European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00115.19S.0828.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Der Erstkläger schloss mit der Beklagten einen Bündelversicherungsvertrag ab, der auch eine Rechtsschutzversicherung für den landwirtschaftlichen Betrieb des Erstklägers enthält. Die Zweitklägerin ist die Ehefrau des Erstklägers und wohnt mit diesem im selben Haushalt. Dem Versicherungsvertrag liegen die „Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung 2007“ (im Folgenden ARB) zugrunde. Diese lauten auszugsweise:
„ Artikel 24
Rechtsschutz für Grundstückseigentum und Miete
Der Versicherungsschutz erstreckt sich je nach Vereinbarung auf die Selbstnutzung des versicherten Objekts und/oder die Gebrauchsüberlassung am versicherten Objekt
1. Wer ist in welcher Eigenschaft versichert?
Versicherungsschutz hat der Versicherungsnehmer
1.1 für Versicherungsfälle, die in seiner Eigenschaft als Eigentümer, Mieter, Pächter oder dinglich Nutzungsberechtigter des in der Polizze bezeichneten Grundstücks, Gebäudes oder Gebäudeteiles (Wohnung oder sonstige selbständige Räumlichkeit) eintreten (Selbstnutzung).
[...]
2. Was ist versichert?
Der Versicherungsschutz umfasst die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in Verfahren vor österreichischen Gerichten je nach Vereinbarung
2.1 aus Miet‑ und Pachtverträgen;
[...]
2.2 aus dinglichen Rechten, einschließlich der Geltendmachung und Abwehr nachbarrechtlicher Ansprüche;
abweichend von Art 7.2.1 besteht Versicherungsschutz auch für die Geltendmachung und Abwehr nachbarrechtlicher Ansprüche aufgrund allmählicher Einwirkungen, wenn die Einwirkungen von unmittelbar benachbarten Grundstücken ausgehen oder durch die Einwirkungen unmittelbar benachbarte Grundstücke betroffen sind
[...]“
Am 18. 5. 2017 brachte H***** R***** (in der Folge: Nachbar) gegen die dort Beklagten (hier: Kläger) beim Bezirksgericht Krems an der Donau zu 3 C 496/17w eine Klage mit dem Vorbringen ein, er sei unter anderem Eigentümer der Grundstücke ***** und ***** je KG *****. Die dort Beklagten (hier: Kläger) seien Hälfteeigentümer des daran angrenzenden Grundstücks ***** KG ***** [...]. Die Grenze zwischen seinen Grundstücken und dem Grundstück der dort Beklagten (hier: Kläger) verlaufe entsprechend dem Vermarktungsplan vom 21. 12. 1966, AZ 2185/65, und sei entsprechend vermarkt. Nahe der Grenze verlaufe auf seinem Grundstück ein Weg. Bis auf einen Stein würden jedoch die Grenzzeichen fehlen. Weiters habe er im Spätsommer 2016 feststellen müssen, dass die Beklagten (hier: Kläger) bzw Dritte mit ihrem Wissen und Willen bzw in ihrem Auftrag Aufschüttungen mit nicht geeignetem Material, insbesondere Asphalt‑ und Teerbrocken sowie Ziegelbrocken jedenfalls auch auf den in seinem Eigentum stehenden Grundstücken vorgenommen hätten. Trotz Aufforderung und Fristsetzung seien lediglich einige Teerbrocken aus den vorgenommenen Aufschüttungen entfernt und die Grenzpunkte im Sinne der Vermessung aus dem Jahr 1966 nicht wiederhergestellt worden. Er beantrage daher, die Beklagten (hier: Kläger) zu ungeteilter Hand zu verpflichten, die Grenzzeichen betreffend die Grenze zwischen den Grundstücken ***** und ***** je KG ***** einerseits sowie dem Grundstück ***** KG ***** andererseits entsprechend dem Vermarktungsplan vom 21. 12. 1966 wiederherzustellen. Sie seien weiters schuldig, die Aufschüttungen mit Ziegelbrocken auf dem von Westen nach Osten auf dem im nördlichen Bereich der Grundstücke ***** und ***** je KG ***** verlaufenden Weg zu entfernen und in Hinkunft Aufschüttungen mit nicht geeignetem Material, insbesondere Ziegelbrocken im Bereich der Grundstücke ***** und ***** je KG ***** zu unterlassen. Mit Urteil vom 8. August 2018 gab das Bezirksgericht Krems an der Donau dem (eingeschränkten) Klagebegehren statt, und verpflichtete die dort Beklagten (hier: Kläger) in Hinkunft Aufschüttungen mit nicht geeignetem Material, insbesondere Ziegelbrocken im Bereich der Grundstücke ***** und ***** je KG ***** zu unterlassen. Das Urteil erwuchs mit Ausnahme der Kostenentscheidung in Rechtskraft.
Am 29. 5. 2017 brachte der Nachbar beim Bezirksgericht Krems an der Donau zu 3 C 520/17z eine weitere Klage gegen die dort Beklagten (hier: Kläger) ein. Er sei Alleineigentümer des Grundstücks ***** KG *****. Östlich daran angrenzend befinde sich das im jeweiligen Hälfteeigentum der dort Beklagten (hier: Kläger) stehende Grundstück ***** KG *****. In den letzten Jahren sei von den Beklagten (hier: Kläger) bzw mit deren Wissen und Willen immer wieder auf dem in seinem Eigentum stehenden Grundstück geackert worden. Er begehre, die Beklagten (hier: Kläger) zu verpflichten, in Hinkunft Bewirtschaftungsmaßnahmen auf seinem Grundstück ***** KG ***** zu unterlassen. Anlässlich der Tagsatzung vom 4. 4. 2018 wurden Vergleichsgespräche geführt und letztlich einfaches Ruhen des Verfahrens vereinbart.
Die Kläger begehren die Feststellung, dass die Beklagte als Rechtsschutzversicherer Rechtsschutzdeckung für die Verfahren 3 C 496/17w und 3 C 520/17z des Bezirksgerichts Krems an der Donau zu gewähren habe. Weiters sei sie zu einer Zahlung von 8.623,47 EUR sA zu verpflichten. Sie seien im Verfahren 3 C 496/17w des Bezirksgerichts Krems an der Donau in ihrer Eigenschaft als Eigentümer des Nachbargrundstücks bzw als dinglich Servitutsberechtigte (Fahrrecht) des auf dem entlang der Grenze der beiden Grundstücke verlaufenden Wegs in Anspruch genommen worden. Die Eigentumsverhältnisse an den Nachbargrundstücken als auch das Fahrrecht der Kläger seien nicht in Streit gezogen worden. In diesem Verfahren sei die Unterlassung und Wiederherstellung des Eigentums des Nachbarn begehrt worden. Sowohl beim Eigentum als auch beim Servitutsrecht handle es sich um dingliche Rechte. Die Beklagte sei daher zur Rechtsschutzdeckung verpflichtet.
Gegenstand des Verfahrens 3 C 520/17z sei die Behauptung, die Kläger hätten von ihrem Grundstück aus Bewirtschaftungshandlungen auf dem angrenzenden Grundstück des Nachbarn gesetzt. Gegenstand sei somit ein Eingriff der Kläger als Eigentümer der unmittelbaren Nachbargrundstücke in das Eigentum des Nachbarn.
Die Kosten beider Verfahren würden sich für die Kläger in Höhe von 8.623,47 EUR belaufen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Es sei kein Versicherungsfall gemäß Art 24 ARB eingetreten. In beiden Verfahren würden den Klägern ausschließlich Handlungen vorgeworfen, die nicht im Zusammenhang mit ihrem Eigentum oder einer dinglichen Berechtigung stünden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Verfahrensgegenstand im Verfahren 3 C 496/17w des Bezirksgerichts Krems an der Donau sei der Vorwurf faktischer Handlungen der Kläger gewesen, die nicht im untrennbaren Zusammenhang mit ihrer Eigenschaft als Eigentümer der daran angrenzenden Liegenschaft gestanden seien. Da Aufschüttungen auch durch jede dritte Person vorgenommen werden könnten, liege kein Versicherungsfall vor, der aufgrund der Eigenschaft der Kläger als Eigentümer der versicherten Liegenschaft im Sinn des Art 24.1.1 ARB eingetreten sei. Das Gleiche gelte für das Verfahren 3 C 520/17z des Bezirksgerichts Krems an der Donau, das den Vorwurf zum Gegenstand gehabt habe, die Kläger hätten Bewirtschaftungsmaßnahmen auf einer fremden Liegenschaft vorgenommen.
Das Berufungsgericht änderte das Urteil im klagsstattgebenden Sinn ab. Zweck der Rechtsschutzversicherung für Grundstückseigentum sei, Deckung für Rechtsstreite zu bieten, die sich im Zusammenhang mit den versicherten Grundstücken ergäben, wie beispielsweise Streitigkeiten über den Grenzbereich udgl. Dienstbarkeiten wie Fahrrechte seien Zubehör zur herrschenden Liegenschaft und damit ebenfalls vom Versicherungsschutz umfasst, sodass ein verständiger Versicherungsnehmer beispielsweise auch Rechtsschutzdeckung für Streitigkeiten über die Erhaltung des Servitutswegs erwarten könne. Die Rechtsansicht der Beklagten, dass es sich hier nicht um die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus dinglichen Rechten handle, laufe darauf hinaus, dass für Nachbar- und Servitutsstreitigkeiten nur Rechtsschutzdeckung bestehe, wenn es sich um Aktivprozesse handle. Das mache die Versicherung zwar nicht zwecklos, schränke den Versicherungsschutz aber in einer Weise ein, die ein verständiger Versicherungsnehmer nicht erwarten könne. Die Bestimmung sei daher so auszulegen, dass für Verfahren betreffend typische Nachbar- und Servitutsstreitigkeiten auch dann Deckungsschutz bestehe, wenn der Versicherungsnehmer geklagt werde und für den Erfolg der Klage nicht erforderlich sei, dass er Eigentümer von Nachbarliegenschaften oder Dienstbarkeitsberechtigter sei.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei. Die Auslegung von Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die regelmäßig für eine größere Anzahl von Kunden bestimmt und von Bedeutung seien, stelle eine erhebliche Rechtsfrage dar, sofern solche Klauseln – wie hier – bisher vom Obersten Gerichtshof noch nicht zu beurteilen gewesen seien.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag.
Die Kläger begehren, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, sie ist im Sinn des in jedem Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrags (5 Ob 234/10p; 7 Ob 269/08x) auch berechtigt.
1. Die Mitversicherung der Zweitklägerin und deren Aktivlegitimation blieben unbestritten.
2. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 ff ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insbesondere T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).
3. Die Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen decken wegen der schweren Überschaubarkeit und Kalkulierbarkeit sowie der Größe des Rechtskostenrisikos im gesamten Bereich des privaten wie auch öffentlichen Rechts nur Teilgebiete ab. Eine universelle Gefahrenübernahme, bei der der Versicherer jeden beliebigen Bedarf des Versicherungsnehmers nach Rechtsschutz decken müsse, ist in Österreich nicht gebräuchlich (7 Ob 268/01i mwN). Die Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen sind einerseits in die „Gemeinsamen Bestimmungen“ (Art 1 bis 16 ARB) und andererseits in die „Besonderen Bestimmungen“ (Art 17 bis 26 ARB) unterteilt. Diese stellen die sogenannten „Rechtsschutzbausteine“ dar, die jeweils die Eigenschaften und Rechtsgebiete, für die Versicherungsschutz besteht, beschreiben (7 Ob 250/07a).
4. Die Kläger begehren Versicherungsschutz aus dem Rechtsschutzbaustein „Rechtsschutz für Grundstückseigentum und Miete“ nach Art 24 ARB.
4.1 Nach Art 24.1.1 ARB erstreckt sich der Versicherungsschutz (soweit hier relevant) auf Versicherungsfälle, die im Zusammenhang mit der Eigenschaft des Versicherungsnehmers als Eigentümer oder dinglich Nutzungsberechtigter des in der Polizze bezeichneten Grundstücks eintreten (Selbstnutzung). Gemäß Art 24.2.2 ARB umfasst der Versicherungsschutz die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in Verfahren vor österreichischen Gerichten aus dinglichen Rechten, einschließlich der Geltendmachung und Abwehr nachbarrechtlicher Ansprüche.
4.2 Der Versicherungsschutz im Rechtsschutz für Grundstückseigentum und Miete stellt auf das versicherte Objekt ab, das ist das in der Polizze beschriebene Grundstück (Gebäude, Gebäudeteile). Es handelt sich somit um einen sogenannten objektbezogenen Rechtsschutz; er schützt das jeweilige vom Versicherungsnehmer im Antrag angegebene und im Versicherungsvertrag näher bezeichnete Objekt in der jeweiligen Eigenschaft des Versicherungsnehmers ( Kronsteiner , Die Rechtsschutzversicherung 80; Kronsteiner/Lafenthaler/Soriat , Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung [ARB 2007] Art 24 Pkt 1; zur insoweit vergleichbaren deutschen Rechtslage Böhme , Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung [ARB] 12 § 29 458; Obarowski in Harbauer , Rechtsschutzversicherung 9 ARB 2010 § 29 Rn 3).
4.3.1 Böhme (aaO 462) vertritt darüber hinaus, dass der Begriff „dingliches Recht“ dahin auszulegen sei, dass aus ihm alle gesetzlichen Ansprüche – ob dinglich oder schuldrechtlich – entstehen können, die an die Innehabung des dinglichen Rechts anknüpfen.
Diese Ansicht wird vom erkennenden Fachsenat nicht geteilt. Der Begriff „aus dinglichen Rechten“ ist vielmehr bereits nach dem Wortlaut dahin zu verstehen, dass es um die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus dem unmittelbaren (dinglichen) Recht an der Sache gehen muss. Versicherungsschutz besteht daher konkret für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen aus dem Eigentumsrecht am versicherten Objekt und den damit allenfalls verbundenen Grunddienstbarkeiten oder auch Personaldienstbarkeiten ( Kronsteiner aaO 86; Kronsteiner/Laventhaler/Soriat aaO Pkt 2.2). Die Interessenwahrnehmung aus dinglichen Rechten setzt voraus, dass ein dingliches Recht bereits besteht oder vom Versicherungsnehmer oder seinem Gegner schlüssig behauptet wird ( Kronsteiner/Laventhaler/Soriat aaO Pkt 2.2; Obarowski aaO § 2 Rn 123). Die Interessenwahrnehmung kann in der Geltendmachung von Ansprüchen aus dem dinglichen Recht an dem versicherten Objekt bestehen sowie in der Abwehr von Ansprüchen Dritter, die gegen dieses dingliche Recht des Versicherungsnehmers gerichtet sind ( Obarowski § 2 aaO Rn 123).
4.3.2 Die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus dinglichen Rechten umfasst auch die Geltendmachung und Abwehr nachbarrechtlicher Ansprüche. Darunter sind bereits nach dem Wortlaut auch für den durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer die aus dem Nachbarrecht abgeleiteten Ansprüche zu verstehen, nicht hingegen sämtliche Streitigkeiten unter Nachbarn.
Der Begriff „Nachbarrecht“ wird im ABGB nicht ausdrücklich definiert. Von Rechtslehre und Rechtsprechung wird aber ein bestimmtes Verständnis unterstellt: Das Nachbarrecht des ABGB ist Teil des Sachenrechts. Es besteht aus allen Rechtsnormen, die das grundsätzliche Recht des Eigentümers, mit der Sache nach Belieben zu verfahren und jeden Dritten von jeder Einwirkung auszuschließen, mit Rücksicht auf die benachbarte Lage von Grundstücken und die deshalb unvermeidlichen wechselseitigen Beeinträchtigungen einschränken (vgl Eccher/Riss in KBB 5 § 364 Rz 1; Oberhammer in Schwimann/Kodek , ABGB 4 II § 364 Rz 1; Kerschner/Wagner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch , Klang 3 Vor §§ 364–364b Rz 1).
Das Nachbarrecht regelt vor allem die (Un‑)Zulässigkeit von Immissionen (§ 364 Abs 2 ABGB), Ausgleichsansprüche bei Immissionen durch behördlich genehmigte Anlagen (§ 364a ABGB); die Vertiefung des Grundstücks (§ 364b ABGB); Problematiken des Grenzbaums (§ 421 ABGB); Bäume an der Grenze (§ 422 ABGB) und sonstige Grenzeinrichtungen (§§ 854 f ABGB).
5.1 Nun ist zu prüfen, ob ein Versicherungsfall nach § 24 ARB dargelegt wurde. Bei dieser Bestimmung handelt es sich nämlich um die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos (primäre Risikoabgrenzung). Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen für welche Gefahren und welchen Bedarf versichert sind (vgl RS0080166 [T10]). Für das Vorliegen eines Versicherungsfalls trifft nach der allgemeinen Risikoumschreibung den Versicherungsnehmer die Beweislast (RS0043438). Der Versicherungsnehmer, der eine Versicherungsleistung beansprucht, muss die anspruchsbegründenden Voraussetzungen des Eintritts des Versicherungsfalls beweisen (RS0080003). Behauptet der Versicherungsnehmer die Notwendigkeit der Interessenwahrnehmung im Rahmen einer bestimmten von ihm versicherten Leistungsart, dann muss er schlüssig darlegen, dass der von ihm verfolgte – oder abzuwehrende Anspruch aus einem Rechtsverhältnis herrührt, das in den Schutzbereich des Versicherungsvertrags fällt ( Obarowski aaO § 2 Rn 4).
5.2.1 Wird der Versicherungsnehmer in einem Passivprozess wegen behauptetermaßen unbefugten Eingriffen in das Eigentumsrecht eines Dritten in Anspruch genommen. erfordert die Darlegung der vom Versicherungsschutz umfassten Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus dinglichen Rechten, dass der Versicherungsnehmer den Klagsbehauptungen im Haftpflichtprozess die schlüssige Behauptung entgegenzusetzen beabsichtigt, die dem Versicherungsnehmer vorgeworfenen Handlungen seien in Ausübung seines versicherten dinglichen Rechts erfolgt. Sind die Haftpflichtverfahren – wie hier durch Entscheidung und Eintritt des Ruhens – (derzeit) abgeschlossen, dann ist auf das Vorbringen in den Haftpflichtprozessen abzustellen, das zur Abwehr des Klagsanspruchs des Nachbarn tatsächlich erstattet wurde.
5.2.3 Zu 3 C 496/17a wurden die Kläger von ihrem Nachbarn auf Wiederherstellung von Grenzzeichen, Entfernung von (ungeeigneten) Anschüttungen auf dem über seine Grundstücke verlaufenden Weg und Unterlassung derartiger Aufschüttungen in Hinkunft in Anspruch genommen. Im Zusammenhang mit diesem Verfahren behaupten die Kläger im vorliegenden Deckungsprozess, dingliche Servitutsberechtigte dieses Wegs zu sein. Die Eigentumsverhältnisse an den Nachbargrundstücken und ihr – dem Grundbuch nicht zu entnehmendes – „Fahrrecht“ seien im Haftpflichtprozess nicht in Streit gezogen gewesen. Das Verfahren habe die Unterlassung und Wiederherstellung des Eigentums des Nachbarn zum Gegenstand gehabt, die Kläger seien in ihrer Eigenschaft als Eigentümer der Nachbargrundstücke geklagt worden.
Im Verfahren 3 C 520/17z des Bezirksgerichts Krems an der Donau begehrt der Nachbar die Unterlassung von Bewirtschaftungsmaßnahmen auf einem in seinem Eigentum stehenden Grundstück. Hier brachten die Kläger im vorliegenden Deckungsprozess vor, Eigentümer der unmittelbaren Nachbargrundstücke zu sein. Gegenstand sei damit der Eingriff der Kläger als Eigentümer der unmittelbaren Nachbargrundstücke in das Eigentum des Nachbarn.
5.2.4 Den in Punkt 5.2.1 aufgezeigten Anforderungen entspricht das bisherige Vorbringen der Kläger nicht: Offen bleibt, welches Vorbringen sie in den Haftpflichtverfahren erstatteten, um dort eine Klagsabweisung zu erreichen und damit inwieweit die Kläger die ihnen vorgeworfenen Handlungen überhaupt in Ausübung eines ihnen zukommenden dinglichen Rechts setzten. Der bloße Umstand, dass sie Eigentümer ihrer Liegenschaft sind und ein (nicht verbüchertes) Fahrrecht haben, reicht nicht aus. Dies kann allerdings nicht zur sofortigen Abweisung des Klagebegehrens führen. Der Oberste Gerichtshof darf die Partei nicht mit einer Rechtsansicht überraschen, die sie nicht beachtet und auf die sie das Gericht nicht hingewiesen hat (RS0037300). Vielmehr ist den Klägern Gelegenheit zu geben, ihr bisher unschlüssiges Begehren zu verdeutlichen und zu präzisieren.
5.3 Inwieweit die Geltendmachung oder Abwehr nachbarrechtlicher Ansprüche vom Versicherungsschutz umfasst sind, bedarf hier keines näheren Eingehens. Soweit die Kläger – im Zusammenhang mit beiden Haftpflichtverfahren – meinen, dass die Versicherungsbedingungen den Versicherungsschutz nicht auf Rechtsstreitigkeiten nach § 364 ABGB beschränken, sondern auch Ansprüche nach § 523 ABGB und §§ 850 ff ABGB der Deckungspflicht der Beklagten unterfallen, kann ihnen schon jetzt entgegengehalten werden: Die §§ 850–853a ABGB regeln die Erneuerung und Berichtigung der Grenzen in einem – hier nicht vorliegenden – Verfahren außer Streitsachen. Die Eigentumsfreiheitsklage ihres Nachbarn nach § 523 ABGB, gegründet auf unbefugte Eingriffe der Kläger in sein Eigentum, kann vor dem Hintergrund des in Punkt 4.3.2 aufgezeigten Verständnisses des Nachbarrechts auch nach der Vorstellung eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers nicht als Geltendmachung eines nachbarrechtlichen Anspruchs im Sinn der Bedingungen angesehen werden. Handelt es sich doch dabei um die Klage des besitzenden Eigentümers, gerichtet auf die Abwehr von Störungen, die gegenüber jedermann zusteht, der unbefugt eingreift, mag er nun irgendein Recht hiezu behaupten oder nicht (vgl RS0012040; 5 Ob 138/11x) und zwar unabhängig von nachbarrechtlichen Rücksichtnahmen.
6. Der Revision war daher Folge zu geben, die Entscheidungen der Vorinstanzen waren aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückzuüberweisen. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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