OGH 6Ob149/23i

OGH6Ob149/23i20.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. M*, 2. E*, beide *, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH, wider die beklagte Partei V* AG, *, Deutschland, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 50.090 EUR sA, über die Rekurse aller Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 24. Mai 2023, GZ 6 R 73/23g‑37, womit das Urteil des Landesgerichts Wels vom 15. März 2023, GZ 2 Cg 59/20h‑32, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00149.23I.1120.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Rekurse werden zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien 24,54 EUR an Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Kläger erwarben im April 2012 einen Neuwagen der Marke Audi Q3 2.0 TDI quattro.

[2] Die Beklage ist unstrittig nicht Herstellerin des Fahrzeugs sondern (nur) des darin verbauten, von ihr entwickelten Dieselmotors des Typs EA 189 der Abgasklasse Euro 5.

[3] Das Fahrzeug verfügte bei Übergabe an die Kläger über eine unzulässige Abschalteinrichtung (Umschaltlogik). Auch nach Durchführung des Software‑Updates liegt eine unzulässige Abschalteinrichtung vor, weil die Abgasrückführung nur zwischen 15 und 33 Grad Celsius und damit in Österreich nur zwischen vier bis fünf Monate voll aktiv ist.

[4] Die Kläger begehren von der Beklagten Schadenersatz in Form einer Zahlung in Höhe des Kaufpreises (samt Zinsen ab Klagszustellung) Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs, gestützt auch auf arglistige Irreführung.

[5] Das Berufungsgericht hob das die Klage samt Eventualbegehren abweisende Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück.

[6] Auch wenn die Beklagte bloß den Motor hergestellt habe, seien – wenn den Klägern der Nachweis eines Schadenseintritts gelinge – eine Beweisaufnahme und Feststellungen zu den neben der behaupteten Schutzgesetzverletzung geltend gemachten weiteren Haftungsansätzen (insbesondere nach §§ 874, 1295 ABGB) erforderlich. Die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen reichten für die Beurteilung der Frage, ob das den objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug vielleicht dennoch konkret dem Willen der Käufer entsprach, nicht aus. Auch zur Frage der von der Beklagten eingewendeten Verjährung hielt das Berufungsgericht das Verfahren für erörterungsbedürftig. Überdies werde allenfalls der den Geschädigten zugekommene Vorteil zu berücksichtigen sein.

[7] Die Erklärung, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, begründete das Berufungsgericht mit „Blick auf die Vielzahl an gerichtsanhängigen, ähnlichen Fällen und dem Fehlen von Rechtsprechung zur Haftung eines Komponentenzulieferers“.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurse sind – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts – nicht (mehr) zulässig, was nur einer kurzen Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 ZPO).

1. Zum Rekurs der Kläger:

[9] 1.1. Die Kläger gründen die angebliche Spruchreife des Verfahrens auf einen „gemeinsamen Tatplan“ von Fahrzeug- und Motorenhersteller, wozu jedoch – wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat – jegliche Feststellungen fehlen.

[10] 1.2. Dass eine deliktische Haftung wegen des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus der vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) beurteilten Schutzgesetzverletzung nur den Fahrzeughersteller, der Inhaber der EG‑Typengenehmigung ist und die Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt hat, trifft, hat der Oberste Gerichtshof bereits ebenso ausgesprochen (3 Ob 40/23p [ErwGr 5.2]; ausführlich 6 Ob 161/22b [ErwGr 3]) wie Rechtsprechung dazu vorliegt, dass eine Haftung des Motorenherstellers nach § 1295 Abs 2 ABGB und wegen arglistiger Irreführung denkbar ist (3 Ob 40/23p [ErwGr 5.2 und 5.3]).

2. Zum Rekurs der Beklagten:

[11] 2.1. Ob tatsächliche Behauptungen einer Partei iSd § 267 Abs 1 ZPO als schlüssig zugestanden anzusehen sind, hat das Gericht unter sorgfältiger Berücksichtigung des gesamten Inhalts des gegnerischen Vorbringens zu beurteilen (RS0040091). Die Wertung von Parteienvorbringen als Geständnis hängt – wie die Auslegung des Parteivorbringens schlechthin (RS0042828) – zwangsläufig von den Umständen des Einzelfalls ab (10 ObS 10/23b [Rz 12]) und begründet daher in der Regel – wie auch hier – keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 ZPO.

[12] Mit der pauschalen Anführung, die Beklagte habe am 3. 1. 2023 ein „umfangreiches ergänzendes Vorbringen erstattet und explizit auf die Entscheidungen des EuGH vom 14. 7. 2022 Bezug genommen“, vermag die Beklagte nicht darzulegen, aufgrund welchen konkreten Tatsachenvorbringens in Hinblick auf die vom Berufungsgericht als zugestanden angenommenen Tatsachen eine substantiierte Bestreitung stattgefunden hätte. Auf diese Weise kann sie eine Fehlbeurteilung nicht darlegen. Auch die Ausführungen des Erstgerichts zu (Gesamt-)Jahresdurchschnittstemperaturen vermögen daran nichts zu ändern. Ein als Jahresdurchschnittstemperatur ausgewiesener Wert kann keine Feststellungsgrundlage dafür bieten, in welchem Zeitraum während des Jahres (umfänglich) die Abgasrückführung voll aktiv wäre.

[13] 2.2. Auch zur Frage der Verjährung ist nicht von Spruchreife auszugehen. Der Lauf der Verjährungsfrist setzt Kenntnis von Schaden und Schädiger voraus (RS0034951; RS0034374). Die Kläger haben dazu vorgebracht, sie seien (erst) im Rahmen des Erstgesprächs bei der Rechtsvertretung darüber informiert worden, dass der im Fahrzeug verbaute Dieselmotor vom Abgasmanipulationsskandal betroffen sei und auch das durchgeführte Software‑Update „keinen normkonformen Zustand“ hergestellt habe. Der Verjährungseinwand der Beklagten fusst auf ihrem Vorbringen, dass die „hier gegenständliche NOx‑Thematik in Zusammenhang mit EA 189‑Fahrzeugen“ bereits seit Mitte September 2015 bekannt und „die klagende Partei [...] spätestens seit dem 16. 12. 2016 in Kenntnis der Betroffenheit ihres Fahrzeuges“ sei.

[14] Feststellungen dazu fehlen aber bisher. Darin, dass auch diese Frage – angesichts des bisherigen rudimentären, widersprüchlichen Vorbringens dazu – noch nicht beurteilt werden kann, liegt somit ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage. Das Berufungsgericht hat lediglich die Thematik Umschaltlogik und Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn der Verordnung (EG) 715/2007 als abschließend erledigte Streitpunkte angesehen.

[15] 2.3. Zuletzt vermag die Beklagte auch mit ihren Ausführungen zu einer vermeintlich fehlenden Kausalität „im Hinblick auf das Thermofenster“ und zu ihrem angeblich fehlenden Verschulden keine Korrekturbedürftigkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts anzusprechen.

[16] Wäre – was eben noch nicht feststeht – Ergebnis des Verfahrens, dass der Beklagten hinsichtlich der Umschaltlogik ein arglistig herbeigeführter Irrtum oder eine absichtliche Schadenszufügung in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise nachgewiesen werden würde, entfiele ihre Haftung nicht bei fehlendem Verschulden (oder einem Mangel von Arglist oder Schädigungsabsicht) zum Thermofenster (siehe 6 Ob 84/23f [ErwGr 3], wobei unbeachtlich wäre, dass die Beklagte nur Motorenherstellerin ist, soweit bei ihr nur die Haftungsvoraussetzungen nach § 874 oder § 1295 Abs 2 ABGB hinsichtlich der Umschaltlogik erfüllt sind). Ob der Versuch der Schadensbeseitigung verschuldet oder unverschuldet fehlschlägt, ist unbeachtlich.

[17] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit des Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts iSd § 519 Abs 1 Z 2 ZPO findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (RS0123222 [T2, T4]).

[18] Beide Parteien haben in ihren Rekursbeantwortungen jeweils auf die Unzulässigkeit des von der Gegenseite erhobenen Rekurses und dessen fehlende Berechtigung hingewiesen. Die beiderseits verzeichneten Kosten weichen nur hinsichtlich der Höhe der Umsatzsteuer von einander ab, zumal die Beklagte ihren Sitz in Deutschland hat. Da die beiderseits verzeichneten Kosten ansonsten gleich hoch sind, erfolgt ein Zuspruch nur für die Differenz der Umsatzsteuer.

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