OGH 1Ob73/17t

OGH1Ob73/17t28.6.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T* Hotelbetriebs GmbH, *, vertreten durch Dr. Andreas König, Dr. Andreas Ermacora, Dr. Barbara Lässer und Dr. Christian Klotz, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei J* E*, vertreten durch Dr. Ekkehard Erlacher und Dr. Renate Erlacher‑Philadelphy, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 10. März 2017, GZ 77 R 11/17h‑14, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 10. Jänner 2017, GZ 17 C 267/16z‑10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E118696

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.216,70 EUR (darin 369,45 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist seit 2015 Alleineigentümerin eines Hauses, in dem sich eine (von ihr betriebene) Hotelanlage befindet, die sich über mehrere Geschosse erstreckt. Der Beklagte ist seit 1. 6. 2013 Mieter eines Geschäftslokals im Erdgeschoss, wobei im Mietvertrag vereinbart wurde, dass das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit abgeschlossen wird und von jedem Vertragsteil unter Einhaltung einer sechsmonatigen Kündigungsfrist zum Jahresende aufgekündigt werden kann. Zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Mietvertrags bestand im Haus ein weiteres Bestandverhältnis, mit dem einer Bestandnehmerin Räumlichkeiten im Erdgeschoss zu Lagerungszwecken überlassen wurden. Die Mieterin hatte dort entsprechend den vereinbarten Vertragszwecken diverse Sachen gelagert, unter anderem Gegenstände für den jährlichen Christkindlmarkt im Bereich der Altstadt, auf dem sie einen „Kiachlstand“ führte. Diese Räumlichkeiten mit einer Gesamtfläche von 40 bis 50 m² können über das Erdgeschoss betreten werden, ohne dass man dabei den über eine eigene Tür und eine Stiege erreichbaren Hotelbereich betreten muss. Im unmittelbaren Nahbereich dieser Lagerräume befinden sich Nebenräume des Hotels, wie etwa die Boilerzentrale, ein Heizraum sowie weitere Lagerräumlichkeiten, die über einen gemeinsamen Gang zu erreichen sind. Nachdem dieses Mietverhältnis aufgelöst worden war, werden die Räumlichkeiten von der Klägerin im Rahmen des Hotelbetriebs selbst genutzt.

Die Klägerin kündigte das Mietverhältnis mit dem Beklagten im Wege einer gerichtlichen Kündigung zum 31. 12. 2016 auf und berief sich im Wesentlichen auf die vertragliche Kündigungsvereinbarung. Das MRG gelange nicht zur Anwendung, da sich der Mietgegenstand in einem Gebäude mit nicht mehr als zwei selbständigen Einheiten befinde. Die an eine dritte Person vermieteten Räume im Erdgeschoss könnten nicht als Geschäftsräumlichkeiten gewertet werden. Sie stellten auch kein selbständiges Bestandobjekt dar, da sie nur betreten werden könnten, indem man Teile des Hotelbetriebs begehe. Sie seien vielmehr Teile des Hotelbetriebs, mögen sie auch zwischenzeitlich gesondert als Lager an Dritte vermietet worden sein.

Der Beklagte wandte im Wesentlichen ein, das mit ihm abgeschlossene Bestandverhältnis unterliege dem (Kündigungsschutz des) MRG, weil im Haus mindestens drei selbständige Einheiten vorhanden und vermietet gewesen seien. Zum Zeitpunkt des Abschlusses seines Mietvertrags seien auch Lagerräume im Erdgeschoss an eine weitere Mieterin vermietet gewesen.

Das Erstgericht hob die gerichtliche Aufkündigung auf und wies das Begehren, der Beklagte habe das von ihm gemietete Geschäftslokal zu räumen, ab. Der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 2 Z 5 MRG sei nicht erfüllt, seien im Haus doch mehr als zwei selbständige Geschäftsräumlichkeiten vermietet gewesen; auch das dritte Mietverhältnis über Räumlichkeiten im Erdgeschoss habe Lager‑ und sohin Geschäftszwecken der Mieterin gedient. Auch wenn diese Räumlichkeiten auch im Rahmen des Hotelbetriebs hätten genutzt werden können, seien sie zum maßgebenden Zeitpunkt tatsächlich separat vermietet gewesen. Da somit die von der Klägerin behauptete Vollausnahme vom Anwendungsbereich des MRG nicht vorliege, hätte das Bestandverhältnis nur aus wichtigen Gründen im Sinne der §§ 29, 30 MRG aufgekündigt werden können.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Dass auch die Lagerräume im Erdgeschoss zu geschäftlichen Zwecken in Bestand gegeben worden seien, ergebe sich einerseits aus der Lagerung von bestimmten Gegenständen für einen Stand am Christkindlmarkt und andererseits daraus, dass es sich bei der Mieterin um eine allgemein bekannte Betreiberin von Gastronomiestätten in unmittelbarer Umgebung zur Liegenschaft handle. Im Übrigen sei ohnehin jeder selbständig vermietete Raum ausnahmeschädlich. Die erstgerichtliche Feststellung, die betreffenden Räumlichkeiten seien vom Erdgeschoss aus betretbar, ohne dass man hiebei den über eine eigene Tür und eine Stiege abgetrennten Hotelbereich betreten muss, sei unbedenklich, zumal nicht davon ausgegangen werden könne, dass der Planbestand gemäß der zum Bestandteil der Feststellungen erklärten Urkunde dem tatsächlichen Bestand entsprochen habe; es sei offenbar im Zusammenhang mit der Vermietung an den Beklagten auch zu einem „Aufmachen“ des Kellerbereichs gekommen. Auch wenn Kellerräume grundsätzlich als Nebenräume zu qualifizieren seien, werde die Privilegierung nach § 1 Abs 2 Z 5 MRG aufgehoben, wenn solche Räume tatsächlich vermietet seien. Zutreffend sei das Erstgericht auch davon ausgegangen, dass auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrags abzustellen ist. Für die Selbständigkeit von Räumlichkeiten müsse ein nach der Verkehrsauffassung in sich baulich abgeschlossener Teil eines Gebäudes vorliegen. Sei im maßgeblichen Zeitpunkt der Vermietung ein selbständig vermietbarer Raum auch tatsächlich genutzt oder vermietet, gehe die Verkehrsauffassung dahin, dass damit die Zugehörigkeit dieses Raums zu einer anderen vermieteten Wohnung oder Geschäftsräumlichkeit aufgehoben worden sei. Bei einer selbständigen Vermietung von Nebenräumen greife die Vermutung der Zugehörigkeit zu einem anderen Mietobjekt nicht. Hier seien die vermieteten Räumlichkeiten im Erdgeschoss nach den Feststellungen in dem Sinn selbständig gewesen, als sie selbständig und ohne den Hotelkomplex betreten zu müssen, erreichbar gewesen seien.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.

Zur Frage, ob es sich bei den zu Lagerzwecken vermieteten Räumlichkeiten um selbständige Mietgegenstände im Sinne des § 1 Abs 2 Z 5 MRG gehandelt hat, kann auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts verwiesen werden.

Generell entspricht es der Rechtsprechung, dass für die Frage, ob der Ausnahmetatbestand erfüllt ist, auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrags abzustellen ist (RIS‑Justiz RS0079363; RS0112564) und dass die Beurteilung, ob zwei oder mehr selbständige (Wohnungen oder) Geschäftsräumlichkeiten im Objekt vorhanden sind, auf die Verkehrsauffassung abzustellen ist (RIS‑Justiz RS0079853). Für die Selbständigkeit muss zwar ein nach der Verkehrsauffassung in sich baulich abgeschlossener Teil eines Gebäudes vorliegen (8 Ob 87/08i; 2 Ob 169/10g), doch greift bei einer selbständigen Vermietung von Nebenräumen – auch unabhängig von ihrer Größe (2 Ob 169/10g) – die Vermutung der Zugehörigkeit zu einem anderen Mietobjekt – das wäre hier der „Hotelteil“ – nicht (RIS‑Justiz RS0112564 [T7]); war im maßgeblichen Zeitpunkt ein selbständig vermietbarer Raum auch tatsächlich genutzt oder vermietet, geht die Verkehrsauffassung dahin, dass damit die Zugehörigkeit dieses Raums zu einer anderen vermieteten Wohnung oder Geschäftsräumlichkeit aufgehoben wurde (5 Ob 68/00m; 2 Ob 169/10g ua). Auch wenn etwa Kellerräume grundsätzlich als Nebenräume zu qualifizieren sind, wird die Privilegierung nach § 1 Abs 2 Z 5 MRG durch deren tatsächliche Vermietung (an einen Dritten) aufgehoben (vgl nur 5 Ob 76/03t = RIS‑Justiz RS0112564 [T11]).

Auch wenn der Revisionswerber grundsätzlich zutreffend moniert, dass die Annahme des Berufungsgerichts, der zum Inhalt der Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts erklärte Plan entspreche nicht dem tatsächlichen Bestand, keine ausreichende Grundlage hat, ist für sie damit doch nichts zu gewinnen. Ihre Rechtsauffassung, der Annahme eines selbständigen Bestandobjekts stehe der Umstand entgegen, dass man die Lagerräumlichkeiten nur betreten kann, wenn man den Flur im Erdgeschoss, der „zum Hotel gehöre“, durchschreitet, ist nämlich unzutreffend. Wie sich aus dem Plan ergibt, ist der fragliche Gang keineswegs allein dem Hotelbetrieb zuzuordnen, sondern es können über ihn verschiedene Räumlichkeiten erreicht werden. Dazu gehören einerseits die fraglichen Lagerräumlichkeiten, andererseits aber auch zwei durch eine eigene Tür betretbare Räume, die mit „Vorraum“ und „Vorräte“ bezeichnet und ausdrücklich als nicht zur Betriebsanlage [Hotelanlage] gehörig ausgewiesen sind; möglicherweise stehen sie in Verbindung mit dem Geschäftslokal des Beklagten. Damit kann keine Rede davon sein, dass der fragliche Gang bzw Flur allein den Hotelräumlichkeiten zuzuordnen wäre. Jedenfalls mit der Vermietung der Lagerräumlichkeiten wurde der Bestandnehmerin auch das Recht, den Gang mitzubenutzen, eingeräumt. Waren diese Räumlichkeiten daher zu erreichen, ohne sich in den Bereich des eigentlichen Hotelbetriebs begeben zu müssen, besteht kein Anlass, an der Selbständigkeit dieses Bestandobjekts zu zweifeln.

Was schließlich den Haupteinwand der Revisionswerberin betrifft, es stehe entgegen der Annahme des Berufungsgerichts auf Tatsachenebene keineswegs ausreichend klar fest, dass die Lagerräumlichkeiten zur Verfolgung geschäftlicher Zwecke vermietet worden sind, ist auf die nunmehr ständige Rechtsprechung zu verweisen, nach der es im Rahmen des Ausnahmetatbestands nach § 1 Abs 2 Z 5 MRG nicht darauf ankommt, ob weitere selbständige Bestandobjekte zu Wohn‑ oder Geschäftszwecken vermietet wurden. Dass „nicht mehr als zwei selbständige Wohnungen oder Geschäftsräumlichkeiten“ vorhanden sein dürfen, bedeutet nicht etwa (nur), dass drei Wohnungen (oder Geschäftsräumlichkeiten) schädlich sind. Vielmehr dürfen neben den zwei selbständigen Wohnungen (oder Geschäftsräumlichkeiten) keinerlei einer Vermietung zugängliche – oder sogar tatsächlich vermietete – Räume im Haus vorhanden sein (RIS‑Justiz RS0069389; Würth in Rummel 3 § 1 MRG Rz 16b mwN, Würth/Zingher/Kovanyi, Miet‑ und Wohnrecht I23 § 1 MRG Rz 52 mwN). Damit kann schon jetzt abschließend beurteilt werden, dass der Ausnahmetatbestand nicht zum Tragen kommt, ohne dass es darauf ankäme, ob die vermieteten Lagerräume zu geschäftlichen oder privaten Zwecken in Bestand gegeben wurden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 ZPO.

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