OGH 3Ob71/01i

OGH3Ob71/01i30.1.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Margarethe U*****, vertreten durch Dr. Alfred Hawel und Dr. Ernst Eypeltauer, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagten Parteien 1. Franz U*****, 2. Irmgard U*****, beide vertreten durch Dr. Erich Kaltenbrunner, Rechtsanwalt in Linz, wegen Räumung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 16. November 2000, GZ 11 R 288/00z-41, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Linz vom 4. Mai 2000, GZ 13 C 843/97i-35, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 876,25 Euro (darin enthalten 119,66 Euro Umsatzsteuer und 158,28 Euro Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Eigentümerin einer Liegenschaft mit einem Wohn/Geschäftsobjekt. Der Erstbeklagte ist der Sohn der Klägerin, die Zweitbeklagte deren Schwiegertochter. Die Beklagten bewohnen die im Erdgeschoß südlich gelegene Wohnung, bestehend aus Flur, kleinem Gang, Bad, WC, Wohnzimmer, Küche, Schlafzimmer, zwei Kinderzimmern und Büro im Ausmaß von etwa 92 m² samt Zubehör.

Die Klägerin begehrt die Räumung der von den Beklagten genutzten Wohnung; es handle sich um eine prekaristische Gebrauchsüberlassung unter Familienmitgliedern, wobei eine Verpflichtung zur Überlassung der Wohnung nicht bestehe. Der Erstbeklagte zeige seit dem Tod seines Vaters ein - näher beschriebenes - Verhalten, das die weitere Aufrechterhaltung dieses Nutzungsverhältnisses unzumutbar mache. Das Klagebegehren werde auch darauf gestützt, dass ein allenfalls bestehendes Rechtsverhältnis aus diesen wichtigen Gründen aufgelöst werden könne.

Die Beklagten wendeten ua ein, die Wohnung sei in die ausschließliche und immerwährende Nutzungsberechtigung des Erstbeklagten, praktisch in sein Eigentum, übertragen worden.

Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluss vom 24. 11. 1999, 3 Ob 220/98v-27, die im ersten Rechtsgang gefällten klagestattgebenden Urteile der Vorinstanzen aufgehoben; für die Beurteilung des Vorliegens eines familienrechtlichen Wohnverhältnisses fehlten die Tatsachengrundlagen, die auch noch im Jahr 1975, als die Klägerin und ihr Ehegatte den Beklagten die freigewordenen drei Räume der Nachbarwohnung überließen und diese Räume in den Wohnungsverband eingegliedert wurden, für die Begründung eines familienrechtlichen Wohnverhältnisses sprechen würden. Daher werde das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren Tatsachenfeststellungen darüber zu treffen haben, welche Erklärungen die Beteiligten abgaben, als den Beklagten die zweite Wohnung überlassen wurde, damit die Rechtsnatur des Wohnverhältnisses unter Berücksichtigung der Einbeziehung dieser Wohnung beurteilt werden kann. Für eine unabhängig von familienrechtlichen Beziehungen erfolgte Begründung eines jederzeit auflösbaren Prekariums fehlten jedoch nach den Tatsachenfeststellungen konkrete Anhaltspunkte. Wichtige Gründe für die Auflösung eines Rechtsverhältnisses seien ebenfalls nicht festgestellt worden; darauf könne das Räumungsbegehren der Klägerin daher nicht gestützt werden.

Das Erstgericht gab dem Räumungsbegehren im zweiten Rechtsgang statt. Zu den näheren Umständen der Überlassung weiterer Räume im Jahr 1975 stellte das Erstgericht fest:

Als 1975 die Großmutter des Erstbeklagten verstarb, überließen die Klägerin und ihr Ehegatte "dem Beklagten" auch die beiden noch verbliebenen Räume der ehemaligen Wohnung der Großmutter. Nicht festgestellt werden kann, dass "dem Beklagten" bereits zu Lebzeiten der Großmutter die Überlassung auch der beiden weiteren Räume nach dem Ableben der Großmutter in Aussicht gestellt worden war. Die Überlassung der beiden Räume nach dem Ableben der Großmutter erfolgte durch die Klägerin sinngemäß mit den Worten "jetzt könnt ihr diese auch haben". Über eine rechtliche Regelung des Wohnens wurde weder anlässlich der Überlassung der ursprünglichen Wohnung im Jahr 1964 noch anlässlich der Überlassung der Räume der ehemaligen großmütterlichen Wohnung ausdrücklich gesprochen. Die Klägerin und ihr Ehegatte machten sich auch keine konkreten Gedanken über die Zukunft und die Rechtsnatur dieser Wohnraumüberlassung. Sie erklärten gegenüber dem Erstbeklagten jedoch auch nicht, dass diese Wohnungsüberlassung nur zeitlich befristet sei.

Das Erstgericht bejahte auf dieser Tatsachengrundlage das Vorliegen eines familienrechtlichen Wohnverhältnisses, das jederzeit beendet werden könne.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im klagsabweisenden Sinn ab; es sprach aus, dass der Entscheidungsgegenstand 260.000 S übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur erheblichen Rechtsfrage der Definition von familienrechtlichen Wohnverhältnissen "zwei sich widersprechende Judikaturlinien" vorlägen. In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus, maßgeblich sei die Situation anlässlich der Einbeziehung der Räume 1975, weil nach der Zeit der Begründung des Wohnverhältnisses differenziert werden könne. Da der Erstbeklagte über ein eigenes Einkommen verfügt habe, komme eine im Familienrecht begründete Verpflichtung nicht in Betracht. Da aber familienrechtliche Wohnverhältnisse ihren Grund nur in familienrechtlichen Ansprüchen hätten, solche aber nicht vorlägen, liege kein familienrechtliches Wohnverhältnis vor. Im Übrigen verhalte sich die vom Erstgericht festgestellte Erklärung zur Übergabe der Räume 1975 neutral. Es werde nämlich nicht jene Bestimmtheit von Willenserklärungen verlangt, wie das im Geschäftsverkehr zwischen fremden Personen der Fall sei. Die festgestellten Umstände schlössen aber auch die Annahme eines Prekariums aus. Das Fehlen einer Vereinbarung über die Leistung eines Entgelts wie hier stehe nur der Annahme eines Mietvertrags, nicht aber eines obligatorischen Mitbenützungsverhältnisses entgegen. Die Situation der Beklagten im Jahr 1975 sei dadurch gekennzeichnet gewesen, dass sie eine Familie gegründet und auch über ein existenzsicheres Einkommen verfügt hätten. Derartige Situationen seien durchwegs dadurch geprägt, dass Ausschau nach Wohnmöglichkeiten gehalten werde, und zwar nach solchen nicht bloß vorübergehender Natur; vielmehr würden wegen der erfolgten Familiengründung dauerhafte Wohnmöglichkeiten gesucht. Diese sich aus der Natur der Sache ergebenden Umstände seien aber der Klägerin bekannt gewesen. Bindungsabsicht sei nun unter Familienangehörigen umso eher anzunehmen, wenn ein Konnex zu einer früheren Unterhaltsschuld fehle, wie dies hier der Fall gewesen sei. Aus den im Jahr 1975 vorliegenden Gesamtumständen hätten die Beklagten den Schluss ziehen dürfen, dass ihnen die Klägerin und ihr Ehegatte ein vertragliches Recht auf Benützung der Wohnung einräumen wollten. Angesichts der durch die Familiengründung für den Beklagten gekennzeichneten Situation seien die anlässlich der Umbauarbeiten in den Jahren 1972 bis 1975 getätigten nicht unerheblichen Investitionen nur so erklärbar, dass ein Wohnverhältnis auf Dauer angelegt sei. Die Klägerin hätte daher nicht davon ausgehen dürfen, dass dieses Wohnungsbenützungsrecht jederzeit widerrufbar eingeräumt werden sollte. Damit verfügten die Beklagten aber über einen Rechtstitel auf Benützung der Wohnung, sodass das Räumungsbegehren der Klägerin abzuweisen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist berechtigt.

Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts, das von "zwei sich widersprechende Judikaturlinien" ausgeht, liegt zu den Voraussetzungen der Begründung familienrechtlicher Wohnverhältnisse keine divergierende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (s RIS-Justiz RS0019062) vor. So wurde mit der Entscheidung 7 Ob 1653/95 keineswegs von der früheren Rsp abgegangen. Mit dieser Entscheidung wurde vielmehr eine außerordentliche Revision gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen, ohne dass neue Grundsätze für die Beurteilung des Vorliegens eines familienrechtlichen Wohnverhältnisses aufgestellt worden wären. Auch die Entscheidung 7 Ob 547/95 (= JBl 1996, 106) folgt bei der Abgrenzung zwischen familienrechtlichem Wohnverhältnis ohne vertragliche Bindung, Dienstbarkeit der Wohnung als dinglichem Recht und obligatorischem Wohnungsrecht den Grundsätzen der stRsp, wobei auch hier betont wird, dass unter Familienangehörigen nicht jene Bestimmtheit von Willenserklärungen verlangt werde, wie dies im Geschäftsverkehr zwischen fremden Personen der Fall ist; Bindungsabsicht sei unter Familienangehörigen umso eher anzunehmen, wenn ein Konnex zu einer früheren Unterhaltsschuld fehle. Auch den Kommentierungen von Würth in Rummel, ABGB³, § 1090 Rz 7 und Binder in Schwimann, ABGB² § 1090 Rz 20 ff sind Widersprüche in der Rechtsprechung nicht zu entnehmen. Die durch das Fehlen einer vertraglichen Bindung gekennzeichneten familienrechtlichen Wohnverhältnisse haben nach einhelliger Rechtsprechung ihren Grund in familienrechtlichen Ansprüchen, insbesondere Unterhaltsverpflichtungen; es muss stets im Einzelfall geprüft werden, ob eine Bindungsabsicht bestand.

Auch nach der von der Klägerin in der Revision vertretenen Ansicht gibt es nicht zwei unterschiedliche Judikaturlinien des Obersten Gerichtshofs; die Klägerin meint jedoch, die Entscheidung des Berufungsgerichts widerspreche der stRsp des Obersten Gerichtshofs zur Definition von familienrechtlichen Wohnverhältnissen. Diese Ansicht ist zutreffend.

Wie der erkennende Senat bereits im ersten Rechtsgang ausgeführt hat, sind für die Beurteilung des Vorliegens eines familienrechtlichen Wohnverhältnisses die Umstände anlässlich der Überlassung der freigewordenen drei Räume der Nachbarwohnung im Jahr 1975 entscheidend. Für die Annahme einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung bieten die hiezu vom Erstgericht getroffenen Tatsachenfeststellungen entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts keinen Anhaltspunkt. Wenn hier die Überlassung der Räume durch die Klägerin sinngemäß mit den Worten "jetzt könnt ihr diese auch haben" erfolgte und darüber hinaus keine Gespräche über die rechtliche Regelung des Wohnens stattfanden, reicht dies für die Annahme einer ausdrücklichen oder schlüssigen rechtsgeschäftlichen Vereinbarung nicht aus. Unter Familienangehörigen wird zwar nicht jene Bestimmtheit von Willenserklärungen verlangt, wie dies im Geschäftsverkehr zwischen fremden Personen der Fall ist (SZ 50/141; wobl 1998/205; RIS-Justiz RS0020488). Entscheidend dafür, ob eine vertragliche Rechtsgrundlage für die Wohnungsbenützung oder ein familienrechtliches Wohnverhältnis vorliegt, bleiben aber immer die gewechselten Erklärungen oder die aus dem gesetzten Verhalten objektiv zu erschließende beiderseitige Rechtsgeschäftsabsicht. Wie bereits das Erstgericht zutreffend dargelegt hat, wurden hier jedoch von den Parteien überhaupt keine Handlungen gesetzt, die als Willenserklärungen im Sinn des § 863 ABGB zu werten wären. Weder ausdrücklich noch stillschweigend durch Handlungen, die mit Überlegung aller Umstände keinen vernünftigen Grund, daran zu zweifeln, dass ein bestimmter Rechtsfolgewille besteht, übrig lassen, wurden hier rechtsgeschäftliche Erklärungen abgegeben.

Aus dem Umstand, dass bei Überlassung der weiteren Wohnräume keine Unterhaltsverpflichtung der Klägerin gegenüber den Beklagten bestand, folgt keineswegs, dass das (Weiter-)Bestehen eines familienrechtlichen Wohnverhältnisses zu verneinen wäre. Neben der Verpflichtung aus dem Familienrechtsverhältnis, einem Familienangehörigen Wohnung zu geben, gibt es nämlich zahlreiche, aus dem natürlichen Zusammengehörigkeitsgefühl unter nahen Familienangehörigen entspringende tatsächliche Benützungsgewährungen, welche rechtlich nicht geregelt, gegen den Willen des Gewährenden nicht durchsetzbar und jederzeit widerrufbar sind (4 Ob 222/98w = wobl 1999/106).

Auch aus dem Umstand, dass die Beklagten Investitionen vorgenommen haben, ist nicht abzuleiten, es liege eine vertragliche Rechtsgrundlage für die Wohnungsbenützung vor; derartige Investitionen sind nämlich auch im Rahmen eines ungeregelten, sich aus dem verwandtschaftlichen Naheverhältnis ergebenden tatsächlichen Zustandes denkbar (RIS-Justiz RS0020507, RS0020511). Aus der von den Beklagten in der Revisionsbeantwortung zitierten Entscheidung 2 Ob 515/87 = MietSlg 39.084 ergibt sich keineswegs, dass in einem solchen Fall ein eindeutiger Hinweis auf ein vorliegendes Vertragsverhältnis gegeben sei. Vielmehr sind immer die Umstände des Einzelfalls maßgeblich; wenn das Erstgericht hier "nicht feststellen konnte", dass diese (im Einzelnen festgestellten) Arbeiten das Maß der üblichen familiären Beistandspflicht überschritten hätten, ist diese (richtigerweise) rechtliche Beurteilung zu billigen. Eine Vereinbarung, wonach den Beklagten als Gegenleistung das Recht der Benützung der Wohnung eingeräumt worden wäre (vgl 1 Ob 527/90 = MietSlg 42.005), wurde hier nicht getroffen. Der von den Beklagten in der Revisionsbeantwortung geltend gemachte sekundäre Feststellungsmangel in der Richtung, es seien weitere, im einzelnen angeführte Feststellungen zum Umfang der von ihnen getätigten Investitionen zu treffen, liegt somit nicht vor. Lassen aber (wie hier) die konkreten Umstände des Falls auf ein aus dem natürlichen Zusammengehörigkeitsgefühl unter Familienangehörigen entstandenes Wohnverhältnis schließen, so ist es Sache des Benützers der Wohnung, konkrete Umstände darzulegen und zu beweisen, die einen unzweifelhaften Schluss auf das Vorliegen eines Rechtstitels zur Wohnungsbenützung zulassen (RIS-Justiz RS0020500). Diesen Beweis haben die Beklagten nicht erbracht.

Soweit die Beklagten schließlich weitere Feststellungen zur (ersten) Wohnungsüberlassung im Jahr 1964 begehren und daraus ableiten, die Klägerin sei zur Klagsführung nicht legitimiert, verkennen sie, dass hier - wie bereits ausgeführt - die Umstände im Jahr 1975 maßgebend sind.

Es ist somit das klagestattgebende Ersturteil wiederherzustellen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Voraussetzungen für eine Entlohnung über das Maß des Tarifs nach § 21 Abs 1 Satz 2 RATG liegen nicht vor, weil die Leistung des Rechtsanwalts nach Umfang oder Art den Durchschnitt nicht erheblich übersteigt.

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