OGH 3Ob247/18x

OGH3Ob247/18x23.1.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*, vertreten durch Blum, Hagen & Partner Rechtsanwälte GmbH in Feldkirch, gegen die Beklagten 1. M* und 2. D*, beide vertreten durch Bechtold und Wichtl Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, wegen Räumung (hier: Zwischenantrag auf Feststellung), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Teil- und Zwischenurteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 23. Oktober 2018, GZ 2 R 240/18m‑40, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E124200

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Im Revisionsverfahren ist strittig, ob zwischen den Parteien ein Mietvertrag (oder ein für den Kläger jederzeit kündbares, familienrechtliches Wohnverhältnis) zustandekam, und ob für das Haus des Klägers der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 2 Z 5 MRG erfüllt ist. Das Berufungsgericht bejahte das schlüssige Zustandekommen eines Mietvertrags und verneinte das Vorliegen des genannten Ausnahmetatbestands. Der Kläger zeigt in seiner außerordentlichen Revision keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf, weshalb diese als unzulässig zurückzuweisen ist:

Rechtliche Beurteilung

1. Zur Grundlage der Benützung:

1.1. Bei der Abgrenzung eines nur aus dem natürlichen Zusammengehörigkeitsgefühl unter Familienangehörigen – ohne vertragliche Bindung – entstandenen Wohnverhältnisses, das rechtlich nicht durchsetzbar und jederzeit widerrufbar ist (vgl RIS‑Justiz RS0020503), von einem infolge des Familienverhältnisses aber nicht mit voller Bestimmtheit vereinbarten Vertragsverhältnis kommt es immer auf die Umstände des Einzelfalls an (RIS‑Justiz RS0011850 [T6 und T8] = 4 Ob 571/88 und 7 Ob 616/90). Entscheidend dafür, ob eine vertragliche Rechtsgrundlage für die Wohnungsbenützung oder ein familienrechtliches Wohnverhältnis vorliegt, bleiben aber immer die gewechselten Erklärungen oder die aus dem gesetzten Verhalten objektiv zu erschließende beiderseitige Rechtsgeschäftsabsicht (3 Ob 71/01i). Bindungsabsicht ist unter Familienangehörigen umso eher anzunehmen, wenn– wie hier – ein Konnex zu einer früheren Unterhaltsschuld fehlt (RIS‑Justiz RS0011850 [T11]).

1.2. Aus den – bindenden – Feststellungen, wonach eine jederzeitige Widerruflichkeit nicht vereinbart wurde und beide Seiten nicht davon ausgingen, dass der Kläger von den Beklagten jederzeit die Rückforderung der Wohnung fordern könne, ergibt sich die übereinstimmende Absicht der Parteien, eine vertragliche Bindung ohne jederzeitige Widerrufbarkeit einzugehen. Daher bedarf die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, ein frei widerrufliches, prekaristisch eingeräumtes Wohnverhältnis sei zu verneinen, keiner Korrektur.

1.3. Wenn auch nicht feststellbar war, ob die Streitteile eine monatliche Nettomiete von 900 EUR vereinbarten, steht jedenfalls fest, dass die Beklagten ab ihrem Einzug im Oktober 2006 diesen Betrag monatlich über fast zehn Jahre mit der Widmung „Miete“ an den Kläger überwiesen, der dies akzeptierte. Die unbeanstandete Annahme eines Entgelts für die Benutzung von Räumen durch längere Zeit kann dann als stillschweigender Abschluss eines Mietvertrags angesehen werden, wenn kein anderer Grund für die Zahlung in Frage kommt (RIS‑Justiz RS0082191 [T2]). Ein solcher ist weder im Akt ersichtlich noch vermag die Revision einen zu nennen. Unter weiterer Berücksichtigung der von den Beklagten getragenen, beträchtlichen Kosten der Sanierung der Wohnung von mehr als 350.000 EUR, überschritt das Berufungsgericht den nach der Rechtsprechung bestehenden Beurteilungsspielraum nicht, wenn es – trotz der Familienbande (vgl RIS‑Justiz RS0011850 [T14]) – den konkludenten Abschluss eines Bestandvertrags annahm.

1.4. Somit fehlt der Frage, ob die monatliche Zahlung von 900 EUR einem sogenannten „Anerkennungszins“ entspricht, die rechtliche Relevanz.

2. Zu § 1 Abs 2 Z 5 MRG:

Zu klären ist, wieviele selbständige Mietobjekte auf der Liegenschaft des Klägers vorhanden sind.

2.1. Der 8. Senat fasste die „seit langem geklärten“ Beurteilungskriterien der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu diesem Ausnahmetatbestand wie folgt zusammen (8 Ob 116/17t):

Als selbständige Wohnung ist ein selbständiger und in sich baulich abgeschlossener Teil eines Gebäudes zu verstehen, der geeignet ist, der Befriedigung eines individuellen Wohnbedürfnisses von Menschen zu dienen (RIS‑Justiz RS0069338). Die Annahme von Wohnräumen ist dabei nur dann gerechtfertigt, wenn diese aufgrund ihrer bautechnischen und rechtlichen Gegebenheiten für die Verwendung zur Unterkunft und Haushaltsführung geeignet sind (RIS‑Justiz RS0069440). Die Beurteilung hat nach der Verkehrsauffassung zu erfolgen (RIS‑Justiz RS0079853; 10 Ob 2/15i). Entscheidend ist dabei der tatsächliche Zustand im Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrags (RIS‑Justiz RS0112564; 1 Ob 73/17t). In Bezug auf sämtliche in Betracht kommenden Mietobjekte (Wohnungen und Geschäftsräume) kommt es demnach auf die Zahl getrennt zugänglicher (abgeschlossener) Raumeinheiten an, die selbständig vermietbar sind, wobei typische Nebenräume eines Hauses oder eines Bestandobjekts (zB Abstellräume, Kellerräume oder Garagen) nicht zu berücksichtigen sind (RIS‑Justiz RS0069389), außer der Charakter als Nebenraum wurde durch tatsächliche Vermietung aufgehoben (1 Ob 73/17t).

Maßgebend ist der objektive bauliche Zustand im Zeitpunkt der Vermietung nach Maßgabe der Verkehrsauffassung. Die konkrete Beurteilung hängt dabei typisch von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0079853). Entgegen der Ansicht der klagenden Partei kommt es nicht auf die tatsächliche Benützung bzw Widmung durch den Vermieter an. Soweit von „tatsächlichem Zustand“ die Rede ist, ist nicht die tatsächliche Verwendung gemeint, sondern der objektive bauliche Zustand, also die objektive Verwendbarkeit nach den tatsächlichen baulichen Gegebenheiten. Die bauliche Abgeschlossenheit einer der Vermietung zugänglichen Raumeinheit richtet sich somit nach dem tatsächlichen baulichen Zustand (8 Ob 116/17t).

Da der objektive bauliche Zustand in der Regel mit der Baubewilligung übereinstimmt, wird in der Judikatur mitunter auf die Baubewilligung oder die rechtlichen Gegebenheiten verwiesen (vgl RIS‑Justiz RS0069412; RS0069440). Die Bauunterlagen sind daher ein geeignetes (Beweis-)Mittel zur Feststellung des baulichen Zustands (8 Ob 116/17t).

Zu ergänzen sind hier noch folgende Kriterien, auf die schon das Berufungsgericht hingewiesen hat: Die Konzipierung des Gebäudes (Villa) bei Errichtung ist nicht entscheidend (10 Ob 27/09g). Eine unbrauchbare dritte Wohnung schadet dann nicht, wenn sie nicht nur vorübergehend (dh durch Sanierungsmaßnahmen behebbar), sondern endgültig unvermietbar ist (5 Ob 259/99w [verneint dies bei einer mit Bescheid für unbewohnbar erklärten Wohnung, deren Wiederverwendung für Wohnzwecke von der Beseitigung des konsenswidrigen Zustands und Feststellung der Benützungsfähigkeit abhängig gemacht wurde]; 6 Ob 327/00g = RIS‑Justiz RS0069338 [T2]; RS0112565; vgl 5 Ob 55/17z [ob die Räume einer Sanierung bedürfen, ist unerheblich]; Würth/Zingher/Kovanyi Miet- und Wohnrecht23 MRG § 1 Rz 66; H. Böhm/Prader in GeKo Wohnrecht I § 1 MRG FN 628). Die Frage der Vermietbarkeit ist im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zu klären und einer Tatsachenfeststellung nicht zugänglich.

2.2. Entgegen der Meinung des Klägers kommt es daher nicht auf die ursprüngliche Konzeption seiner am Beginn des vorigen Jahrhunderts errichteten Villa an, sondern auf den objektiven baulichen Zustand, also die objektive Verwendbarkeit nach den tatsächlichen baulichen Gegebenheiten, die nicht mit dem Baukonsens übereinstimmen müssen.

2.3. Selbst wenn man den Abschluss des Mietvertrags hier vor Beginn der Sanierungsarbeiten im März 2006 annimmt (und nicht auf den Mietbeginn nach deren Abschluss abstellt [vgl H. Böhm/Prader in GeKo Wohnrecht I § 1 MRG Rz 213]), ging das Berufungsgericht nach den Feststellungen zu den tatsächlichen baulichen Gegebenheiten jedenfalls vertretbar vom damaligen Bestand von drei selbständigen Wohnungen im Sinn der dargestellten Judikatur aus: Im Erdgeschoss (als Lagerfläche genützt), im ersten Obergeschoss (von den Beklagten zu sanieren) und im zweiten Obergeschoss (vom Kläger bewohnt). Dabei handelte es sich schon damals jeweils um in sich abgeschlossene und getrennt über das sogenannte Nebenstiegenhaus zugängliche Raumeinheiten mit der Eignung, der Befriedigung eines individuellen Wohnbedürfnisses von Menschen zu dienen. Der Umstand, dass sie zB über eine zentrale Heizungsanlage wärmeversorgt wurden, ändert daran nichts. Davon, dass zu diesem Zeitpunkt ein einheitlicher Wohnungsverband im Sinn eines „klassischen Einfamilienhauses“ (noch) bestanden habe und im ersten Obergeschoss eine Wohnung erst geschaffen habe werden müsse (in erster Instanz erblickte der Kläger in den Investitionen der Beklagten nur den Wunsch nach Komfort), kann daher – anders als die Revision vermeint – keine Rede sein. Der Kläger entfernt sich auch vom festgestellten Sachverhalt, wenn er argumentiert, dass er „sein gesamtes Haus vom zweiten Obergeschoss bis in das Erdgeschoss und das Kellergeschoss und seinem außen befindlichen Garten nach wie vor im Rahmen des Wohnungsverbandes“ nutze.

2.4. Da es nicht auf die tatsächliche Benützung bzw Widmung durch den Vermieter ankommt, ändert der Umstand, dass die großzügige Wohnung im Erdgeschoss zu Lagerzwecken verwendet wurde, nichts an ihrer Qualifikation als selbständige Wohnung iSd § 1 Abs 2 Z 5 MRG. Sie wurde damit auch nicht zu einem typischen Nebenraum eines Hauses oder eines Bestandobjekts im Sinn eines Abstellraums, eines Kellerraums oder einer Garage, der unberücksichtigt bleiben müsse.

2.5. Für die vom Kläger bewohnte Wohnung besteht ohnehin kein Sanierungsbedarf. Die Sanierbarkeit der Wohnung der Beklagten ergibt sich aus der bis Oktober 2006 erfolgten Sanierung. Der Verweis des Berufungsgerichts zur Wohnung im Erdgeschoss, der für den Ausnahmetatbestand behauptungs- und beweispflichtige Kläger (RIS‑Justiz RS0069251 [T2]) habe nicht behauptet, diese sei endgültig unvermietbar, blieb unbeanstandet. Damit ist jedenfalls vertretbar, von der Vermietbarkeit aller drei Wohnungen auszugehen.

3. Soweit der Revisionswerber einen Mangel des Berufungsverfahrens wegen unterlassenen Vorgehens nach § 473a ZPO sieht, ist ihm zu entgegnen, dass ein solches nur dann erforderlich ist, wenn sich die Rechtsrüge des Berufungswerbers auf eine „verborgene“ Feststellung gründet (RIS‑Justiz RS0112020 [T12]), die nicht in dem den Feststellungen vorbehaltenen Urteilsabschnitt, sondern in anderen Urteilsteilen „verborgen“ sind (RIS‑Justiz RS0112020). Die hier vom Kläger thematisierten Feststellungen zum Zustand der Räumlichkeiten im 1. Obergeschoss waren aber im Urteilsabschnitt über die Tatsachenfeststellungen enthalten und daher nicht „verborgen“, sodass der Kläger nach § 468 Abs 2 ZPO schon in der Berufungsbeantwortung gehalten war, die unterbliebene Einholung eines Gutachtens eines Sachverständigen als Mangel des erstgerichtlichen Verfahrens zu rügen. Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens ist deshalb zu verneinen.

4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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