European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0100OB00052.23D.0416.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.355,90 EUR (darin 392,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Kläger erwarb am 24. Februar 2016 von einem Fahrzeughändler einen am 5. Jänner 2016 erstmals zugelassenen Pkw Seat Alhambra mit einem Kilometerstand von 17 km um 36.700 EUR. Im Fahrzeug ist ein Dieselmotor des Typs EA288 verbaut, der unter die Schadstoffklasse Euro 6 fällt. Das Fahrzeug unterliegt unstrittig dem Anwendungsbereich der VO 715/2007/EG . Im Fahrzeug kommt ein „Thermofenster“ zum Einsatz; es verfügt über eine aufrechte EG‑Typengenehmigung.
[2] Der Kläger begehrt von der Beklagten 30.584,56 EUR sA (Kaufpreis abzüglich eines Benützungsentgelts von 6.115,44 EUR) Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Eventualiter begehrt er 9.175 EUR an Wertminderung. Er stützt sich dabei auf die Verletzung des Art 5 VO 715/2007/EG (als Schutzgesetz), auf arglistige Irreführung nach § 874 ABGB sowie vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung nach § 1295 Abs 2 ABGB. Die Beklagte habe als Herstellerin des Fahrzeugs in Umgehung der einschlägigen Vorschriften eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines technisch so nicht notwendigen Thermofensters verbaut und sich dadurch die EG-Typengenehmigung erschlichen.
[3] Die B eklagte wandte ein, dass im Fahrzeug keine bzw keine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz komme. Eine Prüfstanderkennung mit unterschiedlichen Betriebsmodi wie im Vorgängermotor EA189 (Umschaltlogik) sei hier nicht verbaut. Das Fahrzeug (der Motor) verfüge zwar über ein Thermofenster. Bei diesem sei die Abgasrückführung aber in einem Temperaturbereich von - 24 Grad Celsius bis + 70 Grad Celsius voll aktiv, sodass das Thermofenster nur bei praktisch nicht vorkommenden Extremtemperaturen aus Gründen des Motorschutzes zum Einsatz komme. In diesem Temperaturbereich gebe es auch keine schrittweise Reduktion der Abgasrückführungsrate (Abrampung). Es würden sämtliche Grenzwerte eingehalten; das Fahrzeug sei verkehrs- und betriebssicher und von keiner Rückrufaktion betroffen. Es drohe auch kein Entzug der aufrechten Typengenehmigung.
[4] Das Erstgericht wies die Klage ab.
[5] Das Berufungsgericht hob das Ersturteil aufgrund von Feststellungsmängeln sowie deshalb auf, um vor allem der Beklagten die Möglichkeit zu geben, sich zur bislang nicht näher erörterten und in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärten Beweislastverteilung in Bezug auf das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu äußern und etwaige Beweise anzubieten. Entgegen der von ihr vertretenen Ansicht habe der Kläger nur das Vorhandensein einer Abschalteinrichtung an sich zu beweisen, wohingegen sie als Herstellerin des Fahrzeugs nachzuweisen habe, dass eine festgestellte Abschalteinrichtung nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG (ausnahmsweise doch) zulässig sei. Zudem handle es sich bei den bisher getroffenen Negativfeststellungen, wonach (vor allem) nicht feststellbar sei, ob im Fahrzeug Einrichtungen vorhanden seien, die den einschlägigen Normen widersprechen, oder eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei, um vorweggenommene rechtliche Schlüsse, die im festgestellten Sachverhalt keine Deckung fänden. Es lasse sich aus den Feststellungen auch nicht deutlich ableiten, dass das Fahrzeug zusätzlich über eine Abgasnachbehandlung verfüge, die die NOx-Emissionen (nochmals) reduziere.
[6] Den Rekurs ließ das Berufungsgericht zu, weil der Oberste Gerichtshof die hier aufgeworfene Frage der Beweislast noch nicht abschließend beantwortet habe.
[7] Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten, mit dem sie die Wiederherstellung des Ersturteils anstrebt. Hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.
[8] Der Kläger beantragt, den Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[9] Der Rekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens einer Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
[10] 1. Die vom Berufungsgericht und der Beklagten als erheblich erachtete Frage der Beweislastverteilung ist in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs beantwortet und bedarf keiner weiteren Klärung:
[11] 1.1. Demnach ist der Kläger für das Vorliegen einer „Abschalteinrichtung“ im Sinn von Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG nach allgemeinen Regeln behauptungs- und beweispflichtig (jüngst 6 Ob 175/23p Rz 26 ua). Der Oberste Gerichtshof hat dazu schon klargestellt, dass dabei einerseits zwischen verschiedenen Arten von (möglichen) Abschalteinrichtungen und andererseits zwischen den Systemen der Abgasrückführung (Thermofenster) und der Abgasnachbehandlung (SCR‑Katalysator) als unterschiedliche Bestandteile des Emissionskontrollsystems zu unterscheiden ist. Greifen die(se) technischen Systeme ineinander, ist auf das Gesamtergebnis, also auf das „Emissionskontrollsystem in seiner Gesamtheit“ abzustellen. Bei Vorliegen eines Thermofensters kommt es daher darauf an, ob die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems insgesamt (dh unter Einschluss der Abgasnachbehandlung) verringert wird (3 Ob 215/23y Rz 17; 6 Ob 175/23p Rz 54 und 60; vgl BGH VIa ZR 335/21 Rn 51).
[12] 1.2. Ist dem Kläger dieser Nachweis gelungen, ist angesichts des grundsätzlichen Verbots von Abschalteinrichtungen (Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EG ) zunächst von der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung auszugehen. Den Beklagten (als Hersteller) trifft sodann die Beweislast dafür, dass diese unter eine der Ausnahmen des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG fällt (6 Ob 177/23g Rz 26; 4 Ob 17/24i Rz 9; 8 Ob 71/23h Rz 26 je mwN).
[13] 1.3. Die Ansicht des Berufungsgerichts entspricht diesen Grundsätzen.
[14] Zur Zeit lässt sich aus der Feststellung, wonach sich „am Ende der Abgasbehandlung“ kein NOx‑Sensor mehr befindet, bloß indirekt ableiten, dass das Fahrzeug offensichtlich auch über ein System zur Abgasnachbehandlung in Form eines SCR‑Katalysators verfügt. Wie schon das Berufungsgericht zu Recht ausgeführt hat, stehen Funktion und Wirkung dieses Systems bislang aber nicht fest. Es kann derzeit somit nicht beurteilt werden, ob dieses zusätzliche System – wie die Beklagte behauptet – im Fall der Reduktion der Abgasrückführung (also bei aktivem Thermofenster) ein unverändertes Funktionieren des Gesamtsystems sicherstellt. Auch wenn die Beklagte gar nicht in Abrede stellt, dass das Fahrzeug über ein Thermofenster verfügt und ein solches grundsätzlich als Abschalteinrichtung zu qualifizieren ist (vgl 6 Ob 122/23v Rz 25; 9 Ob 53/23v Rz 11 ua; zum auch hier von der Beklagten behaupteten Temperaturbereich vgl auch 4 Ob 171/23k), ist der Nachweis des Vorliegens einer Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG somit noch nicht erbracht.
[15] (Erst) Wenn dem Kläger dieser Beweis gelingen sollte, obläge es der Beklagten, nachzuweisen, in welchem Temperaturbereich das Thermofenster aktiv ist und ob es unter die Ausnahme des Art 5 Abs 2 lit a VO 715/2007/EG fällt, weil es (aufgrund des behaupteten weiten Temperaturbereichs) unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres nicht (eingeschaltet bzw) aktiv ist (vgl 6 Ob 177/23g Rz 26; 4 Ob 171/23k Rz 36; 10 Ob 31/23s Rz 32 ua). Soweit sich die Beklagte auf die vermeintlich anderslautenden Entscheidungen zu 1 Ob 146/22k (Rz 23) und 9 Ob 17/22y (Rz 15) beruft, wurde bereits klargestellt, dass es sich dabei nur um eine komprimierte Kurzfassung der dargestellten Rechtsprechung handelt (8 Ob 109/23x Rz 20).
[16] 2. Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt es nach der jüngeren, mittlerweile gesicherten Rechtsprechung nicht darauf an, ob die Emissionsgrenzwerte trotz Aktivität der Abschalteinrichtung „im realen Straßenverkehr“ eingehalten werden (8 Ob 10/24i Rz 6; 10 Ob 31/23s Rz 46).
[17] 3. Wenn sich die Beklagte (erstmals) im Rekurs dagegen wendet, dass die Vorinstanzen sie als Herstellerin des Fahrzeugs betrachtet haben, übergeht sie, dass sie der Kläger schon in der Klage nicht nur als Herstellerin des Motors (Seite 4), sondern (primär) auch des Fahrzeugs (Seite 2) in Anspruch genommen hat. Diesem Vorbringen ist die Beklagte nicht entgegengetreten, obwohl es für sie offenbar leicht widerlegbar sein musste (RS0039927; § 267 ZPO). Wenn die Vorinstanzen diesen Umstand daher ihrer rechtlichen Beurteilung zugrunde legen, ist das nicht korrekturbedürftig (vgl RS0040078 [T3, T4]; RS0040146 [T2]). Die Beklagte muss sich daher als Herstellerin im Sinn der (hier noch anwendbaren) Art 3 Z 27 RL 2007/46/EG und Adressatin der Pflicht zur Ausstellung der Übereinstimmungsbescheinigung (Art 18 Abs 1 RL 2007/46/EG ) behandeln lassen (so auch 10 Ob 46/23x Rz 12).
[18] 4.1. Das Erstgericht stellte fest, dass das deutsche Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) dem Sachverständigen mitgeteilt habe, Fahrzeuge mit Motoren des Typs EA288 untersucht und keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt zu haben. Damit lässt sich die von der Beklagten angestrebte Klageabweisung aber nicht begründen. Wie der Oberste Gerichtshof zu ähnlichen Feststellungen schon ausgesprochen hat, entfällt die Haftung der Beklagten nämlich nicht schon deshalb, weil das KBA (oder eine andere Behörde) noch keine unzulässige Abschalteinrichtung beim Motor EA288 festgestellt hat (6 Ob 154/23z Rz 12; vgl 10 Ob 27/23b Rz 34 ff). Wenn daher das Berufungsgericht allein aus der Einschätzung des KBA noch nicht den Schluss zieht, es liege kein vorwerfbares Verhalten der (Organe der) Beklagten vor, bedarf das keiner Korrektur (so auch 5 Ob 159/23b Rz 23).
[19] 4.2. Soweit sich die Beklagte in diesem Kontext auf einen „Verbotsirrtum“ (Rechtsirrtum) stützt, setzt dieser voraus, dass der Behörde die konkrete Abschalteinrichtung vor ihrer Entscheidung – und zwar ungeachtet allfälliger Offenlegungspflichten – bekannt war, weil nur dann ein schutzwürdiges Vertrauen auf die Richtigkeit ihrer Entscheidung bestehen kann (6 Ob 177/23g Rz 42; 10 Ob 27/23b Rz 34 ua). Zur Beurteilung eines Rechtsirrtums bedarf es daher Feststellungen, zu welchem Zeitpunkt (bis zum Inverkehrbringen des Fahrzeugs) aufgrund welcher konkreten Prüfschritte und/oder Ereignisse welche der der Beklagten zurechenbaren Personen darauf vertrauen durften und auch konkret darauf vertraut haben, dass und warum die verbaute Abschalteinrichtung nach den unionsrechtlichen Normen ausnahmsweise zulässig war (3 Ob 170/23f Rz 22; 4 Ob 171/23k Rz 42 ua). Die dafür erforderlichen Tatsachenbehauptungen aufzustellen und die geeigneten Beweismittel zu nennen, ist Sache der Beklagten (8 Ob 109/23x Rz 30 ua). Der derzeit festgestellte Sachverhalt lässt aber ebenso wenig wie das bisher von der Beklagten erstattete Vorbringen erkennen, in Kenntnis welcher Fakten das KBA (rechtsirrig) welche vorhandene Einrichtung konkret gebilligt hat sowie ob und aufgrund welcher konkreten Umstände die Beklagte einem der Rechtsansicht des KBA entsprechenden Rechtsirrtum unterlegen sein soll.
[20] Der Oberste Gerichtshof hat dazu auch mehrfach betont, dass – was der Kläger der Beklagten unter anderem vorwirft – der bewusste Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung, die dazu dienen soll, die Grenzwerte zur Erlangung der Typengenehmigung einzuhalten, ohne Vorliegen besonders berücksichtigungswürdiger Umstände gegen die Annahme eines Rechtsirrtums spricht (4 Ob 165/23b Rz 19; 3 Ob 121/23z Rz 23; 4 Ob 119/23p Rz 22 ua).
[21] 5. Der Kläger stützt seine Ansprüche auch darauf, die Beklagte habe ihn vorsätzlich in die Irre geführt und bewusst Manipulationen an der (Steuerungs‑)Software des Motors vorgenommen, um Konsumenten über Effizienz, Leistungsfähigkeit und Umweltfreundlichkeit des Fahrzeugs zu täuschen und dadurch einen höheren Kaufpreis zu erzielen. Warum ungeachtet dessen (von vornherein) nicht von einer Haftung der Beklagten ausgegangen werden könne, ist nicht nachvollziehbar. Vergleichbares Vorbringen hat der Oberste Gerichtshof wiederholt als ausreichende Behauptung eines arglistigen und sittenwidrigen Verhaltens qualifiziert (4 Ob 204/23p Rz 36 und 42; 6 Ob 161/22b Rz 31 und 36; 4 Ob 150/22w Rz 33 und 40 ua).
[22] 6. Zusammenfassend zeigt die Beklagte nicht auf, dass das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen wäre. Die Frage, ob die vom Berufungsgericht als notwendig erachtete Ergänzung des Verfahrens und der Feststellungen auf der Grundlage seiner zutreffenden Rechtsauffassung tatsächlich notwendig ist, ist der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof entzogen (RS0042179).
[23] 7. Im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit des Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss im Sinn des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (RS0123222; RS0035976 [T2]). Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen und daher Anspruch auf Kostenersatz (RS0123222 [T8, T14]; RS0035979 [T20]).
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