von einer durchschnittlichen Anzahl von 11,6 Anschlägen pro Tag im Jänner 2016 auf 2,6 Angriffe pro Tag im Juni 2017 gesunken. Trotz der verbesserten Sicherheitslage habe der IS weiterhin von den ländlichen Gebieten im Norden und Süden der Stadt, dem "Bagdad-Gürtel", wo sich IS-Schläferzellen befinden würden, Angriffe auf die Stadt durchgeführt. Es komme gelegentlich zu Angriffen, von denen aber nur wenige erfolgreich seien.

 

3. Rechtsschutz/Justizwesen

 

Art. 19 Abs. 1 und Art. 86 ff. der Verfassung bezeichnen die Rechtsprechung als unabhängige Gewalt. Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts. Der Gerichtsaufbau wird durch noch zu erlassende Ausführungsgesetze geregelt. Die Rechtsprechung ist in der Praxis von einem Mangel an kompetenten Richtern, Staatsanwälten sowie Justizbeamten gekennzeichnet, die Unabhängigkeit der Rechtsprechung ist nicht durchgehend gewährleistet (AA 7.2.2017). Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Gerichte und Sicherheitskräfte verfügen nicht über ausreichend qualifiziertes Personal, es fehlt an rechtsstaatlichem Grundverständnis. Gewalttaten bleiben oft straflos. Eine Verfolgung von Straftaten findet allgemein nur unzureichend statt. Insbesondere das Problem, dass Beamte bei Vergehen straffrei davonkommen, spielt sowohl bei Regierungsbeamten, Beamten der Sicherheitskräfte (einschließlich der Peschmerga), sowie bei Militärs eine große Rolle (USDOS 3.3.2017). Es mangelt an ausgebildeten, unbelasteten Richtern; eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssten, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen auf 30 Tage ausgedehnt. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über die "schiitische Siegerjustiz" und die einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten (AA 7.2.2017). Die Vorstöße des IS im Nord- und Zentralirak 2014 und Anfang 2015 und das damit verbundene Sicherheitsvakuum in anderen Landesteilen haben laut Berichten dazu geführt, dass Milizen und Stammesführer die Macht an sich gerissen haben, die Kriminalität zugenommen hat und insgesamt das staatliche Machtmonopol und die Rechtsstaatlichkeit aufgeweicht wurden, einschließlich in der Hauptstadt Bagdad und den südlichen Provinzen (UNHCR 14.11.2016).

 

Berichten zufolge sind im Rahmen der Strafgerichtsbarkeit weiterhin regelmäßige Verstöße gegen das Recht der Angeklagten auf ein faires Verfahren zu beobachten (UNHCR 14.11.2016). Dies galt insbesondere für Angeklagte, denen terroristische Straftaten zur Last gelegt wurden. Gerichte sprachen Angeklagte weiterhin aufgrund von "Geständnissen" schuldig, die unter Folter erpresst worden waren. Von Angeklagten erhobene Foltervorwürfe führten weder zu Ermittlungen noch zu einer gerichtsmedizinischen Untersuchung der Opfer. In einigen Fällen wurde nach unfairen Verfahren die Todesstrafe verhängt (AI 22.2.2017). Rechtsexperten, zivilgesellschaftliche Aktivisten und einige Politiker werfen dem irakischen Justizwesen vor, nicht die ihm vorgeschriebenen Aufgaben zu erfüllen, und unprofessionell mit der Umsetzung von Recht und der gleichen Anwendung des Gesetzes auf alle Bürger umzugehen. Das Oberste Bundesgericht und der Strafgerichtshof wird hierbei besonders kritisiert, und beschuldigt, Urteile zu fällen, die sich nach der Politik der Regierung richten (Fanack 18.5.2016). Die richterliche Unabhängigkeit ist insbesondere auch durch zahlreiche Drohungen und Morde von Seiten religiöser oder stammesbezogener Extremisten oder krimineller Kräfte beeinträchtigt. Richter und Anwälte, sowie deren Familienmitglieder waren regelmäßig Todesdrohungen und Angriffen ausgesetzt (USDOS 3.3.2017).

 

Die PMF-Milizen haben ihre eigenen Gerichte gegründet, die ursprünglich dafür gedacht waren, dass die Milizen Missbräuche/Rechtsverletzungen in den eigenen Reihen ahnden können. Im Moment werden diese Gerichte jedoch dafür eingesetzt, um (ohne Haftbefehl) verhaftete Sunniten zu verurteilen (Wille 26.6.2017).

 

4. Folter und unmenschliche Behandlung

 

Folter und unmenschliche Behandlung werden von der irakischen Verfassung in Art. 37 ausdrücklich verboten. Im Juli 2011 hat die irakische Regierung die VN-Anti-Folter- Konvention (CAT) unterzeichnet. Folter wird jedoch auch in der jüngsten Zeit von staatlichen Akteuren eingesetzt. Es kommt immer wieder zu systematischer Anwendung von Folter bei Befragungen durch irakische (einschließlich kurdische) Polizei- und andere Sicherheitskräfte.

 

Das im August 2015 abgeschaffte Menschenrechtsministerium hat nach eigenen Angaben 500 Fälle unerlaubter Gewaltanwendung an die Justiz überwiesen, allerdings wurden die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen (AA 7.2.2017). Das Innenministerium gab keine Zahlen bekannt, wie viele Beamte [wegen Misshandlungsvorwürfen] während des Jahres 2016 bestraft wurden, und es gab diesbezüglich keine bekannt gewordenen Verurteilungen. Berichte von internationalen Menschenrechtsorganisationen geben an, dass Regierungskräfte und schiitische Milizen Gefangene misshandelten, insbesondere sunnitische Gefangene (USDOS 3.3.2016). In den Gefängnissen und Hafteinrichtungen, die vom Innen- und Verteidigungsministerium betrieben oder von Milizen kontrolliert wurden, waren Folter und andere Misshandlungen von Gefangenen weiterhin an der Tagesordnung. Die Folter sollte dazu dienen, "Geständnisse" zu erpressen, Informationen zu erhalten oder die Häftlinge zu bestrafen. Mehrere Gefangene starben in Gewahrsam an den Folgen der Folter (AI 22.2.2017).

 

5. Korruption

 

Auf dem Corruption Perceptions Index 2016 der Organisation Transparency International befindet sich der Irak auf dem Platz 166 (von 176) (TI 9.6.2017). Das Gesetz sieht Strafen für Korruption vor, jedoch hat die Regierung das Gesetz nicht effektiv angewendet. Es gab während des Berichtszeitraumes 2016 zahlreiche Berichte von Korruption von Seiten der Regierung. Beamte aus allen Bereichen der Regierung waren in zahlreichen Fällen und ungestraft in korrupte Geschäfte verwickelt. Hintergründe wie die Familienzugehörigkeit, Stammeszugehörigkeit oder Religionszugehörigkeit haben die Entscheidungen der Regierung auf allen Ebenen beeinflusst. Regelmäßig gab es Fälle von Bestechung, Geldwäsche, Nepotismus und Veruntreuung öffentlicher Gelder (USDOS 3.3.2017).

 

Jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, ist gegen Bezahlung zu beschaffen. Zur Jahresmitte 2014 tauchten vermehrt gefälschte Visaetiketten auf, die der Deutschen Botschaft Bagdad durch das irakische Außenministerium per Verbalnote zwecks Überprüfung zugesandt wurden. Auch gefälschte Beglaubigungsstempel des irakischen Außenministeriums sind im Umlauf; zudem kann nicht von einer verlässlichen Vorbeglaubigungskette ausgegangen werden (AA 7.2.2017).

 

Ab August 2015 fanden in Bagdad und anderen großen Städten im Süden des Landes wöchentlich Demonstrationen gegen Korruption und gegen die mangelnde Leistungsfähigkeit des Staates statt (AA 7.2.2017).

 

6. Militärdienst / Dienst bei PMF-Milizen

 

Nach dem Sturz Saddam Husseins wurde die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft und ein Freiwilligen-Berufsheer eingeführt. Dem Aufruf, sich freiwillig zu melden, schlossen sich hunderttausende Iraker an. Für das Militär zu arbeiten, wird/wurde als beliebter Karriereweg angesehen, insbesondere auch auf Grund des Gehaltes (Niqash 24.3.2016). Im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen (insb. mit dem "Islamischen Staat") kam es allerdings 2014 zu massenhaften Desertionen (Rudaw 15.12.2015) - hiernach gab es auch Berichte über punktuelle Amnestien für Deserteure (Public Radio International 17.6.2014; vgl. Iraqi News 17.5.2015). Die Armee hat Schwierigkeiten, Soldaten zu rekrutieren und dauerhaft an sich zu binden (Reuters 4.6.2016, vgl. Strachan 2016). Einer der Hauptgründe dafür ist auch, dass die meisten jungen schiitischen irakischen Männer es mittlerweile vorziehen, sich den paramilitärischen Einheiten (Popular Mobilisation Forces) anzuschließen, denen es gelingt, die konfessionell aufgeheizte Stimmung für ihre Rekrutierungspolitik zu nutzen. Es gibt von Seiten der Öffentlichkeit massiven Druck, sich den PMF anzuschließen. Auch kann das Gehalt bei diesen Milizen mitunter höher sein als jenes bei der irakischen Armee (Strachan, A.L. 2016, vgl. Lattimer 23.6.2017). Ebenso wie dieser gesellschaftliche Druck, sich den PMF anzuschließen, sehr groß sein kann, kann auch das Verlassen der Miliz (sowie auch der Armee) als Schande gesehen werden und schwerwiegende Konsequenzen haben (Lattimer 23.6.2017). Auf Zwangsrekrutierungen scheinen die Milizen der PMF grundsätzlich nicht angewiesen zu sein, da sie ausreichend Zulauf von Freiwilligen haben und diesbezüglich keine Engpässe zu haben scheinen (AIO 12.6.2017, vgl. CEIP 1.2.2016). Nur in vereinzelten Fällen wurde von Zwangsrekrutierungen durch die PMF-Milizen berichtet (Wille 26.4.2017). Es gibt Berichte von Binnenflüchtlingen, die Checkpoints nur dann überqueren durften, wenn sich die Männer PMF-Milizen anschlossen, andernfalls müssten sie in ihre Heimatprovinz zurückkehren (Global Security o.D. vgl. UNAMI 13.7.2015, vgl. Al-Araby 8.5.2015). Es wurde auch berichtet, dass Männer und Jugendliche (IDPs aus IS-Gebieten) ab 15 Jahren unter Druck gesetzt wurden, bewaffneten Stammesgruppen zur Bekämpfung des IS beizutreten, um nicht als IS-Anhänger zu gelten (UNHCR 14.11.2016).

 

Den Soldaten der regulären irakischen Armee droht im Falle einer Desertion aus der Armee per Gesetz die unehrenhafte Entlassung in Verbindung mit einer langjährigen Haftstrafe, bei Desertion zum Feind die Todesstrafe (ÖB 12.2016). In der Praxis kommt es vor, dass Deserteure/Abtrünnige vor ein Militärgericht gestellt werden, oder dass sie nach dem Anti-Terrorgesetz vor ein Zivilgericht gestellt werden (IISS 15.5.2017).

 

Berichten zufolge kam es zur Rekrutierung von Kindern für Unterstützungs- und Kampfhandlungen durch Milizen der PMF, durch Milizen sunnitischer Stämme, durch die PKK und sonstige bewaffnete kurdische Gruppen sowie durch turkmenische und jesidische Selbstverteidigungsgruppen (UNHCR 14.11.2016, vgl. USDOS 3.3.2017). Zur PKK wurde auch berichtet, dass sie Zwangsrekrutierungen durchführte (Wille 26.4.2017).

 

7. Allgemeine Menschenrechtslage

 

Auch wenn in der Verfassung aus dem Jahr 2005 wichtige demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Schutz von Minderheiten und Gleichberechtigung verankert sind, kommt es weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und andere Sicherheitskräfte (AA 7.2.2017). UN-Menschenrechtsgremien und Menschenrechtsorganisationen haben dokumentiert, dass alle Parteien des nicht internationalen bewaffneten Konflikts im Irak das humanitäre Völkerrecht verletzen und schwere Verstöße gegen internationale Menschenrechte begehen (UNHCR 14.11.2016). Die Menschenrechtslage ist vor allem in Hinblick auf die mangelhafte staatliche Kontrolle und das wenig ausgeprägte Gewaltmonopol samt verbreiteter Straflosigkeit desolat, in der KRI vergleichsweise etwas besser (ÖB 12.2017). Im gesamten Land gibt es einen Mangel an Schutzmöglichkeiten, und die Menschen sind ernstzunehmenden Verletzungen des internationalen humanitären Rechts sowie der Menschenrechte ausgesetzt. Mangelnder Zugang zu sicheren Orten, Mangel an Bewegungsfreiheit, Gewalt und unfaire Behandlung verschlimmern die Spannungen zwischen den Volksgruppen (OCHA 7.3.2017).

 

Den Großteil der gravierendsten Menschenrechtsverletzungen beging die Terrororganisation IS, die unter anderem Angriffe gegen folgende Gruppen verübte: Zivilisten (im speziellen Schiiten aber auch Sunniten, die den IS ablehnen); Mitglieder anderer religiöser und ethnischer Minderheiten; einschließlich Frauen und Kinder. Die Behörden entdeckten während des Jahres 2016 etliche Massengräber (USDOS 3.3.2017).

 

Verstöße gegen die Menschenrechte sind aber auch außerhalb des vom IS beherrschten Gebietes weit verbreitet (AA 7.2.2017). Staatliche Stellen, insbesondere die irakische Armee und ihre Verbündeten sind nach wie vor für zahlreiche schwere Übergriffe und Menschenrechtsverletzungen verantwortlich und trotz erkennbarem Willen der Regierung Abadi nicht in der Lage, die in der Verfassung verankerten Rechte und Grundfreiheiten zu gewährleisten (ÖB 12.2016; AA 7.2.2017). Von Seiten der Regierungskräfte wurden u.a. Massenexekutionen, Misshandlungen während der Haft, "Verschwindenlassen", das Verstümmeln von Leichen (HRW 12.1.2017), sowie Folter dokumentiert (AI 22.2.2017). Insbesondere den Popular Mobilisation Forces (PMF) werden Massenerschießungen, Tötungen von Gefangenen und Festgenommenen (ohne Gerichtsverfahren) vorgeworfen (ÖB 12.2016). Den staatlichen Stellen ist es nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen, insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Dies geht einher mit Repressionen, mitunter auch Vertreibungen von Angehörigen der jeweils anderen Konfession Minderheiten geraten oft zwischen die Fronten (AA 7.2.2017).

 

In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, kommt es zu Massenvergeltungsmaßnahmen an sunnitisch-arabischen und turkmenischen Einwohnern und Rückkehrern aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermuteten Verbindung zum IS (AA 7.2.2017; vgl. UNHCR 14.11.2016). Daran beteiligt sind mit den PMF verbündete Streitkräfte, Stammesgruppen und kurdische Sicherheitskräfte (UNHCR 14.11.2016). Es kommt zu Repressionen durch schiitische und sunnitische Milizen, durch die kurdischen Peschmerga, sowie in geringerem Maße durch Milizen der verschiedenen konfessionellen Minderheiten (AA 7.2.2017). Auch im Zuge der Mossul-Offensive verhafteten und misshandelten Stammesmilizen Einwohner der Gebiete, die vom IS zurückerobert worden waren, und es kam zu Racheakten der schiitischen Milizen (HRW 12.1.2017; Harrer 10.8.2017; vgl. BAMF 26.6.2017). Die irakischen Sicherheitskräfte misshandelten und töteten Berichten zufolge Männer und Knaben, die aus Mossul flüchteten (HRW 30.6.2017). Allgemein kam es von Seiten Angehöriger der ISF und verbündeter Gruppen zu Vergehen an der flüchtenden Zivilbevölkerung, an Binnenvertriebenen und Rückkehrern. In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, ist auch von Plünderungen und der willkürlichen Inbrandsetzung und Zerstörung von Wohnhäusern, Geschäften und Moscheen berichtet worden (UNHCR 14.11.2016). Zum Teil wurden gesamte arabische Dörfer zerstört, bei gleichzeitiger Deportation der Einwohner, obwohl es dafür keine militärische Notwendigkeit gab. In vielen Fällen handelte es sich dabei um Kriegsverbrechen (HRW 12.1.2017). Bezüglich der Frage der Rückkehrer hat die lokale Regierung in der Provinz Salahuddin im Jahr 2016 ein Dekret erlassen, nach dem jeder, der Verbindungen zum IS hat, nicht in die Region zurückkommen dürfe - Iraker, die ihre IS-assoziierten Verwandten töten würden, wären ausgenommen (OA/EASO 2.2017, vgl. HRW 5.3.2017).

 

Die große Zahl der Binnenvertriebenen im Irak und die weitverbreitete Pauschal-Auffassung, dass sunnitische Araber IS-Mitglieder sind oder mit dem IS sympathisieren, hat Berichten zufolge dazu geführt, dass immer mehr sunnitische Araber und sunnitische Turkmenen, die nicht vertrieben wurden und in Bagdad und anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten leben, nach dem Anti-Terror-Gesetz von 2005 verhaftet werden (UNHCR 14.11.2016). Teilweise unterzogen die Regierungskräfte alle männlichen Personen im kampffähigen Alter (etwa zwischen 15 und 65 Jahren), die aus Gebieten unter IS-Kontrolle geflohen waren, einer Sicherheitsüberprüfung. Sie wurden in behelfsmäßige Hafteinrichtungen oder provisorische Auffanglager gebracht, in denen sie Tage oder sogar Monate ausharren mussten, häufig unter extrem harten Bedingungen. Terrorverdächtige wurden an Sicherheitsbehörden wie die Abteilung für Verbrechensbekämpfung, die Abteilung für Terrorismusbekämpfung oder die Geheimdienstabteilung des Innenministeriums überstellt, wo ihnen Folter und andere Misshandlungen drohten, und regelmäßig wurde ihnen der Kontakt zu ihren Familien oder Rechtsbeiständen verwehrt. Sicherheitskräfte und Milizen nahmen mutmaßliche Terrorverdächtige ohne Haftbefehl in ihren Wohnungen, an Kontrollpunkten und in Lagern für Binnenvertriebene fest und informierten weder die Betroffenen noch deren Angehörige über die Gründe für die Festnahme (AI 22.2.2017). Häufig befinden sich diese Kontrollpunkte in der Nähe der Front. Zwar werden manche Personen nach einigen Tagen wieder entlassen, andere werden jedoch Berichten zufolge wochen- oder gar monatelang festgehalten, bis sie schließlich freigelassen oder in die Obhut der zuständigen Sicherheitsbehörden überstellt werden (UNHCR 14.11.2016).

 

Die zielgerichtete Gewalt gegen sunnitische Araber hat in Bagdad und anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten des Irak seit 2014 zugenommen. UNHCR berichtet von Vergeltungsmaßnahmen nach einem ISIS-Anschlag auf Kirkuk vom 21. Oktober 2016. In vier mehrheitlich arabischen Dörfern (Kara Tepa, Wahid Huzairan, Kutans und Qushqai) in der Provinz Kirkuk wurden massenhaft Wohnhäuser zerstört, was zur Vertreibung von über 1.100 Familien geführt hat. Ferner werden nicht näher quantifizierte Vorfälle aufgezeigt, wonach sunnitische Araber entführt, verschleppt oder außergerichtlich hingerichtet wurden. Die sunnitische Zivilbevölkerung wird Berichten zufolge nach IS-Attacken auf die schiitische Zivilbevölkerung von den ISF und verbündeten Streitkräften der PMU ins Visier genommen und im Rahmen offensichtlicher Vergeltungsmaßnahmen wurden sunnitische Zivilpersonen getötet und ihre Häuser, Geschäfte und Moscheen zerstört. Lager für Binnenvertriebene sind Anschlägen zum Ziel gefallen. Dokumentiert sind etwa Vergeltungsmaßnahmen gegen Sunniten nach Angriffen von ISIS auf schiitische Ziele in der Stadt Al-Muqdadiyah (Diyala) im Januar und Februar 2016, bei denen Sunniten getötet und ihre Häuser, Geschäfte und Moscheen in Brand gesetzt wurden. Beim sogenannten "Barwana-Massaker" vom 26. Januar 2015 wurden im Rahmen einer Vergeltungsmaßnahme für den Tod von ISFund PMU-Mitgliedern in den Tagen zuvor mindestens 56 sunnitische Muslime in Barwana (Diyala) von den ISF und PMU summarisch hingerichtet (UNHCR 14.11.2016).

 

Männer und Jugendliche ab 15 Jahren wurden unter Druck gesetzt, bewaffneten Stammesgruppen zur Bekämpfung des IS beizutreten, um nicht für IS-Anhänger gehalten zu werden (UNHCR 14.11.2016). Darüber hinaus gibt es Berichte, dass sowohl Volksmobilisierungskräften (PMF), sunnitische Stämme, die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) und sonstige bewaffnete kurdische Gruppen sowie turkmenische und jesidische Selbstverteidigungsgruppen Kinder für Unterstützungs- und Kampfhandlungen rekrutieren (UNHCR 14.11.2016, vgl. USDOS 3.3.2017; vgl. AI 22.2.2017).

 

Die Behörden unternahmen nichts, um den Aufenthaltsort und das Schicksal Tausender sunnitischer arabischer Männer und Jungen zu klären, die Milizen und Regierungstruppen in den vergangenen Jahren in Wohnhäusern, an Kontrollpunkten und in Lagern für Binnenvertriebene aufgegriffen hatten und die seitdem "verschwunden" sind (AI 22.2.2017).

 

Gemäß einem Bericht von Amnesty International haben die Truppen der Koalition zur Bekämpfung des IS bei ihrem Vorgehen in Mossul keine angemessenen Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung unternommen, und Waffen eingesetzt, die in bevölkerungsreichen Gebieten niemals verwendet werden dürften (Zeit 11.7.2017). Es werden Bedenken über mögliche Kriegsverbrechen der US-geführten Koalition in Bezug auf den Kampf gegen den IS in Mossul geäußert (IP 3.6.2017).

 

8. Haftbedingungen

 

Die Haftbedingungen in den Gefängnissen und Internierungsanstalten werden als "hart und lebensbedrohlich" beschrieben und sind durch Nahrungsmittelknappheit, Überfüllung, unzureichenden Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung sowie allgegenwärtige Folter und andere Formen der Misshandlung gekennzeichnet (UNHCR 14.11.2016, vgl. USDOS 3.3.2017). Für Personen, die nach dem Anti-Terror-Gesetz festgenommen werden, sind die Haftbedingungen Berichten zufolge besonders hart (UNHCR 14.11.2016). Auch laut Auswärtigem Amt entsprechen die Bedingungen nicht dem Mindeststandard, wobei die Situation in den Haftanstalten erheblich variiert. Das auf Völkerrecht basierende Mandat der VN-Mission UNAMI, irakische Haftanstalten zu besuchen, konnte nicht umfassend wahrgenommen werden, da irakische Behörden UNAMI den Zugang zu verschiedenen Haftanstalten in mehreren Fällen verwehrten (AA 7.2.2017). Auch im Süden des Landes sind die Gefängnisse auf Grund einer erhöhten Inhaftierungsrate in Zusammenhang mit Drogendelikten und Kidnapping überfüllt. Außerdem wurden Gefangene aus nördlichen Provinzen des Landes nach Basra überstellt. Beispielsweise sollten im Gefängnis in der Provinz Muthanna nicht mehr als 50 Gefangene pro Zelle inhaftiert sein, Beobachter berichteten jedoch von mehr als 100 Gefangenen pro Zelle. Im Zentralgefängnis von Basra mit einer Kapazität von 1.100 Gefangenen befanden sich mehr als 2.500 Insassen (USDOS 3.3.2017).

 

In den Haftanstalten der Region Kurdistan-Irak herrschen nach Informationen von UNAMI etwas bessere Bedingungen, insbesondere in der neugebauten Modellanstalt Dohuk (AA 7.2.2017). In den Inhaftierungszentren der Asayisch (KRG) wird von Folter und anderen Misshandlungen, sogar von Minderjährigen, berichtet (HRW 29.1.2017). Allgemein gibt es Berichte internationaler Menschenrechtsgruppen, die den Regierungskräften und den schiitischen Popular Mobilization Forces vorwerfen, Gefangene und Untersuchungshäftlinge - vorwiegend Sunniten - zu misshandeln (USDOS 3.3.2017). Anm.: Weitere Berichte zu Misshandlungen s. Abschnitt Folter und unmenschliche Behandlung.

 

Sowohl die Zentralregierung, als auch die KRG betreiben zusätzlich geheime Inhaftierungseinrichtungen (USDOS 3.3.2017). Der IS betreibt zumindest drei Haftanstalten, in denen - laut Berichten von Gefangenen - regelmäßig Auspeitschungen und Folter verübt werden (USDOS 3.3.2017).

 

9. Todesstrafe

 

Im irakischen Strafrecht ist die Todesstrafe vorgesehen, sie wird auch verhängt und vollstreckt. Irak ist eines der Länder mit der höchsten Zahl von verhängten Todesstrafen. Sie wurde von der ehemaligen US-Besatzungsbehörde kurzzeitig suspendiert, von der irakischen Interimsregierung am 8. August 2004 unter Verweis auf die Ausnahmesituation im Irak aber wieder eingeführt. Derweil werden vor allem gegen IS-Kämpfer, die in fragwürdigen Prozessen überführt wurden, zunehmend Todesurteile verhängt und vollstreckt (2015: mind. 26 Hinrichtungen; 2016: mind. 71 Hinrichtungen und über 123 neue Todesurteile). Problematisch sind zudem die Bandbreite und die mitunter fehlende rechtliche Klarheit der Straftatbestände, für die die Todesstrafe verhängt werden kann: neben Mord und Totschlag u.a. auch wegen des Verdachts auf staatsfeindliche Aktivitäten, Vergewaltigung, Einsatz von chemischen Waffen und insbesondere wegen terroristischer Aktivitäten unterschiedlicher Art (AA 7.2.2017). Der UN-Ausschuss gegen Folter sprach von "einem durchgängigen Muster, nach dem mutmaßliche Terroristen und andere Verdächtige, die als hohes Sicherheitsrisiko angesehen werden, einschließlich Minderjähriger, ohne Haftbefehl festgenommen, über lange Zeiträume in Isolationshaft gehalten oder in geheimen Internierungsanstalten untergebracht und grausam gefoltert werden, damit sie ein Geständnis ablegen (UNHCR 14.11.2016). Der öffentliche und der politische Druck auf die Behörden, "Terroristen" hinzurichten, erhöhte sich nach einem Selbstmordanschlag im Karrada-Viertel von Bagdad in der Nacht vom 2. auf den 3. Juli 2016, bei dem fast 300 Menschen getötet wurden, die meisten von ihnen Zivilpersonen. Der Anführer einer Miliz drohte, zum Tode verurteilte Häftlinge im Nasriya-Gefängnis zu töten, sollte die Regierung nicht tätig werden. Am 12. Juli 2016 unterzeichnete Präsident Fuad Masum eine Reform des Strafverfahrensrechts, die Einschränkungen für Wiederaufnahmeverfahren vorsah, um auf diese Weise den Vollzug von Hinrichtungen zu beschleunigen (AI 22.2.2017). Im August des Jahres 2016 exekutierten die Behörden 36 Männer, die in einem Scheinprozess für schuldig befunden wurden, an Massenexekutionen schiitischer Armeerekruten durch den IS in Camp Speicher teilgenommen zu haben (HRW 12.1.2017). Die Verfahren dauerten nur wenige Stunden. Das Gericht ignorierte unter anderem dabei die Vorwürfe der Angeklagten, ihre "Geständnisse" seien während der Untersuchungshaft unter Folter erpresst worden (AI 22.2.2017). Im August 2017 kam es zuletzt zu einer zweiten Massenverurteilung in Zusammenhang mit dem Camp Speicher-Massaker. Dabei wurden 27 Männer zum Tode verurteilt (CNN 8.8.2017).

 

Am 24.09.17 wurden 42 Todesurteile wegen terroristischer Angriffe und tödlicher Überfälle auf Sicherheitskräfte vollstreckt (BAMF 25.9.2017).

 

10. Religionsfreiheit

 

Die Verfassung erklärt den Islam als die offizielle Religion und legt fest, dass kein Gesetz beschlossen werden darf, das den "bestehenden Vorschriften des Islam" widerspricht. Die Verfassung gewährt das Recht auf Religionsfreiheit für Muslime, Christen, Jesiden, und Saebäer/Mandäer. Das Gesetz verbietet allerdings das Ausüben des Bahai-Glaubens und des wahabitischen Zweiges des sunnitischen Islam (USDOS 10.8.2016).

 

Die meisten religiös-ethnischen Minderheiten sind im Parlament vertreten. Grundlage bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze (fünf Sitze für die christliche Minderheit sowie jeweils einen Sitz für Yeziden, Sabäer, Mandäer und Schabak. Das kurdische Regionalparlament sieht jeweils fünf Sitze für Turkmenen, Chaldäer und Assyrische Christen sowie einen für Armenier vor (AA 7.2.2017). Der Verfassungsentwurf der KRG enthält die Scharia als eine der Gesetzesquellen, jedoch verbietet er nicht die Existenz von Gesetzen, die das islamische Recht verletzen (wie dies in der irakischen Verfassung festgeschrieben ist), außerdem anerkennt er die Rechte von Nicht-Muslimen (UNCIRF 26.4.2017). Anm.: In der Praxis sind Personen bei der Ausübung ihrer Religion in vielen Punkten de-facto eingeschränkt. S. dazu auch die Abschnitte Minderheiten, Menschenrechte, etc.

 

Es existieren zwar keine Gesetze im irakischen Zivil- oder Strafrecht, die Strafen für Personen vorsehen, die vom islamischen Glauben abfallen, es gibt jedoch Gesetze und Regulierungen, die die Konversion vom islamischen Glauben zu anderen Religionen verhindern. Iraks Muslime sind aber darüber hinaus auch nach wie vor der Scharia, dem islamischen Recht, untergeordnet. Dieses verbietet Apostasie, also den Abfall vom islamischen Glauben. Älteren Quellen des Jahren 2014 zufolge sind Menschen, die den islamischen Glauben ablegen wollen, sind darüber hinaus oft ernsthafter Verfolgung durch die Gesellschaft ausgesetzt, werden zum Teil sogar getötet, oftmals von den eigenen Angehörigen/Bekannten. Im Jahr 2010 wurde dem Institute for War and Peace Reporting zufolge ein Sunnit von seiner Familie getötet, da er zum Christentum konvertierte. Feindseligkeiten gegenüber den Konvertiten oder Atheisten sind im Irak weit verbreitet (IRB 10.6.2014, vgl. IRB 2.9.2016).

 

Massive Einschränkungen der Religionsfreiheit gibt es insbesondere im IS-Gebiet: Der IS ging nach wie vor gewaltsam gegen Mitglieder aller Glaubensbekenntnisse vor, insbesondere gegen Nicht-Sunniten. In Gebieten, die unter der Kontrolle des IS stehen, beging dieser Morde, Massenexekutionen, Vergewaltigungen, Entführungen, Verhaftungen, Massenvertreibungen und Versklavung von Frauen und Mädchen, die religiösen Minderheiten angehören (USDOS 10.8.2016).

 

11. Minderheiten

 

Traditionelle Stammesstrukturen und ethnisch-religiöse Zugehörigkeiten bestimmen die gesellschaftlichen und politischen Loyalitäten bzw. Konfliktlinien. Die wichtigsten ethnisch-religiösen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60 bis 65% der Bevölkerung ausmachen (AA 7.2.2017), [gemäß CIA-Factbook 55-60 Prozent (CIA 2010)] und vor allem den Süden und Südosten des Landes bewohnen; (arabische) Sunniten (17 bis 22%) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak (aus dieser Gruppe stammte bis zum Ende der Diktatur von Saddam Hussein 2003 der größte Teil der politischen und militärischen Führung) und die vor allem im Norden des Landes lebenden überwiegend sunnitischen Kurden (15 bis 20%). Entlang dieser Linien hat sich auch die Parteienlandschaft gebildet. Angehörige der religiösen Minderheiten, die traditionell besonders im arabisch-kurdischen Grenzgebiet siedelten, haben teilweise eine eigene ethnisch-religiöse Identität bewahrt, betrachten sich häufig aber auch als Kurden oder Araber (AA 7.2.2017). In der Hauptstadt Bagdad wird die Mehrheit der Bevölkerung von den schiitischen Arabern gestellt (USDOS 10.8.2016).

 

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Religiöse/konfessionelle Verteilung im Irak (Anmerkungen zur Karte siehe unten)

 

(Quelle: BMI 2016)

 

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Ethnische und linguistische Verteilung im Irak (Quelle BMI 2016)

 

Anmerkungen zu den beiden Karten: Die irakische Bevölkerung ist sehr heterogen bezüglich der religiösen und konfessionellen Zugehörigkeit. Deshalb, sowie auf Grund von teilweise inkonsistenten Quellen zeigt diese Karte nur die ungefähre Verteilung, wo sich die Hauptsiedlungsgebiete der religiösen/konfessionellen Gruppen befinden, bzw. bis zum Frühling 2014 befanden. Insbesondere in Städten kann die Verteilung der konfessionellen/religiösen Gruppen deutlich von der Verteilung in der ländlichen Umgebung abweichen. Durch den Vorstoß des IS seit dem Sommer 2014 kam es darüber hinaus zu drastischen Veränderungen in der ethnischen und konfessionellen Zusammensetzung/Verteilung der irakischen Bevölkerung (BMI 2016).

 

Die Hauptsiedlungsgebiete der religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in jenen Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des IS standen oder noch stehen. Hier kommt es zu gezielten Verfolgungen und systematischer Unterdrückung von Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten. Jesiden, Christen, Kakai, Kurden, Sabäer-Mandäer, Schiiten, Turkmenen und Schabak werden Berichten zufolge vom IS schwer misshandelt. Es kommt zu Hinrichtungen, Entführungen, Zwangskonvertierungen, Vergewaltigungen, Versklavungen, Zwangsverheiratungen, Zwangsabtreibungen und Zwangsvertreibungen. Die Mehrzahl der Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten in Gebieten, die vom IS kontrolliert werden, sind laut Berichten entweder getötet, entführt oder vertrieben worden (UNHCR 14.11.2016; vgl. AA 7.2.2017). Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung leiden religiöse Minderheiten unter weitreichender faktischer Diskriminierung und Existenzgefährdung. Der irakische Staat kann den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen. Sie bleiben daher, u.

a. im Zusammenhang mit ihren Berufen und damit verbundenen Lösegelderwartungen, Opfer von Entführungen und sind bevorzugte Ziele von Anschlägen. In Zusammenhang mit der Rückeroberung von Gebieten aus IS-Hand wurden problematische Versuche einer ethnisch-konfessionellen Neuordnung unternommen, besonders in der ethnisch-konfessionell sehr heterogenen Provinz Diyala (AA 7.2.2017). Die Muster der ethnischen und religiösen Verfolgung sind nicht auf bestimmte ethnische/religiöse Gemeinschaften beschränkt, sondern können, abhängig vom jeweiligen Gebiet, fast auf alle Gemeinschaften zutreffen (Lattimer 26.4.2017). In der kurdischen Autonomieregion gaben Jesiden, Christen und sunnitische Anführer an, dass sie Schikanen und Misshandlungen durch die Peschmerga der KRG und der Asayisch ausgesetzt waren (USDOS 10.8.2016).

 

12. Grundversorgung / Wirtschaft

 

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten zumindest außerhalb der Region Kurdistan-Irak schwierig. Nach Angaben des Programms "Habitat" der Vereinten Nationen gleichen die Lebensbedingungen von 57% der städtischen Bevölkerung im Irak denen von Slums (AA 7.2.2017). Das Land befindet sich in einer anschwellenden humanitären Krise, die durch anhaltende Konflikte, beschränkten Zugang zu humanitären Hilfsleistungen, zunehmendes Versagen bestehender Bewältigungsmechanismen und finanzielle Engpässe gekennzeichnet ist. Durch den Konflikt und die anhaltende Vertreibung und Unterbrechung der Grundversorgung ist der Bedarf an humanitärer Hilfe laut Berichten schnell eskaliert. Schätzungsweise über 10 Mio. Menschen, d. h. fast ein Drittel der Bevölkerung, benötigen derzeit humanitäre Hilfe im Irak, einschließlich Binnenvertriebener, Rückkehrer, Flüchtlinge aus Syrien und anderen Ländern sowie der Menschen, die in Gebieten leben, die vom IS kontrolliert werden (UNHCR 14.11.2016). Es gibt derzeit im Irak mehr schutzbedürftige Menschen und mehr Menschen, die auf humanitäre Unterstützung angewiesen sind, als zu irgendeinem Zeitpunkt der letzten Jahre (OCHA 7.3.2017). Dennoch erreichen die humanitären Hilfsorganisationen derzeit nur 7,3 Mio. Menschen (UNHCR 14.11.2016). Aufgrund des Ausmaßes und der Komplexität der humanitären Krise haben die Vereinten Nationen im August 2014 die "Notstandstufe 3" - die höchste Stufe - für den Irak ausgerufen und seitdem jedes Jahr bestätigt (UNHCR 14.11.2016; aktuell s. OCHA o. D.). ACAPS kategorisiert die humanitäre Krise im Irak als "severe humanitarian crisis" - dies stellt innerhalb dieser Kategorisierung ebenfalls die höchste Stufe dar.

 

Die humanitäre Situation ist in Regionen, die vom IS kontrolliert werden, und in Konfliktgebieten besonders besorgniserregend, da die Bevölkerung keinen oder nur erheblich eingeschränkten Zugang zu grundlegender Versorgung, Nahrungsmitteln und sonstigen Bedarfsgütern hat, und internationale Organisationen diese Menschen kaum erreichen können. Den Konfliktparteien wurde auch vorgeworfen, dass sie Zivilgebiete belagern und absichtlich von Nahrungsmittelzufuhr und humanitärer Hilfe abschneiden (UNHCR 14.11.2016). Angriffe auf Krankenhäuser und Schulen kommen häufig vor und das Vorenthalten von humanitärer Hilfe sowie das Zerstören grundlegender Infrastruktur wie Wasser- und Stromversorgung werden als Kriegswaffe eingesetzt (UNICEF o.D.). Anm.: Zur Grundversorgung in vom IS zurückeroberten Gebieten s. den Abschnitt zu IDPs und Flüchtlingen.

 

In den Aufnahmegemeinden sind die örtlichen Behörden und Gemeinden Berichten zufolge überlastet, und es wird gemeldet, dass sich der Zugang zu Dienstleistungen, der bereits vor dem jüngsten Konflikt nicht ausreichte, nun weiter verschlechtert hat, einschließlich Trinkwasserversorgung, sanitärer Anlagen, Abfallentsorgung, Bildungseinrichtungen und Gesundheitsversorgung. Berichten zufolge sind Binnenvertriebene von der schlechten Versorgungslage besonders betroffen, da sie oftmals von ihren ehemaligen Einkommensquellen, traditionellen sozialen Netzwerken und sonstigen Auffangmechanismen abgeschnitten sind. Für Mitglieder der ärmsten Haushalte sowie für Haushalte, die von Frauen geführt werden, ist es besonders schwer, eine Stelle oder Verdienstmöglichkeit in der Aufnahmegemeinde zu finden, und viele müssen auf sogenannte "negative Bewältigungsstrategien" zurückgreifen (UNHCR 14.11.2016). Die Stromversorgung ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht. Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung häufig unterbrochen (AA 7.2.2017).

 

Wasser, Sanitäreinrichtungen und Hygiene

 

Die Wasserversorgung wird von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen. Es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr (AA 7.2.2017). Das Fehlen eines kontinuierlichen und gerecht verteilten Zugangs zu sicherem Wasser und sicheren sanitären Einrichtungen sowie zu notwendigen Hygieneartikeln hat einen negativen Einfluss auf die allgemeine Gesundheit im Land. Im Jahr 2011 hatten 91 Prozent der irakischen Bevölkerung Zugang zu einer verbesserten Trinkwasserquelle, aber seit damals haben Entwicklungen wie politische Instabilität, andauernde Gewalt und interne Vertreibung zur Zerstörung, zum Zusammenbruch und zu massiver Überlastung von Wasser-/Sanitär- und Hygieneeinrichtungen im ganzen Land geführt. Derzeit befinden sich im Irak 6,3 Millionen Menschen bezüglich ihrer Versorgung mit sicherem Wasser und ihrer sanitären sowie Hygieneversorgung in kritischer Notlage (OCHA 7.3.2017). Laut Auswärtigem Amt verfügt heute im ganzen Land nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser (AA 7.2.2017). Die folgende Grafik zeigt den Schweregrad betreffend die verschiedenen Gebiete des Irak, der geschlechtlichen - sowie der Altersverteilung:

 

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(OCHA 7.3.2017)

 

Nahrungsmittelversorgung

 

Es gibt Lebensmittelgutscheine für Bedürftige. Die UN-Mission ermittelte schon im Juni 2013, dass vier Millionen Iraker unterernährt sind. Etwa ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (2 USD/Tag) (AA 7.2.2017). Auf Grund des Fortschreitens der Krise sind Millionen von Haushalten, die von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen sind, massiv auf Unterstützung angewiesen. In solchen betroffenen Haushalten wird häufig auf "negative Bewältigungsstrategien" umgestellt, um den Nahrungsmittelbedarf decken zu können. Ungefähr 800.000 Einwohner und 138.000 IDPs leiden im Irak unter Nahrungsmittelunsicherheit - die Menschen in Mossul, Anbar und Hawija nicht einberechnet (OCHA 7.3.2017).

 

Unterkunft

 

Die Zahl der Menschen, die bezüglich Unterkunft und bezüglich anderer "Nicht-Lebensmittel" (non-food items) auf Unterstützung angewiesen sind, hat sich seit 2016 um 95 Prozent auf 3,9 Millionen erhöht (OCHA 7.3.2017). Die folgende Grafik zeigt die Zahl der Betroffenen in den meistbetroffenen Provinzen des Landes:

 

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(OCHA 7.3.2017).

 

Die Höhe der Miete für Wohnraum hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger. Die Miete für 250m² in Bagdad liegt bei ca. 320 USD. In KR-I Städten liegt die Miete bei 300 - 600 USD für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage zum Mieten stieg, nahm die Nachfrage zum Kaufen ab.

Durchschnittliche Betriebskosten pro Monat: Gas (15,000 IQD), Wasser (10-25,000 IQD), Öffentliche Elektrizität (30-40,000 IQD), Private oder nachbarschaftliche Generatoren (40,000 IQD). Öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche besteht für Rückkehrer nicht. Private Immobilienfirmen können helfen.

 

Wohnen ist zu einem der größten Probleme im Irak geworden, insbesondere nach den Geschehnissen von 2003, als viele Iraker ihre Häuser verließen um in anderen Gegenden, hauptsächlich in KR-I, Sicherheit zu suchen. Dies führt zu einer wachsenden Nachfrage und steigenden Mieten. Generell ist es vor allem schwierig, Einzelwohnungen zu mieten (IOM 2016).

 

Einkommen/Arbeitsplätze

 

Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat. Über 4 Mio. der 36 Mio. Iraker erhalten reguläre Gehälter von der Regierung, die 2015 und 2016 aufgrund der schlechten Haushaltslage teilweise erst mit mehrmonatiger Verspätung gezahlt wurden. Etwa ein Zehntel der Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig. Rund 90% der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor (AA 7.2.2017).

 

Das durchschnittliche monatliche Einkommen im Irak beträgt derzeit

350 - 1500 USD, je nach Position und Ausbildung. Die folgende Grafik

zeigt - je nach Provinz - den Anteil jener Personen, die keinen Zugang zu einem Einkommen haben:

 

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(OCHA 7.3.2017)

 

Die Arbeitslosenquote beträgt 14%. Das Ministerium für Arbeit und Soziales (Ministry Of Labor and Social Affairs) stellt Arbeitsagenturen in den meisten Städten. Die Stellen können beim Generalsekretariat der Arbeits und Sozialversicherung (General directorate of Labor and Social insurance) eingesehen werden. Die Regierung hat ein Programm gestartet um irakische Arbeiter zu unterstützen, die weniger als 1 USD pro Tag verdienen, sowie Arbeitslose. Aufgrund der derzeitigen Situation im Land wurde die Hilfe eingestellt und es wird keine Arbeitslosenhilfe ausbezahlt. Die Regierung hat jedoch ein Programm entwickelt um die hohe Arbeitslosigkeit, schlechte Ausbildungen und die Notwendigkeit eines aufstrebenden Dienstleistungsbereichs anzugehen. Durch Berufsschulen, Trainingszentren und Agenturen sollen die Fähigkeiten der irakischen Arbeitskräfte verbessert werden Private Zentren und Kurse sind ebenfalls zugänglich (IOM 2016).

 

Alle Angestellten im öffentlichen Sektor haben Zugang zum Rentensystem, sobald sie vom Staat eingestellt werden. Männliche Staatsbürger im Alter von 60 Jahren müssen zuvor 25 Jahre Dienst im öffentlichen Sektor geleistet haben, um beim Rentensystem berücksichtigt zu werden. Weibliche Angestellte im Alter von 55 Jahren müssen 20 Jahre Dienst vorweisen. In Baghdad können Beamte mit 13 Dienstjahren oder im Alter von 55 Rente in Anspruch nehmen (IOM 2016).

 

Das staatliche Bildungssystem ist über alle Stufen kostenfrei. Daher gibt es auch keine Stipendien und Studienkredite (IOM 2016).

 

13. Medizinische Versorgung

 

Die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt: In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen (AA 7.2.2017). Geschätzte 75 Prozent der Ärzte, Pharmakologen und Krankenpfleger haben seit 2003 ihre Arbeit niedergelegt, wodurch ein massiver Versorgungsmangel entsteht. Etwa 60 Prozent des medizinischen Fachpersonals, das das Land verlassen hat, tat dies aufgrund der Sicherheitslage (CR 7.7.2016).

 

Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen. Korruption ist verbreitet. Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen (AA 7.2.2017). Die Jahre des bewaffneten Konflikts haben das Gesundheitssystem ernsthaft deformiert und im Irak gibt es beträchtliche Lücken bei der Bereitstellung von medizinischen Leistungen, auch wenn es regionale Unterschiede gibt. In Konfliktzonen sind viele Gesundheitseinrichtungen außer Betrieb oder zerstört (AIO 12.6.2017). In den am meisten betroffenen Provinzen Anbar, Kirkuk, Ninewah und Salahuddin wurden geschätzt 23 Krankenhäuser und über 230 medizinische Versorgungseinrichtungen beschädigt oder zerstört (OCHA 7.3.2017). Angriffe auf Spitäler und Schulen sind häufig und die Verweigerung von humanitärer Unterstützung und die Zerstörung von grundlegenden Diensten wie Wasser- und Stromversorgung werden als Kriegswaffe eingesetzt (UNICEF o.D.). Jenen Gesundheitseinrichtungen, die weiterbetrieben werden, fehlt es häufig an der Kapazität für den erhöhten Bedarf an zu Versorgenden, insbesondere in Gebieten mit einer hohen Zahl an IDPs, wie in der Region Kurdistan (AIO 12.6.2017).

 

Die folgende Grafik des Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) der Vereinten Nationen zeigt den Schweregrad bezüglich der Zahl von Menschen, die in medizinischer Notlage sind, nach Regionen, Alter und Geschlecht. Die darunterliegende Grafik gibt einen Überblick über die Zahl der Betroffenen anhand der Provinzen:

 

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(OCHA 7.3.2017)

 

Neben dem bewaffneten Konflikt und der großen Menge an IDPs tragen auch noch der Ausbruch von Krankheiten (mitausgelöst durch die beeinträchtigte Wasserversorgung und die Unterbrechung bei Schutzimpfungsprogrammen), sowie Finanzierungsengpässe zur Verschlimmerung bei. Es gibt einen weit verbreiteten Mangel an wesentlichen Medikamenten, Sanitätsartikeln und Nahrungsergänzungen. Laut Schätzungen haben mehr als 7,7 Millionen Menschen (laut anderer Quelle mehr als 8 Millionen Menschen) dringenden Bedarf an wesentlichen medizinischen Dienstleistungen. Seit Ende 2015 gibt es im Irak einen Cholera-Ausbruch und es besteht darüber hinaus ein erhöhtes Risiko, an Typhus, Gelbsucht oder Masern zu erkranken (WHO 2016, vgl. OCHA 7.3.2017). Im gesamten Land gibt es für schwangere Frauen nur eingeschränkten Zugang zu reproduktiven Gesundheits- und Beratungsdiensten, zu prä- und postnataler Versorgung und sicheren Geburtseinrichtungen. Diese Situation ist in verschärftem Ausmaß in Flüchtlingslagern oder anderen Umgebungen zu beobachten, in denen es einen mangelhaften Zugang zu Gesundheitsversorgung in diesem Bereich gibt. Darüber hinaus sehen sich schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen verschiedenen Barrieren beim Zugang zu grundlegender medizinischer Versorgung gegenüber, beispielsweise auf Grund der Sicherheitslage, der ethnischen Zugehörigkeit oder finanzieller Schwierigkeiten (OCHA 7.3.2017).

 

Gemäß WHO lag im Jahr 2014 die Dichte von primären medizinischen Einrichtungen im Irak bei 0,7 auf 10.000 Einwohner (MedCOI 2017). In ungefähr der Hälfte der medizinischen Zentren arbeitet zumindest ein Arzt/ eine Ärztin, im Rest der Versorgungszentren arbeiten geschulte Gesundheitskräfte wie medizinische HelferInnen und KrankenpflegerInnen.

 

Das Gesundheitsministerium ist der Hauptanbieter im Gesundheitsbereich. Das öffentliche Gesundheitssystem basiert auf einem Kostenteilungsmodell, bei dem die Regierung die Kosten für die medizinischen Dienstleistungen übernimmt und dem Patienten eine geringe Gebühr in Rechnung stellt. Der Mangel an politischer Stabilität und Staatssicherheit im Irak hindert den Staat jedoch daran, die allgemeine Gesundheitsversorgung der Bevölkerung abzudecken. Der private Sektor bietet ebenfalls heilmedizinische Leistungen an, diese können jedoch, wenn weitere Leistungen nötig werden (z.B. MRT, Medikamente oder operative Eingriffe) für ärmere Familien kostspielig sein (MedCOI 2017).

 

14. Behandlung nach Rückkehr

 

Eine freiwillige Rückkehr in den Irak aus dem österreichischen Bundesgebiet ist über Vermittlung entsprechender Rückkehrberatungseinrichtungen und nach erteilter Zustimmung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Unterstützung von IOM-Österreich möglich. IOM stellt im Gefolge der administrativen Abwicklung Flugtickets zur Verfügung und gewährt in Einzelfällen besonderer Hilfsbedürftigkeit auch finanzielle Überbrückungshilfe.

 

Auf niedrigem Niveau ist eine freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten zu beobachten. In der Region Kurdistan-Irak gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren, ob sich diese Tendenzen verstetigen, wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der KRI kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 7.2.2017). Aus Österreich kehrten in der ersten Jahreshälfte 2017 in Etwa 346 Iraker freiwillig in den Irak zurück - von diesen fast alle im Zuge einer sogenannten unterstützen Rückkehr (BFA 11.8.2017). Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig - u. a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort (AA 7.2.2017).

 

Dokumente

 

Irakische Reisepässe, die nach dem 17.Juni 1999 abgelaufen sind, bleiben zur Rückkehr in den Irak gültig. Die Regierung erkennt die vom alten Regime für ungültig erklärten Pässe der Serie H im Rahmen ihrer Gültigkeitsdaten an. Pässe der Serie M werden seit 01.Jänner 2007 nicht mehr anerkannt, Pässe der Serie N sind seit 1. Jänner 2008 nicht mehr gültig. Es sind vereinzelt noch Pässe der Serie S im Umlauf, die mittlerweile von den EU-Staaten, Jordanien und den USA nicht mehr anerkannt werden. Von 2006 bis 2009 gab die Regierung Pässe der Serie G aus, seit dem 1. Oktober 2010 werden nur noch Pässe der Serie A ausgestellt. Die Pässe der alten Serie G behalten ihre Gültigkeit. Irakische Blanko-Pässe der Serie A 4091901 - bis A 4150000 sind nicht mehr gültig; diese stammten aus der Provinz Anbar. Die neuen irakischen Pässe enthalten einen maschinenlesbaren Abschnitt sowie einen 3D-Barcode und gelten als fälschungssicherer im Vergleich zu den Vorgängermodellen, v. a. können diese nur noch persönlich und nicht mehr durch Dritte beantragt werden. Die irakischen Botschaften haben erst vereinzelt begonnen, Pässe auszustellen. An den Grenzen zu den Nachbarstaaten haben sich in den letzten Monaten immer wieder Änderungen der Ein- und Ausreisemöglichkeiten, Kontrollen, Anerkennung von Dokumenten etc. ergeben. Nach wie vor muss mit solchen Änderungen - auch kurzfristig - gerechnet werden (AA 7.2.2017).

 

Die irakische Regierung stellte im USDOS-Berichtszeitraum 2016 für hunderte auf die Abschiebung aus den USA wartende irakische Staatsbürger die entsprechenden Reisedokumente nicht aus, und gab an, dass es sich um Staatenlose handelt (USDOS 3.3.2017).

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegten Verfahrensakt unter zentraler Zugrundelegung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers der im Gefolge seiner Einvernahme in Vorlage gebrachten Unterlagen sowie des Inhaltes der gegen den angefochtenen Bescheid erhobenen Beschwerde, ferner durch Vernehmung des Beschwerdeführers als Partei sowie der XXXX als Zeugin in der vor dem erkennenden Gericht am 04.12.2017 durchgeführten mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen betreffend die allgemeine Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers und in Anfragebeantwortungen von ACCORD zu den Aktivitäten der schiitischen Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq sowie zur Sicherheitslage in Bagdad und den Bereich des European Asylum Support Office über das Iraq Practical Cooperation Meeting am 25.04.2017 und am 26.04.2017. XXXXXXXX.

 

2.2. Der eingangs angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verfahrensakts der belangten Behörde, die ein mängelfreies und ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt hat.

 

Identität und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers sowie dessen persönliche und familiäre Lebensumstände im Herkunftsstaat ergeben sich aus den übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers in den Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und dem erkennenden Gericht, sie sind im Beschwerdeverfahren nicht strittig. Die Identität des Beschwerdeführers wurde von diesem im Wege der Vorlage von irakischen Identitätsdokumenten im Original (Personalausweis und Staatsbürgerschaftsnachweise) hinreichend dargetan. Anhand der Angaben in der vorgelegten Kopie seines irakischen Reisepasses konnte der vollständige Name des Beschwerdeführers korrigierend festgestellt werden. Hinsichtlich der im Herkunftsstaat ausgeübten beruflichen Tätigkeiten folgt das Bundesverwaltungsgericht den Angaben vor dem belangten Bundesamt (AS 91). Hinsichtlich der behaupteten Führung eines Kaffeehauses auf eigene Rechnung und Gefahr wird auf die untenstehenden Beweiswürdigung zum Ausreisevorbringen verwiesen.

 

Die strafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einem amtswegig eingeholten Strafregisterauszug, die weiteren Feststellungen zu seinen Lebensumständen in Österreich beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht, den in Vorlage gebrachten Urkunden sowie den glaubwürdigen Angaben der Zeugin XXXX. Im Hinblick auf den Besuch von Qualifizierungsmaßnahmen zum Erwerb der deutschen Sprache vermochte der Beschwerdeführer lediglich im Verfahren erster Instanz einen Nachweis über einen einmaligen Kursbesuch im Jahr 2015 vorzulegen. Vor dem Bundesverwaltungsgericht legte der Beschwerdeführer zwar dar, auch derzeit Deutschkurse in seiner Unterkunft zu besuchten, brachte jedoch bis zum heutigen Tag keinen Nachweis in Vorlage. Dem vorgelegten "Tiroler Integrationskompass" vom 31.08.2017 kann ebenfalls nur der einmalige Kursbesuch im Jahr 2015 entnommen werden (Mai 2015 bis Juni 2015). Ausgehend davon kann keine positive Feststellung zu einem derzeitigen Deutschkursbesuch getroffen werden. Zeugnisse über abgelegte Prüfungen legte der Beschwerdeführer ebenso wenig vor, wie schriftliche Zusagen für einen Arbeitsplatz.

 

Aufschlussreich war die Einvernahme der Zeugin XXXX, zumal der Beschwerdeführer bei seiner Befragung aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts einen täglichen persönlichen Kontakt mit seiner Freundin suggerierte, diese jedoch darlegte, in Graz zu studieren (was der Beschwerdeführer unerwähnt ließ) und den Beschwerdeführer lediglich am Wochenende zu sehen. Im Übrigen war zwar der Wunsch der Zeugin erkennbar, dass der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz nach Graz verlegt, diesbezügliche Anstalten sind jedoch im Verfahren nicht zu Tage getreten. Die dazu von der Zeugin vorgetragene Erklärung, wonach der Beschwerdeführer Nachteile für sein Asylverfahren befürchte, überzeugt - zumindest für die Zeit nach dem Erhalt des angefochtenen Bescheides - nicht. In diesem Zusammenhang sei der Vollständigkeit halber erwähnt, dass der Beschwerdeführer auch derzeit noch in XXXX in einem Quartier der Grundversorgung untergebracht ist und demnach auch nach der mündlichen Verhandlung keine gemeinsame Wohnsitzbegründung erfolgt ist.

 

2.3. Die getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat und zur Rekrutierung von Kämpfern durch schiitische Milizen im Irak ergeben sich aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen, welche in der mündlichen Verhandlung erörtert und dem Beschwerdeführer zuletzt in einer aktualisierten Fassung am 11.09.2018 zur Abgabe einer Stellungnahme übermittelt wurden. Zur Sicherstellung der notwendigen Ausgewogenheit in der Darstellung wurden Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt. In Anbetracht der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild zeichnen, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

 

Der Beschwerdeführer ist den ihm zuletzt mit Note des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.09.2018 zur Stellungnahme übermittelten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage im Irak sowie zu Aktivitäten der Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq nicht entgegengetreten und verweist vielmehr in seiner Stellungnahme vom 19.09.2018 unter auszugsweiser Zitierung der ihm vorgehaltenen Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens auf den eigenen Verfahrensstandpunkt.

 

Eine besondere Auseinandersetzung mit der Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit des Staates einschließlich diesbezüglicher Feststellungen ist nur dann erforderlich, wenn eine Verfolgung durch Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen festgestellt wird (vgl. VwGH 02.10.2014, Ra 2014/18/0088). Da der Beschwerdeführer jedoch nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts keine von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehende Verfolgung zu gewärtigen hat, sind spezifische Feststellungen zum staatlichen Sicherheitssystem sowie zur Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit der Behörden des Herkunftsstaates nicht geboten.

 

2.4. Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der Glaubhaftmachung im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften im Sinn der Zivilprozessordnung zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der hierzu geeigneten Beweismittel, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers, voraus (vgl. VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0058 mwN). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt ebenso wie die Beweisführung den Regeln der freien Beweiswürdigung (VwGH 27.05.1998, Zl. 97/13/0051). Bloßes Leugnen oder eine allgemeine Behauptung reicht für eine Glaubhaftmachung nicht aus (VwGH 24.02.1993, Zl. 92/03/0011; 01.10.1997, Zl. 96/09/0007). Im Falle der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers sind positive Feststellungen von der Behörde nicht zu treffen (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).

 

Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit von Angaben eines Asylwerbers hat der Verwaltungsgerichtshof als Leitlinien entwickelt, dass es erforderlich ist, dass der Asylwerber die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert (VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294) und dass diese Gründe objektivierbar sind (VwGH 05.04.1995, Zl. 93/18/0289). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, genügt zur Dartuung von selbst Erlebtem grundsätzlich nicht. Der Asylwerber hat im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage und allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069; 30.11.2000, Zl. 2000/01/0356). Die Mitwirkungspflicht des Asylwerbers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

 

Es entspricht ferner der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wenn Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes beziehungsweise Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens bzw. der niederschriftlichen Einvernahmen unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, Zl. 95/20/0650). Die Unkenntnis in wesentlichen Belangen indiziert ebenso mangelnde Glaubwürdigkeit (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).

 

2.5. Unter Berücksichtigung der vorstehend angeführten Rechtsprechung ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine asylrelevante Gefährdung im Herkunftsstaat glaubhaft und in sich schlüssig darzulegen. Im Einzelnen:

 

2.5.1. Der Beschwerdeführer erachtet sich ausweislich seines Vorbringens in der mündlichen Verhandlung im Irak von der schiitischen Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq aufgrund des Ausschanks von Alkohol in einem von ihm betriebenen Kaffeehaus als verfolgt.

 

Vorauszuschicken ist, dass der Beschwerdeführer keine selbst erlittenen Verfolgungshandlungen vorbringt, er will vielmehr ausschließlich über Dritte von der gegen ihn gerichteten Bedrohung erfahren haben. Die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes begegnet in einem solchen Fall besonderen Schwierigkeiten, weil eine Befragung des Beschwerdeführers zu selbst erlebenden Umständen nur eingeschränkt - nämlich nur hinsichtlich der ihm zugegangenen Mitteilungen - möglich ist. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist in einem solchen Fall die Plausibilität des vorgebrachten Sachverhaltes ebenso von besonderer Bedeutung wie die Frage, ob aus dem vorgebrachten Sachverhalt eine im Sinn des § 3 AsylG 2005 glaubhafte Gefährdung pro futuro abgeleitet werden kann.

 

2.5.2. Im gegenständlichen Fall bestehen nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes einerseits erhebliche Zweifel am vorgebrachten Sachverhalt, andererseits ist das Vorbringen selbst im Fall des Zutreffens nicht geeignet, eine Gefährdungssituation im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat glaubhaft zu machen.

 

Eingangs ist festzuhalten, dass dem Beschwerdeführer Wiedersprüche im Vorbringen anzulasten sind, obwohl dieses Vorbringen sich - aufgrund der lediglich im Hörensagen erfahrenen Bedrohung - ohnehin insgesamt spärlich gestaltete. So legte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung dar, sein Onkel habe zunächst den Bruder des Beschwerdeführers angerufen und dieser habe ihm mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer das Haus nicht verlassen solle, weil überall nach ihm gesucht werde. Derartiges wusste der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt nicht zu berichten (AS 93). Ferner schilderte er die von seinem Bruder beim folgenden Besuch geschilderte Bedrohungssituation unterschiedlich. Während er noch vor dem belangten Bundesamt davon sprach, dass sein Bruder ihm mitgeteilt habe, dass er gesucht werde und die Milizen ihn umbringen wollten, legte er vor dem Bundesverwaltungsgericht lediglich dar, dass Mitglieder von Asa'ib Ahl al-Haqq den Beschwerdeführer als "Hund" und schlechten Menschen beschimpft hätten, weil er alkoholische Getränke verkauft habe. Auch den weiteren Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung kann - im Gegensatz zu seinen Angaben im Verfahren erster Instanz - nicht mehr entnommen werden, dass Kämpfer von Asa'ib Ahl al-Haqq ihn unmittelbar mit Gewaltausübung bedroht hätten. Nicht stringent war die Schilderung auch hinsichtlich des Kontaktes mit seiner Schwester, zumal der Beschwerdeführer noch vor dem Bundesamt darlegte, seine Schwester habe den Kämpfern mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer im Krankenhaus sei (AS 93). Vor dem Bundesverwaltungsgericht legte der demgegenüber dar, seine Schwester habe den vermeintlichen Verfolgern mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer "wahrscheinlich [die] Mutter im Krankenhaus besuch[t]e". Zwischen der im Verfahren erster Instanz behaupteten Wissenserklärung und der vor dem Bundesverwaltungsgericht nur mehr vorgebrachten Erklärung über eine Vermutung besteht doch ein wesentlicher Unterschied. Hinsichtlich des Zeitpunktes des Anrufes seines Freundes legte der Beschwerdeführer vor dem belangten Bundesamt das, er habe den Anruf erhalten, als er gerade das Zimmer seiner Mutter im Spital verlassen habe (AS 94). In der mündlichen Verhandlung leitete er seine Schilderung mit den Worten ein, dass er "eines Tages" seinen Fußballklub verlassen habe, um seine Mutter im Krankenhaus zu besuchen. Ein Freund von ihm habe ihn angerufen und ihm mitgeteilt, dass er gesucht werde. Davon, dass er in diesem Zeitpunkt bereits wieder beim Verlassen des Spitals war, war keine Rede, was eine weitere Ungenauigkeit in der Darstellung begründet. Die zitierten Wiedersprüche sind zwar für sich alleine nicht gravierend, da der Beschwerdeführer sich jedoch lediglich auf eine Bedrohung vom Hörensagen beruft, betreffend sie zentrale Aspekte des Vorbringens - nämlich die telefonischen bzw. mündlichen Mittelungen der Bedrohungslage. Da der Beschwerdeführer sonst gar keine eigenen Wahrnehmungen zum Sachverhalt hat, muss zumindest hinsichtlich der Inhalte der Telefonate bzw. Gespräche eine stringente Darlegung gefordert werden.

 

2.5.3. Abseits davon war zu bemerken, dass sich der Beschwerdeführer bei seiner Befragung in der mündlichen Verhandlung äußerst wortkarg zeigte und seine Angaben wenig detailreich und abschnittsweise kaum nachvollziehbar waren - insbesondere wenn das Bundesverwaltungsgericht den Versuch unternahmen, das Umfeld der beruflichen Tätigkeit des Beschwerdeführers auszuleuchten.

 

Zunächst ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes unverständlich, dass der Beschwerdeführer Desinteresse am weiteren Schicksal seines Kaffeehauses zeigte und nicht angeben konnte, was daraus wurde, obwohl er dieses selbst aufgebaut und seit dem Jahr 2012 betrieben haben will. Wenn der Beschwerdeführer im Ergebnis behauptet, von der Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq um seine Existenzgrundlage gebracht worden zu sein und dass das von ihm geführte Lokal zerstört wurde, verwundert es, dass der Beschwerdeführer diesen Sachverhalt in der mündlichen Verhaltung vollkommen teilnahmslos schilderte. Er konnte auch keine Lichtbilder von seinem Kaffeehaus in Vorlage bringen, geschweige denn solche, die ihn bei der Ausübung des Berufes zeigen. Dieser Umstand irritiert aufgrund der Wahrnehmung des Bundesverwaltungsgerichtes in vergleichbaren Verfahren (vgl. statt aller das Verfahren L521 2118033-1), in welchen bei einer behaupteten Bedrohung aufgrund einer beruflichen Tätigkeit regelmäßig Lichtbilder von dieser Tätigkeit vorgelegt werden. Die Rechtfertigung des Beschwerdeführers, er habe sein Mobiltelefon auf der Reise verloren, ist zwar nicht widerlegbar, dennoch überrascht es, dass auch im Wege des Familienverbundes keine derartigen Lichtbilder vorgelegt werden konnte. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes wäre sehr wohl zu erwarten, dass auch Familienmitglieder und Freunde über solche Lichtbilder (die im Wege elektronischer Medien oder über Facebook leicht geteilt werden können) verfügen. Nicht nachvollziehbar ist ferner, dass der Beschwerdeführer über keinen Facebook-Account seines Kaffeehauses verfügte, zumal Facebook dem aus ähnlichen Verfahren gewonnenen Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes zufolge auch im Irak weitverbreitet ist und gerade einem selbständigen Unternehmer dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zufolge daran gelegen sein müsste, diese Möglichkeit der Bewerbung seines Etablissements zu nutzen.

 

Auch hinsichtlich des Vorbringens vor dem Bundesamt fällt auf, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers abschnittsweise äußerst allgemein gehalten war und er etwa sämtliche handelnden Personen nicht namentlich bezeichnete, sondern stets unbestimmt blieb ("ein Freund", "meine Schwester", "mein Bruder"). Gerade wenn die ausreisekausale Bedrohung ohnehin nur über Telefonanrufe bzw. ein Gespräch mit einem Bruder manifest geworden sein soll, ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes zumindest zu erwarten, dass bei der selbständigen Darlegung des Sachverhaltes aus eigenem dargelegt wird, mit welchen Verwandten Kontakt bestand. Dies trifft im vorliegen Fall umso mehr zu, als der Beschwerdeführer über vier Schwestern und vier Brüder verfügt, sodass von wesentlicher Bedeutung ist, mit wem Kontakt bestand. Dass diese Informationen - auch vor dem Bundesverwaltungsgericht - nicht aus eigenem gegeben wurden, deutet auf ein konstruiertes Vorbringen hin.

 

In Zusammenhang mit der Frage nach Lichtbildern des Kaffeehauses ist ergänzend auf die erstmals im Rechtsmittelverfahren mit E-Mail vom 30.11.2017 vorgelegten Lichtbilder des zerstörten Kaffeehauses einzugehen. Zunächst konnte der Beschwerdeführer - trotz entsprechender Befragung - in der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar darlegen, weshalb er diese nicht eher im Verfahren vorlegen habe können. Der Beschwerdeführer beantwortete die Fragen zu den Lichtbildern lediglich dahingehend, dass sein Bruder (welcher Bruder es war, blieb neuerlich im Dunkeln) ihm die Lichtbilder vor einem Monat geschickt habe und er nicht wisse, wie alt die Bilder wären. Die Frage, ob sein Bruder vor einem Monat im Kaffeehaus gewesen sei und der Zustand jetzt so sei bzw. wann er beim Kaffeehaus gewesen sei, beantwortete der Beschwerdeführer nicht, er überging diese vielmehr. Die abschließende Frage, weshalb er nicht schon früher Bilder organisiert habe, beantwortete er lapidar mit dem Hinweis, dass die Bilder "früher nicht da" gewesen wären.

 

Bei einer näheren Betrachtung der vorgelegten Bilder fällt zunächst auf, dass diese zwar einen verwüsteten Raum zeigen, das Bundesverwaltungsgericht kann - entgegen der Schilderungen des Beschwerdeführers - keine Spuren eines Brandes wahrnehmen. Ferner kann weder der örtliche, noch der zeitliche Kontext der Aufnahmen eingeordnet werden. Insgesamt kann den Lichtbildern kein Anhaltspunkt entnommen werden, dass diese tatsächlich ein Kaffeehaus in Bagdad XXXX zeigen. Sie zeigen aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ferner kein gebrandschatztes Lokal. Bezeichnend ist, dass der Beschwerdeführer offenbar keine Außenaufnahmen des Lokals vorlegen kann oder will, die zumindest eine örtliche Einordnung der Aufnahmen (im Wege des bestellten Sachverständigen) zugelassen hätten.

 

Dazu tritt, dass das Geschäftslokal nur gemietet war. Nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge ist zu erwarten, dass ein verwüstetes Lokal rasch instandgesetzt wird, um es neu zu vermieten. Vor diesem Hintergrund ist nicht plausibel, weshalb der Beschwerdeführer erst Ende das Jahres 2017 Lichtbilder in Vorlage bringen konnte. Da er sich bei der Erforschung der näheren Umstände des Zustandekommens der Aufnahmen unkooperativ zeigte und er andernorts angab, nicht zu wissen, was aus seinem Lokal geworden sei, erwecken die erst im November 2017 vorgelegten Lichtbilder nur noch weitere Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Standpunktes des Beschwerdeführers. Sie sind darüber hinaus schon aufgrund des nicht ergründbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhangs der Aufnahme nicht geeignet, eine Gefährdungssituation vor der Ausreise nachzuweisen.

 

Dass der Beschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht angab, er habe das Kaffeehaus mit 18 Jahren eröffnet (sohin rechnerisch im Jahr 2010), vor dem Bundesamt den Beginn der Tätigkeit allerdings in das Jahr 2012 verortete (AS 91), rundet das Bild insoweit ab.

 

Schon in Anbetracht der vorstehenden Erwägungen hegt das Bundesverwaltungsgericht maßgebliche Zweifel an der Richtigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers.

 

2.5.4. In das behauptete Gesamtbild seiner angeblichen unternehmerischen Tätigkeit können weitere Aspekte des Vorbringens sowie der vom Beschwerdeführer gewonnene persönliche Eindruck nicht eingeordnet werden.

 

Zunächst verwundert es, dass die Ausreise des Beschwerdeführers ausschließlich von seiner Familie finanziert werden musste (AS 93), obwohl er sei 2012 Unternehmer gewesen sein will. Ferner ist nur schwer nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer, der im Irak nur wenige Jahre die Schule besuchte und sich seinem eigenen Vorbringen zufolge in der Adoleszenz ausschließlich dem Fußballspiel gewidmet haben will, als Unternehmer mit mehreren Mitarbeitern erforderlich gewesen sein will. Die Biographie des Beschwerdeführers bietet aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts keine nachvollziehbare Grundlage für die behauptete Tätigkeit. Auch das in der mündlichen Verhandlung vom Beschwerdeführer gewonnene Bild lässt eher die vorgetragene Tätigkeit als Fußballspieler authentisch erscheinen, als eine unternehmerische Tätigkeit, die die Führung von Mitarbeitern einschließt. Auch die mangelnde Zielstrebigkeit bei der Eingliederung in das Berufsleben im Bundesgebiet sowie beim Erwerb der deutschen Sprache spricht in diesem Zusammenhang gegen ein bereits im Herkunftsstaat hervorgetretenes unternehmerisches Engagement und vielmehr für einen Vorrang der Freizeitaktivitäten.

 

Nicht stimmig stellt sich aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes auch der Standpunkt des Beschwerdeführers zum vorgebrachten Verkauf von Alkoholika in seinem Geschäft dar, wie er vor dem Bundesverwaltungsgericht erörtert wurde. Einerseits vertritt der Beschwerdeführer den Standpunkt, er werde im Irak wegen des Verkaufs alkoholischer Getränke individuell verfolgt, da der Verkauf von Alkoholika von Schiiten als Sünde erachtet werde.

 

Ausgehend davon musste dem Beschwerdeführer bereits bei seiner (angeblichen) Entscheidung, Alkoholika in das Sortiment aufzunehmen, bewusst gewesen sein, dass er sich damit einer maßgeblichen Gefahr aussetzt. Das Bundesverwaltungsgericht unternahm in der mündlichen Verhandlung den versucht, die Umstände dieser doch bedeutsamen unternehmerischen Entscheidung gemeinsam mit dem Beschwerdeführer zu erörtern. Die dazu vom Beschwerdeführer gegebenen Antworten stellten sich jedoch als verwirrend dar und zeugen nicht von einer intensiven Auseinandersetzung mit dem angeblich eingegangenen Risiko. Zunächst bezog sich der Beschwerdeführer nur auf seinen persönlichen Standpunkt, wonach er Alkohol offen gegenüberstehen würde. Auf Nachfrage und Vorhalt der länderkundlichen Informationen zum Alkoholhandel im Irak legte er schließlich dar: "Meine Freunde, die Leute, die ich kenne, trinken Alkohol. Sie fragten mich, warum ich nicht so ein Geschäft aufmache. Man verdient damit sehr gut. Dann habe ich eines eröffnet.". Ausgehend vom Standpunkt des Beschwerdeführers, dass Verkäufer von Alkohol (und deshalb auch er) sich im Irak in Lebensgefahr befinden, erstaunt es, dass er auf das Anraten von Freunden "so ein Geschäft" eröffnet haben will. Der Beschwerdeführer berichtet weder von Vorsichtsmaßnahmen, die er ergriffen haben will, noch von einer Abwägung des Risikos mit den offenbar angenommenen Erwerbschancen. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes deutet die dahingehende Befragung des Beschwerdeführers darauf hin, dass er tatsächlich selbst niemals eine Entscheidung von solcher Tragweite getroffen hat.

 

Ein weiteres Indiz für die mangelnde Glaubwürdigkeit stellt die in der mündlichen Verhandlung getätigte Behauptung dar, dass "Silvester groß gefeiert" worden sei und wahrscheinlich deshalb Milizen auf den Beschwerdeführer aufmerksam geworden wären. Einerseits brachte der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt noch vor, Alkohol (erst) am 01.01.2015 in das Angebot aufgenommen zu haben (AS 93), was ein Bekanntwerden zu Silvester ausschließt. Schwerer wiegt allerdings, dass das islamische Neujahrsfest in den Monaten August, September oder Oktober am ersten Tag des Muharram gefeiert wird, da die islamische Zeitrechnung mit der Auswanderung des Propheten Muhammad von Mekka nach Medina beginnt (dazu näher https://de.wikipedia.org/wiki/Muharram ) und demgemäß der islamische Kalender vom gregorianischen Kalender abweicht. Dass Silvester (31.12.2014) in Bagdad "groß gefeiert" worden sei, kann das Bundesverwaltungsgericht demgemäß nicht nachvollziehen, zumal es sich bei diesem Tag im Irak nicht einmal um einen Feiertag handelte.

 

Die erörterten Aspekte verstärken die Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist insbesondere nicht nachvollziehbar, dass sich der Beschwerdeführer durch seine angebliche unternehmerische Entscheidung, offen in Bagdad Alkohol auszuschenken, einerseits bewusst einer großen Gefahr aussetzte - er jedoch andererseits über diese Entscheidung und seine dahinterstehenden Beweggründe kaum substantiierte Angaben tätigen konnte.

 

2.5.5. Gegen eine individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers vor der Ausreise sprechen schließlich folgende entscheidende Umstände.

 

Der Beschwerdeführer brachte vor, dass er beim Angriff von Asa'ib Ahl al-Haqq nicht in seinem Geschäft gewesen sei, wohl aber zwei Mitarbeiter von ihm. Diese sei nichts geschehen. Ausgehend vom weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers, er werde wegen des Verkaufs von Alkohol verfolgt, wäre indes aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes im Fall eines tatsächlich erfolgen Angriffs vom Asa'ib Ahl al-Haqq zu erwarten gewesen, dass auch die Mitarbeiter des Beschwerdeführers disziplinierter oder angegriffen werden, zumal ja auch diese - noch dazu unmittelbar vor Ort - in den Alkoholverkauf involviert waren. Wenn der Grund der Verfolgung im Alkoholverkauf liegen soll ist nicht nachvollziehbar, weshalb nur der Beschwerdeführer und nicht auch seine Mitarbeiter aus diesem Grund verfolgt werden sollte.

 

Nicht nachvollziehbar ist außerdem, dass der Beschwerdeführer einerseits vorbringt, dass der Verkauf von Alkohol von schiitischen Milizen als Sünde angesehen und verfolgt werden, er andererseits den Alkohol aber im "Großhandel" an einer näher genannten Adresse bezogen habe (AS 95). Im Fall des Zutreffens der geschilderten Bedrohungssituation wäre damit zu rechnen, dass von extremistischen Milizen zu allererst der Großhandel mit Alkohol unterbunden wird.

 

Ferner kann das Bundesverwaltungsgericht keine zielgerichtete Verfolgung des Beschwerdeführers erkennen. Ausweislich der Feststellungen handelt es sich bei Asa'ib Ahl al-Haqq um eine hochprofessionell agierende und paramilitärisch ausgebildete Miliz. Dass sich eine solche Miliz vor einem Angriff nicht durch eine entsprechende Auskundschaftung der Örtlichkeit davon überzeugt, dass das Ziel des Angriffs auch anwesend ist, ist in Anbetracht der Professionalität von Asa'ib Ahl al-Haqq nicht nachvollziehbar. Schließlich erscheint es äußerst unwahrscheinlich, dass eine professionell agierende Miliz versucht, Personen aufzuspüren, indem "auf der Straße .. Namen gerufen" werden, wie dies der Beschwerdeführer suggeriert. Für eine solche Vorgehensweise bieten auch die Feststellungen zu Aktivitäten von Asa'ib Ahl al-Haqq keinen Anhaltspunkt. Dass derartiges von einer professionell agierenden Miliz nicht zu erwarten ist, zeigt gerade der Fall des Beschwerdeführers, da bei einem lauten Herumschreien des Namens einer gesuchten Person im Ergebnis nur damit gerechnet werden muss, dass diese gewarnt wird. Der Beschwerdeführer wusste auch vor dem belangten Bundesamt noch nichts davon zu berichten, dass sein Bruder gehört habe, dass der Name des Beschwerdeführers auf der Straße gerufen worden sei. Vielmehr habe er nur allgemein erzählt, dass der Beschwerdeführer gesucht werde (AS 96).

 

Dem belangten Bundesamt ist abschließend dahingehend beizutreten, dass die unterbliebene Behelligung von Familienmitgliedern gegen ein den Beschwerdeführer betreffenden Verfolgungsinteresse spricht. Ausweislich der Feststellungen ist im Irak die Entführung von Personen ein häufig eingesetztes Mittel der Erpressung. Dass der Beschwerdeführer nicht mittels der Entführung von Familienangehörigen gefügig gemacht wurde, spricht gegen ein tatsächlich vorhandenes maßgebliches Interesse an seiner Person. Die Sachlage stimmt auch nicht mit dem Vorbringen im Verfahren erster Instanz überein, zumal der Beschwerdeführer dort eigentlich vorbrachte, dass seine Schwester sehr wohl bedroht worden sei, wenn sich der Beschwerdeführer nicht umgehend bei der Miliz melden würde (AS 96).

 

Die in der mündlichen Verhandlung erstmals in dieser Form in den Raum gestellten oftmaligen Nachfragen nach dem Beschwerdeführer erachtet das Bundesverwaltungsgericht als nicht glaubwürdig, da der Beschwerdeführer einerseits vor dem belangten Bundesamt von oftmaligen Nachfragen bei seinen Angehörigen nichts berichtete (er legte nur dar, dass seine Mutter zwei Wochen nach der Ausreise telefonisch mitgeteilt habe, dass er immer noch gesucht werde), andererseits vermochte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung die näheren Umstände und Zeitpunkte dieser angeblich oftmaligen Nachfragen nicht einmal ansatzweise substantiiert darzulegen.

 

Abschließend sei noch einmal daran erinnert, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung nur mehr davon sprach, dass Mitglieder von Asa'ib Ahl al-Haqq ihn als "Hund" und schlechten Menschen beschimpft hätten. Eine Morddrohung ist daraus nicht ableitbar.

 

In einer Gesamtwürdigung ist erkennbar, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers - welches im Ergebnis nur aus der Schilderung einer Bedrohung vom Hörensagen besteht - einerseits von Ungereimtheiten gezeichnet ist, andererseits in wesentlichen Punkten die Plausibilität mangelt. Die unterbliebene Verfolgung seiner angeblichen Mitarbeiter sowie die angeblich dilettantische und demnach im Widerspruch zu den Feststellungen stehende Vorgehensweise von Asa'ib Ahl al-Haqq sind weitere Anhaltspunkt dafür, dass das Vorbringen nicht auf tatsächlichen Ereignissen basiert. Das in der Befragung demonstrierte Desinteresse am weiteren Schicksal seines Kaffeehauses sowie das Unvermögen, die Entscheidung zum Alkoholverkauf im Kontext der damit verbundenen Gefahrenlage näher zu erörtern, lassen aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nur den Schluss zu, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubwürdig ist und er tatsächlich vor der Ausreise weder Alkohol in einem von ihm betriebenen Kaffeehaus ausschenkte, noch deshalb von der Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq bedroht wurde.

 

2.5.6. Der Beschwerdeführer brachte Ablichtungen eines Mietvertrags in arabischer Sprache in Vorlage, um sein Vorbringen zu untermauern.

Hiezu sind nachstehende Erwägungen maßgeblich:

 

Der in Ablichtung vorgelegte Mietvertrag ist eine Privaturkunde, die sich als ausgefülltes Formular präsentiert. Ausgehend vom Erscheinungsbild der Urkunde kann ein solches Schriftstück von jedermann mit Kenntnissen der arabischen Sprache unter Verwendung des zugrundeliegenden Formulars selbst hergestellt werden. Der Beweiswert der Urkunde ist schon deshalb als gering anzusehen, zumal das Bundesverwaltungsgericht die Umstände des Zustandekommens der abgelichteten Urkunde nicht überprüfen kann.

 

Im gegenständlichen Fall spricht gegen die Echtheit der abgelichteten Urkunde bereits die darauf angebrachte und angeblich vom Beschwerdeführer herrührende Unterschrift. Im Verwaltungs- und Gerichtsakt liegen drei vom Beschwerdeführer eigenhändig unterfertigte Schriftstücke auf (Niederschrift der Erstbefragung vom 01.05.2015, Niederschrift der Einvernahme vom 24.10.2016, Verhandlungsschrift des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.12.2017). Die Unterschrift des Beschwerdeführers ist auf diesen drei Dokumenten nahezu identisch. Im Gegensatz dazu

 

Das Bundesverwaltungsgericht geht demnach und in Anbetracht der vorstehenden weiteren beweiswürdigenden Erwägungen davon aus, dass die in Vorlage gebrachte Ablichtung kein authentisches Dokument abbildet. Mangels Vergleichsmaterial sind im Übrigen keine Überprüfungen im Hinblick auf die Echtheit der vorgelegten Ablichtungen möglich, eigenen hoheitlichen Ermittlungen der Asylbehörden im Herkunftsstaat des Asylwerbers stehen ferner nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes allgemeine Prinzipien des Völkerrechts entgegen. Danach sind Staaten grundsätzlich verpflichtet, in fremden Hoheitsräumen keine Amtshandlungen ohne Genehmigung des Territorialstaates vorzunehmen. Dieser Grundsatz wird meist streng gehandhabt und gestattet nicht einmal eine hoheitliche Tätigkeit, die keine unmittelbare Auswirkung im Territorialstaat hat, z.B. polizeiliche Erhebungen oder amtliche Vorladungen. Ermittlungen, die diesen Prinzipien widersprechen, sind von den Ermittlungspflichten des § 18 AsylG 2005 daher nicht umfasst und den Asylbehörden auch nicht erlaubt (VwGH 18.01.2017, Ra 2016/18/0197). Eine Überprüfung des Mietvertrags im Irak scheidet demnach aus.

 

An dieser Stelle ist ergänzend festzuhalten, dass ein auf die Einvernahme von im Herkunftsstaat befindlichen Personen aus den gerade erörterten Gründen unzulässig ist (siehe dazu im Detail ebenfalls VwGH 18.01.2017, Ra 2016/18/0197), zumal die Rechtshilfeeinvernahme namhaft gemachter Personen als Zeugen durch die Behörden des Heimatlandes oder die österreichischen Vertretungsbehörden aus völkerrechtlichen Gründen nicht in Betracht kommt. Entsprechendes gilt für die Befragung von Auskunftspersonen durch Vertrauenspersonen im Herkunftsstaat (VwGH 02.05.2018, Ra 2018/18/0159 mwN). Eine Befragung von Familienangehörigen des Beschwerdeführers oder der sonst von ihm namhaft gemachten Personen war demnach nicht geboten. Eine telefonische Einvernahme solcher Personen durch das Bundesverwaltungsgericht ist im anzuwendenden Verfahrensrecht nicht vorgesehen und setzt die Befragung als Zeuge das persönliche Erscheinen vor dem erkennenden Gericht (oder im Wege der mittelbaren Beweisaufnahme vor einem anderen Gericht) voraus. Ein Telefonanruf vermag dieses persönliche Erscheinen nicht zu substituieren, zumal nicht einmal überprüfbar wäre, welche Person tatsächlich als Gesprächspartner auftritt. Die Namhaftmachung diverser Auskunftspersonen mit Telefonnummer im Herkunftsstaat vermag demzufolge keine dahingehende Ermittlungspflicht des Bundesverwaltungsgerichtes zu begründen.

 

2.5.7. In Anbetracht der bisherigen Erwägungen erweisen sich die Ergebnisse der vom bestellten Sachverständigen im Herkunftsstaat gepflogenen Erhebungen gar nicht mehr als von entscheidender Bedeutung.

 

Dennoch findet der bereits in der mündlichen Verhandlung gewonnene Eindruck des Bundesverwaltungsgerichtes Bestätigung in den Erhebungen des Sachverständigen, zumal dieser nach Auffindung des Kaffeehauses in Gesprächen mit Nachbarn und Polizisten zwar einen Brand in diesem Kaffeehaus verifizieren konnte, nicht jedoch einen Angriff der Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq. Als Brandursache wurde ein technischer Defekt oder eine Auseinandersetzung unter Konkurrenten in den Raum gestellt. Ferner war den Nachbarn der Beschwerdeführer nicht als Betreiber bekannt, einige Anrainer hätten angegeben, dass eine Person namens Hassan dort als Kellner gearbeitet habe.

 

Dass - wie der Sachverständige unter Berufung auf Erhebungen im Nahebereich von Asa'ib Ahl al-Haqq festhält - von dieser Miliz keine landesweite Suche nach Einzelpersonen betrieben wird (mit Ausnahme von Personen mit politischem oder militärischem Hintergrund) und tatsächlich die interne Kommunikation eher lokal beschränkt ist, entspricht dem in den Feststellungen gezeichneten Bild. Tatsächlich bieten auch die Berichte internationaler Organisationen keinen Anhaltspunkt dafür, dass Asa'ib Ahl al-Haqq (von spontanen Gewaltexzessen und Übergriffen im Gefolge von Kampfhandlungen bzw. diesbezüglichen Racheaktionen in umkämpften Gebieten) im Irak Einzelpersonen - etwa wegen Alkoholverkaufs - jahrelang zielgerichtet verfolgt.

 

Soweit der Beschwerdeführer in seinem Schriftsatz vom 08.03.2018 eine sich aus den Recherchen ergebende "weitere Verfolgungsproblematik" in den Raum stellt, kann das Bundesverwaltungsgericht mangels diesbezüglicher substantiierter Angaben keinen Anhaltspunkt für weitere gebotene Ermittlungen erkennen. Da der Beschwerdeführer eigenen Angaben zufolge keine Schwierigkeiten mit Sicherheitskräften und Behörden des Herkunftsstaates zu gewärtigen hatte und die angebliche ausreisekausale Bedrohung aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht feststellbar ist, besteht auch kein objektvierbares derartiges Risiko.

 

Bei der Würdigung des Rechercheergebnisses verkennt das Bundesverwaltungsgericht nicht, dass es sich bei solchen Berichten um keinen Beweis durch Sachverständige im Sinn des § 52 AVG, sondern um ein Beweismittel eigener Art handelt, das auf Grund der besonderen Ermittlungsschwierigkeiten in Bezug auf asylrechtlich relevante Sachverhalte im Heimatland des Asylwerbers im Sinn des § 46 AVG geeignet und zweckdienlich sein kann. Bei dessen Würdigung ist stets zu berücksichtigen, dass die Qualifikation und die Vorgangsweise der ermittelnden Privatperson sich einer Kontrolle weitgehend entziehen und sie im Gegensatz zu einem Sachverständigen im Sinn des § 52 AVG auch nicht persönlich zur Verantwortung gezogen werden können (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100 mwN).

 

Da das Bundesverwaltungsgericht das Vorbringen des Beschwerdeführers bereits aufgrund der sonst im Ermittlungsverfahren und insbesondere in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Ergebnisse als nicht glaubwürdig verwirft, ist der Beschwerdeführer zunächst durch das Rechercheergebnis nicht beschwert. Das Rechercheergebnis vermag auch seinen Standpunkt im Verfahren in keinster Weise zu untermauern.

 

Hinsichtlich der Rechercheergebnisse des Sachverständigen betreffend die Kontaktaufnahme mit Personen im Nahebereich von Asa'ib Ahl al-Haqq stimmt der gewonnene Eindruck - wie erörtert mit den länderkundlichen Berichten zu den Aktivitäten dieser Miliz überein. Diese zeichnen das Bild einer paramilitärisch organisierten und gut ausgebildeten Miliz, die an den Kämpfen gegen den islamischen Staat teilnimmt und der dabei Kriegsverbrechen und Vergeltungsmaßnahmen zugeschrieben werden. Ferner sind vereinzelte Gewaltexzesse dokumentiert. Eine gezielte Verfolgung von Einzelpersonen über Jahre hinweg, etwa in Gestalt des Führens von Fahndungslisten, ist ob der Feststellungen indes nicht indiziert.

 

Dass der Beschwerdeführer Anrainern in Bagdad nicht als Betreiber des Kaffeehauses erinnerlich war, er dort jedoch als Kellner gearbeitet haben könnte, entspricht dem vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck. Der Beschwerdeführer hinterließ insbesondere nicht den Eindruck eines voraussehenden Unternehmers, der ob des besseren Profits Alkohol ausschenkt und damit bewusst ein Verfolgungsrisiko in Kauf nimmt. Vielmehr hinterließ der Beschwerdeführer in den diesbezüglichen Fragen einen unkundigen und unbedarften Eindruck. Ob sich der Brand in diesem Kaffeehaus tatsächlich ereignete und er auf einen technischen Defekt oder den Angriff eines Konkurrenten zurückzuführen ist, kann dahingestellt bleiben, zumal der angebliche Angriff der Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht stattgefunden hat.

 

2.5.8. Selbst wenn sich - entgegen den vorstehenden Erwägungen - der ausreisekausale Vorfall wie behauptet zugetragen hätte, würde dieser zum gegenwärtigen Zeitpunkt dennoch nicht zur Zuerkennung von internationalem Schutz führen.

 

Das Vorbringen des Beschwerdeführers ist nicht geeignet, eine Verfolgungssituation pro futoro im Rückkehrfall glaubhaft zu machen. Seit der Ausreise des Beschwerdeführers sind mehr als dreieinhalb Jahre verhangen. Dass er nach wie vor von Interesse für schiitische Milizen sein könnte und in deren Blickfeld im Fall einer Rückkehr an seinen Herkunftsort rücken würde, ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht glaubhaft. Vor seiner Ausreise kam es zu keiner persönlichen Konfrontation mit dem Beschwerdeführer, sodass nicht davon auszugehen ist, dass allfälligen Verfolgern das Erscheinungsbild und der volle Name des Beschwerdeführers bekannt sind.

 

Die zu den Aktivitäten der Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq getroffenen Feststellungen bieten ferner keinen Anhaltspunkt dafür, dass Einzelpersonen auch nach Jahren der Abwesenheit im Rückkehrfall gezielt verfolgt würden oder Todeslisten geführt werden. Die Recherchen des Sachverständigen haben keine anderslautenden Informationen hervorgekehrt. Auch sonst kann das Bundesverwaltungsgericht keinen Grund erkennen, weshalb der Beschwerdeführer im Rückkehrfall in das Blickfeld irgendwelcher Milizen rücken sollte. Ihm ist es ferner zumutbar, sich in einem anderen schiitischen Stadtviertel in Bagdad niederzulassen und dort einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, die ihn nicht in eine exponierte Stellung bringen würde. Da der Großraum Bagdad mehr als sieben Millionen Einwohner umfasst, ist die Wahrscheinlichkeit, einem allfälligen Verfolger zu begegnen und von diesem nach mehr als dreieinhalb Jahren erkannt zu werden (wobei sich vor der Ausreise eben gar keine persönliche Konfrontation ergab) nicht als maßgeblich anzusehen.

 

Selbst wenn das Vorbringen entgegen der vorstehenden Erwägungen hinsichtlich der ausreisekausalen Bedrohungen zutreffen würde, wäre es somit nicht geeignet, eine individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers im Rückkehrfall nach mehr als dreieinhalb Jahren der Abwesenheit aufzuzeigen.

 

2.5.9. Aufgrund der vorstehenden beweiswürdigenden Ausführungen kann zusammenfassend nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt in seinem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat vor der Ausreise Drohungen oder Übergriffen der Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq oder eines ihrer Mitglieder ausgesetzt war.

 

Da der vorgebrachte ausreisekausale Vorfall nicht festgestellt werde kann, ergibt sich daraus auch keine Rückkehrgefährdung und kann nicht feststellt werden, dass der Beschwerdeführer der Gefahr von Übergriffen der Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq oder anderer extremistischer Gruppierungen im Falle einer Rückkehr in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

 

2.6. Die Feststellungen betreffend die nicht vorhandene politische Betätigung des Beschwerdeführers sowie die nicht vorhandenen Schwierigkeiten mit den Behörden seines Heimatstaates beruhen auf den diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung. Darüber hinaus brachte der Beschwerdeführer keine mit seiner arabischen Volksgruppenzugehörigkeit oder seiner schiitischen Religionszugehörigkeit in Zusammenhang stehenden Schwierigkeiten vor der Ausreise substantiiert vor.

 

2.7. Da der Beschwerdeführer keine staatliche Strafverfolgung im Irak aufgrund eines Kapitalverbrechens in den Raum gestellt hat, war dem Folgend zur Feststellung zu gelangen, dass er im Fall einer Rückkehr nicht der Todesstrafe unterzogen würde. Ebenso kann aus dem Vorbringen keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers durch drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe abgeleitet werden, zumal keine Schwierigkeiten mit Behörden, Gerichten oder Sicherheitskräften vorgebracht wurden.

 

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt im Hinblick auf die Sicherheitslage in Bagdad nicht, dass Bagdad nach wie vor oft Schauplatz von Anschlägen und Gewaltakten ist und ausweislich der statistischen Daten zu den unsicheren Provinzen des Irak gehört. Der aktuellen Berichterstattung folgend gehen Anschläge in Bagdad in erster Linie vom Islamischen Staat aus und richten sich im Wesentlichen gegen die Zivilbevölkerung und staatliche Sicherheitskräfte, wobei Anschläge vorzugsweise an öffentlichen Orten mit großen Menschenansammlungen (wie etwa Moscheen oder Märkte bzw. Einkaufszentren) oder an Checkpoints der Sicherheitskräfte verübt werden.

 

Risikoerhöhende Umstände im Hinblick auf die Person des Beschwerdeführers, welche zu einer im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung stark erhöhte Gefährdung durch terroristische Aktivitäten hindeuten würden, wurden im Verfahren nicht vorgebracht. Der Beschwerdeführer gehört auch nicht den staatlichen Sicherheitskräften an. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts kann in Anbetracht der zu den Feststellungen zur Sicherheitslage im Irak dargestellten Gefahrendichte darüber hinaus nicht erkannt werden, dass schon aufgrund der bloßen Präsenz des Beschwerdeführers in Bagdad davon ausgegangen werden muss, dass dieser wahrscheinlich das Opfer eines terroristischen Anschlages werden würde. Offene Kampfhandlungen finden in Bagdad im Übrigen nicht statt und ist die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle sowie der dabei getöteten Zivilisten im Zeitraum Jänner bis Juni 2017 und zuletzt auch im Jahr 2018 stetig (weiter) gesunken, sodass von einer weiteren Stabilisierung der Sicherheitslage ausgegangen werden kann. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass auch im Jahr 2018 terroristische Anschläge in Bagdad verübt wurden und dabei etwa bei einem Anschlag im Januar zumindest 27 Zivilpersonen zu Tode kamen. Dennoch kann in Anbetracht der Bevölkerungszahl im Gouvernement Bagdad noch nicht die reale Gefahr erkannt werden, dass auch der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Bagdad terroristischen Anschlägen zum Opfer fallen würde oder er im Vergleich zu anderen Zivilpersonen besonders gefährdet wäre.

 

Die weiteren Feststellungen unter Punkt 1.3. beruhen schließlich auf den Angaben des Beschwerdeführers zu dessen Lebenslauf und zu seiner Verfassung in der mündlichen Beschwerdeverhandlung sowie in der Einvernahme vor der belangten Behörde. Der Beschwerdeführer ist in Bagdad geboren und aufgewachsen und mit der Sprache sowie den Gebräuchen in seinem Herkunftsstaat vertraut. Er hat in Bagdad grundlegende Schulbildung konsumiert und sein Auskommen bereits durch eigene Erwerbstätigkeit als Maler und als Verkäufer in einem Einkaufszentrum bestritten. Dem Beschwerdeführer ist im Rückkehrfall die neuerliche Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens möglich und zumutbar.

 

Da der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise Unterkunft in den im Eigentum seiner Mutter stehenden Haus in Bagdad nahm und dieses nach wie vor von seiner Mutter bewohnt wird, kann außerdem davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer im Rückkehrfall neuerlich eine Wohnmöglichkeit vorfinden wird. Er ist als irakischer Staatsbürger außerdem berechtigt, am Public Distribution System (PDS) teilzunehmen, einem sachleistungsorientierten Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft und an die Bevölkerung verteilt. Darüber hinaus verfügt er über ein großes familiäres Netzwerk und es sind insbesondere seine vier Brüder erwerbstätig, sodass die anfängliche Sicherstellung der grundlegenden Bedürfnisse im Wege des Familienverbandes als gesichert anzusehen ist. Der Beschwerdeführer brachte im Übrigen keine Schwierigkeiten mit seinen Angehörigen vor, sodass davon auszugehen ist, dass er im Rückkehrfall neuerliche Aufnahme bei seinen Angehörigen finden wird.

 

Davon abgesehen gehört der Beschwerdeführer keiner Minderheit an - weder hinsichtlich seiner Volksgruppenzugehörigkeit, noch seiner Religionszugehörigkeit - sodass auch diesbezüglich keine Vulnerabilität in Ansehung des Beschwerdeführers im Fall einer Rückkehr erkannt werden kann. Da der Beschwerdeführer über Verwandte in Bagdad verfügt, nämlich seine gesamte Kernfamilie bestehend aus seiner Mutter und seinen Geschwistern, wird er auch sozialen Anschluss im Irak vorfinden.

 

Die Feststellungen betreffend die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers beruhen auf dessen glaubhaften Ausführungen in der mündlichen Verhandlung im Hinblick auf die durchlaufende Ausbildung und die im Herkunftsstaat ausgeübte Berufstätigkeit. Ferner brachte der Beschwerdeführer keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen vor, welche die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen würden.

 

Dass Rückkehrer aus dem westlichen Ausland besonders vulnerabel wären, kann den zur Rückkehr getroffenen Feststellungen zur Lage im Irak nicht entnommen werden. Seitens des Beschwerdeführers wurde letztlich auch nicht vorgebracht, im Rückkehrfall in eine ausweglose Lage zu geraten oder in seinen Grundbedürfnissen nicht abgesichert zu sein, sodass insgesamt eine gesicherte Existenzgrundlage im Irak als erwiesen anzusehen ist. Der Beschwerdeführer gab diesbezüglich auch explizit an, dass die Versorgung mit Grundnahrungsmittelung und Trinkwasser im Irak keine Schwierigkeit darstelle.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu A)

 

3.1. Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten:

 

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 65/2018 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention), droht.

 

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069 mwN).

 

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/19/0459). Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in seinem Heimatstaat Verfolgung zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233 mwN). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).

 

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183; 18.02.1999, Zl. 98/20/0468).

 

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

 

3.1.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, im Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist:

 

Im gegenständlichen Fall gelangt das Bundesverwaltungsgericht aus oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausführlich erörterten Gründen zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer keiner individuellen Verfolgung im Herkunftsstaat ausgesetzt war oder im Fall der Rückkehr ausgesetzt wäre, sodass internationaler Schutz nicht zu gewähren ist. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedenfalls nicht, um den Status des Asylberechtigten zu erhalten (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100).

 

Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt ist, ist davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer keine Verfolgung aus in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen droht. Bezüglich der Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder unruhebedingten Lebensbedingungen zurückzuführen sind, bleibt festzuhalten, dass diese keine Verfolgungshandlungen im Sinne des Asylgesetzes darstellen, da alle Bewohner gleichermaßen davon betroffen sind.

 

Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass bestehende schwierige Lebensumstände allgemeiner Natur hinzunehmen sind, weil das Asylrecht nicht die Aufgabe hat, vor allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die etwa in Folge des Krieges, Bürgerkrieges, Revolution oder sonstiger Unruhen entstehen, ein Standpunkt den beispielsweise auch das UNHCR-Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft in Punkt 164 einnimmt (VwGH 14.03.1995, Zl. 94/20/0798).

 

Eine Verfolgung des Beschwerdeführers im Sinne des Artikels 1 Abschnitt A Z 2 GFK liegt somit nicht vor und es braucht daher auf die Frage der Schutzwilligkeit und -fähigkeit der staatlichen Organe vor derartigen Bedrohungen sowie des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht mehr eingegangen werden.

 

Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist demgemäß nicht zu beanstanden und kommt der Beschwerde insoweit keine Berechtigung zu.

 

3.2. Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten:

 

3.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1) oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

Demgemäß hat das Bundesverwaltungsgericht zu prüfen, ob im Falle der Rückführung des Beschwerdeführers in den Irak Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde.

 

Bei der Prüfung und Zuerkennung von subsidiärem Schutz im Rahmen einer gebotenen Einzelfallprüfung sind zunächst konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zur Frage zu treffen, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein "real risk" einer gegen Art. 3 MRK verstoßenden Behandlung droht (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0174). Die dabei anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0236; VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0060 mwN). Zu berücksichtigen ist auch, ob solche exzeptionellen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet (VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0060 mwH).

 

Nach der ständigen Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Verwaltungsgerichtshofs obliegt es dabei grundsätzlich dem Beschwerdeführer, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos glaubhaft zu machen, dass ihm im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (EGMR U 05.09.2013, I. gegen Schweden, Nr. 61204/09; VwGH 18.03.2015, Ra 2015/01/0255; VwGH 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Die Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich das erkennende Gericht nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (etwa die familiäre, gesundheitliche oder finanzielle Situation), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht (VwGH 18.12.2002, Zl. 2002/18/0279). Der Antragsteller muss die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben schlüssig darstellen (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus, wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (EGMR U 17.10.1986, Kilic gegen Schweiz, Nr. 12364/86). So führt der EGMR aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller, Beweise zu beschaffen, dennoch ihm obliegt so weit als möglich Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht (EGMR U 05.07.2005, Said gegen Niederlande, 5.7.2005).

 

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen im Übrigen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141).

 

3.2.2. Unter "real risk" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (grundlegend VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; RV 952 BlgNR XXII. GP 37). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560). Die Feststellung einer Gefahrenlage im Sinn des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erfordert das Vorliegen einer konkreten, den Beschwerdeführer betreffenden, aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbaren Gefährdung bzw. Bedrohung. Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher ohne Hinzutreten besonderer Umstände, welche ihnen noch einen aktuellen Stellenwert geben, nicht geeignet, die begehrte Feststellung zu tragen (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011; 14.10.1998, Zl. 98/01/0122).

 

3.2.3. Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Ausweisung eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die betroffene Person im Falle seiner Ausweisung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden (vgl. EGMR U 08.04.2008, Nnyanzi gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 21878/06).

 

Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verletzt Art. 3 EMRK auch dann, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Fremde im Zielland gefoltert oder unmenschlich behandelt wird (VfSlg 13.314/1992; EGMR GK 07.07.1989, Soering gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 14038/88). Die Asylbehörde hat daher auch Umstände im Herkunftsstaat des Antragstellers zu berücksichtigen, wenn diese nicht in die unmittelbare Verantwortlichkeit Österreichs fallen. Als Ausgleich für diesen weiten Prüfungsansatz und der absoluten Geltung dieses Grundrechts reduziert der EGMR jedoch die Verantwortlichkeit des Staates (hier: Österreich) dahingehend, dass er für ein ausreichend reales Risiko für eine Verletzung des Art. 3 EMRK eingedenk des hohen Eingriffschwellenwertes dieser Fundamentalnorm strenge Kriterien heranzieht, wenn dem Beschwerdefall nicht die unmittelbare Verantwortung des Vertragsstaates für einen möglichen Schaden des Betroffenen zu Grunde liegt (EGMR U 04.07.2006, Karim gegen Schweden, Nr. 24171/05, U 03.05.2007, Goncharova/Alekseytev gegen Schweden, Nr. 31246/06).

 

3.2.4. Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinn des Art. 15 lit. c der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann überdies landesweit oder regional bestehen, er muss sich mithin nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (VG München 13.05.2016, M 4 K 16.30558).

 

Dabei ist zu überprüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende und damit allgemeine Gefahr in der Person des Beschwerdeführers so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Bedrohung darstellt. Eine allgemeine Gefahr kann sich insbesondere durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche Umstände können sich auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt muss ein so hohes Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH U. 17.02.2009, C-465/07 ). Ob eine Situation genereller Gewalt eine ausreichende Intensität erreicht, um eine reale Gefahr einer für das Leben oder die Person zu bewirken, ist insbesondere anhand folgender Kriterien zu beurteilen:

ob die Konfliktparteien Methoden und Taktiken anwenden, die die Gefahr ziviler Opfer erhöhen oder direkt auf Zivilisten gerichtet sind; ob diese Taktiken und Methoden weit verbreitet sind; ob die Kampfhandlungen lokal oder verbreitet stattfinden; schließlich die Zahl der getöteten, verwundeten und vertriebenen Zivilisten (EGRM U 28.06.2011, Sufi/Elmi gegen Vereinigtes Königreich, Nrn. 8319/07, 11449/07).

 

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwGH 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt jedoch nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; EGMR U 20.07.2010, N. gegen Schweden, Nr. 23505/09; U 13.10.2011, Husseini gegen Schweden, Nr. 10611/09). Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, zur Lage in Bagdad). Die bloße Möglichkeit einer den betreffenden Bestimmungen der EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht (VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427).

 

Im Hinblick der Gefahrendichte ist auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die der Beschwerdeführer typischerweise zurückkehren wird. Zur Feststellung der Gefahrendichte kann auf eine annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung zurückgegriffen werden. Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann (dt BVerwG 17.11.2011, 10 C 13/10).

 

3.2.5. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nicht gegeben sind:

 

Dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte.

 

Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

 

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt im Hinblick auf die Sicherheitslage in Bagdad nicht, dass Bagdad immer noch oftmals Schauplatz von Anschlägen und Gewaltakten ist und ausweislich der statistischen Daten zu den unsichereren Provinzen gehört. Der aktuellen Berichterstattung folgend gehen Anschläge in Bagdad in erster Linie vom Islamischen Staat aus und richten sich im Wesentlichen gegen die Zivilbevölkerung und staatliche Sicherheitskräfte. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts kann in Anbetracht der zu den Feststellungen zur Sicherheitslage im Irak dargestellten Gefahrendichte nicht erkannt werden, dass schon aufgrund der bloßen Präsenz des Beschwerdeführers in Bagdad davon ausgegangen werden muss, dass dieser wahrscheinlich das Opfer eines Anschlages werden würde (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137). Offene Kampfhandlungen finden in Bagdad im Übrigen nicht statt und ist die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle sowie der dabei getöteten Zivilisten im Zeitraum Jänner bis Juni 2017 und auch im ersten Halbjahr 2018 stetig (weiter) gesunken, sodass von einer weiteren Stabilisierung der Sicherheitslage ausgegangen werden kann, auch wenn sich zuletzt zum Jahreswechsel neuerlich zwei Anschlagsereignisse von gewisser Dimension ereigneten. Diesen steht jedoch die Bevölkerungsanzahl im Gouvernement Bagdad gegenüber, welche die reale Gefahr, dass gerade der Beschwerdeführer wahrscheinlich das Opfer eines Anschlages werden würde, ausschließt. Risikoerhöhende Umstände im Hinblick auf die Person des Beschwerdeführers wurden im Übrigen nicht vorgebracht und gehörte dieser auch nicht staatlichen Sicherheitskräften an.

 

Außerdem hat weder der Beschwerdeführer selbst ein substantiiertes Vorbringen im Sinn der vorstehend zitierten Rechtsprechung dahingehend erstattet, noch kann aus den allgemeinen Feststellungen zur Lage im Irak abgeleitet werden, dass der Beschwerdeführer alleine schon aufgrund seiner bloßen Anwesenheit in Bagdad mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer individuellen Gefährdung durch terroristische Anschläge oder auf kriminellen Motiven beruhenden Gewalttaten ausgesetzt wäre.

 

Es kann auch nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. hiezu grundlegend VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059), hat doch der Beschwerdeführer selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihm im Falle einer Rückführung in den Irak jegliche Existenzgrundlage fehlen würde und er in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre.

 

Der Beschwerdeführer ist ein junger, gesunder, arbeits- und anpassungsfähiger Mensch mit grundlegender Ausbildung in der Schule und Berufserfahrung im Herkunftsstaat als Maler und als Verkäufer. Die grundsätzliche Möglichkeit einer Teilnahme am Erwerbsleben kann in Ansehung des Beschwerdeführers vorausgesetzt werden, zumal dieser sein Auskommen im Irak mehrere Jahre durch eigene Erwerbstätigkeit bestritten hat.

 

Das Bundesverwaltungsgericht geht demnach davon aus, dass der Beschwerdeführer im Irak und dort in seiner Heimatstadt Bagdad grundsätzlich in der Lage sein wird, sich mit eigener Erwerbstätigkeit ein ausreichendes Einkommen zur Sicherstellung des eigenen Lebensunterhalts zu erwirtschaften. Ferner ist davon auszugehen, dass er bei Familienangehörigen Unterstützung durch Zurverfügungstellung von Wohnraum und Nahrung finden wird. Seine Mutter bewohnt nach wie vor das Haus der Familie, wo der Beschwerdeführer bereits vor der Ausreise Unterkunft nahm und das ihm demgemäß zur Befriedigung seiner Wohnbedürfnisse im Rückkehrfall wieder zur Verfügung steht. Da seine vier Brüder erwerbstätig sind, ist auch von entsprechender anfänglicher familiärer Unterstützung in Form der Zurverfügungstellung von Nahrungsmitteln auszugehend.

 

Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde, liegt ausweislich der getroffenen Feststellungen nicht vor. Soweit in den Feststellungen zur Lage im Irak abschnittsweise auf eine prekäre Versorgungssituation hingewiesen wird, ergibt sich aus den diesbezüglichen grafischen Darstellungen klar, dass diese Unzulänglichkeiten die zuletzt umkämpften und vormals unter der Kontrolle des Islamischen Staates stehenden Gebiete vorwiegend betreffen und nicht die Hauptstadt Bagdad bzw. die südlichen Gouvernements des Irak. Dass die Versorgungssituation in Bagdad an sich unzureichend sei, wurde im Übrigen nicht vorgebracht und diesbezügliche Schwierigkeiten vom Beschwerdeführer explizit verneint.

 

3.2.6. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in seinen Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden.

 

Weder droht ihm im Herkunftsstaat das reale Risiko einer Verletzung der oben genannten gewährleisteten Rechte, noch bestünde die Gefahr, der Todesstrafe unterzogen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen, sodass der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides zu Recht abgewiesen wurde.

 

3.3. Nichterteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung:

 

3.3.1. Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden nach Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Rechts des Beschwerdeführers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens in Österreich darstellt.

 

Das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt (VfSlg. 16928/2003).

 

Der Begriff des Familienlebens ist nicht nur auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein. Maßgebend sind etwa das Zusammenleben eines Paares, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder auf andere Weise (EGMR U 13.06.1979, Marckx gegen Belgien, Nr. 6833/74; GK 22.04.1997, X, Y u. Z gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 21830/93).

 

Der Beschwerdeführer unterhält im Bundesgebiet seit dem Monat Februar 2017 eine Beziehung zu einer österreichischen Staatsbürgerin. Er lebt mit dieser allerdings nicht im gemeinsamen Haushalt zusammen und es hat sich die Verbundenheit auch nicht durch gemeinsame Kinder manifestiert. Der Beschwerdeführer stellte keine beabsichtigte Eheschließung in den Raum und stellte sich nach Befragung seiner Freundin heraus, dass persönlicher Kontakt aufgrund ihres Universitätsstudiums in Graz nur am Wochenende besteht. Aufgrund dieser Umstände ist die eingegangene de facto Beziehung des Beschwerdeführers noch nicht als dermaßen enge Bindung anzusehen, die ein Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK begründen würde. Dessen ungeachtet ist die eingegangene Beziehung im Folgenden unter dem Gesichtspunkt eines Eingriffs in das Privatleben des Beschwerdeführers zu berücksichtigen.

 

3.3.2. Der Abwägung der öffentlichen Interessen gegenüber den Interessen eines Fremden an einem Verbleib in Österreich in dem Sinne, ob dieser Eingriff im Sinn des Art 8 Abs. 2 EMRK notwendig und verhältnismäßig ist, ist voranzustellen, dass die Rückkehrentscheidung jedenfalls der innerstaatlichen Rechtslage nach einen gesetzlich zulässigen Eingriff darstellt.

 

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Moustaquim ist eine Maßnahme dann in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, wenn sie einem dringenden sozialen Bedürfnis entspricht und zum verfolgten legitimen Ziel verhältnismäßig ist. Das bedeutet, dass die Interessen des Staates, insbesondere unter Berücksichtigung der Souveränität hinsichtlich der Einwanderungs- und Niederlassungspolitik, gegen jene des Berufungswerbers abzuwägen sind (EGMR U 18.02.1991, Moustaquim gegen Belgien, Nr. 12313/86).

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht davon aus, dass die Konvention kein Recht auf Aufenthalt in einem bestimmten Staat garantiert. Die Konventionsstaaten sind nach völkerrechtlichen Bestimmungen berechtigt, Einreise, Ausweisung und Aufenthalt von Fremden ihrer Kontrolle zu unterwerfen, soweit ihre vertraglichen Verpflichtungen dem nicht entgegenstehen (EGRM U 30.10.1991, Vilvarajah u.a. gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 13163/87).

 

Hinsichtlich der Abwägung der öffentlichen Interessen mit jenen des Berufungswerbers ist der Verfassungsgerichtshof der Auffassung, dass Asylwerber und sonstige Fremde nicht schlechthin gleichzusetzen sind. Asylwerber hätten regelmäßig ohne Geltendmachung von Asylgründen keine rechtliche Möglichkeit, legal nach Österreich einzureisen. Soweit die Einreise nicht ohnehin unter Umgehung der Grenzkontrolle oder mit einem Touristenvisum stattgefunden hat, ist Asylwerbern der Aufenthalt bloß erlaubt, weil sie einen Asylantrag gestellt und Asylgründe geltend gemacht haben. Sie dürfen zwar bis zur Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung weder zurückgewiesen, zurückgeschoben noch abgeschoben werden, ein über diesen faktischen Abschiebeschutz hinausgehendes Aufenthaltsrecht erlangen Asylwerber jedoch lediglich bei Zulassung ihres Asylverfahrens sowie bis zum rechtskräftigen Abschluss oder bis zur Einstellung des Verfahrens. Der Gesetzgeber beabsichtigt durch die zwingend vorgesehene Ausweisung von Asylwerbern eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung im Inland von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragstellung im Inland aufhalten durften, zu verhindern. Es kann dem Gesetzgeber nicht entgegengetreten werden, wenn er auf Grund dieser Besonderheit Asylwerber und andere Fremde unterschiedlich behandelt (VfSlg. 17.516/2005).

 

3.3.3. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat fallbezogen unterschiedliche Kriterien herausgearbeitet, die bei einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht (zur Maßgeblichkeit dieser Kriterien vgl. VfSlg. 18.223/2007).

 

Er hat etwa die Aufenthaltsdauer, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte keine fixen zeitlichen Vorgaben knüpft (EGMR U 31.1.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer gegen die Niederlande, Nr. 50435/99; U 16.9.2004, M. C. G. gegen Deutschland, Nr. 11.103/03), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR GK 28.05.1985, Abdulaziz, Cabales und Balkandali gegen Vereinigtes Königreich, Nrn. 9214/80, 9473/81, 9474/81; U 20.6.2002, Al-Nashif gegen Bulgarien, Nr. 50.963/99) und dessen Intensität (EGMR U 02.08.2001, Boultif gegen Schweiz, Nr. 54.273/00), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR U 04.10.2001, Adam gegen Deutschland, Nr. 43.359/98; GK 09.10.2003, Slivenko gegen Lettland, Nr. 48321/99; vgl. VwGH 5.7.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124), die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (EGMR U 11.04.2006, Useinov gegen Niederlande Nr. 61292/00) für maßgeblich erachtet.

 

Auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren - was bei einem bloß vorläufigen Aufenthaltsrecht während des Asylverfahrens jedenfalls als gegeben angenommen werden kann - ist bei der Abwägung in Betracht zu ziehen (EGMR U 24.11.1998, Mitchell gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 40.447/98; U 05.09.2000, Solomon gegen die Niederlande, Nr. 44.328/98; 31.1.2006, U 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer gegen die Niederlande, Nr. 50435/99).

 

Bereits vor Inkrafttreten des nunmehrigen § 9 Abs. 2 BFA-VG entwickelten die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts in den Erkenntnissen VfSlg. 18.224/2007 und VwGH 17.12.2007, Zl. 2006/01/0216 unter ausdrücklichen Bezug auf die Judikatur des EGMR nachstehende Leitlinien, welche im Rahmen der Interessensabwägung gem. Art. 8 Abs. 2 EMRK zu berücksichtigen sind. Nach der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist bei der Beurteilung, ob im Falle der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in das durch Art. 8 MRK geschützte Privat- und Familienleben des oder der Fremden eingegriffen wird, ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt (VwGH 28.04.2014, Ra 2014/18/0146-0149, mwN). Maßgeblich sind dabei die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, weiters der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert sowie die Bindungen zum Heimatstaat (VwGH 13.06.2016, Ra 2015/01/0255). Ferner sind nach der eingangs zitieren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie dies Verfassungsgerichtshofs die strafgerichtliche Unbescholtenheit aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht sowie Erfordernisse der öffentlichen Ordnung und schließlich die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, bei der Abwägung in Betracht zu ziehen.

 

Der Verfassungsgerichtshof hat sich bereits im Erkenntnis VfSlg. 19.203/2010 eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, unter welchen Umständen davon ausgegangen werden kann, dass das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthalts bewusst waren. Der Verfassungsgerichtshof stellt dazu fest, dass das Gewicht der Integration nicht allein deshalb als gemindert erachtet werden darf, weil ein stets unsicherer Aufenthalt des Betroffenen zugrunde liege, so dass eine Verletzung des Art. 8 EMRK durch die Ausweisung ausgeschlossen sei. Vielmehr müsse die handelnde Behörde sich dessen bewusst sein, dass es in der Verantwortung des Staates liegt, Voraussetzungen zu schaffen, um Verfahren effizient führen zu können und damit einhergehend prüfen, ob keine schuldhafte Verzögerungen eingetreten sind, die in der Sphäre des Betroffenen liegen (vgl. auch VfSlg. 19.357/2011).

 

Das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration ist weiter dann gemindert, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf einen unberechtigten Asylantrag zurückzuführen ist (VwGH 26.6.2007, Zl. 2007/01/0479 mwN). Beruht der bisherige Aufenthalt auf rechtsmissbräuchlichem Verhalten wie insbesondere bei Vortäuschung eines Asylgrundes, relativiert dies die ableitbaren Interessen des Asylwerbers wesentlich (VwGH 2.10.1996, Zl. 95/21/0169; 28.06.2007, Zl. 2006/21/0114; VwGH 20.12.2007, 2006/21/0168).

 

Bei der Abwägung der Interessen ist auch zu berücksichtigen, dass es dem Beschwerdeführer bei der asylrechtlichen Ausweisung nicht verwehrt ist, bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen wieder in das Bundesgebiet zurückzukehren. Es wird dadurch nur jener Zustand hergestellt, der bestünde, wenn er sich rechtmäßig (hinsichtlich der Zuwanderung) verhalten hätte und wird dadurch lediglich anderen Fremden gleichgestellt, welche ebenfalls gemäß dem Grundsatz der Auslandsantragsstellung ihren Antrag nach den fremdenpolizeilichen bzw. niederlassungsrechtlichen Bestimmungen vom Ausland aus stellen müssen und die Entscheidung der zuständigen österreichischen Behörde dort abzuwarten haben.

 

Die Schaffung eines Ordnungssystems, mit dem die Einreise und der Aufenthalt von Fremden geregelt werden, ist auch im Lichte der Entwicklungen auf europäischer Ebene notwendig. Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung nach Art 8 Abs. 2 EMRK daher ein hoher Stellenwert zu (VfSlg. 18.223/2007; VwGH 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251).

 

Die öffentliche Ordnung, hier im Besonderen das Interesse an einer geordneten Zuwanderung, erfordert es daher, dass Fremde, die nach Österreich einwandern wollen, die dabei zu beachtenden Vorschriften einhalten. Die öffentliche Ordnung wird etwa beeinträchtigt, wenn einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, sich unerlaubt nach Österreich begeben, um damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Die Ausweisung kann in solchen Fällen trotz eines vielleicht damit verbundenen Eingriffs in das Privatleben und Familienleben erforderlich sein, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte (VwGH 21.2.1996, Zl. 95/21/1256). Dies insbesondere auch deshalb, weil als allgemein anerkannter Rechtsgrundsatz gilt, dass aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen. (VwGH 11.12.2003, Zl. 2003/07/0007). Der VwGH hat weiters festgestellt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190).

 

Die geordnete Zuwanderung von Fremden ist auch für das wirtschaftliche Wohl des Landes von besonderer Bedeutung, da diese sowohl für den sensiblen Arbeitsmarkt als auch für das Sozialsystem gravierende Auswirkung hat. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass insbesondere nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältige Fremde, welche daher auch über keine arbeitsrechtliche Berechtigung verfügen, die reale Gefahr besteht, dass sie zur Finanzierung ihres Lebensunterhaltes auf den inoffiziellen Arbeitsmarkt drängen, was wiederum erhebliche Auswirkungen auf den offiziellen Arbeitsmarkt, das Sozialsystem und damit auf das wirtschaftliche Wohl des Landes hat.

 

3.3.4. In Abwägung der gemäß Art. 8 EMRK maßgeblichen Umstände in Ansehung des Beschwerdeführers ergibt sich für den gegenständlichen Fall Folgendes:

 

Der Beschwerdeführer reiste am 30.04.2015 rechtswidrig in das Bundesgebiet ein und stellte in der Folge einen Antrag auf internationalen Schutz. Er ist seither als Asylwerber in Österreich aufhältig. Das Gewicht des sohin erst noch nicht einmal dreieinhalbjährigen faktischen Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich ist noch dadurch abgeschwächt, dass der Beschwerdeführer seinen Aufenthalt durch einen unberechtigten Antrag auf internationalen Schutz zu legalisieren versuchte, er konnte alleine durch die Stellung seines Antrags jedoch nicht begründeter Weise von der zukünftigen dauerhaften Legalisierung seines Aufenthalts ausgehen. Einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren kommt im Übrigen ohne dem Dazutreten weiterer maßgeblicher Umstände nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zu (VwGH 15.03.2016, Ra 2016/19/0031 mwN). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, weil - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist. Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, Zl. 2007/10/0479, davon aus, dass der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte.

 

Der Beschwerdeführer hat hierorts keine belegten Anknüpfungspunkte in Form einer legalen Erwerbstätigkeit oder anderweitiger maßgeblicher wirtschaftlicher Interessen und ist zum Entscheidungszeitpunkt zur Sicherstellung seines Auskommens auf Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber angewiesen. Der Beschwerdeführer hat zudem weder eine bestimmte Erwerbstätigkeit in Aussicht noch verfügt er über eine diesbezügliche verbindliche Einstellungszusage. Ihm wurde zwar eine Tätigkeit in einem Kaffeehaus bzw. eine nicht näher konkretisierte handwerkliche Tätigkeit in Aussicht gestellt, der Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit ist damit jedoch keineswegs gewiss, zumal der Beschwerdeführer nicht einmal seine präsumtiven Arbeitgeber namentlich nennen konnte. Zugunsten des Beschwerdeführers ist freilich zu berücksichtigen, dass er gemeinnützige Arbeiten leistete und auch in seiner Unterkunft Reinigungsleistungen erbringt.

 

Der Beschwerdeführer besuchte zwar Deutschkurse, zuletzt auf dem Niveau A1, hat jedoch keine Prüfungen absolviert. Der Spracherwerb und der tatsächliche Wille, die deutsche Sprache zu erlernen, stellen zweifellos ein wesentliches Kriterium bei der Beurteilung der Integration in Österreich dar. Die gesamte Stufe "A" (A1 und A2) bezieht sich nach dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichts allerdings auf den Standard der elementaren Sprachverwendung und reichen die derartigen Ausbaustufen aber bis zum Stand "C2", welcher einer nahezu muttersprachlichen Verwendung der jeweiligen Sprache - hier Deutsch - gleichkommt. Ausgehend davon wird mit der Absolvierung eines Kurses auf dem Niveau A1 nach mehr als drei Jahren Aufenthalt kein erwähnenswertes Engagement beim Spracherwerb dargetan. Da der Beschwerdeführer keine Prüfungen absolvierte und demgemäß präsumtiven Arbeitgebern auch keine diesbezüglichen Zeugnisse präsentieren kann, ist eine gewisse Gleichgültigkeit im Hinblick auf die Existenzbegründung im Bundesgebiet erkennbar.

 

Darüber hinaus verfügt der Beschwerdeführer über soziale Kontakte im festgestellten Umfang. Er ist für keine Person im Bundesgebiet sorgepflichtig und hat hier keine Verwandten. Der Beschwerdeführer ist am Fußballspiel interessiert, er ist dem Fußballverein Rapid XXXX im Mai 2015 beigetreten und trainiert dort.

 

Demgegenüber verbrachte der Beschwerdeführer den weitaus überwiegenden Teil seines Lebens im Herkunftsstaat, wurde dort sozialisiert und spricht die Mehrheitssprache seiner Herkunftsregion auf muttersprachlichem Niveau. Ebenso war festzustellen, dass er dort über Bezugspersonen in Form seiner gesamten Kernfamilie - seiner Mutter, den vier Schwestern und vier Brüdern - verfügt. Es deutete daher nichts darauf hin, dass es dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren. Aufgrund der Präsenz von nahen Angehörigen im Herkunftsstaat ist auch gegenwärtig von starken Bindungen zu diesem auszugehen, wobei eine Existenzgrundlage des Beschwerdeführers bereits vorstehend bejaht wurde (siehe dazu die Ausführungen unter Punkt 2.7, vgl. VwGH 31.08.2017, Ra 2016/21/0296, zur Maßgeblichkeit der Bindungen zum Herkunftsstaat vgl. auch VwGH 22.02.2011, Zl. 2010/18/0323).

 

Die Feststellung der strafrechtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers stellt der Judikatur folgend weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen dar (VwGH 21.1.1999, Zl. 98/18/0420).

 

Im gegenständlichen Verfahren ist insgesamt keine unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer festzustellen, die den zuständigen Behörden zur Last zu legen wäre (vgl. hiezu auch VwGH 24.05.2016, Ro 2016/01/0001).

 

Der sohin grundsätzlich schwachen Rechtsposition des Beschwerdeführers im Hinblick auf einen weiteren Verbleib in Österreich stehen die öffentlichen Interessen des Schutzes der öffentlichen Ordnung, insbesondere in Form der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen, sowie des wirtschaftlichen Wohles des Landes gegenüber. Auch wenn der Beschwerdeführer über soziale Kontakte verfügt und Fußball spielt, stehen dem die insgesamt vertretbare Verfahrensdauer, die unberechtigte Antragstellung, die unrechtmäßige Einreise und der erst kurze Aufenthalt im Bundesgebiet, währenddessen sich der Beschwerdeführer - insbesondere nach Erhalt des angefochtenen Bescheides - der Ungewissheit seines weiteren Verbleibes im Bundesgebiet bewusst gewesen sein musste. Ferner lässt der Beschwerdeführer kein erwähnenswertes Engagement beim Spracherwerb erkennen. Auch sind ernsthafte Bemühungen des Beschwerdeführers, rasch in das Erwerbsleben eintreten zu können, im Verfahren nicht zu Tage getreten.

 

Ergänzend zu den vorstehend in Betracht gezogenen Gesichtspunkten des Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ist - wie eingangs erwähnt - von einem schützenswerten Privatleben des Beschwerdeführers im Bundesgebiet aufgrund der eingegangenen Beziehung auszugehen. In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen verbleibt dieses Privatleben des Beschwerdeführers als einziger berechtigter Anknüpfungspunkt des Beschwerdeführers für einen weiteren Verbleib im Bundesgebiet. Da sonst keine integrationsbegründenden Umstände festgestellt und anderweitige unter dem Gesichtspunkt des § 9 BFA-VG maßgebliche Interessen des Beschwerdeführers nicht vorliegen, vermögen die individuellen Interessen des Beschwerdeführers selbst unter Berücksichtigung seines Privatlebens die angeführten öffentlichen Interessen nicht zu überwiegen, wobei entscheidend ist, dass in Anbetracht mangelnden Verbundenheit durch einen gemeinsamen Wohnsitz sowie in Ermangelung gemeinsamer Kinder noch nicht von einem engen Verhältnis des Beschwerdeführers zu seiner Freundin auszugehen ist. Der Beschwerdeführer selbst brachte auch keine dahingehenden Pläne für die Zukunft vor und bemühte sich - obwohl seine Freundin das wünscht - auch nicht um eine Verlegung an den Studienort seiner Freundin.

 

Der Europäische Gerichtshof betont in diesem Zusammenhang, dass bei der Abwägung in Betracht zu ziehen ist, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren - was bei einem bloß vorläufigen Aufenthaltsrecht während des Asylverfahrens jedenfalls als gegeben angenommen werden kann (EGMR U 24.11.1998, Mitchell gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 40.447/98; U 05.09.2000, Solomon gegen die Niederlande, Nr. 44.328/98; 31.1.2006, U 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer gegen die Niederlande, Nr. 50435/99).

 

Nach der zitierten Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist bei der Bewertung der Zulässigkeit des Eingriffs in familiäre und private Beziehungen darauf zu achten, ob die vorhandenen Familienbande zu Staatsbürgern des Aufenthaltsstaates während einer rechtmäßigen Niederlassung des Fremden begründet wurden oder nicht und ob sich im Fall einer Unrechtmäßigkeit der Niederlassung der Fremde dieser der Unsicherheit seines weiteren rechtlichen Schicksals bewusst sein musste (VwGH 31.03.2008, Zl. 2007/18/0483 mwN). Werden die Familienbande zu einem Zeitpunkt begründet, in dem der Fremde im Inland weder rechtmäßig niedergelassen war, noch mit einer Bewilligung seiner Niederlassung rechnen konnte, so erfahren die aus der familiären Bindung abzuleitenden persönlichen Interessen des Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet eine wesentliche, die Interessenabwägung nachteilig beeinflussende Minderung (VwGH 27.02.2003, Zl. 2002/18/0207). In Ansehung des Beschwerdeführers wurde die Beziehung des Beschwerdeführers zu einem Zeitpunkt begründet, in dem sich der Beschwerdeführer im laufenden Asylverfahren befand und er sich demgemäß der Unsicherheit seines weiteren rechtlichen Schicksals bewusst gewesen sein musste. Ausgehend davon erfährt das von der eingegangenen Bindung abzuleitende persönliche Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet im Sinn der zitierten Rechtsprechung eine wesentliche, die Interessenabwägung nachteilig beeinflussende Minderung und vermag bei einer Gesamtwürdigung das bereits erörterte öffentliche Interesse an einer Außerlandesbringung nach Abschluss des asylrechtlichen Verfahrens und der Einhaltung der aufenthalts- und fremdenrechtlichen Bestimmungen nicht aufzuwiegen. Die Frage der allfälligen Zumutbarkeit einer Fortsetzung der Beziehung im Herkunftsstaat ist bei diesem Ergebnis nicht mehr von Bedeutung.

 

Bei der Abwägung der Interessen ist auch zu berücksichtigen, dass es dem Beschwerdeführer nicht verwehrt ist, bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen wieder in das Bundesgebiet zurückzukehren - etwa durch die Erlangung eines Aufenthaltstitels als Familienangehöriger - und dermaßen einen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet bei seiner Freundin nach einer Eheschließung im Wege einer rechtmäßigen Einreise herbeizuführen. Es wird dadurch nur jener Zustand hergestellt, der bestünde, wenn er sich rechtmäßig (hinsichtlich der Zuwanderung) verhalten hätte und wird dadurch lediglich anderen Fremden gleichgestellt, welche ebenfalls gemäß dem Grundsatz der Auslandsantragsstellung ihren Antrag nach den fremdenpolizeilichen bzw. niederlassungsrechtlichen Bestimmungen vom Ausland aus stellen müssen und die Entscheidung der zuständigen österreichischen Behörde dort abzuwarten haben.

 

Soweit der Beschwerdeführer über private Bindungen in Österreich verfügt, ist außerdem darauf hinzuweisen, dass diese zwar durch eine Rückkehr in den Irak gelockert werden, es deutet jedoch nichts darauf hin, dass der Beschwerdeführer hierdurch gezwungen wäre, den Kontakt zu jenen Personen, die ihm in Österreich nahestehen, oder zu seiner Freundin, gänzlich abzubrechen. Auch hier steht es ihm frei, die Kontakte anderweitig (telefonisch, elektronisch, brieflich, durch gemeinsame Urlaubsaufenthalte etc.) aufrecht zu erhalten.

 

Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes würde es ferner einen Wertungswiderspruch und eine sachlich nicht gerechtfertigte Schlechterstellung von Fremden, die die fremdenrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen beachten, darstellen, zumal diese letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, die ihren Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich durch ihre illegale Einreise und durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages erzwingen, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (zum allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen VwGH 11.12.2003, Zl. 2003/07/0007; vgl. dazu auch VfSlg. 19.086/2010, in dem der Verfassungsgerichtshof auf dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Bezug nimmt und in diesem Zusammenhang explizit erklärt, dass eine andere Auffassung sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen würde). Dem Beschwerdeführer steht es ferner - wie bereits angesprochen - frei, sich um einen weiteren rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet zu bemühen und die dafür gesetzlich vorgesehenen Aufenthaltstitel zu beantragen.

 

Im Rahmen einer Abwägung dieser Fakten anhand des Art. 8 Abs. 2 EMRK sowie nach Maßgabe der im Sinne des § 9 BFA-VG angeführten Kriterien gelangt das Bundesverwaltungsgericht - wie bereits das belangte Bundesamt - zum Ergebnis, dass die individuellen Interessen des Beschwerdeführers im Sinn des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht so ausgeprägt sind, dass sie insbesondere das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung nach Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und der Einhaltung der österreichischen aufenthalts- und fremdenrechtlichen Bestimmungen überwiegen.

 

3.3.5. Wird ein Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, ist gemäß § 58 Abs. 1 Z. 2 AsylG 2005 die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen. Über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung ist gemäß § 58 Abs. 3 AsylG 2005 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen. § 10 Abs. 1 AsylG 2005 sieht ferner vor, dass eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz dann mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden ist, wenn etwa - wie hier - der Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze abgewiesen wird (Z. 3 leg. cit.) und von Amts wegen kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 erteilt wird. Die Rückkehrentscheidung setzt daher eine vorangehende Klärung der Frage voraus, ob ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 erteilt wird.

 

Im Ermittlungsverfahren sind keine Umstände zu Tage getreten, welche auf eine Verwirklichung der in § 57 Abs. 1 AsylG 2005 alternativ genannten Tatbestände hindeuten würden, insbesondere wurde vom Beschwerdeführer selbst nichts dahingehend dargetan. Dem Beschwerdeführer ist daher kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen.

 

3.3.6. Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 iVm § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG wider den Beschwerdeführer keine gesetzlich normierten Hindernisse entgegenstehen.

 

3.3.7. Die belangte Behörde hat in ihrer Entscheidung im Übrigen zutreffend festgestellt, dass eine Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zu unterbleiben hat. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 12.11.2015, Zl. Ra 2015/21/0101, dargelegt hat, bietet das Gesetz keine Grundlage dafür, in Fällen, in denen - wie hier - eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 FPG erlassen wird, darüber hinaus noch von Amts wegen negativ über eine Titelerteilung nach § 55 AsylG 2005 abzusprechen.

 

4. Schließlich sind im Hinblick auf §§ 52 Abs. 9 iVm 50 FPG und die dazu oben getroffenen länderkundlichen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak unzulässig wäre.

 

5. Die festgelegte Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung ergibt sich zwingend aus § 55 Abs. 2 erster Satz FPG. Dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen würden, wurde nicht vorgebracht. Die eingeräumte Frist ist angemessen und es wurde diesbezüglich auch in der Beschwerdeschrift kein Vorbringen erstattet.

 

6. Der angefochtene Bescheid erweist sich ob der vorstehenden Ausführungen als rechtsrichtig, sodass die dagegen erhobene Beschwerde in vollem Umfang als unbegründet abzuweisen ist.

 

Zu B)

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, vorstehend im Einzelnen zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Gewährung von internationalem Schutz ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das zur Entscheidung berufene Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, insbesondere zum Erfordernis der Glaubhaftmachung der vorgebrachten Gründe, zum Flüchtlingsbegriff, zum Refoulementschutz und zum durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf ein Privat- und Familienleben abgeht.

 

Ebenso wird zu diesen Themen keine Rechtssache, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, erörtert. In Bezug auf die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides liegt das Schwergewicht zudem in Fragen der Beweiswürdigung.

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