European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0130OS00109.17D.1206.000
Spruch:
Das Urteil gegen den belangten Verband vom 22. Juni 2017, GZ 5 U 5/17f‑26 des Bezirksgerichts Spittal an der Drau, verletzt
1. im Ausspruch über die Verbandsgeldbuße § 4 Abs 3 VbVG;
2. durch seine Verkündung gemeinsam mit dem Urteil gegen die natürliche Person § 22 Abs 1 und Abs 2 VbVG;
3. durch Unterbleiben des Anführens der für die Bemessung der Anzahl und der Höhe der Tagessätze maßgebenden Umstände in Schlagworten § 270 Abs 4 Z 2 StPO iVm § 14 Abs 1 VbVG.
Das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird im Ausspruch über die Verbandsgeldbuße aufgehoben und die Sache in diesem Umfang wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Spittal an der Drau verwiesen.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.
Gründe:
Mit unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Urteilen des Bezirksgerichts Spittal an der Drau vom 22. Juni 2017, GZ 5 U 5/17f‑26, wurden
(I) Andreas F***** des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldstrafe verurteilt sowie
(II) die I***** GmbH gemäß § 3 Abs 1 Z 2, Abs 2 VbVG für die vom Schuldspruch (I) erfasste Straftat ihres Entscheidungsträgers verantwortlich erklärt und über diese Gesellschaft eine Verbandsgeldbuße von 70 Tagessätzen zu je 50 Euro verhängt, die unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
Das Urteil gegen den belangten Verband (II) wurde gemeinsam mit jenem gegen die natürliche Person (I) verkündet (ON 25 S 2 f) und gekürzt ausgefertigt (ON 26). Die für die Bemessung der Verbandsgeldbuße maßgeblichen Umstände sind dieser (gekürzten) Urteilsausfertigung nicht zu entnehmen.
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde überwiegend zutreffend aufzeigt, verletzt das gegen den belangten Verband ergangene Urteil das Gesetz in mehrfacher Hinsicht:
Rechtliche Beurteilung
1. Ist ein Verband im Sinn des § 3 VbVG für eine Straftat verantwortlich, so ist eine Verbandsgeldbuße über ihn zu verhängen (§ 4 Abs 1 VbVG), die – abgesehen von hier nicht relevanten Ausnahmen (vgl § 28a Abs 1 FinStrG) – in Tagessätzen zu bemessen ist (§ 4 Abs 2 VbVG). Die zulässige Höchstzahl der Tagessätze hängt dabei davon ab, mit welcher Strafe die Tat bedroht ist, für die der Verband verantwortlich erklärt wurde. Sie beträgt – soweit hier von Interesse – 55 Tagessätze, wenn die Tat mit Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr bedroht ist (§ 4 Abs 3 VbVG).
Der Strafsatz des F***** zur Last liegenden Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 Abs 1 StGB normiert eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe von bis zu 720 Tagessätzen. Indem das Bezirksgericht über die I***** GmbH eine (das Höchstmaß von somit 55 Tagessätzen übersteigende) Verbandsgeldbuße von 70 Tagessätzen verhängte, verletzte es § 4 Abs 3 VbVG).
2. Auch bei (wie hier) gemeinsamer Führung der Hauptverhandlung (§ 15 Abs 1 VbVG) ist ein Urteil im Verfahren gegen den belangten Verband getrennt von jenem zu verkünden, das im Verfahren gegen die natürliche Person ergeht:
Gemäß § 22 Abs 1 VbVG hat das Gericht im Anschluss an das Beweisverfahren, das für beide Verfahren gemeinsam durchgeführt wird, zunächst nur die Schlussvorträge betreffend die natürliche Person zuzulassen und dann das Urteil über die natürliche Person zu verkünden. Im Fall eines Schuldspruchs sind gemäß § 22 Abs 2 VbVG in fortgesetzter Hauptverhandlung Schlussvorträge zu den Voraussetzungen einer Verantwortlichkeit des Verbands sowie den für die Bemessung einer Geldbuße und die Festsetzung anderer Sanktionen maßgeblichen Umständen zu halten; danach verkündet das Gericht das Urteil über den Verband.
Die Verkündung dieses Urteils gemeinsam mit jenem über die natürliche Person verstieß daher gegen § 22 Abs 1 und Abs 2 VbVG.
3. Die Generalprokuratur bringt weiters vor:
„Verbandsurteile müssen nach § 22 Abs 5 VbVG– als Sonderbestimmung (§ 14 Abs 1 VbVG), die den notwendigen Inhalt der Urteilsausfertigung abschließend regelt – mit den in § 270 Abs 2 StPO (sowie in § 22 Abs 4 VbVG) angeführten Inhalten, demnach auch unter Angabe der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) ausgefertigt werden (vgl 13 Os 42/16z, 13 Os 82/15f; Hilf/Zeder in WK2 VbVG § 22 Rz 11). Anhaltspunkte für die Annahme einer (planwidrigen) Gesetzeslücke liegen schon angesichts des klaren Gesetzeswortlautes sowie im Hinblick darauf nicht vor, dass die gekürzte Urteilsausfertigung im Zeitpunkt des Inkrafttretens des VbVG am 1. Jänner 2006 (BGBl I 2005/151) bereits seit Langem – wenngleich vorerst nur im bezirksgerichtlichen Verfahren und im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts – dem Rechtsbestand angehört hatte (vgl §§ 458 Abs 3, 488 Z 7 StPO jeweils idF BGBl 1987/605) und auch die durch das Budgetbegleit-gesetz 2009, BGBl I 2009/52, auf das Schöffenverfahren erweiterte Anwendungsmöglichkeit der gekürzten Urteilsausfertigung (§ 270 Abs 4 StPO) keine Veranlassung zu einer Novellierung des § 22 VbVG (etwa im Rahmen des auch das VbVG betreffenden Strafprozessreformgesetzes I 2016, BGBl I 2016/26) geboten hat. Eine analoge Anwendung des § 270 Abs 4 StPO kommt demnach nicht in Betracht.
Davon abgesehen hätte eine gekürzte Urteilsausfertigung gemäß § 270 Abs 4 Z 2 StPO im Fall der Verurteilung (auch) die für die Bemessung der Strafe und des Tagessatzes (§ 19 Abs 2 StGB) maßgeblichen Umstände in Schlagworten enthalten müssen (vgl Danek, WK‑StPO § 270 Rz 60).
Indem das vorliegende Urteil in Ansehung der I***** GmbH in gekürzter Form (§ 270 Abs 4 StPO) ausgefertigt wurde, verletzt es das Gesetz in § 22 Abs 5 VbVG iVm § 270 Abs 2 Z 5 StPO.“
Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Dass der (in seiner Stammfassung unverändert in Geltung stehende) § 22 Abs 5 VbVG eine gekürzte Ausfertigung des Urteils nicht ausdrücklich zulässt, obwohl der historische Gesetzgeber dieses Institut (in gegenüber der aktuellen Rechtslage eingeschränkter Form) bereits vorfand, lässt nicht auf dessen Unanwendbarkeit im Verbandsverantwortlichkeitsverfahren schließen. Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Telos oder aus der Systematik des Gesetzes ist nämlich abzuleiten, dass § 22 Abs 5 VbVG den Inhalt von Urteilen gegen Verbände (und ihrer Ausfertigung) abschließend regelt. Nach den Gesetzesmaterialien sollten § 22 Abs 4 und Abs 5 VbVG vielmehr die diesbezüglichen Bestimmungen der StPO – im Hinblick auf sich im Verfahren gegen Verbände ergebende Besonderheiten – (bloß) „ergänzen“ (EBRV 994 BlgNR 22. GP 37; der von der Generalprokuratur zitierten Judikatur und Literatur ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen). Auch der mit BGBl I 2009/52 neu geschaffene Abs 4 des (gemäß §§ 447, 458 zweiter Satz StPO im bezirksgerichtlichen Verfahren anzuwendenden) § 270 StPO gilt daher – mangels einer davon abweichenden Regelung im VbVG und weil diese Bestimmung nicht ausschließlich auf natürliche Personen anwendbar ist (§ 14 Abs 1 VbVG) – im Verbandsverantwortlichkeitsverfahren unmittelbar.
In diesem Umfang war daher die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.
Dass das solcherart zutreffend gekürzt ausgefertigte Urteil die für die Bemessung der Anzahl (§ 5 VbVG) und der Höhe (§ 4 Abs 4 VbVG) der Tagessätze maßgebenden Umstände nicht nennt, widerspricht jedoch – im Sinn des (Eventual‑)Vorbringens der Generalprokuratur – § 270 Abs 2 Z 4 StPO iVm § 14 Abs 1 VbVG.
Da sich die zu Punkt 1 aufgezeigte Gesetzesverletzung zum Nachteil des belangten Verbands ausgewirkt hat, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).
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