OGH 6Ob114/23t

OGH6Ob114/23t20.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. R*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, wider die beklagte Partei V* AG, *, Deutschland, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 6.292,68 EUR sA und Feststellung, über die Rekurse beider Parteien gegen das Teilurteil und den Beschluss des Landesgerichts Ried im Innkreis als Berufungsgericht vom 22. März 2023, GZ 18 R 5/23z‑41, womit das Urteil des Bezirksgerichts Mattighofen vom 28. Dezember 2022, GZ 2 C 311/20k‑36, teilweise bestätigt und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00114.23T.1120.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Dem Rekurs der beklagten Partei wird Folge gegeben.

Das Urteil des Erstgerichts wird wiederhergestellt.

Die klagende Partei wird mit ihrem Rekurs auf diese Entscheidung verwiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 10.391,53 EUR (darin 1.136,09 EUR Umsatzsteuer und 3.276 EUR Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger erwarb am 6. 4. 2016 einen Gebrauchtwagen der Marke Seat Alhambra 2.0 TDI. Das Fahrzeug verfügt über einen Dieselmotor aus der Baureihe EA189 und ist gemäß Euro 5 zertifiziert. Unstrittig ist die Beklagte (nur) Herstellerin des Motors, aber nicht des Fahrzeugs.

[2] Das Thema „Abgasskandal“ war dem Kläger schon vor dem Kauf des PKW aus den Medien bekannt. Im September 2015 hatte die Beklagte in einer Pressemitteilung über „Unregelmäßigkeiten“ der verwendeten Software bei Dieselmotoren vom Typ EA189 informiert und mitgeteilt, dass sie daran arbeite, die Abweichungen zwischen Prüfstandswert und realem Fahrbetrieb mit technischen Maßnahmen zu beseitigen, und sie hierzu mit dem Kraftfahrt-Bundesamt in Kontakt stehe. Der Verkäufer informierte den Kläger beim Verkaufsgespräch darüber, dass das Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen ist und es wurde darüber diskutiert. Es war dem Kläger anlässlich des Kaufs bewusst, dass das Fahrzeug in den „Problembereich hinsichtlich Abgasthematik“ fällt.

[3] Bei Auslieferung des Fahrzeugs verfügte es über eine Abschalteinrichtung in Form der Umschaltlogik, wobei die Software erkannte, ob das Fahrzeug einen Prüfzyklus durchfährt, und die Abgasrückführung dann deutlich erhöht wurde. Der Kläger ließ am 13. 6. 2017 ein Software‑Update durchführen. Seither ist im Fahrzeug eine Abschalteinrichtung mit einem (umfänglich noch strittigen) Thermofenster aktiv.

[4] Im Zeitpunkt der Übergabe im April 2016 war der Preis von 18.000 EUR bei einem Kilometerstand von 75.000 km „als eher günstig zu bezeichnen“. Das Fahrzeug wies am 13. 1. 2021 einen Kilometerstand von ungefähr 277.000 km auf.

[5] Für den Austausch des AGR‑Ventils und andere Leistungen (Dichtring, Dichtung, Scheibenfrostschutz, eine Lampe, Adblue sowie Kühlerfrostschutz) zahlte der Kläger im Jahr 2020 insgesamt 892,68 EUR. Es steht nicht fest, dass der Austausch des AGR‑Ventils und die Durchführung der zusätzlich erbrachten Leistungen am Fahrzeug Folgen des Software‑Updates sind. Zukünftige Schäden infolge des Software‑Updates können nicht ausgeschlossen werden, sind aber als extrem unwahrscheinlich anzusehen, zumal die konstruktive Lebensdauer des Fahrzeugs bereits erreicht bzw überschritten wurde.

[6] Der Kläger begehrt Schadenersatz (als Minderwert des PKW) in Höhe von insgesamt 6.292,68 EUR sA. Er brachte (im Verfahren erster Instanz) vor, die Beklagte habe vorsätzlich und rechtswidrig Fahrzeuge in Verkehr gesetzt, die im Auslieferungszeitpunkt weder typengenehmigungs‑ noch zulässungsfähig gewesen seien. Er sei allein durch das Anbieten des Fahrzeugs darüber in die Irre geführt worden, dass das Fahrzeug rechtskonform in Verkehr gebracht worden sei. Die Beklagte hafte insbesondere gemäß § 1295 Abs 2 und § 874 ABGB. Wenn er gewusst hätte, dass das Fahrzeug nicht den Mindeststandards entspreche, hätte er dafür 30 % weniger bezahlt. Die Beklagte hafte darüber hinaus für Kosten in Höhe von 892,68 EUR (unter anderem für den Austausch des AGR‑Ventils), welcher Betrag im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof nicht mehr strittig ist. Überdies begehrt der Kläger die Feststellung der Haftung der Beklagten für jeden Schaden, welcher ihm aus dem Kauf des Fahrzeugs und dem darin verbauten Dieselmotortyp EA189 zukünftig entstehe.

[7] Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, dass die Ansprüche verjährt seien, weil der Kläger bei Klagseinbringung mehr als drei Jahre in Kenntnis des vermeintlichen Schadens und des vermeintlichen Schädigers gewesen sei. Das Fahrzeug sei nach wie vor verkehrstauglich, betriebssicher und im Straßenverkehr uneingeschränkt nutzbar gewesen. Ein Wertverlust sei aufgrund der Software auch nicht eingetreten. Es fehle dem Kläger an einem Feststellungsinteresse; sein Feststellungsbegehren sei zudem nicht hinreichend bestimmt. Das Thermofenster im Fahrzeug des Klägers sei so konfiguriert, dass nur in einem Bereich von – 12 und +55 Grad Celsius keine Abgasrückführung stattfinde, während sie ca von 10 bis etwa 45 Grad Celsius (voll) erfolge. Bei Außentemperaturen von weniger als 10 Grad werde die Abgasrückführungsrate nur graduell reduziert. Es handle sich um eine Abschalteinrichtung, die dem Motorschutz diene und nicht während des überwiegenden Teils des Jahres aktiv sei. Eine andere technische Lösung gäbe es nicht. Das Thermofenster sei nach wie vor Stand der Technik.

[8] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Betrug nach den §§ 146 ff StGB scheitere am Fehlen einer Täuschungshandlung der Beklagten. Es komme daher die dreijährige Verjährungsfrist nach § 1489 Satz 1 ABGB zur Anwendung, welche bei Klagseinbringung am 3. 7. 2020 (auch in Ansehung der Aufspielung des Software‑Updates) bereits abgelaufen gewesen sei. List liege schon mangels bewusster Täuschung nicht vor, sodass auch diese Anspruchsgrundlage ausscheide.

[9] Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil im Umfang der Abweisung von 862,68 EUR. Im Übrigen hob es das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück.

[10] Es teilte die Ansicht des Klägers, dass die Argumentation zur Verjährung aufgrund der im Zeitpunkt des Fahrzeugsankaufs bekannten Problematik betreffend die Prüfstandserkennungssoftware nicht auch für die temperaturabhängige Abschalteinrichtung gelte. Der Kläger habe konkretes Vorbringen dazu erstattet, wann er vom – nach dem Software‑Update verbleibenden – Thermofenster erfahren habe, und fehlten für diesen Zeitpunkt Feststellungen, habe sich doch die schon beim Fahrzeugankauf bekannte Problematik (nur) auf die Prüfstandserkennungssoftware bezogen. Die Feststellungen könnten daher die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts, dass auch die aus der Existenz des nach dem Software‑Update verbliebenen Thermofensters resultierenden Ansprüche verjährt seien nicht tragen. Ein schlüssiges Tatsachengeständnis der Beklagten zum Temperaturbereich, in dem die Abgasrückführung erfolge, liege im vorliegenden Fall nicht vor. Die Zulässigkeit des Thermofensters sei damit ebenso noch fraglich. Auch werde diesbezüglich zu erörtern sein, ob es sich bei der Beklagten nicht nur um den Hersteller des Motors, sondern auch um den Fahrzeughersteller und Aussteller der Übereinstimmungsbescheinigung handle. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht zu, weil zur Frage der Haftung gegenüber dem Fahrzeughersteller keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Rechtliche Beurteilung

[11] Der Rekurs der Beklagten ist zulässig und berechtigt. Der Kläger kann mit seinem Rekurs auf die nachstehenden Ausführungen verwiesen werden:

[12] 1. Mittlerweile (im Verfahren dritter Instanz) ist der von ihr schon im Verfahren erster Instanz ausdrücklich eingewendete Umstand, dass die Beklagte (nur) Motorenherstellerin, nicht aber Fahrzeugherstellerin ist, unstrittig.

[13] Ausgehend von der vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Sachverhaltsbasis bezog sich die dem Kläger zu seinem Fahrzeug bekannte Problematik auf die Prüfstandserkennungssoftware. Während der Kläger sich im Berufungsverfahren nicht gegen die Feststellungen des Erstgerichts über seine Kenntnis wendete (und vielmehr nur forderte, es hätte das Erstgericht auch festzustellen gehabt, dass es der Beklagten nur gelungen sei, „die Prüfstandserkennungssoftware zu entfernen, nicht jedoch die gleichermaßen verbaute unzulässige temperaturabhängige Abschalteinrichtung“), legt er im Verfahren dritter Instanz (und seiner Argumentation zur angenommenen Verjährung) demgegenüber einen völlig abweichenden Sachverhalt zugrunde, wonach „er [...] – wie auch faktisch alle anderen Käufer von Fahrzeugen der Marke SEAT – nicht gewusst [habe], dass das Fahrzeug vom 'V*-Abgassklandal' betroffen“ sei. Damit entfernt er sich vom festgestellten Sachverhalt und führt die Rechtsrüge zu einer selbständigen Rechtsfrage (RS0043338) nicht gesetzmäßig aus (vgl RS0043312 [insb T4, T12, T14]; RS0043603 [insb T2, T8]). Seine daran anknüpfenden Ausführungen zur Verjährung können daher keiner weiteren Behandlung zugeführt werden (RS0043603 [T8, T10]). Angesichts seiner tatsächlich festgestellten Kenntnis einer in ihren Auswirkungen noch unklaren „Betroffenheit vom Abgasskandal“ (und dem mangels weiterer Erkundigungen erfolgten In-Kauf-Nehmen der mit der Betroffenheit des Fahrzeugs vom „Abgasskandal“ verbundenen Folgen) scheidet eine Täuschung bzw eine Irreführung (und damit eine Grundlage für einen Schadenersatzanspruch) überhaupt aus.

[14] 2. Es bedarf – im Hinblick darauf, dass die Beklagte unstrittig nicht Fahrzeugherstellerin ist – auch zur konkreten Wirkungsweise des Thermofensters (sowie zur behaupteten Zielrichtung des Motorschutzes durch diese) weder einer Verfahrensergänzung, noch fehlen Feststellungen dazu, in welchem Zeitpunkt der Kläger – der ein konkretes Vorbringen dazu erstattet hat – davon erfuhr, dass seit dem Update die (in ihrer Zulässigkeit noch strittige) Abschalteinrichtung in einem (umfänglich noch ungewissen) Thermofenster angesteuert wird.

[15] Der Kläger meint in seinem Rekurs zwar, die Beklagte hafte als Motorenherstellerin genauso wie eine Fahrzeugherstellerin und daher auch für die (strittige) Unzulässigkeit des „Thermofensters“ selbst bei bloßer Fahrlässigkeit. Eine Gleichstellung von Fahrzeug- und Motorenherstellerin in Haftungsfragen kann er aber weder durch einen Vergleich mit der zur Schutzgesetzverletzung nach dem Glückspielgesetz ergangenen Rechtsprechung (6 Ob 118/12i) noch aus dem von ihm relevierten Umstand, es sei die Beklagte 100%ige Gesellschafterin der Fahrzeugherstellerin, darlegen. Die deliktische Haftung aus der vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) beurteilten Schutzgesetzverletzung wegen des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung trifft vielmehr nur den Fahrzeughersteller (3 Ob 40/23p [ErwGr 5.2]; ausführlich 6 Ob 161/22b [ErwGr 3]).

[16] 3. Das Vorbringen des Klägers bezieht sich in Ansehung der verbauten Abschalteinrichtung nach Aufspielung der Software (mit der Funktionsweise nun über das Thermofenster) bloß darauf, die Beklagte habe gewusst, dass die vom EuGH geforderten Voraussetzungen (Notwendigkeit des Motorschutzes und der Gewährleistung des sicheren Betriebs des Fahrzeugs) beim Thermofenster nicht erfüllt seien und sie zumindest fahrlässig gehandelt habe, was für eine Schutzgesetzverletzung genüge. Daraus lässt sich ein Sachvortrag in Richtung Irreführung des Klägers anlässlich des Vertragsschlusses bei Kauf des Fahrzeugs bezogen auf die (spätere) Aufspielung des Software-Updates oder gar eine absichtliche sittenwidrige Schädigung durch dieses Software‑Updates nicht ansatzweise ableiten. Eine Haftung der Beklagten als Motorenherstellerin in Bezug auf Schäden durch das Thermofenster wäre aber nur nach § 1295 Abs 2 und § 874 ABGB denkbar (vgl 3 Ob 40/23p [ErwGr 5.3]).

[17] 4. Die Beklagte ist insgesamt mit ihrem Rekurs im Recht und somit die klageabweisende Entscheidung des Erstgerichts, die im Umfang von 892,68 EUR bereits in Rechtskraft erwachsen ist, wiederherzustellen. Darauf ist der Kläger mit seinem Rekurs zu verweisen.

[18] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO.

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