OGH 13Os122/22y

OGH13Os122/22y28.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Juni 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Mair in der Finanzstrafsache gegen * P* und einen belangten Verband wegen Verbrechen des Abgabenbetrugs nach §§ 35 Abs 2, 39 Abs 1 lit b FinStrG (iVm der Strafdrohung des § 39 Abs 3 lit a FinStrG idgF BGBl I 2019/62) sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 18. August 2022, GZ 10 Hv 34/19z‑103 und ‑104, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0130OS00122.22Y.0628.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiete: Finanzstrafsachen, Wirtschaftsstrafsachen

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Gegenstand des Hauptverfahrens war eine von der Anklage und vom (gemäß § 21 Abs 2 VbVG damit verbundenen) Antrag auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße (ON 42) umfasste Tat. Die Hauptverhandlung ist gemäß §§ 15 Abs 1, 22 Abs 1 VbVG gegen den Angeklagten und den belangten Verband gemeinsam geführt worden. Im Anschluss an das (gesetzmäßig gemeinsam durchgeführte) Beweisverfahren hat das Gericht allerdings – entgegen § 22 Abs 1 (bis 3) VbVG (zu dieser Vorschrift und ihrem Zweck eingehend Oberressl, Besonderheiten des Haupt‑ und des Rechtsmittelverfahrens nach dem VbVG, ÖJZ 2020, 815 [822 ff]) – die Schlussvorträge betreffend beideVerfahrenssubjekte zugelassen und (nach Schluss der Verhandlung sowie Urteilsberatung) ein Urteil über die natürliche Person und den Verband verkündet (ON 101 S 7 bis 9). Infolge dieser gesetzwidrigen Vorgangsweise (zu einem gleichartigen Fall 13 Os 109/17d, 110/17a) ist – anders als bei Freispruch der natürlichen Person in einem Urteil gemäß § 22 Abs 1 VbVG und nachfolgender Fällung eines Verbandsurteils (in einem „selbstständigen“ Verfahren) gemäß § 22 Abs 3 VbVG (dazu 13 Os 3/21x, 4/21v [Rz 20 f]) – bloß ein einziges Urteil entstanden. Dieses aber wurde – insofern inkonsequent – im Umfang seiner Aussprüche betreffend den Angeklagten einerseits (ON 103) und den belangten Verband andererseits (ON 104) je gesondert ausgefertigt.

[2] Die Urteilsausfertigung bildet die Urschrift des mündlich verkündeten Urteils (§ 270 Abs 1 und 2 StPO; vgl Danek/Mann, WK‑StPO § 270 Rz 1).

[3] Demzufolge stellen die beiden Ausfertigungsteile (ON 103 und 104) des Urteils vom 18. August 2022 (ON 101 S 7 bis 9) auch unter dem Aspekt der Urteilsanfechtung eine (wenngleich § 22 Abs 1 und 3 VbVG zuwiderlaufende) Einheit dar (vgl RIS‑Justiz RS0130765).

[4] Mit dem angefochtenen Urteil (dessen Ausfertigung sich wie dargestellt aus den ON 103 und 104 zusammensetzt) wurden

-) * P* (soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung) – gestützt auf „§ 259 Z 3 StPO“ (der Sache nach gemäß § 214 FinStrG, siehe RIS‑Justiz RS0120367 [T2 und T3] und RS0114396 [T1], Lässig in WK2 FinStrG § 214 Rz 1) – vom Vorwurf freigesprochen, er habe im Zuständigkeitsbereich des (ehemaligen) Zollamts Graz in I* als Geschäftsführer der e* * GmbH (im Folgenden e* GmbH)

(B) ohne den Tatbestand des § 35 Abs 1 FinStrG zu erfüllen, vorsätzlich unter Verletzung einer zollrechtlichen Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflicht und unter Verwendung eines Scheingeschäfts eine Verkürzung von Eingangsabgaben um 323.260,61 Euro (Antidumpingzoll und Ausgleichszoll) bewirkt, indem er am 17. Juni 2014 über ein niederländisches Unternehmen 5824 Photovoltaik-Module des chinesischen Herstellers R* * * Ltd (im Folgenden R* Ltd) zu einem deklarierten Preis von 0,535/Wp, somit über dem zum damaligen Zeitpunkt gemäß des Durchführungsbeschlusses der Europäischen Kommission 2013/707/EU geltenden Mindesteinfuhrpreis von 0,53/Wp liegend, über Rotterdam in das Zollgebiet der Europäischen Union einführen und verzollen ließ, obwohl die e* GmbH diese Ware tatsächlich zu einem Preis von 0,47/Wp für 4368 und von 0,48/Wp für 1456 Module gekauft und diesen Preis bezahlt hatte, und der Differenzbetrag auf den deklarierten Preis in Form einer sogenannten Kick-Back-Zahlung auf der Basis einer von P* dafür ausgestellten Provisionsrechnung vom 10. Juni 2014 von der in Hongkong situierten N* * Ltd rückvergütet wurde, sowie

-) der (auch auf die vom dargestellten Freispruch umfasste Tat bezogene) die e* GmbH als belangten Verband betreffende Antrag auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße (§ 21 VbVG) abgewiesen.

Rechtliche Beurteilung

[5] Gegen den Freispruch und gegen die Abweisung des Antrags nach § 21 VbVG in diesem Umfang wendet sich die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, die sie auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO stützt.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde betreffend * P*:

[6] Die Mängelrüge (Z 5) bekämpft die Negativfeststellungen zur subjektiven Tatseite des Angeklagten (ON 103 S 7 f und [inhaltsgleich] ON 104 S 7).

[7] Indem sie unvollständige Erörterung (Z 5 zweiter Fall) der Verantwortung des Angeklagten unter isolierter Hervorkehrung einzelner Aktenseiten mit dem Vorbringen einwendet, der Angeklagte habe betreffend die Photovoltaik‑Module „Ursprung in und Versand aus der Volksrepublik China“ „nicht in Abrede“ gestellt, diesen Textstellen die behaupteten Aussagen aber teils gar nicht, teils nur bei sinnentstellend verkürzter, die Gesamtheit der diesbezüglichen Verantwortung des Angeklagten außer Acht lassender Lesart zu entnehmen sind, entzieht sie sich einer meritorischen Erledigung (RIS‑Justiz RS0116504).

[8] Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) im Sinn eines den Tatrichtern unterlaufenen Fehlzitats (RIS‑Justiz RS0099431) wird mit dem Verweis auf dieses Vorbringen nicht dargetan.

[9] Die bloße Erkennbarkeit einer Sachverhaltsverwirklichung, die einem gesetzlichen Tatbild entspricht, reicht zur Annahme eines (auch nur bedingt) vorsätzlichen Handelns nicht aus (RIS‑Justiz RS0089023). Deshalb stehen Beweisergebnisse, die aus Sicht der Beschwerde für eine solche Erkennbarkeit sprechen, den negativen Feststellungen zur inneren Tatseite nicht erörterungsbedürftig entgegen (RIS‑Justiz RS0098646).

[10] Bei der Glaubwürdigkeitsbeurteilung ließen die Tatrichter weder Divergenzen in der – als glaubhaft erachteten, die subjektive Tatseite leugnenden – Verantwortung des Angeklagten noch die Ergebnisse der Telefonüberwachung (ON 34 iVm ON 101 S 6 f) unberücksichtigt (ON 103 S 10 ff sowie [inhaltsgleich] ON 104 S 9 ff). Zu einem Eingehen auf alle Details der Aussage und der Protokolle der Telefonüberwachung waren sie zufolge des Gebots zur gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO [RIS‑Justiz RS0106642]) nicht verhalten (RIS‑Justiz RS0098778 und RS0106295).

[11] Soweit die Rüge aus der Verantwortung des Angeklagten und einzelnen Beweisergebnissen anhand eigener Beweiswerterwägungen andere, nämlich für den Standpunkt der Staatsanwaltschaft günstigere, Schlüsse ableitet als das Erstgericht und auf dieser Grundlage von den Urteilsfeststellungen abweichende Auffassungen zur inneren Einstellung des Angeklagten entwickelt, bekämpft sie nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld in unzulässiger Weise die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

[12] Da die (mit Mängelrüge erfolglos bekämpften) Negativfeststellungen den Freispruch tragen, erübrigt sich ein Eingehen auf die (Feststellungsmängel zu weiteren Tatbestandsvoraussetzungen geltend machende) Rechtsrüge (Z 9 lit a [RIS‑Justiz RS0127315]).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde betreffend den belangten Verband e* GmbH:

[13] Wie eingangs dargelegt ist das angefochtene Urteil kein (allein über die natürliche Person oder den Verband ergangenes) Urteil nach § 22 Abs 1, 2 oder 3 VbVG, sondern ein – entgegen § 22 Abs 1 VbVG – über beide Verfahrenssubjekte ergangenes Urteil. Die von § 22 Abs 3 VbVG vorausgesetzte Prozesssituation, nämlich ein in einem Urteil gemäß § 22 Abs 1 VbVG gefällter Freispruch der natürlichen Person (von der [präsumtiven Anknüpfungs‑]Tat), ist damit nicht eingetreten.

[14] Beschwerdeüberlegungen, der (abweisliche) Ausspruch über die Verbandsverantwortlichkeit könne mangels einer ihm vorangegangenen Erklärung des Anklägers nach § 22 Abs 3 VbVG weder zum Nachteil des belangten Verbands angefochten werden noch Sperrwirkung entfalten (vgl 13 Os 3/21x, 4/21v [Rz 20 bis 24] mwN sowie RIS‑Justiz RS0133645 und RS0133646 zu – gesetzeskonformer – Urteilsfällung nach § 22 Abs 1 VbVG folgenden Verbandsurteilen), gehen daher ins Leere.

[15] Das „aus prozessualer Vorsicht“ gegen den Ausspruch über die Verbandsverantwortlichkeit erstattete Vorbringen der Staatsanwaltschaft wiederum beschränkt sich ausdrücklich darauf, auf ihre gegen den Freispruch des Angeklagten gerichteten Beschwerdeausführungen zu verweisen.

[16] Indem sie solcherart mit Mängelrüge (Z 5) Feststellungen des (hier einen, sowohl über den Angeklagten als auch über den belangten Verband ergangenen) angefochtenen Urteils bekämpft, die – neben dem Freispruch des Angeklagten – auch den Ausspruch über die Verbandsverantwortlichkeit tragen, wird sie ihrerseits auf die diesbezügliche Beschwerdeerledigung verwiesen.

[17] Feststellungsmängel zu den weiteren, in tatsächlicher Hinsicht ungeklärt gebliebenen Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 VbVG werden mit dem auf Z 9 lit a gestützten (bloß gegen den Freispruch des Angeklagten gerichteten) Beschwerdevorbringen ohnedies nicht geltend gemacht (zum Erfordernis erneut RIS‑Justiz RS0127315 [insbesondere T13]).

[18] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO, betreffend den belangten Verband in Verbindung mit § 14 Abs 1 VbVG, bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

Stichworte