OLG Wien 34R100/14x

OLG Wien34R100/14x10.9.2014

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht ***** wegen des Widerspruchs gegen die Marke AT 261.664 über den Rekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss der Rechtsabteilung des Patentamts vom 28.1.2014, WM 123/2011‑7, in nicht öffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OLG0009:2014:03400R00100.14X.0910.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidung der Rechtsabteilung des Patentamts wird geändert und lautet:

«Der Widerspruch gegen die Marke AT 261.664 wird abgewiesen.»

Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000,--.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

 

Begründung

Die Antragstellerin widersprach der Wortbildmarke (angegriffene Marke) AT 261.664 (veröffentlicht am 20.5.2011):

deren Eintragung die Antragsgegnerin beantragt hatte und die für folgende Warenklassen eingetragen wurde:

18 Leder und Lederimitationen sowie Waren daraus, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind; Reise- und Handkoffer, Regenschirme, Sonnenschirme, Spazierstöcke, Schuhsäcke und Schuhbeutel;

24 Webstoffe und Textilwaren, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind; sowie

25 Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen, einschließlich Stiefel und Hausschuhe.

Die Antragstellerin berief sich dabei auf ihre Wortmarke IR 513.595 (registriert 31.7.1987)

ICE,

eingetragen für die Warenklassen

3 Préparations pour blanchir et autres substances pour lessiver; préparations pour nettoyer, polir, dégraisser et abraser; savons; parfumerie, huiles essentielles, cosmétiques, lotions pour les cheveux; dentifrices;

18 Cuir et imitations du cuir, produits en ces matières non compris dans d'autres classes; peaux d'animaux; malles et valises; parapluies, parasols et cannes; fouets et sellerie) sowie

25 Vêtements, chaussures, chapellerie,

(wobei sie den Widerspruch nur auf die Klassen 18 und 25 stützte).

Ihre Marke und das angegriffene Zeichen seien hinsichtlich des Wortelementes ICE identisch, ihre Marke sei zur Gänze in der angegriffenen Marke enthalten. Da zudem teilweise Warenidentität oder zumindest eine diesbezügliche hochgradige Ähnlichkeit vorliege, bestehe Verwechslungsgefahr.

Die Antragsgegnerin bestritt in ihrer fristgerechten Äußerung vom 24.11.2011 (ON 4) die Verwechselbarkeit und erhob die Einrede der mangelnden Benutzung der Widerspruchsmarke gemäß § 29b Abs 1 zweiter Satz MSchG.

In Erwiderung darauf erstattete die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 14.2.2012 (ON 5) Vorbringen zur Benutzung der Marke ICE, insbesondere auch zu den in Österreich in den Jahren 2008 bis 2011 erzielten Umsätzen, legte zum Nachweis Urkunden und Augenscheinsgegenstände vor (Beilagen ./A bis ./E) und bot „falls erforderlich“ auch eine eidesstättige Erklärung an.

Noch vor der Fassung des erstinstanzlichen Beschlusses nahm die Antragsgegnerin mit einem weiteren Schriftsatz vom 23.4.2012 (ON 6) zu den vorgelegten Bescheinigungsmitteln Stellung. Sie behauptete, die Antragstellerin sei auch Inhaberin weiterer Marken wie „ICE ICBERG“, „ICEBERG“ und vieler anderer mit „ICE“ gebildeter, zusammengesetzter Zeichen („ICEBAG“, „ICEWATCHES“, „ICESHOES“, „ICEDESIGN“, „ICE ICE ICEBERG“, „ICE B ICEBERG“). Entgegen den Behauptungen der Antragstellerin könne aus der Benutzung dieser Marken für jene der „eigentlichen“ Widerspruchsmarke nichts gewonnen werden. So gelinge der Widersprechenden der Nachweis der Benutzung nicht, bezögen sich doch anscheinend nur wenige der übermittelten Unterlagen auf die Widerspruchsmarke.

Das Patentamt räumte der Antragstellerin zu diesem Vorbringen keine Äußerungsmöglichkeit mehr ein, sondern veranlasste die Zustellung dieses Schriftsatzes erst gemeinsam mit dem angefochtenen Beschluss, mit dem es dem Widerspruch stattgab.

Es stellte den Zeitpunkt der Veröffentlichung des angegriffenen Zeichens mit 20.5.2011 fest und ermittelte davon ausgehend den Beginn der Fünfjahresfrist des § 29 Abs 3 erster Satz MSchG mit dem 20.5.2006. Es führte – soweit für das Rekursverfahren von Relevanz – aus, dass bei den vorgelegten Katalogen und Werbeeinschaltungen nicht festgestellt werden könne, von welcher Zeit sie stammten. Auszüge aus der Homepage stammten vom 19.7.2011 und damit nicht aus dem relevanten Zeitraum. Die Antragstellerin habe im Zeitraum von 23.6.2008 bis 4.3.2011 an drei Händler in Seefeld, Kitzbühel und Prellenkirchen Waren um einen Gesamtpreis von EUR 10.190,-- geliefert, und zwar Shirts, Mützen, Taschen, Jacken, Gürtel und Geldbörsen. Die Bekleidungsstücke und Taschen würden teilweise unter dem Wort „ICE“ auch das Wort „ICEBERG“ tragen, dies jedoch nur halb so groß.

Zur Beweiswürdigung führte das Patentamt aus, dass nur in Bezug auf „Schuhwaren“ eine ernsthafte markenmäßige Benutzung nicht glaubhaft gemacht worden sei. Rechtlich vertrat es zu diesem von ihm angenommenen Sachverhaltsteil die Auffassung, § 10a MSchG regle, dass der Benutzung der Marke die Benutzung in einer Form, die von der Eintragung nur in Bestandteilen abweiche, ohne dass dadurch die Unterscheidungskraft beeinflusst würde, gleichstehe, und bejahte daher die ernsthafte Benutzung von ICE.

Dagegen richtet sich der Rekurs der Antragsgegnerin aus den Rekursgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der „unrichtigen Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung“ und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Beantragt wird, den Beschluss dahin abzuändern, dass der Widerspruch zur Gänze abgewiesen werde.

In ihrer Rekursbeantwortung verneint die Antragstellerin das Vorliegen der geltend gemachten Rekursgründe und beantragt, den Rekurs „abzuweisen“.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

1. Aus systematischen Gründen ist zunächst die Behandlung der Rechtsrüge voranzustellen.

1.1. Die Rekurswerberin beanstandet die im Zusammenhang mit der Frage des Benutzungsnachweises geäußerte Rechtsansicht des Patentamts, wonach das Wort „ICEBERG“ eine nur untergeordnete Rolle einnehme. Neuerlich weist die Antragsgegnerin wie auch schon im erstinstanzlichen Verfahren darauf hin, dass die Antragstellerin auf die weiters zu ihren Gunsten registrierten Marken „ICE ICEBERG“ und „ICEBERG“ zurückgreife und zudem Inhaberin von über 30 verschiedenen Marken sei, die alle den Wortteil „ICE“ enthielten.

1.2. Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei diesen Ausführungen im angefochtenen Beschluss um Rechtsausführungen oder um beweiswürdigende Erwägungen der Rechtsabteilung handelt, weil infolge einer gesetzmäßig ausgeführten Rechtsrüge die rechtliche Beurteilung der Behörde erster Instanz grundsätzlich allseitig zu prüfen ist (RIS-Justiz RS0043352; Kodek in Rechberger, ZPO4 § 471 Rz 9).

1.3. Die durch das Europarecht und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs determinierten Grundsätze des Nachweises der Benutzung lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

Eine Marke wird ernsthaft benutzt, wenn sie entsprechend ihrer Hauptfunktion – die Ursprungsidentität der Waren oder Dienstleistungen zu garantieren, für die sie eingetragen wurde – benutzt wird, um für diese Waren und Dienstleistungen einen Absatzmarkt zu erschließen oder zu sichern (EuGH C‑40/01 – Ansul; 17 Ob 11/08d – BUZZ!; RIS-Justiz RS0123519; Om 8/11 – WEG). Nur eine kennzeichenmäßige Benutzung kann daher rechtserhaltend sein. Sie liegt vor, wenn im geschäftlichen Verkehr eine wörtliche oder bildliche Bezeichnung zur Kennzeichnung einer Ware oder Dienstleistung oder in Bezug auf sie so gebraucht wird, dass der durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher der betreffenden Waren- oder Dienstleistungsart (zum Beurteilungsmaßstab EuGH C‑342/97 – Lloyd) annimmt oder annehmen kann, das Zeichen diene der Unterscheidung der Waren oder Dienstleistungen von gleichen oder gleichartigen Waren oder Dienstleistungen anderer Herkunft (4 Ob 391/84 – Ford-Spezialwerkstätte; 4 Ob 79/06f – Smiley; 4 Ob 134/06v – BUZZ!; 17 Ob 1/08h – Feeling/Feel; RIS-Justiz RS0066671; Beetz in Kucsko/Schumacher, marken.schutz2 § 33a Rz 27 ff). Dieses Zeichen muss daher als Herkunftshinweis für das damit beworbene Produkt verstanden werden (BGH I ZR 293/02 = GRUR 2005, 1047 – OTTO; I ZR 167/05 = GRUR 2009, 60, Rz 19 – LOTTOCARD; Om 2/10 – Flügerl).

Die Frage, ob eine Benutzung mengenmäßig ausreicht, um Marktanteile für die durch die Marke geschützten Waren oder Dienstleistungen zu behalten oder hinzuzugewinnen, hängt von mehreren Faktoren und von einer Einzelfallbeurteilung ab. Dabei sind die Merkmale der Waren oder Dienstleistungen, die Häufigkeit und die Regelmäßigkeit der Benutzung der Marke, die Frage, ob die Marke benutzt wird, um alle identischen Waren oder Dienstleistungen des Markeninhabers oder nur manche von diesen zu vermarkten, oder auch die Beweise über die Benutzung der Marke, die der Inhaber vorlegen kann, zu berücksichtigen. Es gibt kein Mindestmaß einer Benutzung; selbst eine geringfügige, aber wirtschaftlich tatsächlich gerechtfertigte Benutzung kann ausreichen, um die Ernsthaftigkeit zu belegen (EuGH C‑416/04 P , Slg 2006 I‑4237 – Vitafruit; Om 14/06 – Dreher; Om 4/09 – Sallaki; Om 10/10 – Nuke mwN).

Auch eine mengenmäßig geringfügige Benutzung kann ernsthaft sein, wenn sie im betreffenden Wirtschaftszweig als gerechtfertigt angesehen wird, um Marktanteile zu behalten oder zu gewinnen (EuGH C‑259/02 – La Mer Technology; EuGH C‑416/04 P – Sunrider, Rn 72). Die Größe des Vertriebsgebietes ist dabei nur einer der zu berücksichtigenden Faktoren (EuGH C‑416/04 P – Sunrider, Rn 76). Auch die Eigenschaften des Markts, die einen unmittelbaren Einfluss auf die kaufmännische Strategie des Markeninhabers haben können, können dabei herangezogen werden (EuGH C‑259/02 – La Mer Technology, Rn 3; Om 10/10 – Nuke; Om 11/09 – BT). Letztlich ist auch zu unterscheiden, ob die Marke zur Kennzeichnung von Massenartikeln oder von Nischenprodukten verwendet wird (Om 11/09 – BT).

Im Zweifel sind aber keine hohen Anforderungen an den Gebrauch der Marke zu stellen, (Om 3/11 – Jones; Om 5/10 – Coolwater; RIS-Justiz RS0066797 [das Löschungsverfahren betreffend]).

1.4. Dass der Verkauf möglicherweise nicht nur unter der registrierten Marke, sondern unter abgewandelten Zeichen (§ 33a Abs 4 MSchG) erfolgt, schadet der rechtserhaltenden Benutzung einer Marke nicht von vornherein: Die Marke muss jedoch auch in der tatsächlich benutzten (erweiterten) Form eindeutig das die Herkunft aus einem bestimmten Unternehmen kennzeichnende Element bilden (4 Ob 119/06p = RIS-Justiz RS0121289 – SIERRA Tequila; Om 1/91 = PBl 1991, 193 – ALPO/ALPOFLEX; Om 10/07 – Rothmans; Om 13/10 – Goudina [Gestaltungsspielraum]).

1.5. Tatsächlich stellt sich bei jenen Waren, die im Beobachtungszeitraum mit verschiedenen Marken der Antragstellerin – und damit nicht ausschließlich mit der Widerspruchsmarke ICE – gekennzeichnet gewesen sein könnten, nach dem im Verfahren erster Instanz bisher unberücksichtigten Vorbringen der Antragsgegnerin unter Umständen das Problem der Mehrfachkennzeichnung, also des Gebrauchs mehrerer Marken auf der selben Ware. Es kommt in solchen Fällen darauf an, ob das abweichend benutzte Zeichen vom Verkehr bei und trotz der Wahrnehmung der Unterschiede dem Gesamteindruck nach noch mit der eingetragenen Marke gleichgesetzt wird (Om 3/11 – Jones). Das setzt voraus, dass der Verkehr den (weggelassenen oder) hinzugefügten Bestandteilen (hier: –BERG oder ICEBERG [jeweils zu ICE]) keine maßgebende eigene kennzeichnende Wirkung beimisst (4 Ob 119/06p = RIS-Justiz RS0121289; Beetz in Kucsko/Schumacher, marken.schutz2 § 33a Rz 80 ff).

Wenn der hinzugefügte Markenbestandteil als eigenständiges Kennzeichen wahrgenommen wird, liegt eine sog Mehrfachkennzeichnung vor und die registrierte Marke ist rechtserhaltend benutzt. Kennzeichnen daher mehrere Marken die selbe Ware, so ist in solchen Fällen von einem kennzeichnungsmäßigen Gebrauch sämtlicher Marken auszugehen, es sei denn eine Marke würde vollständig (etwa wegen ihrer Kleinheit oder bei – unüblicher – Verwendung der Marke nur auf der Rückseite der Ware) in den Hintergrund treten (Om 13/07 = PBl 2008, 168 – Völkl [zur Dachmarke]; Om 3/02 = PBl 2002, 180 – Spitz, unter Verweis auf Gräser, Der "Gebrauchszwang" im Markenrecht, ÖBl 1982, 109; Beetz in Kucsko/Schumacher, marken.schutz2 § 33a Rz 84 mwN; Ingerl/Rohnke, MarkenG³ § 26 Rz 137 f; Ströbele in Ströbele/Hacker, MarkenG10 § 26 Rz 135 f).

1.6. Der Markeninhaber kann sich nach dem Europäischen Gerichtshof zum Nachweis der Benutzung auch darauf berufen, dass die Marke in einer von ihrer Eintragung abweichenden Form benutzt wird, ohne dass die Unterschiede zwischen diesen beiden Formen die Unterscheidungskraft der Marke beeinflussen, und zwar ungeachtet dessen, dass die abweichende Form ihrerseits als Marke eingetragen ist (EuGH C‑553/11 – Proti, Rn 30 [in Weiterentwicklung von C‑234/06 P – Bainbridge, Rn 83]; BGH I ZR 84/09 – Proti II; zur Kritik an EuGH C‑234/06 P vgl etwa Koppensteiner, Markenrecht4 139; differenzierend Ströbele in Ströbele/Hacker, MarkenG10 § 26 Rz 171 ff, Ingerl/Rohnke, MarkenG³ § 26 Rz 197).

1.7. Im Zusammenhang mit der Feststellung, dass eine Benutzung von ICE für „Schuhwaren“ nicht bescheinigt worden sei, rügt der Rekurs eine Unvereinbarkeit (Pkt 3.2.) und argumentiert, dass diese jedenfalls zu berücksichtigen und insoweit der Widerspruch konsequenterweise abzuweisen gewesen wäre.

Die Antragsgegnerin entfernt sich mit diesen Ausführungen allerdings vom bindend festgestellten Sachverhalt: Es steht unbekämpft fest (Beschluss, S 5), dass Schuhwaren dem selben Zweck wie Bekleidungsstücke dienen und daher von einer Ähnlichkeit dieser Waren auszugehen ist (siehe in rechtlicher Hinsicht auch Om 3/11 – Jones mwN). Insoweit wird dieser Rekursgrund nicht ordnungsgemäß vorgetragen (JBl 1957, 566; EFSlg 64.142; RIS-Justiz RS0041585; RS0043603; RS0043312 [insb T12]; ausdrücklich zu § 66 Abs 1 Z 4 AußStrG: RIS-Justiz RS0043312).

Dieser Umstand bleibt jedoch im Hinblick auf die weiters erhobene sogenannte Tatsachenrüge ohne Relevanz.

2. Erst ausgehend von diesen rechtlichen Erwägungen des Rekursgerichts ist eine Auseinandersetzung mit dem Rekursgrund der unrichtigen Tatsachenfeststellungen auf Grund unrichtiger Beweiswürdigung sinnvoll.

2.1. Verfahrensrechtlich gilt ausgehend davon, dass das Patentamt eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hielt, folgender Grundsatz:

Eine unmittelbare Beweiswiederholung nach § 52 Abs 2 AußStrG ist nicht erforderlich, wenn die Feststellung, von der das Rekursgericht abzuweichen erwägt, nur auf mittelbar gewonnene Beweise gestützt wurde; das Rekursgericht ist mangels unmittelbarer Beweisaufnahme zu einem Thema in erster Instanz somit nicht gehalten, eine Beweiswiederholung durchzuführen (RIS-Justiz RS0122252 [insb T4 und T5]).

2.2. Vorweg ist klarzustellen, dass die vorgelegten Bescheinigungsmittel ungeachtet des auf die bloße Glaubhaftmachung herabgesetzten Beweismaßes (Rechberger in Rechberger, ZPO4 § 274 Rz 1 [überwiegende Wahrscheinlichkeit]; RIS-Justiz RS0040276; RS0005225 [T3] uva) nicht ausreichen, um nach den maßgeblichen Umständen des Einzelfalls und unter Berücksichtigung der Art der von der Antragstellerin vertriebenen Waren – die zu einem wesentlichen Teil aus offenbar höherpreisigen Bekleidungsartikeln bestehen – eine dauernde Benutzung der Widerspruchsmarke – selbst im Rahmen einer Mehrfachkennzeichnung – im Inland zu bejahen.

2.3. Für die weitere Auseinandersetzung mit dem Rekursvorbringen ist es zudem erforderlich, die Rechtsansicht des Rekursgerichts offenzulegen, dass die Frage der „ernsthaften markenmäßige Benützung“ jedenfalls keine reine Rechtsfrage, sondern zumindest eine sogenannte quaestio mixta ist (siehe oben 1.3.), also jedenfalls ein taugliches Tatsachensubstrat zu ermitteln ist, anhand dessen diese Frage beurteilt werden kann.

Dass die Behauptungs- und Bescheinigungslast für die Benutzung die Antragstellerin trifft und daher allfällige Zweifel zu ihren Lasten zu werten sind (§ 29 Abs 3 erster Satz MSchG), sei zudem klargestellt (zu § 33a Abs 5 MSchG: Om 3/11- Jones; Engin-Deniz, MSchG² 356; Beetz in Kucsko/Schumacher, marken.schutz2 § 33a Rz 127; allgemein zB RIS-Justiz RS0039939).

2.4. Die Rekurswerberin wendet sich gegen folgende Feststellungen:

„... und die vorgelegten Rechnungen eine kontinuierliche, über mehrere Jahre anhaltende Geschäftsbeziehung zu den Händlern darlegen.“ (Seite 3 des angefochtenen Beschlusses ) sowie

„Aufgrund der in Beilage ./C vorgelegten Rechnungen ist somit doch zumindest eine Glaubhaftmachung einer ernsthaften und kennzeichenmäßigen Benutzung für die Waren 'Leder und Lederimitationen sowie Waren daraus, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind; Reise- und Handkoffer; Bekleidungsstücke; Kopfbedeckungen' gelungen.“ (Seite 4 des angefochtenen Beschlusses).

Stattdessen begehrt die Widerspruchsgegnerin nachstehende Ersatzfeststellung:

„Aufgrund der in Beilage ./C vorgelegten Rechnungen lässt sich eine ernsthafte markenmäßige Benützung für sämtliche Waren der Klassen 18 und 25, für die die Widerspruchsmarke eingetragen ist, nicht entnehmen.“

2.5. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den von der Antragstellerin vorgelegten und vom Patentamt gewürdigten Bescheinigungsmitteln zieht folgende eigene Würdigung des Rekursgerichts nach sich:

Die angefochtene Marke wurde am 20.5.2011 veröffentlicht. Der Zeitraum, für den die Benutzung zu bescheinigen ist, erstreckt sich daher vom 20.5.2006 bis zum 19.5.2011.

2.5.1. Folgende Benutzungsunterlagen hat die Widersprechende vorgelegt:

2.5.2. Zu den Beilagen ./A, ./B und ./D fehlen jegliche Angaben über die Auflagenzahl und die Verbreitung in Österreich. Ohne diese Angaben ist nicht ersichtlich, wann und wo die österreichischen Konsumenten von den Katalogen und Werbeeinschaltungen Kenntnis genommen haben (können). Diese Belege sind daher ungeeignet, einen rechtserhaltenden Gebrauch zu belegen.

2.5.3. Die Homepageauszüge (Beilage ./E) sind Ausdrucke aus dem Pressespiegel der Internetseite http://www.geniodeltempo.com .

Die Ausdrucke über die Veröffentlichung im „Wellness Magazin“ am 5.10.2008 und in „EVA“ (Jänner 2009) zeigen keine markenmäßige Verwendung der Marke „ICE“. Die Publizierung in „MADONNA“ (7.5.2009) zeigt ebenfalls keine markenmäßige Verwendung des Zeichens „ICE“. Nur in der Beschreibung ist erkennbar, dass es sich um ein Top von Iceberg handelt; dies belegt die markenmäßige Verwendung von „ICE“ in Alleinstellung nicht.

2.5.4. Bleibt Beilage ./C, der sich entnehmen lässt, dass im Zeitraum 23.6.2008 bis 4.3.2011 an insgesamt drei Händler in Seefeld (Tirol), Kitzbühel und Prellenkirchen Waren geliefert wurden. Bei den Adressaten der Rechnungen handelt es sich offensichtlich um Zwischenhändler, die diese Waren für den Weiterverkauf an Endkunden erstanden haben.

Belegt sind durch die Rechungen in Kombination mit den angeschlossenen Fotos (soweit die Rechnungen und die Fotos übereinstimmen) folgende Verkäufe:

Rechnung vom 23.6.2008 (Nr. 22282)

Rechnung vom 4.8.2008 (Nr. 28747)

Rechnung vom 4.8.2008 (Nr. 28753)

Rechnung vom 4.8.2008 (Nr. 28748)

Rechnung vom 4.8.2008 (Nr. 28756)

Rechnung vom 12.1.2009 (Nr. 782)

Rechnung vom 17.6.2010 (Nr. 15692)

Rechnung vom 4.3.2011 (Nr. 6664)

Rechnung vom 26.6.2011 (Nr. 14046) (betreffend eine Bestellung vom 11.3.2011)

2.5.5. Mit den vorgelegten Unterlagen wurden keine Werbemaßnahmen auf dem österreichischen Markt für das Zeichen „ICE“ (in Alleinstellung) glaubhaft gemacht.

Es wurden auch keine Belege vorgelegt, aus denen geschlossen werden könnte, dass sich die Markeninhaberin Vertriebspartner für den Vertrieb ihrer Waren bedient oder Vertriebskanäle in Österreich geschaffen hätte oder die Geschäfte, an die fakturiert wurde, auch regelmäßig mit Waren in nennens- und damit beachtenswerten Stückzahlen beliefert hätte.

Die vorgelegten Rechnungen wirken vielmehr als Folge zufällig erfolgter Einzelbestellungen von kleinen österreichischen Geschäften in einem für den Massenmarkt der Bekleidungsindustrie vernachlässigbaren Stückumfang. Es liegen keine Belege vor, wonach diese Bestellungen aufgrund wirtschaftlicher Tätigkeiten der Markeninhaberin initiiert wurden (wie zum Beispiel an den Endverbraucher in Österreich gerichtete Werbung; Anschreiben und Offertlegungen an Weiterverkäufer in Österreich; österreichischer Online-Bestellshop; Werbeaufsteller für österreichische Wiederverkäufer).

Die Widerspruchsmarke wird auch nicht in allen Fällen als eigenständiges (Kenn-) Zeichen wahrgenommen. Wo aus den vorgelegten Lichtbildern aber keine markenmäßige Kennzeichnung hervorgeht und/oder wo ICE keine eigenständige kennzeichnende Stellung zukommt, fehlt es im Hinblick auf die der Widersprechenden obliegenden Bescheinigungspflicht und wegen des Umstands, dass aus den Beweisergebnissen resultierende Zweifel zu ihren Lasten gehen (oben 2.3.), an der Beweiskraft.

Zu berücksichtigen ist weiters, dass der Bekleidungshandel (T‑Shirts, Pullover und Gürtel) und der Verkauf von Handtaschen ein Massenmarkt ist, der in Österreich jährlich Milliardenumsätze erzielt.

Zudem liegen eben keine beachtlichen Stückzahlen an verkauften Bekleidungsstücken, Gürteln und Taschen vor (vgl: 6.000 Stück in der Entscheidung des Om 13/07, PBl 2008, 168; weitere Beispiele aus der Rechtsprechung bei Beetz in Kucsko/Schumacher, marken.schutz² § 33a Rz 39).

2.5.6. Das Rekursgericht gelangt daher auf Basis dieser Würdigung der Bescheinigungsmittel zur nachstehenden, anstelle der beiden bekämpften – sich im beantragten Umfang haltenden – Ersatzfeststellung:

„Die Markeninhaberin entfaltete im Zeitraum vom 20.5.2006 bis 19.5.2011 in Bezug auf die Widerspruchsmarke ICE keine nennenswerten wirtschaftlichen Tätigkeiten in Österreich und benutzte diese Marke kennzeichnungsmäßig nicht in einem Umfang, um den Marktanteil in Bezug auf ICE in der Bekleidungs- und/oder Taschenindustrie in Österreich zu halten oder zu steigern.

Sie verkaufte ohne feststellbare Werbemaßnahmen an drei Händler in Österreich 61 (sonstige) Bekleidungsstücke und 19 Taschen und Geldtaschen, bei denen ICE als eigenständig kennzeichnendes Zeichen wahrgenommen wird.“

3. Der Antragstellerin ist daher ausgehend von den unter 1.3. aufgezeigten Grundsätzen die Glaubhaftmachung der rechtserhaltenden Benutzung des Zeichens „ICE“ für den Zeitraum 20.5.2006 bis 19.5.2011 nicht gelungen. Zusammenfassend und ergänzend sind also folgende Grundsätze zu beachten:

Nach der Rechtsprechung des EuGH ist davon auszugehen, dass eine Marke dann ernsthaft benutzt wird, wenn sie entsprechend ihrer Hauptfunktion benutzt wird, nämlich die Ursprungsidentität der Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen wurde, zu garantieren, um für diese Waren und Dienstleistungen einen Absatzmarkt zu erschließen oder zu sichern, unter Ausschluss symbolischer Verwendungen, die allein der Wahrung der durch die Marke verliehenen Rechte dienen (EuGH C‑40/01 – Ansul; C‑442/07 – Feldmarschall Radetzky).

Wo die Benutzung der Marke nicht das Ziel verfolgt, Marktanteile für die durch die Marke geschützten Waren oder Dienstleistungen zu behalten oder zu gewinnen, muss die Benutzung als allein auf Verhinderung eines Löschungsantrags gerichtet eingestuft werden, und die Benutzung kann in einem solchen Fall nicht als ernsthaft bezeichnet werden (Om 14/06 PBl 2007/140 – Dreher mwN; Om 4/09 PBl 2010, 67 – Sallaki mwN; Om 8/11 – WEG).

Die mengenmäßig bloß geringfügige Benutzung von ICE kann daher in rechtlicher Hinsicht auch unter Berücksichtigung der oben unter Pkt 1.6. dargestellten Judikatur des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Proti nicht als ernsthaft angesehen werden, weil sie im betreffenden Wirtschaftszweig nicht als rechtfertigend und rechtswahrend gilt.

4. Das Rekursgericht hat kürzlich klargestellt (34 R 82/14z), dass das Patentamt grundsätzlich nicht verpflichtet ist, (patent‑)anwaltlich vertretene Parteien darüber anleitend zu belehren, welche Bescheinigungsmittel zum Nachweis der ernsthaften markenmäßigen Benützung für die künftige Entscheidung als ausreichend anzusehen sein werden. (Die in 34 R 82/14z = RIS‑Justiz RW0000797 zu berücksichtigenden weiteren Umstände des Einzelfalls liegen hier nicht vor.) Es gibt auch keine Verfahrensvorschrift, welche Partei im nach § 29b Abs 2 MSchG regelmäßig schriftlichen Widerspruchsverfahren das „letzte Wort“ vor der Entscheidung haben muss (so schon 34 R 24/14w).

Ausgehend davon und vom Umstand, dass die Antragstellerin durch Einsichtnahme in den Akt problemlos von der Stellungnahme der Antragsgegnerin vom 23.4.2012 bis zur Fassung des Beschlusses des Patentamts durch Akteneinsicht hätte Kenntnis erlangen und darauf reagieren können, ist mit der im Rahmen freier richterlicher Überzeugung erfolgten (Um-)Würdigung der vorgelegten und bereits vom Patentamt berücksichtigten Bescheinigungsmittel durch das Rekursgericht keine Verletzung des verfassungsrechtlich geschützten rechtlichen Gehörs der Antragstellerin verbunden.

5. Dem Widerspruch ist daher gemäß § 29b Abs 3 erster Satz MSchG nicht stattzugeben, weil es an der ernsthaften kennzeichenmäßigen Nutzung der Widerspruchsmarke ICE fehlt.

Die Verwechslungsgefahr kann daher ungeprüft bleiben.

6. Der von der Rekurswerberin weiters als Mangelhaftigkeit relevierte Umstand, dass das Patentamt in der angefochtenen Entscheidung dem Widerspruch der Antragsgegnerin stattgegeben hat, beruht offenkundig nur auf einem Versehen (das aber auch im Hinblick auf die abändernde Entscheidung ohne Relevanz bleibt).

7. Da die Entscheidung keine Rechtsfragen von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG aufwarf und über den Einzelfall hinaus nicht bedeutsam ist (RIS-Justiz RS0111880), ist der Revisionsrekurs nicht zulässig. Die Lösung von Tatfragen kann damit nicht releviert werden.

In diesem Fall hat das Rekursgericht nach § 59 Abs 2 AußStrG auszusprechen, ob der Wert des Entscheidungsgegenstands, der – wie hier – rein vermögensrechtlicher Natur ist, aber nicht in einem Geldbetrag besteht, EUR 30.000,-- übersteigt. Diese Voraussetzung ist angesichts der Bedeutung des Markenschutzes im Wirtschaftsleben gegeben.

8. Ein Kostenersatz findet im Widerspruchsverfahren nach § 29b Abs 7 MSchG und § 139 Z 7 PatG iVm § 37 Abs 3 MSchG nicht statt.

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