OGH 2Ob43/12f

OGH2Ob43/12f29.11.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** E*****, vertreten durch Mag. Thomas Deuschl, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Dr. R***** S*****, vertreten durch Sattlegger, Dorninger, Steiner & Partner Anwaltssocietät in Linz, wegen 27.295,80 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 9. Jänner 2012, GZ 6 R 422/11p‑43, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Zwischenurteil des Landesgerichts Linz vom 14. November 2011, GZ 30 Cg 57/09z‑39, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.400,04 EUR (darin 233,34 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Das Berufungsgericht begründete den Ausspruch über die Zulässigkeit der ordentlichen Revision damit, dass der Rechtsfrage nach dem Umfang der Aufklärungspflicht eines Zahnarztes im Falle einer „Kronenversorgung“ über den Einzelfall hinaus erhebliche Bedeutung zukomme, zumal die Rechtsansicht des Berufungsgerichts mit der zahnärztlichen Praxis offenbar nicht im Einklang stehe.

Die von der Beklagten gegen das Berufungsurteil erhobene Revision ist jedoch entgegen diesem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig. Weder in der Begründung des zweitinstanzlichen Zulassungsausspruchs noch in der Revision wird eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dargetan.

I. Zum Umfang der Aufklärungspflicht:

1. Der Oberste Gerichtshof hat in einer Vielzahl von Entscheidungen Grundsätze über die Erforderlichkeit und den Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht entwickelt, von denen auch die Vorinstanzen ausgegangen sind. Danach soll die ärztliche Aufklärung den Patienten instand setzen, die Tragweite seiner Erklärung, in eine bestimmte Behandlung einzuwilligen, zu überschauen (RIS-Justiz RS0026413). Der Patient kann nur dann wirksam seine Einwilligung geben, wenn er über die Bedeutung des vorgesehenen Eingriffs und seine möglichen Folgen hinreichend aufgeklärt wurde (RIS‑Justiz RS0026499). Die ärztliche Aufklärungspflicht reicht umso weiter, je weniger der Eingriff aus der Sicht eines vernünftigen Patienten vordringlich oder geboten ist. Ist der Eingriff zwar medizinisch empfohlen, aber nicht eilig, so ist grundsätzlich eine umfassende Aufklärung notwendig. In einem solchen Fall ist die ärztliche Aufklärungspflicht selbst dann zu bejahen, wenn erheblich nachteilige Folgen wenig wahrscheinlich sind. Es ist dann auch auf die Möglichkeit äußerst seltener, aber gravierender Risiken hinzuweisen (vgl 1 Ob 532/94 mwN; 6 Ob 318/00h; 4 Ob 87/08k; RIS-Justiz RS0026313 [T3], RS0026375, RS0026772). Der konkrete Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht richtet sich stets nach den Umständen des Einzelfalls und wirft ‑ von auffälligen Fehlbeurteilungen abgesehen ‑ keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (2 Ob 213/11d mwN; 9 Ob 41/11m; RIS-Justiz RS0026529).

2. Die beklagte Zahnärztin zieht zu Recht nicht in Zweifel, dass diese Grundsätze auch bei Zahnbehandlungsverträgen maßgeblich sind (vgl etwa 8 Ob 33/01p; 4 Ob 39/09b; Sparl, (Medizin-)rechtliche Fragen der Zahnmedizin [2009], 97 ff; vgl auch die ‑ auf den vorliegenden Sachverhalt noch nicht anzuwendende ‑ Regelung der Aufklärungspflicht in § 18 Zahnärztegesetz, BGBl I 2005/126). Zwischen den Parteien ist überdies unstrittig, dass die im Jahr 2004 stattgefundene Behandlung des Klägers (Versorgung des Ober- und Unterkiefers mit Kronen auf Edelmetallbasis) nicht dringlich war.

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen ist es möglich, dass beim Kläger entweder schon vor dem Einsetzen der Kronen eine „Goldallergie“ bestand oder dass sich eine solche erst nach dem Einsetzen der Kronen entwickelt hat. In der Zahnmedizin ist „durchaus bekannt“, dass auch hochgoldhaltige Legierungen Allergien auslösen können, wenngleich klinisch fassbare Reaktionen „äußerst selten“ sind. Wäre dem Kläger schon vor der Behandlung mitgeteilt worden, dass das Material Gold eine Allergie auslösen könnte, hätte er sich einem Allergietest unterzogen. Zu welchem Ergebnis ein solcher Test damals geführt hätte, konnte nicht festgestellt werden.

Bei dieser Sachlage ist dem Berufungsgericht keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende krasse Fehlbeurteilung unterlaufen, wenn es davon ausging, dass die Beklagte den Kläger im Zuge des Beratungsgesprächs über die Folgen einer „Goldallergie“ und die Möglichkeit eines Allergietests aufklären hätte müssen. Auch wenn eine derartige Allergie nur „äußerst selten“ vorkommt, ist doch zu bedenken, dass die Verträglichkeit des in Aussicht genommenen Materials essentielle Voraussetzung für einen beschwerdefreien Behandlungserfolg und daher auch für die Entscheidung des Patienten war. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, es hätte dem Kläger die Möglichkeit zur Abklärung einer allfälligen Allergie eröffnet werden müssen, hält sich daher noch im Rahmen der eingangs zitierten höchstgerichtlichen Judikatur.

3. Auch die weiteren Argumente der Beklagten vermögen eine Unvertretbarkeit der zweitinstanzlichen Begründung nicht aufzuzeigen:

3.1 Die in der Revision mehrfach wiederkehrende Behauptung, ein vor der Behandlung vorgenommener Allergietest wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ergebnislos verlaufen, ist schon deshalb unbeachtlich, weil ihr die erwähnte Negativfeststellung des Erstgerichts entgegensteht. Die mit dieser These verknüpfte Rüge eines Feststellungsmangels kann daher nicht erfolgreich sein.

3.2 Nach den Feststellungen hat die Beklagte den Kläger darüber aufgeklärt, dass bei Kronen auf Nichtedelmetallbasis Allergien vorkommen könnten. Warum dann die Aufklärung über ein in der Zahnmedizin ebenfalls „durchaus bekanntes“ ‑ wenngleich noch selteneres ‑ Risiko einer Allergie bei Kronen auf Edelmetallbasis vor einer nicht dringenden Behandlung zu einer Überspannung ihrer Sorgfaltspflicht führen sollte, ist nicht ohne weiteres einzusehen. Eine Überschreitung des ihm zur Verfügung stehenden Beurteilungsspielraums ist dem Berufungsgericht daher nicht vorwerfbar, wenn es diese Frage verneinte.

3.3 Der Kläger hat zwar im Anamnesebogen und im persönlichen Gespräch mit der Beklagten das Vorliegen von Allergien jedweder Art verneint. Dies geschah allerdings vor der Erstbehandlung, die mit dem gegenständlichen Eingriff noch in keinem Zusammenhang stand (zu den Aufklärungspflichten bei Bestehen eines Dauerbehandlungsvertrags vgl Sparl aaO 100). Die zu diesem Thema geäußerte Ansicht des Berufungsgerichts, die Beklagte habe nicht davon ausgehen können, dass der Kläger „alle seine Allergien“ kenne, es hätte daher vor der konkreten Behandlung einer zielgerichteten Aufklärung bedurft, ist zumindest vertretbar und wirft deshalb keine erhebliche Rechtsfrage auf.

4. Die Beweislast dafür, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zum Eingriff erteilt hätte, trifft für den Fall der Verletzung der Aufklärungspflicht den Arzt (RIS-Justiz RS0038485, RS0108185).

Angesichts der Feststellung des Erstgerichts, es könne nicht festgestellt werden, dass der Kläger in die Zahnbehandlung eingewilligt hätte, wenn er über die Möglichkeit eines Allergietests aufgeklärt worden wäre, und der bereits erwähnten (weiteren) Negativfeststellung zum hypothetischen Ergebnis eines solchen Tests, ist dieser Beweis misslungen.

5. Unter den dargelegten Umständen begründet es somit keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts, wenn es die Haftung der Beklagten für den Schaden des Klägers dem Grunde nach bejahte (RIS-Justiz RS0026783).

II. Zum Verjährungseinwand:

1. Die Verjährungsfrist des § 1489 Satz 1 ABGB beginnt zu laufen, wenn dem Geschädigten der Schade und die Person des Schädigers bekannt geworden sind. Lehre und Rechtsprechung legen diese Bestimmung dahin aus, dass dies der Fall ist, wenn der Sachverhalt dem Geschädigten so weit bekannt ist, dass er mit Aussicht auf Erfolg klagen kann, also in der Lage ist, das zur Begründung seines Ersatzanspruchs erforderliche Sachvorbringen konkret zu erstatten (RIS-Justiz RS0034524). Das bedingt die Kenntnis des Kausalzusammenhangs und ‑ bei verschuldensabhängiger Haftung ‑ auch die Kenntnis der Umstände, die das Verschulden begründen (RIS-Justiz RS0034524 [T27, T29], RS0034366, RS0034951). Bloße Mutmaßungen über die angeführten Umstände genügen nicht (vgl 1 Ob 162/10w mwN; 4 Ob 144/11x; RIS-Justiz RS0034603). Immer hängt aber die Frage, wann eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden kann, von den Umständen des Einzelfalls ab (1 Ob 162/10w; RIS-Justiz RS0034524 [T23]).

2. Das Erstgericht hat festgestellt, dass dem Kläger nach dem Vorliegen des auf „Goldallergie“ lautenden Testergebnisses von 27. 2. 2006 ein „allfälliger“, also bloß möglicher Zusammenhang zwischen seinen Beschwerden und dem Einsetzen der „Goldkronen“ durch die Beklagte bewusst geworden ist. Das Berufungsgericht hat anhand des von der Beklagten selbst vorgelegten ‑ seinem Inhalt nach unstrittigen (vgl 2 Ob 92/11k mwN) ‑ Ambulanzberichts zu diesem Test dargelegt, dass damals auch noch andere Gründe (etwa eine im November 2005 durchgemachte Zosterinfektion) als Ursache für die Beschwerden des Klägers in Betracht gezogen worden sind. Die „Goldallergie“ als Auslöser der Beschwerden konnte bloß „nicht gänzlich ausgeschlossen“ werden (Beilage ./3). Weder im Krankenhaus noch von den danach konsultierten Ärzten wurde dem Kläger eine Entfernung der Kronen empfohlen. Erst am 21. 3. 2007 wurden die „Goldkronen“ durch Vollkeramikkronen ersetzt, worauf eine deutliche Verbesserung der Beschwerden des Klägers eingetreten ist.

Die auf diesen Sachverhalt gegründete Beurteilung des Berufungsgerichts, die Verjährung habe erst am 21. 3. 2007 zu laufen begonnen, sodass die am 19. 6. 2009 eingebrachte Klage noch innerhalb der Verjährungsfrist erhoben worden sei, steht mit der erörterten Rechtsprechung im Einklang und wirft daher keine erhebliche Rechtsfrage auf.

III. Da es der Lösung von Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht bedarf, ist die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO. Der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen. Bei einem Zwischenurteil, das über den Grund des Anspruchs abschließend entscheidet, findet nach neuerer Rechtsprechung kein Kostenvorbehalt nach § 52 Abs 2 iVm § 393 Abs 4 ZPO statt, wenn die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückgewiesen wird (2 Ob 220/10g mwN; RIS-Justiz RS0123222 [T10]).

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