OGH 6Ob154/23z

OGH6Ob154/23z17.1.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und den Hofrat Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Mag. Waldstätten als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. D*, geboren am *, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V* AG, *, Deutschland, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 38.900 EUR sA, über die Rekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 24. Mai 2023, GZ 6 R 24/21y‑24, womit das Urteil des Landesgerichts Wels vom 28. Dezember 2020, GZ 36 Cg 34/20g-18, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00154.23Z.0117.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Rekurse werden zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 22,05 EUR an Umsatzsteuer bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger erwarb am 29. 5. 2016 einen Seat Alhambra FR TDI DSG um 38.900 EUR. In diesem ist ein AdBlue-Tank (als SCR Katalysator) und ein von der Beklagten hergestellter Motor des Typs EA288 verbaut, der unter die Schadstoffklasse Euro 6 fällt.

[2] Das Erstgericht wies die Klage ab, mit der der Kläger von der Beklagten die Rückzahlung des Kaufpreises zuzüglich Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs begehrt, hilfsweise Schadenersatz in Höhe von 10.000 EUR sA sowie die sinngemäße Feststellung der Haftung der Beklagten für Schäden, die ihm aus dem Kauf und dem verbauten Motor zukünftig entstünden.

[3] Sämtliche vom Kläger herangezogenen Anspruchsgrundlagen würden einen Schaden voraussetzen, dessen Nachweis dem Kläger jedoch nicht gelungen sei. Das Fahrzeug sei nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens, das am 22. 10. 2020 geschlossen wurde, verkehrs- und betriebssicher. Weder der AdBlue‑Verbrauch noch die Abgaswerte seien in den Verkaufsgesprächen thematisiert worden und für den Kläger wichtig gewesen. Anders als beim Motor EA189 habe das deutsche Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hier weder eine (unzulässige) Abschalteinrichtung festgestellt, noch ein Software-Update angeordnet, sodass auch kein Entzug der Typengenehmigung drohe. Ein „Thermofenster“ sei „für dieses Fahrzeug aus technischer Sicht notwendig“. Mit der verbauten Technik könne der Grenzwert von 80 mg NOx je Kilometer im realen Fahrbetrieb nicht eingehalten, „zumindest nicht garantiert“ werden. Ob es im realen Fahrbetriebzu einer Reduktion der AdBlue‑Einspritzung kommt, konnte das Erstgericht nicht feststellen.

[4] Das Berufungsgericht hob dieses Urteil über Berufung des Klägers auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

[5] Um beurteilen zu können, ob das Thermofenster, zu dem die Parteien widerstreitendes Vorbringen erstattet hatten, auch die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG erfülle, bedürfe es konkreter Feststellungen zu Temperaturbereich, Zweck und Wirkungsweise. Für dessen Zulässigkeit sei primär die Beklagte behauptungs- und beweispflichtig, was ebenso gemäß § 182a ZPO zu erörtern sein werde wie die nach Verhandlungsschluss im „Abgasskandal“ ergangenen Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Obersten Gerichtshofs. Sollte sich ergeben, dass das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, wären insbesondere Feststellungen zu treffen, ob der Kläger beim Ankauf auch ein Abweichen von gesetzlichen Vorgaben akzeptiert hätte, die zu einem Typgenehmigungsentzug führen könnten. Wenn dem Kläger der Nachweis eines Schadenseintritts gelinge, wären schließlich Beweisaufnahmen und Feststellungen zu einer Haftung nach §§ 874, 1295 ABGB erforderlich, weil die Beklagte lediglich den Motor konstruiert habe, aber nicht Fahrzeugherstellerin im Sinne der Übereinstimmungsbescheinigung sei.

[6] Der Rekurs sei im Hinblick auf die Vielzahl gleichgelagerter Fälle und das Fehlen von Rechtsprechung zur Haftung eines bloßen Komponentenzulieferers zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[7] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 526 Abs 2 ZPO) – Zulassungsausspruch sind die Rekurse beider Parteien nicht zulässig. Die darin aufgeworfenen erheblichen Rechtsfragen wurden vom Obersten Gerichtshof in der Zwischenzeit in anderen Verfahren bereits beantwortet (vgl RS0112921 [T5]). Die Zurückweisung der Rekurse kann sich auf die Anführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 528a iVm § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO; RS0043691).

[8] 1. Der Oberste Gerichtshof hielt erst jüngst zu 9 Ob 53/23v zu einem Motor des Typs EA288 fest (siehe zu diesem Motor auch 3 Ob 17/23f; 9 Ob 17/22y [Seat]; 8 Ob 90/22a; 5 Ob 159/23b):

„2.1. Gemäß Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Eine Abschalteinrichtung ist nach der Legaldefinition des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 33).

2.2. Nach der Rechtsprechung des EuGH läuft eine Abschalteinrichtung, deren einziger Zweck darin besteht, die Einhaltung der in der VO 715/2007/EG vorgesehenen Grenzwerte allein während der Zulassungstests sicherzustellen, der Verpflichtung zuwider, bei normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs eine wirkungsvolle Begrenzung der Emissionen sicherzustellen (EuGH 17. 12. 2020, C-693/18 , CLCV, Rn 98; ÖJZ 2021/38, 299 [Kumin/Maderbacher]). Daher kann eine Abschalteinrichtung, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Emissionskontrollsystems verbessert, damit die in der VO 715/2007/EG festgelegten Emissionsgrenzwerte eingehalten werden können und so die Zulassung dieser Fahrzeuge erreicht wird, nicht unter die Ausnahmebestimmung des Art 5, Abs 2, Satz 2 lit a, VO 715/2007/EG fallen (EuGH 17. 12. 2020, C‑693/18 , CLCV, Rn 115; 6 Ob 155/22w Rz 36; 3 Ob 146/22z Rz 13).

2.3. Ein 'Thermofenster', aufgrund dessen die volle Abgasrückführung nur innerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs erfolgt, wohingegen sie bei Temperaturen darüber oder darunter sukzessive reduziert wird, ist eine Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 56; 6 Ob 155/22w Rz 37).

2.4. Art 5 Abs 2 Satz 2 VO 715/2007/EG normiert drei Ausnahmetatbestände vom Verbot von Abschalteinrichtungen. Die Beklagte nimmt für sich die Ausnahmebestimmung des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG in Anspruch. Danach muss die Abschalteinrichtung, um zulässig zu sein, notwendig sein, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.

3. Im vorliegenden Fall steht fest, dass der im Fahrzeug des Klägers verbaute Dieselmotor EA 288 über ein 'Thermofenster' verfügt. Um beurteilen zu können, ob es sich dabei um eine nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotene Abschalteinrichtung handelt, fehlen aber – so zutreffend das Berufungsgericht – ausreichend konkrete Feststellungen. Beide Parteien haben dazu unterschiedliches Vorbringen erstattet. […]

4.1. Zur Frage der Beweislastverteilung hat der Oberste Gerichtshof erst jüngst Stellung genommen (6 Ob 155/22w vom 30. 8. 2023 Rz 65 f). Danach hat grundsätzlich jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen (RS0106638; RS0037797). Die Beweislast für eine mangelhafte Erfüllung nach Übergabe der Sache trifft grundsätzlich den Erwerber (RS0018687 [T2]; 1 Ob 149/22a Rz 27). Der Kläger, der einen Mangel am Kaufgegenstand und einen ihm dadurch entstandenen Schaden behauptet, hat daher zunächst zu beweisen, dass eine Abschalteinrichtung vorliegt. Dieser Beweis ist dem Kläger im vorliegenden Verfahren gelungen. Nach der Grundregel des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG sind Abschalteinrichtungen verboten.

4.2. Soweit sich die Beklagte auf die Zulässigkeit des 'Thermofensters' und überdies eine Ausnahme von der Grundregel stützt, liegt es an ihr, die erforderlichen Voraussetzungen zu behaupten und zu beweisen (1 Ob 149/22a Rz 43; 6 Ob 155/22w Rz 66).“

 

[9] Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger hier ebenfalls der Nachweis eines Thermofensters und damit einer Abschalteinrichtung gelungen, das Verfahren aber insofern ergänzungsbedürftig sei, ist somit nicht zu beanstanden. Wenn das Berufungsgericht der Ansicht ist, dass der Sachverhalt in der von ihm dargestellten Richtung noch nicht genügend geklärt ist, dann kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, dem auch nicht entgegentreten (vgl RS0042179). Aus dem Verbot von Überraschungsentscheidungen kann überdies im Einzelfall die Notwendigkeit resultieren, den Parteien Gelegenheit zu geben, zu vom EuGH aufgezeigten, bisher nicht ausreichend erörterten Gesichtspunkten Vorbringen zu erstatten und Beweisanbote zu stellen (vgl 3 Ob 17/23f).

[10] 2. Der Oberste Gerichtshof hat zwischenzeitig in zahlreichen Entscheidungen zudem klargestellt, dass bei Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung eine (unmittelbare) Haftung der Herstellerin des Motors nach § 1295 Abs 2 und § 875 ABGB denkbar ist (vgl 3 Ob 40/23p; 6 Ob 161/22b; 6 Ob 16/23f; 6 Ob 114/23t; 6 Ob 149/23i uvm). Die vom Berufungsgericht und den Parteien angesprochene Rechtsfrage ist sohin bereits beantwortet.

[11] Der Kläger meint in seinem Rekurs zwar, die Beklagte hafte als Motorenherstellerin genauso wie eine Fahrzeugherstellerin und daher auch für das (strittige) Thermofenster selbst bei bloßer Fahrlässigkeit. Eine Gleichstellung von Fahrzeug- und Motorenherstellerin in Haftungsfragen kann er aber weder mit einer Schutzgesetzverletzung noch mit dem Umstand begründen, dass die Beklagte 100%ige Gesellschafterin der Fahrzeugherstellerin ist (vgl 6 Ob 114/23t [Seat]).

[12] Die weiteren in den Rekursen aufgeworfenen Rechtsfragen, insbesondere im Zusammenhang mit der Beweislast, dem Verschulden(‑sgrad) und einem allfälligen Rechtsirrtum, können schon mangels näherer Feststellungen zum konkreten Motor nicht beantwortet werden. Allein der Umstand, dass das deutsche Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) (oder eine andere Behörde) bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im Jahr 2020 keine unzulässige Abschalteinrichtung beim EA288 feststellte, befreit die Beklagte nicht ohne Weiteres von einer Haftung (vgl 10 Ob 27/23b).

[13] 3. Der Kläger verweist in seinem Rekurs schließlich auf sein erstinstanzliches Vorbringen, wonach im Fahrzeug ein „Online- und ein Speichermodus verbaut“ sei, die dafür sorgen würden, dass die „erforderliche“ Menge an AdBlue nur am Prüfstand eingespritzt werde („Aufwärmstrategie“; „zweite Abschalteinrichtung“). Weder ergibt sich dies jedoch aus den Feststellungen, noch ist dies zugestanden; die Beklagte bestritt vielmehr ausdrücklich die Nutzung einer Software, die zwischen der Situation auf dem Prüfstand und auf der Straße differenziert, und verwies dazu unter anderem auf Real-Driving-Emission-Tests des KBA. Daher besteht (jedenfalls derzeit) auch kein Anlass, das Verfahren im Hinblick auf das zu 3 Ob 33/23h („Precon“) gestellte Vorabentscheidungsersuchen zu unterbrechen (vgl 6 Ob 178/23d).

[14] 4. Die Aufhebung der Abweisung des Feststellungsbegehrens wird in den Rekursen nicht angesprochen, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist. Im fortgesetzten Verfahren werden jedoch die Entscheidungen 10 Ob 17/23g und 8 Ob 90/22a zu erörtern sein.

[15] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit des Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts iSd § 519 Abs 1 Z 2 ZPO ist kein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO anzuordnen (vgl RS0123222). Beide Parteien haben in ihren Rekursbeantwortungen jeweils auf die Unzulässigkeit des von der Gegenseite erhobenen Rekurses und dessen fehlende Berechtigung hingewiesen, sodass die Schriftsätze der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung dienten (vgl RS0112296). Deren Kosten waren zu saldieren, weshalb die Beklagte dem Kläger nur die aus der unterschiedlich hohen Umsatzsteuer resultierende Differenz zu ersetzen hat.

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