OGH 1Ob189/23k

OGH1Ob189/23k23.1.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely-Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F*, vertreten durch die B & S Böhmdorfer Schender Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 110.590,46 EUR sA, über den Rekurs und die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen den Beschluss und das Teilurteil des Oberlandesgerichts Linz vom 14. August 2023, GZ 4 R 93/23h-40, womit das Urteil des Landesgerichts Linz vom 16. September 2021, GZ 31 Cg 8/21v-29, teilweise bestätigt und teilweise aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00189.23K.0123.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Amtshaftung inkl. StEG

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

I. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

II. Dem Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der Kläger war Partei in mehreren Verfahren vor einem Bezirksgericht, unter anderem in einem Pflegschaftsverfahren. Seine zahlreichen Ablehnungsanträge gegen die Erstrichterin in diesen Verfahren wurden alle zurückgewiesen. Er erhob dagegen Rechtsmittel und lehnte auch den Vorsteher des Bezirksgerichts als Entscheidungsorgan in den Ablehnungsverfahren ab. Über einen im Jahr 2017 von ihm mit der Begründung eingebrachten Ablehnungsantrag, der Vorsteher des Bezirksgerichts und die Richterin unterhielten eine sexuelle Beziehung, erklärte die zweite Instanz im Ablehnungsverfahren schließlich den Vorsteher (nicht aber die Richterin) für befangen. Zwischen dem Vorsteher und der Richterin hatte sich im Laufe des Jahres 2015 eine freundschaftliche Beziehung entwickelt, und die beiden waren einander privat näher gekommen. Seither führten sie eine Beziehung; es konnte aber nicht festgestellt werden, „wann genau im Jahr 2015 dieses private Verhältnis begonnen“ hat.

[2] Den in der Folge über seine Ablehnungsanträge entscheidenden Vertreter des Gerichtsvorstehers lehnte der Kläger erfolglos mehrfach ab, ebenso die Senate des übergeordneten Landesgerichts, die mit seinen Ablehnungsanträgen befasst waren.

[3] Im Dezember 2017 wurden sämtliche Richter des Bezirksgerichts über Selbstanzeige für befangen erklärt, nachdemder Kläger die Pflegschaftsrichterin nach § 107 StGB gefährlich bedroht hatte, und ein anderes Bezirksgericht zur Führung der noch anhängigen Verfahren bestimmt.

[4] Der Kläger begehrte aus dem Titel der Amtshaftung die Zahlung von 110.590,50 EUR sA.Die Entscheidungsorgane in den Ablehnungsverfahren hätten jeweils unter Nichtbeachtung verfassungsrechtlich abgesicherter Verfahrensgarantien, insbesondere seines Rechts auf rechtliches Gehör, unter Zugrundelegung einer unvertretbaren Auslegung der Bestimmungen der §§ 19, 22 JN entschieden und dadurch den angeführten Schaden aufgrund des hohen Prozesskostenaufwands verursacht. Die Entscheidungen über die Ablehnung der jeweils betroffenen Richter und Richterinnen seien letztlich willkürlich erfolgt, weil der Anschein der Befangenheit nicht objektiv geprüft worden sei. Abgesehen davon habe über die Ablehnungsanträge gegen die Richterin des Bezirksgerichts der Vorsteher entschieden, der aber eine, damals noch nicht bekannte, persönliche Beziehung (Lebensgemeinschaft) mit ebendieser Richterin unterhalten habe, die den Anschein seiner Befangenheit im Ablehnungsverfahren begründe. Dennoch hätten in unvertretbarer Rechtsanwendung weder er noch die abgelehnte Richterin die Beziehung im Rahmen einer gebotenen Selbstanzeige offengelegt. Hätten beide pflichtgemäß gehandelt, hätte sich die „Kaskade“ von Ablehnungsanträgen erübrigt und der damit einhergehende Schaden wäre nicht entstanden.

[5] Die Beklagte bestritt insbesondere auch die Schlüssigkeit des Klagebegehrens.

[6] Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 16.640,61 EUR sA und wies das Mehrbegehren von 93.949,85 EUR sA (teils wegen Unschlüssigkeit, teils mangels Nachweises der behaupteten Kosten und teilswegenVertretbarkeit der Rechtsanwendung durch die Organe der Beklagten) ab. Die mittels der vorgelegten Kostennoten konkretisierten Kosten für die Rechtsmittel ab dem Jahr 2016 gegen die Entscheidungen des Vorstehers über die Ablehnung der Richterin des Bezirksgerichts sowie für die Ablehnungsanträge gegen den Vorsteher samt Rechtsmittel von insgesamt 16.640,61 EUR seien als Schaden ersatzfähig. Der Vorsteher wäre ob der Intensität seiner Beziehung zur abgelehnten Richterin verpflichtet gewesen, den Anschein der Befangenheit oder gar seine Befangenheit anzuzeigen. In diesem Fall hätte ein anderer unbefangener Richter über die Ablehnungsanträge des Klägers entschieden, und jener hätte „möglicherweise“ in der Folge keine Rechtsmittel gegen diese Entscheidungen erheben müssen.

[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise und der Berufung der Beklagten zur Gänze Folge. Es bestätigte mit Teilurteil die Abweisung eines Klagebegehrens von 93.531,07 EUR sA sowie eines Zinsenmehrbegehrens und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. In Ansehung eines Teilbetrags von 17.059,39 EUR sA (Zuspruch von 16.640,61 EUR, Abweisung von 418,78 EUR) hob es die angefochtene Entscheidung auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Dagegen ließ es den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu.

[8] Die Negativfeststellung zu der Frage, wann im Laufe des Jahres 2015 die Beziehung zwischen dem Vorsteher des Bezirksgerichts und der abgelehnten Richterin begonnen habe, gehe zu Lasten des Klägers. Von einer bereits vor Ende des Jahres 2015 bestehenden Verpflichtung des Vorstehers zur Selbstanzeige nach § 22 GOG sei daher nicht auszugehen. Der Kläger habe nicht bewiesen, dass er für einen Schriftsatz vom 13. 10. 2016 Kosten von 1.048,50 EUR zu tragen gehabt habe. Im Gegensatz dazu seien Kosten von 348,98 EUR zuzüglich USt für einen Rekurs vom 28. 11. 2016 mangels Feststellungen noch nicht beurteilbar. Insoweit sei die Rechtssache noch nicht entscheidungsreif. In Bezug auf die übrigen Ersatzpositionen sei die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil sich der Kläger auf den pauschal gehaltenen Vortrag beschränke, das Erstgericht habe „zudem keine Feststellungen zu den Vorbringen, den Anträgen und den Beweisanboten“ getroffen.

[9] Der Wortlaut des § 22 Abs 1 und 2 GOG lasse keinen Zweifel an der Pflicht richterlicher Organe zur unverzüglichen Selbstanzeige, sobald ihnen ein kritisches „Verhältnis“ bekannt werde. Der aufgrund seiner engen privaten Nahebeziehung zur abgelehnten Richterin bestehende problematische äußere Anschein, der an einer unparteilichen Entscheidung in den konkreten Ablehnungsverfahren zweifeln lassen konnte, habe auch für den Vorsteher des Bezirksgerichts evident sein müssen. Dem Vorsteher als Organ der Beklagten sei insoweit ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten anzulasten, als er in den Ablehnungsverfahren betreffend die Richterin in unvertretbarer Rechtsanwendung davon abgesehen habe, seine private Beziehung zu dieser Richterin im Rahmen einer Selbstanzeige nach § 22 GOG offenzulegen.

[10] Der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt reiche jedoch nicht, um beurteilen zu können, ob und inwieweit dieses rechtswidrige und schuldhafte Organverhalten einen im Rahmen der Amtshaftung ersatzfähigen Mehraufwand des Klägers durch das Anfallen zusätzlicher Prozesskosten bewirkt habe. Es fehlten Feststellungen zum Inhalt der jeweiligen Eingaben, vor allem aber auch dazu, ob sich der Kläger den damit verbundenen Aufwand zur Gänze oder aber zumindest teilweise erspart hätte, wenn der Vorsteher eine Selbstanzeige erstattet hätte. Der Nachvollzug dieses hypothetischen Prozessverlaufs betreffe nicht den – von der Beklagten in erster Instanz gar nicht erhobenen – Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens, sondern den auch im Amtshaftungsverfahren vom Kläger zu behauptenden und nachzuweisenden Ursachenzusammenhang zwischen dem rechtswidrigen und schuldhaften Organverhalten und dem in Rede stehenden Schaden. Bei Schädigung durch Unterlassung sei schon im Rahmen der Kausalitätsprüfung der hypothetische Ablauf durch Hinzudenken des gebotenen Verhaltens zu klären. Die Ausführung in der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts, dass im Falle einer Selbstanzeige durch den Vorsteher des Bezirksgerichts „ein anderer unbefangener Richter über die Ablehnungsanträge des Klägers entschieden [hätte] und der Kläger möglicherweise in Folge keine Rechtsmittel gegen die Entscheidungen über die Ablehnung der Richterin erheben [hätte] müssen“, sei keine hinreichende Sachverhaltsgrundlage für die Beurteilung der Kausalitätsfrage.

[11] Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Behauptungs- und Beweislast in Ansehung des Kausalzusammenhangs bei behaupteter Schadenszufügung durch rechtswidrige Unterlassung nicht einheitlich sei und zum Umfang der Verpflichtung richterlicher Organe zur Anzeige ihrer Befangenheit iSd § 22 GOG (§ 182 Geo) überhaupt fehle.

Rechtliche Beurteilung

[12] Gegen das Teilurteil richtet sich die außerordentliche Revision, gegen den Aufhebungsbeschluss der (von der Beklagten beantwortete) Rekurs des Klägers.

[13] I. Die außerordentliche Revision ist nicht zulässig, weil sie keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt.

[14] 1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor.

[15] 1.1. Nach der Rechtsprechung können Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens, die in der Berufung nicht beanstandet wurden oder die vom Berufungsgericht verneint wurden, im Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof nicht mehr geltend gemacht werden (RS0043111; RS0042963). Dieser Grundsatz kann auch nicht durch die Behauptung umgangen werden, das Berufungsverfahren sei – weil das Berufungsgericht der Mängelrüge nicht gefolgt sei – mangelhaft geblieben (RS0042963 [T58]). Es trifft auch nicht zu, dass das Berufungsgericht einen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens infolge einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung nicht wahrgenommen hätte und hier daher ein vom Obersten Gerichtshof aufzugreifender Mangel des Berufungsverfahrens vorläge (vgl RS0043051).

[16] 1.2. Der Revisionswerber räumt ein, dass die Einholung einer gesonderten Stellungnahme des Ablehnungswerbers zur Äußerung des abgelehnten Richters nicht zwingend vorgeschrieben ist, sodass die Unterlassung der Zustellung der Äußerung – im Ablehnungsverfahren – keinen Verfahrensmangel begründen kann (zuletzt etwa 3 Ob 62/23y; 6 Ob 223/18i mwN). Warum eine in den Ablehnungsverfahren unterbliebene Zustellung zu einer Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens im Amtshaftungsverfahren führen sollte, lässt sich den Ausführungen des Klägers nicht nachvollziehbar entnehmen.

[17] 1.3. Die Verletzung von Beweislastregeln ist als unrichtige rechtliche Beurteilung revisibel (RS0039939).

[18] 1.4. Hat das Berufungsgericht den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung zutreffend als nicht gesetzmäßig ausgeführt erachtet und deshalb die sachliche Behandlung der Rechtsrüge in der Berufung verweigert, so begründet dies keinen Mangel des Berufungsverfahrens (RS0043603 [T6 bzw T7]). Das ist hier der Fall: Ein einheitlicher Anspruch liegt entgegen der Meinung des Revisionswerbers nicht vor, weil die einzelnen Positionen des Klagebegehrens (Kosten für verschiedenste Verfahrenshandlungen) ein unterschiedliches rechtliches Schicksal haben können (RS0031014 [T22, T25]).

[19] 2. In seiner Rechtsrüge vertritt der Kläger die Ansicht, es ginge zu Lasten der Beklagten, dass der Beginn der privaten Beziehung zwischen dem Gerichtsvorsteher und der Richterin des Bezirksgerichts im Jahr 2015 nicht näher feststellbar war.

[20] 2.1. Grundsätzlich rechtfertigen weder Beweisschwierigkeiten noch die „Nähe“ zum Beweis eine Verschiebung der objektiven Beweislast (RS0040182 [T12, T13]). Nach Teilen der Rechtsprechung soll zwar ausnahmsweise eine Verschiebung der Beweislast aufgrund der „Nähe zum Beweis“ dann in Betracht kommen, wenn Tatfragen zu klären sind, die „tief in die Sphäre einer Partei hineinführen“ (RS0037797 [T25, T26, T47]; RS0039939 [T32]; RS0013491 [T1]). Das setzt aber insbesondere auch voraus, dass für die eine Partei mangels genauer Kenntnis der Tatumstände ganz besondere, unverhältnismäßige Beweisschwierigkeiten bestehen, während der anderen Partei diese Kenntnisse zur Verfügung stehen und es ihr nicht nur leicht möglich, sondern nach Treu und Glauben auch ohne weiteres zumutbar ist, die erforderlichen Aufklärungen zu geben. Allein durch einen Beweisnotstand wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls ist eine Verschiebung der Beweislast aber nicht gerechtfertigt (RS0037797 [T24, T48]; RS0040182 [T5, T9]).

[21] Aus welchem Grund der beklagte Rechtsträger im vorliegenden Fall (eingehendere) Kenntnis darüber haben sollte, wann genau die private Beziehung zwischen den beiden Richtern begonnen hat, legt die Revision nicht dar.

[22] 2.2. Eine aufgrund eines außerordentlichen Rechtsmittels aufzugreifende Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht zeigt der Revisionswerber auch mit dem Hinweis nicht auf, dass eine Schutzgesetzverletzung vorliege und zumindest der Anscheinsbeweis für ihn spräche, sodass die Beklagte die Vermutung zu widerlegen gehabt hätte, dass er durch die unterbliebene Selbstanzeige des Vorstehers in seinen Rechten massiv geschädigt worden sei.

[23] Der Anscheinsbeweis beruht auf typischen Geschehnisabläufen, deren Verwirklichung wahrscheinlich ist (RS0040266). Fehlt es an der Typizität eines Geschehensablaufs, ist ein Anscheinsbeweis nicht zulässig (RS0040287 [T3]).

[24] Auf welchen „gewöhnlichen Ablauf“ sich der Kläger hier in Bezug auf die Tatsachenfrage berufen will, ab wann der Gerichtsvorsteher eine besondere, auf eine Befangenheit hindeutende Beziehung mit der abgelehnten Richterin begann, ist nicht ersichtlich. Ein Erfahrungssatz dahin, dass eine später festgestellte Beziehung auch schon früher in dieser Form bestanden hat, existiert jedenfalls nicht.

[25] 3.  Die außerordentliche Revision des Klägers ist daher zurückzuweisen.

[26] II. Der Rekurs des Klägers ist zur Klarstellung zulässig, er ist im Ergebnis jedoch nicht berechtigt.

[27] 1. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Kläger durch die angefochtene Entscheidung schon deshalb formell und materiell beschwert, weil das Berufungsgericht den erstinstanzlichen Zuspruch von 16.640,61 EUR aufgehoben hat, der sich nach den (im Detail nicht nachvollziehbaren; siehe Punkt 4.3.) Ausführungen des Erstgerichts aus Kosten ab dem Jahr 2016 für Rechtsmittel gegen die Entscheidungen des Gerichtsvorstehers über die Ablehnung der Richterin des Bezirksgerichts einerseits und für Ablehnungsanträge gegen den Vorsteher samt Rechtsmittel anderseits zusammensetzen soll. Gegen einen Aufhebungsbeschluss im Berufungsverfahren kann im Übrigen auch jene Partei Rekurs erheben, die selbst die Aufhebung erwirkt hat (RS0007094 [T5]), und zwar insoweit, als die rechtliche Beurteilung, von der das Berufungsgericht in seinem Aufhebungsbeschluss ausgegangen ist, bekämpft wird (RS0043817). In Ansehung eines Teilbetrags von 418,78 EUR sA trägt der Kläger aber in seinem Rechtsmittel nichts weiter vor. Diesbezüglich fehlt es an einer gesetzmäßigen Ausführung der Rechtsrüge (RS0043603).

[28] 2. Inhaltlich einen Kostenersatzbetrag von insgesamt 16.640,61 EUR betreffend macht der Kläger geltend, bei der Kausalitätsprüfung dürfe, weil die Verletzung eines Schutzgesetzes und eines Grundrechts vorliege, nicht darauf abgestellt werden, ob der Schaden auch bei pflichtgemäßen Verhalten des Organs eingetreten wäre. Sämtliche durch die unterlassene Selbstanzeige verursachten Schriftsätze seien daher ohne Prüfung ihres Inhalts der Schadensberechnung zugrunde zu legen.

Dazu ist auszuführen:

[29] 2.1. Im Amtshaftungsprozess muss der Geschädigte nicht bloß die Rechtsverletzung durch das Organ behaupten und beweisen, sondern auch, dass ihm der geltend gemachte Schaden ohne diese Rechtsverletzung nicht erwachsen wäre (RS0022469). Den Geschädigten trifft daher auch im Amtshaftungsverfahren grundsätzlich die Beweislast für den Kausalzusammenhang zwischen dem haftungsbegründenden Ereignis und dem eingetretenen Schaden (RS0022469 [T2]).

[30] 2.1.1. Eine Unterlassung ist dann für den Schadenserfolg kausal, wenn die Vornahme einer bestimmten aktiven Handlung das Eintreten des Erfolgs verhindert hätte. Die Kausalität fehlt, wenn derselbe Nachteil auch bei pflichtgemäßem Tun entstanden wäre (RS0022913). Bei Schädigung durch Unterlassung kann sich die Frage eines rechtmäßigen Alternativverhaltens nicht stellen, weil eine Unterlassung ohnehin nicht kausal ist, wenn auch das pflichtgemäße Verhalten den Schaden nicht verhindert (RS0022913 [T9]). Die Beweislast, dass der Schaden bei pflichtgemäßem Verhalten nicht eingetreten wäre, trifft den Geschädigten (RS0022700; RS0022900 [T5, T11]). Lediglich die Anforderungen an den Beweis des bloß hypothetischen Kausalverlaufs sind geringer als die Anforderungen an den Nachweis der Verursachung bei einer Schadenszufügung durch positives Tun. Für die Kausalität einer Unterlassung gilt das Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (RS0022900). Dem kann der Gegner den Beweis der höheren Wahrscheinlichkeit eines anderen Verlaufs entgegenhalten (RS0022900 [T42]).

[31] 2.1.2. Wird eine Schutznorm verletzt, so hat nach ständiger Rechtsprechung der Geschädigte – auch bei rechtswidriger Unterlassung als behaupteter Schadensursache – nur den Eintritt des Schadens, dessen Höhe und die Normverletzung zu beweisen; die Pflichtwidrigkeit wird hingegen vermutet (RS0022474). Bei Übertretung einer Schutznorm ist kein strenger Beweis des Kausalzusammenhangs erforderlich; es reicht, wenn der Beweis des ersten Anscheins dafür spricht, dass der von der Norm zu verhindernde Schaden durch das verbotene Verhalten verursacht wurde (RS0027517; RS0022599 [T3]; RS0022664 [T17]; 1 Ob 220/03i mwN; 1 Ob 138/23k). Der Schädiger kann sich von seiner Haftung befreien, wenn er das mangelnde Verschulden seiner Organe nachweist oder wenn er die Kausalität der Pflichtwidrigkeit – durch Außerkraftsetzung des ihn belastenden Anscheinsbeweises – ernstlich zweifelhaft macht (RS0022474 [T1, T4]; RS0022469 [T1]).

[32] Der Anscheinsbeweis ist allerdings nur zulässig, wenn eine typische formelhafte Verknüpfung zwischen der tatsächlich bewiesenen Tatsache und dem gesetzlich geforderten Tatbestandselement besteht; er darf nicht dazu dienen, Lücken der Beweisführung durch bloße Vermutungen auszufüllen (RS0040287). Der bloße Verdacht eines bestimmten Ablaufs, der auch andere Verursachungsmöglichkeiten offen lässt, erlaubt die Anwendung des Anscheinsbeweises nicht (RS0040287 [T5]).

[33] 2.2. Die vom Berufungsgericht vermutete Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung zur Behauptungs- und Beweislast in Ansehung des Kausalzusammenhangs bei Schadenszufügung durch Unterlassung lässt sich darauf zurückführen, dass die Frage davon abhängt, ob der Schädiger eine Schutzgesetzverletzung zu verantworten hat und dem Geschädigten ein Anscheinsbeweis zugute kommt. Das war in den von der zweiten Instanz als vermeintlich abweichend (zu der oben unter Punkt 2.1.1. zitierten Rechtsprechung) beurteilten Entscheidungen 1 Ob 40/99k, 1 Ob 220/03i und 1 Ob 14/03w der Fall bzw stand im Raum. Der (vom Berufungsgericht ebenfalls angesprochenen) Entscheidung 6 Ob 72/08v (= RS0022913 [T10] = RS0022900 [T17]) lag zugrunde, dass die Geschädigte nach den dortigen Feststellungen die Kausalität bereits („mit hoher Wahrscheinlichkeit“) nachgewiesen hatte, sodass dem Schädiger ein Gegenbeweis oblegen wäre. Sollten dieser Entscheidung der dargestellten ständigen Rechtsprechung widersprechende Schlussfolgerungen zu entnehmen sein, kann diesen nicht gefolgt werden.

[34] Die vom Kläger zitierte Rechtsprechung, nach der dem Beklagten die Einwendung rechtmäßigen Alternativverhaltens verwehrt sein soll, wenn die übertretene Verhaltensnorm Eingriffe in fremdes Rechtsgut an eine bestimmte Form oder ein bestimmtes Verhalten binden will (RS0022911; RS0027498), ist nicht einschlägig, zumal sie nicht auf die Frage der Kausalität einer Unterlassung abzielt.

[35] 2.3. Daraus folgt, dass es entgegen der Ansicht des Klägers sehr wohl darauf ankommt, ob ihm die geltend gemachten Verfahrenskosten auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Organs entstanden wären. Eine Umkehrung der Beweislast hinsichtlich der Kausalität tritt auch bei Verletzung eines Schutzgesetzes nicht ein (RS0027517). Fraglich kann daher nur sein, ob ein Beweis des ersten Anscheins dafür spricht, dass der von den verletzten Normen (hier: § 22 GOG, § 182 Geo) zu verhindernde Schaden durch die Unterlassung (hier: Selbstmeldung der Befangenheit des Gerichtsvorstehers) verursacht wurde.

[36] 3. Die § 22 GOG, § 182 Geo haben – wie der Kläger grundsätzlich richtig meint – Schutzgesetzcharakter zugunsten der Verfahrensparteien:

[37] 3.1. Gemäß § 22 GOG, § 182 Geo sind Richter verpflichtet (arg „hat“ in § 22 Abs 1 GOG, „haben“ in § 182 Abs 1 Geo), Umstände, die sie von ihrer Amtsausübung ausschließen oder die geeignet sind, ihre volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen, unverzüglich dem Leiter des Gerichts anzuzeigen („Selbstmeldung“; Mayr in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 19 JN Rz 1; Danzl, Geo10 § 182 Anm 3). Die Anzeige einer Befangenheit durch den Richter betrifft die Vorsorge für eine den Ansprüchen des Art 6 EMRK, aber auch des Art 47 GRC entsprechende Gerichtsbarkeit (9 Nc 9/12s [Pkt II.2.1. mwN]; Fellner/Nogratnig, RStDG, GOG und StAG II5.02 § 22 GOG [Stand 1. 3. 2023, rdb.at] Rz 45). Art 6 EMRK gibt den Parteien ein Recht auf Entscheidung durch ein unparteiisches Organ auch bei bloßem Anschein von Befangenheit und zwar ohne Prüfung eines Einflusses auf das Verfahrensergebnis (17 Os 53/14v mwN).

[38] 3.2. Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass Verfahrensgesetze gerade dem Schutz der durch einen Antrag betroffenen Person dienen (1 Ob 8/95; 1 Ob 10/96).

[39] In der Entscheidung 1 Ob 3/92 hat der Senat klargestellt, dass die Bestimmung des § 52 Geo („Verkehr mit Parteien“) zumindest auch die Gewährleistung eines fairen Verfahrens bezweckt und ein Verstoß gegen das dem Richter dadurch auferlegte Sachlichkeitsgebot, der zu berechtigten Ablehnungsanträgen mit der Nichtigerklärung von Prozesshandlungen führt, den Zuspruch der Kosten des frustrierten Verfahrensaufwands im Wege der Amtshaftung rechtfertigen kann.

[40] Nichts anderes kann für einen Verstoß gegen die – den Anspruch der Parteien auf ein unparteiisches Gericht schützende – Verpflichtung des Richters zur Selbstmeldung einer Ausgeschlossenheit oder Befangenheit gelten. Auch in der Literatur wird vertreten, dass der Schutzzweck des § 22 GOG und des § 182 Geo jedenfalls auch den Ersatz frustrierter Verfahrenskosten umfasst (Geroldinger, Familiäres Naheverhältnis des Richters zum Prozessbevollmächtigten als Ausschließungsgrund?, JBl 2014, 620 [637 f]; Mayr in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 19 JN R  1).

[41] 4. Der Gerichtsvorsteher hat – was im Rekursverfahren nicht mehr in Zweifel gezogen wird – seine Verpflichtung zur Selbstmeldung und damit eine Schutznorm zugunsten (auch) des Klägers verletzt, weil er seine persönliche Beziehung zur abgelehnten Richterin (vgl RS0045935) nicht unverzüglich offen gelegt hat. Damit ist für den Kläger aber noch nichts gewonnen.

[42] 4.1. Bereits in der Entscheidung 1 Ob 356/98d hat der Oberste Gerichtshof festgehalten, dass die Befangenheit eines Entscheidungsorgans einen Amtshaftungsanspruch für sich allein noch nicht zureichend begründen kann; es muss auch die Entscheidung eines solchen Richters inhaltlich unrichtig sein. In eine ähnliche Richtung zielt der Hinweis Geroldingers (JBl 2014, 620 [637 f]), dass der Prozess noch nicht zwangsläufig anders ausgegangen wäre, nur weil ein unbefangener Richter hätte entscheiden müssen. In diesem Sinne verlangt auch der EGMR für den Zuspruch einer materiellen Entschädigung im Fall einer Verletzung des Art 6 EMRK vom Verletzten (zumindest wenn es nicht klar aus dem Akt hervorgeht) darzulegen, dass ein unparteiisches Gericht zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre (EGMR Bsw 8790/79, Sramek gegen Österreich, EuGRZ 1985, 336; Bsw 71615/01, Meznaric gegen Kroatien; Bsw 5734/14, Aviso Zeta AG gegen Österreich; Böhmdorfer in FS Machacek/Matscher, 70 [ist KV]).

[43] Insoweit ist ein Anscheinsbeweis auch nicht zulässig: Aus der Tatsache, dass ein (zumindest dem äußeren Anschein nach) befangener Richter entschieden hat, ergibt sich nicht typischerweise, dass diese Entscheidung auch unrichtig war, zumal eine subjektive Befangenheit des Richters gar nicht vorliegen muss, um den Anschein einer objektiven Befangenheit anzunehmen.

[44] 4.2. Der Kläger hat daher zu behaupten und (mit überwiegender Wahrscheinlichkeit) unter Beweis zu stellen, dass die geltend gemachten Kosten bei gebotenem Verhalten – Selbstmeldung des Gerichtsvorstehers und Entscheidung durch einen unbefangenen Richter – nicht entstanden wären, also frustriert waren. Soweit der hypothetische Verfahrensausgang des Vorverfahrens zu beurteilen ist, ist nach der Rechtsprechung nicht darauf abzustellen, wie das Gericht des Vorprozesses, wären die beanstandeten Unterlassungen unterblieben, seinerzeit entschieden hätte, sondern darauf, wie der Vorprozess (hier Ablehnungsverfahren) richtigerweise hätte entschieden werden müssen (RS0115755).

[45] 4.3. Um diese Fragen abschließend beurteilen zu können, fehlt es sowohl an ausreichendem Vorbringen des Klägers als auch – wie das Berufungsgericht zu Recht bemerkt hat – Feststellungen des Erstgerichts:

[46] Es mangelt schon an einer vollständigen Aufschlüsselung und Zuordnung der Kosten durch den Kläger, sodass nicht völlig klar ist, welche Ablehnungsanträge (gegen welches Entscheidungsorgan) und Entscheidungen (durch welches Entscheidungsorgan) den geltend gemachten Beträgen überhaupt zugrunde liegen. Eine Klarstellung ist aber notwendig, weil die einzelnen Positionen ein unterschiedliches rechtliches Schicksal haben können. Die vom Kläger vorgelegten Kostenverzeichnisse bleiben zu einem guten Teil abstrakt und unsubstantiiert. Nur unvollständig finden sich im vorbereitenden Schriftsatz vom 17. 5. 2021 nähere Angaben zu den bezughabenden Verfahren.

[47] Die Urteilsbegründung des Erstgerichts erhellt die Angelegenheit nicht. Zwar hat es in seiner rechtlichen Beurteilung mit Datum und Geschäftszahl (wenn auch ohne Angabe des jeweiligen Gerichts) Eingaben des Klägers angeführt, für deren Kosten es die Beklagte ersatzpflichtig hält, aber keine näheren Feststellungen zum Inhalt dieser Eingaben getroffen, sodass die Entscheidung nicht überprüfbar ist. Die grobe Aufteilung in Kosten für Rechtsmittel gegen die Entscheidungen über die Ablehnung der Richterin einerseits und Kosten für Ablehnungsanträge gegen den Vorsteher samt Rechtsmittel andererseits scheint zudem teilweise dem Vorbringen des Klägers zu widersprechen. So werden vom Erstgericht Aktenzahlen genannt, die nach dem oben genannten klägerischen Schriftsatz Rekurse gegen Entscheidungen betreffen, die nicht der Gerichtsvorsteher, sondern dessen Vertreter oder der Ablehnungssenat des übergeordneten Landesgerichts im Ablehnungsverfahren gegen die Richterin gefällt haben sollen.

[48] Vor allem aber vermag der Kläger bislang nicht einwandfrei aufzuzeigen, dass seine Kosten durch die unterlassene Selbstmeldung des Gerichtsvorstehers verursacht wurden.

[49] Seine Behauptung, dass dann, wenn der Vorsteher pflichtgemäß gehandelt hätte, sich die Kaskade von Ablehnungsanträgen erübrigt hätte, ist nur in Ansehung der Kosten nachvollziehbar, die dem Kläger ausschließlich durch die (erfolglosen) Ablehnungsanträge gegen den Gerichtsvorsteher (ab dem Jahr 2016) entstanden sind. Diese Kosten wären nicht angefallen, wenn der Gerichtsvorsteher pflichtgemäß eine Selbstmeldung erstattet hätte. Welche Kosten das konkret sein sollen, geht allerdings, wie bereits dargelegt, aus dem bisherigen Vorbringen des Klägers nicht eindeutig hervor, zumal Ablehnungsanträge gegen den Vorsteher teilweise mit anderen (erfolglosen) Ablehnungsanträgen verbunden worden sein dürften und insofern keine Mehrkosten erkennbar sind. Soweit der Kläger auch die Kosten für Rechtsmittel gegen die Entscheidungen des Gerichtsvorstehers über die Ablehnungsanträge gegen die Richterin begehrt, fehlt es schon an der Behauptung, dass diese Entscheidungen falsch waren und ein unbefangener Richter (richtig) anders entschieden hätte.

[50] Die (dislozierte) erstinstanzliche Feststellung, dass im Falle einer Selbstanzeige durch den Vorsteher des Bezirksgerichts „ein anderer unbefangener Richter über die Ablehnungsanträge des Klägers entschieden [hätte] und der Kläger möglicherweise in Folge keine Rechtsmittel gegen die Entscheidungen über die Ablehnung der Richterin erheben [hätte] müssen“, bleibt nicht nur unklar, sie verkennt auch die oben dargelegte Rechtslage, wonach auf die hypothetisch richtige Entscheidung abzustellen ist.

[51] 5. Da das Erstgericht mit dem Kläger die Schlüssigkeit seines Vorbringens in Bezug auf den Betrag von insgesamt 16.640,61 EUR zu erörtern und sich, soweit eine Schlüssigstellung gelingt, neuerlich mit der Kausalität des pflichtwidrigen Organverhaltens auseinanderzusetzen haben wird, erweist sich der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts im Ergebnis als richtig.

[52] Dem Rekurs war daher nicht Folge zu geben.

[53] 6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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