European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131967
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird zurückgewiesen.
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des belangten Verbandeswird das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.
Mit ihren Berufungen werden der belangte Verband und die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung verwiesen.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen (entgegen § 22 Abs 5 VbVG nicht die von § 270 Abs 2 Z 4 StPO iVm § 260 Abs 1 Z 1 StPO verlangten Inhalte aufweisenden [vgl 13 Os 42/16z]) Urteil wurde die Dr. H* GmbH gemäß § 3 Abs 1 Z 1 und Abs 2 VbVG für das Verbrechen der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 StGB verantwortlich erkannt, das ihr Entscheidungsträger rechtswidrig sowie schuldhaft zu ihren Gunsten begangen habe.
[2] Dabei ging das Erstgericht davon aus, dass Rechtsanwalt Dr. Hermann H* vom 26. Mai 2017 bis zum 30. Mai 2017 in I* als alleiniger Geschäftsführer der Dr. H* GmbH Sandra M* zu bestimmen (§ 12 zweiter Fall StGB) versuchte (§ 15 StGB), als Schuldnerin mehrerer Gläubiger ihr Vermögen durch Vereinbarung eines um jedenfalls 15.000 Euro überhöhten Pauschalhonorars von (weiteren) 144.000 Euro und Bezahlung des Betrags vom Treuhandkonto auf das Geschäftskonto der Dr. H* GmbH um zumindest 15.000 Euro zu verringern und hiedurch die Befriedigung ihrer Gläubiger oder wenigstens eines von ihnen zu vereiteln oder zu schmälern (insbesondere US 3 und 18 ff).
[3] Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des belangten Verbandes für die seinem Entscheidungsträger überdies zur Last gelegte Tat, nämlich dass dieser am 30. Mai 2017 in I* als alleiniger Geschäftsführer der Dr. H* GmbH rechtswidrig und schuldhaft zur strafbaren Handlung der Sandra M* beigetragen (§ 12 dritter Fall StGB) habe, die als Schuldnerin mehrerer Gläubiger vom 22. Februar 2017 bis zum 31. Dezember 2017 Kontoguthaben und Wertpapiere im Ausmaß von 392.519,84 Euro aus dem ihr eingeantworteten Nachlass des Ing. Ma* beiseite geschafft und dadurch die Befriedigung ihrer Gläubiger oder wenigstens eines von ihnen zumindest in diesem Ausmaß geschmälert habe, indem er den Betrag von 107.201,23 Euro vom Treuhandkonto auf das Konto der Sandra M* überwies (vgl den Antrag auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße ON 72 [insbesondere S 3 und 15] sowie den Freispruch des Entscheidungsträgers vom dargestellten Vorwurf mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 17. Juli 2020 [ON 111]), sprach das Gericht nicht aus (vgl US 2). Jedoch hat es in den Entscheidungsgründen (US 60 iVm US 28 und 58) die Abweisung des Antrags auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße in diesem Umfang zum Ausdruck gebracht (vgl RIS‑Justiz RS0116266 [T9 und T10]).
Rechtliche Beurteilung
[4] Gegen dieses Urteil richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der Staatsanwaltschaft und des belangten Verbandes, die Letzterer auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 8 und 9 lit a StPO stützt.
[5] Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:
[6] Indem die Beschwerdeführerin sich – ausdrücklich – darauf beschränkt, die Ausführungen ihrer Nichtigkeitsbeschwerde und ihrer Berufung gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 17. Juli 2020 (ON 111) betreffend die Angeklagten Sandra M* und Dr. Hermann H* wiederzugeben, wird bezogen auf das hier gegenständliche Urteil über den Verband kein Nichtigkeitsgrund deutlich und bestimmt bezeichnet.
[7] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – im Ergebnis in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1 Z 1, 285a Z 2 StPO iVm § 14 VbVG).
[8] Zur Nichtigkeitsbeschwerde des belangten Verbandes:
[9] Deren Erledigung ist voranzustellen, dass der Oberste Gerichtshof mit Entscheidung vom heutigen Tag, GZ 13 Os 121/20y, 13 Os 122/20w‑8, der von Dr. Hermann H* erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde gegen seinen mit dem Verbandsurteil kompatiblen, mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 17. Juli 2020 (ON 111) im gemeinsam geführten Hauptverfahren (§§ 15 Abs 1, 22 Abs 1 VbVG) ergangenen Schuldspruch Folge gegeben hat. Solcherart ist der Schuldspruch des Genannten wegen der vom (hier angefochtenen) Ausspruch der Verbandsverantwortlichkeit umfassten Anknüpfungstat nicht materiell rechtskräftig und hat daher – auch gegenüber dem Verband – keine Feststellungswirkung. Die tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Begehung dieser Tat ist daher zulässiger Gegenstand der Anfechtung des Ausspruchs über die Verbandsverantwortlichkeit (dazu eingehend Oberressl, Besonderheiten des Haupt- und des Rechtsmittelverfahrens nach dem VbVG, ÖJZ 2020, 815 [825 f]).
[10] Nach den hier wesentlichen Urteilsfeststellungen vereinbarten Sandra M* und Dr. H* als alleiniger Geschäftsführer der Dr. H* GmbH (US 6) Ende Mai 2017, dass durch einen (weiteren) pauschalen Honorarbetrag von 120.000 Euro netto (144.000 Euro brutto), zusätzlich zu den bereits erfolgten Akontozahlungen von insgesamt 69.000 Euro sämtliche – in Zusammenhang mit der Vertretung im Verfahren AZ * des Landesgerichts Innsbruck wegen Erbschaftsklage mit einem Streitwert von 1.516.507,17 Euro samt Anhang (inklusive der Provisorialverfahren) und der Verteidigung im Strafverfahren AZ * der Staatsanwaltschaft Innsbruck – bereits angefallenen sowie alle zukünftigen anwaltlichen Leistungen der Dr. H* GmbH (vgl aber die Definition des „Verteidigers“ in § 48 Abs 1 Z 5 StPO, RIS‑Justiz RS0116566) gegenüber Sandra M* pauschal abgegolten werden. Hinsichtlich des Leistungsumfangs betreffend die zukünftigen Leistungen gingen sie dabei von einem „weiten Begriffsverständnis“ aus (US 7, 18 f und 22 ff).
[11] Die Höhe der Pauschalvereinbarung sahen die Tatrichter als um zumindest 15.000 Euro „überhöht und damit unangemessen“ an (US 26 und 55).
[12] Die Mängelrüge (Z 5) wendet sich gegen die Feststellungen zur subjektiven Tatseite des Entscheidungsträgers, wonach es dieser zumindest ernsthaft für möglich hielt und sich damit abfand, dass er bei Sandra M* als Schuldnerin mehrerer Gläubiger den Tatentschluss zum Abschluss der konkreten „im Verhältnis zu deren gemeinem Wert im Ausmaß von zumindest EUR 15.000,-- überhöht[en] und damit unangemessen[en]“ Honorarvereinbarung weckt und die Genannte durch den Abschluss der Honorarvereinbarung sowie die Zahlung von 144.000 Euro vom Treuhandkonto vorsätzlich Bestandteile ihres Vermögens in der Höhe von 15.000 Euro beiseite schafft und dadurch die Befriedigung ihrer Gläubiger oder wenigstens eines von ihnen in diesem Ausmaß vereitelt oder schmälert (US 25 f).
[13] Zutreffend zeigt sie auf, dass die Begründung dieser Feststellung mit dem Hinweis auf ein „zu unterstellende[s] Sonderwissen als Rechtsanwalt über die zu erwartenden anwaltlichen Leistungen sowie deren Honorierung nach den einschlägigen Tarifgesetzen (RATG, AHK)“ (US 51) offenbar unzureichend ist (Z 5 vierter Fall).
[14] Das Wesen einer – grundsätzlich zulässigen (RIS‑Justiz RS0055073 und RS0114403) – Pauschalvereinbarung besteht darin, dass das in dieser Vereinbarung festgelegte Honorar auch dann zu leisten ist, wenn sich der Aufwand später als größer oder kleiner herausstellt. Die Dr. H* GmbH trug daher einerseits die Gefahr der Mehrarbeit, andererseits stand ihr das vereinbarte Pauschalhonorar auch dann zu, wenn der Wert der Arbeitsleistung dieses unterschritt (vgl RIS‑Justiz RS0022059, 6 Ob 37/18m).
[15] Welches „Sonderwissen“ es dem Entscheidungsträger ermöglichte, beim Abschluss der weder Leistungsumfang noch Dauer der Vertretung einschränkenden Pauschalvereinbarung eine exakte Prognose sämtlicher Einzelleistungen dergestalt anzustellen, dass er eine Überhöhung des Gesamthonorars von 204.000 Euro um zumindest 15.000 Euro (somit um nur rund 7 %; vgl im Übrigen zur standesrechtlichen Verantwortlichkeit für Rechtsanwälte bei Überschreitung des angemessenen Pauschalhonorars um ein Drittel: RIS‑Justiz RS0055114) ernstlich für möglich hielt, wird nicht nachvollziehbar dargelegt (vgl aber RIS‑Justiz RS0099413).
[16] Schon dieses Begründungsdefizit führte – im Sinn der Stellungnahme der Generalprokuratur – zur Aufhebung des angefochtenen Urteils bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO iVm § 14 VbVG).
[17] Damit ist auchdie Beschwerde des belangten Verbandes gegen den Beschluss des Vorsitzenden des Schöffengerichts vom 3. November 2020 (ON 142) auf Abweisung des Protokollberichtigungsantrags (ON 133) erledigt, weil sie sich auf keine für den Erfolg der Nichtigkeitsbeschwerde wesentlichen Umstände bezog (vgl RIS‑Justiz RS0126057 [T2]).
[18] Mit ihren Berufungen waren der belangte Verband und die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung zu verweisen.
[19] Hinzuzufügen bleibt:
[20] Ist das im gemeinsam geführten Hauptverfahren (§§ 15 Abs 1, 22 Abs 1 VbVG) ergangene Urteil über die natürliche Person (§ 22 Abs 1 VbVG) ein Freispruch, wird die Verbundenheit der Verfahren gerade dadurch gelöst (Oberressl, Besonderheiten des Haupt- und des Rechtsmittelverfahrens nach dem VbVG, ÖJZ 2020, 815 [823]). Nur „im Fall eines Schuldspruches“ sind nämlich „in fortgesetzter Hauptverhandlung“ die Schlussvorträge zum belangten Verband zuzulassen und danach das Verbandsurteil zu fällen (§ 22 Abs 2 VbVG).
[21] Im Fall „des Freispruchs“ der natürlichen Person muss der Ankläger hingegen bei sonstigem Verlust des Verfolgungsrechts binnen drei Tagen erklären, ob „in einem selbstständigen Verfahren“ über die Verhängung einer Verbandsgeldbuße entschieden werden soll (vgl dazu EBRV 994 BlgNR 22. GP 37; Lendl, WK‑StPO § 259 Rz 16; Öner, JSt 2019, 501 [509 f]). Erst nach fristgerechter Abgabe eines solchen Antrags hat das Gericht insoweit „nach § 22 Abs 2“ VbVG vorzugehen (§ 22 Abs 3 VbVG).
[22] Sind Gegenstand des verbundenen Hauptverfahrens (§§ 15 Abs 1, 22 Abs 1 VbVG) – wie hier – mehrere Taten, die ein Angeklagter begangen haben und für die der belangte Verband verantwortlich sein soll, kann das Urteil nach § 22 Abs 1 VbVG teils Schuldspruch, teils Freispruch sein. Dann hat das Urteil nach § 22 Abs 2 VbVG – nach dem oben Gesagten – über die Verantwortlichkeit des belangten Verbandes allein für die vom Schuldspruch umfasste(n) Tat(en) abzusprechen. In Bezug auf den Vorwurf der Verbandsverantwortlichkeit für die vom Freispruch umfasste(n) Tat(en) hingegen kommt nur noch ein selbstständiges Verfahren nach § 22 Abs 3 VbVG in Betracht (soweit Lehmkuhl/Zeder [in WK2 VbVG § 22 Rz 6] mit den GMat [EBRV 994 BlgNR 22. GP 37] diesbezüglich auf „Freisprüche [aller] natürlichen Personen“ abstellen, beziehen sie sich ersichtlich auf den Fall der [präsumtiven] Verantwortlichkeit des Verbandes für eine einzige „Straftat“ im Sinn des VbVG, an der nach der Anklage mehrere Entscheidungsträger oder Mitarbeiter beteiligt [§ 12 StGB] gewesen sein sollen [vgl Lehmkuhl/Zeder in WK2 VbVG § 1 Rz 3 und § 3 Rz 49]).
[23] Gegenstand des angefochtenen, im verbundenen Hauptverfahren ergangenen Urteils über den belangten Verband (§ 22 Abs 2 VbVG) war hier daher nur dessen strafrechtliche Verantwortlichkeit für jene Tat, deren Dr. H* mit (dem nach § 22 Abs 1 VbVG ergangenen) Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 17. Juli 2020 (ON 111) schuldig erkannt worden war, nicht jedoch der Vorwurf der Verbandsverantwortlichkeit für die vom Freispruch umfasste Tat.
[24] Die dennoch mit dem angefochtenen Urteil erfolgte Abweisung des Antrags auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße im genannten Umfang konnte – hiervon ausgehend – weder zum Nachteil des Verbandes bekämpft werden noch Sperrwirkung (§ 17 Abs 1 StPO, Art 4 des 7. ZPMRK) in Hinsicht auf dessen (weitere) diesbezügliche Verfolgung entfalten (Lendl, WK‑StPO § 259 Rz 13 f; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 528 ff).
[25] Ein darauf gerichteter, fristgerechter Antrag der Staatsanwaltschaft im Sinn des § 22 Abs 3 VbVG ist dem Akteninhalt jedoch ohnedies nicht zu entnehmen.
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