OGH 1Ob146/22k

OGH1Ob146/22k23.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely-Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch die Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. H* Ges.m.b.H., *, vertreten durch Dr. Ulrich Schwab & Dr. Georg Schwab, Rechtsanwälte in Wels, 2. D* AG, *, vertreten durch Dr. Ivo Greiter und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 44.826,53 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 11. März 2021, GZ 3 R 24/21a-30, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 28. Dezember 2020, GZ 36 Cg 40/20i-25, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00146.22K.0523.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

I. Die Eingabe der klagenden Partei vom 18. 7. 2022 wird zurückgewiesen.

II. Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

III. Die Revisionsbeantwortung der erstbeklagten Partei vom 2. 3. 2023 wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

I. Zum Zurückweisungsbeschluss:

[1] Der Kläger brachte nach Vorliegen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs einen Schriftsatz ein, der vom Obersten Gerichtshof weder aufgetragen noch freigestellt wurde, sodass er zurückzuweisen ist.

II. Zur Sache

[2] Der Kläger kaufte am 16. 10. 2017 von der Erstbeklagten (die keine „M*-Vertragshändlerin“ ist) ein am 18. 9. 2014 erstzugelassenes Fahrzeug der Marke M* „BlueTEC“ der Zustandsklasse 2 mit einem Kilometerstand von 53.200 um 52.900 EUR. In diesem (von der Zweitbeklagten hergestellten) Fahrzeug ist ein Dieselmotor des Typs OM 642 verbaut. Das Fahrzeug sollte der Abgasnorm Euro 6 entsprechen und einen NOx-Grenzwert von 80 mg/km einhalten. Es ist von einem (nicht rechtskräftigen) Rückrufbescheid des deutschen Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) betroffen.

[3] Der Kläger macht Ansprüche aus Schadenersatz, Gewährleistung und Vertragsanfechtung wegen Willensmangels gegenüber der Erstbeklagten und Schadenersatz gegenüber der Zweitbeklagten geltend. Er begehrt primär die Aufhebung des Kaufvertrags gegenüber der Erstbeklagten und gegenüber beiden Beklagten die Zahlung von 44.826,53 EUR (Kaufpreis von 52.900 EUR abzüglich 8.073,47 EUR Benützungsentgelt) samt Zinsen zur ungeteilten Hand, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Hilfsweise begehrt er aus dem Titel der Preisminderung die Zahlung von 15.000 EUR, in eventu die Feststellung, dass die Beklagten zur ungeteilten Hand für jeden Schaden hafteten, der ihm aus dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung in dem Fahrzeug entstehe. Das Fahrzeug sei mangelhaft, weil darin mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut worden seien, ohne die die gesetzlichen Grenzwerte beim NEFZ-Test nicht eingehalten worden wären und es keine Typisierung gegeben hätte. Die Abschalteinrichtungen würden den Prüfstand erkennen und sich auf das AGR-System (temperaturabhängige Abschalteinrichtung, die außerhalb des Temperaturbereichs von 11 bis 30 Grad Umgebungstemperatur die Funktionsweise verhindere) sowie das SCR-System („Slipguard-Funktion“) auswirken und eine Minderung des Systems temperatur-, geschwindigkeits- und beschleunigungsabhängig bewirken. Neben dem Abgasrückführungssystem sei das Fahrzeug mit einer AdBlue‑Einspritzung ausgestattet, um die NOx-Grenzwerte erfüllen zu können. Doch würden diese Grenzwerte nicht im Realbetrieb eingehalten, sei die Abgasreduzierung lediglich teilweise voll funktionsfähig und werde die Einspritzung außerhalb von 7 bis 30 Grad Celsius sowie über 120 km/h abgeschaltet. Etwaige Softwareupdates würden den Mangel der Überschreitung der NOx-Grenzwerte bzw die „Nichtkonformität“ mit geltendem EU-Recht nicht beseitigen.

[4] Die Beklagten bestreiten. Die Erstbeklagte brachte vor, sie habe keine Kenntnis, ob im vom Kläger erworbenen Fahrzeug eine den Abgasausstoß beeinflussende Software verbaut sei, weil sie keine Vertragshändlerin sei. Die Zweitbeklagte wandte ein, dass die Klage unschlüssig sei. Der behauptete Mangel liege nicht vor. Im Fahrzeug sei keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut. Der (inhaltlich zwischen der Zweitbeklagten und der Behörde strittige) Rückrufbescheid beziehe sich nicht auf eine Manipulation, die – wie beim *Motor EA189 – auf einer Prüfstandserkennung beruhe, sondern auf einer vom KBA geforderten optimierten Aussteuerung des Emissionskontrollsystems. Die für das Fahrzeug ausgewiesenen Emissionswerte und die Norm Euro 6 seien stets mit detailliert normierten Prüfbedingungen verknüpft. Die ausgezeichneten Messwerte beruhten auf den gesetzlich vorgegebenen Prüfmethoden. Welches Emissionsverhalten das Fahrzeug außerhalb der maßgeblichen gesetzlichen Prüfbedingungen („NEFZ kalt“) habe, sei für den Rechtsstreit ohne Relevanz. Die EU-Typengenehmigung sei uneingeschränkt wirksam und bestandkräftig. Zum Erreichen der sehr niedrigen Limits für die NOx-Emission nach Euro 6 sei eine Kombination von innermotorischen Maßnahmen, die die Entstehung der NOx-Emission im Verbrennungsmotor verhinderten, und eine sogenannte Abgasnachbehandlung mittels Katalysatoren erforderlich. Diese erfolge im Fahrzeug des Klägers durch die selektive katalytische Reduktion (SCR). Dabei werde dem Abgas eine wässrige Harnstofflösung (AdBlue) beigemischt, die durch die hohen Temperaturen im Abgassystem in Ammoniak umgewandelt werde, der wiederum mit den im Abgas enthaltenen Stickoxiden im Wesentlichen zu Stickstoff und Wasser reagiere. Die Durchführung eines Softwareupdates sei möglich und zumutbar. Die Zweitbeklagte wandte aufrechnungsweise ein Benutzungsentgelt von 25.000 EUR ein.

[5] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

[6] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

[7] Aus dem (weitgehend negativ) festgestellten Sachverhalt könne nicht abgeleitet werden, dass die aufgrund des Rückrufbescheids in Rede stehende „Fehlkalibrierung“ ein Konstruktionsteil (bzw eine Software) sei, die einen Parameter ermittle und in Reaktion darauf in das Emissionskontrollsystem eingreife. Aus keiner erstinstanzlichen Feststellung würde sich ergeben, dass im Fahrzeug eine Abschalteinrichtung verbaut sei. Insbesondere sei das Vorhandensein eines „Thermofensters“ nicht festgestellt (vgl „Daraus ergibt sich in Ausnahmefällen die Notwendigkeit eines Thermofensters [...] oder man installiert, wie bei ganz neuen Fahrzeugen {wie hier} zwei derartige SCR-Systeme {eines sehr motornah} und installiert noch zusätzlich einen Nox-Speicher-KAT.“). Ohne Feststellung eines Mangels zum Übergabezeitpunkt könne eine Auseinandersetzung mit der in der Berufung aufgeworfenen Frage der Geringfügigkeit des Mangels wie auch der Unzumutbarkeit oder Unmöglichkeit der Verbesserung unterbleiben.

[8] Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers, die auf eine Klagestattgebung abzielt. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9] Die Beklagten beantragen jeweils in der (freigestellten) Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die außerordentliche Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Sie ist im Sinn einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen auch berechtigt.

[11] 1. Zu den hier maßgeblichen Rechtsfragen liegen bereits Vorentscheidungen des 10. Senats des Obersten Gerichtshofs vor.

[12] 1.1. Der Oberste Gerichtshof hat mit Teilurteil vom 21. 2. 2023 zu 10 Ob 2/23a nach Vorliegen des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 14. 7. 2022, C‑145/20 , zusammengefasst Folgendes klargestellt:

Gemäß Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EU ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Eine Abschalteinrichtung ist nach der Legaldefinition des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EU ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.

Art 5 Abs 2 Satz 2 VO 715/2007/EU normiert drei Ausnahmetatbestände vom Verbot von Abschalteinrichtungen. Gemäß Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen dann nicht unzulässig, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Kraftfahrzeugs zu gewährleisten.

Eine Abschalteinrichtung ist nur dann „notwendig“ im Sinn des Art 5 Abs 2 Satz 1 lit a VO 715/2007/EU , wenn zum Zeitpunkt der EG‑Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann.

Ein Fahrzeug, das im Zeitpunkt der bedungenen Übergabe mit einer gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EU verbotenen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, ist nicht vertragskonform im Sinne der Verbrauchsgüterkauf-RL (Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, Abl L 171/12 vom 7. 7. 1999), konkret deren Art 2 Abs 2 lit d, weil es nicht die Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftiger Weise erwarten kann.

Diese Beurteilung nach der Verbrauchsgüterkauf-RL führt auch zur Qualifikation eines solchen Kfz als mangelhaft gemäß § 922 ABGB, weil es nicht die gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften aufweist.

Fahrzeuge mit einem Dieselmotor des Typs EA189 der Abgasklasse EU 5 waren mit einer im Motorsteuerungsgerät enthaltenen „Umschaltlogik“ ausgestattet, die für die Abgasrückführung zwei Betriebsmodi vorsah, einen Betriebsmodus für das Emissionsprüfungsverfahren mit einer relativ hohen Abgasrückführung und einen Betriebsmodus mit einer geringeren Rückführungsrate, der unter normalen Fahrbedingungen zum Einsatz gelangte. Diese „Umschaltlogik“ wurde als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn der Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EU und damit als Sachmangel qualifiziert.

Die Behebbarkeit des bei der Übergabe vorhandenen Sachmangels durch das von der (dort) Beklagten angebotene und durch das zuständige deutsche Kraftfahrt-Bundesamt gebilligte Software-Update wurde verneint, weil das Fahrzeug auch nach der angebotenen Verbesserung weiterhin mangelhaft iSd § 922 ABGB wäre.

Unabhängig davon, ob die in Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU normierten Voraussetzungen des Motorschutzes erfüllt sind, ist die Abschalteinrichtung jedenfalls unzulässig, wenn sie den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste.

Eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktioniert, weil die Abgasrückführung nur bei Umgebungstemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius voll aktiv ist, fällt nicht unter die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU .

Die vom (dortigen) Kläger geltend gemachte Wandlung wurde daher für berechtigt erkannt.

Außerdem sprach der 10. Senat aus, dass der Gebrauchsnutzen des Käufers eines Fahrzeugs, der die Rückabwicklung nicht zu vertreten hat, grundsätzlich in Abhängigkeit von den gefahrenen Kilometern (linear) zu berechnen ist. Wie der Fall zu beurteilen wäre, wenn die zu erwartende Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs bereits erreicht wäre, blieb dahingestellt. Bei einem gebrauchten Fahrzeug ist der vereinbarte Kaufpreis heranzuziehen, wenn und weil dieser als angemessene Gegenleistung angesehen werden kann. Konsequenterweise ist dann bei der Berechnung nicht die Gesamtlaufleistung, sondern die dem (als angemessen unterstellten) Kaufpreis zugrunde gelegte Restlaufleistung zu berücksichtigen.

[13] 1.2. Mit Endurteil vom 25. 4. 2023 zu 10 Ob 2/23a hat der Oberste Gerichtshof nach Vorliegen des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 21. 3. 2023, C-100/21 , überdies zur Frage der schadenersatzrechtlichen Haftung des Herstellers Stellung genommen und zusammengefasst Folgendes ausgeführt:

Ein Verstoß gegen Art 5 der VO 715/2007/EG kann den Hersteller auch dann ersatzpflichtig machen, wenn er in keinem Vertragsverhältnis zum Käufer steht.

Für diesen Schadenersatzanspruch macht der EuGH grundsätzliche Vorgaben, nämlich in dem Sinn, dass die Mitgliedstaaten in einem solchen Fall einen Schadenersatzanspruch zu Gunsten eines Käufers gegenüber dem Hersteller vorzusehen haben, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist. Dabei handelt es sich somit um einen im nationalen Recht wurzelnden Schadenersatzanspruch, der am unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz zu messen ist, also eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion für den Verstoß darstellen muss. Im Übrigen richten sich die Modalitäten dieses Schadenersatzanspruchs nach nationalem Recht.

Als nachteilige Folge – vor der ein Fahrzeug-käufer durch das Unionsrecht geschützt werden soll – sieht der EuGH an, dass durch die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung die Gültigkeit der EG-Typen-genehmigung und daran anschließend die der Übereinstimmungsbescheinigung in Frage gestellt werden, was wiederum (unter anderem) zu einer Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit (Anmeldung, Verkauf oder Inbetriebnahme des Fahrzeugs) und „letztlich“ zu einem Schaden führen kann. Damit stellt der EuGH klar, dass ein deliktischer Schadenersatzanspruch nicht als ein von einem Schadenseintritt losgelöster Akt der privaten Durchsetzung von Emissionsnormen zu sehen ist. Vielmehr geht es um den Ausgleich der objektiven Unsicherheit hinsichtlich der Fahrzeugnutzung, mit der der individuelle Fahrzeugerwerber konfrontiert ist.

Der Schadensbegriff des ABGB wird diesen unionsrechtlichen Voraussetzungen gerecht. Als Schaden im Sinn des § 1293 ABGB ist jeder Zustand zu verstehen, der rechtlich als Nachteil aufzufassen ist, an dem also ein geringeres rechtliches Interesse als am bisherigen besteht. Im Fall des Erwerbs eines mit einer im Sinn des Art 5 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs besteht dieses geringere rechtliche Interesse – den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechend – in der (objektiv) eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit.

Ein Schadenseintritt wäre lediglich dann zu verneinen, wenn das objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Käufers entsprach.

Der Schadenersatzanspruch ist primär auf Naturalersatz gerichtet (§ 1323 ABGB).

Da ein individueller Käufer eines Kraftfahrzeugs einen Anspruch gegen den Hersteller dieses Fahrzeugs darauf hat, dass dieses Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG ausgestattet ist, wäre primär an eine Beseitigung dieser unzulässigen Abschalteinrichtung zu denken. Jedenfalls in dem Fall, dass eine (geeignete) Beseitigung der unzulässigen Abschalteinrichtung durch Reparatur des Fahrzeugs nicht angeboten wird, kann der Ersatz in Form einer Erstattung des Kaufpreises gegen Übergabe des mit der unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs (Zug-um-Zug-Abwicklung) verlangt werden.

Ausgehend von dem Grundsatz, dass der Geschädigte so zu stellen ist, wie er ohne schädigendes Ereignis stünde, ist auch ein Vorteil des Geschädigten, der ohne die erfolgte Beschädigung nicht entstanden wäre, prinzipiell zugunsten des Schädigers zu buchen. Der in der Nutzung des Fahrzeugs liegende Vorteil ist nach den in der Entscheidung des Senats vom 21. Februar 2023 zu 10 Ob 2/23a [Rz 92 ff] ausführlich dargelegten bereicherungsrechtlichen Grundsätzen zu ermitteln.

[14] 2. Im Anlassfall liegt kein Dieselmotor des Typs EA189 der Abgasklasse Euro 5 vor, sondern ist das Fahrzeug des Klägers mit einem Dieselmotor des Typs OM642 der Abgasklasse Euro 6b eines anderen Herstellers ausgestattet. Dennoch sind die die Entscheidungen zu 10 Ob 2/23a tragenden Erwägungen sinngemäß auch auf den Anlassfall übertragbar. Dies führt zur Aufhebung in die erste Instanz:

[15] 2.1. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass es keine Feststellung im Ersturteil gebe, dass im Fahrzeug des Klägers eine (unzulässige) Abschalteinrichtung verbaut sei. Insbesondere sei das Vorhandensein eines „Thermofensters“ nicht festgestellt worden. Auch die Zweitbeklagte vertritt diesen Standpunkt.

[16] 2.2. Dieser Beurteilung kann (derzeit noch) nicht beigetreten werden, weil die (über weite Strecken mit Rechtsausführungen vermengten) erstinstanzlichen Feststellungen widersprüchlich und unvollständig sind und letztlich unklar bleiben:

[17] Fest steht, dass der Kläger mit Schreiben des Generalimporteurs vom 16. 1. 2020 darüber informiert wurde, dass „...auf Anordnung des Kraftfahrt-Bundesamtes … im Rahmen eines verpflichtenden Rückrufs die Software des Motorsteuergerätes von mehreren Dieselfahrzeugen der Abgasnorm Euro 6“, unter anderem bei seinem Fahrzeug, durch kostenlose Einspielung eines Softwareupdates aktualisiert werden würde, weil der offizielle Bescheid zu diesem Rückruf vorsehe, „dass D* [die Zweitbeklagte] damit spezifische Kalibrierungen der Motorsteuerung verändert, die das Kraftfahrt-Bundesamt als unzulässig einstuft“ (./A). Welche Handlungsweise vom KBA konkret als unzulässig eingestuft wurde, konnte zwar nicht festgestellt werden. Fest steht aber wiederum, dass „offensichtlich die Problematik des Thermofensterbereichs, der AdBlue‑Dosierung und auch Aufwärm- und Aufheizstrategien betroffen“ sind. Weiters hat das Erstgericht festgestellt, dass

„eine Außentemperatur gesteuerte Abgas‑ rückführung bei den Euro 6-Motoren im vollen Umfang zwischen 11 und 30 Grad ... im weitesten Sinn natürlich eine Abschalteinrichtung [ist], weil bei niedrigeren oder höheren Temperaturen ausgerampt und überhaupt abgeschaltet wird. Diese Maßnahme ist zweifelsfrei bei EU 5 und EU 6 Fahrzeugen notwendig, um ein Versotten und Verlacken der Bauteile der Abgasrückführung hintanzuhalten [... ]. Wenn unter dem Begriff Motor in der Verordnung EG 715/2007 auch alle den Motor umgebende, für den Betrieb des Motors notwendigen Bauteile, mit eingeschlossen sind, ist die Abschalteinrichtung auch notwendig, um den gesamten Motor vor Beschädigungen zu schützen. […] Die Entfernung einer unzulässigen Abschalteinrichtung ist aus technischer Sicht ein wesentliches technisches Merkmal im Sinne des § 32 KFG, das Aufspielen von Software-Updates ist in heutigen Zeiten schon normal. Der Eingriff in das Abgasverhalten eines Fahrzeuges stellt jedoch natürlich eine wesentliche technische Änderung dar. Nach dem Aufspielen des Software-Updates sind Folge- und Dauerschäden im gesamten Emissionsbereich sicherlich nicht ausschließbar. […] Wenn die Abgasrückführung in Richtung weniger NOx eingestellt wird, bewirkt dies, dass eine höhere Partikelmasse über den Dieselfilter abgebaut werden muss.“

[18] Daraus ergibt sich im Zusammenhalt mit seiner rechtlichen Beurteilung, wonach insbesondere „der Mangel durch Aufspielen des Updates behoben und dadurch ein genehmigungskonformer Zustand hergestellt werden“ kann, dass das Erstgericht, auch wenn es die Ausführungen zur temperaturabhängigen Abgasrückführung bei Motoren der Abgasklasse Euro 6 ganz allgemein gehalten hat, den vorliegenden Motor mitgemeint haben dürfte. Aus den Feststellungen zum Softwareupdate ist zu erschließen, dass damit in das Abgasverhalten des (konkreten) Fahrzeugs eingegriffen werden soll, und zwar insofern, als dadurch der NOx-Ausstoß in Zukunft reduziert werden soll. Damit in Einklang stünden die Ausführungen des Gerichtssachverständigen in erster Instanz, das Softwareupdate sei insofern notwendig, als Unregelmäßigkeiten dahingehend aufgefallen seien, dass die Abgasreinigung, insbesondere die NOx-Reduktion, am Prüfstand deutlich bessere Werte gezeigt habe als im realen Fahrbetrieb. Diesem Umstand sei auch das KBA nachgegangen und sei der Meinung, dass es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung handle.

[19] All dies spricht dafür, dass das Fahrzeug des Klägers möglicherweise doch eine Abschalteinrichtung aufweist, die (zumindest) vom KBA im Sinne des Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EU als unzulässig beurteilt wird.

[20] Die Sachverhaltsgrundlage ist allerdings in keiner Weise gesichert, weil die Zweitbeklagte in ihrer Berufungsbeantwortung insbesondere die Feststellung als unrichtig gerügt hat, dass ihre vom KBA als unzulässig eingestuften Handlungsweisen „offensichtlich […] die Problematik des Thermofensterbereichs, der AdBlue‑Dosierung und auch Aufwärm- und Aufheizstrategien betroffen“ hätten und sich auch (vorsichtshalber) gegen die Feststellung gewandt hat, dass durch das Softwareupdate eine unzulässige Abschalteinrichtung aus dem Fahrzeug entfernt werde, sollte die Feststellung, dass die Entfernung einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus technischer Sicht ein wesentliches technisches Merkmal im Sinne des § 32 KFG sei, in diesem Sinn zu verstehen sein. Diese Tatsachenrüge blieb vom Berufungsgericht unerledigt.

[21] Darüber hinaus sind die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen auch nicht eindeutig, wie schon die vom Berufungsgericht zur Stützung seiner Beurteilung zitierte Feststellung zeigt, wonach „sich in Ausnahmefällen die Notwendigkeit eines Thermofensters [ergibt] oder man installiert, wie bei ganz neuen Fahrzeugen (wie hier) zwei derartige SCR-Systeme (eines sehr motornah) und installiert noch zusätzlich einen Nox-Speicher-KAT“. Daher kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Feststellungen zur temperaturabhängigen Abschalteinrichtung (wie die Zweitbeklagte meint) doch nicht das Fahrzeug des Klägers betreffen, sondern im Fahrzeug des Klägers zur Abgasreinigung zwei SCR-Systeme (eines sehr motornah) und zusätzlich ein NOx-Speicher-KAT installiert sind. Insgesamt bleibt daher auch unklar, ob dieses SCR-System eine Alternative oder eine Ergänzung zum sogenannten Thermofenster ist und wie sich die Sachlage im konkreten Fall tatsächlich darstellt. Dabei ist zu beachten, dass – wie der Kläger zu Recht geltend macht – nicht nur die bei Motoren eines anderen Herstellers eingebaute (und den Entscheidungen zu 10 Ob 2/23a zugrunde liegende) „Umschaltlogik“ unzulässig ist, sondern sämtliche Einrichtungen, die die Wirksamkeit von Emissionskontrollsystemen unter Bedingungen verringern, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, ohne dass ein Ausnahmetatbestand der VO 715/2007/EU erfüllt wäre (EuGH C-145/20 ).

[22] 2.3. Widersprüchliche Feststellungen, die eine abschließende rechtliche Beurteilung nicht ermöglichen, sind Feststellungsmängel, deren Vermeidung zur Wahrung der Rechtssicherheit erhebliche Bedeutung zukommt (RS0042744). In einem solchen Fall sind die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen (RS0042744 [T1]).

[23] Das Erstgericht wird nachvollziehbare Feststellungen zur technischen Ausstattung des im Fahrzeug des Klägers verbauten Motors und zur Funktionsweise der Motorsteuerung zu treffen haben, die eine abschließende Beurteilung erlauben, ob eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt. Die Beweislast trifft den Kläger.

[24] 2.4. Sollte eine solche Abschalteinrichtung festgestellt werden, würde sich die Frage stellen, ob sie sich durch das von der Zweitbeklagten angebotene Softwareupdate beseitigen und der Sachmangel damit verbessern ließe. Auch dies könnte aufgrund der bislang getroffenen Feststellungen noch nicht abschließend beurteilt werden. Zwar legt der Sachverhalt nahe dass (auch) bei Euro 6‑Motoren eine außentemperaturgesteuerte Abgasrückführung zum Schutz des Motors vor Beschädigung notwendig sein könnte. Es ist aber nicht beurteilbar, ob die Voraussetzungen des Art 5 Abs 3 lit a VO 715/2007/EU im Hinblick auf die Notwendigkeit der Abschalteinrichtung in der engen Auslegung des Europäischen Gerichtshofs erfüllt sind. Überdies ist offen, ob diese Abschalteinrichtung in concreto die überwiegende Zeit des Jahres aktiv sein müsste, was sie jedenfalls unzulässig machen würde (10 Ob 2/23a; EuGH C-145/20 ).

[25] Auch zur Frage, ob der Mangel durch das Softwareupdate behoben würde und der Kläger zu Unrecht eine Verbesserung abgelehnt hat, wird das Erstgericht daher gegebenenfalls nach Erörterung mit den Parteien und Verfahrensergänzung nachvollziehbare Feststellungen nachzutragen haben.

[26] 2.5. Um eine allfällige Haftung der Zweitbeklagten beurteilen zu können, ist ebenfalls festzustellen, ob das Fahrzeug latent mit einer Unsicherheit hinsichtlich der rechtlichen Nutzungsmöglichkeit behaftet ist, weil es mit einer nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist und auch bei Installation des (vom Kläger abgelehnten) Softwareupdates eine unzulässige Abschalteinrichtung weiterhin vorliegen würde (vgl auch 10 Ob 16/23k). Sollte diese Frage zu bejahen sein, mangelte es überdies an Feststellungen darüber, ob der Kläger – wie er in erster Instanz behauptet hat – ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug nicht wollte und bei entsprechender Kenntnis (insbesondere auch über eine allfällige Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs) nicht erworben hätte, und ob er daher aufgrund des Verhaltens der Zweitbeklagten einen Schaden im Sinne der obigen Ausführungen unter Punkt 1.2. erlitten hat.

[27] 3. Der außerordentlichen Revision war daher Folge zu geben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung unter Berücksichtigung der dargestellten Erwägungen aufzutragen. Demgegenüber besteht angesichts der jüngsten Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union zu C-145/20 und C-100/21 kein Anlass für die Einleitung eines (weiteren) Vorabentscheidungsverfahrens, zumal es bislang auch in maßgeblichen Bereichen an einer gefestigten Sachverhaltsgrundlage fehlt.

[28] 4. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 3 ZPO.

[29] III. Die Erstbeklagte hat vor Freistellung eine Revisionsbeantwortung eingebracht und nach der – aus diesem Grund nur mehr gegenüber der Zweitbeklagten erforderlichen (RS0104882) – Freistellung eine weitere. Da jeder Partei nur eine einzige Rechtsmittelschrift oder Rechtsmittelgegenschrift zusteht, war die zweite Revisionsbeantwortung der Erstbeklagten als unzulässig zurückzuweisen (RS0041666).

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