OGH 7Ob141/20s

OGH7Ob141/20s16.9.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. H***** A. W*****, vertreten durch Aigner Rechtsanwalts‑GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 23. März 2020, GZ 1 R 307/19x‑20, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 4. September 2019, GZ 11 C 26/19g‑16, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00141.20S.0916.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie insgesamt lauten:

1. Es wird mit Wirkung zwischen der klagenden Partei und der beklagten Partei festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für die Geltendmachung von Ansprüchen aus der Prospekthaftung nach § 11 KMG (in der Fassung BGBl I Nr 83/2012) und aus einer gegen § 4 KMG (in der Fassung BGBl I Nr 78/2005) verstoßenden Werbung im Zusammenhang mit dem Erwerb von zehn Stück der W*****‑Anleihe ***** am 31. 10. 2017 zu einem Nominale von 1.000 EUR je Stück gegen die W***** AG Deckung aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag bis zum vertraglich vereinbarten Höchstbetrag zu gewähren hat, insbesondere auch für die Klage gegen den Masseverwalter der W***** AG auf Zahlung bei sonstiger Exekution in den Deckungsanspruch der W***** AG gegenüber deren Haftpflichtversicherer und Feststellung der Forderung.

2. Das Klagebegehren, es werde mit Wirkung zwischen der klagenden Partei und der beklagten Partei festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für die Geltendmachung von Ansprüchen aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten im Zusammenhang mit dem Erwerb von zehn Stück der W*****‑Anleihe ***** am 31. 10. 2017 zu einem Nominale von 1.000 EUR je Stück gegen die W***** AG Deckung aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag bis zum vertraglich vereinbarten Höchstbetrag zu gewähren hat, insbesondere für die Klage gegen den Masseverwalter der W***** AG auf Zahlung bei sonstiger Exekution in den Deckungsanspruch der W***** AG gegenüber deren Haftpflichtversicherer auf Feststellung der Forderung, wird abgewiesen.

3. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 157 EUR bestimmten Pauschalgebühren binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 643 EUR bestimmten Pauschalgebühren des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist selbständiger Unternehmensberater. Er ist bei der Beklagten rechtsschutzversichert.

Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-versicherung 2005 (in Hinkunft ARB) zugrunde, wobei der Kläger in seinem Versicherungsvertrag den Baustein „Schadenersatz‑ und Straf‑Rechtsschutz“ gemäß Art 19 ARB, nicht jedoch den Baustein „Allgemeiner Vertrags‑Rechtsschutz“ gemäß Art 23 ARB vereinbart hat.

Artikel 19

Schadenersatz- und Straf-Rechtsschutz für den Privat-, Berufs- und Betriebsbereich

2. Was ist versichert?

Der Versicherungsschutz umfasst

2.1. Schadenersatz-Rechtsschutz

für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen auf Grund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen eines erlittenen Personen-, Sach‑ oder Vermögensschadens; ...

3. Was ist nicht versichert?

3.1. Zur Vermeidung von Überschneidungen mit anderen Rechtsschutz‑Bausteinen umfasst der Versicherungsschutz nicht

3.1.3. die Geltendmachung von Ansprüchen aus schuldrechtlichen Verträgen sowie die Geltendmachung von Ansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung vertraglicher Pflichten entstehen und über das Erfüllungsinteresse hinausgehen, oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen (versicherbar in Artikel 23); …

Artikel 23

Allgemeiner Vertrags-Rechtsschutz

Der Versicherungsschutz erstreckt sich je nach Vereinbarung auf den Privat- und/oder Betriebsbereich.

1. Wer ist in welcher Eigenschaft versichert?

Versicherungsschutz haben

1.2. im Betriebsbereich

der Versicherungsnehmer für den versicherten Betrieb

2. Was ist versichert?

2.1. Der Versicherungsschutz umfasst die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen des Versicherungsnehmers über bewegliche Sachen sowie aus Reparatur- und sonstigen Werkverträgen des Versicherungsnehmers über unbewegliche Sachen.

Als Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen gilt auch die Geltendmachung und Abwehr von Ansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung vertraglicher Pflichten entstehen und über das Erfüllungsinteresse hinausgehen, oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen. ...“

Um im Jahr 2017 einen Gewinnfreibetrag zu nutzen, kaufte der Kläger Ende Oktober 2017 zehn Stück Schuldverschreibungen der W***** AG (in Hinkunft: Emittentin) zu je 1.000 EUR. Die Emittentin hat die Anleihen selbst vertrieben.

Über das Vermögen der Emittentin wurde ein Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger meldete seine Forderung an, sie wurde vom Masseverwalter bestritten.

Der Kläger beabsichtigt nunmehr Ansprüche gegen den Masseverwalter der Emittentin zu verfolgen, was er wie folgt begründet: Die Emittentin habe einen Kapitalmarktprospekt im Sinn des KMG erstellt und veröffentlicht. Begleitend seien von ihr Werbeunterlagen ausgegeben worden. Die Angaben im Kapitalmarktprospekt wie auch die Informationen in den begleitenden Werbeunterlagen seien irreführend und unvollständig gewesen. Auch in Verkaufsgesprächen mit Mitarbeitern der Emittentin sei dem Kläger ein falsches Bild vom Investment vermittelt worden. Die Zeichnung des Klägers sei im Vertrauen auf die Richtigkeit und Vollständigkeit des von der Emittentin erstellten und veröffentlichten Kapitalmarktprospekts, der begleitenden Werbeunterlagen sowie den im Rahmen von Verkaufsgesprächen erteilten Informationen erfolgt. Die Emittentin hafte für den daraus entstandenen Schaden des Klägers aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen, insbesondere der Prospekthaftung gemäß § 11 KMG und wegen Werbeverstößen gemäß § 4 KMG. Der Kläger habe die Forderung im Insolvenzverfahren angemeldet. Sie sei bestritten worden. Er sei damit zur Feststellung der Forderung auf den Klagsweg verwiesen.

Der Kläger begehrt wie im Spruch ersichtlich die Feststellung, dass die Beklagte ihm aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag bis zum vertraglich vereinbarten Höchstbetrag Deckung für die Geltendmachung von Ansprüchen im Zusammenhang mit dem Erwerb von Anleihen der Emittentin zu gewähren habe. Bei den Ansprüchen, die der Kläger geltend machen wolle, handle es sich um Schadenersatzansprüche aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts, welche vom Versicherungsvertrag gedeckt seien.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Es sei bloß der Deckungsbaustein „Schadenersatz‑Rechtsschutz“ (Art 19), nicht jedoch der Deckungsbaustein „Allgemeiner Vertrags‑Rechtsschutz“ (Art 23) vereinbart. Der vorliegende Sachverhalt sei jedoch unter Art 23 zu subsumieren. Die beabsichtigte Exekution in den Deckungsanspruch der Emittentin gegenüber deren Haftpflichtversicherer sei nicht von der Rechtsschutzdeckung umfasst, weil es sich dabei inhaltlich um eine Streitigkeit aus einem fremden Versicherungsvertrag handle.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Da der Kläger sich bei der Geltendmachung seiner Ansprüche gegen die Emittentin nicht nur auf gesetzliche Ansprüche, sondern auch auf vertragliche Ansprüche stützte, sei die Durchsetzung der Ansprüche nach § 11 KMG aF (in Hinkunft KMG) vom Schadenersatz‑Rechtsschutz ausgenommen.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. § 11 KMG sei eine gesetzliche Prospekthaftung, die in Konkurrenz zu Ansprüchen aus der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung nach culpa in contrahendo trete. Aus der keineswegs missverständlichen Wortfolge „zur Vermeidung von Überschneidungen von Rechtsschutz-Bausteinen“ sei nicht abzuleiten, dass die Geltendmachung von Ansprüchen auf Grundlage von gesetzlichen Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts gegen den Vertragspartner automatisch ausschließlich dem Baustein „Allgemeiner Vertrags‑Rechtsschutz“ zu unterstellen sei. Jedoch führe die gleichzeitig mit dem deliktischen Anspruch gemäß § 11 KMG geltend gemachte Vertragshaftung aus culpa in contrahendo als privatautonom geschaffene Verpflichtung zum Ausschluss der Deckung gemäß Art 19 ARB. Im Anwendungsbereich des Art 19 ARB würden nur jene Fälle verbleiben, die nicht in der primären Risikoumschreibung des verwiesenen Bausteins untergebracht seien. Hier falle der geltend gemachte reine Vermögensschaden aus culpa in contrahendo in die primäre Risikoumschreibung des Art 23 und sei demnach nicht versichert.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil keine oberstgerichtliche Judikatur zu der Frage bestehe, ob der Abgrenzungsausschluss des Art 19.3.1.3 ARB 2005 im Verhältnis zu Art 23 ARB 2005 eine Rechtsschutzdeckung nach Art 19 ARB ausschließe, wenn ein Schaden geltend gemacht werde, bei welchem die gesetzliche Prospekthaftung gemäß § 11 KMG in Konkurrenz zu Ansprüchen aus der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung nach culpa in contrahendo trete.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte begehrt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist teilweise berechtigt.

1. Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass die ARB 2005 dem Rechtsschutzversicherungsvertrag zwischen den Streitteilen, der sich auf den Schadenersatz- und Straf‑Rechtsschutz für den Betriebsbereich nach Art 19 ARB beschränkt, zugrunde zu legen sind.

2.1. Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insbesondere T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]). Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommenen Gefahren einschränken oder ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert (RS0107031).

2.2. Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikoabgrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RS0080166 [T10]; RS0080068).

2.3. Die Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen decken wegen der schweren Überschaubarkeit und Kalkulierbarkeit sowie der Größe des Rechtskostenrisikos im gesamten Bereich des privaten wie auch öffentlichen Rechts nur Teilgebiete ab. Eine universelle Gefahrenübernahme, bei der der Versicherer jeden beliebigen Bedarf des Versicherungsnehmers nach Rechtsschutz decken müsste, ist in Österreich nicht gebräuchlich. Die Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen sind einerseits in die „Gemeinsamen Bestimmungen“ (Art 1 bis 16 ARB) und andererseits in die „Besonderen Bestimmungen“ (Art 17 bis 29 ARB) unterteilt. Diese stellen die sogenannten „Rechtsschutzbausteine“ dar, die jeweils die Eigenschaften und Rechtsgebiete, für die Versicherungsschutz besteht, umschreiben (7 Ob 115/19s mwN).

3. Die positive Deckungsumschreibung des Allgemeinen Vertragsrechtsschutzes in Art 23.2.1 ARB (Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen des Versicherungsnehmers über bewegliche Sachen ...) umfasst die Geltendmachung und Abwehr von Ansprüchen auf Erfüllung und Erfüllungssurrogate aus schuldrechtlichen Verträgen, sowie die Ausübung von Gestaltungsrechten, wie zB Kündigung, Rücktritt oder Anfechtung (7 Ob 96/13p mwN = RS0128752 [T2]). Diesem Basistatbestand wurden in Abs 2 Ergänzungstatbestände angefügt, die gegenüber dem Basistatbestand konstitutive Bedeutung haben, also Deckung gewähren, die sich aus dem Grundtatbestand nicht ergeben würde. Zum einen wird ausdrücklich auch die Geltendmachung von Ansprüchen wegen „reiner“ Vermögensschäden gedeckt, die aus der Verletzung vertraglicher Pflichten entstehen und über das Erfüllungsinteresse hinausgehen. Zum anderen wird auch die Geltendmachung von Ansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen, zum Gegenstand der Deckung im Allgemeinen Vertrags‑Rechtsschutz erklärt (7 Ob 17/13w, 7 Ob 140/12g je mwN).

4.1. Der Kläger beabsichtigt die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegenüber der Emittentin/dem Insolvenzverwalter, gegründet zum einen auf die Prospekthaftung nach § 11 KMG wegen unrichtiger und unvollständiger Angaben im Kapitalmarktprospekt sowie auf Werbeverstöße gemäß § 4 KMG wegen unrichtiger und irreführender Werbeunterlagen und zum anderen auf unrichtige Angaben im Zuge des Verkaufsgesprächs.

Von Interesse ist hier demnach der Deckungsabgrenzungsausschluss hinsichtlich der Geltendmachung von Ansprüchen, die aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen.

4.2. Mögliche Geschäftspartner treten schon mit der Kontaktaufnahme in ein beiderseitiges vorvertragliches Schuldverhältnis, das die Beteiligten insbesondere verpflichtet, einander über die Beschaffenheit der in Aussicht genommenen Leistungsgegenstände aufzuklären und Umstände mitzuteilen, die einem gültigen Vertragsabschluss entgegenstehen. Eine Verletzung dieser Verpflichtungen macht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1295 ABGB schadenersatzpflichtig (RS0014885). Das vorvertragliche Schuldverhältnis besteht unabhängig davon, ob es später zu einem Vertragsabschluss kommt. Es handelt sich, wenn der in Aussicht genommene Vertrag nicht zustande kommt oder als nicht zustande gekommen gilt, um ein Schuldverhältnis ohne Hauptleistungspflicht, das vor allem in Aufklärungs‑ und Sorgfaltspflichten besteht (RS0049409).

4.2.1 Bereits vor Inkrafttreten des KMG wurde eine Prospekthaftung auf culpa in contrahendo gegründet (vgl RS0108218). Allgemein zivilrechtliche Prospekthaftungsansprüche bestehen dann, wenn ein Anleger unter anderem durch irreführende Prospektangaben zur Zeichnung einer Kapitalanlage bewegt wird. Der potentielle Kapitalanleger muss sich grundsätzlich auf die sachliche Richtigkeit und Vollständigkeit der im Prospekt enthaltenen Angaben verlassen dürfen. Für eine sachlich richtige und vollständige Information haben all jene Personen einzustehen, die durch ihr nach außen in Erscheinung tretendes Mitwirken an der Prospektgestaltung einen besonderen – zusätzlichen – Vertrauenstatbestand schaffen. Dazu gehören insbesondere solche Personen und Unternehmen, die mit Rücksicht auf ihre allgemein anerkannte herausgehobene berufliche und wirtschaftliche Stellung oder ihre Eigenschaft als berufsmäßige Sachkenner eine Garantenstellung einnehmen (RS0107352). Es haben alle jene Personen für eine sachlich richtige und vollständige Information einzustehen, die durch ihr nach unten in Erscheinung tretendes Mitwirken an der Prospektgestaltung einen besonderen – zusätzlichen – Vertrauenstatbestand schaffen, und zwar unabhängig von der Haftung der den Wertpapierkaufvertrag oder Finanzdienstleistungsvertrag schließenden Parteien (4 Ob 112/15x).

4.2.2 § 11 Abs 1 Z 1 bis 4 KMG regelt die Prospekthaftung von Emittenten (Z 1), Prospektkontrolloren (Z 2), Vertragspartnern bzw Vermittlern des Anlegers (Z 3) und Abschlussprüfern (Z 4). Die kapitalmarktrechtliche Prospekthaftung nach § 11 KMG bei unrichtiger oder unvollständiger Prospektangaben ist die gesetzgeberische besondere Ausprägung der allgemeinen Grundsätze über die schadenersatzrechtliche Haftung für Vertrauensschäden wegen vorvertraglicher Pflichtverletzung. Es geht um die Sanktionierung irreführender Anlegerinformationen. Gehaftet wird für die Verletzung von Aufklärungs‑ und Sorgfaltspflichten, die schon vor Geschäftsabschluss bestehen (3 Ob 75/06k). Auch die kapitalmarktrechtliche Prospekthaftung wird als „Art der Haftung für culpa in contrahendo“ betrachtet (ErläutRV 147. BlgNR 18. GP 21; RS0108218). § 11 KMG ist somit ein Fall einer gesetzlichen Prospekthaftung, die in Konkurrenz zu Ansprüchen aus der allgemein zivilrechtlichen Prospekthaftung nach culpa in contrahendo tritt (7 Ob 112/16w).

4.2.3 Auch wenn die hier interessierende Prospekthaftung nach § 11 KMG der Haftung aus culpa in contrahendo am nächsten kommt, so handelt es sich doch um eine spezifische kapitalmarktrechtliche Bestimmung. Dieser Fall einer gesetzlichen Prospekthaftung untersteht an sich dem Schadenersatz‑Rechtsschutz nach Art 19.2.1 ARB (vgl 7 Ob 112/16w).

4.3. Jede Art von Werbung für Wertpapiere oder Veranlagungen, die öffentlich angeboten oder für eine Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt erfolgt, unterliegt den in § 4 Abs 2 bis 5 KMG vorgesehenen Grundsätzen ( Zivny , Kapitalmarktgesetz 2 § 4 Rz 10).  § 4 KMG qualifiziert sich als Schutzgesetz, durch dessen Verletzung Schadenersatz gemäß §§ 1295, 1311 ABGB begründet werden kann ( Zivny aaO Rz 45).

4.4. Der Deckungsabgrenzungsausschluss besteht – soweit hier interessierend – für die Geltendmachung reiner Vermögensschäden wegen Verletzung vertraglicher Pflichten. Der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer wird daher die Geltendmachung von Ansprüchen aufgrund einer gesetzlichen Haftung, die auf die Verletzung gesetzlicher Pflichten abstellt und grundsätzlich unabhängig von einer (angestrebten) Vertragsbeziehung bestehen kann, nicht dem Deckungsabgrenzungsausschluss des Art 19.3.1.3 ARB unterstellen. Die beabsichtigte Geltendmachung von Ansprüchen nach § 11 KMG und wegen der Verletzung von § 4 KMG ist daher nicht ausgeschlossen.

4.5. Richtig ist, dass der Kläger seine Ansprüche aus den unrichtigen oder unvollständigen Angaben im Kapitalmarktprospekt und den Werbeunterlagen vor dem Hintergrund, dass er die Schuldverschreibungen direkt von der Emittentin erwarb, die bzw deren Masseverwalter er klageweise in Anspruch zu nehmen beabsichtigt, auch auf die Verletzung vorvertraglicher Aufklärungs‑ und Beratungspflichten gründen könnte. Bereits der Wortlaut des Art 19.3.1.3 ARB lässt aber keine Auslegung dahin zu, dass mit Schadenersatzansprüchen wegen der Verletzung vorvertraglicher Pflichten konkurrierende auf Gesetz gegründete, gleichrangige, eigenständige und damit grundsätzlich dem Schadenersatz‑Rechtsschutz unterstehende Schadenersatzansprüche vom Versicherungsschutz ausgeschlossen werden. Das von der Beklagten angestrebte Auslegungsergebnis, im Fall einer solchen Anspruchskonkurrenz der Verletzung vorvertraglicher Pflichten Vorrang gegenüber der Verletzung gesetzlicher Pflichten einzuräumen, findet im Wortlaut des Ausschlusstatbestands keine Deckung (vgl Hartmann , Rechtsschutzversicherung, 514; Harbauer , Anspruchskonkurrenz beim Schadenersatz‑Rechtsschutz NVersZ 1999, 308 mwN zur ähnlichen deutschen Bedingungslage).

4.6. Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass Deckungsschutz im Schadenersatz‑Rechtsschutz besteht, soweit der Kläger seine Ansprüche (nur) auf Grundlage der Prospekthaftung nach § 11 KMG und Verletzung des Schutzgesetzes nach § 4 KMG stützt.

4.7. Anders verhält es sich, soweit der Kläger seine Ansprüche auf die Verletzung von Aufklärungs‑ und Beratungspflichten im Zuge des Verkaufsgesprächs gründet; handelt es sich doch hier eindeutig um die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten. Insoweit gelangt der Deckungsabgrenzungsausschluss zur Anwendung.

5. Dem Einwand der Beklagten, dass das Klagebegehren auch deshalb nicht zu Recht bestehe, weil die beabsichtigte Exekution in den Deckungsanspruch der Emittentin gegenüber deren Haftpflichtversicherer nicht von der Rechtsschutzversicherung des Klägers umfasst sei, weil es sich inhaltlich um eine Streitigkeit aus einem fremden Versicherungsvertrag handle, ist entgegen zu halten, dass der Kläger im vorliegenden Verfahren lediglich Deckungsschutz für den Rechtsstreit mit der Emittentin/deren Insolvenzverwalter begehrt.

6.1. Nach ständiger Rechtsprechung vertragen Prozesshandlungen weder Bedingungen noch Befristungen (RS0006954), sofern die Verfahrensgesetze keine Ausnahmeregelungen enthalten (RS0006954 [T2]). Die vom Kläger vorgenommene (hilfsweise) Klagseinschränkung ist demnach unzulässig.

6.2. Der Revision ist daher nur teilweise Folge zu geben und dem Klagebegehren lediglich im Umfang der beabsichtigten Geltendmachung der auf gesetzlicher Grundlage beruhenden Schadenersatzansprüche nach §§ 4 und 11 KMG stattzugeben. Im Übrigen ist die Abweisung des Klagebegehrens zu bestätigen.

7. Die Kostenentscheidung gründet auf § 43 Abs 1 ZPO. Der Kläger ist mit seinem auf gesetzliche Pflichtverletzungen gegründeten Begehren durchgedrungen, mit seinem im Zusammenhang mit der Verletzung vorvertraglicher Pflichtverletzungen stehenden Klagebegehren jedoch unterlegen. Es ist daher mit einer Kostenaufhebung vorzugehen. Die Beklagte hat dem Kläger lediglich die Pauschalgebühren im Umfang des tatsächlichen Obsiegens zu ersetzen.

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